4 Die rationalen Zahlen 4.1 Historisches Die – bisher noch nicht erklärte – Division als Umkehrung der Multiplikation ist in Z nicht uneingeschränkt durchführbar. Durch eine entsprechende Erweiterung des Zahlbereichs gelangten schon die griechischen Mathematiker der Antike zu den Bruchzahlen. Sie finden sich als Verhältnisse natürlicher Zahlen z. B. in Euklids Elementen, dort ist allerdings noch nicht systematisch von Brüchen die Rede; dies ist ein neuzeitliches Konzept. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten Bernhard Bolzano und Martin Ohm erste systematische Theorien der rationalen Zahlen. 4.2 Die Konstruktion der rationalen Zahlen Q In Z sind nicht alle Gleichungen der Form a · x = b mit ganzzahligen Koeffizienten lösbar. Jedoch gibt es verschiedene Gleichungen mit gleichen Lösungen, z. B. 4 · x = 12 und 13 · x = 39. Diese Tatsache sollte also für alle derartigen Gleichungen berücksichtigt werden. Keine sinnvolle Lösung scheint es jedoch für Gleichungen der Art 0 · x = 5 zu geben. Demzufolge betrachtet man nun als kartesische Produktmenge nicht Z × Z, sondern Z × (Z \ {0}). Definition 1 Zwei Zahlenpaare (a, b) und (c, d) ∈ Z × (Z \ {0}) stehen in Relation zueinander, geschrieben (a, b) ' (c, d), genau dann, wenn ad = bc. Bemerkung: Wenn wir die Zahlenpaare (a, b) und (c, d) als mögliche Quotienten auffassen, dann besagt die Relation ' genau die Gleichheit derjenigen Quotienten, die in Z schon existieren. Satz 1 Durch obige Definition wird eine Äquivalenzrelation in Z × (Z \ {0}) erklärt. Beweis: Wir zeigen exemplarisch die Transitivität. Sei also (a, b) ' (c, d) und (c, d) ' (e, f ). Dann gilt ad = bc sowie cf = de. Multiplikation der ersten Gleichung mit f und der 2. Gl. mit b führt auf adf = bcf = bde, woraus sich wg. der Transitivität von = mit der Kürzungsregel (d 6= 0) ergibt: af = be, also (a, b) ' (e, f ). Nach Kap. 1, Satz 2, bewirkt diese Äquivalenzrelation also eine Zerlegung der Menge Z×(Z\{0}) in (disjunkte) Äquivalenzklassen. Eine solche Äquivalenzklasse (a, b) hat die Gestalt (a, b) := {(x, y) | ay = bx}. Z. B. ist (4, 6) = {(2, 3), (4, 6), (6, 9), . . . (50, 75), . . .} bzw. (4, 6) = (10, 15) = (90, 135) usw. Man sieht leicht, dass jede Äquivalenzklasse1 unendlich viele Repräsentanten hat. Wir können also definieren Definition 2 (Menge der rationalen Zahlen) ' sei die oben definierte Relation in Z × (Z \ {0}). Die Menge Q := (Z × (Z \ {0}))/ ' heißt Menge der rationalen Zahlen bzw. Menge der Bruchzahlen. Bemerkung: Wiederum ist es nicht das kartesische Produkt selbst, das den neuen Zahlbereich darstellt, sondern seine Faktormenge bezüglich der neuen Äquivalenzrelation. Eine rationale Zahl ist also eine Äquivalenzklasse (d. h. eine Menge) der obigen Äquivalenzrelation: Für die rationale Zahl q = (a, b) gilt also: q ∈ Q bzw. q ⊆ Z×(Z\{0}). Ein Element einer Äquivalenzklasse können wir statt als Quotienten auch als Bruch bezeichnen (und dann auch als solchen schreiben, also z. B. 32 statt (2, 3)), die Klasse ist dann die Bruchzahl. Als Brüche sind z.B. 32 und 46 verschieden, nicht aber als (Bruch-)Zahl. 1 Auch wenn die Äquivalenzklassen genauso notiert sind wie diejenigen des letzten Kapitels, so handelt es sich natürlich dennoch um völlig verschiedene Mengen (vgl. z.B. die Übungen 3.7.2 und 4.6.1.). Aus diesem Grunde werden auch die Äquivalenzrelationen ∼ und ' unterschiedlich notiert. 4.3 Die Addition in Q Wenn wir die Elemente einer Äquivalenzklasse als Brüche auffassen, sollte die Addition so definiert sein, dass sich z. B. folgende Summen ergeben: (3, 1) + (5, 1) = (8, 1) sowie (3, 2) + (1, 2) = (2, 1). Dies leistet folgende Definition, wovon man sich leicht überzeugen kann. Definition 3 (Addition in Q) Für zwei Zahlen p = (a, b), q = (c, d) ∈ Q wird ihre Summe erklärt durch := (ad + bc, bd). Bemerkung: Wiederum ist diese Definition nur deshalb zulässig, weil sichergestellt ist, dass bei der Wahl anderer Repräsentanten aus der jeweils gleichen Äquivalenzklasse das Ergebnis der Operation sich nicht ändert. Die Definition ist also repräsentantenunabhängig: Sei etwa (a0 , b0 ) ' (a, b) ⇔ a0 b = b0 a ⇒ a0 bdd0 = ab0 dd0 (1) und (c0 , d0 ) ' (c, d) ⇔ c0 d = d0 c ⇒ bb0 c0 d = bb0 cd0 (2). Durch Addition folgt: a0 bdd0 + bb0 c0 d = ab0 dd0 + bb0 cd0 ⇔ (a0 d0 + b0 c0 )bd = (ad + bc)b0 d0 ⇔ (a0 d0 + b0 c0 , b0 d0 ) ' (ad + bc, bd). Satz 2 (Q, +) ist eine Abelsche Gruppe. Beweis: Assoziativität: Der Beweis ist aufwendig, folgt aber im wesentlichen aus der Assoziativität in Z. Die Kommutativität ist offensichtlich. Neutrales Element ist (0, 1). Der Beweis ist klar. Zur rationalen Zahl (a, b) ist (−a, b) additiv invers, denn (a, b) + (−a, b) = (ab − ba, ba) = (0, 1). Hiermit ist klar, dass die Subtraktion analog der Subtraktion in Z erklärt werden kann. 4.4 Die Multiplikation in Q Definition 4 (Multiplikation in Q) Für zwei Zahlen p = (a, b), q = (c, d) ∈ Q wird ihr Produkt erklärt durch p · q = (a, b) · (c, d) := (ac, bd). Bemerkung: Auch diese Definition ist repräsentantenunabhängig (Übung). Satz 3 (Q \ {(0, 1)}, ·) ist eine Abelsche Gruppe. Beweis: Assoziativität und Kommutativität folgen aus der Gültigkeit der entsprechenden Gesetze in Z. Neutrales Element ist offensichtlich (1, 1). Das zu p = (a, b) ∈ Q inverse Element ist (b, a) (a 6= 0!). Es ist eindeutig und wird mit −1 p−1 = (a, b) oder auch p1 bezeichnet. Damit können wir die Division in Q erklären: Definition 5 (Division in Q) Für zwei Zahlen p = (a, b), q = (c, d) ∈ Q mit q 6= (0, 1) wird −1 ihr Quotient erklärt durch p : q = pq = (a, b) : (c, d) := (a, b) · (c, d) = (a, b) · (d, c). Satz 4 (Distributivgesetz in Q, DG) Für alle rationalen Zahlen x, y, z ∈ Q gilt: x(y + z) = xy + xz. Beweis: Übung. Eine algebraische Struktur mit diesen Eigenschaften erhält einen neuen Namen: Definition 6 (Körper) Sei M 6= ∅ eine Menge mit zwei Verknüpfungen ⊕ und . (M, ⊕, ) heißt Körper, falls gilt: (K1) (M, ⊕) ist eine kommutative Gruppe (mit neutralem Element 0), (K2) (M \ {0}, ) ist eine kommutative Gruppe, (K3) es gilt das Distributivgesetz, d. h. für alle a, b, c ∈ M gilt: a (b ⊕ c) = a b ⊕ a c. Bemerkung: Die auf den ersten Blick denkbare Forderung, dass beide Verknüpfungen mit ganz M eine kommutative Gruppe bilden, ist nur für (bis auf Isomorphie) eine einzige, ziemlich uninteressante Menge erfüllbar. Welche (Übung)? Satz 5 (Q, +, ·) ist ein Körper. Wiederum bleibt die Frage: Was haben die neuen Zahlen mit den ganzen Zahlen zu tun? Es gilt der Satz 6 Die Abbildung i : Z → Q mit a 7→ (a, 1) ist injektiv. Durch sie wird Z isomorph auf den Unterring i(Z) ⊆ Q abgebildet. Beweis: Übung. Z ist kanonisch isomorph“ zu i(Z) bzw. kanonisch eingebettet“ in Q. Daher identifiziert man ” ” üblicherweise diese beiden isomorphen Mengen. Damit ist also (a, 1) = a. Es ergibt sich (1, a) = −1 (a, 1) = a1 . Die rationale Zahl (a, b) kann dann auch als a : b geschrieben werden, so dass wir jetzt die rationalen Zahlen auch als (Äquivalenzklassen von) Quotienten ganzer Zahlen auffassen können. Da es nun eine Division für alle ganzen Zahlen gibt, können wir auch schreiben: Q = { ab | a, b ∈ Z, b 6= 0}. 4.5 Die Anordnung der rationalen Zahlen Definition 7 Ein Bruch (bzw. eine Bruchzahl) ab heißt positiv, wenn a und b beide positiv oder beide negativ sind. Q+ bezeichnet die Menge der positiven rationalen Zahlen, Q− = −Q+ entsprechend die Menge der negativen rationalen Zahlen. Bemerkungen: 1. Auch hier ist wiederum die Repräsentantenunabhängigkeit dieser Definition zu zeigen. 2. Q+ ist bezüglich + und · abgeschlossen. Man hat damit die Darstellung Q = Q− ∪{0}∪Q+ als disjunkte Vereinigung. Damit kann die Ordnung wie folgt erklärt werden: Definition 8 (Anordnung in Q) Auf Q werden die Relationen ≤“ und <“ (sowie ≥“ und ” ” ” >“) wie folgt erklärt (p, q ∈ Q): ” 1. Für alle p, q ∈ Q sei p ≤ q (bzw. q ≥ p) :⇔ q − p ∈ Q+ ∪ {0}. 2. Wir schreiben p < q (bzw. q > p) genau dann, wenn p ≤ q und p 6= q. Bemerkung: Die so definierte totale Anordnung auf Q stimmt auf Z mit der früher definierten Anordnung überein. Satz 7 (Archimedizität von Q) Für alle positiven rationalen Zahlen p, q ∈ Q existiert eine natürliche Zahl n ∈ N, so dass q < n · p. (Q ist archimedisch geordnet.) Beweis: Sei q = ha und p = hb mit natürlichen a, b, h. Wir behaupten nun, dass ein n ∈ N existiert mit a < n · b (hieraus folgt nach Division durch h die Behauptung) und zeigen dies durch Induktion über a. 1. Induktionsanfang (a = 1): Wähle n = 2. 2. Induktionsschluss: Gelte also, dass ein n existiert mit a < n · b (*). Zu zeigen ist dann, dass ein m ∈ N existiert mit a + 1 < m · b. Aus (*) folgt: a + 1 < n · b + 1 ≤ n · b + 1 + (b − 1) = n · b + b = (n + 1) · b. Man kann also | {z } ≥0 m := n + 1 setzen und erhält das Gewünschte. Satz 8 (Dichtheit von Q) Für alle rationalen Zahlen p, q ∈ Q mit p < q existiert eine rationale Zahl s ∈ Q mit p < s < q. Beweisidee: Man wähle t := 12 (p + q). 4.6 Zusammenfassung Der gerade konstruierte Zahlbereich Q ist also ein Körper, der Z als Unterring enthält. Es ist in der Tat der kleinste Körper, für den dies gilt, d. h. jeder Körper, der Z als Unterring enthält, enthält ebenfalls Q als Unterkörper. Wir werden zwei derartige Oberkörper noch kennenlernen. Q ist ferner ein archimedisch geordneter, dichter Körper. 4.7 Übungen 1. Veranschaulichen Sie sich die Äquivalenzklassen in Z × (Z \ {0}) graphisch, indem Sie die Elemente des kartesischen Produkts als Punkte in einem zweidimensionalen Gitter darstellen. Wo liegen jeweils die Elemente einer Klasse? 2. Zur Repräsentantenunabhängigkeit der Multiplikation: a) Bestimmen Sie (3, 4) · (6, 9) sowie (9, 12) · (2, 3) jeweils nach Definition und zeigen Sie die Gleichheit der ermittelten rationalen Zahlen. b) Beweisen Sie allgemein, dass die Definition der Multiplikation repräsentantenunabhängig ist. 3. Zeigen Sie: Wenn in (M, ⊕, ) nicht nur (M, ⊕), sondern auch (M, ) eine kommutative Gruppe ist, enthält M genau ein Element. 4. Zur Regel Zähler mal Zähler durch Nenner mal Nenner“: Überlegen Sie sich eine didak” tische Stufung von einzelnen für Schüler verständlichen Produkten, die Schritt für Schritt die Regel motivieren können. 5. Untersuchen Sie (Zm , +, ·) (die Restklassen mod m) mit m = 7 bzw. m = 8 im Hinblick auf Definition 6 (Körper).