Vorlesungsskript HIV – Antiretrovirale Therapie 2005 Surrogatparameter der HIV-Infektion Die primären Behandlungsziele der HIV-Infektion sind: • Reduktion und dauerhafte Unterdrückung der Virusreplikation • Anstieg der CD4-Zellzahl • Verbesserung des allgemeinen Immunstatus • Verhinderung der Progression zu Krankheit/AIDS Wann mit der Therapie beginnen? • Bei klinischer Symptomatik: AIDS-definierende Erkrankungen, wie z.B. PCP, Tbc, Lymphome • Abfall der CD4-Zellzahl <250/ìl Blut • Verschlechterung des Allgemeinzustands: rezidivierende Infektionen, Gewichtsverlust • Transmissionsprophylaxe im letzten Trimenon der Schwangerschaft • Sonderfall: Während der Primärinfektion bzw. der Serokonversion. Dauer: Bis maximal 12 Monate Lebenslange Therapie stellt hohe Anforderungen • Virus wirksam bekämpfen • Resistenz verhindern • Langzeit- Nebenwirkungen vermeiden • Lebensqualität gewährleisten • Therapie-Adhärenz sicherstellen Wirkorte Antiretriviraler Therapeutika: 1. 2. 5. 3. 4. 1. Korezeptorenblocker* 2.Fusionsinhibitoren 3. Reverse Transkriptase Inhibitoren 4. Integrasehemmer* 5. Proteaseinhibitoren * in der klinischen Erprobung Derzeit verfügbare antiretrovirale Substanzklassen A. NRTI – Nukleosidale(-tidale) Reverse Transkriptasehemmer Retrovir, Epivir, Abacavir, Emtricitabin, Stavudin, Didanosin, Tenofovir-DF B. NNRTI – Nichtnukleosidale Reverse Transkriptasehemmer Nevirapin, Efavirenz, Delavirdin C. PI – Proteasehemmer D. FI - Fusionshemmer Indinavir, Saquinavir, Nelfinavir, Lopinavir, Amprenavir, Atazanavir, Ritonavir Enfuvirtid 1. Substanzklasse: Nukleos(t)idale Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI) Wirkmechanismus: Kompetitive Bindung der Nukleosidanaloga (Kettenabbrüche der neu entstehenden DNA) verhindert reverse Transkription einer DNA aus viraler RNA. NRTI müssen intrazellulär durch Phosphorylierung aktiviert werden: Zelluläre Kinase: Zelluläre Kinase Zelluläre Kinase Wichtige unerwünschte Nebenwirkungen der NRTI: 1. Knochenmarksuppression: Anämie, Neutropenie, Thrombopenie (häufig Zidovudin, selten Stavudin) 2. Häufig: Gastrointestinale Beschwerden (Alle) 3. Selten: Laktatazidosen (Zidovudin, Stavudin) 3. 4. Selten: Toxische Pankreatitis (Didanosin, Stavudin) 5. Periphere Neuropathien (Stavudin, Didanosin) 6. Hypersensitivitätsreaktion bei Abacavir: CAVE: Kein Reexpositionsversuch! Wichtige Interaktionen der NRTI mit 1. hämatotoxischen Subtanzen: z.B. Ganciclovir, Folsäureantagonisten 2. knochenmarksuppressiven Therapien 3. Substanzen, die als Nebenwirkung ebenfalls Neuropathien verursachen wie Dapson, Phenytoin, Metronidazol (Stavudin) 4. Alkohol: Abbauweg Alkoholdehydrogenase (Abacavir-Glucuronid) bzw. Pankreasstoffwechsel (Didanosin) 5. Potenziell nephrotoxischen Substanzen: Foscarnet, Ampho B, Aminoglykoside verzögern, genauso wie Probenecid die Ausscheidung der Nukleoside 6. Anderen NRTI: z.B. an P-gp: Tenofovir erhöht intrazelluläre Didanosinspiegel durch P-pg-Hemmung, Zidovudin hemmt kompetitiv die Phosphoryllierung von Stavudin Wirkmechanismus der NNRTI: Allosterische Bindung: NNRTI bindet an Reverse Transkriptase und denaturiert das Enzym Interaktionen der NNRTI mit CYP 450 Nevirapin ist Substrat und Induktor von CYP 3A4 und 2B6 Reduziert Plasmaspiegel von Proteasehemmern, Methadon, Tuberkulostatika, Kontrazeptiva, Antikonvulsiva etc. Efavirenz ist Substrat bzw. schwacher Hemmer von CYP 3A4, 2C9 und 2C19 Kann kombiniert werden mit Rifampicin, Methadon, Proteasehemmern (mögliche Dosisanpassungen) Nicht kombinieren mit Ergotalkaloiden, Midazolam etc. Besonderheiten der Therapie mit NNRTI • • • • • NNRTI haben eine sehr niedrige Resistenzbildungsschwelle Kreuzresistenz untereinander: (103N,106A/M, 181C) Nevirapin ist plazenta- und muttermilchgängig; Einsatz bei Schwangerschaft und Transmissionsprophylaxe Efavirenz wird als einmal-tägliche Therapie mit NRTI von der WHO zur Primärtherapie empfohlen Absetzen der NNRTI muss zwei Wochen vor Absetzen der Komedikation (NRTI) erfolgen bzw. NNRTI kann durch einen Proteaseinhibitor ersetzt werden. Bild oben: Nach einer anfänglichen Zeit der enzymatischen Autoinduktion in der Leber durch Ritonavir erreichen die Wirkspiegel im Plasma nach ca. 2 Wochen einen „steady state“ und das endgültige Ausmaß der Enzymhemmung. Fast alle Proteaseinhibitoren werden zusammen mit 100mg Ritonavir als „booster“ eingenommen. Ausnahmen sind Tipranavir (RTV 200mg) und Nelfinavir (ungeboostet) Das folgende Beispiel zeigt das Prinzip des Boostings durch Ritonavir auf verschiedene Proteaseinhibitoren: Boosting der PI ist ein Weg die virale Resistenzentwicklung zu verzögern oder sogar zu vermeiden. Virale Resistenzentwicklung •Viraler Replikationszyklus 6-48h: (bis zu 300 Replikationszyklen/Jahr) •Punktmutation der Reversen Transkriptase: Kein „proof reading˝, große genetische Varianz des Virus •Schnelle Entwicklung von Teil- oder Komplettresistenzen, Primär-/ Sekundärmutationen •Ständige Veränderung der viralen Proteine: env, gag, pol, nef, tat, gp41, gp120 •Mutationen im Genom der Reversen Transkriptase und Protease Gründe für eine Resistenzentwicklung unter Therapie: •Subinhibitorische Medikamentenspiegel: –Unzureichende Compliance –Medikamenteninteraktionen –Malabsorption, erhöhter Metabolismus –Unterdosierung •Sequenzielle oder unzureichende Therapie: –Historisch –Mangelnde ärztliche Erfahrung –Falsche Kombinationen: Kreuzresistenzen, PK- bzw. PD-Interaktionen Beispiel für Virusresistenzen im Proteaseinhibitorbereich (gegen Indinavir): Genotypische Resistenzuntersuchung ist Teil der klinischen Routine Lipodystrophiesyndrom: •Kombination aus mitochondrialer Toxizität durch NRTI und metabolischem Syndrom aufgrund PI-Einnahme (Insulinresistenz, Hyperlipidämie) ••Periphere Fettzellen gehen zugrunde (Lipoatrophie) und Fett wird zentral eingelagert (Lipoakkumulation) ••Zusammenhang zwischen Stavudin-Einnahme und peripherer Lipoatrophie gilt als erwiesen. ••Warscheinlich sind auch andere NRTIs beteiligt. Mechanismus der Lipoatrophie: 1.Nukleoside der NRTI führen in den Mitochondrien durch Einbau in die mt DNA mittels Polymerase γ zu Kettenabbrüchen und somit zur mitochondrialen Dysfunktion. 2.Weitere Gründe sind vermutlich die Beeinträchtigung mitochondrialer Enzyme durch NRTI, Entkoppelung der oxidativen Phosphoryllierung und Apoptoseinduktion. Dies passiert insbesondere in subcutanen Adipozyten: Verbindung zwischen NRTI und Zielorgan der Lipoatrophie 3. Vorraussetzung für die Aufnahme von NRTI in die Mitochondrien, ihre Phosphoryllierung und den Einbau in die mt DANN sind jedoch Thymidinkinaseaktivität oder Desoxynekleotid-Transporterspezifität der Mitochondrienmembran. 4. Unterschiede für Stavudin und Zidovudin könnten deren unterschiedliches Potential für mitochondriale Toxizität erklären. Mechanismus für Lipoakkumulation: Insbesondere Proteaseinhibitoren sind für die metabolische Veränderungen des Lipodystrophiesyndroms verantwortlich 1. Hyperlipidämie mit starkem Triglycerid-, VLDL- und LDL-Anstieg: Drastisch erhöhter Fettsäureumsatz mit erhöhter Lipolyse und eingeschränkter Clearance von VLDL und Chylomikronen. 2. Hyperinsulinämie und Insulinresistenz sind Hinweise auf gestörten Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel vor allem in Skelettmuskulatur (Hinweise auf Hemmung von GLUT4, gestörte Insulinfreisetzung, gestörte Glukosephosphoryllierung) 3. Vermutlich ist die Intraabdominelle Fettakkumulation eine Adaptation an hohe Fettsäurespiegel und der Versuch den lipotoxischen Schaden für andere Organe zu begrenzen. Therapie-Compliance und Lebensqualität Verbesserung der Compliance wird erreicht durch: 1. Keine dreifach-tägliche Therapie mehr 2. Zusammenfassung von Wirkstoffen in einer Formulierung: Retrovir+Epivir, Retrovir+Epivir+Abacavir, Lopinavir+Ritonavir, Emtricitabin+Tenofovir, Epivir+Abacavir 3. Individuell angepasste (niedrigere) Dosierungen 4. Einmal-tägliche Therapien Fusionsinhibitoren: Enfuvirtid - T20 •Polypeptid aus 36 Aminosäuren •Applikation nur subcutan möglich •2x täglich 1ml = 90mg Nebenwirkungen: •wie lokale Rötung, Schwellung, Schmerzen und Gewebsverhärtung an der Einstichstelle führen zu Therapieabbrüchen ebenso wie •komplizierte Anwendung (lange Lösungszeit) Weitere wichtige Nebenwirkungen: •erhöhte Rate bakterieller Pneumonien unklarer Genese: Möglicherweise Bindung von T20 an Granulozyten •selten Hypersensitivitätsreaktionen •Resistenzentwicklung über Env-Gen-Mutationen HIV Therapie in der Schwangerschaft: Deutsch-Österreichische Richtlinien für die Transmissionsprophylaxe (2003) •Bei einer Nicht-Risikoschwangerschaft (Viruslast <10000cop/ml, CD4 > 350/µl, keine klinischen Symptome der HIVInfektion) beginnt die Behandlung ab der 32. SSW mit 2x/täglich Zidovudin 250mg, Lamivudin 150mg (+Nevirapin 200mg oder Nelfinavir 1250mg bei Risikopat.) •Elektive Sectio in SSW 37+0 bis SSW 37+6 •4 Wo ART für das Neugeborene mit 4x/Tag Zidovudin 2mg/kg oral für 2-4 Wochen bzw. 1.3-1.5mg i.v. für 10 Tage postpartum (+Lamivudin, Nevirapin bei erhöhtem Ansteckungsrisiko) •Absolutes Stillverbot In jedem Fall gilt: Aufsuchen einer Spezialambulanz, Beratung durch erfahrene Behandler und Diskussion des weiteren Vorgehens! Kontakt für das Klinikum der J.W.GoetheUniversität ist von Montag bis Freitag 8.00-18.00 die HIV-Ambulanz Haus 68, an Wochenenden bzw. nachts die Liegendaufnahme im Haus 23.