Programmheft ansehen - Gürzenich

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sinfoniekonzert
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Sergej Prokofjew
Dmitri Schostakowitsch
Martin Helmchen Klavier
Vladimir Jurowski Dirigent
First Global Partner
sinfoniekonzert
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29. Jun 14, 11 Uhr, 30. Jun 14 / 1. Jul 14, 20 Uhr
Kölner Philharmonie
Sergej Prokofjew (1891–1953)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16
(1912–1913; rev. 1923) 31’
1.
2.
3.
4.
Andantino – Allegretto
Scherzo: Vivace
Intermezzo: Allegro moderato
Finale: Allegro tempestoso
– Pause –
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65 (1943) 60’
1. Adagio – Allegro non troppo
2. Allegretto
3. Allegro non troppo
4. Largo
5. Allegretto
Martin Helmchen Klavier
Gürzenich-Orchester Köln Vladimir Jurowski Dirigent
So: 10 Uhr und Mo + Di: 19 Uhr
Konzerteinführung mit Friederike Holm
»Die schnellste CD der Welt« auch dieses Mal erhältlich im Foyer (siehe S. 19)
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Ein Babel irrsinniger Klänge
Sergej Prokofjews Klavierkonzert Nr. 2
in g-Moll op. 26
Annett Reischert-Bruckmann
»Aufs Podium tritt ein junger Mann. Es ist Prokofjew. Er setzt sich
an den Flügel. Das ›Konzert‹ beginnt. Es ist, als würde er die Tasten
abstauben und probieren, welche höher und welche tiefer klingen.
Vorerst weiß das Publikum noch nichts mit der Musik anzufangen.
Ein unwilliges Gemurmel wird hörbar. Ein Pärchen versucht sich
zum Ausgang durchzudrängeln: Von einer solchen Musik muss man
ja verrückt werden! – Der will sich wohl über uns lustig machen?
Aus den verschiedenen Ecken des Saales laufen jetzt Hörer dem
ersten Pärchen hinterher. Prokofjew ist inzwischen beim zweiten
Satz angelangt: wiederum ein rhythmischer Haufen von Tönen.
Der beherzte Teil des Publikums beginnt jetzt zu zischen. Der Saal
leert sich ... Man hört Ausrufe: ›Zum Teufel mit dieser Futuristenmusik ...!‹«
Eine derart vernichtende Publikumsreaktion auf ein neues Werk,
wie sie ein Rezensent im Feuilleton der Petersburger Zeitung nach
der Uraufführung von Prokofjews zweitem Klavierkonzert ­skizzierte,
hätte so manchen Komponisten entweder in tiefe Resignation
gestürzt, eine Schreibblockade ausgelöst oder schlimmstenfalls
dazu geführt, die eigene künstlerische Produktion komplett einzustellen. Nicht aber den jungen St. Petersburger Konservatoriumsschüler Sergej Prokofjew, welchem ohnehin der Ruf eines aufsässigen
und ungezügelten Studenten anhing und dem es – ganz im Gegenteil – sichtlich Vergnügen zu bereiten schien, seine Zeitgenossen
mit rabiaten »modernistischen« Kompositionen geradewegs zu
provozieren oder gar zu schockieren. So setzte sich Prokofjew, der
bei der Uraufführung des Opus 26 am 5. September 1913 in
Pawlow bei St. Petersburg unter Alexander Aslanow selbst den
5
Sergej Prokofjew
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Solopart übernahm, nach dem von Missfallensbekundungen
durchsetzten Schlussapplaus mit einer spöttischen Verbeugung
erneut ans Klavier und »traktierte« das ohnehin schon völlig aufgebrachte Publikum dreist mit einer Zugabe. Welch unerschütter­
liches Selbstbewusstsein eines 22-Jährigen, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal sein Kompositionsdiplom in der Tasche
hatte und diese Prüfung dann ein halbes Jahr später im Frühjahr
1914 – übrigens mit einer »schlechten Note« – ablegte.
Die Uraufführung des Klavierkonzerts Nr. 2 spaltete die Rezensentenund Fachwelt in zwei Lager: Die einen kanzelten das Werk als
»Babel irrsinniger Klänge« oder »Katzenmusik« ab, sogar Freunde
des Komponisten nahmen Anstoß an »gewissen Rohheiten« und
dem »aufdringlichen Schrecken-Wollen« und auch der einflussreiche
Konzertorganisator und Dirigent Alexander Siloti gab despektierlich zum Besten, von der Musik eines Debussy gehe vielleicht »ein
Aroma aus, von dieser aber Gestank«. Dagegen standen jene, die
hierin »die typischen Züge der Begabung Prokofjews« herauszu­
hören glaubten, »jene unerhörte Mächtigkeit, Wucht und Pracht des
Kolorits, jene kolossale Energie, deren grandiose Ausbrüche mit
blendenden Einfällen lustiger oder auch leidvoller und boshafter
Ironie abwechseln«. Auch der renommierte Musikkritiker und
­Prokofjew-Förderer Wjatscheslaw Karatygin verteidigte das neue
Werk und prophezeite in der Zeitung »Retsch« geradezu: »Das
­Publikum zischte. Das besagt gar nichts. In ungefähr zehn Jahren
wird dieselbe Zuhörerschaft dafür mit einmütigem Applaus für
den berühmten neuen Komponisten bezahlen, der dann in ganz
Europa anerkannt sein wird.«
Eines erreichte Prokofjew jedenfalls sofort: Er polarisierte, sorgte
mit seinem skandalumwitterten Konzert für Aufsehen und versicherte sich auf diese Weise der Aufmerksamkeit und Anerkennung
der russischen Avantgarde. Immer häufiger erschienen nun Werke
des Komponisten auf den Programmzetteln öffentlicher Konzerte
und auch Angebote von Verlegern häuften sich. Last but not least
zeigte sich der einflussreiche Impresario Sergei Pawlowitsch
­Djagilew speziell vom zweiten Klavierkonzert äußerst angetan und
liebäugelte sogar kurze Zeit damit, es choreographisch zu verarbeiten. Dieser Plan wurde jedoch mangels geeigneter »Handlung«
letztlich wieder verworfen.
Als Prokofjew im Jahr 1918 Russland den Rücken kehrte, um
nach der Oktoberrevolution zunächst in die USA, später nach
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Europa zu emigrieren, ließ er die handgeschriebene, noch nicht
veröffentlichte Partitur des im Andenken an seinen durch Selbstmord verlorenen Freund Maximilian Schmidthof geschriebenen
Klavierkonzertes Nr. 2 zurück – nicht ahnend, dass er insgesamt
neun Jahre außer Landes bleiben würde. Während der Wirren des
Russischen Bürgerkrieges fiel das Manuskript einem Brand zum
Opfer. Böse Zungen behaupteten, die Partitur sei von den Besetzern seiner St. Petersburger Wohnung bei der Zubereitung eines
Omeletts als Heizmaterial verwendet worden. In Ermangelung
weiterer Aufzeichnungen machte sich Prokofjew 1923 während
eines Aufenthalts im bayerischen Ettal daran, das Werk aus dem
Gedächtnis zu rekonstruieren. Dabei überarbeitete er in der heute
geläufigen Fassung sowohl den Klavierpart als auch die Orchester­
stimmen. Er gestaltete die kontrapunktischen Elemente »etwas
komplizierter, … die Form eleganter – weniger eckig«. Diese neue
Version kam am 8. Mai 1924 in Paris unter der Leitung von Sergej
Kussewitzky zur Uraufführung. Solist war wiederum Prokofjew
selbst, über dessen pianistisches Können Boris Assafjew später
schwärmte: »Seine technische Meisterschaft war phänomenal,
unfehlbar, und seine Klavierwerke stellen bekanntlich den Spieler
vor fast transzendentale Schwierigkeiten ... Wenn er sich aufs
Podium begab, verwandelte er sich mit dem Anziehen des Fracks
in ein ganz anderes Wesen ... Erstaunlich waren die Feinheiten,
die er sich in den gewagtesten Lagen auf dem Klavier erlaubte,
seine Ungezwungenheit, sein ›Spiel‹ im buchstäblichen Sinn,
das eines gewissen sportlichen Charakters nicht entbehrt ...
­Verblüffend war die äußere Klarheit und Exaktheit der ganzen Faktur
dank einer meisterhaften Beherrschung aller nötigen technischen
Mittel.« – Letztere wusste Prokofjew beim zweiten Klavierkonzert,
in dem der von mannigfaltigen spieltechnischen Raffinessen durch­
setzte Klavierpart eine dominante Stellung einnimmt, in hohen
Dosen einzustreuen. Dabei musste er aber zugeben, dass die
Einstudierung des Soloparts selbst für ihn mit ungeheuer großem
Übeaufwand verbunden war (mindestens vier Stunden pro Tag)
und sich das Werk letztlich »als unglaublich schwierig und gnadenlos erschöpfend entpuppt« hatte.
Tatsächlich zählt das viersätzige Werk bis heute zu den anspruchs­
vollsten Klavierkonzerten des Jahrhunderts – einschließlich jener
wohl längsten und schwierigsten Kadenz der Konzertliteratur überhaupt, die im ersten, von expressionistischer Ausdrucksintensität
geprägten Satz den gesamten Durchführungsteil und den Beginn
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der Reprise umfasst. Der zweite Satz, ein Scherzo im Tempo Vivace,
kommt als stürmisch-virtuoses Perpetuum mobile daher, in dem
zahllose musikalische Geistesblitze einmal mehr von der jugend­
lichen Unbekümmertheit Prokofjews zeugen. Im langsamen Mittelsatz, einem russisch gefärbten, unheilvollen Intermezzo, scheint
sich der Orchestersatz mit archaischer Wucht gegen die geradezu
plärrend-grellen Einwürfe der Blechbläser zur Wehr setzen zu wollen.
Für den japanischen Dirigenten Seiji Ozawa scheinen dann anschließend im dritten Satz »alle den Verstand zu verlieren. Da ist
dieses raue Ostinato, und alles ist so brutal und laut ... In diesem
Satz komme ich mir immer vor wie ein Verkehrspolizist. Ich sage
nur: Jetzt du, jetzt du, nein – du wartest hier.« Das virtuose Finale
ist von zwei stark kontrastierenden Themen geprägt: Während
das erste einen geradezu schroffen Charakter aufweist und vom
Klavier in Oktavgriffen und weiten Intervallsprüngen vorgetragen
wird, zeichnet sich das zweite durch einen lyrischen, im volksliedhaften Stil gehaltenen Ton aus, der mit einer wiegenden Begleitung untermauert wird. Nach einem unvermutet dissonanten faszinierenden Klavierkadenz – mit der dynamischen Wiederholung
des Eingangsthemas.
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Ungefilterter Widerhall des Kriegsgräuels
Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 8
in c-Moll op. 65
Ȇber die Siebte und die Achte habe ich mehr dummes Zeug zu
hören bekommen als über meine übrigen Arbeiten. Merkwürdig,
wie langlebig solche Dummheiten sind. Manchmal verblüfft mich,
wie denkfaul die Menschen sind. Alles, was über diese Symphonien
in den ersten Tagen geschrieben worden ist, wird unverändert bis
zum heutigen Tag wiederholt. Dabei gab es doch genügend Zeit
zum Nachdenken. Der Krieg ist schließlich längst zu Ende ... Vor
dreißig Jahren konnte man wohl sagen, dass es Kriegssymphonien
seien ... Die meisten meiner Symphonien sind Grabdenkmäler.
Zu viele unserer Landsleute kamen an unbekannten Orten um.
Niemand weiß, wo sie begraben liegen, nicht einmal ihre Angehö­
rigen … Ich würde gern für jeden Umgekommenen ein Stück
­schreiben. Doch das ist unmöglich. Darum widme ich ihnen allen
meine gesamte Musik ...«
Tatsächlich waren gerade die Kriegsjahre für den 1906 in St. Peters­
burg zur Welt gekommenen Dmitri Schostakowitsch eine Phase
höchster Produktivität. Zwei Jahre nach seiner gefeierten »Leningrader Sinfonie« Nr. 7 schrieb er während des Sommers 1943 im
nordöstlich von Moskau gelegenen Iwanowo neben zwei Liedern
und einer neuen sowjetischen Nationalhymne seine achte Sinfonie
op. 65. Den Aufenthalt an diesem idyllischen Ort hatte ihm – wie
übrigens auch Sergej Prokofjew zur fast gleichen Zeit – der sowje­
tische Komponistenverband ermöglicht, um in Ruhe und fernab
der Kriegswirren komponieren zu können. Nur rund vierzig Tage
benötigte der für seine zügige Kompositionsweise bekannte
­Schostakowitsch zur Niederschrift der Partitur, in der er nach eigener
Aussage versucht hatte, »die Erlebnisse des Volkes auszudrücken,
die furchtbare Tragödie des Krieges widerzuspiegeln«. Nachdem
der 36-Jährige sein neues Werk am 21. September 1943 dem
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Dmitri Schostakowitsch
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Komitee für Künste des Rats der Volkskommissare der Sowjetunion
auf dem Klavier vorgestellt hatte, erfolgte die Uraufführung dieser
fünfsätzigen Sinfonie schließlich am 4. November desselben Jahres
im Moskauer Konservatorium. Ausführende waren diesmal nicht
die Leningrader Philharmoniker, sondern das Staatliche Sinfonieorchester der UdSSR, da Leningrad zu dieser Zeit noch von den
Nazis belagert war und das Leningrader Orchester Zuflucht in
Novosibirsk gesucht hatte. Als Dirigent wurde der dafür eigens
aus seinem sibirischen Refugium angereiste Jewgenij Mrawinskij
verpflichtet, der dem neuen Opus Schostakowitschs bereits vor
seiner Fertigstellung großes Interesse entgegengebracht hatte.
Dieser Orchesterleiter und spätere Widmungsträger des Werks,
der übrigens später seine persönliche Mitwirkung beim »Prager
Frühling« (1947) von zwei ihm zugestandenen Aufführungen
just dieser Sinfonie abhängig machen sollte, zeigte sich von den
­minutiösen Klangvorstellungen des Komponisten begeistert:
­„Jedes Mal, wenn ich mit dem Orchester eine neue Partitur
Schostakowitschs einstudiere, verblüfft mich, mit welcher Genauigkeit er den Klang seiner Musik vorempfand. Alles ist vorab von
ihm gehört, durchlebt, durchdacht und berechnet worden ...
Schostakowitsch besaß, wenn man das so sagen darf, das absolute Orchestergehör. Er hört sowohl das Orchester als Ganzes als
auch jedes Instrument einzeln, im Geiste ebenso wie in seinem
realen Klang. Ich entsinne mich an einen Vorfall: Wir probten
die 8. Sinfonie. Im ersten Satz ... gibt es eine Episode, in der das
Englischhorn ziemlich hoch ... spielen muss. Es wird hier von
Oboen und Celli unterstützt und ist im ganzen Orchester fast nicht
mehr zu unterscheiden. Diese Tatsache berücksichtigend, hatte
der Musiker in einer Probe seinen Part eine Oktave tiefer angesetzt, um die Lippen vor dem großen entscheidenden Solo zu
schonen ... Das Englischhorn zu hören und im mächtigen Strom
des Orchesters diese kleine List des Musikers zu bemerken, war
so gut wie ausgeschlossen. Doch plötzlich ertönte hinter meinem
Rücken die Stimme Schostakowitschs: ›Warum spielt das Englisch­
horn eine Oktave niedriger?‹ Wir waren alle starr. Das Orchester
hörte auf zu spielen und nach einer Sekunde brach Beifall aus.«
Anders als im Ausland, wo das Werk nach seiner Moskauer Uraufführung auf reges Interesse stieß und man beispielsweise in New
York 10.000 US-Dollar für das Recht zur dortigen Erstaufführung
investierte, die am 2. April 1944 stattfand, fiel die Rezeption sowohl
bei den sowjetischen Politoberen als auch in Kollegenkreisen
Schostakowitschs äußerst negativ aus. Einige bemängelten das
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Fehlen eines optimistischen heroischen Finales sowie die allzu
starke »Kultivierung der Bilder vom Bösen und vom Leiden«.
Man kritisierte, dass sich das Werk viel zu eingehend mit den
»finsteren, beängstigenden Aspekten der Wirklichkeit« befasse,
oder vermisste einen gerade in Kriegszeiten als selbstverständlich vorausgesetzten programmatischen Inhalt. Andere nahmen
Anstoß an einer »übermäßigen Weitschweifigkeit« und »expres­
sionistischen Verschrobenheit« und warfen dem Komponisten
»fehlenden Patriotismus« oder sogar eine »gewisse psychische
Labilität« vor. 1948 wurde in der ­Jahresresolution des Zentral­
komitees der Kommunistischen Partei schließlich sogar ein mehrjähriges Aufführungsverbot über dieses Werk verhängt, nachdem
führende Komponisten – allen voran Sergej Prokofjew(!) – es als
zu formalistisch und abstrakt beschimpft hatten.
Der episch breite Kopfsatz der Sinfonie ist in einer dreiteiligen
Bogenform angelegt. Auf die Einleitungstakte der Streicher, die
mit den fallenden bzw. steigenden Sekundmotiv in den tiefen
Stimmen auf der einen und dem anfänglichen Quintsprung der
Violinen auf der anderen Seite das Grundmaterial nicht nur für
diesen Satz, sondern für das gesamte Werk liefern, folgt ein
schmerzvolles, im Pianissimo gehaltenes Geigenthema, das von
einem trauermarschartigen Rhythmus begleitet wird. Als zweites
Thema erhebt sich im ungewöhnlichen 5/4-Takt eine neue ele­gi­
sche Melodie. Hiermit endet die Exposition, in der Schostakowitsch
durchgängig auf Blechbläser verzichtet und nur Streicher und
Holzbläser einsetzt. In der polyphon gestalteten Durchführung
vollzieht sich schließlich eine gnadenlose Beschleunigung des
Satzes, in der nun mit brutaler Wucht unbarmherzig ein Bild des
Schreckens vor Ohren geführt wird. Nach einem furiosen Fortissimo
des Schlagwerks leitet das Englisch­horn mit einem ergreifenden
Klagegesang zur Reprise über, wo die musikalischen Gedanken der
Exposition noch einmal – nun allerdings in umgekehrter Reihen­
folge – in Erinnerung gerufen werden.
Sowohl der zweite als auch der dritte Satz verkörpern den von
Schostakowitsch wiederholt verwendeten Typus des »sarkastischen
Scherzos«. Es sind scharfe musikalische Satiren, in denen der
Komponist den militärischen Heroismus ins Groteske zu ziehen
sucht. Dazu bedient er sich im kurzen zweiten Satz, den er selbst
als »einen Marsch mit Elementen eines Scherzos« beschreibt,
u. a. äußerst greller Instrumentationseffekte bzw. bizarrer Klangkombinationen, wenn er z. B. die Pikkoloflöte mit einem exzentrischen Motiv über dem Orgelpunkt der Tuba einsetzen lässt.
­Krzysztof Meyer glaubte in diesem Des-Dur-Allegretto eine Para-
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phrase des deutschen Foxtrotts »Rosamunde« heraushören.
Banal daherkommende mechanische Rhythmen, ja eine gleichsam
roboterhafte Motorik, die sich stupide und monoton ihren Weg
bahnt und so die Sinnlosig-und Unmenschlichkeit des Krieges
anprangert, prägen den in Form einer Toccata gehaltenen dritten
Satz, welchen der deutsche Dirigent Kurt Sanderling als »Niedergetrampelt-Werden des Individuums« empfand.
Ein abrupter Sforzato-Schlag im mehrfachen Forte leitet unmittelbar in den vierten Satz über. Dieser ist in Form einer auf einem
Trauermarsch basierenden Passacaglia in düsterem gis-Moll gestaltet, die – wie auch die anderen Sätze – deutliche thematische
Bezüge zum Kopfsatz erkennen lässt. Die tiefen Streicher into­nieren
insgesamt zwölfmal ein elegisches und bedeutungsschwangeres
Bass-Ostinato, das dem Satz einen statischen Charakter verleiht
und als Sinnbild für die Unabänderlichkeit, das Schicksalhafte
steht. Über diesem dauerhaften Bassthema erheben sich – ohne
große Kontraste oder Steigerungseffekte – die Oberstimmen:
zunächst die Streicher, später dann Bläsersoli. Geradezu verloren
und orientierungslos mutet dabei in der sechsten Variation das
Solo der Pikkoloflöte an, wenn diese in höchsten Tönen über dem
beharrlichen Bassfundament einsam ihre Arabesken anstimmt.
Nahtlos geht dieser Satz in das zaghaft optimistische Finale
­(Allegretto) in C-Dur über. Dessen pastoraler Charakter offenbart
sich – gleich einem plötzlich einfallenden Sonnenstrahl – bereits
im einleitenden Fagottsolo. Von einer triumphalen Schlussapo­
theose sieht Schostakowitsch hier ab, lässt stattdessen den
fast kammermusikalisch gehaltenen, lichten Satz und damit die
gesamte Sinfonie »morendo«, also verhauchend, in fast hypnotischer Stille ausklingen.
Erst im Oktober 1956 wurde Schostakowitschs Sinfonie Nr. 8
durch eine Aufführung des Moskauer Philharmonischen Orchesters
unter der Leitung von Samuil Samossud rehabilitiert und erlangte
damit endlich auch in der Sowjetunion als »erhabenes tragisches
Epos über die von der Menschheit durchlebte furchtbare Zeit«
(B. Assafjew) die ihr gebührende Stellung als eines der bedeutendsten tragischen Orchesterwerke des nationalen Repertoires.
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1982 in Berlin geboren, studierte Martin Helmchen zunächst bei
Galina Iwanzowa an der HfM »Hanns Eisler« Berlin und wechselte
später zu Arie Vardi nach Hannover; weitere Mentoren sind William
Grant Naboré sowie Alfred Brendel. Einen ersten entscheidenden
Impuls bekam seine Karriere, als er 2001 den »Concours Clara
Haskil« gewann. 2006 ermöglichte der »Credit Suisse Young Artist
Award« ihm sein Debüt mit den Wiener Philharmonikern unter der
Leitung von Valery Gergiev beim Lucerne Festival. Seither trat
Martin Helmchen mit zahlreichen renommierten Orchestern auf,
so mit den Berliner Philharmonikern, den Radioorchestern in
Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, Hannover und Berlin, dem Konzerthausorchester Berlin, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen,
den Wiener Symphonikern, dem London Philharmonic Orchestra,
der Academy of Saint Martin in the Fields, mit dem Boston und
dem St. Louis Symphony Orchestra sowie mit dem NHK Symphony
­Orchestra, Tokio. Martin Helmchen gastiert regelmäßig bei den
großen europäischen Sommerfestivals und leidenschaftlich betreibt er Kammermusik. Er musiziert regelmäßig mit Juliane Banse,
Veronika Eberle, Julia Fischer, Sharon Kam, Sabine Meyer und
Christian Tetzlaff sowie mit seiner Ehefrau Marie-Elisabeth Hecker.
Seit 2010 ist Martin Helmchen Associate Professor für Kammermusik an der Kronberg Academy. Bislang erschienen auf CD von
ihm Einspielungen mit Klavierkonzerten von Mozart, Schumann,
Dvoř ák und Mendelssohn sowie Solowerke und Kammermusik
von Schubert. Mit dem London Philharmonic Orchestra spielte er
Schostakowitschs Konzerte unter der Leitung von Vladimir Jurowski
ein.
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Vladimir Jurowski wurde in Moskau geboren und studierte zunächst am dortigen Konservatorium. 1990 zog er mit seiner Familie
nach Deutschland und setzte seine Ausbildung an den Musikhochschulen in Dresden und Berlin fort. 1995 gab er sein internatio­
nales Debüt beim Wexford Festival. 2003 wurde Vladimir Jurowski
zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra
ernannt, seit September 2007 ist er sein Chefdirigent. Außerdem
ist er Principal Artist des Orchestra of the Age of Enlightenment
und Künstlerischer Leiter des Russian State Academic Symphony
Orchestra. Von 1997 bis 2001 war er Erster Kapellmeister an der
Komischen Oper Berlin, 2000 bis 2003 Erster Gastdirigent am
Teatro Comunale di Bologna, 2005 bis 2009 Erster Gastdirigent
beim Russian National Orchestra und 2001 bis 2013 Musikalischer Leiter der Glyndebourne Festival Oper. Als Gast dirigiert er
weltweit führende Orchester wie die Berliner und Wiener Philharmoniker, das Concertgebouworkest Amsterdam, das Philadelphia
Orchestra, das Tonhalle-Orchester Zürich, das Gewandhaus­
orchester Leipzig und die Sächsische Staatskapelle Dresden.
Als Operndirigent ist er von der Metropolitan Opera New York über
die Opéra National de Paris, die Mailänder Scala und Dresdner
Semperoper bis zur Bayerischen Staatsoper an den ersten Häusern
weltweit zu erleben. Seine umfangreiche Diskographie umfasst
Werke von Brahms, Mahler, Rachmaninow, Tschaikowsky, Britten,
Turnage, Schostakowitsch und Wagner, die er u. a. mit dem London
Philharmonic Orchestra, dem Orchestra of the Age of Enlightment
und dem Chamber Orchestra of Europe einspielte, sowie zahlreiche
Opern-DVDs. Vladimir Jurowski gibt mit dem heutigen Konzert sein
Debüt beim Gürzenich-Orchester Köln.
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19
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20
orchesterbesetzung
I. VIOLINEN Ursula Maria Berg, Jordan
Ofiesh, Alvaro Palmen, Dylan Naylor,
Dirk Otte, Chieko Yoshioka-Sallmon,
David Johnson, Andreas Bauer, Demetrius
Polyzoides, Wolfgang Richter, Elisabeth
Polyzoides, Judith Ruthenberg, Colin
Harrison, Petra Hiemeyer, Anna Kipriyanova,
Nina Mrosek*
II. Violinen Sergei Khvorostuhin,
Andreas Heinrich, Cornelie Bodamer-Cahen,
Stefan Kleinert, Friederike Zumach,
Martin Richter, Elizabeth Macintosh,
Sigrid Hegers-Schwamm, Joanna Becker,
Susanne Lang, Nathalie Streichardt, Jana
Andraschke, Maria Suwelak*, Christoph
Schlomberg*, Robert Randsburg*
Bratschen Nathan Braude*, Susanne
Duven, Martina Horejsi-Kiefer, Bruno
Toebrock, Gerhard Dierig, Annegret Klingel,
Eva-Maria Wilms-Mühlbach, Maria Scheid,
Sarah Aeschbach, Kyung-Hwan Choi,
Irina Bayeva*, Klaus Nischlag*
Flöten Freerk Zeijl, André Sebald,
Irmtraud Rattay-Kasper, Angelique
van Duurling
Oboen Tom Owen, Reinhard Holch,
Ikuko Yamamoto
Klarinetten Oliver Schwarz, Thomas
Adamsky, Oscar Fayos, Manuel Gangl*
Fagotte Rainer Schottstädt, Klaus Lohrer,
Mari Tokumaru
Hörner Markus Wittgens, Andreas
Jakobs, Willy Bessems, Jörn Köster
Trompeten Simon de Klein, Klaus
von der Weiden, Herbert Lange
POSAUNEN Carsten Luz, Markus Lenzing,
Christoph Schwarz
TUBA Karl-Heinz Glöckner
Pauken Carsten Steinbach
Violoncelli Ulrike Schäfer, Joachim
Griesheimer, Ursula Gneiting-Nentwig,
Johannes Nauber, Klaus-Christoph Kellner,
Daniel Raabe, Sylvia Borg-Bujanowski,
Bettina Kessler, Daniela Bock*, Jeanette
Gier*
Kontrabässe Yasunori Kawahara,
Henning Rasche, Johannes Eßer, Konstantin
Krell, Greta Bruns, Otmar Berger,
Jörg Schade, Michael Geismann
Schlagzeug Alexander Schubert,
Christoph Baumgartner, Bernd Schmelzer,
Ulli Vogtmann, Egmont Kraus*,
Romanus Schöttler *, Torsten Blumberg*
* Gast
** Praktikant/in
Stand: 23. Juni 2014
21
vorschau
festkonzert
zur saisoneröffnung
2014/2015
Sonntag, 31. Aug 14, 11 Uhr
Kölner Philharmonie
Konzerteinführung um 10 Uhr
Präsentiert von
sinfoniekonzert 01
Sonntag, 21. Sep 14, 11 Uhr
Montag, 22. Sep 14, 20 Uhr
Dienstag, 23. Sep 14, 20 Uhr
Kölner Philharmonie
Konzerteinführung
So 10 Uhr, Mo u. Di 19 Uhr
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 0 d-Moll WAB 100
Wolfgang Amadeus Mozart
Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364
Richard Strauss
»Rosenkavalier«-Suite AV 145
Renaud Capuçon Violine
Gérard Caussé Viola
Gürzenich-Orchester Köln
Dmitrij Kitajenko Dirigent
Richard Strauss
»Metamorphosen« Es-Dur,
Studie für 23 Solostreicher
Jörg Widmann
»Echo-Fragmente« für Klarinette
und Orchestergruppen
Richard Strauss
»Also sprach Zarathustra« op. 30
Jörg Widmann Klarinette
Gürzenich-Orchester Köln
François-Xavier Roth Dirigent
Karten erhalten Sie bei der Gürzenich-Orchester-Hotline: Tel (0221) 280 282,
beim Kartenservice der Bühnen Köln in den Opernpassagen, im Internet unter:
www.guerzenich-orchester.de sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
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Markus Stenz und das Gürzenich-Orchester Köln danken Lufthansa
und den Kuratoren der Concert-Gesellschaft Köln e. V. für ihr
kulturelles Engagement und ihre großzügige Unterstützung:
Ehrenmitglieder des Kuratoriums:
Jürgen Roters Oberbürgermeister der Stadt Köln
Dr. h. c. Fritz Schramma Oberbürgermeister der Stadt Köln a.D.
Kuratoren:
Bechtle GmbH IT Systemhaus, Waldemar Zgrzebski
Ebner Stolz Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte Steuerberater, Dr. Werner Holzmayer
Excelsior Hotel Ernst AG Henning Matthiesen
GALERIA Kaufhof GmbH Ass. jur. Ulrich Köster
Generali Investments Deutschland Kapitalanlagegesellschaft mbH, Dr. Ulrich Kauffmann
HANSA-REVISION Schubert & Coll. GmbH Wirtschafts­prüfungs- und Steuerberatungs­gesellschaft,
Dipl.-Kfm. Bernd Schubert
Hefe van Haag GmbH & Co. KG Dr. Klaus van Haag
ifp Institut für Personal- und Unter­nehmensberatung, Will und Partner GmbH & Co. KG, Jörg Will
Kirberg GmbH Catering Fine Food Jutta Kirberg
Kölner Bank eG Bruno Hollweger
Koelnmesse GmbH Gerald Böse
Kreissparkasse Köln Alexander Wüerst
Gerd Lützeler Dipl.-Kaufmann – Wirtschafts­prüfer – Steuerberater
Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. KGaA Dr. Wolfgang Leoni
Privatbrauerei Gaffel Becker & Co. OHG Heinrich Becker
ROLEX Deutschland GmbH Peter Streit
TÜV Rheinland AG Prof. Dr. Bruno O. Braun
UBS Deutschland AG Helmut Zils
Annett Reischert-Bruckmann studierte Musikwissenschaften in Köln. Sie arbeitet als Autorin und
­Redakteurin für Musikverlage, Fachmagazine, CD-Labels, Konzerthäuser und Ensembles. 2003 publizierte sie ein »Musiklexikon Klassik« auf CD-ROM, 2011 gehörte sie zu den Mitbegründern des Portals
www.musikschulwelt.de.
IMPRESSUM Herausgeber Gürzenich-Orchester Köln, Geschäftsführender Direktor Patrick Schmeing
Redaktion Johannes Wunderlich Textnachweis Der Text von Annett Reischert-Bruckmann ist ein Originalbeitrag für dieses Heft Bildnachweis Titel: Giorgia Bertazzi, S. 16: Giorgia Bertazzi. S. 17: Sheila Rock.
­Gestaltung, Satz parole gesellschaft für kommunika­tion mbH Druck asmuth druck + crossmedia gmbh &
co. kg, Köln
Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind.
Euro 2,-
sinfoniekonzert12
29./30. Jun, 01. Jul 2014 Martin Helmchen Klavier
CD 1
Vladimir Jurowski Dirigent
Gürzenich-Orchester Köln
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten. Kein Verleih!
Keine unerlaubte Vervielfältigung,
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Sergej Prokofjew
Konzert für Klavier
und Orchester Nr. 2 g-Moll
sinfoniekonzert12
29./30. Jun, 01. Jul 2014 Vladimir Jurowski Dirigent
CD 2
Gürzenich-Orchester Köln
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Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 8
c-Moll op. 65
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