Mykhaylo Zakharov Dmitri Schostakowitsch und seine Violinkonzerte

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Mykhaylo Zakharov
Dmitri Schostakowitsch
und
seine Violinkonzerte
Wissenschaftliche Diplomarbeit der Studienrichtung
V066 716 (Ma Violine)
der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
Matr.Nr. 0573035
Betreuer/in:
Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Ernst Hötzl
Graz, November 2016
Inhaltsverzeichnis
Vorwort - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 3
Einleitung - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 4
1. Dmitri Schostakowitsch: Biographie - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 6
a. Kindheit - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 6
b. Jugend und Studienzeit - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 10
c. Stalin-Ära - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 14
d. Entstalinisierung - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 22
e. Letzte Jahre - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 25
2. Schaffen - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 28
2.1. Die musikalische Sprache von Dmitri Schostakowitsch - - - - - - - - - - - - - - 28
2.2 Werke - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 36
3. Violinkonzert Nr. 1, a-Moll, op. 77
3.1 Entstehungsgeschichte
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 45
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 45
3.2 Kurze Satzbeschreibung - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 47
4. Violinkonzert N 2, cis-Moll, op.129 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 62
4.1 Entstehungsgeschichte
4.2 Kurze Satzbeschreibung
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 62
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 67
4.3 Aufnahmen der Violinkozerte von Schostakowitsch - - - - - - - - - - - - - - - - - - 77
Schlusswort
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 80
Literaturverzeichnis - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 81
Bildnachweis
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 84
2
Vorwort
Die Idee, über Dmitri Schostakowitsch und seine Violinkonzerte zu schreiben, entstand
während meiner praktischen Beschäftigung als Geiger mit diesen Werken,
beziehungsweise mit dem Einstudieren des 1. Violinkonzerts in a-Moll. Mit dieser
Arbeit möchte ich auch meine Kenntnisse über Leben und Schaffen von
Schostakowitsch vertiefen, somit werde ich seine Musik besser verstehen und einige
Antworten zu wichtigen Interpretationsfragen dieser Musik bekommen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Ernst Hötzl für
die Betreuung, bei Frau Gudrun Gowayed für grammatikalische Korrekturen und bei
Frau Mag. G. Mirzoyan für stilistische Vorschläge herzlich bedanken.
3
Einleitung
Dmitri Schostakowitsch ist einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Er war sehr produktiv und vielseitig, versuchte sich als Komponist in fast allen
Musikgattungen.
In dieser Arbeit werden die besonderen Lebensumstände von Dmitri Schostakowitsch in
der Sowjetunion erläutert und seine zwei Violinkonzerte dargestellt. Wenn man sich mit
der Musik von Schostakowitsch und mit seiner Biographie beschäftigt, versteht man,
dass er ein Künstler war, der von dem politischen, gesellschaftlichen und kulturellen
Umfeld seiner Zeit untrennbar war.
,,Er war als Komponist so tief mit Russland verbunden, dass ein Aufblühen seines
Talents außerhalb der Grenzen seines Vaterlands kaum vorstellbar ist. In dieser Hinsicht
unterschied er sich grundsätzlich von Igor Strawinsky und Sergei Prokofjew, die im
Westen ebenso gut leben und arbeiten konnten wie in Russland, wenn sie nur Freunde
für ihre Musik fanden. Bei Schostakowitsch dagegen ist jedes bedeutende Werk meist
eТne ReaktТon auf konkrete EreТgnТsse Тm Lande‘‘.1
1 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 11.
4
D. Schostakowitsch (1906-1975)
5
1. Dmitri Schostakowitsch
1.1 Biographie
a) Kindheit
Bei der Formung einer Persönlichkeit spielt die Kindheit eine entscheidende Rolle.
Deshalb wird in dieser Arbeit eine ausführliche Darstellung der Kindheitsbiographie
von Dmitri Schostakowitsch herausgearbeitet.
Die Vorfahren von Schostakowitsch kamen aus Sibirien. Sein Großvater väterlicherseits
war polnischer Herkunft. In den erhaltenen Dokumenten von über 200 Jahren findet
man unterschiedliche Schreibweisen des Namens wie Szostakowicz, Szostakiewicz oder
Szustakiewicz.2
Der Großvater, Boleslaw Szostakowicz, war ein polnischer Revolutionär bei der
OrganТsatТon ,,Land und FreТСeТt‘‘. DТese OrganТsatТon war eТne der radТkalsten
sozialistischen Gruppen. Er nahm an dem Aufstand im Jänner 1863/64 teil und wurde
1866 in die Nähe von Tomsk3 verbannt. Als die Zeit seines Exils vorbei war, beschloss
Bolesław SzostakowТcz, Тn SТbТrТen zu bleТben. Er lebte dort mТt seТner großen FamТlТe.
Sein Sohn, Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch, der Vater des Komponisten, war
im Exil im Jahre 1875 geboren, besuchte später die Sankt Petersburger Universität, die
er 1899 an der Fakultät für Physik und Mathematik abschloss. Später arbeitete er als
Ingenieur in Sankt Petersburg. Im Jahre 1903 heiratete er die junge russische Pianistin
Sofia Kokulina. Sie hatten dann insgesamt drei Kinder und Dmitri, der im Jahre 1906
geboren wurde war das zweite Kind. Die Familie Schostakowitsch hatte musikalische
Tradition, aber der Sohn Dmitri interessierte sich nicht für Musik. Die Mutter übernahm
2 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 19.
3 Tomsk (russТscС
) Тst eТne Großstadt Тn der Oblast Tomsk Тm WestteТl SТbТrТens und Тm MТttelteТl
Russlands. Tomsk; online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Tomsk , 05.06.2015.
6
bald die musikalische Erziehung von zwei ihrer Kinder - Dmitri und seiner großen
Schwester Maria.4
Die musikalische Begabung des Jungen wuchs heran. Dmitri begann bald mit seinen
ersten kompositorischen Versuchen.
Im Jahre 1917 war der Elfjährige Mitja (so sein Kosename) noch zu klein um die
revolutionären Ereignisse zu begreifen, aber er
wurde Augenzeuge bei einer
Demonstration, wo ein Arbeiter von Polizisten erschossen wurde. Der kleine Mitja
komponierte daraufhin eine Hymne an die Freiheit und einen Trauermarsch für die
Opfer der Revolution. So erlebte der Kleine einige Augenblicke, an die er sich sein
ganzes Leben erinnerte.
Die Familie Schostakowitsch widmete sich vielfach der Musik. Hier hörte Mitja zum
ersten Mal im Leben Quartette und Trios von Haydn, Mozart, Beethoven, Borodin und
Tschaikowski. 5
,,Schostakowitsch erinnerte sich noch nach 40 Jahren an diese Augenblicke, wobei er
überzeugt war, dass sie eine große Rolle bei der Formung seines musikalischen
BewußtseТns gespТelt Сaben.‘‘6
Dmitris Talent entwickelte sich sehr schnell. Er machte große Fortschritte beim
Klavierspiel, aber er komponierte auch weiter. Die Mutter betrachtete seine
kompositorischen Versuche skeptisch, aber bemerkte seine großartigen pianistischen
Begabungen. So brachte sie den Zehnjährigen zu einer Musikschule.
Er besuchte den Klavierunterricht in der Musikschule bei Ignacy Glasser. Im
Mittelpunkt von Glassers Unterricht stand die pianistische Technik. Aber der Lehrer sah
die kompositorischen Versuche von Mitja ebenfalls skeptisch.
Als Dmitri 13 Jahre alt wurde, sah er zum ersten Mal auf der Bühne des MariinskiTheaters Ewgeni Onegin7von Tschaikowski.
4 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 19.
5 Ebd., S. 26.
6 Ebd.
7
,,Er kannte zwar Fragmente dieser Oper vom häuslichen Musizieren und konnte sich an
viele Stellen sehr gut erinnern, aber erst jetzt hörte er das ganze Werk von Tschaikowski
im Original. Der Eindruck war so überwältigend, daß er wochenlang wie betäubt schien
und bald die ganze Oper auswendig konnte!‘‘8
Schostakowitsch komponierte für sich weiter. Endgültig haben die Eltern entschieden
trotz der Skepsis ihn zu Alexandr Siloti9 zu bringen, der ein hervorragender Pianist,
Dirigent und ehemaliger Schüler von Franz Liszt war.
So liest man in dem Buch von Krzysztof Meyer Schostakowitsch: Sein Leben, sein
Werk, seine Zeit die Beschreibung über diese Begegnung von Dmitri Schostakowitsch.
,,Vater bat, [Siloti] möge mein Spiel anhören. Er willigte ein. Einige Tage später spielte
ich also Siloti etwas vor. Ich war furchtbar aufgeregt. Nun sollte sich mein Schicksal
entscheiden. Ich hörte auf zu spielen. Siloti schwieg eine Weile und sagte dann zu
7 Die Oper Eugen Onegin von Tschaikowski wurde im Jahre 1878 geschrieben. Sie basiert auf dem
gleichnamigen Versroman Eugen Onegin von Alexander Puschkin. Ewgeni Onegin; online verfügbar:
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Onegin_(Oper) , 20.09.2015.
8 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 28.
9 Alexander Siloti (1863 - 1945) war ein russischer Pianist, Komponist und Dirigent. Er ist ein Cousin
des russischen Pianisten und Komponisten Sergei Rachmaninow. Silotis Vorfahren waren im Verlauf des
18. Jahrhunderts aus Italien kommend in Russland eingewandert. Siloti, der anfangs von Anton
Rubinstein Klavierunterricht erhielt, studierte von 1875 bis 1881 am Moskauer Konservatorium bei
Nikolai Rubinstein, Pjotr Tschaikowski und Sergei Tanejew. Bereits 1880 debütierte er erfolgreich in
einem Konzert der Russischen Musikgesellschaft (RMO) in Moskau. 1883-1886 Schüler von Franz Liszt
in Weimar, konzertierte er erfolgreich in verschiedenen deutschen Städten, wie 1883 auf der
Tonkünstlerversammlung zu Leipzig. Auch die Anregung zur Gründung der Liszt-Gesellschaft 1885 in
Leipzig geht auf Siloti zurück. Seine pianistische Begabung verhalf ihm zu einer Professur für Klavier
1886-1890 am Moskauer Konservatorium. Seine Rolle als führende Persönlichkeit des russischen
Musiklebens endete mit der Oktoberrevolution, während der er ins Blickfeld der Obrigkeit geriet. 1919
kam es zu einer vorübergehenden Festnahme, aufgrund eines Fürsprechers wurde er jedoch wieder auf
freien Fuß gesetzt. Er flüchtete mit seiner Familie nach Finnland, konzertierte in Deutschland und
England und emigrierte von dort endgültig in die USA. Dort wirkte er bis 1936 als Konzertpianist und
lehrte 1924-1942 an der Juilliard School in New York. Siloti hat sich vor allem als Pianist einen Namen
gemacht. Als einem der glänzendsten Repräsentanten der Liszt-Schule, verdanken seinem pädagogischen
Geschick zahlreiche russische Musiker ihr pianistisches Können, darunter sein jüngerer Cousin Sergei
Rachmaninow, Alexander Goldenweiser und Konstantin Igumnow. Alexander Siloti; online verfügbar:
URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Iljitsch_Siloti, 01.05.2015.
8
meiner Mutter: > Eine Karriere wird der Junge nicht machen. Er hat keine musikalische
Begabung. Aber wenn er Lust Сat, nun… dann soll er eben lernen. < IcС Сabe damals
dТe ganze NacСt durcСgeweТnt. […] Da Mutter meТne VerzweТflung saС, gТng sТe mТt
mir zu A. K. Glasunow.‘‘10
Glasunow11, Direktor des Petrograder Konservatoriums12, war damals schon in der
russischen Musikwelt eine Autorität. Das Treffen mit Glasunow verlief im Gegensatz
zum vorherigen Treffen mit Siloti ganz gut. So begann der dreizeihnährige
Schostakowitsch 1919 am Konservatorium in Petrograd (so hieß Sankt Petersburg von
1914 bis 1924) Klavier bei Leonid Nikolajew und Kompositionslehre bei Maximilian
10 Meyer, K.;Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 28.
11 Alexander Glasunow (1865-1936) war ein russischer Komponist. Glasunow vereint in seiner Musik
nationalrussische Einflüsse mit Stilelementen von Tschaikowski. So lassen sich in seinem Werk
Tendenzen zu ausgesprochen volksliedhafter Themenbildung, orientalisierender Harmonik, Exotismen
und metrischen Freiheiten feststellen. Auf der anderen Seite sticht an Glasunows Musik ganz im
Gegensatz zu den Bestrebungen des Mächtigen Häufleins eine große handwerkliche Meisterschaft und
eine souveräne Beherrschung der Kompositionstechnik hervor: Glasunow war ein brillanter Orchestrator,
ein ausgefeilter Kontrapunktiker und ein Meister der Formgebung. Aufgrund seiner kompositorischen
Leistungen und seiner pädagogischen Tätigkeit kann Glasunow als eine bedeutende Persönlichkeit der
russischen Musikgeschichte angesehen werden. Glasunow trat auch als Dirigent und Pianist hervor,
wobei hierbei vor allem Interpretationen seiner eigenen Werke von Bedeutung sind. 1899 nahm er eine
Professur für Instrumentation am Petersburger Konservatorium an. 1905 übernahm er die Leitung dieses
Institutes, die er bis 1930 innehatte. Er schuf Sinfonien, Streichquartette, Instrumentalkonzerte, Vokal-,
Bühnen- und Orgelwerke. Alexander Konstantinowitsch Glasunow; online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Konstantinowitsch_Glasunow, 10.09.2015.
12
Sankt Petersburger (Seit der Gründung 1703 von Peter dem Großen trug die Stadt über 200 Jahre
lang den heutigen Namen, von 1914 bis 1924 hieß sie Petrograd, und sie wurde von 1924 bis 1991 zu
Ehren von Lenin Leningrad genannt) Konservatorium ist neben dem Moskauer Tschaikowski
Konservatorium eine der bedeutendsten Musikhochschulen in Russland. Das Sankt Petersburger
Konservatorium wurde 1862 durch den Pianisten Anton Rubinstein in Sankt Petersburg und die
Großfürstin Elena Pawlowa gegründet. Von 1924 bis 1991 hieß es nach der Stadt Leningrader
Konservatorium. Seit 1944 ist es nach dem ehemaligen Musikprofessor Rimski-Korsakow benannt. Das
Sankt Petersburger Konservatorium hat derzeit rund 1400 Studenten und 275 wissenschaftliche
Angestellte
(2004).
Sankt
Petersburger
Konservatorium;
online
verfügbar:
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt_Petersburger_Konservatorium, 10.09.2015
9
Steinberg zu studieren. Der Direktor des Konservatoriums Alexander Glasunow
verfolgte die Entwicklung dieses Jungen mit dem absoluten Gehör mit Aufmerksamkeit
und unterstützte ihn gelegentlich auch finanziell.
Obwohl Glasunow die kompositorischen Werke von Schostakowitsch nicht gefielen,
bemühte sich der Direktor dennoch seinen Schüler mit allem zu fördern. Direktor
Glasunow organisierte ein dringend benötigtes Stipendium für Schostakowitsch. Anfang
1923, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, war die Familie aufgrund der
wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit fast ruiniert. Noch dazu wurde bei
Schostakowitsch, der immer schon eine schwache Gesundheit hatte, eine Lungen- und
Lymphdrüsentuberkulose diagnostiziert. Dieses Leiden begleitete und prägte ihn
während seines ganzen Lebens.
b) Jugend, Studienzeit, Nachstudienzeit, Komponieren unter
Stalin
Schostakowitschs Kindheit, Jugend und Studienzeit fielen in eine besondere Periode der
russischen Kultur- und Kunstgeschichte.
Gegen Ende 1923 entschloss sich der junge Schostakowitsch selbst Geld zu verdienen,
um zu helfen die Familienwirtschaftsprobleme zu erleichtern. So begann er als
Klavierspieler in einem Stummfilmkino zu arbeiten (ca. zwei Jahre lang). Genau diese
Erfahrung sollte ihm später helfen, sodass Dmitri Schostakowitsch einer der
bedeutendsten Filmmusikkomponisten des 20.Jahrhunderts wurde.
1923 hatte Schostakowitsch die Idee eine Sinfonie zu schaffen. Er begann mit dem 2.
Satz Scherzo, die ganze Partitur stellte er im Mai 1925 fertig. Damit er
sich
ausschließlich seinem Schaffen widmen konnte, gab er im Dezember 1924 seine Arbeit
im Kino auf, musste sie aber schon wieder Mitte Februar 1925 neuerlich aufnehmen.
Diese Monate waren für ihn sehr arbeitsintensiv. Parallel entstanden sind auch die Zwei
Stücke für Streichoktett, welches er im Juli 1925 fertig gestellt hatte.
10
1925 im Alter von nur neunzehn Jahren, schuf er seine 1. Sinfonie in f-Moll für seine
Abschlussprüfung am Konservatorium, die seine Diplomarbeit war. Dieses Werk
brachte ihm einen sensationellen Erfolg. Genau mit dieser Sinfonie erwarb Dmitri
Schostakowitsch seine weltweite Anerkennung.
,,Die Symphonie f-Moll Nr. 1 offenbart bereits das phänomenale Talent des jungen
Komponisten. Bis heute versetzt sie durch ihren Reichtum an
Einfällen und die
ungewöhnliche Beherrschung der Technik in Erstaunen. Schostakowitsch bewältigte
nicht nur eine große Symphonieform mit der Leichtigkeit eines erfahrenen Meisters,
sondern er zeigte auch vor allem einen eigenen, sehr individuellen und
cСarakterТstТscСen StТl. […]
Schostakowitschs starke Individualität kommt vor allem im Bereich der Melodik, der
deformierten tonal-modalen Harmonik und auch der breitgefächerten Expression – vom
spezifischen grotesken Humor des Scherzos bis zur ausufernden Lyrik des langsamen
Satzes – zum VorscСeТn.‘‘13
Dmitri Schostakowitsch setzte sich in der folgenden Zeit mit verschiedenen
zeitgenössischen Musikrichtungen wie dem Futurismus, der Atonalität und dem
Symbolismus auseinander. Ein Beispielswerk, in dem er die Verwendung der
zeitgenössischen Musikrichtungen zeigt, war seine Sinfonie Nr. 2 in H-Dur op. 14 An
den Oktober (1927). Nach mehreren Experimenten fand er aber für sich einen ganz
eigenen Weg.
,,Seine avantgardistische Klaviersonate op.12 von 1926 war heftigen Angriffen seitens
der Puristen aus den Reihen der RAPM [Russische Verband der proletarischen Musiker
– M. Z.] ausgesetzt. […] Zur gleТcСen ZeТt krТtТsТerten MТtglТeder der ASM [Verband
der Gegenwartsmusik-M. Z.] die traditionellen Wurzeln seiner I. Symphonie.
Schostakowitsch stand zwischen den Stühlen der verschiedenen kulturpolitischen
Gruppen der nachrevolutionären Zeit. In der II. Symphonie zeigte er sich als Komponist
auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln, der – aus welchen Beweggründen, liegt
bislang im Dunkeln – die ,ErrungenscСaften‘ der OktoberrevolutТon, dТe durch
13 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 58-59.
11
Lunatscharski exemplarisch dargelegt worden waren, auf dem Gebiet der Symphonik
auf ТСre GültТgkeТt СТn überprüfte.‘‘14
Als Gegensatz zur 1. Symphonie zeigte er hier den Wandel seiner kompositorischen
Überzeugung: ,,Schostakowitsch war nun nicht mehr den Professoren des Leningrader
Konservatoriums verpflichtet, er griff in diesem Auftragswerk vielmehr begierig die
neuesten Strömungen der zeТtgenössТscСen MusТk auf.‘‘15
In den Jahren 1927-1930 entstandenen Werke wie die Klaviersonate, die Aphorismen
für Klavier und die 2. Sinfonie, waren für Schostakowitsch ein Versuchs- und
Experimentiergebiet, auf dem er viele Erfahrungen sammelte.
In diesen Jahren entstand auch seine Oper Die Nase (nach Nikolai Gogols
gleichnamiger Erzählung), die die erste erhaltene Oper von Schostakowitschs ist. Er
schrieb sie im Alter von 22 Jahren.
,,Die Nase ist die geniale Schöpfung der Phantasie eines zweiundzwanzigjährigen
Komponisten. Nahezu jede Seite der Partitur enthält höchst originelle und
baСnbrecСende Ideen, dТe stark von seТner PersönlТcСkeТt geprтgt sТnd. […]
Schostakowitsch wollte mit seiner Musik die Aussage des Textes betonen, in dem das
Böse durch eine haarsträubende Groteske, eine Satire mit bitterem, ironischem Humor,
entlarvt wТrd.‘‘16
Auf politischen Druck wurde diese Oper formalistisch gebrandmarkt und war nach
sechzehn Vorstellungen von den Spielplänen verschwunden. In der Sowjetunion wurde
sie erst wieder im Jahre 1974 gespielt.17
Weitere Werke dieser Perioden waren die Sinfonie Nr.3, die Ballette Das goldene
Zeitalter und Der Bolzen, sowie Theater- und Filmmusik.
14 Koball, M.: Pathos und Groteske – Die deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dmitri
Schostakowitsch, Vlg. Ernst Kuhn, Berlin 1997, S. 68.
15 Koball, M.: S.72.
16 Meyer, K.; S. 118.
17 Die deutsche Erstaufführung fand 1963 in Düsseldorf statt.
12
Am 26. Oktober 1930 fand die Uraufführung des Balletts Das goldene Zeitalter statt.
Es hatte großen Erfolg.
,,Den Künstlern wurden Ovationen bereitet; außerdem mußten einige Nummern nach
lang anСaltendem BeТfall wТederСolt werden.‘‘18
Die Musikkritiker aber beurteilten das Werk sehr negativ. Sie bezeichneten die Musik
als völlig ungeeignet für den Tanz und warfen Schostakowitsch vor, dass das Werk im
bourgeoisen Stil komponiert wurde.
Das folgende Ballett Der Bolzen bekam auch heftige Kritik. Die Premiere am 8.April
1931 hatte einen Mißerfolg und führte wieder zu verstärkten Angriffen auf
Schostakowitsch. Viele waren der Meinung, der Komponist könne überhaupt keine
Musik für die Bühne schreiben.
,,Schostakowitsch geriet in eine schwierige Situation. Die Autorität, die er kurz nach
Beendigung des Studiums in Musikerkreisen erlangt hatte, begann zu schwinden.
Zunächst wollte es ihm nicht gelingen, den Erfolg der Symphonie Nr.1 zu
wТederСolen.‘‘19
In diesen Jahren fand im Privatleben des Komponisten ein wichtiges Ereignis statt. Im
Jahre 1927 lernte Schostakowitsch die Töchter eines bekannten Juristen kennen. Sie
waren die Geschwister Warsar. Die jungen Leute verbrachten ihre Abende mit
Pokerspielen. Schostakowitsch hatte sich in Nina verliebt. Die Familie Warsar war
davon nicht begeistert, da ihre Tochter ihr Mathematik- und Physikstudium noch nicht
abgeschlossen hatte. Doch die beiden Verliebten heirateten am 13. Mai 1932.
…
Nachdem die erste Oper von Schostakowitsch Die Nase nach 16 Aufführungen von den
Bühnen verschwunden war, begann der Komponist mit seiner zweiten Oper, Lady
Macbeth von Mzensk. Diese Oper war ein Werk, welches eine große Aufregung für den
Komponisten brachte. Die Uraufführung am 22. Januar 1934 in Leningrad war ein sehr
großer Erfolg. Zwei Tage später fand die zweite in Moskau statt. Von 1934 bis 1936
18 Meyer, K.; S. 145.
19 Ebd.; S. 149.
13
feierte diese Komposition einen unglaublichen Erfolg mit fast 200 Aufführungen (in
Moskau und Leningrad). Eine ausführliche Schilderung der Geschehnisse bezüglich
dieser Oper folgt in den nächsten Unterkapiteln Stalin-Ära und Werke.
Nachdem Schostakowitsch seine 4. Sinfonie in c-Moll op.43 in den Jahren 1935–1936
komponierte (die Uraufführung folgte erst im Jahre 1961) und aufgrund des kritischen
Artikels in der Zeitung Prawda zurückgezogen hatte, begann Schostakowitsch am 18.
April 1937 die Arbeit an seiner nächsten Sinfonie Nr.5 in d-Moll op.47. Nach der
Uraufführung wurde diese Sinfonie offiziell als ,,die Rückkehr des verlorenen Sohnes
Тn dТe lТnТentreue KulturpolТtТk dargestellt‘‘20.
Die Sinfonie Nr. 5 erreichte einen großen internationalen Erfolg.
Die weitere bedeutende Werke von Schostakowitsch, welche während der Stalinepoche
entstanden waren sind die Sinfonien Nr. 6, 7, 8, 9, die Instrumentalkonzerte wie das
Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll op. 35 (1933), das Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 77
(1947/48, erst 1955 als op. 99 veröffentlicht), Kammermusikwerke wie Sonate d-Moll
für Cello und Klavier, op. 40 (1934), Streichquartette Nr. 1, 2, 3, 4, 5, das
Klavierquintett g-Moll op. 57 (1940), das Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 (1944).
c. Stalin-Ära
Die Musik von Dmitri Schostakowitsch ist eine Widerspiegelung seiner Zeit, daher ist
seine Musik unmöglich ohne Beschreibung der politischen Umstände der Stalin-Epoche
und die der darauf folgenden Zeit vorstellbar, u.a. die Entstalinisierungsperiode und die
Breschnew-Ära.
Nach der Oktoberrevolution herrschte ein Arbeitskult. Es wurden die Arbeiterliteratur,
die Musik und Malerei für Arbeiter gefördert. Die zaristische Zensur war vorbei, aber
stattdessen wurde sie von einer neuen Zensur ersetzt.
20 Online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dmitri_Dmitrijewitsch_Schostakowitsch#1926.E2.80.931933_Welterfolg,
10.10.2016.
14
,,[…] die Revolution Lenins mußte bis in die Musik hinein ausgedehnt werden. Neue
Ideen, neue Formen, eТn ScСlag Тns GesТcСt der BourgeoТsТe‘‘21
In den 1920er Jahren wurde ein Terminus sozialistischer Realismus22eingeführt.
,,Die Probleme des Landes waren wirtschaftlicher Natur, und Wirtschaft war
angewandte Politik, Politik Stalins. Der Augenblick ließ sich absehen, an dem zwecks
weiterer Konzentration der Kräfte und tieferer Durchtränkung mit der Ideologie des
Marxismus-Leninismus auch die Kunst der angewandten Politik unterstellt werden
würde.‘‘23
Nach der Oktoberrevolution war die erste Fünfjahrfeier in der Musik wenig fruchtbar
als in den anderen Künsten.
,,Erst im zweiten Jahrfünf belebte sich das Feld der Musik. Und gleichzeitig traten die
Fragen der Form hervor, die Grundfragen des musikalischen Aufbaus. An erste Stelle
traten die Diskussionen über die Rolle und Bedeutung des Volksliedes bei der
Schöpfung einer neuen revolutТonтren MusТk und eТnes neuen revolutТonтren LТedes.‘‘24
Andererseits war das Volkslied, als bäuerliche Musikausübung für die Arbeiterklasse
und in den Arbeiterklubs der großen Städte als ein konterrevolutionäres Erzeugnis. Eine
Weile übten auch die proletarischen Komponisten gegenüber dem Volkslied
Zurückhaltung aus.
,,Für die musikalische Agitation lag eine passende, zwar nicht neue, aber vielleicht
darum СöcСst populтre LТedform vor, nтmlТcС dТe TscСastuscСka.‘‘25
Die Tschastuschkas waren symmetrisch, kurzteilig und standen in einem Gegensatz zu
den alten Bauernliedern, welche lange unsymmetrische Perioden in freien Rhythmen
21
Prieberg, F. K.: Musik in der Sowjetunion, Verlag Wissenschaft und Politik Köln 1965, S. 84.
22
Die Bezeichnung sozialistische Realismus ist das Ergebnis von politisch dominierten
Kunstdiskussionen, die sein Ende der 1920er Jahre in der Sowjetunion geführt worden sind. Sie war das
Zentrum einer sog. Marxistisch-leninistischen Ästhetik, deren Ziel in der Fixierung von Grundsätzen für
eine neue, den gesellschaftlichen Veränderungen entsprechende Kunst gesehen wurde.Mehner, K.;
Sozialistischer Realismus, in: MGG, Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hg. von Finscher Ludwig, Die
Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 8, 1998 Stuttgart, S.1618-1623.
23 Prieberg, F. K.: Musik in der Sowjetunion, Verlag Wissenschaft und Politik Köln 1965, S. 88.
24 Ebd.
25 Ebd., S. 91.
15
hatten. Es ist ein wichtiger Faktor geworden, dass man durch Modernisierung und
Anpassung an den Volksgeschmack der Volkslieder diese Ziele erreichen konnte.
,,Das Volkslied existiert, erklärt man; und deswegen hält man auch die Aktualisierung
alter Melodien durch neue Texte für ganz in Ordnung, denn das Leben selbst zeugt
tausendfach davon, daß eine Melodie mit neuem, aktuellem Text wieder aufleben und
Popularität erringen kann. Und oft ist es so – man müßte nur dafür sorgen, daß neue
Texte nicht von irgendwem pfuscherhaft und verantwortungslos geschaffen werden, daß
Dichter sie schreiben, welche die Gesetze der Kunstsynthese verstehen und sich die
Schaffung neuer Texte zu schönen Melodien für eine Ehre anrechnen, mit denen sie von
neuem im Bewußtsein des Volkes aufleben, Popularität erringen, zur lebendigen
EmpfТndung für dТe ScСönСeТt der VolksmusТk beТtragen.‘‘26
Man versuchte mit allem die Musik zu proletarisieren und die musikalische Agitation,
Marsch und Massenlieder wurden protegiert.
,,[…] dТe HerrscСaft des sozТalТstТscСen RealТsmus begann. UrsprünglТcС […] war dТe
Lehre von dieser marxistisch-stalinistischen Ästhetik auf die Schriftsteller gemünzt
gewesen und als solche von Gorkij und Shdanow beim Ersten Sowjetischen
Schriftstellerkongreß
1934
verkündet
worden.
Daß
auch
die
Musik
einer
KunstanscСauung unterstellt werden sollte […] nТmmt nТcСt wunder. Es Сandelte sich
um eine gegen das Individuum gerichtete Doktrin, gegen das Prinzip einer Kunst um
der Kunst willen, gegen die Zweckfreiheit der künstlerischen Äußerung, Ausläufer des
romantischen Bemühens, die große Masse mit hoher Kunst zu beschenken, sie dadurch
zu zivilisieren, zu erheben, womit natürlich ein Abstieg der Sprache auf das Niveau des
Jargons verbunden war. Kunst sollte schon damals den gesellschaftlichen Interessen
dТenen.‘‘27
Der sozialistische Realismus wurde in den 1930er und 40er Jahre in allen Sowjetischen
Ländern eingeführt und für diese Länder zur beherrschenden Kunsttheorie erhoben. Erst
nach Stalins Tod 1953 wurden diese Einschränkungen etwas gelockert. Der
26 Prieberg, F. K.: S. 92.
27 Ebd., S. 112-123.
16
sozialistische Realismus beinhaltete die Idee, dass in der Kunst das Abbild der
sozialistischen Realität abgeliefert werden sollte. In der Literatur, Malerei, in Theater
und Film war diese Idee viel konkreter zu spüren und zu beobachten. In der Musik,
besonders in den Gattungen der absoluten Musik, also in den Musikrichtungen, die
nichts mit der Sprache zu tun hatten, war es anders; es war nicht so einfach den
sozialistischen Realismus zu verstehen und den Merkmalen dieser Idee zu folgen.
Es wurde eТn GegenbegrТff für den SozТalТstТscСen RealТsmus ,,eТngearbeТtet‘‘, der
Formalismus genannt wurde. Daher wurden viele Künstler als Formalisten
abgestempelt.
,,[…] Es war eТne völlТg wТllkürlТcСe BescСuldТgung, aber für vТele, dТe des
FormalТsmus angeklagt wurden, bedeutete sТe den Untergang…‘‘ 28
Es hieß, dass viele Komponisten wie Schostakowitsch, Prokofjew, Khatschaturian,
ScСebalТn und andere KomponТsten dТe ,,formalТstТscСe, volksfremde‘‘29 Tendenz
unterstützten und in den Kompositionen ,,formalistische Perversionen und volksfremde
Tendenzen''30 verwendeten, die ,,dem sowjetischen Volk und seinem künstlerischen
GescСmack fremd‘‘31 waren.
In den 1930er Jahren begann eine Verschärfung der massenhaften Verfolgungen,
Deportationen und unzähligen Todesurteile. Von diesem totalitären System wurden alle
erfasst. Unter den Millionen unschuldiger Opfer waren Arbeiter, Bauern, Ingenieure,
Künstler, Wissenschaftler.
,,In den gegen die Intelligenz gerichteten Repressionen zeigte sich eine furchtbare
Logik. Gebildete und zu einer Analyse der Ereignisse neigende Menschen waren nicht
nur unwillkommen, sondern schlicht gefährlich, denn der Stalinismus fürchtete jede
Opposition – selbst eТne potentТelle.‘‘32
28 Volkov, S.; Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch, Zeugenaussage, München-Hamburg 1979,
S.25.
29 Ebd.
30 Volkov, S.; S.31.
31 Ebd.
32 Meyer, K.; S. 187.
17
Aus dem Großen Terror33 von 1936 bis 1938 wurde ein systematischer Terror gegen die
Menschen betrieben, die angeblich gegen das kommunistische Regime von Stalin
konspТrТerten.
VТele
Künstler
wurden
als
„ScСтdlТnge‘‘
und
,,VolksfeТnde“
abgestempelt.
,,Als Stalin kam die Oper Lady Macbeth anzusehen, verließ er voller Wut das Theater.
Am 28. Januar 1936 erschien der von Stalin diktierte vernichtende Leitartikel Chaos
statt Musik in der Prawda: ,,Vom ersten Augenblick an vergeht dem Zuhörer Hören und
Sehen bei dem absichtlich plumpen, verwirrenden Getöse von Tönen. Bruchstücke von
Melodien, Embryos musikalischer Folgen, ertrinken, verschwinden und gehen immer
wieder unter in Krachen, Knirschen und Kreischen. Dieser Musik zu folgen, ist
scСwТerТg, sТe zu erТnnern, unmöglТcС.‘‘34
,,In der damaligen Presse tauchten immer wieder solche Artikel auf, die Gelehrte,
Ingenieure und Schriftsteller in den Schmutz zogen. Sie kündigten stets Verfolgungen
an, es droСten VerСaftung und sogar Verbannung mТt TodesurteТl.‘‘35
33 Der Große Terror – auch als Große Säuberung bekannt war eine von Herbst 1936 bis Ende 1938
dauernde umfangreiche Verfolgungskampagne in der Sowjetunion. Die Durchführung dieser von Josef
Stalin veranlassten und vom Politbüro gebilligten Terrorkampagne lag bei den Organen des
Innenministeriums der UdSSR. Der Terror richtete sich vor allem gegen mutmaßliche Gegner der
stalТnТstТscСen HerrscСaft und als unzuverlтssТg angeseСene „Elemente“ oder Gruppen. Als Großer Terror
im engeren Sinn wird der Zeitraum von Juli 1937 bis Mitte November 1938 verstanden. Allein in diesen
Monaten kam es zur Verhaftung von etwa 1,5 Millionen Menschen, von denen etwa die Hälfte
erschossen, die anderen bis auf wenige Ausnahmen in die Lager des Gulag oder in Gefängnisse verbracht
wurden. Die umfassenden Repressionen gelten als Höhepunkt einer Kette von Säuberungswellen der
Stalin-Ära. Die für den Terror Verantwortlichen inszenierten anfangs eine Serie von Schauprozessen, zu
deren bekanntesten die Moskauer Prozesse gehören, vorrangig gegen Eliten in Politik, Militär, Wirtschaft,
Verwaltung, WТssenscСaft und Kultur. DТe geСeТmen „MassenoperatТonen“ ab MТtte 1937, von denen so
genannte Kulaken, „sozТal scСтdlТcСe“ und „sozТal gefтСrlТcСe Elemente“ sowТe etСnТscСe MТnderСeТten
betroffen waren, forderten allerdings eine weit größere Opferzahl. Der Große Terror; online verfügbar:
URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Terror_(Sowjetunion), 31.05.2015.
34 Volkov, S.; S.24.
35 Meyer, K.; S. 210.
18
… 1936 starb der kranke russische Schriftsteller Maxim Gorki36. Er starb unter nicht
geklärten Umständen. Es wurde sein Sekretär verhaftet, für die Ermordung Gorgis
36 Maxim Gorki (1868-1936) war ein russischer Schriftsteller. Alexei Peschkow (sein Geburtsname)
wuchs in ärmsten Verhältnissen auf, in einer Zeit, in der das Elend der Massen in Russland zu einem
wichtigen Thema der literarischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden war. In den
späten 1880er Jahren kam er in Kasan erstmals in Kontakt mit der revolutionären Bewegung. Er arbeitete
bei einem Bäcker, dessen Laden gleichzeitig Bibliothek eines marxistischen Geheimzirkels war. 1889
wurde die zaristische Polizei erstmals auf ihn aufmerksam. Seine erste Erzählung Makar Tschudra, die
am 12. September 1892 in der Provinzzeitung Kawkas erschien, unterzeichnete Alexei Peschkow mit dem
Pseudonym Maxim Gorki (übersetzt: der Bittere). Nach der Revolution von 1905 bei der Zeitschrift
Noeaja Zhisn (Neues Leben), die er mitbegründet hatte, lernte er Lenin kennen, der dort als
Chefredakteur arbeitete. Als das politische Klima wieder strenger wurde, ging er ins Ausland (Frankreich,
USA). Nach seiner offenen Agitation gegen die Anleihe war für Gorki eine Rückkehr nach Russland
nicht möglich. Er verbrachte die Jahre 1907 bis 1913 auf der Insel
Capri, wo er sich allerdings
ausschließlich mit russischen und revolutionären Themen beschäftigte. Er gründete mit Lenins
Unterstützung eine Schule für Revolutionäre und Propagandisten. In diese Zeit fiel Gorkis erste
Auseinandersetzung mit Lenin. Gorki, für den die Religion immer eine wichtige Rolle gespielt hat,
schloss sich den Theorien der Gotterbauer um A. Bogdanow an, dТe LenТn als „AbweТcСung vom
MarxТsmus“ verurteТlte. Der KonflТkt entspann sТcС vor allem um GorkТs ScСrТft Eine Beichte, in der er
versuchte, Christentum und Marxismus zu versöhnen. Gorkis Skepsis gegenüber der Oktoberrevolution
von 1917 war der Grund für seine zweite große Auseinandersetzung mit Lenin. Gorki war zwar
grundsätzlich für eine soziale Revolution, meinte aber, dass das russische Volk dafür noch nicht reif sei;
die Massen müssten erst das nötige Bewusstsein entwickeln, um sich aus ihrer Misere zu erheben. Vom
Dezember 1921 bis zum April 1922 wurde Gorki in einem Lungensanatorium in Deutschland behandelt.
Nach Lenins Tod (1924) kehrte Gorki nicht in die Sowjetunion zurück, da er skeptisch gegenüber Lenins
Nachfolgern war. Am 22. Oktober 1927 beschloss die Kommunistische Akademie in einer Festsitzung
anlässlich von Gorkis 35-jährigem Autorenjubiläum, ihn als proletarischen Schriftsteller anzuerkennen.
Als Gorki bald darauf nach Sowjetrussland zurückkehrte, wurden ihm alle möglichen Ehrungen zuteil.
Sein sechzigster Geburtstag wurde im ganzen Land feierlich begangen, zahlreiche Institutionen wurden
nach ihm benannt. Seine Geburtsstadt Nischni Nowgorod wurde 1932 in Gorki umbenannt. 1930
gründete er die Zeitschrift Sowjetunion. In zahlreichen literaturwissenschaftlichen Werken der Zeit hob
man jene Elemente seines Schaffens hervor, die in den Kanon des Sozialistischen Realismus passten,
andere verschwieg man. Die meiste Zeit verbrachte Gorki in einer Villa in Moskau, wo er rund um die
Uhr von Mitarbeitern des GUGB (KGB-Vorgängerorganisation) überwacht wurde. Am 18. Juni 1936
starb Gorki. Noch in den achtziger Jahren fanden sich in Literaturlexika als wahrscheinliche
TodesursacСe „Ermordung durcС sowjetТscСen StaatssТcСerСeТtsdТenst“. Maxim Gorki; online verfügbar:
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Maxim_Gorki , 30.08.2015.
19
beschuldigt und zum Tode verurteilt. 1938 wurde der andere bedeutende russische
Dichter Ossip Mandelstam umgebracht. Im selben Jahr starben die Dichter Boris
Kornilov (im Gefängnis), Boris Pilnjak (auch verhaftet und hingerichtet). Ein weiterer
Schriftsteller Issaak Babel wurde ebenfalls verhaftet (1939) und ein Jahr später
hingerichtet. 1940 wurde Wsewolod Meyerhold37, seine Frau und der Mann der
bedeutenden Schriftstellerin Anna Achmatova38 liquidiert, Marina Zwetajewa endete
1941 durch Selbstmord. Der Direktor des Moskauer Konservatoriums Boleslaw
Przybyszewski kam in der Gefangenschaft ums Leben, die Komponisten Nikolai
Schiljajew, Alexandr Mossolow, Gawriil Popow, der Musikwissenschaftler Dima
Gatschew, der Orgelspieler Nikolai Wygodski, die Pianistin Marija Grinberg, der
berühmte Pianist und Pädagoge Heinrich Neuhaus und zahlreiche andere wurden auch
verhaftet. Viele dachten, dass Dmitri Schostakowitsch ebenfalls eine Verhaftung nicht
vermeiden könne. Er war selbst darauf vorbereitet.
Am 13. Juni 1937 erschien in der Presse die Nachricht über die Verhaftung,
Verurteilung und Hinrichtung einer Gruppe von den höchsten Militärs. In dieser Gruppe
37 Wsewolod Meyerhold (1874-1940) stammte aus einer Familie russlanddeutschen Ursprungs und war
ein russische Regisseur und Schauspieler. Er war der Entwickler einer radikal antirealistischen
Bühnenkunst und gilt als einer der bedeutendsten Theaterregisseure des 20. Jhs. 1930 gastierte Meyerhold
mit einer Auswahl von Inszenierungen in Berlin und in Paris. Daheim wurde er in den 1930er Jahren von
staatlicher Seite immer wieder der antisowjetischen Propaganda beschuldigt. Man warf ihm vor, seine
Aufführungen seien politisch und ideologisch nicht für die sowjetische Bevölkerung geeignet. Die
meisten seiner Produktionen wurden wegen der strengen Zensur nicht zugelassen. Er zog sich zurück und
widmete sich einem Neubauprojekt für seine Theatergruppe. Das Projekt konnte aber nie abgeschlossen
werden. Das Wsewolod-Meyerhold-Theater wurde 1938 zwangsweise geschlossen, ein Jahr später wurde
er verhaftet und seine Frau ermordet. Nach einer längeren Haftstrafe wurde er zum Tode durch Erschieße
verurteilt. Sein Leichnam wurde eingeäschert und in einem Massengrab auf dem Moskauer DonskoiFriedhof beigesetzt. Meyerhold wurde im Jahre 1955 rehabilitiert. Wsowolod Meyerhold; online
verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wsewolod_Emiljewitsch_Meyerhold , 30.08.2015.
38 Anna Achmatova (1889-1966) war eine russische Dichterin und Schriftstellerin. Sie gilt als die Seele
des Silbernen Zeitalters in der russischen Literatur und als die bedeutendste russische Dichterin. Ihr
späteres Schaffen ist vor allem von den Schrecken der stalinistischen Herrschaft geprägt, während der sie
selbst Schreibverbot hatte, ihr Sohn und ihr Mann inhaftiert waren und viele ihrer Freunde ums Leben
kamen. Nach Stalins Tod erfolgte die schrittweise Rehabilitation der Dichterin; sie durfte wieder arbeiten
und wurde 1958 wieder in den Schriftstellerverband aufgenommen. Anna Achmatowa; online verfügbar:
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Andrejewna_Achmatowa , 30.08.2015.
20
befand sich auch Tuchatschewski. Kurz darauf ging die Verhaftungswelle weiter. Da
begann die Verfolgung und Verhaftung all derjenigen, die mit Tuchatschewski Kontakt
hatten, wie Schiljajew, der bald ums Leben kam. Mit diesen beiden Personen war
Schostakowitsch befreundet.
,,Eines Tages erhielt Schostakowitsch eine Vorladung zum NKWD (Volkskommissariat
für innere Angelegenheiten) in Leningrad. Das erste Verhör fand am Sonnabend statt.
Der Offizier mit Namen Sakowski versuchte Schostakowitsch einzureden, daß er zu
einer Terroristengruppe gehöre, die einen Anschlag auf Stalin vorbereite, und verlangte
von ihm, die Namen der übrigen Verschwörer zu nennen. Das stundenlange Verhör
endete mit dem Befehl, am Montag wieder zu erscheinen, und der unheilverkündeten
Feststellung, daß er verhaftet werde, falls er keine genaueren Angaben zu den übrigen
Attentätern mache''.39
So wie Schostakowitsch selbst später Krzysztof Meyer, dem Verfasser des Buches
Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit erzählte, am schlimmsten war es den
Sonntag durchstehen zu müssen.
Am Montag fand das Verhör nicht statt, weil Sakowski bereits verhaftet wurde.
NKWD holte seine Opfer nachts. Schostakowitsch wusste es und nach dieser
Geschichte mit dem Verhör schlief er viele Monate lang voll angekleidet und hatte
schon einen gepackten Koffer zum Mitnehmen vorbereitet, falls er verhaftet wird.
,,Schlafen konnte er nicht. Er lag und wartete und lauschte im Dunkeln. Dabei verfiel er
in eine grenzenlose Niedergeschlagenheit und wurde von Selbstmordgedanken gequält,
die in den nächsten Jahrzehnten in kleineren oder größeren Abständen immer
wiederkehrten. Die ständige Erwartung des Schlimmsten hinterließ in seiner Psyche
bleibende Spuren, und eine panische Angst vor dem Verlust der Freiheit begleitete ihn
fortan bis an sein Lebensende. [...] Schostakowitsch sah sich nun als einen in die Politik
verstrickten Menschen, denn der Vorwurf des Formalismus wog fast soviel wie
Volksverrat.,,40
39 Meyer, K.; S. 218.
40 Ebd.
21
Der weltberühmte Geiger David Oistrach hatte in seinen Erinnerungen auch viele
schreckliche Momente über diese Zeit, wo jeder in Moskau alle Nächte zittern musste,
verhaftet zu werden.
,,Damals, 1937, blieben nur unsere Wohnung und die gegenüber von den Verhaftungen
verschont, alle anderen Bewohner sind Gott weiß wohin verschleppt worden. Jede
Nacht habe ich das Schlimmste befürchtet und für diesen Fall, der mir unausweichlich
schien, warmes Unterzeug und etwas zu essen bereitgestellt. Ihr könnt euch nicht
vorstellen, was wir durchgemacht haben - jede Nacht zu lauschen und zu warten, ob sie
an die Tür pochen, ob ein Auto vor der Haustür anhält... Eines Nachts sehen wir die
>schwarze Marusja< [Wagen des KGB] auf der anderen Straßenseite stehen. Wohin
wollten sie? Zu uns oder zu den Nachbarn? Unten ging die Haustür, und der Aufzug
setzte sich in Bewegung, stand auf unserer Etage still. Wie gelähmt horchten wir auf die
Schritte. Vor welche Tür machten sie halt? Eine Ewigkeit verging. Dann hörten wir sie
an eТner anderen WoСnungstür klТngeln.‘‘41
Schostakowitsch überlebte wie durch ein Wunder den Großen Terror und die StalinÄra.
d. Entstalinisierung
Im Jahre 1953 starb Stalin.
Schostakowitsch komponierte im gleichen Jahr seine 10. Sinfonie in e-Moll op.93.
Dieses Werk war ,,seine Abrechnung mit dem Diktator. Nach dem Zeugnis seines
Sohnes Maxim beschreibt der Komponist im Scherzo (2. Satz Allegro) das schreckliche
Gesicht Stalins. Es ist ein Werk der Trauer und des Schmerzes, aber es endet mit einer
Geste des persönlichen Triumphes und der Selbstbehauptung: dem Buchstabenmotiv DS-C-H […] ScСostakowТtscСs InТtТalen Тn deutscСer ScСreТbweТse. ‘‘42
41 Ebd.
42 Online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dmitri_Dmitrijewitsch_Schostakowitsch#1926.E2.80.931933_Welterfolg,
10.10.2016.
22
Diese Sinfonie schuf Schostakowitsch nach achtjährigem sinfonischen Schweigen. Die
Uraufführung fand am 17.12.1953 statt.
,,Das Thema der X. Symphonie könnte heißen: Befreiung des künstlerischen
Individuums aus der eisernen Umklammerung des Stalinismus. Eine Bestandsaufnahme
dessen, was nach dem Tod des Diktators möglich sein konnte, am Beginn einer Periode,
der Ilja Ehrenburgs Romantitel Tauwetter den Namen gegeben Сat.‘‘43
Die Tauwetter-Periode ist eine vom Tod Stalins 1953 ausgehende bis spätestens zur
Entmachtung seines Nachfolgers Nikita Chruschtschow 1964 reichende Zeitspanne.
Nikita
Chruschtschow44
wurde
zum
Reformer
des
stalinschen
Systems
Entstalinisierung.
Einerseits zeigte Chruschtschow die Bereitschaft die Änderungen zu führen, war aber
nicht bereit, sie wirklich zu Unterstützen. Beispielsweise begann bald (im Jahre 1958)
eine Hetzkampagne gegen Boris Pasternak, der einer der bedeutendsten sowjetischen
Schriftsteller
war.
Für
seinen
Roman
Doktor
Schiwago
bekam
er
den
Literaturnobelpreis. Er war der erste sowjetische Schriftsteller, der den Nobelpreis
erhielt und nicht annehmen durfte.
,,Die Prawda publizierte deshalb einen umfangreichen Artikel von Dawid Saslawski
unter dem Titel Das Geschrei der reaktionären Propaganda um ein literarisches
Unkraut. An dieser Stelle sei vermerkt, daß es derselbe Saslawski war, der
43 Koball, M.: S. 209.
44 Nikita Chruschtschow (1894-1971) war von 1953 bis 1964 Parteichef der KPdSU und zusätzlich von
1958 bis 1964 als Vorsitzender des Ministerrats (Ministerpräsident) auch Regierungschef der UdSSR.
Nach dem Tod Stalins im März 1953 zum Parteichef (nominell erster Parteisekretär) der KPdSU
aufgerückt, leitete er am XX. Parteitag der KPdSU 1956 durch eine riskante Geheimrede die
Entstalinisierung
ein.
Als
nunmehr
einflussreichster
sowjetischer
Politiker
wurde
er
1958
Ministerpräsident und initiierte zahllose Reformen, vor allem in Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik,
Bildung und Kultur. Außenpolitisch propagierte er die friedliche Koexistenz mit dem Westen, war aber
gleichzeitig dessen schwieriger Konterpart und strebte durch Raketentechnik und Aufrüstung die globale
Führungsrolle der UdSSR an. Dadurch kam es 1962 zur Kuba-Krise mit den USA, doch konnte ein
Dritter Weltkrieg durch Geheimdiplomatie mit Präsident John F. Kennedy vermieden werden. Online
verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikita_Sergejewitsch_Chruschtschow, 01.11.2016.
23
Schostakowitsch 1936 angeblich auf Weisung Stalins mit seinem unrühmlichen Artikel
Chaos statt Musik angegrТffen Сatte.‘‘45
Es fand eine Sondersitzung im Moskauer Schriftstellerverband statt. Diese
Sondersitzung war gegen Pasternak gerichtet. Nach vielen Angriffen wurde Pasternak
aus
dem
Schriftstellerverband
ausgeschlossen.
Er
war
gezwungen
die
Nobelpreisannahme abzulehnen.
Die Geschichte mit Boris Pasternak zeigt, inwieweit in den folgenden Jahren der
stalinistische Druck gelockert wurde.
Genau in dieser Periode war Dmitri Schostakowitsch gezwungen am 14.September
1960 in die Partei einzutreten.
,,Viele Freunde wandten sich damals von Schostakowitsch ab. Wissarion Schebalin soll
gesagt haben, daß er ihm bisher alles verzeihen konnte, aber den Beitritt zur Partei
werde er ihm nТe vergeben.‘‘46
Issaak Glikman berichtete, dass er nie im Leben erlebte, das Dmitri Schostakowitsch
laut, mit voller Stimme geweint hätte wie an einem Tag, als der Komponist Glikman
anrief und bat zu ihm zu kommen um zu erzählen, dass auf Initiative Chruschtschows
beschlossen wurde, daß er Vorsitzender des Komponistenverbandes der RSFSR werden
solle deshalb müsse er in die Partei eintreten.
…
1957 folgte die 11. Sinfonie in g-Moll von Schostakowitsch mit dem Untertitel Das
Jahr 190547.
Weitere Kompositionen dieser Periode Waren die Sinfonien Nr. 12, 13, die
Instrumentalkonzerte wie das Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur op. 102 (1957), das
Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107 (1959), die Streichquartette Nr. 6, 7, 8, 9.
45 Meyer, K.; S. 369-370.
46 Ebd.; S. 395.
47 1905 bezieht sich auf den Petersburger Blutsonntag, als der Zar auf eine unbewaffnete
Menschenmenge schießen ließ, die ihm eine Bittschrift zukommen lassen wollte. Online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dmitri_Dmitrijewitsch_Schostakowitsch#1953.E2.80.931961, 01.11.2016.
24
e. Letzte Jahre
Schostakowitsch unterrichtete am Leningrader und Moskauer Konservatorium. Zu
seinen Schülern gehörten wichtige zeitgenössische Komponisten wie Edisson
Denissow48 und Sofia Gubaidulina49.
Nach einer zweiten unglücklichen Ehe mit der Komsomolin Margarita, die nur drei
Jahre dauerte, heiratete er 1962 Irina Antonowna Supinskaja. Diese Frau begleitete ihm
bis zu seinem Tod.
48 Edisson Denissow (1929-1996) war ein sowjetisch-russischer Komponist und Musiktheoretiker. Er
zählt zu den bedeutendsten Komponisten der russischen Moderne. Denissow hielt viele Jahre einen Kurs
für Instrumentierung und Partiturlesen am Moskauer Konservatorium. Infolge seines Enthusiasmus für
avantgardistische Tendenzen des Westens im eigenen Werk wurde ihm keine eigene Kompositionsklasse
„anvertraut“ (dТe berüСmte TroТka – Schnittke, Gubaidulina, Denissow – erlangte keine offizielle
Anerkennung). Vom Generalsekretär des Komponistenverbandes der Sowjetunion Tichon Chrennikow
wurde er 1979 als Mitglied der Gruppe Chrennikows Sieben scharf kritisiert.
Er arbeitete von 1968 bis 1970 am Experimentalstudio für elektronische Musik in Moskau. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion wurde er Sekretär des russischen Komponistenverbandes und gründete
die 1932 aufgelöste Assoziation für zeitgenössische Musik (ASM-2) wieder. Außerdem war er im März
1990 Schirmherr des von Juri Kasparow gegründeten Moskauer Ensembles für zeitgenössische Musik.
1992 erhielt er schließlich eine Professur am Moskauer Konservatorium. Online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Edisson_Wassiljewitsch_Denissow, 10.10.2016.
49 Sofia Gubaidulina (*1931) ist eine russische Komponistin. Sie studierte Komposition und Klavier am
Konservatorium von Kasan und führte nach dem Abschluss 1954 ihre Studien in Moskau bis 1963 fort.
Als Studentin wurde sie mit einem Stalin-Stipendium ausgezeichnet. Während dieser Studien wurde ihre
MusТk als „pflТcСtvergessen“ bezeТcСnet, aber DmТtrТ ScСostakowТtscС ermutТgte sТe, ТСren „Irrweg“
fortzusetzen. Ihr Erfolg im Westen wurde vor allem von Gidon Kremer (später auch von Reinbert de
Leeuw) unterstützt, der ihr Violinkonzert Offertorium 1981 uraufführte. Seit zwei Jahrzehnten gehört
Sofia Gubaidulina zusammen mit Alfred Schnittke und Edisson Denissow zu den führenden, weltweit
anerkannten Komponisten Russlands der Ära nach Schostakowitsch. Sofia Gubaidulina lebt seit 1992 in
Deutschland. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Freien Akademie der Künste in
Hamburg sowie der Königlich Schwedischen Musikakademie Stockholm sowie Ehrenmitglied der
American Academy of Arts and Letters. Seit dem Jahre 2001 ist sie Ehrenprofessorin des
Konservatoriums von Kasan, seit 2005 auch an den Konservatorien von Beijing und Tianjin. Online
verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Sofia_Asgatowna_Gubaidulina, 10.10.2016.
25
Die letzten ca.10 Lebensjahre zeichnen eine Periode, in der die Verschlechterung des
Gesundheitszustands den Komponisten sehr belastet hat. Es folgten u.a. sein letzter
Auftritt als Pianist, sein Herzinfarkt, Tod vieler Freunde und das alles unter einer neuen
politischen Ära – der Breschnew-Ära.
…
Am 14. Oktober 1964 wurde Chruschtschow abgesetzt.
Im Jahre 1966 nahm Leonid Breschnew den Titel Generalsekretär des ZK der KPdSU
an ,,eine Bezeichnung, die zuvor Josef Stalin von 1922 bis 1952 geführt hatte. Nachdem
er sich machtpolitisch gegen seine Rivalen Alexei Kossygin und Nikolai Podgorny
durchgesetzt hatte, war seine Position unantastbar geworden. Den Beginn dieses
Wandels vernahm die sowjetische Bevölkerung als positiv, so versprach Breschnew
durch seine Berechenbarkeit eine gewisse Stabilität nach dem reformfreudigen
CСruscСtscСow.‘‘50
In dieser Periode wurden in der Sowjetunion oppositionelle Bewegungen formiert. Mit
diesen Oppositionsgruppen begannen neue Repressionen und ab 1966 fanden im ganzen
Land erneut politische Prozesse statt.
,,Die Prozesse führten zu Protesten, die wiederum zu Verhaftungen und weiteren
Prozessen füСrten.‘‘51
In diesen Jahren wurden neue Vergeltungsmaßnahmen angewandt, die bis dahin noch
nie zuvor durchgeführt wurden. Man wurde zwangsweise in psychiatrische Anstalten
eingeliefert, mit Hilfe von Medikamenten erfolgten schwere Eingriffe in die
Persönlichkeit.
Unter den Musikern befand sich Mstislaw Rostropowitsch in der Opposition, der ab
1971 Ausreiseverbot bekam. 1974 verließ er nach schweren Konflikten mit der
Regierung die Sowjetunion.
50 Online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Leonid_Iljitsch_Breschnew, 01.11.2016.
51 Meyer, K.; S. 470.
26
Diese Ereignisse beobachtete Schostakowitsch mit Entsetzen.
…
Im Jahre 1966 erlitt Dmitri Schostakowitsch seinen ersten Herzinfarkt und fünf Jahre
später den zweiten. Seine Sinfonie Nr. 13 in b-Moll op.113 wurde wieder kritisiert.
Diese Sinfonie wurde nach einigen Aufführungen abgesetzt. Mit der 14. Sinfonie
op.135 für Sopran, Bass und Kammerorchester (1969, nach Gedichten von García
Lorca, Apollinaire, Küchelbecker und Rilke) setzte sich der Komponist mit dem Thema
Tod und Abschied auseinander. In diesen Jahren entstanden seine Werke u.a. das
Cellokonzert Nr.1 g-Moll op. 126 (1966), das Violinkonzert Nr.2 cis-Moll op. 129
(1967), die Streichquartette Nr. 10 bis 15. Im Februar 1967 schuf Schostakowitsch die
Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok für Sopran, Violine, Violoncello und
Klavier (die Uraufführung spielten David Oistrach, Mstislaw Rostropowitsch, Galina
WТscСnewskaja und MТeczysław WeТnberg).
Ende 1967 hatte sich Schostakowitsch ein Bein gebrochen. Seitdem verbrachte er
jährlich einige Monate in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Seine letzte Sinfonie
Nr.15 in A-Dur op.141 komponierte er im Jahre 1971 in Repino. In dieser Sinfonie sind
die Zitaten häufig u.a. Motive aus Giacchino Rossinis Guillaume Tell und aus Richard
Wagners Opern, aber auch Themen aus eigenen, früheren Werken. Schostakowitsch
zeigte in diesem Werk sowohl heitere als auch traurige Charakterzüge. Die Sinfonie
wurde von seinem Sohn Maxim Schostakowitsch am 8. Januar 1972 im großen Saal des
Moskauer Konservatoriums uraufgeführt.
Nach der 15. Sinfonie schuf Schostakowitsch seine letzten zwei Streichquartette Nr. 14
Fis-Dur op. 142 (1973) und Nr. 15 es-Moll op. 144 (1974). Seine Idee 24
Streichquartette zu schreiben konnte er nicht mehr verwirklichen.
27
,,Weißt Du Mitja, die euch versprochenen 24 Quartette werde ich nicht mehr
scСaffen…‘‘52
Sein letztes vollendetes Werk war die Sonate für Viola und Klavier op. 147 (komponiert
von April bis 5. Juli 1975). Im Scherzo der Sonate verwendete Schostakowitsch
Themen aus seiner unvollendeten Oper Die Spieler (1941–1942). Das Finale stellt eine
Hommage an Beethoven dar. Die Violasonate wurde nach seinem Tod am 1. Oktober
1975 in Leningrad von Fjodor Druschinin (Viola) und von Michail Muntjan (Klavier)
gespielt. Schostakowitsch widmete diese Sonate dem Bratschisten Fjodor Druschinin,
der am 25. September im Rahmen einer privaten Aufführung bereits im Haus des
Komponisten dieses Werk präsentierte.
2. Schaffen
2.1. Die musikalische Sprache von Dmitri Schostakowitsch
,,Wenn ich Musik höre, überlege ich nie, wie sie komponiert wurde, ich analysiere
nicht, sondern nehme sie emotional, vom Gehör auf. Nach dem Hören eines
Musikwerkes möchte ich nicht der bleiben, der ich bislang war: Ich muß das Werk in
mich aufnehmen, es durchleben, Тn ТСm etwas für mТcС entdecken‘‘53
Die musikalische Sprache von Dmitri Schostakowitsch ist sehr vielfältig und ,,spiegelt
auch die komplizierte stilТstТscСe EvolutТon des KomponТsten wТder’’54.
52 Die Erinnerungen des ersten Geigers des Beethoven Quartetts Dmitri (Mitja) Zyganow, in: Meyer, K.;
S. 484.
53 Online verfügbar: URL: http://www.theodor-frey.de/schostakowitsch.htm, 20.09.2016.
54 Cholopow, Jurij N.; Die musikalische Sprache Schostakowitschs im Kontext der Musikströmungen des
20.Jahrhunderts; in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale Dmitri-
28
Der Komponist hatte eine Intonationsfärbung und ein musikalisches Sprachsystem,
welche/s in seinem ganzen Leben dasselbe blieb. Anders als bei manchen anderen
Komponisten des 20.Jh.s, die seine Zeitgenossen waren, wie beispielsweise Igor
Strawinski, Béla Bartók, Anton von Webern,Olivier Messiaen, blieb die musikalische
Sprache von Schostakowitsch traditionell. Beispielsweise Strawinski komponierte
Werke in spätromantisch-impressionistischer Tradition (Der Feuervogel); danach
wandte er sich einer völlig neuen Tonsprache zu (die Rhythmik war dominant und die
Melodie unwesentlich, verwendetet revolutionär neue Akkorde in den Werken Le Sacre
du Printemps, Histoire du soldat), danach schuf er Werke im neoklassizistischen Stil.
Wichtige Stilmittel seiner Musik waren bis zum Zweiten Weltkrieg die Polytonalität
und eine ausgeprägte Rhythmik, aber auch Zitate der Unterhaltungsmusik. Strawinsky
komponierte in den 1950er Jahren ebenso serielle Werke. In seiner Musik sind generell
viele verschiedene Einflüsse zu finden.
Ein anderes Beispiel wäre Béla Bartók. Der Komponist fühlte sichstark verpflichtet in
seinem frühen Schaffen national geprägte ungarische Musik zu schreiben.Er war auf der
Suche nach einer Tonsprache, die sich von der romantischen Musik unterscheiden, aber
doch keine ablehnende Haltung gegenüber der Traditionen haben sollte. Für die
Zwölftonmusik interessierte sich Bartók nicht so besonders. Neben Pentatonik und
Diatonik verwendete er die Bitonalität. Für ihn war die rhythmische Vielfalt enorm
wichtig.
Dmitri Schostakowitsch gehörte zur ersten Musikergeneration, die in der sowjetischen
ZeТt mТt der Ideentreue zur OktoberrevolutТon ,,СeranwucСs’’. ScСostakowТtscС
komponierte in den späten 1920er Jahren seine 2. und 3. Sinfonien. 1927 folgte seine
zweite, 1929 die dritte Sinfonie. Die Sinfonie Nr.2 war als Auftragsarbeit des
staatlichen
sowjetischen
Musikverlages
anlässlich
des
10.
Jahrestages
der
Oktoberrevolution im Sommer 1927. Der Leiter der Verlagsabteilung Agitotdjel für
Agitations- und Aufklärungsmusik, von der der Auftrag kam, war damals der
Komponist Nikolai Roslawetz. Hier beabsichtigte wahrscheinlich der Komponist die
Idee mТt der „ТndustrТellen“ SТnfonТe das ProletarТat zu ТnspТrТeren, desСalb der CСorteТl
Schostakowitsch-Symposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav
Bosse, Regensburg 1986, S. 502.
29
des Werkes in der Partitur durch eine Fabriksirene eröffnet wird, die in Aufführungen
hauptsächlich durch ein Signal von Hörnern, Trompeten und Posaunen ersetzt wird. Die
Sinfonie Nr.3, die dem 1. Mai gewidmete war, schuf der Komponist ohne äusseren
Anlass. Diese beide Werke tragen programmatische Titel: An den Oktober und 1. Mai.
Beide haben ein Chorfinale. Die verwendeten Texte preisen die Revolution. Von der
musikalischen Sprache her, zeigte hier der Komponist freie Atonalität (2. Sinfonie,
op.14) bzw. eine erweiterte Tonalität (3. Sinfonie, op.20), die einen «anderen»
Schostakowitsch zeigt, als, vor Stalins und Andrei Schdanows angeführter
kulturpolТtТscСer ,,VerstтndlТcСkeТt’’ und ,,VolkstümlТcСkeТt’’ Тn der MusТk. DТese
SТnfonТen wurden bald nacС ТСrer UrauffüСrung als ,,formalТstТscС’’ gebrandmarkt und
sind aus den Konzertplakaten verschwunden.
Die 1920er Jahre waren eine Zeit des künstlerischen Experimentierens. Es trat die
Proletkult (russisch П
–
proletarische
е
Kultur),
ь , aus
eine
е а
ая
kulturrevolutionäre
ь
а-proletarskaja kultura
Bewegung
der
russischen
Oktoberrevolution auf. Vom damaligen Petrograd ausgehend versuchte sie zwischen
1917 und 1925 eine Kultur der neuen herrschenden proletarischen Klasse ohne jeden
bourgeoisen Einfluss zu erschaffen. Zu dieser Zeit wurde beispielsweise das
dirigentenlose Orchester Persimfans55gegründet.
55 Persimfans (auch PERSIMFANS) war ein von 1922 bis 1932 existierendes, dirigentenloses Orchester
Тn der SowjetunТon. DТe Abkürzung leТtet sТcС vom russТscСen Namen „Perwy SТmfonТtscСeskТ Ansambl“
(deutscС: „Erstes SympСonТscСes Ensemble“) ab.
1922 wurde in Moskau als Experiment in angewandtem musikalischen Kollektivismus ein Orchester ohne
Dirigent (der als absolutistisches Herrschaftssymbol abgelehnt wurde) gegründet. Unter dem Kürzel
„PersТmfans“ erlangte das OrcСester bald aucС ТnternatТonale BekanntСeТt. Als treТbende Kraft fungТerte
Lew Zeitlin, Professor für Violine am Konservatorium Moskau.
Das Orchesterrepertoire umfasste nicht nur klassische, sondern auch zeitgenössische Werke. Fragen von
Tempo, Dynamik, Agogik etc. wurden zunächst in einem kleineren Kreis abgesprochen. Dennoch war vor
Aufführungen jeweils höchst umfangreiche Probenarbeit nötig. Bei Konzerten gruppierte sich das
Orchester kreisförmig, um intensiven Blickkontakt untereinander zu ermöglichen.
Das Orchester spielte überwiegend in Kasernen, Arbeiterlokalen und Fabriken. Gelegentlich wurden zwar
auch Gastdirigenten eingeladen (z. B. Otto Klemperer), die jedoch nach einiger Zeit gebeten wurden, dem
Orchester vom Saale aus zuzuhören. 1932 kam es schließlich zur Auflösung des Ensembles, teils als
Folge von Meinungsverschiedenheiten der Musiker, teils durch die Tatsache bedingt, dass die
vorherrschende Staatsideologie sich längst wieder von der Idealvorstellung des führungslosen Kollektivs
abgewandt hatte. Online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Persimfans, 25.09.2016.
30
Der junge Schostakowitsch wollte seine persönliche Sprache finden und bewahren. Er
musste einerseits die musikalischen Tendenzen dieser Zeit zur Kenntnis nehmen,
andererseits versuchen, die Ansprüche der sowjetischen Politik zu erfüllem. Mit der
Verwendung zeitgenössischer Texte versuchte er in den 2. und 3. Sinfonien die Praxis
des Chores für die sinfonische Musik nützlich zu machen. Somit wollte er
experimentieren. So äußerte er sich einmal: ,,Es wäre reizvoll, eine Sinfonie zu
schreiben, in der sich kein eТnzТges TСema wТederСolt’’ .
Viele junge Komponisten schufen zeitentsprechende Werke. Beispielsweise Alexander
Mossolow56schuf mit Zavod (übersetzt Fabrik, bekannt unter dem Titel Eisengiesserei)
56 Alexander Mossolow (1900-1973) war ein russischer Komponist. Mossolow verbrachte seine
Kindheit und Jugend überwiegend in Moskau, wo er mit den neuesten Strömungen der russischen
Musikszene in Berührung kam. Bevor er seine Studien begann, kämpfte er von 1918 bis 1920 in der
Roten Armee. Von 1921 bis 1925 studierte er Klavier und Komposition am Moskauer Konservatorium.
Zu seinen Lehrern gehörten Reinhold Glière und Nikolai Mjaskowski. In den 1920er-Jahren trat er oft als
Pianist auf und betätigte sich als Rezensent. Mossolow engagierte sich sehr in der 1924 gegründeten
ASM (Assoziation für zeitgenössische Musik), was ihm die Feindschaft mit Vertretern der RAPM
(Russischen Assoziation proletarischer Musiker) einbrachte, von denen er öffentlich diffamiert wurde.
Zeitweise wurden seine Werke nicht mehr aufgeführt.
Als sich dieses Problem mit der Auflösung beider Vereinigungen Anfang der 1930er Jahre erledigt hatte,
geriet Mossolow in Konflikt mit dem Staat, da sich sein Personalstil nicht mit der Ästhetik des
Sozialistischen Realismus vereinbaren ließ. Bereits 1936 wegen angeblicher öffentlicher Trunkenheit und
Ruhestörung aus dem Komponistenverband ausgeschlossen, wurde Mossolow daher als vermeintlicher
Konterrevolutionär verhaftet und zu acht Jahren harter Zwangsarbeit verurteilt. Doch im August 1938
erreichten seine Lehrer Glière und Mjaskowski durch persönliche Intervention, dass er begnadigt wurde
und seine Strafe auf eine fünfjährige Verbannung aus Moskau, Leningrad und Kiew verringert wurde.
Von dieser Zeit an besuchte Mossolow häufig entlegene Gebiete der UdSSR wie Usbekistan und
Kirgisien, um Volkslieder zu sammeln. Später ließ er sich wieder in Moskau nieder und führte ein
unauffälliges Leben, ohne ein weiteres Mal mit der Staatsmacht in Konflikt zu geraten. Freilich wurden
nur wenige seiner Kompositionen aufgeführt. Nach seinem Tode wurde Mossolow rehabilitiert.
Während seine ersten Werke teilweise noch spätromantisch geprägt sind oder Einflüsse Skrjabins
aufweisen, entwickelte Mossolow in den 1920er Jahren sehr schnell einen ganz eigenen, neuartigen Stil.
Dieser ist konstruktivistisch, antiromantisch, antiemotional und in seiner Radikalität provozierend. In
vielen Werken meidet Mossolow den Wohlklang und setzt fast alle Regeln der Tradition außer Kraft.
Atonalität ist in seinen Werken dieser Zeit sehr häufig anzutreffen. Mossolow war in seiner Zeit einer der
Vorreiter der musikalischen Avantgarde in Russland. Nach seiner Haft sah er sich gezwungen, von allen
modernistischen Tendenzen Abstand zu nehmen. Von dieser Zeit an schrieb er ungetrübt tonale und in
31
eine Komposition, die das Zischen von Dampf und flüssigem Metall in Musik
übersetzte.
Im Jahre 1928 wurde erstmals der Fünfjahresplan eingeführt.
Vor dem ersten Fünfjahresplan herrschte eine Art von Pluralismus noch ohne Zensur.
Während des ersten Fünfjahresplans der Jahre 1928–1932 erlebte die Sowjetunion dabei
einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung von einem reinen Agrarstaat zu einem
Industriestaat. Die rasante Umstrukturierung der Sowjetunion und die zu erzielenden
hohen
Arbeitsleistungen
gingen
mit
der
Zwangskollektivierung
und
„EntkulakТsТerung“57 des bäuerlichen Grundbesitzes einher.
Bevor 1932 der Sozialistische Realismus in der Kunst und Literatur eingeführt wurde,
herrschten im Musikleben der Sowjetunion zwei unterschiedliche und zueinander
gegensätzlich stehende Strömungen vor. Der Russische Verband der proletarischen
Musiker, abgekürzt RAPM, propagierte die Proletkunst. Seine Mitglieder waren
überwiegend Dilettanten. Die zeitgenössischen Strömungen wurden von ihnen als
Dekadent gesehen. Im Grund der Ideologie des Verbandes stand folgendes: Es sollten
nur noch einfache Lieder mit Revolutionsthemen und zum Lobe der Revolution, sowie
des Proletariats komponiert werden.
Die andere gegensätzliche Strömung war es im Jahre 1924 gegründete Assoziation für
zeitgenössische Musik (ASM). Mitglieder dieser Organisation waren alle namhaften
Komponisten der Sowjetunion.
allen Bereichen sehr traditionelle Musik, die den Forderungen des Sozialistischen Realismus entsprach.
Online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Wassiljewitsch_Mossolow, 01.10.2016.
57
Die
Entkulakisierung
(russ.
а
а
ва
raskulatscСТwanТje)
war
eine
politische
Repressionskampagne in der Sowjetunion, die sich während der Diktatur Josef Stalins von 1929 bis 1933
gegen sogenannte Kulaken (Der Begriff Kulak war im Russischen eine seit dem 19. Jahrhundert
verwendete Bezeichnung für relativ wohlhabende Bauern) richtete. Verhaftungen, Enteignungen,
Exekutionen und Massendeportationen kennzeichneten diese Politik. Online verfügbar: URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Entkulakisierung, 08.12.2016.
32
Der Sozialistische Realismus widersprach diesen beiden Strömungen. Einerseits lehnte
dieser die avantgardistischen Tendenzen ab, andererseits trat er für eine Ablehnung des
Dilettantismus bei den Komponisten ein.
…
Die Zwölftönigkeit ist eine Erscheinung (ein Ausdruck), welche/r ein wichtiges
Merkmal der Musik des 20.Jahrhunderts war. Ein sowjetischer Komponist Andrej
Volkonskij war eigentlich der Erste, der gewagt hat, seine Untersuchungen über die
Zwölftontechnik zu verbreiten.
Bei Dmitri Schostakowitsch kommt die Verwendung der Zwölftönigkeit in seiner
späten Schaffensperiode vor, aber schon in einigen seiner früheren Werke erscheint die
dodekaphone Schreibweise ebenso. Beispielsweise in seiner Sinfonie Nr. 8
(Seitenthema des Marsches) zeigt der Komponist elf nicht wiederholte Töne, welche mit
einer einfachen Begleitung in a-Moll laufen (Notenbeispiel Nr.1). Weiters verwendete
Schostakowitsch dodekafone charakteristische Züge in den früher entstandenen
Kompositionen wie 24 Präludien und Fugen op.87, die Sinfonie Nr.2 (An den Oktober)
und der Oper Nase.
Später, als Dmitri Schostakowitsch in den 1960er Jahren eine Schaffensphase während
der Tauwetterperiode erlebte, in der die verbotenen westlichen kompositorischen
Techniken wieder eine relative offene Verwendung fanden, begann der Komponist sich
wieder mit der Zwölftönung auseinanderzusetzten: Beispielsweise in seinen Werken
wie der Sinfonie Nr. 13, op.113 (1963) mit den Lyriks von Jewgenij Jewtuschenko, in
seinen Sieben Romanzen nach Worten von Alexander Blok op.127 (1967), im
Streichquartett Nr.12 op.133 (1968), im Streichquartett Nr.13 op.138 (1970), der
Violinsonate op. 134 (1968), dem Violinkonzert Nr. 2 op.129 (1967), Sinfonie Nr.14
op.135 (1969), Sinfonie Nr.15 op. 141 (1971). Hier sind einige Beispiele der
Zwölftontechnik bei Schostakowitsch (siehe Notenbeispiele Nr. 1a, 1b, 1c).
33
Notenbeispiel Nr.1a, Sinfonie Nr.8, Seitenthema des Marsches, Andeutung einer dodekaphonen
Schreibweise aus elf nicht wiederholten Tönen, die gegen eine Begleitfigur in a-Moll auftreten
Notenbeispiel Nr.1b, Sinfonie Nr. 14, 1. Satz, Beginn
Notenbeispiel Nr.1c, Sonate für Violine und Klavier, Seitenthema des 1.Satzes
34
Schostakowitschs Zwölftönung ist aber nicht Ident zu Schönbergs dodekaphonischer
Technik, sondern er hat eine tonale Denkweise. Seine atonalen Teile der Werke sind
wesentlich tonal bestimmt.
,,Schostakowitsch deutet seine Zwölftonreihen in tonaler Beleuchtung entweder als
zentralisierte erweiterte (chromatische) Tonalität mit deutlicher Auffassung der Tonika
(Anfangsthema des 13. Streichquartetts) oder als Kontrast zur deutlich zentralisierten
TonalТtтt (14. SТnfonТe, […] ).’’58
Dass Schostakowitsch die Beschäftigung mit der Zwölftontechnik nicht zum Dogma
machte, zeigt der Beginn seines Streichquartetts Nr.12. Das Cellomotiv ist zwar
zwölftönig, doch es wird nicht seriell genutzt, sondern thematisch. Auch die Tonalität
verschwindet letztlich nicht: Das Werk beginnt und endet in Des-dur.
Jurij Cholopow schreibt: ,,Die Spezifik des harmonischen Systems von Schostakowitsch
ist durch folgende Charakteristika zu beschreiben: die Denkweise auf einer
unzweideutigen Dur-moll-Grundlage (im Unterschied etwa zu Hindemith); einen
wirksamen Charakter des harmonischen Prozesses infolge der deutlichen Ablösungen
von Haupttönen; sorgfältig geprüfte Verteilung der Funktionen im Rahmen einer stark
ausgeprägten Haupttonalität; eine sorgfältig geplante Linie von Konsonanz und
Dissonanz im Zusammenwirken mit der funktionellen Entwicklung; zielgerichtetes
Spiel mit der Klarheit der Tonalität – zuerst deren absolute Empfindung, dann
58 Cholopow, Jurij N.; Die musikalische Sprache Schostakowitschs im Kontext der Musikströmungen des
20.Jahrhunderts; in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale DmitriSchostakowitsch-Symposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav
Bosse, Regensburg 1986, S. 508-509.
35
vermТndert sТcС dТe BestТmmtСeТt, sТnkt bТs zur ,,tonalen FТnsternТs’’ und klтrt sТcС
wТeder am Ende des TСemas.’’59
Im Mai 1966 erlitt er einen Schlaganfall. Die letzten neun Jahre seines Lebens war er
immer öfter krank und verbrachte mehr Zeit im Krankenhaus. Das Spätwerk, das mit
der Liederfolge nach Texten von Alexander Block und dem düsteren Zweiten
Violinkonzert
einsetzt,
ist
die
vierte,
stilistisch
eigenständige
Periode
in
Schostakowitschs Werk. Ihr Thema ist der Tod, am unmittelbarsten in der Vierzehnten
Sinfonie von 1969, die in elf Liedern ausschließlich den Tod betrachtet. Illusionen gibt
es nicht mehr, die Musiksprache wird spröde, überschreitet bisweilen die Grenzen der
Tonalität.
Seine aus sämtlichen 11 bzw. 12 Halbtönen der Tonleiter zusammengesetzten Themen
bedeuten jedoch nur teilweise ein Verlassen der Tonalität, der er – mit altrussischen
Modifikationen – treu blieb. Zwölftonthemen im Zwölften Streichquartett und im ersten
und letzten Satz der Violinsonate bleiben umso stärker Fremdkörper.
Jurij Cholopow meinte auch, dass Dmitri Schostakowitsch in seiner späten
Schaffensperiode zu der Zwölftontechnik nicht zuletzt wegen dem Einfluß ,,der
Erfahrung der jüngeren Generation – DenТssow, ScСnТttke, GubaТdulТna […]’’60
zurückkehrte.
2.2 Werke
Dmitri Schostakowitsch hinterließ ein reiches und vielfältiges Musikerbe. Er
komponierte fast in allen Musikgattungen, von Kammermusikwerken bis Sinfonien, von
Filmmusik bis Oper.
59 Cholopow, Jurij N.; Die musikalische Sprache Schostakowitschs im Kontext der Musikströmungen des
20.Jahrhunderts; in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale DmitriSchostakowitsch-Symposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav
Bosse, Regensburg 1986, S.504.
60 Ebd.
36
Schostakowitsch hatte sich schon während seines Studiums auf radikale innovatorische
Wege begeben. Mit seiner 2. und 3. Sinfonie verließ er sein klassizistisches Fundament
der 1. Sinfonie. Die Klaviersonate und die 2. Sinfonie waren für den Komponisten ein
glтnzendes ,,ExperТmentТerfeld‘‘61.
,,Er träumte von einer Oper mit einem zeitgenössischen Thema, der das Buch eines
jungen Gegenwartsdichters zugrunde liegen würde''.62
So entschied Schostakowitsch ein Werk von Nikolai Gogol63für eine neue Oper zu
verwenden. 1927/28 komponierte er die Oper Die Nase op.15 (in drei Akten und 15
Bildern).
,,Viele sahen in Schostakowitsch den Hauptvertreter der ultraavantgardistischen Musik.
Sein Bestreben wandte sich dagegen nach Beendigung der Nase in eine andere
Richtung. Dem Beispiel der französischen Komponisten, vor allem aus der Gruppe ,Les
Six, folgend, interessierte er sich für die Ausdrucksmöglichkeiten der Satire und Komik.
Satirische Elemente tauchten in seinen Werken bereits früher auf und waren auch in der
Nase gegenwärtig''.64
In der Zeit zwischen 1928 und Jänner 1930, also zwischen der Beendigung der Arbeit
an der Partitur der Nase und der Uraufführung der Oper, hat Schostakowitsch neun
61 Meyer, K.; S. 115.
62 Ebd.
63 Nikolai Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) war ein russischer Schriftsteller ukrainischer Herkunft. Er
ist einer der wichtigsten Vertreter der russischsprachigen Literatur in der Ukraine. Zwischen 1836 und
1848 unternahm Gogol noch Reisen durch Deutschland, die Schweiz, Österreich, Frankreich und Italien,
doch durchlief er eine schwere schöpferische Krise. Zudem begann er an einer paranoidhalluzinatorischen Psychose zu leiden, einer Form der Schizophrenie. Die Psychose zerstörte den einst so
umtriebigen Literaten schließlich vollends: Gogol starb an den Folgen strengen religiösen Fastens im
Alter von 42 Jahren. Nach seinem Tod rätselten viele seiner Freunde, ob sie Gogol jemals richtig kannten.
Modest Musorgski schrieb seine Heirat und den Jahrmarkt in Sarotschinzy nach Werken von Ggol. Pjotr
Tschaikowski komponierte Pantoffelchen nach Gogols Nacht vor dem Weinachtstag, und Nikolai RimskiKorsakow hienterließ eine Mainacht sowie eine weitere Nacht vor dem Weinachtstag. Der ukrainische
Komponist Lyssenko schuf Taras Bulba. Schostakowitsch entschied die Erzählung Die Nase aus der
Sammlung der Petersburger Erzählungen zu benutzen - eine Satire aus der Zeit Zar Nikolaus 1. Nikolai
Gogol; online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Wassiljewitsch_Gogol, 05.06.2016.
64 Meyer, K.; S. 133.
37
Werke komponiert, darunter eine Sinfonie Nr. 3, op.20, Zum 1. Mai für gemischten
Chor und Orchester und ein Ballett Das goldenen Zeitalter op. 22.
Von 1930-bis 1932 schuf Schostakowitsch seine bedeutendste Oper in vier Akten Lady
Macbeth von Mzensk65op.29. Diese Oper war die zweite (und zugleich letzte vollendete)
Oper von Dmitri Schostakowitsch, mit der er für viel Aufruhr sorgte. Es kam zu zwei
Uraufführungen. Die erste am 22. Januar 1934 im Maly-Theater in Leningrad war ein
gewaltiger Erfolg. Zwei Tage später fand die zweite in Moskau statt. Zwei Jahre lang
feierte das Werk einen Erfolg nach dem anderen. Dann kam der Abend des 26. Januar
1936. Stalin beehrte im Bolschoi-Theater die Aufführung der Oper in der
Regierungsloge. Die Loge war mit Stahlplatten abgeschirmt, um mögliche Attentate zu
verhindern. Stalin saß hinter einem Vorhang, so konnte das Volk ihn nicht erblicken.
Nach der Vorstellung verschwand Stalin, ohne den Komponisten in seiner Loge
empfangen zu haben.
Am 28. Januar brachte die Prawda einen nicht signierten (d.h. von der Partei
abgesegneten) Artikel Chaos statt Musik über Lady Macbeth. Alle Aufführungen
wurden gestoppt. Ein Kritiker nach dem anderen tat Abbitte und revidierte seine
vorherigen positiven Meinungen.
Weitere bedeutende Werke von Schostakowitsch waren seine weiteren Sinfonien
Nr. 4 bis Nr15. Er hinterließ folgende Instrumentalkonzerte:
Klavierkonzert Nr. 1(c-Moll, op.35) und Nr. 2 (F-Dur, op.102)
Violinkonzert Nr. 1 (a-Moll, op.77, später op.99) und Nr. 2 (cis-Moll, op.129)
Cellokonzert Nr. 1 (Es-Dur, op.107) und Nr. 2 (g-Moll, op.126).
…
Dmitri Schostakowitsch schuf auch viele Kammermusikwerke. Neben Klaviertrios,
Oktett, Sonaten, Klavierquintett hat er ab 1938 sich dem Quartettgenre gewidmet, als er
65 Viele Jahre später überarbeitete Schostakowitsch die Oper zu einer neuen Fassung, die am 8. Januar
1963, also in der Zeit des Tauwetters unter Chruschtschow, unter dem neuen Titel Katerina Ismailowa
uraufgefüСrt werden konnte. EТnТge der „anrücСТgsten“ Textpassagen entscСтrfte er dafür stark,
insbesondere
solche
mit
erotischer
Thematik.
Katerina
Ismailowa;
online
verfügbar:
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Lady_Macbeth_von_Mzensk, 05.06.2016.
38
schon seine bedeutenden Werke wie die 5. Sinfonie, seine Opern Die Nase, Lady
Macbeth, Klavierkonzert Nr. 1 komponierte. Sein 1. Streichquartett erschien als Opus
49 (5. Sinfonie erschien als Opus 47).
,,Da er selbst in den letztlich doch immer als Großereignis angelegten Sinfonien die
Grenzen des Möglichen immer wieder ausreizte und seine Gegner provozierte, bezahlte
er für das Überleben mit dem frühen Ruin seiner Gesundheit, hoher Nervosität und
psychischen Problemen. Gegenüber der Vortäuschung des Klassischen in den Sinfonien
rückte nun das Streichquartett in den Mittelpunkt seines Interesses. Hier konnte er die
kompositorische Meisterlichkeit in der StТlle erproben.‘‘66
Schostakowitsch komponierte neben 15. Sinfonien gleichviele Streichquartette. Die
Kammermusik ist eine Gattung für kleineres Zuhörerumfeld und war für die
Parteibürokraten anscheinend nicht so interessant. Dank dem geringen Interesse wurden
die Kammermusikwerke, beziehungsweise Streichquartette, weniger kontrolliert. Da
eröffnete sich für Schostakowitsch die umfangreichste Möglichkeit die eigenen Ideen
und Erlebnisse zu fokussieren und tiefer zu zeigen.
Schostakowitsch hatte die Idee in allen 24 Dur- und Molltonarten Quartette zu
schreiben, was genau auf J.S. Bachs Wohltemperiertes Klavier hindeutet. In seinen
Früheren Werken wie setzte sich Schostakowitsch mit 24 Tonarten auseinander (24
Präludien für Klavier solo op. 34 (1932/33), 24 Präludien und Fugen für Klaviersolo op.
87 (1950/51).
Hier ist die Geschichte über die Gedanke 24 Streichquartette zu schreiben.
Im Jahre 1975, als der erste Geiger Tsiganow des Beethoven-Quartetts (das BeethovenQuartett spielte fast alle Uraufführungen der Schostakowitsch-Quartette) sich mit den
Verbesserungsvorschlägen des Streichquartetts Nr.15 beschäftigte, sagte der Komponist
zum Primarius:
,,Ich habe beschlossen, das Quartett Nr.16 zu schreiben und es eurem BeethovenQuartett in der jetzТgen, neuen Besetzung zu wТdmen. […]. WeТßt du, MТtja, die euch
versprochenen 24 Quartette werde ТcС nТcСt meСr scСaffen…‘‘67
66 Online verfügbar: URL: http://kammermusikkammer.blogspot.co.at/2012/03/dmitri-schostakowitschalle.html, 01.06.2016.
67 Meyer, K.; S. 484.
39
…
Als Pianist komponierte Schostakowitsch auch zahlreiche Klavierwerke. Neben den
Klavierkonzerten sind folgende Klavierwerke bedeutend:
Klaviersonate Nr. 1 op.12 (1926) und Nr. 2 op. 61 (1942) , 24 Präludien für Klavier solo
op. 34 (1932/33), 24 Präludien und Fugen für Klaviersolo op. 87 (1950/51), Concertino
a-Moll für zwei Klaviere op. 94 (1953) u.a.
,,Die Ungewöhnlichkeit der Komplexität Schostakowitschs (und zugleich seine urtiefe
Verbindung mit der russischen musikalischen Kultur) werden wir bei der Beobachtung
der Form seТner KlavТermusТk aufdecken können. Je feТner wТr der ,KlavТerstТmme‘ von
Schostakowitsch zuhören, desto schneller werden wir die Intonationen der Volkslieder,
der Wehklagen und Klagelieder spüren. Hier finden wir grenzenlosen gedehnten
Gesang, Zungenbrecher, feierlich-epТscСes Сartes RezТtatТv und lustТges TanzlТed.‘‘68
Schostakowitsch verwendete in seinen Werken die polyphone Technik. Seine
Klavierwerke tragen polyphone Züge, aber die Polyphonie von Schostakowitsch trägt
einen russischen Charakter. Der Komponist war ein wunderbarer Interpreter eigener
Klavierwerke. Wie man auch aus seinen Aufnahmen hören kann, spielte
Schostakowitsch selbst beispielsweise seine Präludien und Fugen ohne besonders ihre
Lieder- und Tanznatur zu unterstreichen. Es ist auch bekannt, dass der Komponist sehr
wenig Pedal beim Klavierspiel verwendete.
…
Dmitri
Schostakowitsch
schuf
außer
Film-
und
Bühnenmusik
zahlreiche
Vokalkompositionen. Zu erwähnen sind besonders folgende Werke:
68 Smirnow, M.A.; Klaviermusik von Schostakowitsch im Kontext der russischen musikalischen Kultur;
in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale Dmitri-SchostakowitschSymposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav Bosse, Regensburg
1986, S. 210.
40
Jüdische Lieder, op. 79 (1948), Griechische Lieder, op. (1954), Spanische Lieder, op.
100 (1956), Sechs Romanzen nach Worten von Marina Zwetajewa69 op.143 (1973),
Suite nach Worten von Michelangelo, op. 145 (1974), zahlreiche Massenlieder etc.
…
Schostakowitsch komponierte Ballette nur in seinen jungen Jahren (1920er-30er
Jahren):
Solotoi wek (Das goldene Zeitalter), op. 22 – Ballett in drei Akten. Libretto:
Alexander Iwanowski (Leningrad Herbst 1929 – Februar 1930), UA Leningrad,
Akademisches Theater für Oper und Ballett 26. Oktober 1930
Bolt (Der Bolzen) op. 27 – Ballett in drei Akten. Libretto: Wiktor Smirnow (Leningrad
1930/31), UA Leningrad, Akademisches Theater für Oper und Ballett 8. April 1931
Swetly rutschei (Der helle Bach), op. 39 – Ballett in drei Akten (vier Bildern).
Libretto: Fjodor Lopuchow und Adrian Piotrowski (Leningrad 1934/35), UA Leningrad,
Akademisches Theater für Oper und Ballett 4. Juni 1935
69 Marina Iwanowna Zwetajewa (1892-1941) war eine russische Dichterin und Schriftstellerin. Sie
gehört zu den bedeutendsten russischen Dichtern im 20. Jahrhundert. 1941 wurden Zwetajewa und ihr
Sohn nach Jelabuga evakuiert, in die Tatarische autonome Republik. Sie hatten keinerlei Mittel zum
Unterhalt. Georgi bedrängte seine Mutter in ihrer Armut und flehte sie an, den Ort zu verlassen; sie hatte
keine Möglichkeit, seinen Forderungen nachzukommen, bemühte sich jedoch noch um eine
Genehmigung, nach Tschistopol umzuziehen. Am 31. August 1941 erhängte sich Marina Zwetajewa. Die
genaue Lage ihres Grabes ist bis heute unbekannt. Weder Stalin noch das kommunistische Regime
insgesamt standen ihrer Arbeit wohlwollend gegenüber. Erst in den 60er Jahren wurde sie mit ihrer Arbeit
in der Sowjetunion rehabilitiert. Zwetajewas Dichtung erwuchs aus ihrer eigenen komplizierten
Persönlichkeit, ihrer vielseitigen Begabtheit und Exzentrik und einem dichterischen Umgang mit der
Sprache. Gott, Dasein, menschliche Seele, Vorbestimmung des Dichters, Schicksal Russlands, Liebe zu
Deutschland, griechische Mythologie, geistige Freundschaft, weibliche Sexualität und das Spannungsfeld
weiblicher Gefühle waren Themen ihrer Arbeit, die die gegensätzlichen Schulen von Akmeismus und
Symbolismus
verband.
Marina
Zwetajewa;
online
verfügbar:
URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marina_Iwanowna_Zwetajewa, 01.06.2016.
41
Die Ballette von Schostakowitsch haben heutzutage nicht die Aufmerksamkeit und
Popularität gewonnen, wie seine Sinfonien, Opern- oder Kammermusikwerke. Genau
deswegen, weil man sehr wenig Informationen über diese Ballette des Komponisten
besitzt, hatte ich den Gedanken einige Zeilen über seine Ballettkompositionen in dieser
Arbeit zu erwähnen. Seine Ballette waren sehr bedeutend nicht nur in der Geschichte
der sowjetischen Ballettkunst, sondern auch in der Geschichte des ganzen
choreographischen Theaters des 20.Jahrhunderts.
,,Die zwanziger bis dreißiger Jahre bedeuteten für das Balletttheater in einer Reihe von
Ländern Westeuropas eine Zeit der Umwertung der früheren Werte, was besonders
anschaulich in der Ablehnung der Romantik und des Impressionismus zum Ausdruck
kam, deren Positionen in den Vorkriegsjahren fest genug waren. Diese antiromantischen
Tendenzen spiegelten sich am markantesten in den Neuererversuchen des musikalischen
Theaters von Strawinsky, Satie, Bartok, Hindemith und Brecht-WeТll wТder.‘‘70
Die Ballettmusik in Westeuropa war realistisch, fern von romantischen Zügen und
versuchte ,,auf die Erscheinungen der zeitgenössischen Welt mit der ihr eigenen
nücСternen Auffassung und SacСlТcСkeТt zu reagТeren.‘‘71
In der sowjetischen Ballettkunst spiegelten sich auch die westeuropäischen Tendenzen
des Urbanismus und der Unterhaltung, aber in eigener Art der sowjetischen
Thementendenzen wider. Die drei Ballette von Schostakowitsch waren ,,ein Produkt
ТСrer ZeТt‘‘72 und stellten die üblichen sowjetischen Themen aus dem Produktions-,
Werks-, Kolchosen- und Sportleben dar.
,,Einer der Faktoren, die die Schaffung der Ballette stimuliert haben, war das erhöhte
Interesse Schostakowitschs für die Musik des leichten Genres – des Jazz und der
EstradenmusТk der zwanzТger JaСre. […] DТe OrТgТnalТtтt der BallettmusТk von
Schostakowitsch kam am meisten in jenem glänzenden Experiment zum Ausdruck, das
dТe sТnfonТscСe EntwТcklung […] mТt der parodТstТscСen WТderspТegelung der
Tanzformeln der allen gut bekannten UmgangsmusТk verbТndet.‘‘73
70 Kossatschewa, R; Die Ballette Schostakowitschs im Lichte des Weltballetttheaters der zwanziger bis
dreissiger Jahre; in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale DmitriSchostakowitsch-Symposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav
Bosse, Regensburg 1986, S.604-605.
71 Ebd.
72 Ebd., S.606.
73 Ebd., S.607-608.
42
Berabeitungen von Schostakowitsch: Es ist auch bekannt, dass D. Schostakowitsch
die zwei Opernwerke von Modest Mussorgski bearbeitet hat.
Am 21. März 1939 war es der 100. Geburtstag des russischen Komponisten Modest
Mussorgski. Es war Grund genug um diesen Komponisten in seiner Heimat groß und
festlich zu gedenken. Es wurde ein Jubiläumskomitee organisiert. Der Vorsitzende des
Komitees war Dmitri Schostakowitsch. Schostakowitsch hat die Musik von Mussorgski
kennengelernt, als er die Oper Boris Godunow von Mussorgski (in der Fassung von
Rimski-Korsakow) im Jahre 1927 in Moskau hörte. Es ist unschätzbar das Verdient von
Rimski-Korsakow, der eine Neuinstrumentierung und teilweise Bearbeitung der Oper
Boris Godunow gemacht hat. Aber trotzdem hat Schostakowitsch nach guten
Überlegungen eine neue Bearbeitung der Oper unternommen.
,,Er fand die Instrumentation Mussorgskys, besonders in den Tutti, unbeholfen. Die
stillen Teile befriedigten ihn, daran brauchte kaum gerüttelt zu werden. Orchestrale
HöСepunkte aber, wТe das große Glockengelтute vor dem KrönungsbТld […], sowТe dТe
PolonaТse klangen dТrekt armselТg.‘‘74
Rimski-Korsakow erweiterte das Orchester von Mussorgski mit einigen wenigen
Instrumenten. Schostakowitsch fügte noch mehr Instrumenten dazu: dreifaches Holz mit
Nebeninstrumenten, zusätzlich eine vierte (Bass-) Klarinette. Der Diapason des Klanges
wurde nach oben, sowie nach unten erweitert.
Infolge des Krieges und anderer Ereignisse konnte die Uraufführung der
Schostakowitsch-Fassung erst im Jahre 1959 in Leningrad stattfinden.
,,Heute scheint es in den westlichen Ländern kaum denkbar, bei Neuinszenierungen von
Boris Godunow auf Rimsky zurückzugreifen. Eklektiker wählen die Originalfassung,
Praktiker bekennen sТcС zu ScСostakowТtscС.‘‘75
Eine weitere Oper von Mussorgski Chowanschtschina wurde auch von Dmitri
Schostakowitsch bearbeitet (diese Oper existierte auch in eine Rimski-Korsakow-
74 Romansky, L.; Zu Schostakowitschs Bearbeitungen von Mussorgskys Boris Godunov und
Chowanschtschina; in: Kölner Beiträge zur Musikforschung: Bericht über das Internationale DmitriSchostakowitsch-Symposion Köln 1985, B. 150, Hg. Niemöller, K.W. und Zaderackij, V., Vlg. Gustav
Bosse, Regensburg 1986, S.214-215.
75 Ebd., S. 218.
43
Fassung). Die Schostakowitsch-Fassung wurde im Jahre 1960 im Leningrader KirowTheater76 uraufgeführt.
,,[…] DmТtrТ DmТtrТjewТtscС ScСostakowТtscС fтllt das unbestrТttene VerdТenst zu, den
beiden epochalen Musikdramen jene klangliche Gestalt gegeben zu haben, die ihr Autor
zweifelsohne beabsichtigt, jedoch nicht zu realisieren vermocht hat. Dafür gebührt
Schostakowitsch Dank und Anerkennung.‘‘77
76 Das Mariinski-Theater (früher Kirow-Theater) ist eines der bekanntesten Opern- und Balletthäuser der
Welt. Das Gebäude liegt am Sankt Petersburger Theaterplatz; viele wichtige russische Opern und Ballette
wurden hier uraufgeführt, u.a.
1874 – Mussorgski: Boris Godunow (Oper)
1881 – Tschaikowski: Die Jungfrau von Orléans (Oper)
1887 – Tschaikowski: Die Zauberin (Oper)
1890 – Borodin: Fürst Igor (Oper)
1890 – Tschaikowski: Pique Dame (Oper); Dornröschen (Ballett)
1892 – Tschaikowski: Der Nussknacker (Ballett); Jolanthe (Oper)
1898 – Glasunow: Raymonda (Ballett) .
Es ist die Heimat des bei Auslandsauftritten immer noch gern so genannten Kirow-Balletts. Der
aktuelle Chefdirigent, Künstlerischer Leiter und Direktor des Theaters ist Waleri Gergijew. Online
verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Mariinski-Theater, 20.10.2016.
77 Romansky, L.; S. 222.
44
3. Violinkonzert Nr. 1 in a-Moll, op. 77
3.1 Entstehungsgeschichte
In den Nachkriegsjahren (nach 1945) begann die Partei in Sowjetrussland die Kunst und
überhaupt das Kulturleben noch verstärkter zu kontrollieren.
,,Am 28. Juni 1946 wurde die Zeitschrift Kultura i schisn (Kultur und Leben) gegründet,
die alle zehn Tage von der Propaganda- und Agitationsabteilung des ZK der KPdSU
herausgegeben wurde. Sie bildete eine Plattform für scharfe Angriffe gegen jegliche
Formen ideologischer Abweichungen, wobei historische und literarische Arbeiten einer
besonders genauen Kontrolle unterzogen wurden‘‘.78
,,Wie schon im Jahre 1936, als Lady Macbeth von Mzensk scharf angegriffen wurde,
befand er sich nun in einer ähnlichen Lage und war gerade dabei, seine erstaunliche
Symphonie Nr. 4 zu beenden. Und so wie er sich damals entschloss, das Werk nicht
öffentlТcС aufzufüСren‘‘79
So legte Schostakowitsch auch seinen Liederzyklus Jüdische Lieder in die Schublade.
,,In der Schublade lag schon seit einigen Monaten die Partitur eines Violinkonzerts, und
ein Jahr später gesellte sich noch das Streichquartett Nr. 4 СТnzu...‘‘.80
Das Violinkonzert Nr.1 von Dmitri Schostakowitsch wurde im Jahre 1947/48
komponiert und hatte ursprünglich die Opusnummer 77. Bevor dieses Werk zur
Aufführung kam, lag es Jahre lang in der Schublade des Komponisten. Erst 1956
veröffentlichte Schostakowitsch die Partitur des Werkes mit der Opusnummer 99 und
erlebte die Uraufführung mit dem Solisten David Oistrach in Leningrad. Oistrach
machte sich aber schon 1948 mit dem Werk bekannt.
78 Meyer, K.; S. 303.
79 Ebd., S. 321.
80 Ebd.
45
Das Violinkonzert Nr.1 hätte noch länger als sieben Jahre in der Schublade von
Schostakowitsch liegen müssen, wenn David Oistrach bei einer seiner Reisen in die
Vereinigten Staaten nicht von der Existenz des Werkes einem amerikanischen
Impresario erzählt hätte. Der Impresario bestand darauf, dass der berühmte Geiger das
neue Werk mitbringen sollte. Nach dem Tod Stalins, als sich der Kalte Krieg etwas
abgeschwächt hatte und in der Sowjetunion eine etwas bessere Situation für die
Kontakte mit dem Westen im Bereich der Kultur kam, wurde die Uraufführung des
Violinkonzerts in Leningrad erlaubt.
Die neu angegebene Opusnummer 99 sollte bedeuten, dass Schostakowitsch nach 1948
eine völlig neue Version des Violinkonzerts geschaffen hatte. Aber in Wirklichkeit blieb
fast alles unverändert, mit einer Ausnahme des Finaleanfangs, da David Oistrach ihm
vorgeschlagen hat, eine neue Instrumentierung zu gestalten. Die Kritiker aber haben
geschrieben, dass es sich um ein völlig neues Werk handelt, welches positive
musikalische Elemente enthält81.
So eine ähnliche Geschichte hatte ein anderes Werk von Schostakowitsch, die Festliche
Ouvertüre, die er zwar im Jahre 1947 komponierte, aber mit einer Opusnummer 96 aus
dem Jahre 1954 uraufgeführt wurde.
Es erschien ein einziger Artikel auf der letzten Seite von Sowetskaja Musikavon Maria
Sabinina. Es herrschte ein allgemeines Schweigen seitens der Musikkritiker. David
Oistrach unternahm jedoch etwas, das er sonst selten tat, einen Artikel zu schreiben mit
dem Titel Ein großer Gedanke nimmt Gestalt an. Dieser Artikel erschien auch in der
Sowetskaja Musika.
Die Aufführung in der Carnegie Hall in New York wurde von den amerikanischen
Musikkritikern als eine Sensation empfunden. In den USA wurde das Werk unter der
Leitung von Dimitri Mitropoulos und David Oistrach präsentiert. In Moskau spielte
Oistrach erst ein Jahr später.
Oistrach war begeistert von der Musik des Komponisten. So hatte der Geiger auch, als
er als Dirigent wirkte, die Sinfonien von Schostakowitsch in sein Repertoire
aufgenommen (Sinfonie Nr. 9 und Nr. 10).
81 Meyer, K.; S. 362.
46
Dieses Konzert wurde eine Zeit lang fast ausschließlich von sowjetischen Geigern
gespielt.
David Oistrakh, Jewgeni Mrawinski,
Dmitri Schostakowitch (Violin Concerto No.1 Op.99)
Nach dem Konzert in Prague 1957
3.2 Kurze Satzbeschreibung
Das Violinkonzert ist eine konzertante Sinfonie für Violine und Orchester. Es besteht
aus vier Sätzen. Jeder Satz ist von dem Komponisten mit einer Bezeichnung versehen.
Folgende Sätze sind in diesemWerk inkludiert:
1. Nocturne: Moderato
2. Scherzo: Allegro
3. Passacaglia: Andante – Cadenza
4. Burlesque: Allegro con brio – Presto
47
Das Werk hat ca. 35 bis 40 Minuten Spieldauer.
Folgende Orchesterbesetzung hat Schostakowitsch für die Instrumentierung verwendet:
Piccolo Flöte, Flöte (2), Oboe (2), Englischhorn, Klarinette (2), Bassklarinette, Fagot
(2), Kontrafagot, Horn (4), Tuba, Timpani, Tamburin, Tam-Tam, Xylophon, Celesta,
Harfe (2) und die Streicher: Violine (1., 2.), Viola, Cello, Kontrabass.
Der 1. Satz Nocturne: Moderato ist lyrisch und klingt kammermusikalisch.
Der Satz ist 4/4 markiert und zeigt eine Ausgegliehenheit. Es beginnt mit p. In diesem
Satz verwendet Schostakowitsch folgende dynamische Stufen: p bis , viele Creschendi
und Diminuendi.
Hier kommen einige Tempowechsel vor wie 3/4, 3/2, die aber immer zu 4/4
zurückkehren (siehe Notenbeispiel Nr. 2).
48
Notenbeispiel Nr. 2, 1.Satz
49
Dieser Satz ist wie eine Einführung, in der Schostakowitsch seine Ideen und Emotionen
zurückhaltend zeigt und sie allmählig zum dämonischen Tanz des 2. Satzes entwickelt.
In diesem Konzert hat Schostakowitsch sein Können als Meister der Instrumentation
gezeigt. Es entsteht manchmal durch die Kombination einiger Instrumente eine
magische Atmosphäre. Beispielsweise ist es so eine Stelle im 1. Satz, wo die
Instrumente Celesta und Harfe mit Flageoletttönen erscheinen und die Solovioline spielt
in der oberen Lage lange C-Noten in der dritten und dann in der vierten Oktave (siehe
Notenbeispiel Nr. 3).
Notenbeispiel Nr. 3, 1.Satz
Oder an einer anderen Stelle, wo die Violine con sordino in sempre pp die
,,GescСТcСte’’ vorträgt und die Streichergruppe auch in pp con sordino lange Noten
spielt (siehe Notenbeispiel Nr. 4).
Notenbeispiel Nr. 4, 1.Satz
50
Es zeigen sich als Kontrast zum nächsten Satz in den letzten Zeilen des 1. Satzes mit
Morendo pp flageolet die Solovioline, die Streichergruppe, sowie die Harpe mit
Celestea (siehe Notenbeispiel Nr. 5).
Notenbeispiel Nr. 5
Im 2. Satz Scherzo: Allegro baut der Komponist technische Schwierigkeiten für den
Solistenein. In diesem Satz verwendete Schostakowitsch viele schnelle Creschendi und
Glissandi. Die Dynamik steigt hier bis fff.
Das Scherzo: Allegro entwickelt sich in einem raschen Tempo (siehe Notenbeispiel Nr.
6).
51
Notenbeispiel Nr. 6
Es beginnt und endet mit 3/8. In diesem Satz verwendet Schostakowitsch zahlreiche
Akzente, Punkte. Die Töne klingen scharf und kompromisslos konkret. Die Solostimme
und das Orchester sind sehr zusammenverbunden und ergänzen sich einander.
Hier zeigt Schostakowitsch auch ein reicher
. Tempowechsel wie
Allegro (Beginn, Takt 1)
Poco piu mosso (Takt 198)
Allegro (Takt 328)
Poco piu mosso (Takt 546)
. Taktwecksel wie
3/8, 4/8, 3/8, 4/8, 2/8, 3/8, 2/4, 3/8, 2/4, 3/8
. Tonartwechsel wie
b-Moll, h-Dur, b-Moll, e-Moll, b-Moll, B-Dur.
52
Schostakowitsch verwendete hier unterschiedliche Violintechnische Effekte wie
.
Glissandi mit crescendo von einer leeren Seite zu einem Flageoletton (siehe
Notenbeispiel Nr. 7).
Notenbeispiel Nr. 7
.
Doppelgrieff mit einem crescendo zum nächsten akzentuirten und punktierten
Doppelgriff (siehe Notenbeispiel Nr.8a)
Notenbeispiel Nr. 8a
. Die gleiche Technik ausschließlich mit Flageoletnoten gespielt (siehe Notenbeispiel
Nr.8b)
Notenbeispiel Nr. 8b
53
.
Viele rasche Doppelgrieffe, u.a. die Zechzehntel-Dezime-Intervalle (siehe
Notenbeispiel Nr. 8c)
Notenbeispiel Nr. 8c
In diesem Satz zeigt Schostakowitsch viele Grotesk-Bilder, welche für viele seiner
anderen Werke so typisch waren. Der Anfang des Satzes klingt wie eine Einleitung zum
Hauptthema. Es sammelt sich die Spannung und im Takt 255 spielt das Orchester ohne
Solovioline das groteske Thema im ff (siehe Notenbeispiel Nr. 9).
54
Notenbeispiel Nr. 9
55
Dieses Thema dauert zweimal acht Takte und dann übernimmt die Solovioline dasselbe
Thema (siehe Notenbeispiel Nr. 10).
Notenbeispiel Nr.10
Die Kulmination des Satzes folgt im Takt 546, in der das gleiche groteske Thema mit fff
wieder erscheint, welches mit schnellen Doppelgriff-Sechzehntelnoten eingeleitet wird
(siehe Notenbeispiel Nr. 11).
Notenbeispiel Nr.11
Schostakowitsch verbindet hier die Form des Scherzos mit der Sonatenform, wo in der
Reprise ein kompliziertes Fugato erscheint.
In disem Satz kann man das berühmte DSCH Motiv auch hören. Es klingt bei der
Violine im Endsatz dieses Motiv im Hintergrund (das Motiv-klingt aber in einer
anderen Tonart, siehe Notenbeispiel Nr.12).
Notenbeispiel Nr.12
56
DSCH Motiv:
Dieses Motiv zeigt die Initialen des Komponisten und in deutscher Schreibweise (D.
Sch.). Das Motiv kommt in vielen seiner Werke vor, beispielsweise in der 10. Sinfonie
in e-Moll, dem Streichquartett Nr. 8 in c-Moll, dem 1. Konzert für Violine und
Orchester in a-Moll, dem 1. Konzert für Cello und Orchester in Es-Dur, der 15.
Sinfonie in A-Dur und der Sonate Nr. 2 h-Moll für Klavier.
Notenbeispiel Nr. 13
Handschrift von Schostakowitsch
Der 3. Satz Passacaglia82: Andante erinnert an einige Fragmente aus seinen
Kompositionen wie der Sinfonie Nr. 8 und dem Streichquartett Nr. 3.
Dieser Satz enthält eine tiefe Tragik und Pathos.
Wie in alle anderen Sätzen hat auch hier Schostakowitsch an einen bestimmten
Satznamen gedacht, welcher schon den Charakter des Satzes ganz genau beschreibt. Die
Passacaglia ist sehr eng mit der Chaconne verwandt und damit zeigt sie schon einen
tragischen Charakter (siehe Notenbeispiel Nr. 14).
82 Die Passacaglia, Passacaille oder Pasacalle (spanischpasar una calle „eТne Straße entlanggeСen“) Тst
ursprünglich ein spanischer Volkstanz. Im 16. Jahrhundert kam der spanische Volkstanz nach Frankreich
und
Italien
und
wurde
dort
als
Bühnentanz
aufgeführt.
Passacaglia;
online
verfügbar,
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Passacaglia , 05.06.2015.
57
Notenbeispiel Nr.14
Diese
Gattung
kommt
bei
Schostakowitsch
in
seinen
Orchester-
und
Kammermusikwerken vor. Die Verwendung der Passacaglia in seinen Kompositionen
erreichte einen Höhepunkt in der Sinfonie Nr.15.
Als erstes Werk, in dem der
Komponist dieser Gattung in Gebrauch nahm war es das Orchesterzwischenspiel in der
Oper Lady Macbeth. So kommt sie weiterhin in der Sinfonie Nr.8 op.65, im Klaviertrio
Nr.2 op.67, im Violinkonzert Nr.1 op.77 und in der Sinfonie Nr.15 op.141 vor.
Die Passacaglia des Violinkonzerts ,,beginnt indes mit Beethovenschem Pathos, wobei
die tenuto-TrТolen der Hörner an den 3.Satz von BeetСovens ,Fünfter‘ erinnern. Das
Passacaglia-Thema insistiert repetierend auf dem charakteristischen Rhythmus ,Halbe/3
VТertel‘ – eТne Abwandlung des ,GewaltrСytСmus‘ aus der Lady Macbeth – der sich
58
auch
im
Variationsthema
des
1.Satzes
der
VII.
(Leningrader)
Symphonie
wiederfТndet.‘‘83
In diesem Satz spielt das Instrument Tuba eine wichtige Rolle, welches immer wieder
mit einer Solostimme erscheint und damit als tragischer Charakterträger der Passacaglia
auftritt, die Solovioline spielt meistens parallel eine Begleitung oder das Thema und
daraus entsteht eine Art Kontrapunkt (siehe Notenbeispiel Nr. 15).
Notenbeispiel Nr. 15
Kadenz: Zwischen dem 3. und 4. Satz schuf Schostakowitsch eine Kadenz, die
majestätisch beginnt (siehe Notenbeispiel Nr.16).
83 Koball, M.: Pathos und Groteske – Die deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dmitri
Schostakowitsch, Vlg. Ernst Kuhn, Berlin 1997, S.264.
59
Notenbeispiel Nr.16
Diese Kadenz zeigt einen gedankentiefen Charakter. Schostakowitsch wendete auch
hier sein DSCH Motiv an.
,,In der anschließenden großen Solokadenz hebt Schostakowitsch erneut zu einem
,postkatastropСalen Monolog’ an. In ТСm ,sТgnТert’ er […] mТt sТnem Monogramm ,D-SC-H’ (Takt 224-245). Trotz gelegentlicher Ansätze zur Prozeßhaftigkeit mündet die
Solokadenz nicht in ein affirmatives Finale, sondern in eine turbulente Groteske.
Schostakowitsch hat hier mehr die Form des Solokonzertes im Blick und endet mit
eТnem furТosen BeТspТel von OrcСestervТrtuosТtтt.’’84
Mit dieser Kadenz bringt Schostakowitsch meisterhaft den Charakter des 4. Satzes
Burlesque an und man kann diese Kadenz als pre-Burlesque sehen. Nach der Kadenz
folgt attacca der 4. Satz.
84 Koball, M.: Pathos und Groteske – Die deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dmitri
Schostakowitsch, Vlg. Ernst Kuhn, Berlin 1997, S.265.
60
Der letzte 4. Satz Burlesque: Allegro con brio – Presto beinhaltet einige russische
Volksmusikelemente.
Der Charakter zeigt sich schon im Titel des Satzes Burlesque. Unter Burlesque verstand
man ursprünglich eine humorvolle theatralische Darstellung mit parodierenden und
grotesken Elementen. Der Name Burlesque stammt vom italienischen Wort burla für
„ScСabernack“, welcСes wТederum vom lateТnТscСen Wort burra für „LappalТe“
abstammt.
Das Anfangsthema des Satzes steht sehr nah zum Anfangsteil des Flötensolos in
Strawinskis Petruschka85.
…
Seit vielen Jahren ist das Violinkonzert Nr.1 im Repertoire vieler Geiger. Eine
erstklassige Interpretation dieses Werkes gab David Oistrach. Seine Spielweise und sein
bezaubernder Ton können wir jetzt aus den Tonaufnahmen genießen.
,, Die technischen Klippen nahm der Mann aus Odessa ohne hörbare Anstrengung, und
auch nach einem halben Jahrhundert bezaubert der Ton seines Instruments. Der machte
OТstracС zu eТnem Star aucС für eТn breТtes PublТkum. […] ‘‘86
85 Petruschka (franz. Pétrouchka, russ. П
а) ist ein Balett in vier Bildern nach der Musik von
Igor Stawinski. Gemeinsam mit Alexander Benois schrieb er zudem das Libretto. Es wurde am 13. Juni
1911 in Paris vom Ballet Russes unter der musikalischen Leitung von Pierrre Monteux uraufgeführt.
Petruschka;
online
verfügbar:
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Petruschka_%28Ballett%29,
05.06.2015.
86 Online verfügbar: URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/schostakowitsch-three-concertos-mitbernstein-rostropowitsch-oistrach-a-851698.html, 15.10.2016.
61
4. Violinkonzert Nr. 2 in cis-Moll, op.129
4.1 Entstehungsgeschichte
Die große Freundschaft zwischen Dmitri Schostakowitsch und David Oistrach:
David Oistrach gilt als Hauptpersönlichkeit bei den Werkaufführungen für Violine von
Schostakowitsch.
David Oistrach
Die große Freundschaft zwischen dem renommierten Geiger des 20. Jhs. und dem
Komponisten Dmitri Schostakowitsch begann schon in den 1930er Jahren. In diesen
Jahren fand eine Konzertreise in die Türkei statt.
Im April 1935 reiste eine Gruppe der sowjetischen Künstler in die Türkei. Nach der
Oktoberrevolution war diese Reise die erste, daß offiziell so viele Künstler in das
Ausland geschickt wurden. So wollte Iosif Stalin seine Beziehungen zur Türkei und zu
seinem Präsidenten Kemal Atatürk verbessern. Unter diese Künstlergruppe waren
folgende Persönlichkeiten: Bekannte Sänger wie Walerij Barsow, Marija Maxakowa,
Alexander Pirogow, die TänzerInnen Natalja Dudinskaja, Assaf Messerer,der Pianist
Lew Oborin, der Geiger David Oistrach und Dmitri Schostakowitsch als Komponist und
Pianist. Genau dieser Zeitpunkt war der Beginn für die langjährige zukünftige
fruchtbare Arbeit zwischen Schostakowitsch und Oistrach.
62
Die Freundschaft zwischen dem Komponisten und David Oistrach entwickelte und
vertiefte sich bei der Zusammenarbeit des Violinkonzerts Nr.1.
D. Schostakowitsch und D. Oistrach
Im Jahre 1967 komponierte Schostakowitsch die Sieben Romanzen nach Worten von A.
Blok und das Violinkonzert Nr. 2, wo David Oistrach bei den beiden Kompositionen die
Rolle des Erstaufführers spielte. Dmitri Schostakowitsch schrieb diese Werke in der
Zeit, als in der ganzen Sowjetunion der 50. Jahrestag der Oktoberrevolution gefeiert
wurde. Er kündigte schon einige Jahre davor an, dass er zu diesem Anlass eine Oper
Der stille Don komponieren werde. Der Komponist hat es nicht gemacht und
begründete es mit seinem schlechten gesundheitlichen Zustand.
Zu dem Jubiläum wurde ein einmonatiges Festival unter dem Titel Kunst für die
Bruderrepubliken organisiert. Viele sowjetische Komponisten schufen Werke anlässlich
des Jubiläums und einige erhielten dafür auch Staatspreise. Es klangen Werke unter
anderem die Kantate von dem Leningrader Komponisten Gennadi Below So hat es uns
Iljitsch87 befohlen, das Werk von Sergej Prokofjew Kantate zum 20. Jahrestag des
Oktober nach Worten von Karl Marx, Wladimir Lenin und Josef Stalin, welches 20
87 Wladimir Iljitsch Lenin.
63
Jahre davor geschrieben wurde88. In diesem Jahr geschriebene Werke Sieben Romanzen
nach Worten von A. Blok und das Violinkonzert Nr. 2 waren keine geeigneten
Kompositionen für diesen Zweck. Aber es war selbstverständlich von so einem
bedeutenden Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch zu erwarten so ein Werk zu
diesem Anlass zu komponieren. So schuf er ein sinfonisches Poem Oktober, welches
ein zwölfminütiges Werk war. Dieses Werk nach der Meinung einiger Musiker ist ein
bei Schostakowitsch sehr selten vorgekommenes misslungenes Werk89. Sowohl dieses,
als auch das Werk Trauer- und Triumphpräludium zum Gedenken an die Helden der
Schlacht von Stalingrad sind auf der Liste der Kompositionen, die nicht mehr
aufgeführt werden.
Diese Beschreibung soll schildern in welcher Zeitperiode seine Werke Sieben
Romanzen nach Worten von A. Blok und das Violinkonzert Nr. 2 entstanden sind.
Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok: Dmitri Schostakowitsch war ein
vielfältig gebildeter Mensch, der immer viel gelesen hat. Er zeigte ein großes Interesse
für die Literatur, sodass er ,,längere Gedichte und Prosastücke aus dem Gedächtnis
zitieren konnte''90. Mit dem Gedicht Die Zwölf von Alexandr Blok91, das ihn inspirierte
88 Dieses Werk wurde bei diesem Festival nicht vollständig aufgeführt, weil die Behörden einige Teile
herausgestrichen haben. Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S.
448.
89 Meyer, K.; Schostakowitsch: Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Mainz 2008, S. 448.
90 Ebd., S.445.
91 Alexander Blok (1880-1921) war ein Dichter der russischen Moderne. Er war neben Andrei Bely der
wichtigste Vertreter der so genannten zweiten Generation der Symbolisten.
Der Symbolismus ist eine im späten 19. Jahrhundert in Frankreich entstandene literarische Richtung, die
im Gegensatz zum Realismus und Naturalismus durch idealistische Züge gekennzeichnet ist, sich gegen
den Positivismus richtet und neue Entfaltungsmöglichkeiten anstrebt. Die literarische Epoche des
Symbolismus begann etwa 1860 und endete etwa 1925. Seine Wurzeln sind in den gesellschaftlichen
Umwälzungen und historischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts zu suchen, z. B. der Industrialisierung,
dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt und der Entstehung des Materialismus und
philosophischen Positivismus. In Russland fand der Einfluss des französischen Symbolismus großen
Anklang während des silbernen Zeitalters der russischen Literatur, eine Epoche, die durch enorme
kulturelle und künstlerische Tätigkeit gekennzeichnet war. Nach dem französischen gilt der russische
Symbolismus mithin als wichtigster Auswuchs der Strömung und währte dort von circa 1892 bis 1920.
Alexander Blok; online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Alexandrowitsch_Blok,
64
und zu seinen Lieblingsstücken zählte, komponierte er zu Beginn 1967 den Zyklus von
Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok für Sopran, Violine, Cello und Klavier.
Beim Komponieren dachte Schostakowitsch an die bedeutende Sängerin Galina
Wischnewskaja92 in der Rolle der Solistin. Er widmete ihr das Werk. Die Uraufführung
der Komposition fand am 25. Oktober in Moskau mit Wischnewskaja (Gesang), David
Oistrach (Violine), Mstislaw Rostropowitsch (Cello) und Moissei Weinberg (Klavier)
statt.
Schostakowitsch
schuf
das
Werk
mit
unterschiedlichen
Instrumentenkombinationen bei jedem Lied.
Weinberg (Klavier), Oistrach (Geige), Rostropowitsch (Cello) und dessen Frau Wischnewskaja (Sopran)
bei der Uraufführung von Schostakowitschs Liederzyklus Sieben Romanzen nach Worten von A. Blok für
Sopran, Violine, Violoncello und Klavier op. 127, am Moskauer Konservatorium am 23. Oktober 1967
Symbolismus; online verfügbar: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Symbolismus_%28Literatur%29 ,
30.08.2015.
92 Galina Wischnewskaja (1926-2012) war eine russische Sopranistin. Sie war seit 1955 die Gattin des
Cellisten und Dirigenten Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch. Zusammen mit Irina Konstantinowna
Archipowa galt Wischnewskaja als bedeutendste sowjeztische Opernsängerin ihrer Generation. Dmitri
Schostakowitsch dachte ihr den Sopranpart seiner 14. Sinfonie sowie seinen ihr gewidmeten Sieben
Romanzen nach Worten von A. Blok zu, sein Freund Benjamin Britten den Sopranpart in seinem War
Requiem. Der französische Komponist Marcel Landowskiwidmete ihr nach ihrer gleichnamigen
AutobТografТe dТe Oper „GalТna“, dТe 1996 Тn der Opéra National de Lyon uraufgeführt wurde. Galina
Wischnewskaja; online verfügbar: URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Galina_Pawlowna_Wischnewskaja,
10.09.2015.
65
Aus den Erinnerungen von Oistrach: ,,[...]ich wußte, daß Schostakowitsch uns am Radio
zuhört. [...] Ich konnte mir seine Anspannung und sein Lampenfieber vorstellen. [...]
Beherrscht von unerträglichen Schmerzen in der Brust, spiele ich die wunderschöne
Romanze Wir waren zusammen. Das Werk gefiel so gut, daß es auf Wunsch des
PublТkums vollstтndТg wТederСolt wurde.‘‘93
Das Violinkonzert Nr. 2: Ein halbes Jahr vor der Uraufführung des Werkes Sieben
Romanzen nach Worten von A. Blok schrieb Schostakowitsch an David Oistrach:
,,Lieber Dodik!
Ich habe ein neues Violinkonzert beendet. Beim Komponieren dachte ich an Sie. [...]
Obwohl es mir furchtbar schwerfällt zu spielen, möchte ich Ihnen allzugern das Konzert
vorführen.
Wenn dieses Konzert bei Ihnen keinen Widerspruch hervorruft, werde ich sehr
glücklich sein. Und wenn Sie es selbst spielen werden, dann wird mein Glück so groß
sein, daß es weder ein Märchen fassen noch eine Feder beschreiben kann.
Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ТcС IСnen das Konzert wТdmen. [...]‘‘94
So schrieb Schostakowitsch sein Violinkonzert Nr. 2, op.129 zu dem 60. Geburtstag des
Virtuosen. Schostakowitsch hat sich aber um ein Jahr geirrt und das Werk zum 59.
Geburtstag geschenkt. Zum 60er des Geigers komponierte Schostakowitsch später seine
Sonate für Violine und Klavier op.134.
Dieses Violinkonzert op. 129 gehört zum Spätwerk des Komponisten. Das Spätwerk
umfasst die Kompositionen, die Schostakowitsch ab 1967 schuf. Zu diesen gehören
mehrere
Sinfonien,
Streichquartette,
das
Violinkonzert
Nr.2,
weitere
Kammermusikwerke, Filmmusik und Vokalwerke.
Schostakowitsch komponierte sein zweites Violinkonzert in Repino 20 Jahre nach dem
ersten Violinkonzert. Zu dieser Zeit stand der Komponist wieder unter kritischer
Beobachtung des Sowjetführers, diesmal unter Leitung von Leonid Breschnew. Diese
Lebensphase war für Schostakowitsch eine Erholung und Wiederherstellung seiner
Gesundheit nach einem Herzinfarkt im Jahre 1966.
93 Meyer, K.; S. 446.
94 Ebd.; S. 446-447.
66
Dieses Konzert klingt verschlossener und trockener als das Violinkonzert Nr.1. Es ist
das letzte Instrumentalkonzert, das Schostakowitsch komponierte.
3.2 Kurze Satzbeschreibung
Das Violinkonzert Nr.2 besteht aus drei Sätzen und ist in der unpraktischen Tonart für
Violine cis-Moll komponiert.
Das Werk hat ca. 30 Minuten Spieldauer.
So hat Schostakowitsch die Instrumente für die Orchesterbesetzung verwendet:
Die Solovioline, Piccolo Flöte, Flöte, Oboe (2), Klarinette (2), Fagot (2), Kontrafagot,
Horn (4), Timpani, Tam-Tam, und die Streicher: Violine (1., 2.), Viola, Cello,
Kontrabass. Im Vergleich zu seinem 1. Violinkonzert verwendete Schostakowitsch hier
ein etwas kleineres Orchester. Da ist hier kein Englischhorn, Bassklarinette, Tuba,
Tamburin, Xylophon, Celesta oder Harfe inkludiert.
Die Verwendung der Zwölftontechnik: Das Streichquartett Nr. 12 war für den
Komponisten ein wichtiger Schritt bei der künstlerischen Entwicklung, weil er hier zum
ersten Mal sehr deutlich die Elemente der Zwölftontechnik verwendete. Obwohl
Schostakowitsch schon zuvor diese Technik angewandt hatte, wurde es erst nach dem
Erscheinen des 12. Streichquartetts sichtbar, dass er bereits im 2. Satz des 2.
Violinkonzerts und zum Anfang der sechsten Romanze nach Gedichten von A. Blok die
Zwölftongedanken aufscheinen.
67
Die Sätze:
Das 2. Violinkonzert hat folgende Sätze:
1. Moderato
2. Adagio
3. Adagio-Allegro
In diesem Konzert verwendet der Komponist mehr klassische Elemente und zeigt
weniger Expression als im 1. Violinkonzert. Die Violinsolopartie ist auch weniger
virtuos als bei dem anderen Violinkonzert. Statt einer Viersätzigkeit, wie im 1.
Violinkonzert war, verwendete hier der Komponist die Dreisätzigkeit.
Der 1. Satz Moderato ist in einem Sonaten Allegro komponiert. Ähnlich wie im ersten
Satz des 1.Violinkonzerts beginnt die Violine in einem getragenen Tempo das
musikalische Material vorzutragen. Das Thema der Violine beginnt mit einem p
espressivo in 4/4 (siehe Notenbeispiel Nr. 17).
Notenbeispiel Nr. 17
68
Nach dem Thema der Violine klingt dasselbe Thema mit kleinen Änderungen beim
Orchester (siehe Notenbeispiel Nr. 18).
Notenbeispiel Nr. 18, 1. Satz, Hauptthema beim Orchester, Klavierauszug
Das zweite Thema (siehe Notenbeispiel Nr. 19) des ersten Satzes ist thematisch mit
Stepan Rasin (Die Hinrichtung des Stepan Rasin für Baritonsolo, Orchester und
gemischten Chor op.119)95verwandt.
95 Stepan Rasin war ein Ataman der Donkosaken. Er war Anführer eines Aufstandes gegen das russische
Zarenreich. Stenka Rasin wird in mehreren russischen Liedern besungen, darunter insbesondere in dem
bekannten Volkslied Stenka Rasin. Die Melodie des Liedes war Grundlage für zahlreiche politische
Lieder, wie etwa das Heuberg-Lied.
Als Zwanzigjähriger schrieb Alexander Glazunov sein symphonisches Gedicht Stenka Razin Op. 13.
Auch Dmitri Schostakowitsch schrieb 1964 eine kantatenähnliche Tondichtung mit dem Titel Die
Hinrichtung des Stenka Rasin für Baritonsolo, Orchester und gemischten Chor. Die Geschichte Rasins
behandelte auch Nikolai Mjaskowski in seiner achten Sinfonie. . Stepan Rasin; online verfügbar: URL:
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69
Notenbeispiel Nr. 19, 1. Satz, Zweites Thema der Violine ist mit Stepan Rasin (Die Hinrichtung des
Stepan Rasin) verwandt
Generell zitierte häufig Dmitri Schostakowitsch während seines ganzen Schaffens
Themen aus seinen unterschiedlichen Werken. In einigen Kompositionen verwendete er
sogar Themen anderer Komponisten. Auffällig ist z.B. an seiner Sinfonie Nr.15 zudem
die Häufigkeit von Zitaten; so treten Motive aus Giacchino Rossinis Guillaume Tell und
aus Richard Wagners Opern, aber auch Themen aus eigenen, früheren Werken auf.
Oder ein anderes Beispiel wäre sein letztes Werk die Sonate für Viola und Klavier
op.147 (1975). In dieser Sonate zeigt der Komponist im Schlusssatz deutliche Bezüge
zu Beethovens Klaviersonate cis-Moll op.27, Nr.2, der berühmten Mondscheinsonate.
Stufenweise baut die Violine und das Orchester die Spannung auf.
Dieser Satz beinhaltet eine Kadenz (siehe Notenbeispiel Nr. 20).
70
Notenbeispiel Nr. 20, Kadenz im 1. Satz
Anschließend parallel zur Violine beginnt das Horn das Hauptthema vorzutragen (siehe
Notenbeispiel Nr. 21)
Notenbeispiel Nr. 21, 1. Satz, Hauptthema beim Horn nach der Kadenz (Klavierauszug)
71
Es spielt in diesem Satz das Instrument Horn eine wichtige Rolle. Es gibt hier eine
Analogie zu seinem Cellokonzert Nr.1 Es-Dur op. 107 (1959), in welchem neben Cello
das Horn das Thema spielt, oder zum Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll op.35 (1933), in
welchem neben dem Klavier die Trompete als Soloinstrument auftritt (siehe
Notenbeispiel Nr. 22a, 22b).
Notenbeispiel Nr. 22a, Cello- und Hornsolo, 1.Satz
Notenbeispiel Nr. 22b, Klavierkonzert Nr.1, 1. Satz, Trompetensolo
72
Der 2. Satz Adagio ist sehr melancholisch. Er besteht aus drei Untersätzen. Am Anfang
des ersten Untersatz es beginnt eine melodische Kommunikation zwischen der Violine
und den Blasinstrumenten (Flöte, danach Klarinette) als Begleitung (siehe
Notenbeispiel Nr.23a, 23b) und es baut sich mit der Solovioline und den Streichern eine
Spannung auf.
Notenbeispiel Nr. 23a, 2. Satz, Flötensolo parallel zu Violinpartie, Klavierauszug
Notenbeispiel Nr. 23b, 2. Satz, Klarinettensolo parallel zu Violinpartie, Klavierauszug
73
Dieser Satz beinhaltet auch eine Kadenz (siehe Notenbeispiel Nr. 24).
Notenbeispiel Nr. 24, 2.Satz, Kadenz
Als Kadenzanschluss beginnt quasi der dritte Untersatz mit der Orchesterbegleitung
siehe Notenbeispiel Nr. 25).
74
Notenbeispiel Nr. 25, 2.Satz, Kadenzanschluss, Klavierauszug
Mit der kadenzartigen Einführung der Violine und der Waldhörner fließt die Musik in
den 3. Satz über. Dieser Satz beginnt mit Adagio. Dieses Adagio spielt die Rolle einer
Einleitung zu Allegro (siehe Notenbeispiel Nr. 26).
Notenbeispiel Nr. 26, 3.Satz, Adagio als Einleitung zu Allegro, Klavierauszug
75
Das rondoartige Finale Allegro auch wie die beiden vorherigen Sätze beinhaltet eine
Kadenz (siehe Notenbeispiel Nr. 27).
Notenbeispiel Nr. 27, 3.Satz, Kadenz, Klavierauszug
Die Erstaufführung des Konzerts fand am 26. September (am Tag nach 61. Geburtstag
von Schostakowitsch) in Moskau statt. Nach diesem Konzert führte David Oistrach eine
lange Konzerttournee in die Vereinigten Staaten. Hier präsentierte er dieses
Violinkonzert bei mehreren Konzerten. Trotz der wenigen Dramaturgie und wenig
spürbaren ,,scСöpferТscСen Kraft‘‘96 ist diese Komposition im Repertoire zahlreicher
Geiger.
96 Meyer, K.; S. 447.
76
4.3 Aufnahmen der Violinkozerte von Schostakowitsch
Zahlreiche GeigerInnen haben die Einspielungen der Violinkonzerte von Dmitri
Schostakowitsch durchgeführt. Die Aufnahmen der Konzerte mit dem Widmungsträger
David Oistrach gelten als die authentischsten vor den anderen.
Stereo-Aufnahme des Violinkonzerts Nr.1 mit David Oistrach / Philharmonia
Orchestra / Maxim Schostakowitsch (EMI, 1972)
Violinkonzert
Nr.1
mit
David
Oistrach/Mrawinsky
/Leningrader
Philharmonisches Orchester (Melodiya, 1956)
Mit David Oistrach/ Roshdestwensky (BBC, 1962, ADD, Violinkonzert Nr.1)
(BBC, 1968, ADD, Violinkonzert Nr.2)
Violinkonzert Nr.2 mit David Oistrach/ Kondraschin/Moskauer Philharmonisches
Orchester (1967, ADD)
Eine ganz besondere Aufnahme ist: Three Concertos mit drei Instrumentalkonzerten
von Dmitri Schostakowitsch:
Mit Mstislaw Rostropowitsch/Cello, Leonard Bernstein/Klavier, Ltg., David
Oistrach/Violine; The Philadelphia Orchestra, Eugene Ormandy; New York
Philharmonic; Leningrad Philharmonic Orchestra, Evgeni Mrawinski/Ltg. (Praga
Digitals/Harmonia Mundi).
Weitere hochqualitative Aufnahmen der Konzerte sind:
Violinkonzert Nr.1 in der Einspielung Kondrashin/Kogan.
Der früh verstorbene bedeutende Geiger des 20. Jahrhunderts Leonid Kogan zeigt in
dieser Aufnahme eine wunderbare Tonsprache. Er übermittelt einen scharfen,
attackierend klaren Ton.
77
Die Schülerin von Leonid Kogan Viktoria Mullova zeigt auch ihr Können in der
Aufnahme von dem Violinkonzert Nr.1 / Previn André (Dirigent)/Royal
Philharmonic Orchestra.
Die Einspielungen der Violinkonzerte Nr.1&2. mit Maxim Vengerov/London
Symphony Orchestra/Mstislav Rostropovich sind besonders zu erwähnen. Der
Schostakowitsch-Kenner Rostropowitsch und Freund des Komponisten war in der Lage
den Orchesterpart unheimlich ausdrucksstark und tief empfunden zu gestalten.
Rostropowitsch, dem die beiden Cellokonzerte gewidmet sind, findet sich fantastisch
und mit großem Verständnis in diesen Orchesterpartituren ein. Er versteht es die hohen
Emotionen, die in diesen Violinkonzerten stecken, ideal umzusetzen und hat in
Vengerov einen umwerfenden Partner gefunden.
Weitere Einpielungen der Violinkonzerte:
Violinkonzert Nr.2 mit Gidon Kremer/Boston Symphony Orchestra/Seiji Ozawa
Konzert No.1 mit Vadim Repin/ Kent Nagano/Hallé Orchestra (Erato, 1995)
Violinkonzert
Nr.1
mit
(Dirigent)/Symphonieorchester
Lisa
des
Batiashvili/
Bayerischen
Esa-Pekka
Rundfunks
Salonen
(Deutsche
Grammaphon)
Konzert Nr.1 mit Hilary Hahn/H. Wolff (Dirigent)/Oslo Philharmonic Orchestra
Violinkonzerte Nr.1&2 mit Christian Tetzlaff/Helsinki Philharmonic Orchestra/John
Storgards
Violinkonzerte Nr.1&2 mit Sergey Khachatryan/Kurt Masur,
Orchestre
National de France
Violinkonzert Nr. 1 mir Itzhak Perlman/Zubin Metha/Israel Philharmonic
Orchestra (EMI, 1989)
78
Was alleine den Solopart des Violinkonzerts Nr.1 angeht, so kommt neben der
Aufnahme mit Igor Oistrach, mit dem Sohn von David Oistrach und mit Maxim
Schostakowitsch nur noch der Geiger Itzhak Perlman so nah an den authentischen
Widmungsträger David Oistrach heran. Zubin Metha gestaltet das Violinkonzert Nr. 1
mit großem Gespür. Der Orchesterpart erscheint nie langweilig oder zu sehr im
Hintergrund und wirkt schlichtweg perfekt. Auch die Passacaglia wird wie bei
Roshdestwensky schwungvoll eingeleitet. Metha und Perlmann schaffen einen Klang
zwischen Solovioline und Orchester, der präzise und sehr ausgewogen ist.
79
Schlusswort
Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch hinterließ aus seinem umfangreichen und
vielfältigen Schaffen 15 Sinfonien, Instrumentalkonzerte, Bühnenwerke, Filmmusik,
Vokalwerke, Klavier- und Kammermusik.
Er lag oft über Kreuz mit der Kulturpolitik der Sowjet-Herrscher. Doch die beiden
Violinkonzerte triumphierten souverän über die Funktionäre.
Das 1.Violinkonzert schuf der Komponist im Jahre 1948. Erst zwei Jahre nach dem
Tode Stalins (1953) mit dem Einsetzen der Tauwetter-Periode in der Sowjetunion
unterzog Schostakowitsch die Komposition seines Violinkonzerts einer geringfügigen
Überarbeitung. Die Uraufführung fand am 29. Oktober 1955 statt. Das Violinkonzert
Nr.2 gehört zu seiner späten Schaffensperiode. Es entstand im Jahre 1967. Beide
Violinkonzerte wurden dem sowjetischen hervorragenden Geiger David Oistrach
gewidmet.
Die Violinkonzerte von Schostakowitsch sind wichtige Zeugnisse der Musik des 20.
Jahrhunderts, vor allem der sowjetischen Musikgeschichte. Diese Konzerte sind bei den
zeitgenössischen Violinisten sehr beliebt. Besonders das 1. Violinkonzert ist ein
wichtiger Bestandteil im Repertoire jedes Geigers.
Für mich sind sie besonders bedeutend, weil sie vieles über die Musik in der ehemaligen
Sowjetunion berichten und die innere Welt von Dmitri Schostakowitsch offenbaren.
80
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