S. Xenophontos: Ethical Education in Plutarch 2017-1 - H-Soz-u-Kult

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S. Xenophontos: Ethical Education in Plutarch
Xenophontos, Sophia: Ethical Education in
Plutarch. Moralising Agents and Contexts. Berlin: de Gruyter 2016. ISBN: 978-3-11-035036-4;
X, 266 S.
Rezensiert von: Marion Schneider, Institut
für Klassische Philologie, Julius-MaximiliansUniversität Würzburg
Im Mittelpunkt dieser überzeugenden Arbeit
der ausgewiesenen Plutarch-Spezialistin Sophia Xenophontos stehen zum ersten Mal in
einer umfassenden, systematischen Untersuchung Plutarchs Konzept von moralischer Erziehung, deren Vermittler sowie die institutionellen Kontexte, in denen sie sich abspielt.
Während sich bisherige Arbeiten zu pädagogischen Konzepten bei Plutarch jeweils auf
eine ausgewählte Gruppe von Schriften aus
seinem Oeuvre konzentriert haben, bezieht
Xenophontos mit großer Kompetenz sowohl
die explizit pädagogischen Schriften Plutarchs und einen Großteil seiner ethischen und
politischen Essays als auch die weniger naheliegenden Trostschriften, ‚Ehe-Ratgeber‘ und
Tischgespräche sowie sämtliche Parallelbiographien in ihre komparative Untersuchung
mit ein. Entsprechend tragfähig sind die Ergebnisse, zu denen sie gelangt.
Eine der Hauptthesen, die Xenophontos dabei verfolgt, ergibt sich implizit schon aus
dem Verzicht auf stärkere Selektion bei der
Auswahl der Textgrundlagen für ihren interpretativen Ansatz, der dem zunehmenden
Trend der aktuellen Plutarch-Forschung entspricht: Statt moralische und biographische
Schriften Plutarchs als getrennte theoretische
und praktische Seite seiner Philosophie zu sehen, verweist Xenophontos immer wieder auf
die gleichzeitige theoretische und praktische,
den Leser auf einander verweisende Signifikanz der Moralia und der Parallelbiographien
für die ethischen Grundsätze Plutarchs. Eine
weitere Hauptthese der Arbeit unterstreicht
die innere Kohärenz von Plutarchs Überzeugungen in verschiedenen Schriften auch auf
chronologischer Ebene, insofern Xenophontos bei Plutarch keine Aufspaltung in moralische Kinder- und Erwachsenenbildung, sondern das Konzept eines kontinuierlichen, lebenslangen ethischen Lern- und Lehrprozesses erkennt.
2017-1-017
Der Aufbau der Arbeit, die umfassend
auch die einschlägige Sekundärliteratur berücksichtigt, folgt einer klaren Struktur, die in
zwei Teile zerfällt: Einleitend (Kapitel 1) definiert Xenophontos den theoretischen philosophischen Hintergrund von Plutarchs Auffassung ethischer Erziehung, die für einen Platoniker erstaunlich stark von Aristoteles mitgeprägt ist (vergleiche vor allem De virtute
morali ): Plutarch geht es in erster Linie um
die Formung des Charakters (ethos) durch
die Ausbildung von Gewohnheiten, nicht um
kognitives Training. Gute oder schlechte Erziehung und das entsprechende soziale Umfeld haben für Plutarch einen wesentlich größeren Einfluss auf die positive oder negative Entwicklung eines Menschen als seine
vergleichsweise neutrale Naturveranlagung
(physis A), wobei eine Veränderung des Charakters im korrigierenden (epanorthosis) wie
im wertfreien bis negativen (so meist metabole) Sinne bis ins hohe Alter möglich ist. Häufig stellt jedoch die scheinbare Charakterveränderung einer Person nur die Offenlegung
der eigentlichen Natur (im Sinne eines bereits
voll entwickelten Charakters, physis B) unter
dem Einfluss äußerer Umstände (tyche) dar.
Die folgenden Kapitel organisiert Xenophontos logisch nach der chronologischen
und thematischen Ordnung der institutionellen ‚Schauplätze‘, an denen sich die Verwirklichung, Vertiefung und Umsetzung von moralischer Erziehung und Bildung abspielt –
so gelingt es der Autorin, die Bedeutung,
die für Plutarchs Philosophie die Betrachtung
des praktischen Lebens hat, plastisch zu machen: Die wichtigste Rolle bei der moralischen
Erziehung spielt naturgemäß das Elternhaus
(Kapitel 2). Hier sieht Xenophontos den expliziten moralischen Einfluss der Mütter kulturbedingt wesentlich geringer als den der Väter,
die vor allem in den Parallelbiographien als
Vorbild, als Konkurrenzmodell oder als Konstrukt (eines göttlichen Vaters beispielsweise)
auf die psychologische Entwicklung der Söhne wirken; der Einfluss der Mutter spielt dagegen nur eine größere Rolle, wenn die Vaterfigur fehlt oder niedrigeren Standes ist, und
das fast ausschließlich in Rom oder Sparta
(vergleiche etwa Coriolanus). Im Kontrast zur
häufig geäußerten Ansicht, Plutarch interessiere sich nicht für das Kindesalter, beobach-
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tet Xenophontos, dass das Beeinflussungsverhältnis von Plutarch aber auch umgekehrt gesehen wird: Kinder können auch eine (idealisierte) Vorbildrolle für Erwachsene spielen
(vergleiche die philanthropia der kleinen Timoxena in der Consolatio ad uxorem), und
kindisches Verhalten dient Plutarch als (positive oder negative) Parallele zu oder Metapher für erwachsene Verhaltensmuster.
Die nächstgrößere Rolle für die moralische Entwicklung junger Menschen spielen
Erzieher- und Lehrerfiguren in der eigentlichen Unterrichtssituation (Kapitel 3). Hierfür
analysiert Xenophontos in erster Linie Plutarchs pädagogische, auf verschiedene Lebensphasen vorbereitende Komplementärschriften De audiendis poetis (verstanden als eine
Art Propaedeuticum zum Philosophieunterricht für jüngere Schüler) und De audiendo
(als tatsächliche Anleitung für einen konzentrierten Philosophieunterricht). Auch in diesen Schriften geht es Plutarch nicht um kognitive Wissensvermittlung, sondern um Hilfestellungen für eine moralisch „gesunde“, kritische Lektüre, Unterweisung und letzten Endes allgemeine Lebensführung. Für die Parallelbiographien macht Xenophontos darüber
hinaus die interessante Beobachtung, dass
hier nur die dezidiert ‚platonischen‘, von Plutarch als vorbildhaft geschilderten Lehrerfiguren Sokrates (im Falle des Alkibiades) und
Platon (im Falle Dions und Dionysios’ von Syrakus) als aktive philosophische Lehrer eine
moralisierende Rolle über den konkreten politischen Nutzen und die Aufgabe des weisen
Mahners (im Sinne eines Solon) hinaus spielen.
Moralerziehung und -festigung spielt sich
bei Plutarch aber auch auf weniger eindeutig pädagogischen Schauplätzen ab: Innerhalb
der Ehe (Kapitel 4) fällt beispielsweise im Regelfall dem Mann die Aufgabe der weiterführenden Erziehung der Frau zu (Coniugalia
Praecepta); aber in Fällen, wo der Ehemann in
eine Situation der Schwäche gerät, legen bei
Plutarch auch Frauen ethische Überlegenheit
an den Tag und wirken so (weniger ausdrücklich als Lehrerfiguren denn eher als Exempel)
auf den Mann ein (vergleiche Mulierum virtutes).
Ethisches Training – im Klassenzimmer
und später im Gefolge eines erfahrenen älte-
ren Politikers (vergleiche An seni respublica
gerenda sit ) – ist für Plutarch auch Voraussetzung und zugleich Ergebnis gelungener Politik (Kapitel 5), da dadurch genau die Charakterfestigkeit hervorgebracht wird, die für
politische Entscheidungen wie für die moralisch prägende Interaktion mit den Mitbürgern nötig ist (vergleiche Praecepta gerendae reipublicae). Dass die Betonung genau
dieses ethischen Aspekts Griechen wie Plutarch die Selbstbehauptung ihres politischen
Wertes und die Erfüllung ihrer eigenen Ansprüche an arete auch unter der römischen
Fremdherrschaft ermöglichte, ist eine treffende Beobachtung der Autorin, die sie überzeugend aus den autobiographischen Notizen
Plutarchs in seinen politischen Schriften ableitet.
Im Kontrast zu den römischen Erziehungstendenzen seiner Zeit sieht Plutarch aber auch
auf militärischem Gebiet (Kapitel 6) die Notwendigkeit ethischen Trainings für die humane Ausübung militärischer Ämter sowie ein
großes (meta-)pädagogisches Potential in der
Betrachtung der militärischen Laufbahn seiner Protagonisten in den Parallelbiographien, die er nicht so sehr am glücklichen Ausgang ihrer Missionen, sondern am persönlichen Umgang mit Widrigkeiten misst. Die
Betonung der ethischen Seite des militärischen Gebietes führt Xenophontos einleuchtend auf die unsicheren Regierungsverhältnisse zur Zeit Plutarchs zurück: Dass sie vor
allem in den drei Biographienpaaren zum Tragen kommt, in denen der römische Held ausnahmsweise dem griechischen vorangestellt
wird (Aemilius – Timoleon, Sertorius – Eumenes und Coriolanus – Alcibiades), deutet Xenophontos als Hinweis darauf, dass die ethische Komponente der Feldherrenkunst von
Plutarch als griechischer Beitrag zu einem
sonst römisch dominierten Gebiet verstanden
wurde.
Ein weiteres, weniger offensichtliches Feld,
auf dem Plutarchs pädagogische Intentionen
deutlich werden, sieht Xenophontos zu guter Letzt im Kontext des Symposions, wo
philosophisch bzw. altersmäßig vorrangige
Gesprächsteilnehmer moralisierend auf ihre Peer-Gruppe einwirken können (Kapitel
7): In den Quaestiones Convivales werden
nicht nur inhaltliche Fragen der Ethik auf di-
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S. Xenophontos: Ethical Education in Plutarch
daktische Weise erörtert (dazu gehört zum
Beispiel die Gegenüberstellung verschiedener
Meinungen, aus denen mittels unterschiedlicher Verfahren die beste gewählt werden
soll, oder der Rekurs auf pädagogische Bildwelten), sondern das Gesprächsverhalten und
Rollenspiel der Teilnehmer sowie die Selbstrepräsentanz Plutarchs kann selbst als Vorbild
für eine ethische Gesprächsführung gesehen
werden.
Während so die einzelnen Kapitel von Xenophontos’ Monographie eine wertvolle systematische Stellensammlung für moralisierendes Agieren an verschiedenen Schauplätzen im Gesamtwerk Plutarchs und zahlreiche
treffende und hilfreiche Einzelbeobachtungen zu einzelnen Schriften bieten, kann man
auch die Gesamtargumentation der Arbeit als
nachvollziehbar und geglückt bewerten: Plutarchs moralische und biographische Schriften
weisen durchgehend aristotelisch oder platonisch geprägte ethische Lebensregeln auf, die
von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter
zu den unterschiedlichsten privaten und öffentlichen Gelegenheiten einzuüben und umzusetzen sind und damit weit über bloßen
Moralismus hinaus einen festen Sitz im praktischen Leben seiner Zeit haben. Zu so einer tragfähigen Neubewertung der pädagogischen Wirksamkeit Plutarchs kann man nur
gelangen, wenn man sich wie Xenophontos
der mühevollen Aufgabe unterzogen hat, das
Gesamtwerk des Vielschreibers Plutarch ganz
zu erfassen und zu durchdringen und in die
Interpretation seiner pädagogischen Intentionen mit einzubeziehen. Der weniger spezialisierte Leser kann für die wertvollen Ergebnisse einer so umfangreichen und fundierten
Untersuchung nur dankbar sein und sie vertrauensvoll weiterverwerten.
HistLit 2017-1-017 / Marion Schneider über
Xenophontos, Sophia: Ethical Education in
Plutarch.
Moralising Agents and Contexts.
Berlin 2016, in: H-Soz-Kult 09.01.2017.
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2017-1-017
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