Medizintechnologie.de Herzinsuffizienz Implantierter Drucksensor verhindert Klinikeinweisungen Der Sensor wird über einen Katheter minimalinvasiv eingesetzt. Quelle: St. Jude Medical 2016 19.02.2016 Eine innovative Technologie erlaubt es erstmals, den Druck in der Lungenarterie aus der Ferne zu überwachen und so eine sich verschlechternde Herzinsuffizienz frühzeitig zu erkennen. Jetzt veröffentlichte Langzeitdaten zeigen, dass das System den Patienten einen Aufenthalt im Krankenhaus ersparen kann. von Ulrich Kraft Allein in Deutschland leben derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Herzinsuffizienz. Weltweit gehen Schätzungen von mindestens 26 Millionen Betroffenen aus. Da bei der Erkrankung die Pumpfunktion des Herzens eingeschränkt ist, kann sich das Blut in den Lungen- und in den Körperkreislauf zurückstauen. Der dadurch bedingte Druckanstieg in den Blutgefäßen führt dann dazu, dass vermehrt Flüssigkeit ins umliegende Gewebe gepresst wird. Konsequenz ist ein Lungenödem, also Wasseransammlungen in der Lunge, die das Atmen erschweren, Beinödeme und schlimmstenfalls ein Pumpversagen des Herzens. Insbesondere bei einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz haben solche Dekompensationen häufig zu Folge, dass die Patienten im Krankenhaus stationär behandelt werden müssen, nicht selten auch als Notfall. Mitte 2014 hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA einen implantierbaren Sensor zugelassen, der den Druck im Lungenkreislauf misst und drahtlos an eine Empfangseinheit sendet. Via Internet oder Mobilfunkverbindung werden die Daten an den Arzt übertragen, der dann mittels Telemonitoring die Druckwerte des Patienten aus der Ferne kontrollieren und gegebenenfalls therapeutisch eingreifen kann. Im Fachblatt The Lancet wurden jetzt neue Langzeitergebnisse zum Nutzen des CardioMEMS HF genannten Systems vorgestellt. Die 550 Studienteilnehmer mit Herzinsuffizienz im Stadium III, die über durchschnittlich 18 Monate beobachtet wurden, bekamen alle den Drucksensor eingesetzt. Doch nur bei den 270 Probanden aus der Interventionsgruppe nutzen die Ärzte die Messdaten, um die medikamentöse Behandlung zu steuern. Die Übrigen erhielten die gängige Standardversorgung. Deutlich weniger Klinikaufenthalte In der Interventionsgruppe lag die Rate der Patienten, die wegen einer Dekompensation ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten, um 33 Prozent niedriger als unter den Kranken aus dieser Kontrollgruppe. Nach Abschluss der randomisierten Studienphase zog man dann auch bei ihnen die Druckwerte für das Therapiemanagement heran. Mit dem Ergebnis, dass während dieser durchschnittlich 13-monatigen offenen Phase im Vergleich zum vorherigen Zeitraum die Krankenhausaufenthalte um 48 Prozent abnahmen. „Diese rigorose Analyse zeigte dramatische langfristige Auswirkungen für Hochrisiko-Patienten, die mit dem CardioMEMS HF System versorgt wurden“, bilanziert Philip B. Adamson, medizinischer Direktor beim Hersteller St. Jude Medical. Auch Birgit Aßmus vom Universitätsklinikum Frankfurt lobt die innovative Technologie. „Das System revolutioniert die Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz, denn es ermöglicht es erstmals, durch Telemonitoring die Patienten zu Hause erfolgreich zu überwachen und die Therapie zu steuern“, sagt die Leiterin des Herzinsuffizienzzentrum, wo CardioMEMS vergangenes Jahr erstmals in Deutschland implantiert wurde. Momentan betreuen die Frankfurter 16 Patienten, die mit dem System versorgt sind. Technik aus der Flugzeugindustrie Der Sensor, der gerade einmal so groß ist wie eine Büroklammer, wird per Katheter in einen Ast der Lungenarterie eingesetzt. Eine Batterie benötigt er nicht, da die Energieversorgung von außen erfolgt. Die in einem speziellen Kissen untergebracht Abfrageeinheit versetzt den Sensor in Schwingungen. „Über die Resonanzfrequenz, die eine Antenne im Messkissen auffängt, lässt sich dann der Blutdruck ermitteln“, erklärt Birgit Aßmus. „Ursprünglich hat man das Prinzip zur Druckmessung in den Treibstoffleitungen von Flugzeigen entwickelt.“ Die Daten werden kabellos an eine sichere, für dritte nicht zugängliche Website übertragen, auf der Arzt oder Ärztin sie dann einsehen können. Wird ein individuell festgelegter Grenzwert überschritten, schickt das System zudem eine Warnung per E-Mail. Mehr dazu auf Medizintechnologie.de An Medizintechnik in der Kardiologie weiter auf dem Vormarsch IN-TIME-Studie: Studienziel verfehlt Hand des Blutdrucks im Lungenkreislauf lässt sich ein drohendes Dekompensieren der Herzschwäche sehr früh erkennen – Der Sensor, der gerade einmal so groß ist wie eine lange bevor es zu Beschwerden Büroklammer, wird per Katheter in einen Ast der kommt. Um bis zu zehn Tage geht Lungenarterie eingesetzt. ein Druckanstieg den Symptomen Quelle: St. Jude Medical 2016 voraus. „Die Fernüberwachung gibt uns die Möglichkeit, dann schon frühzeitig zu intervenieren und die Behandlung entsprechend zu verändern“, sagt Aßmus. „Zwei, drei Tage die Medikamente höher zu dosieren, reicht oft schon aus, um eine Dekompensation zu verhindern.“ Damit die Frankfurter Ärzte jederzeit und sofort auf die Messwerte reagieren können, wurde eine Telemonitoring-Einheit aufgebaut, die jeden Tag rund um die Uhr verfügbar ist. Bei Auffälligkeiten werden die Patienten umgehend telefonisch verständigt. System bietet Pateinten mehr Sicherheit Birgit Aßmus betont, dass in der jetzt veröffentlichten Studie die Number needed to treat nur bei vier lag, bezogen auf alle Studienteilnehmer und die mittlere Beobachtungsdauer von 15 Monaten. Was bedeutet, dass man vier Personen mit dem Sensor versorgen muss, um einen durch eine dekompensierte Herzinsuffizienz bedingten stationären Krankenhausaufenthalt zu verhindern. Das sei „eine sensationell niedrige Zahl“, meint die Kardiologin. Ihre Erfahrung zeigt, dass das CardioMEMS von den Trägern sehr positiv beurteilt wird, weil es die Sorge vor einer Verschlechterung ihrer Erkrankung nimmt. „Sie wissen, wenn etwas nicht stimmt rufen wir sofort an“, sagt Aßmus. „Das gibt ihnen Sicherheit.“ Eine Ihrer Patientinnen reist gerade quer durch Europa. In Frankfurt können die Druckwerte in ihrer Lungenarterie währenddessen aus der Ferne überwacht werden, denn das System funktioniert überall, wo es ein Mobilfunknetz gibt. Die Messung selbst, die in der Regel einmal am Tag durchgeführt werden muss, ist unkompliziert: Einfach auf das Messkissen legen, Knopf drücken und nach ein paar Minuten ist alles erledigt. Allerdings schlägt allein die Technik mit rund 12.000 € zu Buche, ohne den personellen Aufwand für das kontinuierliche Telemonitoring. Bislang übernehmen die Krankenkasten die Kosten noch nicht. Im nächsten Jahr startet aber in Deutschland eine Studie, die Nutzen und Kosten der Methode analysiert. Das ist Voraussetzung, um in die Regelversorgung aufgenommen zu werden. „Ich denke, dass es in absehbarer Zeit dazu kommt“, sagt Birgit Aßmus. Mehr dazu im Internet: Studie im The Lancet © medizintechnologie.de