Rap den Orff Die Erbengemeinschaft des Komponisten wehrt sich gegen Musikpiraten aus der HipHop-Szene und dem Internet Vor 65 Jahren machte ein Mann in einem Würzburger Antiquariat den Fund seines Lebens. Er sollte ihn in die Top 5 der am häufigsten geklauten Musik bringen. Was er entdeckt hatte, war eine handschriftliche Sammlung von Trinkliedern und anderer Alltagspoesie aus dem 13. Jahrhundert. O Fortuna, stand in den Blättern aus dem bayerischen Kloster Benediktbeuren, Schicksalsgöttin, flüchtig bist du und ungreifbar wie der Mond, wechselhaft und launisch. Der Mann, dem in diesem Moment das Glück gesonnen war, hieß Carl Orff. Und die Vertonung des vergilbten Buches, für die er nur wenige Wochen brauchte, wurde als Carmina Burana weltbekannt. 65 Jahre später machte ein anderer Mann einen Fund. Er sollte ihn in Amerika an die Spitze der Billboard-Popcharts bringen, in Deutschland in die Top 50. Was er für sich entdeckt hatte, war die Carmina Burana. Der Mann heißt NAS. Gemeinsam mit Puff Daddy, der sich mit dem Reanimieren von Achtziger-Jahre-Hits einen Namen gemacht hat, rappte er zum O-Fortuna-Chor. Der Erfolg war sicher. Doch das Schicksal ist flüchtig und ungreifbar, es war NAS, soviel steht fest, wenig gesonnen. Dieser Mann setzte alle Hebel in Bewegung, um die Witwe des Komponisten zu ihrem Recht kommen zu lassen. Denn die fand es nicht sehr lustig, daß Puff Daddy zu den Klängen von Carl Orff gekreuzigt wird. Und überhaupt war es eine Frechheit, zu dem O-Fortuna-Chor über Gucci, Ghetto, Geld und so weiter zu rappen. Vier Tage später, die neue Platte von NAS, I am ... The Autobiography Volume 1, war in Amerika in der kurzen Zeit schon fast 500 000mal verkauft worden, hatten Sonys Anwälte ein Schreiben aus Mainz auf dem Tisch. Anfang Mai, drei Millionen Platten waren verkauft, erwirkte der Anwalt von Orffs Erben die einstweilige Verfügung in Deutschland. Was soviel heißt, daß die Platte und das Video nicht mehr vertrieben und nicht mehr gespielt werden dürfen. Die verhexte Geschichte der »Carmina Burana«. Dennoch stand das Teufelszeug weltweit in den Plattenschränken. Da das Werk bereits millionenfach gespielt wurde, ohne daß die Rechte oder Lizenzgebühren geklärt waren, wird der Schadenersatz nun viele Nullen bekommen. In Mainz argumentiert man mit der Werkehre und dem Persönlichkeitsrecht, das hier eindeutig verletzt sei. In New York spricht man von einem peinlichen Fehler, der größere Folgen nach sich zieht, als man sich hätte träumen lassen. Die Plattenfirma und die Erbengemeinschaft wollen sich dieser Tage einigen, das wird teuer für Columbia/Sony. Jeder braucht mal ein bißchen Inspiration, könnte man sagen. Was wäre unsere Kultur ohne das schöne Zitieren. Und vielleicht hätte Orffs Herz höher geschlagen beim Anblick der beiden Rapper. Es war die Philosophie des Komponisten, daß jeder Musiker sein kann. Aber die Zeiten haben sich geändert. Den berühmten O-FortunaChor zu bearbeiten ist natürlich etwas anderes, als eine Schrift aus dem Mittelalter zu vertonen, für die kein Mönch oder Hofbibliothekar mehr auf das Urheberrecht pocht. Eine kuriose Folge des Rechtsstreits ist, daß es nun drei Fassungen von Hate me now geben wird. In der ersten Fassung, die man schon auf Vinyl gedruckt und an Discjockeys verschickt hatte, war eine alte Orchesterfassung der Carmina Burana zu hören. Der Anwalt erreichte bei Sony die Zusicherung, auf der im Handel erhältlichen CD sei das Original nicht mehr zu hören. Beruhigt ging er in Urlaub. Was er später im Radio hörte, war zwar nicht mehr das Original, aber eine neue Synthesizer-Variante, die auch für den Laien eindeutig als der O-Fortuna-Chor der Carmina Burana zu erkennen war. Vermutlich wird man sich auf eine dritte Variante einigen, die in einem musikalischen Graubereich zwischen dem Original und etwas völlig Neuem liegt. Was den Anwalt zu der Bemerkung hinreißt, die klänge doch etwas lau. In dem Anwaltsbüro der Erbengemeinschaft kommt man sich so vor, als würde man mit einem Mythos wie der Hydra kämpfen, der immer wieder, kaum ist ein Kopf weg, ein neuer wächst. Zahllose Kopien von Carl Orffs Carmina Burana sind auf dem Markt. Man schätzt, daß jede zweite nicht genehmigt ist. Jeden Tag werden es mehr. Dort eine australische Technovariante, hier eine Raubkopie, die über Hongkong vertrieben wird, oder eine elektronische Musikbibliothek, von der man sich den Chor einfach herunterladen kann. Vor kurzem erst entdeckten Copy-Fahnder 36 nicht angemeldete Dateien von Orffs Carmina Burana im Internet. Doch meist lohnen die Kosten, die durch die Suche nach den Musikpiraten entstehen, das später eingeforderte Geld nicht. Bei Sony war das natürlich etwas anders. Hate me now ist schon ein sehr dicker Kopf der Hydra.