8.2. Eigenschaften charakteristischer Funktionen 1. In diesem Abschnitt werden einige Eigenschaften von charakteristischen Funktionen vorgestellt, die im folgenden Abschnitt 8.3 beim Beweis des Zentralen Grenzwertsatzes für quadratintegrable, i.i.d. Zufallsvariable mit positiver Varianz benötigt werden. (a) Seien X und Y unabhängige, reellwertige Zufallsvariable auf einem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P). Dann gilt ψX+Y (z) = ψX (z)ψY (z), z ∈ R. (4) Beweis. ψX+Y (z) = E[exp(iz(X + Y ))] = E[exp(izX) exp(izY )] = 2 E[exp(izX)]E[exp(izY )] = ψX (z)ψY (z), z ∈ R. (b) Sei X eine reellwertige Zufallsvariable mit E[|X|2 ] < ∞. Dann ist ψX ∈ Cb2 (R) und es gilt insbesondere ψX (z) = 1 + izE[X] − z2 E[X 2 ] + o(|z|2 ), 2 bei |z| → 0. (5) Begründung. Nach einem formalen Vertauschen von Differentiation und Bildung des Erwartungswerts folgt 3 ′ ′′ ψX (z) = iE[X exp(izX)], ψX (z) = −E[X 2 exp(izX)], d.h., z ∈ R, ′ ′′ ψX (0) = 1, ψX (0) = iE[X], ψX (0) = −E[X 2 ]. (5) ist damit die Taylorentwicklung der Ordnung 2 von ψX in 0. (c) Sei X eine reellwertige Zufallsvariable und a, b ∈ R. Weiterhin sei Y = aX + b. Dann ist (6) ψY (z) = exp(izb)ψX (az), z ∈ R. Beweis. ψY (z) = E[exp(iz(aX + b))] = E[exp(izb) exp(izaX)] = exp(izb)E[exp(izaX)] = exp(izb)ψX (az), z ∈ R. (d) Die Verteilung einer reellwertigen Zufallsvariable X sei die standard Normalverteilung N(0, 1). Dann gilt ψX (z) = exp(−z 2 /2), z ∈ R. (7) Begründung 4. ψX (z) = 5 1 √ 2π Z ∞ −∞ dx exp(izx) exp(−x2 /2) {z } | = exp(izx − x2 /2) = exp((−(x − iz)2 − z 2 )/2) 1 Charakteristische Funktionen wurden in Abschnitt 5.8 eingeführt. Insbesondere zeigt Satz 2 in Abschnitt 5.8, daß die Konvergenz in Verteilung reellwertiger Zufallsvariablen mit Hilfe der Konvergenz ihrer charakteristischen Funktionen nachgewiesen werden kann. 2Wegen der Unabhängigkeit von X und Y , vgl. Abschnitt 5.2.4 und Bemerkung (i) in Abschnitt 5.3. Man beachte, daß für jedes feste z ∈ R mit X und Y auch die Zufallsvariablen exp(izX) und exp(izY ) unabhängig sind. 3Bei einem rigorosen Beweis kann der Satz von der beschränkten Konvergenz, vgl. [1], Appendix A.5, Theorem (5.3), herangezogen werden. 4Ein mathematisch korrekter Beweis von (7) ergibt sich z.B. aus [1], Section 2.3, Example 3.3, und Appendix A.9, Example 9.1. 1 2 1 = exp(−z /2) √ 2π | 2 = 6 Z ∞ −∞ 1 √ 2π dx exp(−(x − iz)2 /2) . {z } Z ∞ dy exp(−y 2 /2) = 1 −∞ (e) Durch die charakteristische Funktion ψX ist die Verteilung PX einer reellwertigen Zufallsvariablen X eindeutig bestimmt. Begründung. Schreibt man ψX (z) = E[exp(izX)] Z =7 PX (dx) exp(izx), R (8) z ∈ R, so wird deutlich, daß die charakteristische Funktion ψX einer Zufallsvariablen X der Fouriertransformierten ihrer Verteilung PX entspricht. Die Behauptung (e) folgt daher aus der Tatsache, daß ein endliches Maß auf (R, B(R)) durch seine Fouriertransformierte eindeutig charakterisiert ist. Details zu den obigen Überlegungen und weitere Eigenschaften charakteristischer Funktionen finden sich beispielsweise in [2], Abschnitte 5.7 - 5.9. Literatur [1] R. Durrett. Probability: Theory and Examples, 2nd Edition. Duxbury Press, 1996. [2] G. Grimmett, D. Stirzaker. Probability and Random Processes, 3rd Edition. Oxford University Press, 2003. 5Diese Darstellung von ψ ergibt sich aus der Bemerkung in Abschnitt 5.4. Vgl. dazu FußnoX te 15 in Abschnitt 5.8. 6 Mit der Variablentransformation y = x − iz. An dieser Stelle wird außer acht gelassen, daß nach der Variablentransformation der Integrationsweg nicht mehr (−∞, ∞), sondern die Gerade {ζ = u − iz : u ∈ R} ⊂ C ist. Mit Mitteln der Funktionentheorie kann jedoch gezeigt werden, daß durch diese Änderung des Integrationswegs der Wert des hier betrachteten Integrals sich nicht ändert. 7Die rechte Seite von (8) ist ein Integral bzgl. des Wahrscheinlichkeitsmaßes P . Im Fall disX kreter Zufallsvariablen X ist diese Darstellung der charakteristischen Funktion eine unmittelbare Konsequenz der Definition des Erwartungswerts in Abschnitt 5.1. Falls PX eine Dichte bzgl. des Lebesguemaßes besitzt, so folgt (8) aus Fußnote 15 in Abschnitt 5.8. 31. Januar 2008