Institut für Weltwirtschaft Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Seminar zur „Konjunktur- und Wachstumspolitik“ Wintersemester 2008/2009 Prof. Dr. Joachim Scheide Betreuer: Jonas Dovern „Finanzmarktentwicklung, Wachstum und Konjunktur“ II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis...........................................................................................................II Abkürzungs- und Variablenverzeichnis......................................................................III Abbildungs- und Tabellenverzeichnis..........................................................................IV 1 Einleitung .....................................................................................................................1 2 Die Beziehung zwischen Finanzmarktentwicklung und Wachstum...................... 2 2.1 Finanzmarktindikatoren nach King und Levine (1993)......................................... 2 2.2 Wachstumsindikatoren........................................................................................... 3 2.3 Der Zusammenhang zwischen den Indikatoren ..................................................... 3 2.4 Hat die finanzielle Entwicklung Auswirkungen auf zukünftiges Wachstum?............................................................................................................. 5 2.5 Die Rolle der Finanzmärkte in der Globalisierung ................................................ 6 3 Finanzkrisen und ihre Bedeutung für die Konjunktur .......................................... 8 3.1 Formen von Finanzmarktkrisen ............................................................................. 8 3.2 Krisen in der Vergangenheit und ihre Entstehung ................................................. 8 3.3 Industrienationen versus Schwellen- und Entwicklungsländer............................ 11 4 Konsequenzen für die Realwirtschaft und wirtschaftspolitische Maßnahmen...................................................................................................................15 5 Schlussfolgerung und Ausblick.......................................................................... ..... 19 6 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 21 III Abkürzungs- und Variablenverzeichnis BANK - Anteil der Geschäftsbankenkredite am Gesamtkreditvolumen BIP- Bruttoinlandsprodukt EFF - Residualgröße, Variable für Verbesserungen in der Effizienz der Ressourcenallokation FED - Federal Reserve Bank, Zentralbank der Vereinigten Staaten GK - Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Kapitalstocks GYP - langfristiges reales Pro-Kopf-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts INV - Rate der nationalen Bruttoinvestitionen am Einkommen IWF – Internationaler Währungsfonds (International Monetary Fund) LLY – liquid liabilities/ income (Anteil der liquiden Verbindlichkeiten am Bruttoinlandsprodukt; Maß für die Tiefe bzw. Größe eines Finanzsystems) PRIVATE - Anteil der Kredite an den privaten Nichtbanken-Sektor am Gesamtkreditvolumen PRIVY - Anteil der Kredite an den privaten Nichtbanken-Sektor am Bruttoinlandsprodukt IV Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Durchschnittliches Niveau der Finanzmarktentwicklung und Korrelation zur Wachstumsrate des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts von 1960 bis 1989 (aus: King und Levine,1993, Seite 723)……………………. 4 Abbildung 1: Outputverluste bei Rezessionen und Zeit bis zur Erholung mit und ohne Krisen (aus: Bordo et al., 2001, Seite 61) …..………………………9 Abbildung 2: Globale Auslandsverschuldung: 1800 bis 2006 (aus: Reinhart und Rogoff, 2008a, Seite 4)………………………………………………..10 Abbildung 3: Immobilienpreise und Bankenkrisen (aus: Reinhart und Rogoff, 2008b, Seite 6)………………………………………………………………..12 Abbildung 4: Aktienkurse und Bankenkrisen (aus: Reinhart und Rogoff, 2008b, Seite 7)…………………………………………………………………… 13 Abbildung 5: Inflation und Auslandsverschuldung: 1800 bis 2006 (aus: Reinhart und Rogoff, 2008a, Seite 11)………………………………………… ….15 Abbildung 6: Reale Zinssätze vor, während und nach der Krise (aus: Kaminsky und Reinhart, 1999, Seite 481ff.)………………………………………….18 1 1 Einleitung Kaum ein Thema wird derzeit in Medien und Politik so energisch und kontrovers diskutiert wie die aktuelle Finanzkrise, die sich vom Immobilien- und Hypothekenmarkt der Vereinigten Staaten in den Rest der Welt ausbreitet. Eine Rezession wird von vielen Seiten her als unvermeidlich angesehen und auch die Bundesregierung sowie die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute korrigieren ihre Konjunkturprognose für das nächste Jahr nach unten. Laut Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) rechnet das Kabinett für 2009 lediglich mit einem Wachstum von 0.2 Prozent (Stand: Oktober 2008). Im Frühjahr lag die Prognose noch bei 1.2 Prozent. In dieser Seminararbeit soll es jedoch nicht ausschließlich um die aktuellen Verhältnisse gehen, sondern vielmehr um die Theorie hinter dieser und anderer Krisen. Die jüngere Forschung beschäftigt sich jedoch zunehmend mit dem Einfluss des Finanzsystems auf Konjunktur und Wachstum. Angesichts der aktuellen Krise zeigt sich deutlich, wie entscheidend die Finanzmärkte für den konjunkturellen Verlauf sind und welche Implikationen dies auch für entwickelte Länder hat. Die Währungskrisen in Ungarn oder Island sind hier als Beispiel zu nennen: Die wachsende Wirtschaft wurde mit ausländischem Kapital finanziert, sodass die inländische Währung abwertet und Druck auf die Banken ausgeübt wird. Finanzspritzen durch den Internationalen Währungsfonds oder die Europäische Union scheinen unumgänglich. In Island fallen die Aktienkurse enorm während in Zentralbank in Ungarn sogar die Leitzinsen erhöht hat. Diese Seminararbeit stellt genau diese Zusammenhänge dar. Zunächst wird im zweiten Abschnitt die Frage aufgeworfen, ob es tatsächlich eine Korrelation zwischen Finanzmarkt- und Wachstumsindikatoren gibt. Es wird diskutiert, ob die Entwicklung des Finanzsystems das wirtschaftliche Wachstum einer Gesellschaft prognostiziert und durch welche Kanäle dieser Einfluss auch im Rahmen der Öffnung der Kapitalmärkte deutlich wird. Danach wird im dritten Abschnitt auf die Entstehung verschiedener Krisen des Finanzsektors eingegangen und ihre Ursachen dargelegt. Diese Arbeit schließt daraufhin mit einer Beschreibung der wirtschaftspolitischen Relevanz, gerade in Hinblick auf die Folgen für die Realwirtschaft. Es werden Maßnahmen diskutiert, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und mit den konjunkturellen Einbrüchen umzugehen. 2 2 Die Beziehung zwischen Finanzmarktentwicklung und Wachstum In ihrer Studie untersuchen Robert G. King und Ross Levine eine mögliche positive Korrelation zwischen Finanz- und Wachstumsindikatoren, um Joseph Schumpeter zu bestätigen, der bereits 1912 eine direkte Beziehung zwischen gut funktionierenden Banken und der finanziellen Unterstützung von Unternehmern und ihren Technologien sah. 1 2.1 Finanzmarktindikatoren nach King und Levine (1993) 2 Um den Einfluss der Finanzintermediäre möglichst umfassend darzustellen, werden vier Finanzmarktindikatoren definiert. Hierbei handelt es sich zum einen um ein Maß der Größe des Finanzsystems, dem Anteil der liquiden Verbindlichkeiten 3 am Bruttoinlandsprodukt (LLY). Es besteht eine positive Beziehung zwischen der Größe der Finanzintermediäre und dem Umfang ihrer Angebote. Als zweite Komponente wird die Quote der Inlandsdarlehen, die durch Geschäftsbanken ausgestellt werden, an allen Inlandsdarlehen berechnet (BANK), da, wie Saint-Paul (1992) feststellt, Geschäftsbanken im Vergleich zur Zentralbank oftmals ein größeres Risikomanagement sowie bessere Informationen zur Verfügung stellen, die ineffiziente Ergebnisse vermeiden. 4 Bei der Unterscheidung zwischen Zentral- und Geschäftsbanken gilt jedoch, dass in vielen Ländern der Staat auch auf die Geschäftsbanken Einfluss ausübt und dies deshalb kritisch zu beurteilen ist. Die letzten beiden Indikatoren verdeutlichen die Verteilung der Kredite auf den privaten und den öffentlichen Sektor. Es wird der Anteil der Kredite bestimmt, der an Private des Nichtbankensektors geht, und zum einen in Relation zum Gesamtkreditvolumen 5 (PRIVATE) und zum anderen zum BIP (PRIVY) gesetzt. Dahinter steht die Vermutung, dass Finanzsysteme, die ihre Darlehen eher an private Einrichtungen richten, mehr Betreuung anbieten und sich stärker auf Finanzinvestitionen konzentrieren. Leider sagen die letzten beiden Faktoren wenig über die Stärke des Finanzsektors aus, sondern lediglich über seine Adressaten. 1 Vgl. Levine (1997), Seite 688. Sofern nicht anders angegeben folgt dieser Abschnitt den Darstellungen von King und Levine (1993), Seite 718 - 721. 3 Damit sind der Geldumlauf außerhalb des Bankensektors sowie zinstragende Verbindlichkeiten (Sparund Termineinlagen) gemeint. 4 Vgl. Saint-Paul (1992), Seite 763. Im Folgenden ist zwischen (Sach-)Investitionen, die ein Teil des Bruttosozialproduktes bilden und Finanzinvestitionen, die am Kapitalmarkt gehandelt werden und der Finanzierung von unternehmerischer Tätigkeit dienen, zu unterscheiden. 5 Ohne Kredite an Geldbanken. 2 3 Festzuhalten bleibt, dass King und Levine mit nur vier Indikatoren Aussagen über den Umfang des Finanzbereichs, über die Quellen sowie über die Empfänger der Kredite. 2.2 Wachstumsindikatoren 6 Die Definition der finanziellen Faktoren alleine reicht nicht aus, um Aufschlüsse über den Einfluss auf das langfristige ökonomische Wachstum zu erhalten. Wichtig sind die Kanäle, durch welche das Finanzsystem auf die wirtschaftliche Entwicklung einwirkt. Das reale Wachstum wird in die Rate der Kapitalakkumulation und den Rest zerlegt. Geht man bei der Bestimmung des Pro-Kopf-BIP von einer Produktionsfunktion der Form y = kα x (1) - mit k als Pro-Kopf-Kapitalstock, x für die restlichen Einflussgrößen und α als Parameter der Produktionsfunktion- aus und logarithmiert diese, so erhält man GYP = α GK + EFF (2) wobei GYP für das langfristige reale Pro-Kopf-Wachstum des BIP, GK für die Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Kapitalstocks und EFF für die Wachstumsrate des Rests steht. 7 Mit EFF als Residualgröße wird die Darstellung des technischen Fortschritts oder des Humankapitals, zusammenfassend also Verbesserungen in der Effizienz, mit der das Kapital verteilt wird, berücksichtigt. 8 Als vierten Wachstumsindikator wird die Rate der nationalen Bruttoinvestitionen am Einkommen (INV) hinzugezogen, da unternehmerische Investitionen für das gesamtwirtschaftliche Wachstum bedeutsam sind (Abschnitt 2.5). 2.3 Der Zusammenhang zwischen den Indikatoren 9 Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Finanzierung einer Volkswirtschaft wenig zu ihrem realen Wachstum beiträgt und die finanzielle der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung lediglich folgt. In diesem Abschnitt werden nun aber sowohl die parallele Entwicklung des Finanzsystems und des Wachstums als auch der Einfluss auf das zukünftige Wachstum verdeutlicht. Es stellt sich heraus, dass zwischen der durchschnittlichen jährlichen Rate des realen ProKopf-Wachstums und dem durchschnittlichen Niveau des Finanzsektors eine stabile positive Korrelation besteht. Zum 0.01-Signifikanzniveau ist jeder Finanzindikator positiv mit 6 Vgl. King und Levine (1993), Seite 722f. α nimmt hier in etwa den Wert 0.3 an. 8 Vgl. auch Saint-Paul (1992), Seite 764ff. 9 Die Ausführungen basieren auf King und Levine (1993), Seite 723 – 729. 7 4 jedem Wachstumsindikator korreliert. Man kann somit davon ausgehen, wie auch Obstfeld und Taylor (2004) vermuten, dass ein Anstieg der Finanzmarktentwicklung generell mit realem Wachstum einhergeht. 10 Hierzu werden die untersuchten Länder nach ihrer Stärke der oben definierten Wachstumsindikatoren in vier Gruppen eingeteilt. So zeigt sich von 1960 bis 1989 ein Anstieg in jedem der Finanzindikatoren, wenn man von Ländern mit geringem zu Ländern mit hohem Wachstum übergeht. Die Resultate für das ProKopf-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sind in Tabelle 1 abgebildet. Tabelle 1: Durchschnittliches Niveau der Finanzmarktentwicklung und Korrelation zur Wachstumsrate des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts von 1960 bis 1989. Very Fast: sehr schnelles Wachstum; Very Slow: Sehr langsames Wachstum Quelle: King und Levine (1993), Seite 723. Die Korrelation fällt dabei am stärksten bei der Tiefe des Finanzsystems (LLY) aus, somit hängt eine große Anzahl an Finanzmarkttransaktionen positiv mit realem Wachstum zusammen. Levine (1997) bestätigt dies: 1985 hielten die reichsten Länder 67 Prozent ihres Jahreseinkommens in Finanzanlagen, die ärmsten Länder hingegen nur 26 Prozent. Auch Edison et al. (2002) schließen aus Untersuchungen, dass reichere Staaten sich durch mehr Finanztransaktionen sowie einen größeren Kapitalstock auszeichnen. 11 Der Anteil der Privatkredite am Gesamtkreditvolumen (PRIVATE) korreliert schwächer mit den Wachstumsindikatoren, sodass die Unterscheidung nach Kreditnehmern weniger relevant ist. Die Finanzmarktfaktoren weisen sogar untereinander eine positive Korrelati- 10 Vgl. Obstfeld und Taylor (2004), Seite 272f. Vgl. Edison et al. (2002), Seite 8-11. Die Aussage wird von Campos, Filer und Hanousek (2000) unterstützt, siehe Seite 6. 11 5 on auf, finanzielle Entwicklung setzt schließlich an mehreren Seiten an. 12 Dies gilt ebenso für die zukünftige Entwicklung. Ein hohes Niveau des Finanzsystems in einem Jahrzehnt hängt mit einem hohen Niveau im darauf folgenden zusammen. Folgendes Beispiel interpretiert die Größe der Koeffizienten: der Wert von 0.024 bei LLY bedeutet, dass ausgehend von einem Land mit geringer Tiefe des Finanzsystems (LLY ≈ 0.2) zu einer höheren Tiefe (LLY ≈ 0.6) die jährliche Wachstumsrate um fast 1% zunehmen würde. 13 Dennoch lassen sich hierbei keine Aussagen darüber treffen, wodurch dieser Zusammenhang zustande kommt oder wie die höhere Tiefe erreicht werden soll. 2.4 Hat die finanzielle Entwicklung Auswirkungen auf zukünftiges Wachstum? 14 Bislang ist unklar geblieben, ob die Entwicklung der Finanzmärkte das Wachstum vorantreibt oder ihm allenfalls folgt. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung schafft zwar die Nachfrage nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten, 15 aber gilt auch der umgekehrte Zusammenhang? Länder mit einer relativ hohen finanziellen Entwicklung wachsen die nächsten zehn bis dreißig Jahre sehr schnell. Die Regression des Pro-Kopf-Wachstums auf den Wert der Größe des Finanzsystems (LLY) im Jahr 1960 beweist selbst nach Variation der Bedingungen, dass Finanzmarktentwicklung stark mit dem Wachstum der nächsten dreißig Jahre korreliert. 16 Die Resultate unterstützen die Hypothese, wie auch Rousseau und Sylla (2003), dass die Stärke der Entwicklung als gute Prognose für das darauf folgende Wachstum angesehen werden kann. Dies gilt ebenfalls für die Anhäufung von Kapital sowie für die Effizienz der Ressourcenallokation. Dieses Ergebnis wird anhand eines einfachen Beispiels verdeutlicht: Hätte Zaire im Jahre 1970 seinen Anteil der Geschäftsbanken- im Verhältnis zu den Zentralbankkrediten von 26% auf den mittleren Wert der entwickelten Länder (ca. 57 %) erhöht, wäre das Land in den siebziger Jahren 0.9 % jährlich stärker gewachsen und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 1980 9 % grö- 12 Der Pearson-Korrelationskoeffizient nimmt Werte zwischen 0.44 und 0.83, wenn man über die gesamte Periode korreliert. 13 0.01 ≈ 0.4 · 0.024 = (0.6-0.2) · 0.024 14 Die Aussagen basieren wesentlich auf den Ergebnissen von King und Levine (1993), Seite 730-734. 15 Vgl. Levine (1997), Seite 688. 16 Seien das Pro-Kopf-Wachstum, der Pro-Kopf-Kapitalwachstum oder der Investitionsanteil die abhängige Variable und die Werte der Finanzmarktindikatoren zu Beginn der Betrachtungsperiode die unabhängigen, sind die Koeffizienten positiv zum 0.05-Signifikanzniveau, bei PRIVATE zum 0.07-Niveau. Rousseau und Sylla (2001) sehen ebenso eine positive Beziehung zwischen Kapitalflüssen und dem darauf folgenden Wachstum, Seite 6. 6 ßer als zehn Jahre zuvor gewesen. 17 Wie im Zahlenbeispiel zuvor lässt sich auch hier keine Aussage darüber treffen, wie es zu dem Anstieg der Variable kommen soll. Finanzdienstleistungen fördern folglich das zukünftige Wachstum, sei es durch Erhöhung der Kapitalakkumulation oder durch Verbesserung der Effizienz in der Verwendung des Kapitals. Finanzmarktentwicklung kann den Ergebnissen nach zu urteilen auch eine Begleiterscheinung des Wachstums und somit selbst von ihm abhängig sein. Diese Wechselwirkung zeigt sich im folgenden Abschnitt. 2.5 Die Rolle der Finanzmärkte in der Globalisierung 18 Globalisierung und die Öffnung der Kapitalmärkte werden häufig als Motor für weltweites Wachstum angesehen. Hier gibt es allerdings Stimmen, die der Rolle der Finanzmärkte einen hemmenden Charakter zuspielen. Als Schlüsselaufgaben der Finanzmärkte sind die Bereitstellung von Ersparnissen und Liquidität, die Bewertung von Investitionsprojekten, das Risikomanagement, die Überwachung der Manager sowie die Erleichterung von Finanzmarkttransaktionen besonders hervorzuheben. 19 Durch die Vereinfachung von Kapitalflüssen werden Ressourcen international besser verteilt und Vermögen sinnvoller angelegt. Kapitalmärkte wandeln die Finanzinstrumente in langfristige Investitionen um, die Produktionsentscheidungen beeinflussen. Gleichzeitig wird den Unternehmen ermöglicht, sich stärker zu spezialisieren und somit produktiver zu wirtschaften. Andernfalls wären die Produzenten gezwungen, flexiblere Technologien zu verwenden, die mit einem geringeren Risiko verbunden, aber auch weniger effizient sind. 20 Die Reduzierung des Risikos und der Unsicherheit resultiert aus der Diversifikation im Portfolio. Investoren werden infolgedessen dazu ermutigt, riskantere, aber ertragsreichere Vermögensanlagen durchzuführen und in innovative Projekte zu investieren. 21 Finanzmärkte entschärfen dazu die Kosten für Transaktionen und asymmetrische Informationen, sodass Investitionen leichter zugänglich und attraktiver werden. Die Vermittler wählen viel versprechende Unternehmen und Manager aus, sodass das Kapital dort eingesetzt wird, wo es die produktivste Verwendung findet. Für die Unternehmensführung ergeben sich somit gerade am Aktienmarkt Anreize, produktiv zu handeln und einen möglichst hohen Firmenwert zu erwirt17 Der Koeffizient bei GYP und BANK beträgt 0.028 (vgl. Table IX, Seite 733): (57-26) · 0.028 = 31 · 0.028 ≈ 0.9 . 18 Dieser Abschnitt basiert im Wesentlichen auf Bordo (2008), Seite 8f. 19 Vgl. King und Levine (1993), Seite 717. 20 Vgl. Levine (1997), Seite 692 sowie Saint-Paul (1992), Seite 763ff. 21 Fraglich ist, ob dies nicht zu leichtsinnigem Verhalten im Sinne von „moral hazard“ führt (siehe auch Abschnitt 4): Vgl. Bordo et al. (2001), Seite 74. 7 schaften. 22 Länder mit einem größeren Bankensektor und aktiveren Aktienmarkt zeichnen sich durch beschleunigtes nachfolgendes Wachstum aus. Gerade Niedriglohnländer, die auf Finanzierung aus dem Ausland angewiesen sind, weil sie alleine nicht ausreichend Ersparnisse bilden, wachsen dort schneller, wo sie am internationalen Kapitalmarkt handeln können. 23 Andersherum profitiert davon auch ein Land, welches eine hohe Ersparnis aufweist, aber auf weniger attraktive Investitionsprojekte trifft. Hierbei wird verständlich, dass ökonomisches Wachstum und innovative Technologien selber notwendig für funktionierende Finanzmärkte sind und eine wechselseitige Abhängigkeit besteht. Nichtsdestotrotz finden sich auch Gegenargumente in der Literatur wieder. Bordo zufolge hat die Öffnung der internationalen Kapitalmärkte nur von 1900 bis 1913 zum Wachstum beigetragen. Auch Edison et al. vertreten die These, dass finanzielle Integration das Wachstum bremsen oder verzögern kann, beispielsweise dann, wenn Kapital in Sektoren gelangt, in denen das Land einen komparativen Nachteil hat. Viele Theorien besagen zudem, dass Wachstum und Integration nur dann positiv korrelieren, wenn der Staat über einen zuverlässige Rechtsstaat und Institutionen verfügt. 24 Gourinchas und Jeanne (2004) bestätigen zudem anhand eines neoklassischen Modells, dass die Wohlfahrtsgewinne der Finanzmarktintegration relativ begrenzt sind. Sie räumen zwar ein, dass diese Gewinne für einige Länder relevant sein können, im Durchschnitt sind sie jedoch nicht besonders groß. In einem typischen Entwicklungsland entspricht der Wohlfahrtseffekt beim Übergang von finanzieller Autarkie zur Integration einer permanenten Erhöhung des Konsums von lediglich 1 Prozent. Im Vergleich sind die Effekte durch Öffnung von Handelsbarrieren oder eine Schließung der Produktivitätslücke zu den stark entwickelten Ländern größer. Dennoch wird gerade letzteres indirekt durch eine höhere Finanzmarktintegration unterstützt, sodass dieses letzte Argument an Kraft verliert. 25 . 22 Vgl. Levine (1997), Seite 689 sowie 694ff und Campos, Filer und Hanousek (2000), Seite 1. Ein aktiver Aktienmarkt zeichnet sich durch eine hohe Kapitalumschlagsgeschwindigkeit aus. 23 Vgl. Levine (1997), Seite 708 sowie Campos, Filer und Hanousek (2000), Seite 1 und 6. 24 Vgl. Obstfeld und Taylor (2004), Seite 276 sowie Edison et al. (2002), Seite 3f., in ihren eigenen Untersuchungen können letztere dies aber nicht bestätigen, siehe Seite 21. 25 Vgl. Gourinchas und Jeanne (2004), Seite 3, 9f. Sowie 18f. Zum Beispiel kann ein Land durch ausländische Direktinvestitionen (FDI) Kapital in Industriebranchen fließen lassen, in denen das Ausland einen Produktionsvorteil hat, siehe auch Gourinchas und Jeanne (2004), S.22 8 3 Finanzkrisen und ihre Bedeutung für die Konjunktur 3.1 Formen von Finanzmarktkrisen So vielfältig wie die Kapitalmärkte sind auch die Probleme, die diese zu bewältigen haben. 26 Bordo unterscheidet zwischen Banken-, Währungs- und Schuldenkrisen, sowie zwischen Kombinationen aus diesen drei Formen. Bankenkrisen zeichnen sich dadurch aus, dass die Zahlungsunfähigkeit von Kreditinstituten zu einem Ansturm der Bevölkerung auf die noch verfügbaren Zahlungsmittel führt, was mit einem Einbruch der Bankenmittel einhergeht, sofern keine Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz („lender of last resort“) fungiert. Währungskrisen hingegen treten bei einer drastischen Veränderung der Wechselkursparität auf. Dies kann z.B. auf einen Abbruch einer Vereinbarung oder einer starken realen Auf- bzw. Abwertung innerhalb eines Jahres zurückzuführen sein. In so genannten Zwillingskrisen treten beide Formen auf, oft folgt einer Bankenkrise sogar eine Währungskrise, auch wenn sie nicht unbedingt ihre direkte Ursache ist. 27 Bei Schuldenkrisen ist der Schuldner unfähig seine Schuld beim Gläubiger wie vereinbart zu begleichen, sodass die finanzielle Sicherheit des Gläubigers beeinträchtigt wird. Krisen der „Dritten Generation“ sind definiert als Zwillingskrisen, die von einer Schuldenkrise begleitet werden. Führt eine hohe Kapitalmobilität zwar zu Einbrüchen im Konjunkturverlauf, fördert generell aber das langfristige Wachstum, wie es der Abschnitt 2 verdeutlichte? 3.2 Krisen in der Vergangenheit und ihre Entstehung Obwohl Finanzkrisen schon seit Jahrhunderten die Wirtschaft belasten, interessiert die Forschung insbesondere vier Epochen ab circa 1870: das Zeitalter des Goldstandards mit London als finanzielles Zentrum (bis 1914), die Zwischenkriegszeit (1919-1939), das Bretton-Woods-Systems (1945-1973) und die Zeit flexibler Wechselkurse nach BrettonWoods (1973-heute). Die Anzahl an Krisen seit 1973, gerade in den Achtzigern und Neunzigern, hat sich im Vergleich zu der Zeit vor 1914 verdreifacht. 28 Trotzdem lässt dies nicht unbedingt darauf schließen, dass sie auch ernster geworden sind. Krisen, die im 26 Sofern nicht anders angegeben stützen sich die Ausführungen auf Bordo (2008), Seite 1f. Vgl. Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 479. Die Wahrscheinlichkeit für eine Währungskrise innerhalb von 24 Monaten nach dem Beginn einer Bankenkrise beträgt 46%. 28 Vgl. Bordo (2008), Seite 2. 27 9 Zusammenhang mit Rezessionen auftreten, ziehen zwar höhere Outputverluste mit sich als Rezessionen ohne Krisen, besonders im Fall von Zwillingskrisen. Außerdem braucht die Wirtschaft danach länger, um sich zu erholen. (Abb.1). Allerdings ist man sich uneinig, ob die Krise zur Rezession führt oder umgekehrt. Festzuhalten bleibt jedenfalls das in der Zeit nach 1973 die Rezessionen, die von Krisen begleitet wurden, einen höheren Outputverlust als reine Rezessionen zu verzeichnen hatten, nämlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr. 29 Abbildung 1: Outputverluste bei Rezessionen und Zeit bis zur Erholung mit (weiß) und ohne (schwarz) Krisen: Verlust des Bruttoinlandsprodukts in Prozent (oben) und Zeit in Jahren (unten) Quelle: Bordo et al. (2001), Seite 61. Es kristallisieren sich lange Phasen heraus, in denen ein Großteil der Länder seine Schulden verzögert bzw. gar nicht beglich oder neue Darlehensvereinbarungen treffen musste. Diese neuen Vereinbarungen waren oftmals mit Zinssenkungen und der Bindung der Investoren an riskante Vermögensanlagen mit einer geringen Rendite (siehe auch Kapitel 4) verbunden. Bankenkrisen sind aus diesem Grund nicht nur das Resultat von Zahlungsunfähigkeit, sondern auch vom Absinken der als Sicherheit dienenden Vermögenswerte. Laut Reinhart und Rogoff lassen sich fünf Extremphasen empirisch feststellen, die in der Abbildung 2 dargestellt werden. Deutlich wird hierbei, dass das Wiederkehren von Kri- 29 Vgl. Bordo et al. (2001), Seite 54 und 63, Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 474 sowie Obstfeld und Taylor (2004), Seite 293. 10 senphasen die Regel war und stets ganze Gruppen betraf. Umstrukturierungen der Schulden führten häufig zu Rückfällen in Krisensituationen. 30 Abbildung 2: Globale Auslandsverschuldung: 1800-2006 Anteil der Länder (in Prozent) in Verzug oder in der Umstrukturierung von Schulden (Abzisse: Jahreszahl; Ordinate Anteil der Länder (in Prozent)) Quelle: Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 4. Heute wie auch damals findet die Krise ihren Ursprung oft in den großen Zentralnationen - die derzeitige Krise sowie der Börsencrash von 1929 begannen in den Vereinigten Staaten - breitet sich aber nicht unbedingt global aus, sondern betrifft unter Umständen nur einzelne Staaten. Hinsichtlich der Einkommensverluste verzeichnet gerade die Zwischenkriegszeit hohe Output- und Handelsverluste, sowohl bei Währungs- als auch bei Zwillingskrisen. 31 Entgegen der Auffassung, dass hauptsächlich die Auslandsverschuldung zu Krisen führte, belegen Reinhart und Rogoff die entscheidende Rolle der Inlandsdarlehen. Die meiste Zeit war mehr als die Hälfte der Gesamtschuld in Krisenjahren Schulden aus dem eigenen Land. 32 Die Wahrscheinlichkeit eines Verzugs ließ sich demnach nicht an der Aufteilung der Verschuldung festmachen. Inländische Kredite, meist als Folge der Verweigerung von Auslandsdarlehen, stabilisierten die Finanzmärkte somit nicht. Auf hohe Rohstoffpreise folgten in der Vergangenheit stets neue Staatsverschuldungen (Abschnitt 4). Inflationäre Geldschöpfung und Zinsmaßnahmen wirkten auf die Budgetbeschränkung des Staates und führten zu einem Zusammenbruch der Währung. Der reale Münzgewinn des Staates stand dabei dem Verlust des Wertes der Staatsanleihen gegen- 30 Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 22f. und Seite 25f. Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 34ff. sowie Bordo (2008), Seite 3f. 32 Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 9-13. Der Umgang mit der Inlandsverschuldung kann Aufschlüsse darüber geben, ob ein Land nachhaltig auch seine Auslandsschulden begleichen wird. 31 11 über („seignorage gain“) Im 20. und 21. Jahrhundert setzte die Zeit der Hyperinflation in Europa zwischen den Weltkriegen ein und erlangte ein nie da gewesenes Niveau. 33 Die Ursachen, die zur Entstehung von Finanzkrisen geführt haben, werden meist sehr kontrovers diskutiert. Anhand eines Beispiels, nämlich der Weltwirtschaftskrise ab 1929, wird im Folgenden eine mögliche Erklärung für ihr Auftreten damals erläutert. 34 Die Produktionsausweitung Europas nach dem Ersten Weltkrieg verursachte eine Überproduktion an Gütern. Durch den anfangs konjunkturellen Aufschwung wurden vermehrt Spekulationen durchgeführt, die wegen der starken Nachfrage die Preise steigen ließen, inklusive massiger Kredite zur Finanzierung. Mit den ersten Anzeichen einer Rezession in Form von sinkenden Preisen stießen viele Investoren ihre Wertpapiere ab und Kredite auf Importgüter wurden eingefroren. Die Preise fielen angesichts des Angebotsüberschusses weiter und viele Schuldner wurden zahlungsunfähig. Die FED weigerte sich, als Kreditgeber der letzten Instanz („lender of last resort“) aktiv zu werden. Sobald sich die Märkte durch das Eingreifen der Zentralbank absicherten, funktionierten sie weniger effizient und brechen schneller zusammen. Darüber hinaus hatten damals die Rückkehr zu einem festen Wechselkursverhältnis (Goldstandard) während des Aufschwungs, sowie später die Aufwertung der Währung zu einem deflationären Prozess geführt. 35 3.3 Industrienationen versus Schwellen- und Entwicklungsländer 36 Das Thema Finanzmarktkrisen ist insbesondere für Länder in der frühen Phase ihrer Entwicklung von Bedeutung. So geriet Spanien alleine im 19. Jahrhundert sieben Mal in Verzug beim Begleichen der Staatsschuld. 37 Damals war der Staat auf dem Weg, eine einflussreiche Nation zu werden. Auch bereits industrialisierte Staaten sind nicht vor den Gefahren einer Finanzkrise sicher. Fortgeschrittene Länder verzeichnen mittlerweile zwar weniger Krisen, erfuhren aber in frühen Stadien ihrer Entwicklung deutlich mehr. Für diese Länder waren insbesondere die Phase zwischen den Weltkriegen sowie die siebziger, achtziger und neunziger Jahren bedeutsam. 33 Siehe für die Preisentwicklung Figure 7 in Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 32 sowie für den Inflationseinfluss Seite 39-50. Deutschland hatte im Jahr 1923 eine Inflationsrate von 2.22E+10 34 In Anlehnung an die Ausführungen von Bordo (2008), Seite 7 und Kindleberger (2000), Seite 64ff. 35 Aufgrund des festen Goldstandards konnte die Geldmenge nicht willkürlich erhöht werden, auch wenn die verstärkte Produktion dies erforderte. Als Folge trat dann Deflation auf. Es wurde aber angenommen, dass flexible Wechselkurse destabilisierend wirken und Abwertungen sogar zu beggar-my-neigbour Politiken führen. Eine Abwertung geht aufgrund höherer Importpreise mit Inflation einher, während Aufwertungen den Inflationsdruck senken und deflationär wirken können. 36 Diese Ausführungen basieren, sofern nicht anders angegeben, auf Bordo (2008), Seite 4-8. 37 Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 20f. 12 Es lassen sich Vergleiche zwischen der Sub-Prime Krise und diversen Episoden in weiteren Industrienationen ziehen, die zu starken Konjunktureinbrüchen führten. Der Rückgang des jährlichen Outputwachstums betrug teilweise über fünf Prozent und nach der Krise blieb die Geschäftstätigkeit unter dem Trend, bis die Produktionslücke geschlossen werden konnte. In der Zeit vor den Krisen lassen sich in entwickelten Staaten ein Produktivitätsanstieg und somit auch, bedingt durch Risikominderung, eine Erhöhung der Aktienkurse sowie der Immobilienpreise feststellen, die im Zuge der Krise weiter fallen (Abb. 3 und 4), wenn die Investoren ihre Anlagen abstoßen oder Banken ihre Anteile zur Finanzierung ihrer Schulden veräußern wollen. Dies führt dann zu einer geringeren Zahlungsfähigkeit bei Kreditnehmern und Haltern von Vermögensanlagen. Hinsichtlich der Aktienkurse treten die fallenden Preise jedoch schon vor Beginn der Krise auf. 38 Abbildung 3: Immobilienpreise und Bankenkrisen T steht hierbei für das Jahr des Krisenbeginns, blau: US Krise; grün: Durchschnitt der fünf großen Krisen; rot: Durchschnitt für Bankenkrisen in entwickelten Staaten Quelle: Reinhart und Rogoff (2008b), Seite 6. 38 Vgl. Reinhart und Rogoff (2008b), Seite 2-6. Sie untersuchen fünf besonders schwerwiegende Episoden in Spanien (1977), Norwegen (1987), Finnland (1991), Schweden (1991) und Japan (1992). Das Zurückkehren zum Wachstumstrend dauerte ca. 2 Jahre an. 13 Abbildung 4: Aktienkurse und Bankenkrisen Quelle: Reinhart und Rogoff (2008b), Seite 7. Die Krisen der Vergangenheit waren dennoch mehrheitlich ein Problem in Schwellenund Entwicklungsländern. 39 Die entwickelten Länder lernten nämlich nach dem ersten Weltkrieg den Umgang mit Finanzkrisen.40 Gerade diese Länder sind schnell und erfolgreich gewachsen. Sie bildeten, wie Abschnitt 4 zeigt, ein beständiges Netz an Institutionen aus und trafen erfolgreiche Politikmaßnahmen. Wichtig dabei waren die Rahmenbedingungen einer freien Marktwirtschaft, freier Handel, hohe Faktormobilität, politische Stabilität sowie besonders die Sicherung von Eigentumsrechten. Im Gegensatz hierzu fiel es den Entwicklungsländern schwerer, ihre Konjunktur zu beleben. Meist versuchten sie, die Systeme und Politikmaßnahmen der Industriestaaten zu übernehmen. „Sudden Stops“ belasteten die Entwicklungsländer ebenfalls, weil die Kapitalzuflüsse von der Alten in die Neue Welt, die gerade vor 1914 sehr umfangreich waren, abbrachen, was einen massiven Rückgang der inländischen Nachfrage zur Folge hatte. Vermehrtes Sparen ersetzte hier die entgangenen Kapitalflüsse. Es fehlte jedoch eine Zentralbank, die nach dem Kreditboom als „lender of last resort“ agierte. 41 39 Vgl. Bordo (2008), Seite 1. Viele der Entwicklungsländer lebten die Hälfte der Zeit seit ihrer Unabhängigkeit in Verzug. 40 In vielen Staaten wie z.B. Skandinavien, Belgien, Kanada oder Australien ist es bislang noch nie zum Verzug gekommen, in Afrika ist es nur Mauritius gelungen, siehe Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 14f. 41 Kindleberger (2000), Seite 179, betont die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung. Krisen, in denen es keinen derartigen Helfer gab, wie 1873, 1890 sowie 1931 wurden von besonders schweren Depressionen gefolgt. 14 Die Zwischenkriegszeit war hingegen eine Periode, in der hauptsächlich die Industrienationen an Krisen litten, worauf sie intensive Kontrollsysteme errichteten, welche die fixen Kursverhältnisse sichern sollten (Bretton-Woods-Agreement 1944). Auch dieses Regime scheiterte, weil das Zentrum, die USA, eine inflationäre Politik verfolgte, der Dollar also abwertete. Dies hatte dann Folgen für die Entwicklung der Inflationsraten der anderen Länder, die vom Dollar direkt abhingen. Die entwickelten Staaten übernahmen als Konsequenz vermehrt das Managed-Floating 42 , also flexiblere Wechselkurse. Die Zahl der Währungskrisen verringerte sich dadurch drastisch. 42 Beim Managed-Floating sind die Wechselkurse grundsätzlich flexibel. Die Zentralbanken verfolgen jedoch ein Wechselkursziel und können im Notfall intervenieren. 15 4 Konsequenzen für die Realwirtschaft und wirtschaftspolitische Maßnahmen Die vorangegangenen Abschnitte zeigten, dass der Finanzmarkt über entscheidende Implikationen für das langfristige Wachstum und Konjunkturschwankungen verfügt. Reinhart und Rogoff (2008a) bestätigen, dass Probleme im Finanzsektor selten alleine auftreten. Inflation, Wechselkurs-, Preis- und Zinsschwankungen gehen einher mit Zahlungsunfähigkeit und Verschuldung, wie beispielsweise die Abbildung 5 präsentiert. Diese Impulse stehen nun im Vordergrund. Abbildung 5: Inflation und Auslandsverschuldung: 1800 – 2006 Rot: Anteil der Länder im Schuldenverzug; Blau: Anteil der Länder mit Inflation > 20% Quelle: Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 11 Erkennt ein Land beispielsweise eine Verbesserung der Terms of Trade, also hohe Rohstoff- und Güterpreise, führt dies zu einer Aufstockung des Kreditvolumens und einem Ansturm auf die Banken. Sobald die Preise fallen und die Terms of Trade sich wieder verschlechtern, gerät es in Verzug. Gleichzeitig reduzieren sich die gesamtwirtschaftliche Aktivität und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, was sich in schwachen Exporten ausdrückt. 43 Schuldenkrisen treten, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, oftmals nach hohen Kapitalzuflüssen auf. In der Hochkonjunktur neigen Länder dazu, sich stark zu verschulden, was sie in der Konjunkturabschwächung und Rezession anfälliger für Krisen macht und ihr Zahlungsbilanzdefizit vergrößert.44 Die Kosten im realen Bereich sind daraufhin vielfältig. Neben Outputverlusten und einer verlangsamten Geschäftstätigkeit (z.B. durch die Verschlechterung der Terms of Trade) 43 Vgl. Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 486. Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 6f. und Seite 31 sowie Reinhart und Rogoff (2008b), Seite 8ff. Aktuelle Beispiele hierfür sind Ungarn oder Island. 44 16 führen Währungskrisen zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit von Zentralbank und Regierung, und Bankenkrisen zu immensen Staatsausgaben, die der Steuerzahler trägt. Ist der Staat nicht in der Lage, die zusätzlichen Schulden zu bedienen, kann es zu Wohlfahrtsverlusten aufgrund von Geldschöpfung und inflationärer Politik kommen. Kaminsky und Reinhart weisen zudem nach, dass im Zuge der Aufwertung ca. 18 Monate vor der Krise die Preise für Eigenkapital sinken und die ausländische Nachfrage fällt, was die Firmenwerte noch weiter sinken lässt. Um die Schulden bedienen zu können, werden Aktien und Anleihen verkauft. Dieses erhöhte Angebot drückt dann den Preis. 45 Finanzmärkte wirken sogar direkt auf das Verhalten von Haushalten und Unternehmen. Entscheidend ist dabei die Struktur des Marktes. 46 Der IWF unterscheidet hier zwischen marktorientierten Systemen mit einer größeren Distanz zwischen Unternehmen und Investoren und bankorientierten Märkten mit einer engeren Beziehung zwischen den Kreditparteien. Gerade in Finanzsystemen des ersten Typs betreiben Haushalte und Staaten Konsumglättung und wählen zwischen mehr Anlageoptionen. Dies legt die Vermutung nahe, dass sie im Falle von Einkommensverlusten oder Arbeitslosigkeit nicht der Belastung eines hohen Kreditrisikos ausgesetzt sind. Die Finanzierung an solchen Märkten führt dazu, dass der Konsum weniger sensibel auf Einkommensänderungen reagiert. Im Vergleich zum Kreditgeschäft eines „nahen“ Marktes sind die Haushalte hier jedoch stärkeren Preisschwankungen ausgesetzt. Bei marktorientierten Kapitalsystemen ist es Unternehmen möglich, ihre Finanzierung zu diversifizieren, was sie ebenfalls weniger anfällig für Kreditkrisen macht. Empirisch wurde jedoch nachgewiesen, dass die Investitionsschwankungen bei bankorientierten Märkten geringer ausfallen. Kreditaufnahme im Ausland ist aber generell dann für den Konsum vorteilhaft, wenn der Output eines Landes zeitweise gering ist. Die Konsumschwankungen fallen demnach schwächer aus als bei Autarkie. Zugegebenermaßen ist die Kreditvergabe für kleine Haushalte und Unternehmen die einfachste Finanzierungsquelle und schwer durch Alternativen zu ersetzen, was die starke Rolle der Banken für die Konjunktur begründet. 47 Eine weitere These von Gourinchas und Jeanne bezüglich der Wirkung des finanziellen auf den realen Sektor betrifft die Anhäufung von Humankapital, da beschleunigtes Kapitalwachstum zu höheren Reallöhnen führt, sodass mehr qualifizierte Arbeitskräfte ge- 45 Vgl. Bordo et al. (2001), Seite 66f. sowie Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 486; Campos, Filer und Hanousek (2000) behaupten darüber hinaus, dass die Wechselkurse von der Aktivität am Börsenmarkt bestimmt werden. Ein boomender Aktienmarkt führt zu einer Aufwertung der Währung, Seite 12f. 46 Vgl. International Monetary Fund: World Economic Outlook (2006), Seite 20ff. 47 Vgl. Obstfeld und Taylor (2004), Seite 9 und 288ff. sowie EZB (2008), Seite 95. 17 wonnen werden können. 48 Dies kurbelt die Wirtschaft nach konjunkturellen Einbrüchen erneut an und generiert ein höheres Einkommen. Es wurde bereits angedeutet, dass sich Länder einen konservativen institutionellen Rahmen schufen, bestehend aus staatlichen (effizientes Steuersystem; ausgeglichene Haushalte; niedriger Verschuldungsgrad) und monetären Maßnahmen (nationales Bankensystem; Schaffung einer Zentralbank; Einhaltung des Goldstandards). Gerade die Einhaltung des Goldstandards verpflichtete sie dazu, eine gewisse Umtauschbarkeit in Gold zu wahren. 49 Folglich konnten sie nicht willkürlich Bargeld ausgeben, weil ihnen ansonsten die Deckung in Gold gefehlt hätte. Allerdings sind gerade Bankenkrisen bei festen Wechselkursen sehr kostspielig, denn dieses Regime ermutigt dazu, ungesicherte Anlagen zu tätigen. Außerdem begrenzen fixe Tauschverhältnisse die Möglichkeiten der Regierung hinsichtlich ihrer Geldpolitik im Falle von Schocks. 50 Zinsen und Wechselkurse sind abhängig voneinander und gerade im Regime fester Wechselkurse reagiert der Zins besonders, was zu starken Schwankungen sowohl bei Sach- als auch bei Finanzinvestitionen führt. Nichtsdestotrotz ermöglichte der Goldstandard sowohl intern als auch extern ein stabiles Umfeld für die Wirtschaft, die weltweiten Zinssätze näherten sich einander an und die Kapitalflüsse nahmen zu. Die verschärften Kontrollen zur Zeit von Bretton-Woods bedeuteten darüber hinaus keine Reduzierung des Risikos. Vielmehr das Gegenteil war der Fall, da die Sicherheiten dazu anregten, höhere Risiken einzugehen („moral hazard“), ohne dass die Kosten hierfür zu zahlen waren. 51 In Zeiten, in denen die Finanzmärkte sich relativ ruhig verhalten, sind Kontrollen eher als Konjunkturbremsen zu verstehen, weil die erschwerten Kreditbedingungen die Konsumnachfrage reduzieren. Heutzutage halten die Zentralbanken meist keine festen Wechselkursverhältnisse mehr, jedenfalls setzen sie in der Regel nur die Inflationserwartungen fest. 52 Ein Absenken der Zinsen durch die Zentralbank infolge der Krisen hingegen wirkt förderlich auf Sachinvestitionen, indem sie die Preise und Renditen direkt beeinflussen. 53 Gerade nach Phasen eines hohen Anstiegs kann ein Absinken der Vermögenspreise zu Konjunktureinbrüchen führen. Die niedrigen Zinssätze führen zwar zu geringeren Kosten für 48 Vgl. Gourinchas und Jeanne (2004), Seite 12. Vgl. Bordo (2008), Seite 4. 50 Vgl. Obstfeld und Taylor (2004), Seite 29f. Dänemark ist in seiner Geldpolitik sehr an die Politik der EZB gebunden, da es ein festes Kursverhältnis zum Euro hat. Wechselkurs und Zinsen sind exogen bestimmt. 51 Vgl. Bordo et al. (2001), Seite 74ff. 52 Vgl. Bordo (2008), Seite 8. 53 Niedrige Zinsen führen zu hohen Kurswerten, was die Rendite von Finanzaktiva generell reduziert. Die Investition in Sachvermögen wird demzufolge vorgezogen. 49 18 Banken, diese verschulden sich dann jedoch übermäßig. Reduziert sich dann aber der Wert ihrer Vermögenstitel, verlieren sie einen Großteil ihres Kapitals.54 Das Verhalten der Zinssätze bei Krisen wird in der Abbildung 6 vergleichend für Banken-, Währungsund Zwillingskrisen gezeigt. Insbesondere vor Bankenkrisen sind die realen Zinssätze auf sehr hoch, was das Resultat der finanziellen Liberalisierung, des erhöhten Risikos der Banken oder einer kontraktiven Geldpolitik sein kann. Die Zinsen bleiben auch nach der Krise auf einem höheren Niveau, sofern die Zentralbank die Leitzinsen nicht senkt. 55 Abbildung 6: Reale Zinssätze vor, während und nach der Krise Die Werte (relativ zu ruhigen Zeiten) sind jeweils 18 Monate vor, während, und 18 Monate nach der Krise angegeben. Gepunktet: Standardabweichung vom Durchschnitt. I. Währungskrisen II. Bankenkrisen III. Zwillingskrisen Quelle: Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 481ff. Offensichtlich bestimmt das Kreditrisiko in Form hoher Zinssätze somit nicht nur den Konjunkturverlauf, sondern wird umgekehrt auch von diesem beeinflusst, das Angebotsverhalten der Banken kann sogar als „prozyklisch( )“ bezeichnet werden.56 Rousseau und Sylla beschreiben fünf Komponenten eines funktionierenden Finanzmarktes, der für ausländische Investoren attraktiv ist: ein stabiler öffentlicher Haushalt und Schuldenmanagement, vorbeugend sogar die Bildung von Rückstellungen, ein beständiges Geldregime, ein Bankensystem mit in- und ausländischer Orientierung, welches durch seine Kreditvergabe den Handel vorantreibt, eine Zentralbank und gut funktionie54 Vgl. EZB (2008), Seite 97. Das Abdiskontieren zukünftiger Zahlungsströme mit dem risikoadäquaten Kapitalmarktzinssatz bestimmt die Preise von Vermögensanlagen (Barwertprinzip). 55 Vgl. Kaminsky und Reinhart (1999), Seite 484. 56 Vgl. EZB (2008), Seite 94. 19 rende Sicherheiten. England hat durch die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie und der Wahrung von Eigentumsrechten mehr Sicherheit für Investoren geschaffen. Das Steuersystem würde genug Einnahmen generieren, welche ihre Interessen in jedem Fall erfüllen. Gleichzeitig führte dies zu einer besseren und gerechteren Ressourcenallokation. Das Beispiel England beweist darüber hinaus, dass die Kreditaufnahme im Ausland, gerade in Kriegszeiten, ein Crowding-Out privater Investitionen verhinderte. Somit scheint ein Umbruch in den politischen Verhältnissen zu einem Antrieb der Finanzmärkte und des Wachstums zu führen. 57 Für Entwicklungsländer könnte dies eine Lektion sein, sie profitieren am meisten von einer Liberalisierung der Finanzmärkte und machen größere Schritte als die entwickelten Staaten. Ihnen fehlt hierzu lediglich der institutionelle Rahmen. 58 Geld- und Fiskalpolitik sollten sich demzufolge auf Marktdisziplin und ein begrenztes Budgetdefizit konzentrieren. Die Internationalisierung des Kapitalmarktes zwingt die Regierung eines Landes, glaubwürdige Politikmaßnahmen zu ergreifen und exzessive Staatsverschuldung zu vermeiden. Eine zuverlässige Überwachung ist wichtig, um diese Disziplin einzuhalten und bei dem ausgebauten Sicherheitsnetz die Gefahr von übermäßigen Risiken einzudämmen. 59 Die Gründung der Europäischen Union trug ebenso dazu bei, die politischen und finanziellen Verhältnisse vieler Staaten zu stabilisieren. Reinhart und Rogoff benennen Spanien oder Griechenland, die in der Vergangenheit häufig von wiederkehrenden Krisen betroffen waren, mittlerweile aber durch die Umstrukturierung ihrer Institutionen und die Einbindung in den EU-Markt profitieren. 60 5 Schlussfolgerung und Ausblick Obwohl die Wissenschaft sich uneinig über die Beziehung zwischen Finanzmarktentwicklung und dem gesamtwirtschaftlichem Wachstum ist, überwiegt die Meinung, dass die finanziellen Verhältnisse, sofern sie stabil sind, ein elementarer und notwendiger Faktor für den aktuellen und zukünftigen Wohlstand einer Volkswirtschaft sind. Die Aufgaben, die die Finanzmärkte mittlerweile übernommen haben, sind vielfältig und passen sich den Anforderungen der ökonomischen Entwicklung an. Insofern lässt sich eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen finanziellem und realem Sektor nicht abstreiten. 57 Vgl. Bordo (2008), Seite 9-12 und Rousseau und Sylla (2003), Seite 2f. und 11. Vgl. Obstfeld und Taylor (2004), Seite 280. 59 Vgl. Bordo et al. (2001), Seite 74 und Obstfeld und Taylor (2004), Seite 6. 60 Vgl. Reinhart und Rogoff (2008a), Seite 54 58 20 Der dritte Abschnitt hat darüber hinaus gezeigt, welchen Gefahren die Wirtschaft im Zuge der Liberalisierung ihrer Kapitalmärkte ausgesetzt ist. Der Umgang mit Krisen ist jedoch nicht neu in unserer Gesellschaft, wie viele Beispiele aus der Geschichte zeigen. Die Immobilienmarktkrise in den Vereinigten Staaten hat viele prominente Vorgänger, die sich in den Auswirkungen auf den konjunkturellen Verlauf ähneln. Entsprechendes gilt für die Mechanismen, die den Einfluss auf den realen Sektor erst übertragen. Stets wurden auch hierbei die Fehler in der Wahl des Geldregimes sowie der richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen deutlich. Es wird sich zeigen, ob die Maßnahmen der Regierungen zur Rettung der Konjunktur, die sich überwiegend durch expansive Geldpolitik äußern, die erhoffte Wirkung auf die Geschäftstätigkeit haben. Das Liquiditätsproblem vieler Banken wird dann mit Hilfe eines „lender of last resort“ gelöst. Zugleich wirft dies aber das Problem auf, dass, wie in der Arbeit beschrieben, die Vermögenswerte stark fallen und an Wert verlieren. Es fehlt also das notwendige Vermögen zur Besicherung der Kredite. Aus dieser Arbeit resultiert dennoch eindeutig: Trotz konjunktureller Einbrüche und der Gefahren neuer Rezessionen fördert die Finanzmarktentwicklung und insbesondere die Öffnung der Kapitalmärkte im Rahmen der Globalisierung langfristig das weltweite Wachstum. 21 6 Literaturverzeichnis Bordo, Michael D. 2008. “Growing up to Financial Stability” Economics: The OpenAccess, Open-Assessment E-Journal, Vol. 2, 2008-12. 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