TUM, Zentrum Mathematik Lehrstuhl für Mathematische Physik WS 2013/14 Prof. Dr. Silke Rolles Thomas Höfelsauer Felizitas Weidner Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie Lösungsvorschläge zu Übungsblatt 5 Tutoraufgaben: Aufgabe T5.1 Bestimmen Sie die Erwartungswerte der Zufallsvariablen X, Y und Z, falls (i) X Bernoulli(p)-verteilt zum Parameter p ∈ (0, 1), (ii) Y Binomial(n, p)-verteilt zu den Parametern p ∈ (0, 1) und n ∈ N und k (iii) Z Poisson(λ)-verteilt zum Parameter λ > 0, d. h. P(Z = k) = e−λ λk! für k ∈ N0 , ist. Berechnen Sie außerdem die Erwartungswerte von V := etY für t ∈ R und W := Z 2 . Lösung: Die Erwartungswerte von X, Y und Z berechnen sich nach Definition wie folgt: E(X) = 1 · P(X = 1) + 0 · P(X = 0) = 1 · p + 0 · (1 − p) = p n n X X n k E(Y ) = kP(Y = k) = k p (1 − p)n−k k k=0 k=1 n X (n − 1)! pk−1 (1 − p)n−k (k − 1)!(n − k)! k=1 n X n − 1 k−1 = np p (1 − p)n−k k−1 k=1 = np = np(p + (1 − p))n−1 = np ∞ ∞ ∞ k X X X λk−1 −λ λ −λ E(Z) = kP(Z = k) = ke = λe = λe−λ eλ = λ k! (k − 1)! k=0 k=1 k=1 Den Erwartungswert von Y erhält man mit einem Trick auch mit weniger Rechnerei. Dazu erinnern wir uns daran, wie die Binomialverteilung in der Vorlesung eingeführt wurde: Wir führen n mal hintereinander und unabhängig voneinander ein Zufallsexperiment durch, das mit Wahrscheinlichkeit p gelingt und mit Wahrscheinlichkeit 1 − p misslingt. Die Zufallsvariable, die die Anzahl der Erfolge zählt, ist laut Vorlesung Binomial(n, p)verteilt, genauso wie Y . Für i ∈ {1, . . . , n} sei nun Xi eine Zufallsvariable, die den Wert 1 annimmt, wenn das i-te Experiment gelingt, und den Wert 0, falls es misslingt. Die Zufallsvariablen Xi sind jeweils Bernoulli(p)-verteilt und (in Verteilung) gilt die P Gleichung X = ni=1 Xi . Da der Erwartungswert linear ist, ergibt sich daraus mit dem Ergebnis von (i) E(Y ) = E n X Xi = i=1 n X E Xi = i=1 n X p = np. i=1 Zum Schluss berechnen wir die Erwartungswerte von V und W . Nach Vorlesung, siehe Satz 4.4, gilt n X tk ∞ X 2 n X n X k n k n n−k E(V ) = e P(Y = k) = p (1 − p) = pet (1 − p)n−k e k k k=0 k=0 k=0 k = pet + 1 − p tk und E(W ) = = k P(Z = k) = k=0 ∞ X 2 −λ =λ e k 2 −λ λ k e k=1 (k − 1)e−λ k=1 ∞ X k! ∞ X = (k − 1 + 1)e−λ k=1 λk (k − 1)! ∞ X λk λ + e−λ (k − 1)! k=1 (k − 1)! k ∞ ∞ X X λk−2 λk−1 −λ + λe (k − 2)! (k − 1)! k=2 k=1 = λ2 e−λ eλ + e−λ eλ = λ2 + λ Aufgabe T5.2 Wir betrachten folgendes Zufallsexperiment, das uns bereits in Aufgabe H2.2 begegnet ist: Zum Wichteln bringen n Kinder je ein Geschenk mit. Die n Geschenke werden gesammelt, gemischt und völlig zufällig wieder ausgegeben, sodass jeder genau ein Geschenk erhält. Sei X die Anzahl der Kinder, die das Geschenk bekommen, das sie selbst mitgebracht haben. Bestimmen Sie den Erwartungswert von X. Lösung: Wir verwenden wieder den Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P) mit dem Ergebnisraum Ω = {σ : {1, . . . , n} → {1, . . . , n} : σ bijektiv}, der σ-Algebra F = P(Ω) und der Gleichverteilung als Wahrscheinlichkeitsmaß P. Dabei gibt σ(i) an, welches Geschenk Kind i bekommt. Definieren wir für jedes i ∈ {1, . . . , n} die Zufallsvariable ( 1 falls σ(i) = i Xi : Ω → {0, 1}, σ 7→ 0 sonst P dann gibt X = ni=1 Xi die Anzahl der Kinder an, die ihr eigenes Geschenk zurückbeP kommen. Aufgrund der Linearität des Erwartungswertes gilt E(X) = ni=1 E(Xi ). Wir müssen also die Erwartungswerte der Xi bestimmen. Offenbar ist Xi Bernoulli-verteilt = (n−1)! = n1 . Nach Aufgabe T5.1 ist also zum Parameter P(X = 1) = |{σ∈Ω:σ(i)=i}| |Ω| n! E(Xi ) = n1 für jedes i ∈ {1, . . . , n} und wir erhalten E(X) = n · n1 = 1. Hausaufgaben: Aufgabe H5.1 (i) Beweisen Sie den folgenden Transformationssatz für Dichten: Sei X eine Zufallsvariable mit Werten im offenen Intervall I ⊆ R und Dichtefunktion fX . Sei J ⊆ R ein weiteres offenes Intervall und g : I → J ein Diffeomorphismus, d. h., g sei bijektiv und g sowie g −1 seien stetig differenzierbar. Dann hat die Zufallsvariable Y := g(X) die Dichtefunktion d −1 −1 fY (y) = fX (g (y)) g (y) dy für y ∈ J und fY (y) = 0 für y ∈ J c . (ii) Sei X auf√eine auf (0, 1] gleichverteilte Zufallsvariable. Bestimmen Sie die Dichten von X 2 , X und − log X Lösung: (i) Ein Diffeomorphismus g ist entweder strikt monoton steigend oder fallend. Wir betrachten hier den ersten Fall, der Beweis im zweiten ist analog. Falls g strikt monoton ist, gilt für a, b ∈ J mit a ≤ b PY ([a, b]) = P(a ≤ Y ≤ b) = P g −1 (a) ≤ X ≤ g −1 (b) Z g−1 (b) Z b d −1 −1 = fX (x) dx = fX (g (y)) g (y) dy. dy g −1 (a) a Im letzten Schritt haben wir die aus der Analysis bekannte Substitutionsregel mit y = g(x) verwendet. Da die Mengen der Form [a, b] mit a, b ∈ J, a ≤ b einen durchschnittsstabilen Erzeuger der Borel-σ-Algebra auf J bilden, folgt nun aus dem Eindeutigkeitssatz, dass Y auf J die Dichtefunktion d fY (y) = fX (g −1 (y)) g −1 (y) dy besitzt. Außerhalb von J ist die Dichtefunktion von Y gleich 0, da Y dort keine Werte annimmt. (ii) Die Dichtefunktion von X ist die Funktion fX : R → [0, ∞), x 7→ 1(0,1] (x). Wir verwenden die Transformationsformel mit I = (0, 1] und √ (a) J = (0, 1] sowie g : I → J, x 7→ x2 . Hier ist g −1 (y) = y und folglich d −1 g (y) = 2√1 y . Wir erhalten als Dichtefunktion von X 2 = g(X) dy 1 1 √ fX 2 (y) = 1(0,1] ( y) √ = 1(0,1] (y) √ . 2 y 2 y √ (b) J = (0, 1] sowie g : I → J, x 7→ x. Hier ist g −1 (y) = y 2 und folglich √ d −1 g (y) = 2y. Wir erhalten als Dichtefunktion von X = g(X) dy f√X (y) = 1(0,1] y 2 2y = 1(0,1] (y)2y. (c) J = [0, ∞) sowie g : I → J, x 7→ − log(x). Hier ist g −1 (y) = e−y und folglich d −1 g (y) = −e−y . Wir erhalten als Dichtefunktion von − log X = g(X) dy f− log X (y) = 1(0,1] (e−y )−e−y = 1[0,∞) (y)e−y . Aufgabe H5.2 (i) Sei X eine (0, ∞)-wertige Zufallsvariable mit der Eigenschaft P(X > t) > 0 für alle t > 0. Zeigen Sie, dass die folgenden beiden Aussagen äquivalent sind: (a) X ist exponential-verteilt zu einem Parameter λ > 0. (b) Es gilt P(X > x + t|X > x) = P(X > t) für alle x, t > 0, d. h. die Verteilung von X ist gedächtnislos. Hinweis: Um zu zeigen, dass (b) Aussage (a) impliziert, setzen Sie zunächst die Voraussetzung der Gedächtnislosigkeit in eine Gleichung für G(x) = 1 − F (x), wobei F die Verteilungsfunktion von X ist, um. Lösen Sie diese, indem Sie zunächst G(1) und G(x) für rationale x in Verbindung bringen und wenden Sie geeignete Stetigkeitseigenschaften der Verteilungsfunktion an. (ii) Berechnen Sie Erwartungswert und Varianz der Exponentialverteilung mit Parameter λ > 0. Lösung: Anmerkung: Die Dichtefunktion einer Exponential(λ)-verteilten Zufallsvariable X ist f : R → [0, ∞), x 7→ λe−λx 1[0,∞) (x). (i) Wir zeigen zuerst, dass (a) Aussage (b) impliziert: Ist X zum Parameter λ exponentialverteilt, so gilt für x > 0 Z ∞ h i∞ P(X > x) = λe−λx dx = −e−λx = e−λx . x 0 Daher folgt für x, t > 0 P(X > x + t|X > x) = = P(X > x + t) P({X > x + t} ∩ {X > x}) = P(X > x) P(X > x) e−λ(x+t) = e−λt = P(X > t). −λx e Nun nehmen wir umgekehrt an, dass X gedächtnislos ist und betrachten die Funktion G : R → [0, ∞), x 7→ P(X > x). Aus der Gleichung, die die Gedächtnislosigkeit definiert, folgt G(x + t) = G(x)G(t) für alle t, x > 0. Für n ∈ N gilt also n 1 n−1 1 G(1) = G G = ... = G . n n n Somit erhalten wir für m ∈ N m m m 1 m 1 m−1 1 =G G = ... = G = G(1) n = G(1) n . G n n n n Für jede positive rationale Zahl q gilt also G(q) = G(1)q . Da G eine rechtsseitig stetige Funktions ist (Verteilungsfunktionen sind rechtsseitig stetig) und sich jede positive reelle Zahl x von rechts durch rationale Zahlen approximieren lässt, erhalten wir G(x) = G(1)x für alle x ∈ R+ . Definiere λ als λ := − log G(1). Dann ist λ eine positive reelle Zahl (beachte: G(1) ∈ (0, 1) nach Voraussetzung) und es gilt G(x) = e−λx . X ist also exponentialverteilt. (ii) Nach der Definition des Erwartungswertes für stetige Zufallsvariablen ist der Erwartungswert einer Exponential(λ)-verteilten Zufallsvariable X Z ∞ h i∞ Z ∞ −λx −λx xλe dx = −xe −e−λx dx E(X) = − 0 0 0 i∞ 1 h1 −λx = . =0− e λ λ 0 Im zweiten Schritt wurde partiell integriert. Analog berechnen wir Z ∞ h i∞ Z ∞ 2 −λx 2 −λx 2 x λe dx = −x e − −2xe−λx dx E(X ) = 0 0 0 2 2 = 0 + E(X) = 2 . λ λ Die Varianz von X ist daher Var(X) = E(X 2 ) − E(X)2 = 2 1 1 − 2 = 2. 2 λ λ λ Aufgabe H5.3 (i) Es sei X eine Zufallsvariable mit Werten in N0 . Zeigen Sie: X E[X] = P(X ≥ k) k≥1 (ii) Gegeben sei ein fairer Würfel mit n Seiten und der Beschriftung {1, . . . , n}. Die Zufallsvariable M bezeichne die größte gewürfelte Augenzahl bei m-maligem Würfeln (m ∈ N fest). Bestimmen Sie den Erwartungswert von M . Lösung: (i) Es ist X P(X ≥ k) = k≥1 XX k≥1 i≥k = X P(X = i) = XX i≥1 k≤i P(X = i) = X i · P(X = i) i≥1 i · P(X = i) = E(X). i≥0 Im zweiten Schritt haben wir die Summationsreihenfolge geändert, was aufgrund der Nichtnegativität der Summanden möglich ist. (ii) Mit (i) und T4.2 erhalten wir E(M ) = X P(M ≥ k) = k≥1 n X (1 − P(M < k)) = n − k=1 m n X k−1 k=1 n . Aufgabe H5.4 Für eine reellwertige Zufallsvariable X ist ein Median eine reelle Zahl m, für die sowohl P(X ≤ m) ≥ 21 als auch P(X ≥ m) ≥ 21 gilt. (i) Zeigen Sie, dass E |X − m| = inf E |X − a| a∈R gilt, falls m ein Median der Zufallsvariable X ist. Hinweis: Nehmen Sie ohne Einschränkung an, dass a > m und zeigen Sie zunächst h i 1 E |X − a| − |X − m| = 2 (a − m) P(X ≤ m) − + E (a − X)1(m,a) (X) . 2 (ii) Für n ∈ N sei X eine auf {1, . . . , n} gleichverteilte Zufallsvariable. Bestimmen Sie einen Median m ∈ N von X in Abhängigkeit davon, ob n gerade oder ungerade ist. Lösung: (i) Wir zeigen zuerst den Hinweis. Sei a > m. Dann erhalten wir mit der Linearität des Erwartungswertes E |X − a| − |X − m| = E (|X − a| − |X − m|) · (1(−∞,m] (X) + 1(m,a) (X) + 1[a,∞) (X)) = E (−X + a + X − m)1(−∞,m] (X) + E (−X + a − X + m)1(m,a) (X) + E (X − a − X + m)1[a,∞) (X) = E (a − m)1(−∞,m] (X) + E 2(a − X)1(m,a) (X) + E (m − a)1(m,a) (X) + E (m − a)1[a,∞) (X) = (m − a) · E 1(−∞,m] (X) + 1(m,a) (X) + 1[a,∞) (X) + 2(a − m)E 1(−∞,m] (X) + 2E (a − X)1(m,a) (X) = (m − a) + 2(a − m)P 1(−∞,m] (X) = 1 + 2E (a − X)1(m,a) (X) h i 1 = 2 (a − m) P(X ≤ m) − + E (a − X)1(m,a) (X) . 2 Da m ein Median ist und a > m, gilt h i 1 2 (a − m) P(X ≤ m) − + E (a − X)1(m,a) (X) > 0, 2 also ist für alle a > m E |X − a| > E |X − m| . (1) Analog gilt diese Ungleichung auch für die Zufallsvariable −X mit Median −m: Für alle −a > −m ist E | − X − (−a)| > E | − X − (−m)| , also gilt, äquivalent dazu, Ungleichung (1) auch für alle a < m, woraus die Behauptung folgt. (ii) Sei n gerade. Dann ist m = n 2 ein Median, denn |{1, . . . , n2 }| 1 = P(X ≤ m) = n 2 und |{ n2 , . . . , n}| P(X ≥ m) = = n Sei n ungerade. Dann ist m = n+1 2 P(X ≤ m) = n 2 +1 1 ≥ . n 2 ein Median, denn n+1 |{1, . . . , n+1 }| 1 2 = 2 ≥ n n 2 und n − n+1 |{ n+1 , . . . , n}| +1 1 2 2 = ≥ . P(X ≥ m) = n n 2