MEINE SPRECHSTUNDE .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Die unbekannte Krankheit des Vergessens Prof. Dr. Christian Stief Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich jeden Tag, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Meine Kollegen und ich (www.facebook.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht eine neurodegenerative Erkrankung, die vielen unbekannt sein dürfte: die Lewy-Körper-Demenz. Die Experten des Beitrags sind Prof. Adrian Danek, Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik im Klinikum Großhadern in München und sein Kollege, Assistenzarzt Dr. Johannes Levin. Stichwort: Lewy-Körper Was führt zu den BewegungsStörungen bei Parkinson-Patienten? Das fragte sich vor mehr als 100 Jahren der deutsch-jüdische Psychiater und Neurologe Friedrich Heinrich Lewy, der auch einige Zeit an der Psychiatrischen Klinik in München forschte. Um es herauszufinden, untersuchte er die Gehirne verstorbener Patienten – und entdeckte in einigen Nervenzellen rundliche Einschlüsse, die er 1912 erstmals beschrieben hat. Später wurden sie nach ihm als Lewy-Körperchen benannt. Heute weiß man: Sie enthalten Eiweißablagerungen, darunter alpha-Synuclein, Ubiquitin und Neurofilament. Lewy-Körperchen kommen bei Parkinson vor allem in den Nervenzellen des Gehirnbereichs Substantia nigra vor. Man findet sie aber auch bei Patienten mit der Lewy-Körper-Krankheit – allerdings vor allem im Bereich von Hirnstamm und Großhirnrinde. Einer Theorie zufolge schädigen die Lewy-Körperchen die Hülle der Zellen – und bringen sie dadurch zum Absterben. ae Wohl jeder fünfte Demenz-Patient leidet daran. Doch nur wenige Menschen haben je von der Lewy-Körper-Krankheit gehört. Auch darum wird das Leiden allzu oft mit Alzheimer und Parkinson verwechselt – eine Fehldiagnose, die fatale Folgen haben kann. VON ANDREA EPPNER Zwei harte Tage liegen hinter Josef Müller (Name geändert). Doch jetzt hat es der 70-jährige gleich überstanden. Nur noch auf den Arztbrief warten, dann geht es endlich nach Hause. Müller ist froh, aber erschöpft. Die vielen Untersuchungen in so kurzer Zeit haben ihn ausgelaugt. Dabei hatte er selbst um das Sprint-Programm gebeten. Er wollte so schnell wie möglich heim, zurück in seine vertraute Umgebung – zumal er sich selbst nicht ernsthaft krank fühlt. Es war Josef Müllers Frau, die lange vor ihm bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Das war vor mehr als zwei Jahren. „Mir ist aufgefallen, dass mein Mann beim Gehen den Kopf leicht schief hält und ein wenig nach vorn gebeugt ging“, erzählt Elisabeth Müller (Name geändert). „Er ging auch immer langsamer.“ Josef Müller winkt ab. „Ach, so dramatisch war das nicht, du übertreibst“, sagt er. Ihm selbst war gar nichts aufgefallen. „Das ist nicht ungewöhnlich“, bestätigt Dr. Johannes Levin, Neurologe am Klinikum Großhadern. Häufig sei es der Partner, der Veränderungen bemerkt. Doch was hatte diese ausgelöst? Ein Freund des Ehepaars, selbst Arzt, hatte einen Verdacht. Ihm war aufgefallen, dass Josef Müllers Gesichtszüge nicht mehr so lebhaft waren wie früher, ein wenig maskenhaft sogar – und er wusste, dass dies ein Anzeichen für die Parkinsonsche Erkrankung sein kann. Josef Müller wollte dennoch nicht zum Arzt. Seine Frau konnte ihn aber schließlich doch überreden, zu einer Neurologin zu gehen. Diese überwies den 70-Jährigen zur weiteren Auch das Gespräch mit dem Patienten hilft Neurologen, die richtige Diagnose zu finden. Das Foto zeigt Oberarzt Prof. Adrian Danek (v. li.) und Dr. Johannes Levin mit ihrem Patienten Josef Müller (70). FOTO: KURZENDÖRFER Abklärung ans Klinikum Großhadern. Dort musste er sich vielen Tests unterziehen. Die Mediziner beobachteten, wie sich ihr Patient beim Gehen bewegt, wie es um seine Koordination bestellt war. Sie testen seine Merkfähigkeit, etwa indem sie im Gespräch beiläufig Namen nannten, nach denen sie später fragten. Einmal sollte Josef Müller auch eine Uhr aufmalen. Der Arzt nannte eine Uhrzeit, Müller sollte die Zeiger richtig einzeichnen. Eine scheinbar einfache Aufgabe, mit der Neurologen aber gleich mehrere Fähigkeiten überprüfen können. Etwa das Gedächtnis: Um eine Uhr zu zeichnen, muss man sich daran erinnern, wie eine solche aussieht. Auch die visuelle und räumliche Wahrnehmung lässt sich so testen. Haben Patienten damit Probleme, fällt ihnen auch das Zeichnen schwer. Bei einem anderen Test sollte Josef Mül- ler an Kräutern und Gewürzen riechen – bei Parkinson leidet oft der Geruchssinn. Die Ergebnisse der Tests konnten den Verdacht auf eine Parkinsonsche Krankheit nicht bestätigen, die Diagnose blieb offen. Josef Müller sollte in einem halben Jahr wiederkommen. „Der Arzt normale Form der Parkinsonschen Erkrankung war“, sagt Prof. Adrian Danek, Oberarzt an der Neurologischen Klinik. Medikamente sollte Josef Müller zunächst nicht bekommen. Nicht nur wegen der unsicheren Diagnose. Auch waren die Beschwerden nicht so Auch Halluzinationen gehören zu den Symptomen der Lewy-Körper-Krankheit. riet ihm, viel rauszugehen“, sagt Elisabeth Müller. „Am besten zwei Stunden pro Tag.“ Vor einem Jahr war Josef Müller dann erneut zur Untersuchung in der Klinik. Diesmal wurde eine nuklearmedizinische Untersuchung durchgeführt. „Verdacht auf ein Parkinson-Syndrom“, lautete schließlich die Diagnose. Zweifel blieben, weil nicht alle Anzeichen passten. „Es war klar, dass es keine ausgeprägt. „Der Effekt der Mittel wäre minimal gewesen“, sagt Levin. Dass die Zweifel berechtigt waren, sollte sich im Januar diesen Jahres bestätigen. Damals hatte Josef Müller zum ersten Mal Halluzinationen. Manchmal waren es einfach nur Schatten, die schnell davonhuschten, ein andermal sogar ein mittelalterlicher König: „Ich bin nachts aufgestanden, habe aus dem Fenster ge- schaut“, erzählt Josef Müller. Doch statt nur der Vollmond, blickte ihm dort Heinrich II. entgegen. „Sie wissen schon, der Heilige“, sagt Müller. Den toten Herrscher hat er sofort erkannt. Er hat eine Leidenschaft für Geschichte. Die war es wohl auch, die ihm ausgerechnet dieses Trugbild bescherte, sagt Levin – und erzählt von einem Architekten, der sah, wie in seinem Garten die Baugrube für ein Hochhaus ausgehoben wurde. Dass es sich dabei um eine Halluzination handelt, war ihm genau wie Josef Müller bewusst. Als er den Ärzten davon berichtete, wussten die, dass sie mit ihren Zweifeln richtig lagen. Die visuellen Halluzinationen nährten den Verdacht, dass Josef Müller an der LewyKörper-Krankheit leidet. Diese ist schwer zu erkennen, weil sie Symptome der Parkinsonschen und der Alzheimerschen Erkrankung vereint. Besonders mit letzterer wird sie oft verwechselt. Denn auch die geistigen Fähigkeiten lassen bei den Patienten nach. Josef Müller hat zum Beispiel Probleme, Zeitabstände einzuschätzen. „So wie viele Demenzpatienten“, sagt Levin. Immer wieder drängt er zum Aufbruch, erinnert an einen wichtigen Termin. „Aber der ist doch erst nächste Woche“, sagt Elisabeth Müller. Sie kennt das schon. Auch, dass sie ihm ein paar Mal erklären muss, warum sie nicht sofort heimgehen können. „Sonst ist er fitter“, sagt sie. Die Tests in der Klinik haben ihn angestrengt. Aber auch an normalen Tagen schwankt Josef Müllers Leistungsfähigkeit, seine Konzentration. „Typisch für Patienten mit Lewy-Körper-Demenz“, sagt Danek. Es könne sogar passieren, dass sie während des Sprechens plötzlich einschlafen. „Morgens ist sein Gang fast normal“, sagt Elisabeth Müller über ihren Mann. Zu dieser Tageszeit sei er wacher, könne sich besser konzentrieren. Doch sie weiß, dass das nicht immer so bleiben wird. Denn die Tests haben den Verdacht der Ärzte bestätigt. Josef Müller leidet mit großer Sicherheit an der Lewy-Körper-Krankheit. Ein Medikament, ein Acetylcholin-Esterase-Hemmer, kann zwar die kognitiven Symptome lindern. Heilen oder bremsen lässt sich die Erkrankung aber so wenig wie die Alzheimersche Erkrankung. Die richtige Diagnose kann Josef Müller aber davor bewahren, ein falsches Medikament zu bekommen. „Die Halluzinationen führen bei Patienten oft zu Verwirrungszuständen“, sagt Levin. „Das ist emotional belastend.“ Dann könne es schon mal passieren, dass ein Patient vor Schreck aus dem Bett fällt oder aus dem Haus läuft. Nicht selten bekommen Betroffene dann Neuroleptika verordnet. Doch diese vertragen sie nicht: „Die Patienten werden zu stark sediert und sind unter Umständen kaum noch oder gar nicht mehr erweckbar“, sagt Levin. „Auch ihre Verwirrtheit kann erheblich zunehmen“. Die Bewegungsstörungen können sich ebenfalls verstärken. Die richtige Diagnose kann den Patienten dies ersparen. Lewy-Körper-Krankheit: Warum die richtige Diagnose so wichtig ist „Alzheimer“ – das ist fast schon zum Synonym für Vergesslichkeit geworden. Dabei ist nicht jede Störung der geistigen Fähigkeiten krankhaft. Auch wenn ein Mensch tatsächlich an einer Demenzerkrankung leidet, kann das viele Ursachen haben. Zwar ist die Alzheimersche Erkrankung die häufigste, doch längst nicht die einzige. „Die Lewy-Körper-Krankheit ist die zweithäufigste Demenzform“, sagt Prof. Adrian Danek, Oberarzt an der Neurologischen Klinik des Münchner Klinikums Großhadern. „Und sie wird oft nicht erkannt.“ Schätzungen zufolge sollen etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten, die mit der Diagnose „Morbus Alzheimer“ leben, tatsächlich aber an der LewyKörper-Krankheit leiden. Typisch für diese Erkrankung ist die Kombination aus Gedächtnis- und Bewegungsstörungen. Letztere werden oft dem Alter zugeschrieben. Zumal sich die ersten Symptome im Schnitt ab dem 65. Lebensjahr zeigen. Lässt die geistige Leistungsfähigkeit nach, rücken die motorischen Störungen oft in den Hintergrund. Diese ähneln denen der Parkinson-Krankheit. So werden die Muskeln zunehmend steifer, auch ein Zittern der Hände kann auftreten. Die Mimik der Patienten ist oft nicht mehr so ausgeprägt, das Gesicht wirkt maskenhaft. Betroffene gehen auch häufig leicht nach vorn gebeugt, oft in kleinen Schritten. Denn bei beiden Erkrankungen passiert im Gehirn Ähnliches: Nervenzellen sterben ab und das viel zu schnell. Ausgelöst wird der Zelltod wohl durch Eiweiße, die aus noch unbekannten Gründen verklumpen und sich in kleinen Einschlüssen in Nervenzellen anreichern, den LewyKörpern. Diese Eiweißklumpen finden sich in Hirnregionen, in denen Zellen abster- Verklumpte Eiweiße bringen Nervenzellen zum Absterben. ben und spielen daher mit großer Wahrscheinlichkeit eine direkte Rolle beim Zelltod. Bei der Parkinsonschen Erkrankung und der Lewy-Körper-Krankheit sind davon verschiedene Bereiche des Gehirns betroffen, was zu verschiedenen Symptomen führt. So leiden bei der Lewy-Körper-Krankheit auch die geistigen Fähigkeiten. Viele Patienten haben auch Probleme mit Infos im Internet Ein Lewy-Körperchen (Pfeil) in einer Nervenzelle: Das zeigt diese mikroskopische Aufnahme. FOTO: DR. HÖGEN, LMU der visuellen Wahrnehmung. So haben Betroffene oft schon früh im Verlauf der Krankheit Halluzinationen – sie sehen Dinge oder Personen, die nicht da sind. Typisch für die Erkrankung sind auch Vigilanzschwankungen: An manchen Tagen sind die Betroffenen hellwach und können sich gut konzentrieren. An anderen sind sie ständig müde, schlafen immer wieder ein. Viele der Symptome können auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen auftreten. Eine absolut sichere Diagnose ist daher nur durch eine Gehirnuntersuchung nach dem Tod möglich – oder zumindest durch eine Hirnbiopsie zu Lebzeiten. Da dieser Eingriff nur bei besonderen Konstellationen erforderlich ist, setzen Neurologen auf viele klinische Untersuchungen. Die Testergebnisse sind wie die Teile eines Puzzles: Erst zusammen ergeben sie ein Bild. So lässt sich auch ohne Biopsie eine recht verlässliche Diagnose stellen. Wichtige Puzzleteile liefern bildgebende Verfahren: So zeigt eine Magnet-ResonanzTomografie (MRT), ob Bereiche des Gehirns an Volumen verloren haben. Mit einer nuklearmedizinischen Untersuchung, einer Form der Positronen-Emissions-Tomografie (FDG-PET), lässt sich der Viele weitere Infos zur LewyKörper-Krankheit finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft unter www.deutsche-alzheimer.de. Ansprechpartner und mehr finden Sie unter www.wegweiserdemenz.de, einem Angebot des Bundesfamilienministeriums. Viel Wissenswertes zu Demenzerkrankungen bietet zudem das Kompetenznetz Demenzen, im Netz zu finden unter www.kompetenznetz-demenzen.de. ae Hirnstoffwechsel darstellen. Dazu bekommen Patienten radioaktiv markierte Glucose (Fluordesoxyglucose, FDG) in eine Vene gespritzt. Da Gehirn und Herz ihre Energie praktisch nur aus Glucose ziehen, reichert sich diese in beiden Organen an, im Gehirn umso mehr dort, wo viele Nervenzellen aktiv sind. Der Tomograf macht das sichtbar. Ein verminderter Stoffwechsel in bestimmten Hirnregionen ist ein Hinweis, dass dort viele Zellen abgestorben sind. Hinzu kommen Tests zu den geistigen Fähigkeiten der Patienten. Dabei sollen sie etwa Wörter wiedergeben, die ihnen vorgelesen wurden. Da- mit lassen sich Kurzzeitgedächtnis und sprachliche Fähigkeiten testen. In anderen Tests sollen Patienten dreidimensionale Kästchen zeichnen. Dies deckt Probleme bei der visuellen und räumlichen Wahrnehmung auf. Bislang lässt sich die LewyKörper-Krankheit weder heilen noch ihr Fortschreiten bremsen. „Aber man kann die Nervenzellen in ihrer Funktion unterstützen“, sagt Dr. Johannes Levin, Neurologe am Klinikum. So lassen sich zumindest die Symptome lindern. Eingesetzt werden Medikamente, die man von der Therapie der Alzheimerschen Erkrankung kennt: Acetylcholin-Esterase-Hemmer. Sie vermindern den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin. Solche Stoffe, auch Neurotransmitter genannt, dienen der Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn. Patienten mit der Lewy-Körper-Krankheit haben einen Mangel an Acetylcholin, den die Medikamente lindern. Sie wirken bei ihnen teils sogar besser als bei Alzheimer-Kranken. Zum Problem wird eine falsche Diagnose, wenn ein Patient Neuroleptika bekommt. Das sind Medikamente, die bei psychotischen Zuständen eingesetzt werden und beruhi- gend wirken. Patienten mit einer Lewy-Körper-Krankheit vertragen diese Mittel besonders schlecht. Sie wirken bei ihnen viel stärker sedierend. Die Patienten lassen sich kaum mehr wecken, sind viel verwirrter. Die Bewegungsstörungen können sich verstärken, das Risiko für Komplikationen des autonomen Nervensystems, das zum Beispiel Blutdruck und Körpertemperatur reguliert, steigt. Gegen Bewegungsstörungen kommt teils Levodopa (L-Dopa) zum Einsatz, eine Vorstufe von Dopamin. Auch an diesem Botenstoff mangelt es Patienten mit der Lewy- Mal wirken Patienten wach und klar, dann wieder müde und wirr Körper-Krankheit. Diese Mittel müssen bei ihnen niedriger dosiert werden als bei Parkinson-Kranken, die auch unter einem Dopaminmangel leiden. Die Patienten müssen zudem gut überwacht werden, da die Mittel Halluzinationen verschlimmern können. ANDREA EPPNER Leserfragen an die Experten: [email protected]