Zwischen Emotion und Hypothese: Die Frage nach der Wirklichkeit Gottes Untermarchtal, 26.2.2009 Prof.Dr.Dr. Winfried Löffler Universität Innsbruck Institut für Christliche Philosophie Karl-Rahner-Platz 1 A-6020 Innsbruck [email protected] www.uibk.ac.at/philtheol/loeffler 1. „Religion“ – und wo das Problem liegt 2. Das klassische Stockwerksmodell und seine Unterminierungen 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 4. Ein Fundamentaldilemma des theologischen Realismus und die Doppelfunktion von Argumenten für Gottes Existenz 5. Zum Weiterlesen 1 „Religion“ – und wo das Problem liegt 1. Kein Konsens über „Religions“-Definition „Substantialistische“ versus „funktionalistische“ Definitionsansätze Engpässe beider Umschreibungsversuch mittels Merkmalsbündel (vgl. Wittgenstein, „Familienähnlichkeiten“) – FRAGE: was gehört dazu? 2 1. „Religion“ – und wo das Problem liegt Im Folgenden: methodische Konzentration auf monotheistische Religionen ähnlich den abrahamitischen (2 Gründe) PROBLEM: Welche Bedeutung haben die Behauptungen im kognitiven, theorieähnlichen Kern der Religion, insbesondere Behauptungen über Gott? Wovon sprechen sie? Wie kann man diese Aussagen rechtfertigen? 3 „Religion“ – und wo das Problem liegt 1. Andere, hier ausgeklammerte Probleme: Wie wirkt Religion? (Individuell / sozial) nützlich / schädlich? Wie entwickeln sich westliche Gesellschaften de facto, eher „Megatrend Spiritualität“ oder radikalisierte Säkularität? Wie sollte sich der säkulare, demokratische Staat zu den Religionen verhalten, insbesondere: – Wo verläuft die Grenze zwischen Religionsfreiheit und öffentlicher Ordnung? – Welche Formen der Religionsfreiheit sind schutzwürdig? – Wo sollte der Staat mit Religionsgemeinschaften kooperieren? etc. 4 2. Das klassische Stockwerksmodell und seine Unterminierungen (Prägend für (besonders die kath.) Theologie bis ins 20.Jh., z.T. bis jetzt) Systematische Theologie (Dogmatik, Moraltheol.) systematisiert die Inhalte der Offenbarungsquellen Apologetik / Fundamentaltheologie zeigt: Gott hat sich offenbart, Außerordentlichkeit eines Geschehens und Verlässlichkeit einer Tradition (klassisch: miracula et prophetiae) Philosophie / „natürl. Theologie“ zeigt: Gott existiert; einige Eigenschaften Gottes 5 2. Das klassische Stockwerksmodell und seine Unterminierungen (Klassische Kritiklinien seit der Aufklärung) Systematische Theologie Apologetik / Fundamentaltheologie Philosophie / „natürl. Theologie“ ABER: Hermeneutikproblem (verbindlich zeitgebunden?) UND: Pluralität von Traditionen ABER: histor.-kritische Bibelwissenschaft: miracula et prophetiae historisch unfassbar UND: „Extrinsezismus“-einwand ABER: Kritik der „Gottesbeweise“ (Kant u.a.) UND: Projektionsverdacht 6 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.1 Vorbemerkung: Was ist „analytische“ Philosophie? (siehe Löffler 2007) -- keine bestimmte inhaltliche Position -- keine einheitliche Schule, sd. mehrere Traditionen von Anfang an + heutiger mainstream + ein Stil des Philosophierens: Argumentative Strukturen sprachliche Präzisierung + mehr formalsprachliche und mehr normalsprachliche Tendenzen: -- Logische Kunstsprache als besserer Spiegel der Wirklichkeit („was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen: […]“) Russell, Carnap, Quine etc. oder -- Sortierung von Formen der Alltagssprache? Wittgenstein, Ryle, Austin etc. + also weiter Begriff „A.Ph.“ 7 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.2 „Analytische“ Religionsphilosophie: Ein Grobüberblick 1920er-50er: „Wiener Kreis“, Logischer Empirismus: Religiöse Rede ist kognitiv sinnlos (wie Metaphysik); allenfalls emotionaler Sinn Kritischer Rationalismus (Popper u.a.): nicht kognitiv sinnlos, aber auch nicht falsifizierbar, kaum kritisierbar Reaktion vieler Theologen: non-kognitive Umdeutung religiöser Rede Engpässe dieser Umdeutung (Siehe später) Seit 1960ern: Renaissance metaphysischer (Brüntrup!) und religionsphilosophischer Fragen in der analytischen Philosophie, kognitive Wende seit späten 1970ern auch „Christian Philosophy“, z.T. konfessionelles Interesse: „Reformierte Erkenntnistheorie“ (Plantinga); W.L. Craig, R. Swinburne u.a. – durchwegs stark realistisch orientiert Teilweise Überlappung mit fundamentaltheologischen Fragen (Swinburne, Plantinga): Menschenbild, Offenbarung, Christologie, … Gegenwärtig: Debatten um Unwissenschaftlichkeit / Schädlichkeit religiöser 8 Überzeugungen (Dawkins, Dennett, Giordano-Bruno-Stiftung …) 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.2 „Analytische“ Religionsphilosophie: Ein Grobüberblick Im Folgenden: Exemplarische Darstellungen von – Diversen non-Kognitivismen / Antirealismen (3.3-3.4) – Einer Mittelposition: J. Hick (3.5) – Einer radikal realistischen Position (3.6) 9 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Rudolf Carnap: Theologie besteht aus Scheinbehauptungen, durch sprachliche Fehlkonstruktion („Gott ist das absolute Sein“) oder prinzipielle empirische Unüberprüfbarkeit („Gott liebt uns“) Eine klassisch gewordene Debatte der 1950er: A. Antony Flew: „Gärtnerparabel“ zeige, dass religiöse Behauptungen unfalsifizierbare Scheinbehauptungen sind. „Tod der 1000 Qualifikationen“, kognitiv sinnlos B. Richard Hare: Religion als Ausdruck eines „blik“, d.h. durch Fakten kaum zu erschütternde Sichtweise der Dinge Hare als moderater Non-Kognitivismus: - Behauptungen haben immerhin klaren Sinn - „bliks“ auch in Alltag und Wissenschaft - „blik“ zeigt sich v.a. an praktischem Verhalten 10 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen R. Braithwaite (1955): Ausgang ähnlich Carnap: Religiöse Sätze sind weder logisch noch empirisch. Daher kognitiv sinnlos. Aber: Warum überleben sie dennoch und werden als wichtig eingeschätzt? Braithwaite: Religiöse Sätze sind verkleidete moralische Sätze (und jene wiederum sind Ausdruck von Absichten), die mit gewissen Geschichten verbunden sind. (Verhaltenssteuerung auch durch Romane, Märchen, Parabeln etc.!) „A religious belief is an intention to behave in a certain way (a moral belief) together with the entertainment of certain stories associated with the intention in the mind of the believer.“ 11 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Kritik an Braithwaite: Die Deutung, moralische Sätze seien Sätze über Absichten („konativer Non-Kognitivismus“; Schönecker!), ist inadäquat. – Welche Absicht stünde hinter „Handlungsweise H ist erlaubt“? – Unerklärbarkeit folgender Situation: „Ich weiß, dass H geboten wäre, aber ich habe nicht die Absicht, H zu tun.“ Die „Geschichten“ sind wichtiger, als Braithwaite glaubt. Erst ein „minimaler Faktenkern“ verleiht religiösen Geboten ihren Verpflichtungscharakter. (Gott existiert, er will bestimmte Handlungen, er entscheidet über unsere Fortexistenz, …) 12 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Diverse sonstige Vorschläge: Religiöse Rede als … Ausdruck eines Lebensgefühls, einer Einstellung („Gott hat die Welt geschaffen“ „es ist gut, dass es mich gibt“) … Ausdruck einer Lebensform, eines Lebensstils … Aufforderung / Einladung zu diesem Lebensstil … Ausdruck einer „Bildpräferenz“ u.a.m. 13 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Religion als Kontingenzbewältigung (H. Lübbe, Don Cupitt u.a.): Religion nach der Aufklärung (1986); Taking Leave of God (1980); After God (1997) Lübbes Ausgangsbeobachtung: „kulturelle Vergleichgültigung kognitiver Alternativen“ (Religion nicht mehr im Widerstreit zur Wissenschaft; Bürgerrechte, Schule, Wohlfahrt unabhängig von ihr; Religiöser Pluralismus) Religion daher: nicht kognitiv, sondern Praxis der „Kontingenz-Bewältigung“; Anerkennung der Unverfügbarkeiten des Lebens, Glücksfindung unabhängig von Lebensumständen, Sinngebung. Cupitt: Religion als „Werkzeugkasten“ für kulturelle und psychische Probleme Traditionelle Lesart der Religionen sogar intellektuell und moralisch unterdrückend; (vgl. D. Hume; „mosaische Unterscheidung“ (Assmann), …) „Religion is becoming […] more and more a matter of simply saying Yes to life“ (Nähe zu Feuerbachs „wahrem Wesen der Religion“) 14 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Religion als Kontingenzbewältigung (H. Lübbe, Don Cupitt u.a.): Religion nach der Aufklärung (1986); Taking Leave of God (1980); After God (1997) Lübbes Ausgangsbeobachtung: „kulturelle Vergleichgültigung kognitiver Alternativen“ (Religion nicht mehr im Widerstreit zur Wissenschaft; Bürgerrechte, Schule, Wohlfahrt unabhängig von ihr; Religiöser Pluralismus) Religion daher: nicht kognitiv, sondern Praxis der „Kontingenz-Bewältigung“; Anerkennung der Unverfügbarkeiten des Lebens, Glücksfindung unabhängig von Lebensumständen, Sinngebung. Cupitt: Religion als „Werkzeugkasten“ für kulturelle und psychische Probleme Traditionelle Lesart der Religionen sogar intellektuell und moralisch unterdrückend; (vgl. D. Hume; „mosaische Unterscheidung“ (Assmann), …) „Religion is becoming […] more and more a matter of simply saying Yes to life“ DISKUSSIONSFRAGE: Was spricht für, was gegen solche Positionen? 15 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.3 Non-kognitive Deutungen Aber: 1. Prinzipielle Irrationalitäts-Unterstellung gegenüber traditionell gedeuteter Religion, aus Außendeutung 2. Placebo-Einwand (Spaemann): würde Religion ihre Funktionen noch erfüllen, wenn Gläubige wissen, dass sie nicht wahr ist? 3. „Religion als Kontingenzbewältigung“ gibt traditionelles Orientierungs-/Veränderungsethos der Religionen auf 4. Es gibt viele Praktiken der Kontingenzbewältigung, auch ausdrücklich areligiöse 16 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.4 Zusammenschau der Kritik am Non-Kognitivismus Non-Kognitivismus ist als deskriptive These lesbar („so funktioniert Religion“), oder als normative / revisionäre These („so sollte man Religion eigentlich verstehen und betreiben“). Als deskriptive These ist er falsch. Als normative These ist er fragwürdig, denn (a) er unterstellt den Religionen pauschal Irrationalität (b) er gäbe vieles auf, was an Religionen zentral erscheint. „Ich verstehe nicht, was an non-kognitiver Religion […] attraktiv sein soll. Sie verheißt weder eschatologische Hoffnung noch gibt sie Antworten auf letzte Fragen, ihr „Gott“ kann weder Gerechtigkeit herstellen noch den Tod überwinden, noch uns erlösen. Non-kognitive Pseudo-Religion hat aus meiner Sicht nichts von dem, was echte Religion einzigartig, aufregend und interessant macht.“ (Weidemann 2007, 83) 17 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.5 Eine Mittelposition: John Hick (*1922) Ursprünglich: „eschatologische Verifikation“ religiöser Thesen; Problem daran: haben sie jetzt auch schon Bedeutung? Später: „pluralistische Religionstheologie“ Kognitivismus, aber Skepsis gegenüber philos. Argumenten für Gottes Existenz, stattdessen Religiöse Erfahrung als wesentliche Rechtfertigung Begriffsklärung: Exklusivismus (nur eine Religion kann berechtigte Wahrheitsansprüche machen) Inklusivismus (es gibt Wahrheiten in verschiedenen Religionen, Maßstab ist aber eine) Pluralismus (es könnten mehrere Religionen gleichermaßen wahr und gleichwertig sein) 18 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.5 Eine Mittelposition: John Hick (*1922) Hick: THE REAL in itself as it is manifested / experienced „Das Wirkliche“ in sich ist unbeschreibbar, manifestiert sich in verschiedenen Religionen je nach kulturellen Mustern, Perspektiven, begrifflichen Hintergründen, Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten (etwa „personal“ – „nicht personal“, …). JHWH, trinit. Gott, Allah, Brahman, Dharmakaya, Nirwana, Tao, etc. als verschiedene, kulturell bedingte Konzeptionen „des Wirklichen“ Es kann daher mehrere authentische Formen religiöser Erfahrung geben, auch wenn sie sich inhaltlich unterscheiden 19 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.5 Eine Mittelposition: John Hick (*1922) Nota bene: nicht alle Religionen (und religiösen Erfahrungen) sind eo ipso schon authentisch! Kriterium dafür: - Abkehr von Egozentriertheit? - liebender Bezug zum „Wirklichen“? - und zum Mitmenschen? - Förderung von Friedfertigkeit? u.ä. Lehren über „das Wirkliche“, die diese Haltungen (geistliche Früchte) befördern, können „mythologisch wahr“ sein, wenngleich sie buchstäblich falsch sind. Und religiöse Menschen können ihnen trauen, solange sie keinen Grund zum Misstrauen haben. 20 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.5 Eine Mittelposition: John Hick (*1922) Kritik an Hick (Grundlinien): Bezug auf ein X („the Real“) von dem man einerseits per definitionem nichts aussagen kann, dem man andererseits aber doch gewisse moralische Eigenschaften zuweist (manche Verhaltensweisen sind ihm angemessener als andere!) Anspruch einer unzugänglichen Vogelschauperspektive auf alle Religionen; (de facto wohl Christentum der Maßstab) Verwechslung von Wahrheit mit anthropolog. Nützlichkeit? Deskriptiv vermutlich unangemessen; Unterschiede der Religionen betreffen z.T. das innerste Wesen „des Wirklichen“ Problematischer Wahrheitsbegriff; mehrstellig? Letztlich „Abschaffung des Wahrheitsbegriffs“ (Kreiner)? 21 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.6 Theismus als Hypothese: Richard Swinburne (*1934) Radikaler Kognitivismus / Realismus, ähnlich Großraumhypothesen in den Wissenschaften. Nicht simpel testbar, aber doch im Lichte der Erfahrung kritisch einschätzbar. Vgl. Inference to the best explanation Theismus: =def „Es existiert eine Person, körperlos, omnipräsent, allwissend, moralisch vollkommen, die an jedem Ort des Universums Basishandlungen vollbringen kann“ Die klassischen Argumente für Gottes Existenz (verstanden als deduktive, logisch zwingende Argumente) sind gescheitert. (Weil die Nichtexistenz Gottes mit der Existenz der Welt logisch vereinbar ist.) Aber: Rekonstruktion mancher alter und neuer Argumente für den Theismus als „cumulative case“ (Bündelung von Indizien, gegen die religionskritische divide-et-impera-Strategie), wahrscheinlichkeitstheoretische Bewertung der Stärke des Arguments 22 Untechnische Zusammenfassung von Swinburnes Argument 1. Erfahrungen und Erfahrungsberichten ist solange zu trauen, als ihr Inhalt nicht aus anderen Gründen höchst unwahrscheinlich ist (Principles of Credulity bzw. Testimony) 2. Einige religiöse Gläubige machen Erfahrungen bzw. berichten von Erfahrungen, die, sofern sie wahrheitsgemäß sind, die Existenz Gottes implizieren würden. 3. Also ist (Berichten von) religiösen Erfahrungen solange zu trauen, als die Existenz Gottes nicht aus anderen Gründen höchst unwahrscheinlich ist (aus 1. und 2.). 4. Die Behauptung der Existenz Gottes ist nicht in sich widersprüchlich (d.h. ihre Ausgangswahrscheinlichkeit ist nicht 0). 5. Sechs allgemeine Züge der Welt sind, in sich betrachtet, extrem unwahrscheinlich und werden am besten durch die Existenz Gottes erklärt. Daher sind sie (wenngleich schwache) Belege für Gottes Existenz: (a) die Existenz eines komplexen physikalischen Universums; (b) die erkennbare Ordnung im Universum; (c) die Existenz bewusstseins-begabter Wesen; (d) die Übereinstimmung zwischen menschlichen und tierischen Bedürfnissen einerseits und Umweltgegebenheiten andererseits; (e) (möglicherweise) das Vorkommen von Wundern; (f) die Feinabstimmung grundlegender Naturkonstanten (ohne die es keine stabilen Atomkerne gäbe, damit kein Leben auf Kohlenstoffbasis etc.). 6. Die Existenz und das Ausmaß des Übels in der Welt stellen dagegen keinen entscheidenden Beleg gegen die Existenz Gottes dar. Ein Gott im Sinn der traditionellen theistischen Konzeption könne durchaus gute Gründe haben, eine Welt wie die unsere zu schaffen. 7. Außer dem Übel sprechen keine weiteren signifikanten Belege gegen Gottes Existenz. 8. Also ist Gottes Existenz im Lichte der Belege nicht höchst unwahrscheinlich, sondern sie hat eine gewisse (wenngleich auch vielleicht kleine) Wahrscheinlichkeit (aus 5., 6. und 7.). 9. Also sind (Berichte von) religiöse(n) Erfahrungen glaubwürdig, d.h. Gottes Existenz ist wahrscheinlicher als seine Nichtexistenz (aus 3. und 8.). 23 3. Realismus und Antirealismus in der (analytischen) Religionsphilosophie 3.6 Theismus als Hypothese: Richard Swinburne (*1934) Wie Bedeutungsklärung und Rechtfertigung hier laufen: Bedeutung von „Gott“ aus gängigen religiösen Überzeugungen besonders im Christentum, religionsphänomenologisch erhoben Inhalt der These hypothetisch angenommen, nachträgliches Argument Hypothetisch-deduktives Erklärungsmuster, Art „Prognose“: Angenommen, Gott existiert, mit welcher Wahrscheinlichkeit gibt es dann auch ein Universum wie unseres? Zentralüberlegung: Ws (Beleg / Gott) >> Ws (Beleg / kein Gott) Problem dabei: - woher die Wahrscheinlichkeiten? - Einschätzungen weltanschauungsabhängig, - Spiegel der Hintergrundtheologie? - mythologisch-anthropomorphes Gottesbild 24 4. Ein Fundamentaldilemma des theol. Realismus und die Doppelfunktion von Argumenten für Gottes Existenz 4.1 „Theologischer Realismus“: (1) Einige religiöse Aussagen sind wahr oder falsch. (2) Personen erheben mit ihnen Wahrheitsansprüche. (3) Diese Aussagen sind nicht reduzierbar auf (vollinhaltlich übersetzbar in) Aussagen anderen Typs, etwa moralische, anthropologische, psychologische. (4) Wovon diese Aussagen reden, das ist unabhängig von menschlichem Denken, Erkennen und Handeln der Fall. Dilemma: Einerseits sollen solche Aussagen nicht nur metaphorisch oder in völlig übertragenem Sinne gelten Andererseits sagen die Religionen von Gott gewisse Erkenntnisschranken aus und verwahren sich gegen Anthropomorphismen 25 4. Ein Fundamentaldilemma des theol. Realismus und die Doppelfunktion von Argumenten für Gottes Existenz 4.2 Doppelfunktion der Argumente: Argument, dass es so ein „Objekt“ gibt UND Klärung einer seiner Eigenschaften! Bsp: Die Endstücke der „5 Wege“ (= 5 Argumente für Gottes Existenz) bei Thomas v. Aquin (1225-1274), z.B.: „… also muss man ein erstes Bewegendes annehmen, das von keinem anderen bewegt wird. Und das nennen alle ‚Gott‘. “ Ausarbeitung im Dreischritt der klassischen „Analogie-Lehre“ Warum? – Nicht nur die Existenz, sondern auch die Bedeutung der Rede von „Gott“ liegt nicht auf der Hand. (Radikalisiert im 20.Jh. Antony Flew: The Presumption of Atheism; Ausgangspunkt ist Nichtexistenz und semantisches Unverständnis.)26 4. Ein Fundamentaldilemma des theol. Realismus und die Doppelfunktion von Argumenten für Gottes Existenz 4.3 Herausforderungen an eine kognitivistisch-realistische Religionsdeutung (1) Argument/e für den Kognitivismus (siehe oben) (2) Verbindung der Rede von Gott mit anderen „kognitiven Geschäftsfeldern“, Bedeutungsklärung (3) Überschreitung des Frage- und Erklärungsrahmens einzelner Wissenschaften (4) Argument/e, dass ein solches „Objekt“ existiert (Swinburne setzte (1) voraus, hatte unter (2) deutliche Defizite, entwirft (4) ein Argument, das auf vermutlich weltanschauungsabhängigen 27 Wahrscheinlichkeitsschätzungen beruht.) 4. Ein Fundamentaldilemma … 4.4 Ein Beispiel für Eigenschaftsklärung: Das [kalam-] Argument aus dem kosmologischen Standardmodell (W.L. Craig) 1. 2. 3. 4. 5. Was einen zeitlichen Anfang hat, hat eine Ursache seiner Existenz. (evidentes Prinzip) Das Universum hat einen zeitlichen Anfang. (empirisch) Also hat das Universum eine Ursache seiner Existenz. (aus 1, 2) Wenn das Universum eine Ursache seiner Existenz hat, muss diese personenartig sein und einige weitere Eigenschaften haben: anfanglos, mächtig etc. (detaillierte Argumente, Grundgedanke: erste Ursache des Universums darf dessen Beschränkungen nicht teilen) Also gibt es eine personenartige Ursache mit diesen Eigenschaften. (aus 4, 3) 28 4. Ein Fundamentaldilemma… Ist das kalam-Argument nicht eine Lückenbüßerstrategie? Ein Vergleich mit dem „Intelligent Design“-Argument 1. 2. 3. 4. Erläuterungen: Irreduzible Komplexität, Intelligent Design, Langzeit-, Kurzzeit-Kreationismus Annahme eines letztlich innerbiologischen Faktors „ID“, überholbar durch bessere evolutionäre Erklärungen (anders beim kalam-Argument: grundsätzlich jenseits physikalischer Erklärungen) Diverse sonstige Defizite: Erklärung von augenscheinlichem Fehldesign? Einzigkeit Gottes angesichts der Vielzahl von Design-Fällen? Vermutung: ID-Argument speist sich aus unausgesprochenen Hintergrund-Theologien 29 4. Ein Fundamentaldilemma … KalamArgum. Intelligent Design 1 „Empirischer“ Ausgangspunkt 2 Weltanschaulicher Rahmen der Argumentation 3 Beitrag zur Klärung der Eigenschaften Gottes ? 4 Plausibler Abbruch des Erklärungsregresses ? 5 Die Einzigkeit des erwiesenen Gottes 6 Logische Schlüssigkeit, wenngleich nicht „Beweisbarkeit“ 30 5. Zum Weiterlesen Winfried Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie. Darmstadt: WBG 2006. ders., Plantingas "Reformierte Erkenntnistheorie" und die neue Debatte um eine "Christliche Philosophie", in: K. Dethloff, R. Langthaler und L. Nagl (Hgg.), "Die Grenze des Menschen ist göttlich". Beiträge zur Religionsphilosophie. Berlin: Parerga 2006, 181-224. ders., Gott als beste Erklärung der Welt: Richard Swinburnes probabilistischer Gottesbeweis, in: R. Langthaler / W. Treitler (Hrsgg.), Die Gottesfrage in der europäischen Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. Wien u.a.: Böhlau 2007, 99-117. ders., Wer hat Angst vor analytischer Philosophie? Zu einem noch immer getrübten Verhältnis, in: Stimmen der Zeit 225 (2007), 375-388. Christian Weidemann, Die Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie. Freiburg: Alber 2008. Virtual Library of Christian Philosophy: http://www.calvin.edu/ academic/philosophy/virtual_library/ 31