Begriffe und Funktionen von „Theorie“

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Begriffe und Funktionen von
„Theorie“
WISSENSCHAFT
System von möglichst
allgemeinen Aussagen über die
Wirklichkeit, die systematisch
geordnet und intersubjektiv
überprüfbar sind !
Ziel der
Wissenschaft
ist es, auf
Grund dieser
Aussagen:
 Prognosen über zukünftige
Ereignisse zu erstellen
 Konkrete Handlungsoptionen aus
einer Menge von Optionen
auszuwählen und
 das diese Handlungsoptionen in die
Praxis umsetzende Handeln zu
legitimieren.
Prämisse
Gesellschaftliches, politisches und auch wissenschaftliches Handeln ist nicht unmittelbar als Reflex
auf die reale Situation zu verstehen, auf die sich
dieses Handeln bezieht.
Vielmehr wird es gesteuert durch die Perzeption einer
realen Situation und durch die Interpretation, d.h.
durch das Bild, das wir uns von der Handlungssituation machen - unabhängig davon, ob die
Handlungssituation tatsächlich so beschaffen ist,
wie wir sie sehen und interpretieren (ThomasTheorem).
Keine Erkenntnis ohne Vorbedingungen
Das Bild der politischen Realität wird nicht durch
Informationen und Erfahrungen geprägt, die
unmittelbar aus politischen Ereignissen, Krisen und
Konflikten stammen.
Sie werden vielmehr vermittelt - gleichsam gefiltert durch politische und gesellschaftliche Interessen,
(Alltags-)Erfahrungen und Traditionen, denen das
realitätswahrnehmende Subjekt im Prozeß seiner
politischen Sozialisation ausgesetzt ist.
Kognitive Schemata
In diesem Prozeß bilden sich Schablonen, Muster,
Glaubenssätze, Verhaltensmaßstäbe, Urteile und
Vor-Urteile - kognitive Schemata - die die Auswahl
aktueller Informationen steuern und ihre Deutung
und Bewertung bestimmen.
Die Bedeutung dieser Schemata erhellt nicht zuletzt
aus dem Umstand, daß der Mensch tagtäglich einer
derart großen Menge an Informationen aus und über
seine Umwelt ausgesetzt ist, daß sein Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsvermögen
binnen kurzem durch "information overload"
blockiert würde, besäße er nicht die Möglichkeit,
unter Rekurs auf kognitive Schemata
# die potentiell unendliche Informationsmenge zu
begrenzen,
# aus ihr auszuwählen und
# das Ausgewählte nach bestimmten Bezugsmustern zu ordnen.
Verschiedenheit der Weltsichten
Ganz besondere Bedeutung haben solche Muster und
Schemata in Lebensbereichen, die wie die internationalen
Beziehungen der unmittelbaren, alltäglichen Erfahrung des
Individuums entzogen sind. Die Vorstellungen des Menschen
über die politischen Ziele und Verhaltensweisen anderer
Staaten bilden sich nach den in seinem Kopf vorhandenen, im
Umgang mit gesellschaftlicher und politischer Realität
erworbenen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern.
Diese sind nicht für alle Menschen gleich, sondern je nach
Qualität, Inhalt und Intensität der politischen Sozialisation des
Individuums verschieden.
Die Verschiedenheit der kognitiven Schemata und der von
ihnen gesteuerten Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse bedingt auch eine Verschiedenheit der
individuellen Weltsichten. Allerdings läßt sich diese durch
Konsensbildung - durch die Verabredung mehrerer Individuen
dazu, Phänomene einheitlich zu bewerten und zu interpretieren
- teilweise überbrücken und in einer verabredeten gemeinsamen Weltsicht aufheben.
Wissenschaftliche Erkenntnis und
Theoriebildung
In stärker abstrahierend-kategorisierender,
logisch-formalisierter und insbesondere an
das Kriterium der Nachprüfbarkeit von
Aussagen gebundener Form liegt dieser
Prozeß auch der wissenschaftlichen
Erkenntnis, vor allem aber auch dem Prozeß
wissenschaftlicher Theoriebildung zugrunde.
Exkurs
Die wissenschaftstheoretische Grundtriade
ERKENNTNISINTERESSE
FRAGESTELLUNG
SICHT bzw. DEFINITION DES
(ERKENNTNIS-)GEGENSTANDES
Die wissenschaftstheoretische Grundtriade
Theoretische Weltsicht
FRAGESTELLUNG
SICHT bzw. DEFINITION DES
(ERKENNTNIS-)GEGENSTANDES
Literaturtip
• Jürgen
Habermas: Erkenntnis
und Interesse. Jüngste Aufl.
Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001
• John
Ziman: Wie zuverlässig ist
wissenschaftliche Erkenntnis?
Braunschweig 1982
• Heinrich
Schmidt/Georgi
Schischkoff (Hrsg.):
Philosophisches Wörterbuch.
Jüngste Aufl. Stuttgart: Kröner
1991
Was ist eine Theorie ?
Theorie ist “…das Netz das wir auswerfen, um
die Welt einzufangen – um sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen."
Karl Popper. Logik der Forschung, 6.Aufl.
Tübingen 1976
Oder: Theorien helfen bei der Orientierung in
einer komplexen Wirklichkeit (vgl. nachf.
Schaubild)
PROZESS
Internationale Beziehungen als Nullsummenspiel
KRIEG
• Abhängigkeit durch (Fremd-) Herrschaft
• Gewaltsame
Interessendurchsetzung
Verteilungsungerechtigkeit/Marginalisierung
• Rüstung/Rüstungswettläufe
KONFLIKT
• Sicherheitsdilemma
S
T
R
U
K
T
U
R
Internationale
• (sozioökonomische) Dependenz und
• (negative) Interdependenz als
Beschränkung von Handlungsoptionen
Zivilisierung des
Konfliktaustrags durch seine
Verrechtlichung
Internationale
Anarchie
(gewaltsame Regulierung
von Beziehungen)
• Abschreckung
Gesellschaft
Überlagerung internationaler
Konfliktformationen durch multi- und
transnationale (Interessen-)
Verflechtungs- und
Entscheidungsprozesse
• Gleichgewichtspolitik
• Kollektive Verteidigung
• Rüstungskontrolle
• Peace Building
• Integration
• (Kon-) Föderation
Kooperation
• (positive) Interdependenz:
(friedens-) stabilisierende Wirkungen
• Kollektive Sicherheit
• Peace Enforcement/ Peace Keeping
(Verregelung von
Beziehungen)
von Interdependenzverflechtungen
Frieden
• funktionale Spillover-Effekte
Internationale Beziehungen als positives Summenspiel
Das methodologisch-ontologische Bezugsfeld
Billard-Ball-Modell internationaler Politik
NEOREALISMUS
REALISMUS
TRADITIONALISMUS
SZIENTISMUS
qualitativ, historischhermeneutisch
quantitativ, empirischnomologisch
IDEALISMUS
GLOBALISMUS , REGIME-ANSÄTZE
Spinnweb-Modell internationaler Politik
Das Billard-Ball-Modell Internationaler Politik
Zugkräfte
Druckkräfte
Spinnweb-Modell internationaler Beziehungen
Theorie: Funktionen
Eine gute Theorie sollte die folgenden Funktionen erfüllen:
• Beschreibung, Erklärung, Vorhersage von Phänomenen –
positive/positivistische Idee der Theoriebildung
• Verifizierung oder (besser) Falsifizierung von (Beobachtungs)
Aussagen (Popper) – durch Konfrontation unseres
gesammelten Wissens mit der “Wirklichkeit” – kritischrationalistische Idee der Theoriebildung
“No matter how many instances of white swans we may have
observed, this does not justify the conclusion that all swans
are white”.
Karl Popper, The Logic of Scientific Discovery
• in sich konsistent, geschlossen und konkludent sein
Theorieelemente und Theoriefunktionen
1. Darstellungsmittel
(ontologische Theorie)
1. Begriff => Konstrukt =>
Idealtyp => Typologie
Feststellung dessen
„was eigentlich ist“
2. Begriffsschema
(„conceptual framework“)
=> Vortheorie („pre-theory“)
=> Untersuchungsansatz
(„approach“)
3. Vermutung =>
Hypothese => Gesetz
4. Axiom =>
Proposition/Theorem/Lehrsatz
5. Modell => wissenschaftliches
Weltbild => Paradigma oder
Großtheorie
2. Erklärungsmittel
(explanative Theorie)
THEO RIE
Feststellung der Gründe:
„Warum ist das eingetreten
was jetzt der Fall ist ?“
3. Rechtfertigungsmittel
(validierende Theorie)
Feststellung der Angemessenheit der
Erklärung:
„Warum gilt die Erklärung dessen, was
jetzt der Fall ist ?“
Theoriefunktionen
1. Darstellungsmittel
(ontologische Theorie)
Feststellung dessen
„was eigentlich ist“
2. Erklärungsmittel
(explanative Theorie)
Feststellung der Gründe:
„Warum ist das eingetreten
was jetzt der Fall ist ?“
3. Rechtfertigungsmittel
(validierende Theorie)
Feststellung der Angemessenheit der
Erklärung:
„Warum gilt die Erklärung dessen, was
jetzt der Fall ist ?“
Theorien - Definitionsversuch
Theorien
sind ganze Systeme von relativ allgemeinen wissenschaftlichen Sätzen
(miteinander verbundene Wenn – Dann - Aussagen), die einen
bestimmten Ausschnitt der Realität widerspruchsfrei erklären sollen.
Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit erscheint es
fraglich, ob es in der Sozialwissenschaft überhaupt (noch bzw. schon)
echte Theorien gibt. Momentan wird die Forschung klar von den
Theorien mittlerer Reichweite, die sich nur auf bestimmte soziale
Phänomene in bestimmten Gesellschaften beziehen, dominiert.
Theorie - Kennzeichen:
• Reflexion ohne Praxiszwang
• nach eigenen Strukturen und Kriterien
• eigene Sprache: nicht offen, nur bestimmte
Verknüpfungen erlaubt
• sprachliche Möglichkeiten reduziert, aber präziser
als im Alltagsleben
• Gesellschaft beeinflusst Reflexion in Bezug auf:
• Themenauswahl
• Fragestellungen
• Methoden
• Wissenschaft als Sonderfall institutionalisierter
Reflexion
Theorie - Kennzeichen (2)
Anspruch auf objektive Erkenntnis
• Alltagsbewusstsein: nur Behauptung
• Theorie: Begründung notwendig
Geltungsanspruch wird durch Meta-Theorie
begründet (“Theorie über Theorie”)
Erkenntnistheorie: Wie und wieso wird etwas als
“wahr” erkannt? Welche Kriterien besitzen wir zur
Bestimmung der Gültigkeit unserer Aussagen
Problem: Abhängigkeit von wissenschaftlichen oder
Spiegelung gesellschaftlicher Konventionen
Exkurs: Wissenschaftstheorie als
Hintergrundbestimmung
– Wissenschaftstheorie als Meta-Theorie („philosophy
of science“)
– Wissenschafts-Theorie: beschäftigt sich mit den
Methoden, Voraussetzungen, Zielen und
Ergebnissen der einzelnen Substanzwissenschaften
– Abstammung von der Erkenntnistheorie, umfaßt
neben Wissenschafts-Philosophie auch
Wissenschafts-Psychologie, WissenschaftsSoziologie, Wissenschafts-Geschichte
– Zwei Verständnismöglichkeiten von
Wissenschaftstheorie:
Deskriptiv: wie wird Wissenschaft betrieben?
Normativ: wie sollte man Wissenschaft betreiben?
Versuch einer Begriffsklärung
• Wissenschaftstheorie: Der Begriff bezieht sich auf
die systematische Reflexion von Voraussetzungen,
Bedingungen, Methoden und Zielen von Wissenschaft
und von Einzelwissenschaften (theoriea bei Aristoteles
meint reines Betrachten, Durchdenken der Dinge, das
vordergründig nicht auf Veränderung abzielt).
• Methodologie (methodos griech. Weg, logos griech.
Lehre): Die Lehre vom Weg, von Aufgaben, Zielen und
Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnis.
• Ontologie (griech. Seinwissenschaft): Bezeichnung für
die Metaphysik des Seins und der Dinge; Lehre von den
abstrakten Bestimmungen des Wesens
Wissenschaftstheorie im Überblick
Theorie
• Kognition
• Sprache
• Alltagsbewusstsein
• Kausalität
allgemeine
Wissensproduktion
Empirie:
• Wissenschaften
• Phänomene
• Theorien
• Methoden
• Erkenntnis
spezielle
Wissenschaftstheorie
Erkenntnistheorie
Dimensionen:
• Schaffung
• Gegenstand
• Auswirkungen
• Produzenten
und Träger
Drei Ebenen des Nachdenkens über
Wissenschaft
• Entstehungszusammenhang
Abhängigkeit von Wissenschaft von ihren
natürlichen und gesellschaftlichen Grundlagen
• Begründungszusammenhang
Auf die Wissenschaft selbst und ihre
methodologischen Orientierungen
bezogen
• Verwertungszusammenhang
Wirkung von Wissenschaft auf Natur und
Gesellschaft
WT-Problemfelder
• • die Spannung zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften (Näheres bei der
Traditionalismus – Scientismus-Debatte)
• • das Verhältnis von Allgemeinem und
Besonderen
• • das Wertproblem (Näheres ebenfalls bei der
Traditionalismus-Scientismus-Debatte)
Das Verhältnis vom Allgemeinen zum
Besonderen
• soll die Wissenschaft allgemeine Sätze aufstellen
(analytisches Ziel)
„Jeder Mensch lernt in Abhängigkeit von Vorverständnissen.“
» nomothetischer Ansatz: Gesetzesbildung
• oder einzelne, individuelle Tatbestände erforschen?
„Das römische Zahlsystem wurde von nicht von den Römern,
sondern den Hethitern erfunden.“
» idiographischer Ansatz: Geschichtsschreibung
• oder beides gleichzeitig? In welchem Verhältnis?
• Paradoxie (eine Art hermeneutischer Zirkel ??)
» Allsätze werden erst durch individuelle „Elemente“ möglich
» Individuelles wird erst durch ganzheitliche Sicht als solches
erkennbar
Literaturtip
• Johann August Schülein/Simon Reitze:
Wissenschaftstheorie für Einsteiger. Wien
2002 [UTB 2351]
• Bruno Heller: Wie entsteht Wissen. Eine
Reise durch die Wissenschaftstheorie.
Darmstadt 2005 [wbg]
• John Ziman: Wie zuverlässig ist
wissenschaftliche Erkenntnis ?
Braunschweig 1982
Literaturtip II
• Wolfgang Detel: Grundkurs Philosophie.
Bd.4: Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.
Stuttgart: Reclam 2007
• Robert C. Bishop: The Philosophy of the
Social Sciences. An Introduction. London:
Continuum 2007
• Scott Gordon: The History and Philosophy of
Social Science. London 1991
Warum beschäftigen wir uns mit
Theorien ?
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