Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch * 12. September/25. September 1906 in Sankt Petersburg; † 9. August 1975 in Moskau) war ein sowjetrussischer Komponist. Neben 15 Sinfonien, Instrumentalkonzerten, Bühnenwerken und Filmmusik komponierte er 15 Streichquartette, die zu den Hauptwerken des zeitgenössischen Kammermusikrepertoires zählen. Überblick Schostakowitsch ist neben Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew der bedeutendste Komponist Rußlands im 20. Jahrhundert und war außerordentlich produktiv und vielseitig. Er schrieb dem Regime von Josef Stalin Hymnen und blieb gleichzeitig auf Distanz zum kommunistischen System. „Um die Geschichte unseres Landes zwischen 1930 und 1970 nachzuleben, reicht es aus, die Sinfonien von Schostakowitsch zu hören“, schrieb die Wochenzeitung „Moskowskije Nowosti“, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch sah im sinfonischen Schaffen Schostakowitschs eine "Geheimgeschichte Russlands" und Gottfried Blumenstein bezeichnet sein Werk als "apokalyptischen Soundtrack zum 20. Jahrhundert". Leben 1906-1925 Kindheit und Studium Väterlicherseits stammte seine Familie aus Polen und wohnte in Wilna. Später zog sie nach Kasan und Tomsk um. Die erhaltenen Dokumente bieten eine verwirrende Vielfalt der Schreibung seines Namens: Szostakowicz, Szostakiewicz, Szestakowicz und sogar Szustakiewicz. Der Vater, Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch, der inzwischen in Sankt Petersburg wohnte, heiratete 1903 eine junge russische Pianistin, Sofia Wassiljewna Kokoulina. Das Ehepaar hatte insgesamt drei Kinder, Dimitri war das zweite davon. Trotz der musikalischen Tradition in der Familie interessierte sich der Sohn zunächst kaum für Musik; die Mutter konnte aber bald die Interessen des Mitja genannten Dmitri und seiner großen Schwester Maria auf das Klavier lenken. Das musikalische Talent des Jungen entfaltete sich durch den Klavierunterricht und Dmitri unternahm bald seine ersten kompositorischen Versuche. 1917 wurde der Elfjährige Augenzeuge, wie bei einer Demonstration ein Arbeiter von Polizisten erschossen wurde. Mitja komponierte daraufhin eine Hymne an die Freiheit und einen Trauermarsch für die Opfer der Revolution. Weil ihm sein Klavierlehrer nichts mehr beibringen konnte, begann Schostakowitsch 1919 am Konservatorium in Petrograd (das bis 1914 St. Petersburg hieß und 1924 in Leningrad umbenannt wurde) Klavier bei Leonid Nikolajew und Kompositionslehre bei Maximilian Steinberg zu studieren. Der Konservatoriumsdirektor Alexander Glasunow verfolgte die Entwicklung dieses Jungen mit dem enormen Talent und dem absoluten Gehör mit Aufmerksamkeit und unterstützte ihn gelegentlich auch finanziell. Anfang 1923, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, war die Familie aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit der nachrevolutionären Zeit fast ruiniert. Zudem wurde bei Schostakowitsch, der seit jeher eine schwache Gesundheit hatte, eine Lungen- und Lymphdrüsentuberkulose diagnostiziert. Dieses Leiden sollte sein ganzes späteres Leben prägen. 1926-1933 Welterfolg Der sensationelle Erfolg seiner 1. Sinfonie in f-Moll 1925 verschaffte Schostakowitsch im Alter von nur 19 Jahren den Abschluss am Konservatorium und weltweite Anerkennung. Die Sinfonie wurde am 12. Mai 1926 von der Leningrader Philharmonie unter der Leitung von Nikolaj Malko uraufgeführt. Bei der Erstaufführung dieser als 'Diplomarbeit' geschriebenen Sinfonie wurde nach einem überwältigenden Applaus der zweite Satz als Zugabe noch einmal gespielt. Ein Jahr später dirigierte Bruno Walter die Sinfonie in Berlin, Aufführungen in Amerika unter Leopold Stokowski und Arturo Toscanini folgen. Der Komponist Alban Berg schrieb Schostakowitsch einen Gratulationsbrief. Dmitri Schostakowitsch setzte sich in der folgenden Zeit mit verschiedenen zeitgenössischen Musikrichtungen wie dem Futurismus, der Atonalität und dem Symbolismus auseinander, ist dabei dennoch einen ganz eigenen Weg gegangen. Seine Musik ist eine Mischung aus Konvention und Revolution, die sich auf ein fundiertes kompositorisches Handwerk gründet und durch fantasievolle Instrumentierungen und moderne Melodik und Harmonik besticht. Inspiriert wurde er durch die Werke zeitgenössischer Komponisten wie Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew, aber vor allem Gustav Mahler. Schostakowitsch erhielt im März 1927 den Auftrag, für die Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Revolution eine Art Hymne zu schreiben. Die Sinfonie ist eine seiner gewagtesten und avantgardistischsten Kompositionen dieser Zeit. Bereits mit seiner im selben Jahr komponierten 2. Sinfonie An den Oktober in H-Dur schlägt Schostakowitsch jedoch den für ihn einzig möglichen, von westlichen Musikkritikern allerdings lange Zeit missverstandenen musikalischen Weg eines propagandistischen Auftragskomponisten für die Sowjetregierung ein. Doch hinter den anscheinenden Zugeständnissen an das kommunistische Regime versteckte Schostakowitsch an vielen Stellen eine Mischung aus Spott, Sarkasmus und Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen. Marietta, auf ihren Wunsch hin beschreibe ich Schostakowitsch. […] Sie glauben, dass er ‚zerbrechlich, schwach, verschlossen, grenzenlos unkonventionell und rein wie ein Kind‘ sei. Das stimmt nicht ganz. Und wenn es so wäre, hätte seine große Kunst nicht entstehen können. Er ist durchaus auch so, wie Sie sagen. Aber er ist zugleich hart, bissig, ungewöhnlich klug, wahrscheinlich stark, despotisch und nicht ganz so gut. […] Man muss ihn auch von dieser Seite sehen. Erst dann kann man irgendwie seine Kunst verstehen. (Michail Soschtschenko 1941 über seinen Freund Schostakowitsch in einem Brief an die armenische Schriftstellerin Marietta Schaginjan) Schostakowitsch erregt mit dem Ballett "Der Bolzen" erstmals den Ärger der Zensoren, das groteske Stück über Industriesabotage wird 1931 abgesetzt. Als er sich von der 2. Sinfonie erholte, lernte er 1927 die Geschwister Warsar, die Töchter eines bekannten Juristen, kennen. Die jungen Leute verbrachten ihre Abende mit Poker. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit besuchte Schostakowitsch die Familie Warsar. Er fühlte sich zu Nina hingezogen, die ihr Mathematik- und Physikstudium noch nicht abgeschlossen hatte. Davon war ihre Familie nicht gerade begeistert. Doch die beiden Verliebten setzten sich durch und so fand die Heirat am 13. Mai 1932 statt. Das war bereits der zweite Anlauf, denn einige Monate vorher hätte sie stattfinden sollen, aber der Bräutigam war nicht erschienen. Der Komponist, mitten in einer seelischen Krise, tauchte erst einige Tage später völlig deprimiert wieder auf. 1934-1936 In Ungnade Nachdem Schostakowitschs erste Oper „Die Nase“, eine Satire auf die russische Bürokratie, die das erste lange Schlagzeugsolo der europäischen Musik enthält und über die sich Komponisten der Gegenwart wie György Ligeti voller Bewunderung äußerten, nach 16 Aufführungen von den Bühnen verschwand, begann der Komponist mit seiner zweiten Oper, Lady Macbeth von Minsk, ein Werk, das für sehr viel Aufruhr sorgen sollte. Die Uraufführung am 22. Januar 1934 in Leningrad war ein gewaltiger Erfolg. Zwei Tage später fand die zweite in Moskau statt. Zwei Jahre lang feierte das Werk einen Erfolg nach dem anderen. Die Popularität und der Ruhm Schostakowitschs nahmen zu. Er wurde von Kritikern und Publikum gleichermaßen gefeiert. Zwei Jahre nach der Uraufführung, am 16. Januar 1936, besuchte Stalin gemeinsam mit Molotow, Mikojan und Schdanow die Aufführung der Oper im Bolschoi-Theater. Stalin sass hinter einem Vorhang verborgen in der Regierungsloge, rechts über dem Orchestergraben. Die Loge war mit Stahlplatten abgeschirmt, um mögliche Attentate zu verhindern. Die verstärkten Blechbläser trompeteten ihm direkt in die Ohren. Schostakowitsch, der ebenfalls anwesend war, beklagte sich später, das »Schaschliktemperament« sei mit dem ungarischen Dirigenten durchgegangenund, das Orchester habe viel zu viel des Guten gegeben, besonders im Zwischenspiel am Ende des ersten Akts, in dem ein Koitus illustriert wird. Es wird behauptet, dass sich Stalin während der Oper wortlos erhob und das Theater verließ, ohne Schostakowitsch in seiner Loge empfangen zu haben. Diese Reaktion kam im damaligen Klima der anhaltenden Säuberungen, nächtlicher Verhaftungen und der permanenten Angst, in Ungnade zu fallen, einer Hinrichtung gleich. „Das ist albernes Zeug, keine Musik“ sagte Stalin zum Musikkorrespondenten der Iswestija. Am 28. Januar brachte die Prawda einen wahrscheinlich von Stalin selbst geschriebenen, nicht signierten (das heißt, von der Partei abgesegneten) Artikel „Chaos statt Musik“ über die Oper heraus, in dem das Werk als Ausdruck »linksradikaler Zügellosigkeit« und »kleinbürgerlichem Neuerertum« gegeißelt und mit dem »Formalismus«Vorwurf verdammt wurde. Dies war aufgrund der Signalwirkung von katastrophaler Wirkung. Alle Aufführungen wurden gestoppt. Schostakowitsch erfuhr davon auf einer Konzertreise im Norden. Ein Kritiker nach dem anderen tat Abbitte und stolperte über seine vorherigen Meinungen. Die nächsten Monate schlief Schostakowitsch mit einem kleinen Koffer unter dem Bett in seinen Kleidern, stets gewärtig, wie damals üblich des Nachts von der Geheimpolizei abgeholt zu werden. Dann befielen ihn Depressionen und Suizidgedanken, die ihn in unregelmäßigen Abständen für Jahrzehnte begleiten sollten. Er wurde mehrfach in die bereits zum damaligen Zeitpunkt berüchtigte Geheimdienstzentrale Lubjanka vorgeladen, zu sogenannten ‚Volksfeinden‘ befragt und eingeschüchtert. "Das Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein Leben lang gemartert haben, viele Seiten meiner Musik sprechen davon." Schostakowitsch komponierte nie wieder eine Oper. Jahre später, in der Zeit des Tauwetters unter Chruschtschow, überarbeitete er Lady Macbeth von Minsk zu einer neuen Fassung, die am 8. Januar 1963 unter dem neuen Titel Katerina Ismailowa uraufgeführt werden konnte. Einige der anrüchigen Textpassagen wurden dafür entschärft. 1937-1953 Komponieren unter Stalin Nachdem er seine 4. Sinfonie in C-Moll auf Grund des kritischen Prawda-Artikels revozierte und in der Schublade verschwinden ließ, begann Schostakowitsch am 18. April 1937 unter der offiziellen Parole der "praktischen Antwort eines Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik" die Arbeit an seiner gemässigten 5. Sinfonie in d-Moll auf der Krim. Zurück in Leningrad erfuhr er, dass der Mann seiner Schwester verhaftet und sie selbst nach Sibirien deportiert worden war. Nach der Uraufführung wurde die 5. Sinfonie offiziell als die Rückkehr des verlorenen Sohnes in die linientreue Kulturpolitik dargestellt. Das Werk wurde ein großer internationaler Erfolg, lange Zeit wurde das Marschfinale als Verherrlichung des Regimes angesehen. Erst nach dem Erscheinen der Memoiren erfuhren Schostakowitschs Kritiker in aller Welt, dass der Triumphmarsch in Wirklichkeit ein Todesmarsch war. Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Befehl Stalins Ermordeten … (Schostakowitsch in seinen Memoiren) Die 7. Sinfonie in C-Dur geht in dieser Doktrin noch weiter und gilt als Schostakowitschs bekanntestes Werk. Das Werk entstand 1941 zur Zeit der Belagerung Leningrads durch Hitlers Truppen, während Schostakowitsch der Feuerwehr zugeteilt war, und er arbeitete unter Granatenbeschuss an seinem Werk. Im Oktober 1941 wurde er mit seiner Familie aus der Stadt geflogen und konnte das Werk in Kuibyschew (Samara) fertigstellen, wo das Werk am 5. März 1942 vom dorthin ausgelagerten Orchester des Bolschoi-Theaters unter Leitung von Samuil Samossud uraufgeführt wurde. Die Moskauer Uraufführung am 27. März fand ebenfalls unter lebensgefährlichen Umständen statt, doch selbst ein Luftalarm konnte die Zuhörer nicht dazu bewegen, die Schutzräume aufzusuchen. Stalin war daran interessiert, die Sinfonie auch außerhalb der Sowjetunion als Symbol des heroischen Widerstands gegen den Faschismus bekannt zu machen. Am 22. Juni dirigierte sie Sir Henry Wood in London und Arturo Toscanini leitete die erste Aufführung der Sinfonie in den Vereinigten Staaten, die am 19. Juli 1942 in New York mit dem NBC-Orchester stattfand und Schostakowitsch auf die Titelseite des Time-Magazine brachte. Sein Wunsch nach einer Aufführung in Leningrad ging erst kurze Zeit später in Erfüllung: Ein Sonderflugzeug durchbrach die Luftblockade, um die Orchesterpartituren nach Leningrad zu fliegen. Das Konzert vom 8. August (Dirigent: Karl Eliasberg) wurde von allen sowjetischen Rundfunksendern übertragen. Schostakowitsch bekam den Stalin-Preis für sein Werk, da es als Hommage an den Widerstandswillen der von deutschen Truppen eingeschlossenen, hungernden Bevölkerung aufgefasst wurde. Jahre später erklärte Schostakowitsch, er habe die Sinfonie sowohl als Requiem für die Opfer der Blockade, als auch für die des Stalin-Terrors komponiert. Auch die epische 8. Sinfonie in c-Moll, oft als Stalingrader Sinfonie bezeichnet, entstand unter dem Eindruck der Kriegsgeschehnisse. Im Gegensatz zu den Erwartungen, er würde nach der Leningrader etwas ähnlich Triumphales schreiben, das dem schicksalhaften Sieg der Sowjetunion über die vorrückenden deutschen Truppen in Stalingrad Ausdruck verlieh, ist die 8. Sinfonie in weiten Teilen nachdenklich, melancholisch und zeigt im Ergebnis keine Befriedigung über den Sieg, sondern kündet von individuellem Leid und der Trauer über die unglaublichen Verluste an Menschenleben. Die Sinfonie meidet in ihrem humanistischen Engagement große heroische Gesten. Sind der grandiose erste Satz (Adagio) und die beiden folgenden Sätze noch von apokalyptischer Steigerung, teilweise aggressiven und schnellen Tempi geprägt, erklingen in den beiden letzten Sätzen grüblerische, leise Töne, bevor der letzte Satz still und offen verklingt. Nach dem Krieg fiel die 8. Sinfonie der Zensur zum Opfer, sie wurde nicht mehr aufgeführt und sogar viele Rundfunkmitschnitte gelöscht. Nach dem Ende des gewonnenen Zweiten Weltkriegs erwartete die Musikwelt eine Triumphsinfonie, doch Schostakowitsch fiel mit seiner 9. Sinfonie in Es-Dur bei der sowjetischen Kritik erneut durch. Nachdem Schostakowitsch schon vor dem Krieg im Zentrum der Kritik stand, entzündete sich nach Debatten über zeitgenössische sowjetische Dichter und Literaten (unter anderem Anna Achmatowa) nun erneut eine Diskussion über moderne sowjetische Musik: Schostakowitsch wurde 1948 vom Sowjetischen Komponistenverband und dessen Präsidenten Tichon Chrennikow wiederum des Formalismus und der Volksfremdheit beschuldigt. Schostakowitschs Entgegnungen blieben verbal höflich, von seiner musikalischen Sprache wich er jedoch nicht ab und hatte daher eine absurde Situation zu bewältigen: Er war gleichzeitig in der ganzen Welt auf der Höhe des Ruhmes und galt doch zu Hause weiterhin als persona non grata, als ein Komponist, der an Stelle der gewünschten Arbeiterkantaten lieber Streichquartette und textlose Sinfonien schrieb. Nachdem Schostakowitsch durch die Angriffe des Zentralkomitees seine Lehrämter verloren hatte, komponierte er zwar prompt das Oratorium Das Lied von den Wäldern, den Stalinschen Aufforstungsplan preisend, doch zur selben Zeit wurden andere wichtige Uraufführungen seiner Streichquartette totgeschwiegen. Im Kampf gegen den „Formalismus“ sah sich Schostakowitsch, obwohl mehrfach mit StalinPreisen ausgezeichnet, vor allem nach 1948 heftig attackiert. Er profilierte sich mit Werken, die dem Sozialistischen Realismus „scheinbar“ unterzuordnen waren und hielt problematischere Werke zurück (etwa das 1. Violinkonzert oder den Liederzyklus „Aus jiddischer Volkspoesie“). 1953-1961 Die Abrechnung 1953 starb Stalin, und Schostakowitsch veröffentlichte seine 10. Sinfonie in e-Moll, seine Abrechnung mit dem Diktator. Nach dem Zeugnis seines Sohnes Maxim beschreibt der Komponist „das schreckliche Gesicht Stalins“. Es ist ein Werk der Trauer und des Schmerzes, aber es endet mit einer Geste des persönlichen Triumphes und der Selbstbehauptung, die ihm unter Stalin den Vorwurf eitler Anmaßung eingehandelt hätte: Dem Buchstabenmotiv D-S-CH (in der Notation D-Es-C-H; quasi ein Analogon zum bekannten B-A-C-H - Motiv), Schostakowitschs Initialen in europäischer Schreibweise. Und seine Abrechnung ist noch nicht abgeschlossen. 1957 folgte die 11. Sinfonie mit dem Untertitel Das Jahr 1905. 1905 bezieht sich auf den Petersburger Blutsonntag, als der Zar auf eine unbewaffnete Menschenmenge schießen ließ, die ihm eine Bittschrift zukommen lassen wollte. An diesen Zwischenfall, der über 1.000 Menschenleben forderte, sollte mit der 11. Sinfonie erinnert werden – oder war es eine Verneigung vor dem ungarischen Volk, das ein Jahr zuvor von sowjetischen Truppen überfallen und unterdrückt wurde? Am 30. Oktober 1957 fand die Uraufführung unter Natan Rachlyn statt. 1958 wurde Schostakowitsch mit dem hochdotierten finnischen Wihuri-Sibelius-Preis ausgezeichnet. Erneute Diskussionen folgten, doch nach und nach errang Schostakowitsch wieder mehr Anerkennung in der Sowjetunion, begünstigt vor allem durch zahllose Aufführungen und Ehrungen im Ausland: Unter anderem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford. Nach Uraufführung der 12. Sinfonie in d-Moll erfolgte Schostakowitschs Aufnahme in die KPdSU; Der Sowjetunion gegenüber verhielt er sich loyal und war lange Zeit als Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR tätig. Mit seiner 13. Sinfonie geriet Schostakowitsch erneut in die Kritik, da das Werk zu Worten des Dichters Jewgenij Jewtuschenko den russischen Antisemitismus anprangert. Nach und nach jedoch wurde sein früheres Oeuvre rehabilitiert. Es kam zu Wiederaufführungen seiner Opern "Die Nase" und „Lady Macbeth von Mzensk“, die in einer überarbeiteten Fassung als Katarina Ismailowa stattfand. Schostakowitsch konnte unterrichten und 1961 erlebte er die verspätete Uraufführung seiner 4. Sinfonie unter Kirill Kondraschin. Die deutsche Erstaufführung erfolgte mit der Dresdner Staatskapelle 1963 1962-1975 Spätwerk Grab Schostakowitschs auf dem Neujungfrauenfriedhof in Moskau Nach einer zweiten unglücklichen Ehe, die nur 3 Jahre dauerte, heiratete er 1962 Irina Antonowna Supinskaja, ein Glücksfall seines Lebens. Die junge Frau kümmerte sich bis zu seinem Tod liebevoll um ihren Mann. Schostakowitsch war Professor am St. Petersburger (damals Leningrader) und Moskauer Konservatorium. Zu seinen Schülern gehören wichtige zeitgenössische Komponisten wie Edisson Denissow und Sofia Gubaidulina. In der Mitte der 60er Jahre häuften sich Erkrankungen, Schostakowitsch litt unter einer chronischen Rückenmarkentzündung, die zu einer progressiven Lähmung der rechten Hand führte. 1966 erlitt er einen ersten Herzinfarkt, 5 Jahre später einen zweiten. Seine 13. Sinfonie, "Babi Yar" nach Texten von Jewgeni Jewtuschenko wurde nach einigen Aufführungen abgesetzt. Die 14. Sinfonie für Sopran, Bass und Kammerorchester setzte sich bereits eindrücklich mit dem Thema Tod und Abschied auseinander. In den letzten Lebensjahren, beginnend etwa mit dem 2. Cellokonzert, ist in Schostakowitschs Schaffen eine deutliche Reduktion der Mittel und Konzentration des Ausdrucks zu beobachten, zudem erfährt seine Musik eine deutliche Schärfung der Harmonik. 1967 brach sich Schostakowitsch ein Bein und blieb gehbehindert. Von da an verbrachte er jedes Jahr einige Monate in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die 15. Sinfonie in A-Dur, seine letzte, ist ein mit (Selbst-)Zitaten angefüllter, rätselhafter, freundlicher und abgründiger Rückblick auf ein Komponistenleben voller Höhen und Tiefen. Sein letztes vollendetes Werk ist eine Sonate für Bratsche und Klavier. Schostakowitsch starb am 9. August 1975 an einem Herzinfarkt. Unter den vielen Kränzen, die das Grab schmückten, war auch einer vom KGB.