Neuroradiologie 35 557 Bildgebende Diagnostik in der Neuroradiologie Die bildgebende Diagnostik neurologischer, neurochirurgischer und HNO-ärztlicher Krankheitsbilder ist durch die Etablierung der modernen Schnittbildverfahren revolutioniert worden. Da pathologische Strukturveränderungen nun in einem sehr frühen Krankheitsstadium erfaßt werden können, ergibt sich ein direkter Zugewinn für den Patienten durch bessere und frühere Behandlungsmöglichkeiten. Einige Tumoren und Erkrankungen der Schädelbasis und der Halsweichteile weisen sowohl eine intra- als auch extrakranielle Manifestation auf, was in entsprechend ausgerüsteten Kliniken zur engen Kooperation zwischen Neuroradiologie, Neurochirurgie und HNO-Chirurgie (C Schädelbasiszentrum) geführt hat. Für die radiologische Diagnostik entstand die integrative Bildgebung von Erkrankungen des Kopfes und Halses (”Head and neck”). 35.1. Standardröntgenaufnahmen Routineaufnahmen in der konventionellen Röntgendiagnostik des Schädels sind Aufnahmen in 2 Ebenen a.p. und lateral sowie ggf. ergänzend die axiale Aufnahme der Schädelbasis, die Hinterhauptsaufnahme nach Towne, Felsenbeinaufnahmen nach Stenvers, Aufnahmen der äußeren Gehörgänge und des Mastoids nach Schüller und -historisch- Aufnahmen des Foramen nervus opticus nach Rheese. Die Wirbelsäule wird mittels Aufnahmen in a.p.- und lateraler Projektion dargestellt. In Ergänzung können im HWSBereich Schrägaufnahmen der Foramina intervertebralia (Foramenstenose, Kongruenz der Interartikularportion) und Funktionsaufnahmen in Inklination bzw. Reklination zur Frage der discoligamentären Instabilität nach HWS-Trauma angefertigt werden. Die Funktions- und Schrägaufnahmen der LWS helfen in der Diagnostik einer Spondylolyse/ Spondylolisthese (Wirbelgleiten). Die weiterführende Abklärung von, im Rahmen der Primärdiagnostik erhobenen Befunden erfolgt heute im allgemeinen durch die MRT und Computertomographie, wie z.B. im Bereich der Felsenbeine, der Schädelbasis oder des Achsenskeletts. 35.2. Computertomographie Die kraniale Computertomographie hat seit ihrer Einführung die Diagnostik pathologischer, intrakranieller Prozesse revolutioniert. Durch sie wurden die bis dahin gängigen, den Patienten belastenden und risikoreichen Methoden wie die Ventriculographie, Pneumencephalographie und, eingeschränkt auch die cerebrale Angiographie, ersetzt. Im Gegensatz zu den konventionellen Kontrastmittelverfahren erlaubt die kontrastmittelgestützte CT des Schädels die detailgenaue Darstellung minimaler Dichtedifferenzen und Störungen der Blut-Hirnschranke innerhalb des Hirngewebes. Als nicht invasive Untersuchungsmethode wird sie heute vor allem zur diagnostischen Abklärung von Hirninfarkten (Ischämie), Schädelhirntraumen (Ödem, Einklemmung, traumatische ICB), Hirntumoren (C MRT) und intrakraniellen Blutungen (Angio-CT) eingesetzt. Bei klinischem Verdacht auf einen knöchernen Defekt der Frontobasis (traumatisch oder kongenital) mit wiederholten Meningitiden oder rezidivieAbb. 35.1 Frontobasis-CT render Liquorrhoe wird die knöcherne Schädelbasis nach intrathekaler Nach intrathekaler KM-Gabe Nachweis eiKontrastmittelapplikation (s. a. Kap. 35.4.) in Dünnschichttechnik (0,6 mm nes Defekts der vorderen Schädelbasis rechts Schichtdicke/Vergrößerungsreview) dargestellt. mit KM-Austritt (Pfeile). Im Bereich des Achsenskeletts eignet sich die CT zur weitgehend überlagerungsfreien Erfassung pathologischer Prozesse im Bereich Wirbelsäule, Spinalkanal und Extraspinalraum. Bei kräftigen Patienten kann jedoch die Beurteilbarkeit durch Streu- und Aufhärtungsartefakte (Knochen) eingeschränkt sein, hier ist die MRT v.a zur detaillierten Darstellung des Myelons, der Spinalnerven und postoperativer Veränderungen hilfreich. Namenlos-16 557 25.10.05, 08:21 558 35.3. Neuroradiologie Angiographie Abb. 35.2 DSA der A. carotis interna Großes Aneurysma der A. cerebri media rechts als Quelle einer Subarachnoidalblutung. Die cerebrale Angiographie wird in der Regel transfemoral (Kathetertechnik nach Seldinger) vorgenommen. Als sicherer und wenig komplikationsträchtiger Zugangsweg wird nach Punktion der A. femoralis die Spitze eines Kunststoffkatheters über einen Führungsdraht in dem zu untersuchenden Gefäßsystem platziert. Spezielle Katheter können u.U. selektiv bis in kleinste Äste z.B. zur Embolisation (Tumorgefäße) vorgeschoben werden. Die Direktpunktion der A. carotis communis ist durch die o.g. Technik abgelöst. Die cerebrale Angiographie dient der Abbildung der Art. carotis externa (Versorgung des Gesichtsschädels und des Schädeldachs), der A. carotis interna (Darstellung des Gefäßsystems des Großhirns) und der Darstellung des Gefäßsystems des Kleinhirns über die A. vertebralis (selektiv). Sie ermöglicht die genaue topographische Zuordnung von intra- oder extracerebralen Gefäßprozessen (Stenosen, Verschlüssen). Bei intrakraniellen Tumoren dient die cerebrale Angiographie der exakten Darstellung der den Tumor versorgenden Gefäße, was für die Operationsplanung wichtig ist. Ggf. kann vor einer Operation eines Tumors die Zahl der diesen versorgenden Gefäße mittels selektiver Embolisation (Verschluß) verringert werden. Im Rahmen der Notfalldiagnostik können Aneurysmen (Subarachnoidalblutung), akute Gefäßverschlüsse (Thrombose der A. basilaris, Sinusthrombose) oder Gefäßdissektionen diagnostiziert und gegebenenfalls interventionell (s. a. Kap. 36) behandelt werden. Das Risiko einer cerebralen Angiographie steigt für den Patienten mit zunehmendem Lebensalter, es liegt bei ca. 0,24,5%. Häufigste Komplikationen sind Zeichen eines passageren oder persistierenden neurologischen Defizits (Hemisymptomatik C Halbseitenlähmung). Ursächlich sind intramurale KM-Injektionen (in die Gefäßwand) mit hieraus resultierender Einengung der Strombahn durch die iatrogen (durch äußerliche Einwirkung) bedingte Gefäßdissektion, durch Thrombenbildungen, Gefäßspasmen und Ablösung arteriosklerotischer Plaques im Rahmen der Kathetermanipulation zu nennen. Unter Berücksichtigung der möglichen Komplikationen ist die strenge Indikationsstellung unumgänglich. 35.4. Myelographie Die Myelographie bezeichnet die Kontrastdarstellung des spinalen Subarachnoidalraums über die intrathekale Applikation eines wasserlöslichen Kontrastmittels durch eine Lumbalpunktion. Die Kontrastmitteluntersuchung des Spinalkanals wird zur Abklärung der Art, Lage und Ausdehnung intraspinaler Prozesse durchgeführt. Hierdurch gelingt der Nachweis raumfordernder Prozesse innerhalb des Spinalkanals mit Kompressionswirkung auf das Rückenmark oder die Nervenwurzeln (Bandscheibenvorfälle, intraspinale, intra- oder extradurale und auf den Spinalkanal übergreifende solitäre oder multilokuläre Tumoren, Arachnoidalzysten, Meningocelen). Neuere Kontrastmittel mit geringer Neurotoxizität und Viskosität (z.B. Isovist 300®) haben zu einem deutlichen Rückgang der Nebenwirkungsrate (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Parästhesien, Krampfanfälle, kardiovaskuläre NW) geführt, die Untersuchung ist bei sachgerechter Durchführung weitgehend gefahrlos. Die röntgenologische Darstellung des lumbalen, thorakalen, cervikalen oder auch cerebralen Subarachnoidalraumes erfolgt durch Patientenumlagerung und Verlagerung der Kontrastmittelsäule durch entsprechende Einstellung des kippbaren Untersuchungstisches. Die Kontrastmittelverteilung wird unter Durchleuchtungskontrolle beobachtet und auf Zielaufnahmen dokumentiert. Die lumbale Kontrastmittelapplikation erfolgt unter aseptischen Bedingungen in Seitenlage oder im Sitzen, idealerweise in Höhe LWK 4/5. Die Wahl der geeigneten Punktionshöhe wird im Einzelfall durch die klinische Symptomatik und den Befund der Übersichtsaufnahmen der LWS (Torsion, Osteochondrose, Spinalkanalstenose) bestimmt. Die Menge des applizierten KM liegt in Abhängigkeit von der zu untersuchenden Region bei 12-18 ml. Namenlos-16 558 25.10.05, 08:21 Neuroradiologie Abb. 35.3 Myelographie: Intradurale KM-Applikation zur Markierung der Nervenwurzeltaschen im Verlauf der Foramina intervertebralia, Normalbefund LWS (links), HWS (mitte). 559 Abb. 35.4 BSV (LWK 3/4) mit Amputation der Nervenwurzel L3 (Pfeil), Duralschlauchkompression. Die lumbale Myelographie schließt neben einzelnen Zielaufnahmen in Schrägprojektion zur Abbildung der lumbalen Spinalnervenwurzeln die Dokumentation des Conus medullare ein. Funktionsaufnahmen in Ante- und Retroflexion geben Aufschluß über eine stellungsabhängige Duralschlauch- oder Wurzelkompression. Durch Kopftieflagerung wird ein Übertreten des KM in den thorakalen bzw. cervikalen Subarachnoidalraum erreicht. In Bauchlage wird, je nach Ausprägung der BWS-Kyphose, im Scheitelpunkt nur eine niedrige KM-Konzentration erreicht, weshalb alternativ die Kopftieflagerung in Seitenlage erfolgen kann. Die Cervikalregion wird von dem KM erreicht, wenn der Patient in Kopftieflage bei rekliniertem Kopf (zur Vermeidung eines KM-Übertritts in die basalen Zisternen) gelagert wird. Auch hier werden die Schrägaufnahmen u.U. durch Funktionsaufnahmen Abb. 35.5 Postmyelo-CT der LWS mit ergänzt. In der Regel erfolgt in Abhängigkeit vom erhobenen, u.U. pathologi- konzentrischer, degenerativ bedingter schen Befund durch die Myelographie (z.B. Wurzelamputation mit V.a. Band- Spinalkanalstenose (Pfeile). scheibenvorfall, BSV) eine ergänzende, gezielte computertomographische Untersuchung des entsprechenden Wirbelsäulensegmentes (sog. ”Postmyelo-CT”). Hierduch wird die Differenzierung zwischen weichen und knöchernen Raumforderungen im Spinalkanal ermöglicht. Dies ist insofern für die weitere Therapieentscheidung von Bedeutung, da sowohl die Häufigkeit der BSV als auch der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen naturgemäß mit dem Alter zunimmt. Die gezielte Verlagerung des KM in den kranialen Subarachnoidalraum eröffnet über ein anschließendes DünnschichtCT der Schädelbasis die Abklärung potentieller Defekte mit Liquorverlust und der Gefahr rezidivierender Meningitiden. Zu den Komplikationen der Lumbalpunktion zählen der frustrane Punktionsversuch (bei meningealen Verwachsungen), die Blutung aus epiduralen Venen, die intravenöse, epidurale oder extradurale KM-Injektion und die Ausbildung eines Infektes. Namenlos-16 559 25.10.05, 08:21 560 35.5. Neuroradiologie / Computergestützte Chirurgie Kernspintomographie Die Kernspintomographie gewinnt im Bereich der neuroradiologischen Diagnostik zunehmend an Bedeutung, was v.a. auf die immer besser werdende Bildqualität und die kürzeren Untersuchungszeiten zurückzuführen ist. Im Gegensatz zur Computertomographie ist in vielen Fällen die exakte anatomische Zuordnung und Begrenzung pathologischer Prozesse möglich. Die Darstellung ischämischer Parenchymareale, insbesondere im Bereich des Hirnstamms (Artefakte bei der CT) und die Auflösung auch kleiner, z.B. entzündlicher Prozesse (Encephalomyelitis disseminata) des Gehirns und des Myelons sind beispielhafte Vorteile der MRT. Durch die dynamische, technische Weiterentwicklung mit stärkeren Magnetfeldern ist in Zukunft mit einem noch breiteren Einsatzgebiet und neuen, schnelleren Aufnahmesequenzen bei noch besserer Detailauflösung für die Kernspintomographie zu rechnen (s. a. Kap. 31). Abb. 35.6 KM-CT und T1-gewichtetes MRT. In der CT (links) unklare Ventralverlagerung des rechten Temporalhorns (Pfeil). Die MRT (rechts) zeigt eindrucksvoll multiple, nach zentral verlagerte und verkleinerte Windungen der Hirnoberfläche (Polymikrogyrie). MR-Myelographie rechts (MIP-Rekonstruktion). 36 Navigation - computer- bzw. bildgestützte Chirurgie 36.1. Bildgestützte Chirurgie am Beispiel der Neuronavigation Neben dem strahlen- und/oder chemotherapeutischen Behandlungskonzept funktionaler Störungen des Gehirns wie Tumoren oder Gefäßmißbildungen gehört die Operation mit Entfernung des Tumors zu den gängigen Behandlungsmethoden. Während hierzu bis vor kurzem noch eine relative große Öffnung im Schädel mit einem hohen Verletzungsrisiko für gesundes Gewebe und kritische Strukturen wie Sehnerven oder Hirnstamm erforderlich war, ist es heute mit Hilfe von Computern möglich, Tumoren oder andere Veränderungen durch eine kleine Bohrlochtrepanation und mit höherer Präzision zu entfernen. Dieses Verfahren ist als computer- bzw. bildgestützte Chirurgie, als Neuronavigation oder auch Image Guided Surgery bekannt. Bildgestützte Operationsverfahren werden in der Neurochirurgie seit Mitte der 90er Jahre eingesetzt. Diese Operationstechnik basiert auf einem leistungsstarken Computersystem, das dem Chirurgen hilft, eine Läsion, d.h. einen Tumor oder eine arterielle Mißbildung, aus den diagnostischen Bilddaten des Patienten exakt zu lokalisieren und jeden Schritt des Eingriffs über ein 3D-Modell am Bildschirm im Voraus zu planen. Der Tumor und seine Umgebung können aus verschiedenen Namenlos-16 560 25.10.05, 08:21