2.6 Komplexe Zahlen C 2.6.1 Imaginäre und komplexe Zahlen Mit den reellen Zahlen können die meisten chemischen und physikalischen Fragestellungen gelöst werden. Zum Beispiel handelt es sich bei allen Messgrößen (sogenannten Observablen), die in einem Experiment bestimmt werden, um reelle Zahlen. In der Chemie und Physik werden jedoch auch komplexe Zahlen für die mathematische Beschreibung verschiedener Vorgänge benötigt. Beispiel: Wellengleichung eines freien Teilchens (Elektron, Proton, etc ) ψ(x, t) = N eikx e −iωt 1 Einführung der imaginären Einheit i. Per Definition gilt: i² = -1 Eine imaginäre Zahl ist eine Zahl, deren Quadrat eine negative reelle Zahl ist. Komplexe Zahlen: Aus der Menge der reellen und imaginären Zahlen wird die Menge der komplexen Zahlen C gebildet. C ist definiert als: C = { a + bi | a ∈ R, π ∈ R, i² = -1 }. Für die Zahlenmengen ergibt sich nun folgende Hierarchie: N ⊆ Z ⊆Q ⊆ R ⊆ C C bildet einen Körper. In C ist jede algebraische Gleichung lösbar. 2 2.6.2 Normaldarstellung komplexer Zahlen Normaldarstellung (algebraische Darstellung) einer komplexen Zahl z: z = a + b • i mit a ∈ R und b ∈ R a wird als der Realteil R (z), b wird als der Imaginärteil I (z) von z bezeichnet: a = R (z), b = I (z), z = R(z) + I(z) • i . 3 2.6.3 Gaußsche Zahlenebene und trigonometrische Darstellung komplexer Zahlen Gaußsche Zahlenebene mit den Punkten π§1 = 3 + 2i, π§ ∗1 = 3 – 2i und π§2 = 1 + 4i. 4 Der Punkt π§1 = 3+2i kann durch seinen Betrag |π§1 | und das Argument α΅© eindeutig charakterisiert werden. 5 α΅© kann mit dem Cosinussatz bestimmt werden. Es gilt: π΄ππππ‘βππ‘π π cos(α΅©) = = π»π¦πππ‘πππ’π π |π§| α΅© Wegen cos( ) = cos(- α΅© α΅© α΅©) ist eine Fallunterscheidung nötig: π = + arccos |π§| π = - arccos |π§| ∀b≥0 ∀ b < 0. Weiterhin gilt: α΅© b = |z| • sin α΅© a = |z| • cos 6 Die trigonometrische Darstellung von z lautet daher: z = |z| (cos(π) + i sin(π)) Gebräuchlicher ist die Exponentialdarstellung von z mit Hilfe der Eulerschen Formel: e iπ = cos(π) + i sin(π) e -iπ = cos(π) - i sin(π). Hiermit lautet die Exponentialdarstellung von z: z = |z| e iπ |z| e iπ wird auch als Polardarstellung von z bezeichnet. 7 2.6.4 Komplexe Konjugation Zu jeder komplexen Zahl z = a + b • i gibt es eine komplex konjugierte Zahl z ∗ mit: z* = a - b • i Es gilt: R (z*) = R (z), I (z*) = -I (z), Geometrisch entsteht z* durch Spiegelung von z an der Gerade der reellen Zahlen. Eine reelle Zahl ist stets zu sich selbst komplex konjugiert: z = z* ∀ z ∈ R. In den anderen Darstellungen gilt entsprechend: z* = |z| • ( cos(π) - i • sin(π) z* = |z| • e -iπ . In der Literatur wird das komplexe Konjugierte zu z oft durch einen Überstrich gekennzeichnet: z* = z 8 2.6.5 Rechnen mit komplexen Zahlen C bildet genau wie R einen Körper. Die Rechenregeln für reelle Zahlen können daher analog auf komplexe Zahlen übertragen werden. Man muss nur beachten, dass i² = -1 ist. Je nachdem, welche Operationen anwendet werden soll, ist die Verwendung der Normaldarstellung oder der Exponentialdarstellung praktischer. 9 1.6.5 Rechnen mit komplexen Zahlen Betrachten wir die komplexen Zahlen z1 und z2: z1 = a1 + b1 • i = |z1| e iπ1 z2 = a2 + b2 • i = |z2| e iπ2 Gleichheit: z1 = z2 ο³ a1 = a2, b1 = b2 und z1 = 0 ο³ a1 = 0, b1 = 0 C unterliegt allerdings keiner Ordnungsrelation, d.h. eine komplexe Zahl z1 kann nicht größer oder kleiner als eine andere komplexe Zahl z2 sein. ( D.h. zum Beispiel z1 < z2 ist nicht definiert. ) 10 Addition und Subtraktion: z1 + z2 = a1 + a2 + (b1 + b2)• i z1 - z2 = a1 - a2 + (b1 - b2)• i Die Addition von komplexen Zahlen entspricht einer Vektoraddition bzw. Vektorsubtraktion. Für die Addition und Subtraktion ist die Normaldarstellung in der Regel praktischer. 11 Multiplikation: Normaldarstellung: z1 • z2 = (a1 + b1•i) (a2 + b2•i) = a1a2 + b1b2•i² + a1 b2•i + a2b1• i = a1a2 - b1b2 + ( a1 b2 + a2b1 ) • i Trigonometrische Darstellung: z1•z2 = |z1|•(cos(π1)+ i sin(π1)) • |z2|•(cos(π2)+ i sin(π2)) *) => z1•z2 = |z1|•|z2|•(cos(π1+π2)+ i sin(π1 + π2)) Exponentialdarstellung: z1• z2 = |z1| eiπ1 • |z2| eiπ2 = |z1||z2| ei(π1+π2) *) Additionstheorem: sin ( πΆ + π· ) = sin πΆ cos π· + cos πΆ sin π· cos (πΆ + π· ) = cos πΆ cos π· – sin πΆ sin π· 12 Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen multiplizieren sich die Beträge und addieren sich die Winkel. Anschaulich entspricht die Multiplikation mit einer komplexer Zahl z1 daher einer Drehung um den Winkel π1 und einer Streckung um |z1|. Für die Multiplikation ist oft die exponentielle Darstellung von z praktisch. Es gilt: |z1• z2 | = | z1 | • | z2 | arg( z 1 + z 2 ) = arg( z1 ) + arg( z2 ) z • z* ist stets eine reelle Zahl: z1 • z1* = (a1 + b1i) (a1 - b1i) = a² + b² = |z1|² z1• z1 *= |z1|e iπ1 • |z1|e -iπ1 = |z1|² e i ( π1-π1 ) = |z1|² e0 = |z1|² Daher gilt |z| = π§ • π§ ∗ (Betrag einer komplexen Zahl). 13 Zur Abbildung: Multiplikation von z1 = 1+i ( mit |z1| = 2 und π1 = 45° ) und z2 = -1+2i ( mit |z2| = 5 und π2 = 116,6° ) ergibt z3 = z1 • z2 = -3 + i ( mit |z3| = 10 = 2 5 und π3 = π1 + π2 = 161,6° ) 14 Division (z2 ≠ 0): Normaldarstellung: Bei der Division z1 : z2 wird der Bruch zuerst mit z2 erweitert, um einen reellen Nenner zu erhalten: π§1 π§1 • π§ ∗ 2 π§1 • π§ ∗ 2 ( π1 + π1 π ) • ( π2 − π2 π ) π1 π2 +π1 π2 π1 π2 −π1 π2 = = = + ∗ = π§2 π§2 • π§ 2 | π§2 |² ( π2 + π2 π ) • ( π2 − π2 π ) π2 ²+ π2 ² π2 ²+ π2 ² Trigonometrische Darstellung: π§1 π§2 = |π§1 | (cos π1 +π sin(π1 )) π§2 (cos π2 +π sin(π2 )) = |π§1 | π§2 • ( cos(π1 -π2 ) + i sin (π1 -π2 ) ) Exponentielle Darstellung: π§1 π§2 = |π§1 | π ππ1 π§2 π ππ2 = |π§1 | π§2 • π π(π1 −π2 ) 15 Potenzieren: Für n ∈ N definieren wir π§ 0 := 1; π§ π := π§ π−1 • z . In der Normaldarstellung muss das Binom ausmultipliziert werden: ππ = (π + ππ)π . In der trigonometrischen Darstellung kommt man auf die Moivre-Formel π ππ = (|π|(ππ¨π¬ π + π π¬π’π§ π))π = |z| πππ ππ + π πππ ππ . In der Exponentialdarstellung erhält man π ππ = |z| ππππ 16 Für die Multiplikation folgt daraus Normaldarstellung: z1 • z2 = (a1 + b1•i) (a2 + b2•i) = a1a2 + b1b2•i² + a1 b2•i + a2b1• i = a1a2 - b1b2 + ( a1 b2 + a2b1 ) • i Trigonometrische Darstellung: z1•z2 = |z1|•(cos(π1)+ i sin(π1)) • |z2|•(cos(π2)+ i sin(π2)) z1•z2 = |z1|•|z2|•(cos(π1+π2)+ i sin(π1 + π2)) Exponentialdarstellung: (Sonderfall z² ) z1• z1 = |z1|e iπ1 • |z1|e iπ1 = |z1||z1| e i ( π1+π1 ) = |z1|²e i 2π1 17 Radizieren: Im Gegensatz zur Eindeutigkeit der Wurzel einer reellen Zahl ist die Wurzel einer komplexen Zahl z mehrdeutig, da für jede natürliche Zahl n ≥ 2 stets n verschiedene komplexe Zahlen w0,w1, … ,w n-1 existieren, so dass wn k = z für k = 0, 1, …,n-1 gilt. Das Radizieren ist i.Allg. nur in der trigonometrischen Darstellung und der Exponentialdarstellung möglich. Trigonometrische Darstellung: Exponentialdarstellung: 18 Radizieren: Graphische Konstruktion: Die Punkte, die den verschiedenen Wurzeln entsprechen, bilden ein regelmäßiges n-Eck auf dem Kreis mit dem Radius π |π§| und dem Mittelpunkt in z = (0; 0). Für k = 0 erhält man den Hauptwert von 0 ≤ π < 2 π gilt. π |π§| , falls 19 20 Logarithmieren: ( in der Exponentialdarstellung oft sinnvoll ) ln z = ln(|z|π i( π + 2kπ ) ) = ln |z| + i( π+2kπ ) für k ∈ Z Der Logarithmus einer komplexen Zahl besitzt unendlich viele Werte. Der Wert für k = 0 heißt Hauptwert von ln z, falls 0 ≤ π < 2 π gilt. Graphische Konstruktion: Alle Logarithmenwerte besitzen denselben Realteil ln |z|. Die Imaginärteile zweier verschiedener Logarithmenwerte unterscheiden sich um 2π•i. Daher liegen alle Logarithmenwerte auf einer Parallelen zur imaginären Achse. 21 Bemerkung: Für komplexe Zahlen gilt die Dreiecksungleichung: | z1 + z2 | ≤ | z1 | + | z2 | 22