Was ist Trauma? - Caritasverband Frankfurt eV

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Impulsreferat zum Fachtag „Wege der Traumapädagogik“ des Caritasverbandes am 16.10.12
Bettina Keller, Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung, Frankfurt
Was ist Trauma?
Trauma – Wunde, Verletzung (griechisch)
Wir kennen ein Schütteltrauma, Schädel-Hirn-Trauma, aber auch Brüche werden als Trauma
bezeichnet. Körperliche Traumata werden behandelt, der Arzt darf sie versorgen, auch
Operationen, Reha usw. werden in Anspruch genommen Es wird Rücksicht genommen und
Heilung zugelassen.
Wie ist es bei seelischen, bei psychischen Wunden, Verletzungen?
Sie sind nicht auf Anhieb sichtbar, es sind jedoch oft sehr große Wunden. Sie zeigen sich
versteckt, durch das Verhalten.
Immer wieder werden die Wunden aufgerissen oder aufgekratzt, es wird keine Heilung
zugelassen. Sie versorgen zu lassen wird nicht ermöglicht, sie werden ignoriert.
Der Körper versucht sich zu schützen mit Hilfe von Verhaltensweisen, die oft nicht zu
verstehen sind, da der Bezug nicht unbedingt erkennbar ist. Es sind aber normale
Verhaltensweisen auf unnormale Situationen.
Bei einem Armbruch wird eine Schonhaltung sofort akzeptiert und verstanden, da für jeden
ersichtlich ist, dass der Arm gebrochen ist. Bei seelischen Wunden ist dies nicht so.
Wie wird Trauma definiert?
Die Definition nach WHO im ICD 10 (Manual zur Kategorisierung von Störungsbildern):es
erfordert eine außergewöhnliche Bedrohung oder ein katastrophenähnliches
Ausmaß der Belastung, verbunden mit tiefer Verzweiflung, dies
berücksichtigt aber individuelle Wahrnehmung nicht.
Eine Definition nach Fischer: Psychisches Trauma ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen
bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen
Bewältigungsmöglichkeiten, das mit dem Gefühl der Hilflosigkeit und
schutzlosen Preisgabe einhergeht und das eigene Selbst- und Fremdbild
dauerhaft erschüttert. (Fischer, Riedesser)
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Impulsreferat zum Fachtag „Wege der Traumapädagogik“ des Caritasverbandes am 16.10.12
Bettina Keller, Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung, Frankfurt
Bei Kindern löst es oft desorganisiertes und agitiertes (erregtes) Verhalten aus.
Gab es Trauma schon immer?
Trauma so alt wie die Menschheit. Schon in der Antike gab es Berichte über
Folgestörungen von Traumatisierungen z.B. bei Ausbruch des Vesuvs,
der Schriftsteller Samuel Pepys beschrieb eigene typische Symptomatiken, die
Traumatisierte zeigen, nach dem Brand in London 1666,
Charles Dickens beschrieb 1838 in „Oliver Twist“ die Auswirkungen des Verlusts der
Eltern und dann die zusätzlich traumatisierende Behandlung in sozialen
Einrichtungen,
Erste Forschung gab es zum Ende des 19 Jh.
Janet beschrieb um 1900 immer wieder die gleiche Symptomatik, Dissoziation
(Abspaltungen vom Bewusstsein), bei traumatisierten Patienten
Weltkriege brachten die Kriegsneurosen auf, man beschäftigte sich damit, das
Interesse ließ in Friedenszeiten wieder nach, weniger Forschung
die Auswirkungen des Vietnamkriegs bei Veteranen in den 70ern führte zur ersten
Diagnose Trauma als Ursache eines Störungsbildes, der Posttraumatischen
Belastungsstörung, PTBS,
die Holokaustforschung machte auf generationsübergreifende Traumatisierung
aufmerksam
die Frauenbewegungen der 70er und 80er lenkte das Augenmerk auch auf sexuellen
Missbrauch und häusliche Gewalt,
das Augenmerk richtete sich schließlich auf die Kinder, auch sexuellen Missbrauch an
Jungen und durch Mütter wurde thematisiert. Tabuisierungen ließen nach.
Immer schon versucht die Menschheit durch Rituale und Religion Mittel und Wege zur
Überwindung von Traumatisierungen zu finden. Mittlerweile gibt es zahlreiche hilfreiche
Ansätze durch Erkenntnisse aus der Forschung, auch der Hirnforschung, bildgebende
Verfahren verdeutlichen die Auswirkungen von Traumatisierungen auf die Hirnregionen.
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Welche Unterscheidungen von Trauma gibt es? (Objektiv)
Es zeigt sich, Traumatisierungen können sehr vielfältig sein:
Naturkatastrophen:
Vulkanausbruch, Überschwemmungen, Erdbeben, Erdrutsche,
von Menschenhand verursacht:
eheliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Vernachlässigung, psychische Gewalt, Folter, Geiselhaft,
Kriegseinwirkungen, räuberische Überfälle, usw.
Auswirkungen durch Menschenhand sind massiver. Je enger die Verbindung und je größer
der Vertrauensbruch, umso tiefgreifender sind die Auswirkungen.
Eine andere Art der Unterscheidung:
Typ 1 Trauma (Schocktrauma)
Erdbeben, Vulkanausbruch, Unfall, Tod eines Angehörigen, einmaliger Überfall,
Vergewaltigung, plötzliche Trennung
Typ 2 Trauma (Polytrauma)
Lang anhaltender sexueller Missbrauch, Folter, Geiselhaft, Misshandlung, Vernachlässigung
(Dauerbelastung!!)
Aber auch:
Kumulative Traumatisierungen (Masud Khan1963): ein belastendes Ereignis alleine
führt nicht zu einer Traumatisierung, aber mehrere hintereinander schon.
Sequenzielle Traumatisierungen (Hans Keilson 1979): ein Trauma wird durchlebt und
in der Folge werden die Wunden dieser Traumatisierung immer wieder aufgerissen
z.B. Verfolgung, Flucht, anschließende ungünstige Gerichtsverfahren.
Immer wieder sind Menschen anzutreffen, die viele verschiedene Traumatisierungen
erleben mussten Vernachlässigung, Gewalt durch Eltern, Gewalt durch Partner,
Beziehungsabbrüche, Kindesentzug, usw.
Für uns alle besonders relevant und womit wir sehr häufig konfrontiert sind, was
auch zu den schlimmsten Traumatisierungen führt:
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Kindheitstraumatisierungen:
Körperliche Misshandlung
Körperliche Vernachlässigung
Sexuelle Gewalt
Bindungs – und Beziehungstraumatisierungen mit:
Emotionale Vernachlässigung
Mangelnde Wärme
Chronische Entwertung
Parentifizierung (Rollenumkehr)
Trennungserfahrung
Gewalt und Suizidandrohungen zwischen Eltern, psychische Störung der Eltern
ohne Ersatzperson
Missachtung der Bedürfnisse der Kinder
Mit diesen (Kindheits-)Traumatisierungen haben wir es in unserem Berufsfeld wohl am
häufigsten zu tun. Vertrauen aufzubauen und zuzulassen ist für diese Kinder sehr schwierig
und umso schwieriger je mehr Beziehungsabbrüche sie erlebten. Den besten Schutzfaktor
stellt mindestens eine konstante Bezugsperson dar.
Was geschieht in einer traumatischen Situation?
Gefühle entstehen:
Angst, Panik,
Hilflosigkeit,
Ausgeliefertsein
Sicherheitsverlust
Kontrollverlust
Wut kann aufsteigen
Schmerz, Trauer, Ekel, Scham können entstehen.
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Veränderte Sinneseindrücke: Trigger werden gesetzt
Zeiterleben ist bei 67% der Betroffenen verlangsamt, 16% der Betroffenen
beschleunigt
Hören: bei 51% der Betroffenen vermindert, 18% der Betroffenen verschärft
Sehen: 67% der Betroffenen Tunnelblick, 16% der Betroffenen detaillreich
auch der Geruchs- und Geschmackssinn, sowie taktile Wahrnehmungen können
eingeschränkt oder verstärkt sein
Was geschieht noch in der traumatischen Situation?
Eigentlich wird bei Gefahr ein Kampf-/Flucht- Reflex in Gang gesetzt. Es wird nicht
nachgedacht, sondern sofortiges Handeln ist erforderlich. Dies bleibt jedoch in
traumatischen Situationen aus! Es kommt oft zu Erstarrung. Diese Erstarrung
kann auch später immer wieder ausgelöst werden.
Eine kognitive Integration des Erlebten in die bisherigen Lebenserfahrungen (Selbst- und
Weltbild) und ein Abgleich mit diesen, kann nicht stattfinden. Hinweisreize
(Trigger) lösen auch später immer wieder wahrgenommene Situationen aus.
Es kommt häufig zu Generalisierungen und Verallgemeinerungen, ähnlich
Situationen lösen eine traumatische Reaktion aus. Beispiel: ein
Vergewaltigungsopfer generalisiert von dem damaligen Täter, einem Mann
mit sehr spitzen Ohren, auf alle Männer mit spitzen Ohren.
Werden alle potenziell traumatischen Situationen von allen Personen gleich
wahrgenommen?
Nein!!! Beispiel: ein Junge fährt aus einer Hofeinfahrt auf eine verkehrsberuhigte Straße, ein
Auto kommt quietschend vor dem Jungen zum Stehen, ohne ihn zu berühren.
Es kann sein, dass je nach Lebensgeschichte, Vorerfahrungen und
Resilienzfaktoren der Junge in der Folge kaum noch aus dem Haus geht oder
er einfach nur beim Abendessen beiläufig von dem beinahe Zusammenstoß
berichtet.
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Bettina Keller, Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung, Frankfurt
Je schlimmer und objektiv lebensbedrohlicher die Situation und je stärker ein Vertrauen in
den Menschen zerstört wird, desto eher ist dieses Ereignis für alle
traumatisierend. Bindungstraumatisierungen, das heißt fehlende
Bindungserfahrungen von Beginn an, führen bei so gut wie allen Menschen zu
Traumatisierungen. Gute Bindungserfahrungen können nicht gemacht und
Vertrauen nicht aufgebaut werden.
Warum ist ein und dieselbe Situation für den einen traumatisch für den anderen nicht?
Abgesehen von objektiven Faktoren wie:
Art der Betroffenheit
o Unmittelbar, als Zeuge, als Helfer, als Angehöriger
Den Verursachungsfaktoren
o Menschenhand oder
o Naturkatastrophe
Häufigkeit
o Typ 1 oder 2
Schweregrad
schwer (unerwünschte Schwangerschaft)
Extrem (sexueller Missbrauch)
Katastrophal (Tod der Eltern bei Kindern)
Täter Opfer-Verhältnis
Gibt es subjektive Faktoren:
Lebensgeschichte negativ beeinträchtigt durch:
o keine verlässliche Bezugsperson, Beispiel sex. Missbrauch
o Scheidung der Eltern
o niedriges Selbstwertgefühl
o kaum soziale Kontakte
o junges Alter
o Entwicklungsverzögerung
o niedriger IQ
o Niedriger sozioökonomischer Status
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Bettina Keller, Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung, Frankfurt
o Geringe Schulbildung der Eltern
o Große Familien und sehr kleiner Wohnraum
o Kontakte mit Einrichtungen der „sozialen Kontrolle“
o Chronische Disharmonie
o Unsicheres Bindungsverhalten nach 12./18. Monaten
o Psychische Störungen der Mutter/des Vaters
o Schwere körperliche Erkrankungen der Mutter/des Vaters
o Verlust der Mutter, ohne Ersatzperson
Kurz zuvor erlebte Ereignisse
Erwartbarkeit oder Überrumpelung
Was schützt vor Trauma ?
•
eine dauerhaft gute Beziehungen zu mindestens einer primären Bezugsperson bester
Schutzfaktor
•
Aufwachsen in Großfamilien
•
gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust
•
überdurchschnittliche Intelligenz
•
Robustes, aktives, kontaktfreudiges Temperament
•
sicheres Bindungsverhalten
•
soziale Förderung
•
geringe Risikogesamtbelastung
Was sind die Folgen von Trauma?
Den Glauben an die eigene persönliche Unverletzbarkeit („mir kann so etwas nicht
passieren“) wird zerstört.
Bewusstsein vom Wert des eigenen Selbst geht verloren.
Das Vertrauen, dass die Menschen im Grunde gut und verlässlich sind, schwindet.
Der Glauben an die Welt als einen Ort, der sinnvoll und im Wesentlichen geordnet
funktioniert, i.S. von Erwartbarkeit, Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit
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Bettina Keller, Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung, Frankfurt
von Ereignissen wird zerstört.
•
Erlebtes kann nicht in Erfahrungen und Wissen eingearbeitet werden, kognitive
Weiterverarbeitung ist unterbrochen oder stark eingeschränkt.
Ein Trauma äußert sich im Verhalten, oft mit Symptomen wie Impulsivität, Isolation,
Schlafstörungen, Aggressivität auch Autoaggression, Konzentrations- und
Aufmerksamkeitsstörungen u.v.m. Dies sind Verhaltensweisen, wie sie bei den
bindungstraumatisierten Kindern fast immer zu finden sind.
Sie sind als unbewusste Schutzmaßnahme der Person zu verstehen.
Auch Angst und Zwangsstörungen, Essstörungen, PTBS, und Persönlichkeitsveränderungen
und -störungen u.v.m. können auftreten.
Weitere Folgen von mangelnder Bindungserfahrung bei Kindern und Jugendlichen sind:
Beziehungsprobleme
Emotionale Instabilität
Identitätsprobleme
Suchtmittelprobleme
Verlassenheitsängst
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