7 Bedingte Wahrscheinlichkeiten 7.1 Beispiele 1. Fritz zieht eine Karte aus einem Kartenspiel (32 Blatt). Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Dame 4 gezogen hat (D), ist P (D) = 32 = 18 . Er teilt jedoch nur mit, dass er eine Bildkarte (Bube, Dame, König) gezogen hat. Wie ändert sich durch diese Information die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Dame gezogen hat? Sie ist offensichtlich gestiegen: Da es nur 12 Bildkarten gibt und vier davon Damen sind, ist die 4 = 13 . Wahrscheinlichkeit nun 12 2. In einer Klasse sind 14 Jungen und 10 Mädchen. Davon sind 8 Jungen und 4 Mädchen aktiv in einem Sportverein tätig. In der Klasse soll eine Karte für eine Sportveranstaltung verlost werden. a) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen die Karte erhält? Bezeichnungen: Ω = {Schüler und Schülerinnen der Klasse} ⇒ |Ω| = 24, M : Ein Mädchen wird ausgelost.“ ” J = M : Ein Mädchen wird ausgelost.“ ” A: Ein(e) aktive(r) Sportler(in) wird ausgelost.“ ” Wir machen die Laplace-Annahme, dass die Ergebnisse der Verlosung alle gleichwahrscheinlich sind. 10 ≈ 0,4167. Offensichtlich ist P (M ) = 24 b) Wie ändert sich die Wahrscheinlichkeit, wenn die Verlosung auf die aktiven Sportler beschränkt wird? In diesem Fall müssen wir die Menge A als neue Ergebnismenge ansehen! Für die gesuchte Wahrscheinlichkeit schreiben wir P (M |A) (lies: Wahrscheinlichkeit für das Ereignis M unter ” der Bedingung A“ oder kürzer: P von M gegeben A“). ” |M ∩A| 4 Es gilt: P (M |A) = |A| = 12 = 13 ≈ 0,3333 < 0,4167. Die Wahrscheinlichkeit ist also kleiner geworden. Versucht man nun, P (M |A) mit Hilfe schon bekannter Wahrscheinlichkeiten auszudrücken, gibt der obige Zwischenschritt einen Hinweis: |M ∩ A| P (M |A) = = A |M ∩A| |Ω| |A| |Ω| = P (M ∩ A) . P (A) P (M |A) heißt die bedingte Wahrscheinlichkeit für das Ereignis M unter der Voraussetzung, ” dass das Ereignis A eingetreten ist.“ oder: P (M |A) ist die bedingte Wahrscheinlichkeit von M unter der Bedingung A.“ ” 7.2 Bedingte Wahrscheinlichkeit Definition 1 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum über dem Grundraum Ω sowie A, B ⊆ Ω zwei Ereignisse mit P (B) > 0. Die Zahl PB (A) := P (A|B) := P (A ∩ B) P (B) heißt die bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung B. Bemerkungen: 1. Die Voraussetzung P (B) > 0 ist nötig, damit die Definition überhaupt erst möglich ist. 2. P (A|B) ist die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A eingeschränkt auf die Menge B (als neue Ergebnismenge). Damit kommen natürlich nur die Elemente von A in Frage, die auch in B liegen, also solche, die in A ∩ B liegen. Die Schreibweise PB (A) in der Definition weist darauf hin, dass PB als spezielles Wahrscheinlichkeitsmaß verstanden werden kann – eben dasjenige, das äuf dem neuen Grundraum (der neuen Ergebnismenge B) definiert werden kann. 3. Vorsicht: Sehr oft werden die Wahrscheinlichkeiten P (A|B), P (B|A) oder P (A ∩ B) miteinander verwechselt, weil die umgangssprachlichen Beschreibungen dieser Wahrscheinlichkeiten sehr ähnlich sind. Hilfreich ist die genaue Überlegung, welche Menge man sich als neue Ergebnismenge denken kann – A oder B – oder ob diese überhaupt vonnöten ist. Bsp.: M : Die Person ist männlich.“, S: Die Person ist mindestens 70 Jahre alt.“ ” ” – Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Mann mindestens 70 Jahre alt ist: P (S|M ). – Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand ein mindestens 70jähriger Mann ist: P (S ∩ M ). – Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand, der mindestens 70 Jahre alt ist, ein Mann ist: P (M |S). 7.3 Multiplikationssatz für bedingte Wahrscheinlichkeiten Satz 1 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum über dem Grundraum Ω sowie A, B ⊆ Ω zwei beliebige Ereignisse. Dann gilt: P (A ∩ B) = P (B) · P (A|B) Beweis: Für P (B) > 0 folgt der Satz unmittelbar aus der Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit. Für P (B) = 0 gilt er trivialerweise auch (Wieso?). 7.4 Ein weiteres Beispiel Bei einer großen Party sind ebensoviele Damen wie Herren anwesend. Jeder vierte Herr und jede sechste Dame rauchen. Jemand bemerkt einen rauchenden Gast, ohne erkennen zu können, ob es ein Herr oder eine Dame ist. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist ein Herr? Bezeichnungen: H: Der Gast ist ein Herr.“, D: Der Gast ist eine Dame.“, R: Der Gast raucht.“ ” ” ” P (H) = P (D) = 21 , P (R|H) = 14 , P (R|D) = 16 . Aus dem Multiplikationssatz folgt P (R ∩ H) = P (H) · P (R|H) = 12 · 14 = 81 1 sowie P (R ∩ D) = P (D) · P (R|D) = 12 · 16 = 12 . 1 5 Da H und D disjunkte Ereignisse sind, ist P (R) = P (R ∩ H) + P (R ∩ D) = 18 + 12 = 24 . P (H∩R) 1/8 3 Die gesuchte Wahrscheinlichkeit P (H|R) ergibt sich demnach zu P (H|R) = = R 5/24 = 5 . 7.5 Die totale Wahrscheinlichkeit und die Formel von Bayes Im letzten Beispiel wurde die Gesamtwahrscheinlichkeit für das Ereignis R als Summe der einzelnen bedingten Wahrscheinlichkeiten P (R|H) + P (R|D) ermittelt. Da D und H disjunkt sind und zusammen ganz Ω ergeben (Ω = H ∪ D), spricht man von einer Zerlegung von Ω; die auf diese Art ermittelte Wahrscheinlichkeit heißt totale Wahrscheinlichkeit. Allgemein gilt der folgende Satz. Ss Satz 2 Sei (Ω, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und A1 , A2 , . . . , As disjunkte Ereignisse mit i=1 Ai = Ω (dann heißt {A1 , A2 , . . . , As } Zerlegung von Ω). Dann gilt für jedes Ereignis B: 1. P (B) = s X P (Ai ) · P (B|Ai ) (Formel von der totalen Wahrscheinlichkeit) i=1 2. Falls P (B) > 0, so gilt für jedes k = 1, . . . , s: P (Ak |B) = P (Ak ) · P (B|Ak ) s X P (Ai ) · P (B|Ai ) (Formel von Bayes) i=1 Beweis: 1. P (B) = P (Ω ∩ B) ! ! s [ = P Ai ∩ B = P i=1 = s X i=1 P (Ai ∩ B) = s [ ! (Ai ∩ B) i=1 s X P (Ai ) · P (B|Ai ). i=1 2. Laut Definition ist P (Ak |B) = P (Ak ∩B) P (B) = P (B∩Ak ) P (B) = PsP (Ak )·P (B|Ak ) . i=1 P (Ai )·P (B|Ai ) 7.6 Übungen 1. Beim Werfen eines Laplace-Würfels wird eine geradzahlige Augenzahl erzielt. Berechnen Sie unter dieser Bedingung die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ... a) ... Augenzahl 2 erscheint, b) ... die geworfene Augenzahl kleiner als 3 ist, c) ... die geworfene Augenzahl größer als 3 ist. 2. In einem Betrieb sind 96% der hergestellten Erzeugnisse brauchbar. Von jeweils 100 brauchbaren Erzeugnissen sind im Mittel 75 Güteklasse I. Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass ein in diesem Betrieb hergestelltes Erzeugnis Güteklasse I hat. 3. Eine Krankheit, an der statistisch jeder 1000. erkrankt ist, soll mit einem systematischen Test an den Bürgern Ihrer Stadt aufgedeckt werden. Der Test hat eine (beiderseitige) Trefferquote von 98%, d.h. im Mittel werden von 100 Erkrankten 98 positiv und von 100 Gesunden 98 negativ, aber auch 2 (falsch) positiv getestet. Sie werden positiv getestet. Mit welcher Wahrscheinlichkeit sind Sie krank?