1 Heinz Sünker Gesellschaftliche Perspektiven Sozialer Arbeit heute 1 I. Nicht wie im Falle des Phönix aus der Asche, aber auch nicht zu gemächlich, läßt sich gegenwärtig die Heraufkunft eines neuen und erneuerten politischen Bewußtseins in der Sozialen Arbeit, das seine Ursachen in den Widersprüchen spätkapitalistischer Vergesellschaftung und deren Folgen für Lebenslagen wie Lebensweisen der Menschen (vgl. Beck 2000) findet, konstatieren. Daraus resultierende Forderungen, die politische Produktivität Sozialer Arbeit herauszustellen, lassen daran festhalten, dass diese Aufgabe sich auch - wenn nicht sogar wesentlich - als Reformulierung und Weiterentwicklung von Positionierungen, wie sie in den Kontexten von Büchern wie den 'Gesellschaftlichen Perspektiven' sowie der Beiträge der 'Arbeitskreise Kritische Sozialarbeit' in Deutschland und der 'radical social work' im angelsächsischen Sprachraum bereits vor knapp dreißig Jahren auf- und vorzufinden gewesen sind, konzeptualisieren lässt. In vielen Beiträgen der beiden Bände zu den gesellschaftlichen Perspektiven spiegelt sich nicht nur die hier mit dem Übergang vom Fachhochschul- zum Universitätsniveau einhergehende sozialwissenschaftliche Orientierung der Disziplin, die nunmehr als allgemeine Grundlegung für Professionstheorie und politik genommen wird, sondern auch ein grundlegendes und weitgreifendes gesellschaftskritisches Bewußtsein über die historisch-sozial vermittelten Konstitutionsbedingungen der 'Objekt- und Handlungsbereiche' Sozialer Arbeit. Damit ist dann auch eine entscheidende Folie für eine vergleichende Prüfung und Analyse internationaler Beiträge und Diskurse benannt. Das, was heute in der Folge gesellschaftlicher Strukturbrüche und ihrer Konsequenzen - u.a. einer Spaltung der Gesellschaft in der Gestalt der Zweidrittelgesellschaft - für die materiellen wie immateriellen Lebensbedingungen vieler Menschen im Spätkapitalismus zum Problem wird, bildete auch schon in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern - wiederum in der historischen Aufnahme von Auseinandersetzungen aus den 30er Jahren im Falle der USA (vgl. Burghardt/Fabricant 1987: 456 f.) - den Ausgangspunkt vieler und vielfältiger Debatten um Soziale Arbeit und Gesellschaft, in die Problemstellungen zu Geschichte und Theorie der Disziplin und 1 Profession eingelassen waren . Nachdem zwischenzeitlich Reden über 'Moral' und 'Pädagogisierung' manche Debatten im Felde Sozialer Arbeit und Gesellschaftspolitik (vgl. Sünker 1988) zumindest zu beherrschen drohten, 1 Der Text wurde publiziert in: Müller, S./Sünker, H./Olk, T./Boellert, K.: Soziale Arbeit. Gesellschaftliche Bedingungen und professionelle Perspektiven. Neuwied: Luchterhand 2000, S. 209 - 225 2 kann angesichts der gegenwärtig parallel laufenden 'Privatisierungsideologeme' ein Bezug auf diese frühen Versuche nur sinnvoll sein. II. Vor dem Hintergrund der Bedeutungsfacetten des immer wieder leitmotivisch durchgespielten Begriffes 'gesellschaftskritisch' setzt eine Reihe dieser - deutschen und angelsächsischen - Beiträge primär damit an, Zusammenhänge zwischen Sozialarbeit und Gesellschaft in ihren gesellschaftspolitischen Funktionsbestimmungen und Wirkungen aufzuschlüsseln: angesprochen wird damit einerseits der Bereich von Macht- und Herrschaftsverhältnissen und andererseits die Frage von Form und Gehalt der Professionellen-Klienten-Beziehung; in einem dritten Zugriff werden Verbindungen zwischen den ersten beiden Komplexen thematisch. Mitgesetzt ist hierin immer auch der Versuch, die "alte", fürsorgerisch begründete Tradition, in der "organizing good intentions" und soziale Kontrolle in einer primär pädagogisierenden Weise verbunden waren, zu überwinden. So heißt es in grundsätzlicher Weise in H.-U. Ottos Text "Professionalisierung und gesellschaftliche Neuorientierung - Zur Transformation des beruflichen Handelns in der Sozialarbeit", es gehe darum zu verhindern, dass Sozialarbeit "zum Agenten eines sozialpolitisch verbrämten Status quo" werde. Voraussetzung dafür aber sei eine Kritik an einem theoretischen Mißverständnis von Sozialarbeit, das "Ideen und deren Veränderung bereits als Determinanten gesellschaftlicher Veränderung" betrachte und mit "einem praktischen Mißverständnis der 'bloßen' gesellschaftspädagogischen und sozialkaritativen Aktivitäten (einhergehe). Das aber sind die Wurzeln einer Sozialarbeit als "professionaler Altruismus", der gesellschaftlich zu ziehende Konsequenzen nur in erzieherischen Forderungen ausmünden läßt" (Otto 1973: 248). Lässt sich diese Position durch das affirmative Verhältnis zum 'sozialen Kapitalismus' einerseits begründen und durch die Feststellung erhärten, daß ohne Einbeziehung politisch-ökonomischer Analysen eben kein systematisiertes Wissen über die Gesellschaft erzielt werden kann (Otto 1973: 253; vgl. Dewe/Otto 1987), so bleibt doch insgesamt die Frage nach dem scheinbar so geringen emanzipatorischen Innovationspotential der Sozialarbeit in der Bundesrepublik" (Otto 1973: 251), auf die H. Peters in seinem Beitrag "Die politische Funktionslosigkeit der Sozialarbeit und die 'pathologische' Definition ihrer Adressaten" eine mögliche Antwort gibt. Seine grundsätzliche Kritik an der Sozialarbeit verdeutlicht, dass Ottos negative Perspektive als realistische bzw. realisierte begriffen werden kann: denn Peters zufolge fehlt es in der Sozialarbeit eben an jenen gesellschaftlichen Analysen, "die Gesellschaft etwa unter der Perspektive des Begriffs der Herrschaft betrachteten und die damit den Objektbereich der Sozialarbeit politischer Disponibilität 3 zugänglich machen würden". Und er erklärt ideologiekritisch orientiert zugleich auch, warum dem so ist: "Die Fürsorgeliteratur vermeidet es damit, Herrschaftsstrukturen implizit und potentiell zu bedrohen; und sie beugt damit einer Bedrohung der Sozialarbeit vor" (Peters 1973: 162). Eingeleitet hatte Peters diesen Gedankengang mit der Frage nach den Möglichkeiten, Vorschläge zur Veränderung der Gesellschaftsstruktur zu machen, "etwa den Vorschlag einer radikalen Einkommensumverteilung, den Abbau von Verhaltenskontrollmöglichkeiten übergeordneter 2 sozialer Positionen, die Herstellung größerer Verhaltensautonomie in allen Schichten". Er verband dies aber zugleich mit dem Aufweis von Konsequenzen, die der Profession nicht genehm sein dürften: "Solche Vorschläge würden auf den Widerstand der jeweils privilegierten Personengruppen stoßen. Eine Sozialarbeit, die solche Vorschläge machte, würde die Basis verlassen, der sie ihre gegenwärtige Existenz verdankt. Ihre Adressaten aber wären dann die politischen Instanzen. Die Sozialarbeit würde unter politischen Druck geraten, dem sie sich wegen ihrer Abhängigkeit von den politischen Instanzen, die sie finanzieren, nur schwer widersetzen könnte" (Peters 1973: 161f.). So aber bleibt es bei der Entpolitisierung und Verharmlosung politischen Räsonnements (Peters 1973: 156). Auch H. Zander ist in seinem Text "Sozialarbeit und Armut - Der Begriff der Armut in seiner Bedeutung für eine marxistische Theorie der Sozialarbeit" daran interessiert, die Voraussetzungen und Folgen sozialarbeiterischen Handelns im Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse präzise als Vermittlungsleistungen von Individuum und Gesellschaft zu bestimmen. Zugleich bestimmt sich daraus auch die praktisch eingreifende, damit verändernde Perspektive einer progressiven sozialpädagogischen Tätigkeit, die "sich nicht mehr mit der Erfüllung subsidiärer und komplementärer Funktionen begnügt, die durch die Instanzen sozialbürokratischer Kontrolle vorgeschrieben sind. Die Durchsetzung praktischer Veränderung im Interesse ihrer Handlungsadressaten konfrontiert die Sozialarbeit unmittelbar mit bestimmten restriktiven Bedingungen von Interesse, die in unserer Gesellschaft vorab die materiellen Bedingungen der ökonomischen Basis sind" (Zander 1973: 233). In diesen Zusammenhang gestellt ist auch seine gerade gegenwärtig besonders aktuelle - theoriebildende Überlegung: "Die Analyse des objektiven Zusammenhangs von Armut und Arbeit wäre für eine marxistische Konzeption der Sozialarbeit die Prämisse, aus der sie die praktisch-politischen Folgerungen zu ziehen hätte. Sie weiß, daß sie es mit sozialen Defiziten zu tun hat, die jenseits ihres Ursprungs in der ökonomischen Basis sich als Erscheinungen rechtlicher Strukturen und Faktoren individueller Sozialisation manifestieren. Sie weiß vor allem, daß die Beseitigung von Defiziten die Beseitigung ihrer Bedingungen einschließt" (Zander 1973: 258f.). 4 Diese politisch-gesellschaftliche Bedingungsanalyse, die die herrschaftliche Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft in ihren Konsequenzen für die Mitglieder dieser Gesellschaft ins Zentrum stellt, ist gleichfalls leitend für "Überlegungen zu einer Metatheorie der Sozialarbeit", wie sie von F. Haag, E. Parow, L. Pongratz und G. Rehn vorgetragen werden. Weil auch diesem Ansatz zufolge das Ziel Sozialer Arbeit in der strukturellen Beseitigung gesellschaftlicher Unterprivilegierung besteht, hat eine metatheoretische Konzeption der Disziplin die Gesamtgesellschaft sowie gesellschaftliche Systemebenen mitsamt den darin eingelassenen Methoden und Arbeitsfeldern zu berücksichtigen. Dementsprechend schlagen die AutorInnen eine Aufgliederung der Sozialarbeit in drei Funktionsebenen vor: "Wir verstehen Sozial- und Gesellschaftspolitik, Sozialplanung und Sozialadministration und schließlich (kritische) Sozialtherapie als drei Handlungsebenen der Sozialarbeit, deren Schwerpunkte auf gesellschaftlichen Teilsystemen unterschiedlicher Größenordnung liegen: In der Sozialtherapie geht es in erster Linie um Einzelpersonen, Kleingruppen und Intergruppenbeziehungen; Sozialplanung richtet sich auf soziale Infrastruktur und Institutionen; Sozial- und Gesellschaftspolitik auf Aspekte der gesellschaftlichen Gesamtstruktur" (Haag et al. 1973: 173). Deutlich wird in allen hier herangezogenen Beiträgen weiterhin, dass eine gesellschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Orientierung von Theorie und Praxis Sozialer Arbeit zudem noch einer besonderen "Unterfütterung" des Adressatenbezuges bedarf: Das, was in neueren Beiträgen zur Theorie der Disziplin und Profession mit Subjektivitätsproblematik bzw. Subjektorientierung benannt und analysiert wird (Horn 1987; Sünker 1988, 1989; Winkler 1988), taucht hier auf als Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von sozialen oder kollektiven Lernprozessen zum Zwecke der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und der Beförderung der Selbsttätigkeit von Subjekten (Otto 1973: 247; Haag 1973: 181 f.; Vogel 1973: 219). III. Eingebunden in Organisationsversuche von SozialarbeiterInnen wie im Falle vom 'Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit' (in verschiedenen Regionen der BRD) als auch damit zum Teil einhergehenden Zeitschriften, hier vor allem dem "Infomationsdienst Sozialarbeit" des Sozialistischen Büros/Offenbach (oder auch die eine Reihe von Jahren existierende Zeitschrift anderer Provenienz "Erziehung und Klassenkampf"), lassen sich Debatten rekonstruieren, die analytisch über weite Strecken ähnlich ausgerichtet waren wie diejenigen in den 'Gesellschaftlichen Perspektiven', die aber stärker noch sowohl auf die Theorie-Praxis-Debatte sich bezogen als auch auf Fragen des beruflichen Alltags. 5 "Der AKS, gegründet 1970, nachdem die 'antiautoritäre Studentenbewegung' den Bereich der Sozialarbeit verspätet erreicht hatte, war Sammelbecken für eine größere Zahl von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen, die unzufrieden waren mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen, der Abhängigkeit von fachfremden Entscheidungen der Sozialbürokratie, dem Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit und der Tatsache, daß sich die Lage des Klientels zunehmend verschlechterte. In dieser Anfangsphase war das Engagement und der Optimismus ungeheuer groß, glaubte man doch durch eine entsprechende Strategie mit breiter solidarischer Unterstützung der Kollegen die Institutionen zu verunsichern und wesentliche Veränderungen am Arbeitsplatz durchführen zu können" (Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit, West Berlin 1974: 29; vgl. Geschichte 3 des AKS Frankfurt 1973) . Vor diesem Hintergrund wurden denn auch im gleichen Heft, der zweiten Ausgabe des Infodienstes überhaupt, unter der Überschrift 'Sozialarbeit in Institutionen' folgende miteinander konfligierende Punkte als Aufgaben der Sozialarbeit herausgestellt: "Möglichkeiten der Demokratisierung von Sozialarbeit, der Veränderung von inhaltlichen Konzepten; Konfliktstrategien und eine Analyse der Gegenstrategien und Funktionen von Institutionen" (Informationsdienst Sozialarbeit H. 2/1973: 3). Im Zusammenhang mit dem, was dort als "geistige Radikalität" vorgestellt wurde, ergaben sich quasi notwendigerweise - anlässlich der zeitgeistigen Verhältnisse, aber auch der realen Arbeitsbedingungen und -perspektiven Diskussionen um das Verhältnis von Reform und Revolution, was dazu zwang, ähnlich wie in den später noch abzuhandelnden angelsächsischen Beiträgen, sich der Frage nach "working in and against the state" zu stellen. Eine herausragende Problemstellung in diesem Zusammenhang wurde unter der Überschrift "Antikapitalistische Reformarbeit" diskutiert (Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit, West Berlin, 1974: 6 ff. ; Informationsdienst Sozialarbeit H. 11/1975: 3 ff.). Berührt waren damit Fragen nach den Differenzen von institutionellem Zweck und dem Selbstverständnis von Sozialarbeit, von Verwaltung und Profession, was zum einen zur Diskussion der Lohnarbeiterqualität von Sozialarbeit und deren Folgen (Kunstreich 1975; s. weiter Aly 1977) führte, wie zum anderen zur folgenden grundsätzlichen Einschätzung 'zwang': "1.) Es gibt in der Regel für Sozialpädagogen (Erzieher etc.) keine politisch relevante Alternative zur Arbeit in den bestehenden Erziehungsinstitutionen. Dort sind die entsprechenden Veränderungen zu erkämpfen und nicht in irgendwelchen Freiräumen, die früher oder später sich doch als unhaltbar erwiesen. 2.) Selbstorganisierte Einrichtungen von proletarischen Jugendlichen (Rauch-Haus, Jugendzentren etc.) sind politisch zu unterstützen, bieten aber (logischerweise) keine Berufsperspektive. 6 3.) Es gibt keine Möglichkeit, sich den gesellschaftlichen Widersprüchen, die sich immer auch in der eigenen (Berufs-)Tätigkeit ausdrücken, zu entfliehen. Die eigene Tätigkeit wird immer Doppelcharakter haben: einmal einen herrschaftssichernden (qua 'Liberalisierung', Feigenblattfunktion etc.), zum anderen einen die reale Situation der proletarischen Jugend verbessernden (qua Verbesserung der Situation der von Heimerziehung betroffenen Jugendlichen, Minderung des Droh- und Disziplinierungscharakters der Heimerziehung etc.). 4.) Eine widerspruchsfreie sozialistische Praxis ist nicht möglich, sondern nur eine antikapitalistische insofern, als daß die Praxis bürgerlicher Heimerziehung - Deklassierung tendenziell aufgehoben wird in Richtung Reintegration in die proletarische Klasse. (....) 7.) Um nicht im bloßen Reformismus stecken zu bleiben, hat der Sozialpädagoge sich zu organisieren und den organisierten Kampf um seine Interessen aufzunehmen" (Kritische Gruppe Westberlin 1973/74: 27 f.). Funktionsanalysen sozialer Arbeit wie Einschätzungen zu beruflichen Mustern führen zu der Feststellung, dass die Profession mit Problemen aus den Bereichen "Institutionalisierte nichtfamiliäre Sozialisation", "Institutionalisierter Systemerhalt" sowie "Institutionalisierte Legitimation" befaßt ist (Kunstreich 1975: 42), was der Analyse zufolge dazu führt, dass sich unter 4 Sozialarbeitern weitgehend eine "klinische Orientierung" (Kunstreich 1975: 46) verbreitet. Demgegenüber wird eine Perspektive vorgestellt, die mit "sozialistischer Orientierung" sich benennen lässt und deren zentrale Elemente sich dadurch auszeichnen, dass ausgehend von der "kollektiven sozialen Lage der Betroffenen" darauf hingearbeitet werden soll, diese Lage wie auch die der eigenen Arbeitsorganisation qualitativ zu verändern (Kunstreich 1975: 47 f.). IV. Betrachtet man die analytischen Orientierungen, die Dimensionen gesellschaftspolitischer Kritik sowie professionelle Interessen im Rahmen der verschiedensten und vielfältigsten Beiträge zu einer "radical social work", so ist deutlich zu erkennen, dass diese Diskurse zur Theorie, insbesondere zu dem Theorie-Praxis-Verhältnis, über weite Strecken den Leitmotiven und Argumentationsfiguren aus der deutschen Diskussion nahe kommen bzw. ihnen entsprechen. Den herausragenden Bezugspunkt aller Debatten bildet dabei die Frage, wie sich substantielle gesellschaftliche Veränderungen in Eigentumsverhältnissen und Machtpositionen betreiben lassen und welche Rolle der Sozialarbeit im Rahmen der Beförderung oder Verhinderung derartiger 7 Prozesse zukommt. Zentriert um Konzeptionen einer "Radical Profession" (vgl. Wagner 1990; Heraud 1973; Leonard 1975; Bailey/Brake 1975, 1980) und der darin eingelassenen Problematik von "practice in and 5 against the State" (Leonard 1993: 155) , wurden gesellschaftliche Verortungen sozialer Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaftsformation in ihren politischen und professionellen Konsequenzen 6 diskutiert. Eingebunden waren diese Diskurse - wiederum vergleichbar mit der deutschen Situation - zum einen in der akademischen Welt - mit ihren entsprechenden Buchreihen und Readern - sowie in aktivistisch ausgelegten Organisationsansätzen, gruppiert um Zeitschriften wie "Case Con" (U.K.) (s. Bailey/Brake 1975: 144ff.) oder "Catalyst: A Socialist Journal of the Social Services" (USA), in denen analytische Grundlegungen, Beiträge zum Theorie-Praxis-Verhältnis, zur Praxis sich auffinden lassen. Eingelassen in diese Positionierungen ist zugleich eine grundsätzliche Kritik an Praxen sozialer Arbeit, die mit der Pathologisierung, Individualisierung und Therapeutisierung des Klientels arbeiten (vgl. Heraud 1973: 97; Leonard 1975: 49; Bailey/Brake 1975: 1). Mit dieser Kritik verbindet sich die grundsätzliche Frage, was denn das "Radikale" an der Radical Social Work sei und wie sich dieses auf die konkrete Praxis auswirke (vgl. Bailey/Brake 1980: 12; Bailey 1980; Leonard 1975). In einer möglichen Antwort auf diese Frage führen Burghardt und Fabricant (1987: 456) aus: "Radical practice begins with the fundamental premise that the circumstances of at-risk populations can be traced to political or economic relationships that exist in the larger social order. Consequently, problems of individual clients tend to be defined in terms of larger social forces that shape the individual's circumstance... In effect, the psychological, economic, or social deprivations of the individual are viewed as the most concrete expression of the inequitable distribution of power, resources, and status in the larger political economy". Gesellschaftstheoretisch orientiert und demokratiepraktisch interessiert ergibt sich als - allgemein anerkannte - Aufgabe die Notwendigkeit, dass Soziale Arbeit eine kritische Theorie der Gesellschaft zu entwickeln habe, mit der es gelänge, Gesellschaftsformationen danach zu unterscheiden, inwieweit sie eine Basis für die Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen abgäben und damit sich für die Soziale Arbeit als anschlussfähig erwiesen: "Only in this way, it can be 7 argued, are the basic aims of the professions fulfilled" (Heraud 1973: 96) . Mit diesem Ansatz verbindet sich unmittelbar die analytische Aufgabe, gesellschaftliche Funktionen und Perspektiven Sozialer Arbeit zu untersuchen bzw. zu bestimmen. Die Frage der 8 "politischen Produktivität" Sozialer Arbeit wird dabei - wie oben angedeutet - in zwei Linien entwickelt. Zum einen geht es - klassisch - um die Analyse der politischen Funktion(en) von Welfare/Welfare State und der damit verbundenen Sozialen Arbeit, zum anderen um die reformistische oder revolutionäre Veränderungsperspektive von Gesellschaft und Sozialer Arbeit. Gemeinsam ist fast allen Beiträgen die Einschätzung, daß es gelte, Unterdrückungs- sowie Befreiungselemente Sozialer Arbeit herauszudestillieren (Leonard 1975; Bailey/Brake 1975; Wagner 1990). Dabei ist es (verständlicherweise) einfacher, im Kontext der Analysen zur "sozialen Kontrolle" die Unterdrückungs- und Einteilungsfunktionen Sozialer Arbeit herauszustellen: "Regulating the Poor" (Piven/Cloward 1971; vgl. Katz 1989), Herrichtung bzw. Disziplinierung der "Labour Force" (analog zur deutschen "Proletarisierungsthese"), "Ruhigstellung" der Opfer gesellschaftlicher Strukturen und Zwänge (Leonard 1975; Bailey/Brake 1975, 1980; Gil 1977) sind die Leitmotive bzw. Ergebnisse so angesetzter Untersuchungen. In Folge einer - häufig anzutreffenden - Orientierung am Theorieansatz von Gramsci wird aber zugleich auf die Widersprüche im Kapitalverhältnis selbst wie auf die der Sozialarbeit immanenten Widersprüche, daraus folgender Ambiguität in Theorie und Praxis, verwiesen. Soziale Arbeit erhält wegen ihrer strategischen Bedeutung in der Arbeit an der Reproduktion sozialer Ungleichheit und ihres Beitrags bei der Herstellung von Massenloyalität einen strategisch relevanten Platz im Kampf um Hegemonie; sie kann - unter konkretisierbaren Bedingungen - in den hegemonialen Auseinandersetzungen auch eine andere Rolle als die der Unterdrückung, Disziplinierung und 8 Zurichtung spielen. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Einschätzung, dass es sich beim Wohlfahrtsstaat, dem Staatsapparat, um eine Kampfarena handele (vgl. Leonard 1993: 156ff; 1990), ergibt sich die Aufgabe, alternative Konzepte in Bezug auf Fragen von Professionalität, Organisation, Praxis und Professionellen-Klienten-Beziehung zu entwickeln. Gerade um der Einsicht willen, daß es sich darum handelt, zum einen Notlagen zu beheben und zum anderen deren strukturelle Bedingungen zu verändern, werden Praxisfragen mit denen der Bewusstseinsbildung (auf Seiten aller Beteiligter) verbunden (Leonard 1975: 53f.). Sollen Spaltungen im Verhältnis von Professionellen und Klienten überwunden werden (Heraud 9 1973: 90) , so hat das Folgen für Konzepte von professionellem Selbstverständnis wie für Einschätzungen über die Stellung von Klienten, die dann auch als "Konsumenten" oder "User" benannt werden. Gerade wenn davon ausgegangen wird, "the solution lies not in a recipe book for individual problems, but in developing through practice ways of working which will give support to 9 social change and which will genuinely affect the lives of consumers" (Brake/Bailey 1980: 25; vgl. Wagner 1990: 23ff.) und dies verbunden wird mit der Einschätzung, "the question of what organizational form social welfare provision should take is likely to continue to appear on the Left's political agenda for years to come" (Leonard 1990:23), werden Fragen nach Realitätshaltigkeit wie Realitätsmächtigkeit und Durchsetzbarkeit virulent. Leitmotivisch werden hier Konzepte von "Welfare Rights", "User Involvement" und "Participation" bedeutsam (vgl. Parry et al. 1979: 165 ff.; Beresford/Croft 1986; Croft/Beresford 1989). Gefordert wird damit, Verknüpfungen herzustellen zwischen Überlegungen zu "professional accountability" und "participatory democracy", um zu einem substantiellen Perspektivenwechsel mit Blick auf Sozialpolitik (im Sinne von Gesellschaftspolitik) und der Demokratisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse zu 10 gelangen. Nicht nur ergänzt durch die Vorstellung von dem - durchaus mehrdeutigen - Begriff "Empowerment" (vgl. Langan/Lee 1989: 9; Simon 1994), darin eingelassener "dialogischer Beziehungen" (Leonard 1975: 59; 1993: 162f.) wird also einem individualisierenden "Pathology Model of Practice" (Leonard 1975: 49) etwas entgegengestellt, was sich in unterschiedlichen Gestalten konkretisieren soll und läßt. Der Arbeit mit Individuen und am System (Leonard 1975: 50), damit einhergehenden Entwicklungen eines kritischen Bewußtseins, entsprechen dabei Positionierungen, die "social learning" (Leonard 1975: 53) sowie eine auf Ressourcen bezogene Praxis (Heraud 1973: 94f.) zu wesentlichen Gegenstandsbereichen Sozialer Arbeit erklären. Unter diesen Voraussetzungen nimmt es nicht wunder, dass Langan und Lee in einem retrospektiven Beitrag, der die Entwicklung von Radical Social Work analysiert, herausheben: "One of the major achievements of the original radical social work movement was that it questioned conventional practice in terms that pushed the interests of the client to the fore, and as such made sense to practitioners. It pointed out, for example, just how frequently conventional practice militated against client empowerment as well as against progressive social change. For the most part the critics of radical social work have ignored the extent to which radical social workers are steeped in practice. Many have been attracted to radical theory because they found conventional theory inappropriate for practice in the real world. Too often such theory is remote from reality, denying for example the impact of racism or the extent to which government legislation, particularly in the sphere of income maintenance, is making social workers agents of punitive and repressive policies. Radical social work texts habe been widely read by practitioners, and practitioners have made important contributions to radical theory" (Langan/Lee 1989: 7; vgl. 11 Withorn 1984) . 10 Wenn Langan/Lee schließen, angesichts von ökonomischer Rezession und politischer Reaktion sei es besonders bedeutsam, daß die VertreterInnen der Sozialen Arbeit sich der gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Bedingungen ihrer Praxis bewußt seien - und sie sogar betonen: "Never has it been more important for social workers to act in ways that minimize the worst effects of current state policies and maximize the potential for resistance of the underclass" (1989: 17) -, so verweist dies noch einmal auf substantielle Gemeinsamkeiten zwischen angelsächsischen und deutschen Ansätzen in der gesellschaftsanalytischen Orientierung und Aufgabenstellung, die gewichtiger sind als jene Differenzen, denen sich Disziplin und Profession in der Folge unterschiedlicher politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse ausgesetzt sehen. V. Die Forderung nach einem politischen Bewusstsein aller Beteiligten im Bereich der Sozialen Arbeit als Voraussetzung für die Möglichkeit einer Rekonzeptualisierung des Verhältnisses von Politik und Sozialer Arbeit steht auf der Tagesordnung und ist in die Öffentlichkeit, vor allem die professionelle Öffentlichkeit, zu bringen. Angesichts der Erkenntnisse über das gegenwärtige "Staatsversagen" als Folge der "Krise einer Produktionsweise" und der "Rigiditäten einer Machtkonstellation" (Jänicke 1986: 132), angesichts der Erkenntnisse über die Grenzen der "Erwerbsgesellschaft" und darin eingelassene unterschiedliche Entwicklungspfade (Bonß 2000), angesichts der übergreifenden Erkenntnisse über das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat, hegemonial verfaßten Klassenstrukturen und Prozessen der Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit (vgl. Wright 1997; Fabricant/Burghardt 1992; Altvater 1982) sowie der Einsicht in die politische, ökonomische und kulturelle Bedeutung des Wohlfahrtsstaates als "Gesellschaftsersatz" im Rahmen des fordistischen Kompromisses (Gorz 12 1989: 261ff.) stellt sich die Frage nach den Konstitutionsbedingungen eines derartigen Bewußtseins wie die nach den Möglichkeiten einer alternativen, emanzipatorischen Praxis (vgl. Sünker 1999); dies in einer immer dringlicher werdenden Weise, betrachtet man die Strategien der Bewußtseins- wie Praxisformierung - in vollem 'Bewußtsein' über das, worum es geht, konzipiert und betrieben - im hegemonial vermittelten herrschaftlichen Interesse (vgl. Flacks 1999; Bourdieu 1998: 39f.; Chomsky 1998; Duchrow 1997: 102ff) 13 - verstärkt wird dies nicht zuletzt auch im Wissen um den prekären Stand wie Zustand der Sozialwissenschaften in dieser Zeit (vgl. Görg/Roth 1998; Narr 1999). Gefordert ist demzufolge eine Soziale Arbeit, die sich in Theorie, Praxis und analytischer 11 Kompetenz ihrer gesellschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Kontexte wie ihrer professionellen Perspektiven bewußt ist, um substantielle gesellschaftliche Veränderungsprozesse erneut zu ihrem Thema zu machen: "Generative social service has the potential to make citizens and workers stakeholders in a change process. This kind of investment is critically associated with opportunities to honestly name problems and struggle to effect change. The potential of this process also rests with the opportunity for service workers and citizens seeking services to take greater control of their lives by initiating and not simply reacting to change. It is through such engagement at the practice level (to processes of social reproduction) that the client, worker, and agency begin to make connections to larger struggles within the welfare state. As new tensions emerge and expanded possibilities for collaborative relationships are established, the ability of workers and clients to affect the accumulation-legitimation functions of the welfare state increases. This process is guided by the interaction among worker-client relations, agency need, and coalitional efforts. These conditions tightly fasten the 'politics of social services' to daily work experiences" (Fabricant/Burghardt 1992: 247; vgl. Sünker 1995). In ein qualitativ neues Verhältnis zueinander zu setzen sind somit Überlegungen zu Gesellschaftsanalyse, Gesellschaftspolitik und professionellen Kompetenzen, die es durch die Analysen gesellschaftlicher Wirklichkeit sowie von professioneller Praxis in Institutionen sowie auf der 'Nutzerseite' zu konkretisieren gilt. Das, was in der angelsächsischen Debatte als 'transformation of consiousness' oder 'consciousness raising' perspektivisch gefaßt wird (Fabricant/Burghardt 1992; Abramovitz 1993; Leonard 1993; vgl. auch Sünker 1999, 2000), ist dementsprechend nicht allein auf der Nutzerseite zu sehen, sondern soll auch ein Zentrum der professionellen Praxis darstellen (vgl. Sünker 1989; Otto 1991). Es geht damit auch, um ins Zentrum der hegemonialen Auseinandersetzungen 'vorzustoßen', auf der Basis einer Kritik wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen "um nicht mehr und nicht weniger als um die Entwicklung alternativer Formen der Vergesellschaftung, also darum, den Sozialstaat eher als eine gesellschaftliche denn als eine obrigkeitsstaatliche Veranstaltung zu begreifen“ (Altvater 1982: 139; vgl. Gorz 1989: 257ff.; Schweikart 1996; Duchrow 1997). Dass damit insgesamt die Frage nach dem Charakter der Vergesellschaftung der Gesellschaft und deren problematischen Folgen (wieder) auf der Tagesordnung steht, zeigt bereits ein von Adorno vor dreißig Jahren eröffneter gesellschaftswissenschaftlicher Problemhorizont, wenn dieser davon spricht, "ob nicht überhaupt mit der sich steigernden Integration der Gesellschaft, als einem sichtbaren Phänomen, zusammengehende Tendenzen zu einer Desintegration der Gesellschaft in gewissen Tiefenschichten, also zu einer Desintegration in dem Sinn, daß die verschiedenen 12 gesellschaftlichen Prozesse, die zusammengeschweißt sind, aber weitgehend aus divergenten oder einander widersprechenden Interessenlagen erwachsen, immer mehr einander widerstreben, anstatt jenes Moment von Neutralität, von relativer Gleichgültigkeit gegeneinander zu behalten, das sie in 14 früheren Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung einmal gehabt haben" (1993: 79) . Komplementär zu dieser 'Verdichtungsdiagnose' von Sozialität durch Adorno sind Befunde Lefebvres zur Analyse der gegenwärtigen Gesellschaftsformation, die er als "bürokratische Gesellschaft des gelenkten Konsums" benennt (1972), heranzuziehen, wird doch bei ihm mit Bezug auf Probleme der Existenzweise, der darin eingebetteten Fragen von Autonomie und Abhängigkeit, Selbstbestimmung und Fremdbestimmung deutlich, dass an die Stelle autonomer Tätigkeiten mehrheitlich "Haltungen" getreten sind (Lefebvre 1975: 243). Dies aber hat heute entscheidende Konsequenzen für die strukturelle Arbeit an Alternativen wie für die konkrete Praxis aus der Sicht von Profession wie Nutzer. Um deren Realitätshaltigkeit wie Realisierungsmöglichkeit zu erhalten, stellt sich - auf der Folie einer gesellschaftstheoretisch begründeten Bildungs- und Subjekttheorie (Sünker 1999, 2000) - die Aufgabe, das Konzept einer "Politik des Sozialen" mit dem einer subjektorientierten Sozialen Arbeit zu vermitteln (vgl. Sünker 1988; Redaktion 'Widersprüche' 1989; Schaarschuch 1990). Wenn damit die Perspektive einer Autonomie der Lebenspraxis aller, die auch durch professionell 15 initiierte Bildungsprozesse zu befördern und durch ihren Bezug auf soziale Gerechtigkeit zu verallgemeinern ist, als realistisch vorausgesetzt wird, dann steht erneut - mit dem Marx der "Grundrisse" - die Auslegung der Perspektive "Assoziation freier Individuen" (Marx) auf der Tagesordnung einer öffentlichen Diskussion. Denn die gesellschaftstheoretische Begründung und Verortung dieser Idee ist zentral, wenn es darum geht, Soziale Arbeit nicht in 'Normalisierungsarbeit', 'Zurichtung' oder in ihrem Beitrag zu einer wie auch immer gearteten 'Gemeinschaftsstiftung' aufgehen zu lassen, weil sich hinter den Reden von der 'Autonomie der Lebenspraxis' und der 'Assoziation freier Individuen' das grundsätzliche Problem einer nicht subsumtionslogisch verfahrenden Gesellschaftstheorie samt einer darin eingebundenen Gesellschaftspolitik in ihren Folgen für die Individuen, also das Problem von Freiheit und Gleichheit (s. exemplarisch Steinvorth 1999), verbirgt. Es handelt sich um die - intersubjektivitätstheoretisch begründete - Auffassung möglicher Beziehungen zwischen Allheit und Einzelnen angesichts der Vorstellung einer "Verwandlung der Einzelheit (der Individuen, H.S.) um dieser selbst willen, als notwendige Beziehung dafür, daß die Einzelnen in der Allgemeinheit sie selbst sein können" (Theunissen 1978: 482; vgl. Adorno 1966: 336 ff.). Was auf der einen Seite als gesellschaftlich produzierte, mit der Durchsetzung und Etablierung des 13 Kapitalverhältnisses einhergehende (vgl. Berman 1988) - und nicht nur scheinhafte - Freisetzung von sozialen Rollenerwartungen, als Auflösung von traditionalen Milieus, Klassenbildungen und Lagern, als Verstärkung der klassischen Problemlage von Privatismus und Egoismus in der bürgerlichen Gesellschaft verstanden werden kann, lässt sich auf der anderen Seite als Erweiterung individueller Handlungsräume wie Gestaltungsaufgaben interpretieren; dies mit der Folge, dass nicht nur für die Soziale Arbeit die zu bearbeitenden Problemlagen diffuser, weil weniger einheitlich, fragiler und weniger klar - eben nicht länger expertenhaft - zu definieren sein werden. Die Herausforderung einer Fortschreibung der Debatte um eine politische Produktivität Sozialer Arbeit, damit einer Antwort auf die Frage nach den gesellschaftliche Perspektiven von Disziplin und Profession heute, besteht demzufolge in der Verteidigung und Weiterentwicklung von theoretischen wie praktischen Konzepten, die die Möglichkeiten Sozialer Arbeit über die Vorstellung eines Beitrags zum 'gesellschaftlichen Funktionieren' von Individuen hinweg „zerdenken“ (Wallerstein 1991) und im Interesse einer weiteren Demokratisierung von Gesellschaft substantiell, weil die Partizipation aller thematisierend, hinausführen Literatur Abramovitz, M. 1993: Should all Social Work Students Be Educated for Social Change ?, in: Journal of Social Work Education 29 Adorno, T. W. 1966: Negative Dialektik. Frankfurt/M. Adorno, T.W. 1993: Einleitung in die Soziologie (1968). Frankfurt/M. 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In einer sozialwissenschaftlich reformulierten Positionsbestimmung findet sich bei Böhnisch die Aussage: "Ein so verstandener Bezugsrahmen der politischen Bedingungen sozialpädagogischer Erkenntnis vermittelt Annahmen über den Vergesellschaftungsprozeß und seine Folgeprobleme mit Aussagen über sozialpädagogische Interventionszusammenhänge auf gesellschaftlicher, institutioneller und Interaktions-Ebene. Ein solcher sozialpädagogischer Bezugsrahmen, wie wir ihn im weiteren auch inhaltlich entwickeln wollen, ist natürlich nicht umfassend: er ist von einer bestimmten Perspektive her entwickelt, der Perspektive der politischen (hier: vergesellschaftungsbezogenen) Bedingungen sozialpädagogischer Erkenntnis und Intervention. Er ist aber nicht ‚isoliert‘ gestaltet, denn gerade diese Vergesellschaftungsperspektive in ihrer Durchgängigkeit genauso wie in ihrem ambivalenten Gehalt ist auf eine qualitative Erweiterung des Bezugsrahmens in interaktions- und subjektbezogener Richtung angelegt" (1979: 35f.; vgl. weiter Hamburger 1995). 2 Für die deutsche Diskussion sind hier Rahmungen zum Verhältnis Sozialer Arbeit und Staat aus dem Umfeld der Diskussion über die "Sozialstaatsfrage" bedeutsam. In einer exemplarischen Weise hat Hartwig divergierenden Interpretationsansätze gegenübergestellt: "Modellartig stilisiert liegt die grundlegende Alternative a) in einer Verwirklichung von Sozialstaatlichkeit auf der Basis der gegebenen Besitz- und Herrschaftsverhältnisse mit sozialpolitischen Korrekturen und Ausgleichsinterventionen für alle Teile der Gesellschaft, b) in der Veränderung der überkommenen Besitz- und Statusverhältnisse mit allen Mitteln des demokratisch strukturierten Staates, um den in der Verfassung verankerten Rechten, vor allem denen der Freiheit und Gleichheit zu gesellschaftlich realer Geltung zu verhelfen. Hier liegt der Schlüssel für die Deutung des Sozialstaatsgrundsatzes der Verfassung" (1977: 12; vgl. 15, 313f.). Auf der Basis einer staatsrechtlich und verfassungstheoretisch argumentierenden Position hat Krölls allerdings herausgestellt, dass das Grundgesetz die verfassungsrechtliche Garantie des politisch organisierten Kapitalismus beinhalte, "jenes spezifischen, auf dem sozialen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit beruhenden, am Zweck der abstrakten Reichtumsproduktion ausgerichteten Widerspruchssystems der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft" (1988: 5). Gegen das, was er "Juristensozialismus" nennt, stellt er seine Auffassung von der sozialstaatlichen Aufgabe, die er als "Gewährleistung des im Begriff der Konkurrenz zusammengefaßten Vergesellschaftungsmodus der Eigentumsgesellschaft" (1988: 393) betrachtet. So kann er auch als These formulieren: "Die Analyse des Gewährleistungsinhalts des Verfassungsrechts wird ergeben, daß der Staat, indem er den verfassungsrechtlich kodifizierten Prinzipien ökonomischer Ordnung praktische Gültigkeit verleiht, die Funktionsprinzipien der kapitalistischen Produktionsweise in Kraft setzt" (1988: 39). Vgl. weiter auch die neuere demokratietheoretische Diskussion, in der gerade der Zusammenhang von Eigentumsrechten und individuellen Rechten in seiner Spannung gesehen wird, vor allem bei Bowles/Gintis (1987). 3 Zugleich gilt es hinsichtlich von Theoriekonzeptionen, den darin zum Ausdruck gelangenden Antworten auf die Frage nach dem disziplinären Selbstverständnis, - einen großen Widerspruch -, wie F. Hamburger es formuliert hat, aufzuklären: "Wie nämlich eine Disziplin und ihre Profession in einer euphorisch zu nennenden Grundstimmung expandierte und gleichzeitig ihr Grundlagenwissen aus Theorien bezog, die ihre Funktionslosigkeit, ihren repressiven Charakter, ihren Stigmatisierungsbeitrag und ihre eigene Hilfsbedürftigkeit aufzeigten. Es geht also um die Paradoxie, daß eine umfassende Kritik an der beruflichen Sozialarbeit Grundlage ist für eine optimistische, veränderungswillige und tatmotivierte Studenten- und Dozentengeneration" (Hamburger 1986: 20; vgl. auch Margolin 1997). Interessant ist in diesem Kontext auch, daß das erste Heft der Zeitschrift 'Widersprüche', die 1981 u.a. das 'Info Sozialarbeit' 'ablöste', dem Thema "Hilfe und Herrschaft" gewidmet war. 4 So kommt es vor dem Hintergrund divergierender gesellschaftspolitischer Orientierungen und professioneller Perspektiven - nicht nur im Kontext der deutschen Entwicklung - zu Spaltungen innerhalb der professionellen sozialen Arbeit: "On the one side were the mainstream social workers who pursued their traditional goal of professionalization. They ... followed an individual-change, therapeutic model of practice; ... On the other hand were social workers whose careers were generally a direct result of the country's economic problems. ... (They) were more interested in effectively implementing public welfare programes than in doing therapy with clients, ... The latter group was sharply critical of the 19 former group's professional aspirations" (Popple 1985: 565; Specht/Courtney 1995). 5 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Leonard (1993: 155): "The historical circumstances which are subjected to investigation in this chapter are those which I experienced in the attempt to establish an alternative, critical form of social work education in Britain during the period from 1974 to 1986. It was an educational venture which aimed at encouraging socialist practice within the heart of the state welfare apparatus. It was intended as a contribution to understanding and working with the contradictions of state welfare in order to develop practice 'in and against the State'". Dass diese Orientierung an "Social Change" keine bloß historische Reminiszenz ist, darauf verweist beispielsweise die Auseinandersetzung um die Frage "Should All Social Work Students Be Educated for Social Change?”, auf die Abramovitz folgendermaßen antwortet: " Social work's mission and values have always mandated work on behalf of individual and social change. Since its origins at the turn of the century, social work has strived to maximize human development, self-determination, and social justice and to minimize the conditions that limit these possibilities. At the same time, the profession faced strong pressures to promote individual adjustment and to protect the status quo. The tension between containment and change cannot be avoided because it flows from social work's structural role as mediator of individual and systemic needs that often conflict. If the profession is to close the gap between its purpose and perfomance, social work educators must make a deliberate commitment to train students to become experts in individual and social change. To do otherwise is not only bad practice, but risks an inevitable alignment with society's more conservative social forces" (Abramovitz 1993: 6; vgl. Withorn 1984). 6 S. zu einer anderen Perspektive dieser Debatte die Beiträge in Rueschemeyer/Skocpol (1996), die sich dem Verhältnis von Staat, Sozialem Wissen und Sozialpolitik widmen. 7 Vgl. zu dieser Position auch die Überlegungen von Bowles/Gintis (1987: 204): "Because the growth and effectiveness of democratic institutions depend on the strength of democratic capacities, a commitment to democracy entails the advocacy of institutions that promote rather than impede the development of a democratic culture. Further, because learning, or more broadly, human development, is a central and lifelong social activity of people, there is no coherent reason for exempting the structures that regulate learning - whether they be schools, families, neighborhoods, or workplaces - from the criteria of democratic accountability and liberty". S. weiter zu dieser Problematik auch die Darstellung bei Gil: "Establishment of a public trust of productive resources implies abolition of private ownership and control over these resources. This change, it must be stressed, is to serve the genuine human interests for security and self-actualization of all humans, including the minority of individuals and groups who now own and control most productive resources. The radical transformations proposed here are not directed against propertied individuals and classes but against a social system that oppresses people, reduces the quality of life for all, and threatens the survival of the human species. Transition to a classless social system organized around a public trust of productive resources is meant to enhance the quality of life for all by securing the satisfaction of everyone's material, social, and psychological needs, and by relieving everyone from competitive and alienating struggles for false security and prestige derived from material possessions accumulated in an endless rat-race" (Gil 1977: 60 f.). 8 Zusammenfassend stellt Clarke (1979: 125 f.) diesen Gesichtspunkt folgendermaßen dar: "Social work came under attack as a form of social control exercised under the humanitarian disguise of caring, and this attack was developed into a more theoretically sophisticated analysis of the controlling and ideological function of welfare in the capitalist state. These analyses attempted to undermine the legitimacy of professional definitions of social work in a number of forms. They aimed to demystify the professional claims of social work by pointing to the moral and political issues that were concealed by professional theories and techniques. They attacked social work knowledge and practice for tending to individualize what were essentially social problems rather than individual failings. Finally, they argued that this form of practice operated as a system of social control within capitalist societies, both directly through its effects on the client/victims of social work; and indirectly through ideologically disguising the nature of social problems in capitalist societies" (vgl. weiter Bailey/Brake 1975: 1f.; Popple 1985: 566 f.). 9 Insbesondere die Frage der Professionellen-Klienten-Beziehung ist von Bedeutung, wie auch die Darstellung von Burghardt und Fabricant (1987: 456) zeigt: "Consequently, radicals believe that the professional relationship reinforces clear social distinctions between client and worker by its overutilization of class divisions, formalized expertise, certification, and so on. They thus see that hierarchical relations between client and worker are characteristic of professional social work practice. They also regard the lens through which professional social workers identify and address problems as colored by the organizational structure of bureaucracy. To radicals, the bureaucracy's impulse is to fragment social problems into compartments, or departments, that interact with and intensify the professional's traditional drive toward specialization. These interactions and the professional's traditional commitment to observe the regulative standards of the bureaucracy further narrow the scope of the encounter between worker and client". 10 S. zur Debatte um "Welfare" , "Welfare State" und "Reform" exemplarisch die Beiträge von Pierson (1991); Handler (1995). 20 Bei der Auseinandersetzung um "Welfare" und "Dependency" in den USA wird übersehen, daß wohlfahrtsstaatliche Leistungen durchaus die Lebensqualität der Betroffenen verbessern (s. dazu Mayer/Jencks 1995). Dass es sich bei den Auseinandersetzungen um die "Welfare-Problematik" in Wirklichkeit nicht um die Leistungen für die Armen zu handeln hätte, sondern um den expandierenden Reichtum der immer reicher Werdenden, machen gerade die Entwicklungen in den USA deutlich:"New research, based on data from federal surveys, shows that between 1983 and 1989 the top 20 percent of wealth holders received 99 percent of the total gain in marketable wealth, while the bottom 80 percent of the population got only 1 percent. America produced a lot of new wealth in the `80s - indeed, the stock market boomed - but almost none of it filtered down. Few people realize how extraordinarily concentrated the gains in wealth have been. Between 1983 and 1989 the top 1 percent of income recipients received about a third of the total increase in real income. But the riches 1 percent received an even bigger slice - 62 percent - of the new wealth that was created" (Wolff 1995: 58). 11 Mit dieser Positionierung läßt sich noch einmal der Bezug auf die Ausgangsdiskussion deutlich herausstellen: "In capitalist society, social work operates as part of a social-welfare system which is located at the centre of the contradictions arising from the dehumanizing consequences of capitalist economic production. Social workers, although situated in a largely oppressive organizational and professional context, have the potential for recognizing these contradictions and, through working at the point of interaction between people and their social environment, of helping to increase the control by people over economic and political structures" (Leonard 1975: 55; vgl. Mullaly/Keating 1991). 12 Gorz hat dazu ausgeführt: "In Abwesenheit einer zur Selbststeuerung fähigen Gesellschaft hat er (der Wohlfahrtsstaat, H.S) während der fünfundzwanzig Jahre des fordistischen Kompromisses das ökonomische Wachstum und das Funktionieren des Marktes gesteuert, die kollektive Aushandlung des (zur "Sozialpartnerschaft" umgetauften) Klassenkompromisses institutionalisiert und die Entfaltung der ökonomischen Rationalität über die Schranken, die er ihr (gleichzeitig) auferlegte, sozial tolerierbar und materiell tragfähig gemacht. Er war jedoch niemals Produzent von Gesellschaft und konnte dies auch gar nicht sein. Die steuerliche Umverteilung der "Früchte des Wachstum", die sozialen Vorsorgesysteme gesetzlicher Versicherungspflicht, des Gesundheitsschutzes (usw.) traten recht oder schlecht an die Stelle der aufgelösten sozialen Bindungen, aber sie schufen keine neue gesellschaftliche Solidarität: Die Bürger waren nicht die handelnden Subjekte des Sozial-Etatismus; sie waren als Anspruchberechtigte, Beitragspflichtige und Steuerzahler seine Verwaltungsobjekte. Diese Trennung zwischen Wohlfahrtsstaat und Bürgern war unausweichlich, da die Wurzeln des für den marktwirtschaftlichen Kapitalismus charakteristischen Gesellschaftsdefizits intakt geblieben waren. Der Sozial-Etatismus wollte nämlich ausdrücklich ein Modell politischer Steuerung der kapitalistischen Marktwirtschaft sein, deren Substanz er genauso wenig angreifen, wie er deren Hegemonie über die gesellschaftlichen Beziehungen beschneiden wollte" (1989: 261f.). 13 Es geht mithin immer auch bzw. wesentlich um Eliten-Politik, d.h. um Politik konkreten Nutzens vor dem Hintergrund grundlegender sozialer und politischer Ungleichheit, der überragenden Bedeutung wirtschaftlicher Interessensgruppen bei der Bestimmung und Durchsetzung bestimmter Ziele (Hoffmann-Lange 1992: 40 ff.); s. weiter zu dem Beispiel 'Steuerpolitik' und der ideologischen, weil bewußt fälschenden Rede vom 'teuren' Sozialstaat die Analyse von Jänicke (1986: 107-131). 14 Bereits in ihren Anfängen, also zu Beginn der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, hatte sich Sozialpädagogik, so Mollenhauer (1959: 121f.), als eine Antwort auf Integrationsprobleme, damals definiert als "Kulturverfall", verstanden und die Aufgabe in einer "Regeneration des Volksganzen" und der Erneuerung des "Volkslebens" gesehen. 15 Zur Debatte um Gerechtigkeit und Gleichheit s. exemplarisch die Arbeiten von Pfannkuche (1994) und Green (1998). Zur Diskussion des Prinzips eines "demokratischen Mindesmaßes" bei der Ressourcenzuteilung als Voraussetzung für die Sicherung der Fähigkeit, "an der Kultur und Politik der eigenen Gesellschaft teilzunehmen", s. die Überlegungen von Steinvorth (1999: 277). Dass Ressourcenfragen und eine Exklusionspolitik, die den Ausgeschlossenen allerdings die Verantwortung für ihren Ausschluss zuweist, der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation von Anfang an inhärent sind, darauf verweist auch Braudel mit seinen Ausführungen über die Spaltung der Gesellschaft im 16. Jahrhundert als Folge der Entwicklung von Geldwirtschaft und beginnender Kapitalakkumulation (Braudel 1994: 156); s. weiter auch seine Beschreibung sowie deren analytischen Konsequenzen: "Kurz, es gibt viele Arme, viele Elende - ein großes Proletariat, dem die Geschichtswissenschaft allmählich nach Maßgabe der schwierigen Forschungsarbeiten einen Platz einräumt. Ein Proletariat, das auf der gesamten Aktivität des Jahrhunderts lastet und dessen Gewicht im Laufe der Jahre immer drückender wird. Auf diesem Boden gedeiht ein hartnäckiges Brigantentum - eine echte soziale Revolution, die jedoch einen endlosen, unfruchtbaren Verlauf nimmt. Denn am Ende regelt das allgemeine Elend den Konflikt: Es wirft Arme und Mittellose gnadenlos auf den absoluten Nullpunkt zurück. In Spanien kommen zwei Faktoren zusammen - das Überleben des alten Reichtums und ein starker Bevölkerungsschwund -, die gemeinsam eine merkwürdige soziale 21 Schicht hervorbringen, ein Proletariat, das an die Plebs im alten Rom erinnert. Arme, die immer in Armut gelebt haben, Tunichtgute aus den Städten, wie sie durch Schelmenromane berühmt geworden sind, Straßenräuber, echte und falsche Bettler, die ganze gente del hampa und die hampones, die Landstreicher - all diese Leute haben mit der Arbeit gebrochen; allerdings erst, nachdem die andere Seite, die der Arbeit und Beschäftigung, nichts mehr von ihnen wissen wollte" (Braudel 1994: 164).