Rund um den Beruf ©© Scanrai_Rosenstiel / Fotolia.com Mal wieder ein Praxisproblem? Sie fragen – wir antworten! Wenn in ihrer Praxis ein wenig zufriedenstellend gelöstes – oder gar ungelöstes – Problem besteht, von dem Sie glauben, dass es in vielen anderen Praxen ebenso vorkommen könnte, wenden Sie sich an uns. Wir versuchen, uns kundig zu machen, und werden einen Lösungsvorschlag publizieren. Selbstverständlich sichern wir jedem Ratsuchenden auf Wunsch auch Anonymität zu. Schreiben Sie per E-Mail unter dem Betreff „Praxisprobleme“ an: [email protected] Angehörigengespräch immer wieder im Kreuzfeuer Absurde Streichungen von Ziffern Das Problem Verschiedene Kollegen berichten uns, dass ihre KV nach zum Teil mehrjähriger Latenz Regressforderungen erhoben habe, weil die EBM-Ziffer 21216 im Nachhinein gestrichen worden sei. Ähnliches wird auch aus dem Bereich der GOÄ-Abrechnung (Nr. 4) vorgebracht. Sowohl von KVen als auch von Beihilfestellen oder privaten Krankenversicherungen wird als Argument für die Streichung behauptet, die EBM-Ziffer 21216 beziehungsweise die GOÄ-Ziffer 4 seien nur bei schwerer körperlicher Kommunikationseinschränkung wie Taubheit abrechenbar. Problemlösung Die Legende der EBM-Ziffer 21216 lautet: „Fremdanamnese und/oder Anleitung beziehungsweise Betreuung von Bezugspersonen schwer psychisch erkrankter Patienten mit dadurch gestörter Kommunikationsfähigkeit, je 10 Minuten, höchstens 5 x im Behandlungsfall.“ Die Legende besagt also eindeutig, dass es sich nicht um eine gestörte Kommunikationsfähigkeit durch Taubheit oder Stummheit handeln muss, sondern dass die Kommunikationsfähigkeit durch die psychische Erkrankung des Patienten gestört sein muss, damit die Einschaltung von Bezugspersonen erforderlich und damit auch abrechenbar 32 wird. Mit gestörter Kommunikationsfähigkeit ist natürlich nicht nur das Vollbild einer Demenz gemeint. Vielmehr können bei zahlreichen psychischen Erkrankungen die Selbst- und Krankheitswahrnehmung oder die Einsichtsfähigkeit in die notwendige Therapie eingeschränkt sein. Beispiele sind resignative Fehleinschätzungen der Realität, Gefühle der Ausweglosigkeit und Selbstschuldzuweisungen, irrationale Ängste, unabweisliche Zwänge und natürlich Halluzinationen, Wahn und Ich-Störungen. Was heißt „schwer“ erkrankt? Erschwert wird die Interpretation durch den Begriff „schwer psychisch erkrankter Patienten“. Dieses „schwer psychisch erkrankt“ sollte sich natürlich in der Diag­ nose widerspiegeln. Jedoch ist es bei den ersten Gesprächen mit psychisch Kranken selbstredend zunächst unklar, ob die Selbst- und Weltsicht, ob die Darstellung der Beschwerden den Tatsachen entspricht oder ob er in seiner Krankheitswahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt ist etc. Oft lassen sich erst durch die Fremdanamnese die Diagnose und auch der Schweregrad der Erkrankung richtig einschätzen. Sie ist damit zum Ausschluss einer schweren psychischen Erkrankung (zu Beginn der Behandlung, aber auch im Verlaufes) meist unentbehr- lich. Schwere Symptome wie Trugwahrnehmungen, Schuldwahn und Zwänge ergeben sich oft erst aus der Fremdanamnese. Sie stellt damit eine wesentliche Voraussetzung für eine richtige Diagnose und damit wirksame Therapie dar. Eine Streichung der Nr. 21216 deswegen, weil sich im Verlaufe der Untersuchung und der Fremdanamnese schließlich herausstellt, dass die Erkrankung nicht so schwer ist wie befürchtet, ist nicht akzeptabel. Auf andere Fächer übertragen würde dies bedeuten, dass ein Kardiologe, der einen Patienten mit Herzangst nach allen Regeln der technischen Medizin untersucht hat, am Ende nichts abrechnen darf, weil sich durch die Untersuchungen herausgestellt hat, dass keine Störung der Herzfunktion vorliegt. Eine absurde Situation. Ob ein Untersuchungsschritt in der Diagnostik erforderlich gewesen ist, stellt sich eben nicht vor, sondern erst nach der Untersuchung heraus. Fremdanamnese wesentlich Die Legende der GOÄ 4 lautet: „Erhebung der Fremdanamnese über einen Kranken / Unterweisung und Führung der Bezugsperson(en) im Zusammenhang mit der Behandlung eines Kranken …“ Auch hier wird von manchen Beihilfestellen oder privaten Krankenversicherungen argumentiert, die GOÄ-Ziffer 4 NeuroTransmitter 2013; 24 (5) Angehörigengespräch immer wieder im Kreuzfeuer Bei psychiatrischen Erkrankungen ist die Erhebung der Fremdanamnese und auch die Leitung und die Führung der Bezugsperson sehr häufig erforderlich – und damit auch abrechenbar. ob es sich um krankheitsbedingte Fehlinterpretationen handelt. Dies alles ist Ihnen natürlich bekannt, nicht jedoch den Mitarbeitern der Krankenkassen und Beihilfestellen. Sie können obige Ausführungen als Argumentationshilfe gegenüber den Kostenträ- ©© Kristian Sekulic / istockphoto.com gelte nur bei körperlichen Behinderungen. Die originale Leistungslegende enthält nichts davon. Sicherlich wäre es nicht sinnvoll, bei einem einfachen internistischen Krankheitsbild die Fremdanamnese zu erheben und die Bezugsperson zu unterweisen und zu führen. Völlig anders verhält es sich bei psychiatrischen Erkrankungen. Hier können irrationale Ängste oder depressive Störungen die Realität fehl interpretieren lassen, können Wahrnehmungstäuschungen und Fehlwahrnehmungen sowie Fehlannahmen über Vorgänge in der Außenwelt vorkommen, die vom Patienten selbst nicht als solche erkannt werden. Um dies diagnostisch einordnen zu können, ist die Erhebung der Fremdanamnese und auch die Leitung und die Führung der Bezugsperson sehr häufig erforderlich. Wir müssen uns immer vergewissern können, ob auf Seiten des Patienten realistische Wahrnehmungen und Annahmen über seinen Zustand, die Vorgeschichte, die Umgebungsbedingungen vorliegen, oder Rund um den Beruf gern verwenden. Dies führte bisher in fast allen uns bekannt gewordenen Fällen zur Anerkennung der Abrechnungen. AUTOR PD Dr. med. Albert Zacher, Regensburg Anzeige NeuroTransmitter 2013; 24 (5) 33