Al Khidr - Der Grüne

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Dokumente und Literaturhinweise zur islamischen Spiritualität
(zusammengestellt von Bruno Sandkühler, nachsichtig als Fragment zu betrachten)
1. Al-Khidr - Der Grüne
Al-Khidr ist in der islamisch-sufischen Tradition einer der vier "lebendigen", "unsterblichen"
Propheten. Die drei weiteren sind Henoch, Elias und Jesus. Sein Wesen entzieht sich einer
definierenden Festlegung, und so gibt es eine Fülle von Umschreibungen, Querverbindungen
und Aussagen von Erlebnissen mit Bezug auf ihn. Darunter fällt auch die gelegentliche
Gleichsetzung mit Elias, der Vergleich mit Sankt Georg, mit Ahasver, dem Ewigen Juden...
Verbindungen führen zu den Begegnungen mit dem Naturwesen bei Alanus ab Insulis,
Brunetto Latini und in den südfranzösischen Märchen aus der Gascogne.
Al-Khidr ist unsterblich, da er vom Wasser des Lebens getrunken hat. Er gehört zu denen, die
unmittelbar von Gott erleuchtet sind.
In der Volksfrömmigkeit erscheint er als Führer und Lehrer, "dem Gott selbst seine Gnade
verliehen hat", anknüpfend an die rätselhafte Erzählung der 18.Sure des Koran (Vers 60-82).
Moses ist mit einem Diener unterwegs; sie haben einen Fisch dabei:
Und siehe, Moses sprach zu seinem Diener: "Ich will nicht ablassen, ehe ich nicht den Ort
erreicht habe, wo die beiden Ozeane zusammentreffen, sollte ich auch unzählige Jahre auft
der Suche verbringen." Da sie aber den Ort zwischen den beiden Ozeanen erreicht hatten,
vergaßen sie ihren Fisch, und er nahm den Weg ins Meer und entschwand ihrem Blick. Als
nun die Beiden ein Stück Weges gegangen waren, sprach Moses zu seinem Diener: "Bring
uns das Mittagsmahl, wahrlich, diese Reise war voller Mühe."Da sprach der Diener: "Wirst
du mir glauben? Als wir uns auf jenem Felsen ausruhten, da vergaß ich den Fisch – kein
Anderer als Satan ließ mich ihn vergessen – und er nahm seinen Weg ins Meer. Wie seltsam!"
Nun rief Moses aus: "Dann war das der Ort, den wir suchten", und die Beiden kehrten um
und fanden einen Unserer Diener, dem Wir selbst unsere Gnade verliehen haben, und dem
Wir selbst Wissen gaben. Zu ihm sprach Moses: "Darf ich dir folgen, auf dass du mich an
dem rechten Bewusstsein teilhaben lässt, das dir verliehen ward?"Der erwiderte: "Siehe, du
wirst es nicht fertig bringen, Geduld mit mir zu haben; könntest du dich wohl mit etwas
bescheiden, was du nicht aus deiner Erfahrung verstehen kannst?"Moses antwortete: "Du
wirst mich geduldig finden, so Gott will, und ich werde dir in allem gehorsam sein." Sprach
er: "Gut, so du mir folgen solltest, so frage nie nach einer Erklärung, bevor ich sie dir nicht
selbst gebe."
Und so setzten beide ihren Weg fort, bis sie ans Ufer des Meeres kamen, und als sie aus dem
Boot stiegen (das sie übergesetzt hatte), schlug der Weise ein Loch ins Boot. Da rief Moses
aus: "Hast du das Boot durchlöchert, damit die Leute ertrinken, die vielleicht darin fahren?
Da hast du wahrlich etwas Schlimmes getan!"
Er antwortete: "Habe ich dir nicht gesagt, dass du niemals Geduld mit mir haben wirst?!"
Moses sprach: "Nimm mir meine Vergesslichkeit nicht übel, sei nicht streng wegen meines
Tuns." So gingen sie weiter, bis sie einen jungen Mann trafen und (der Weise) ihn erschlug.
(Worauf Moses ausrief:) "Hast du einen unschuldigen Menschen erschlagen, ohne dass er
einen anderen Menschen getötet hatte [Koran 5,32], fürwahr, das ist eine schreckliche Tat!"
Er erwiderte: ""Habe ich dir nicht gesagt, dass du niemals Geduld mit mir haben wirst?!"
Da sprach Moses: "Sollte ich hinfort jemals wieder eine Frage stellen, so behalte mich nicht
in deiner Gesellschaft, denn nun hast du genug Entschuldigungen von mir gehört."
So gingen sie weiter, bis sie einige Landleute trafen und sie um Nahrung baten. Diese aber
verweigerten jegliche Gastfreundschaft. Dort sahen sie eine Mauer, die am Zusammenbrechen war, und der Weise setzte sie instand. Darauf Moses: "Hättest du's gewollt, so
hättest du dir doch dafür etwas bezahlen lassen können."Und der Weise: "Damit trennen sich
unsere Wege, ich lasse dich aber die wahre Bedeutung all dessen wissen, das du nicht in
Geduld ertragen konntest.
Nun erläutert der Weise dem Moses die Gründe für sein Handeln; seine Motive hatten ihren
Ursprung in tieferen Zusammenhängen (Sure 18, Verse 79-82).
Wie wir sehen, gibt der Koran nicht den Namen Al-Khidr (Der Grüne) , aber die Kommentatoren sind sich seit jeher einig in dieser Identifikation.
In der Sunna, d.h. den mündlich überlieferten Aussagen Mohammeds wird berichtet, dass
Moses von Gott getadelt worden sei, weil er sich für den Weisesten aller Menschen gehalten
habe. Gott habe ihm dann offenbart, dass am "Zusammentreffen der beiden Ozeane" ein
Gottesdiener lebe, der ihn an Weisheit weit übertreffe. Als Moses daraufhin sein Verlangen
zum Ausdruck brachte, diesen Weisen zu treffen, habe Gott ihm aufgetragen, sich mit einem
Korb auf den Weg zu machen, in dem ein Fisch sein solle. Wenn der Fisch verschwände,
wäre Moses am Ziel angekommen.
Offensichtlich bildet diese Überlieferung eine Art von Einführung zu der oben zitierten Koransure. In einem alten Kommentar werden die beiden Meere dann als die beiden Wissensquellen erklärt, dem Beobachtungs- und dem von innen erlangten Wissen. Der Fisch gilt seit
alters als Symbol von Erleuchtung und ewigem Leben.
(Das Vorstehende nach der englischen Koranübersetzung und den Anmerkungen von
Mohammad Asad/Leopold Weiss. Bitton-Bristol 2003, S. 499-502)
In der Sufi-Tradition gibt es viele Beispiele für das Erleben des "Grünen", für Begegnungen
wandernder Mystiker mit dem Grünen und Einweihungserlebnisse wie etwa das Folgende:
"Vier Jahre lebte ich in jener Wildnis. Gott schenkte mir Nahrung, ohne dass ich mich darum
bemühen musste. Khidr, der Alte Grüne war in dieser Zeit mein Gefährte – er lehrte mich den
Grossen Namen Gottes.
(Sufi Ibrahim ibn Adham, nach einem Zitat im Artikel ‘Khidr’ in Cyril Glass, The Concise
Encyclopedia of Islam. San Francisco: Harper and Row, Publishers, Inc., 1989), 224-25).
Der Grüne gilt als einer der Afrâd, die ohne menschliche Vermittlung direkt von Gott
erleuchtet werden. Er ist der verborgene Hierophant derer, die den mystischen Weg
einschlagen, insbesondere die Sufis der Uwaisi-Tariqa , die den Schulungsweg ohne
sterblichen Lehrer einschlagen.
(Nach Al Khidr in Islamic Tradition. The Muslim World Vol. LXXXIII, No. 3-4, 1993,
übersetzt von Bruno Sandkühler
2. Die Ikhwân es Safa'1
Vielleicht schon im 9. Jht in Basra entstanden, ist die Gemeinschaft der "Lauteren Brüder" die
geheimnisvollste Gruppe in der islamischen Esoterik. Die wissenschaftliche Debatte, ob sie
mehr ismailisch, sufisch oder platonisch zu nennen sind, braucht uns hier nicht zu kümmern.
Ihre berühmte Enzyklopädie nimmt einen allgemeinen Sittenverfall zum Anlass, alle Wissensgebiete unter strengen ethischen Gesichtspunkten darzustellen. Ein besonders charakteristischer Teil ist die Gerichtsverhandlung, in der sich Menschen und Tiere vor dem König der
Djinnen begegnen. Sie steht am Übergang der des naturwissenschaftlichen Teils der Enzyklopädie zu dem Teil in dem der Mensch behandelt wird. Dort heißt es zu Beginn :
1
Ikhwan As-Safa: Mensch und Tier vor dem König der Dschinnen. Aus den Schriften der Lauteren Brüder von
Basra. hrsg. u. übersetzt v. Alma Giese, ca. 200 S. Hamburg: Felix Meiner, 1990. Ebenso: Edition Erdmann,
Lenningen 2005
"Diese Schrift gehört zu den 51 Abhandlungen der rasâ'il Ikhwân as-Safa', der
Sendschreiben der Lauteren Brüder und treuen Freunde, die über die Läuterung der
Seele und die Besserung des Charakters handeln und zur Sufi-Lehre gehören."
Den Kern der Abhandlung bildet eine sinnige Geschichte, eine Art Entsprechung des
platonischen Höhlengleichnisses in orientalischer Form:
"Es gab auf dem Gipfel eines Berges, auf einer fruchtbaren Insel im Meer eine Stadt,
die mit jeglicher Gnade gesegnet war. Mild war dort die Luft, süß das Wasser und von
gesegneter Fruchtbarkeit die Erde. Viele Bäume mit köstlichen Früchten gab es und
Tiere mannigfaltiger Art. Die Menschen dort lebten in brüderlichem Einvernehmen in
größter Glückseligkeit. Nur Liebe, Güte und Erbarmen gab es unter ihnen – weder
Hass. noch Neid noch Feindschaft2.
Nun fuhr eines Tages eine Gruppe von diesen Menschen hinaus aufs Meer und erlitt Schiffbruch; die Wogen warfen sie auf eine andere Insel. Die Bewohner waren Affen, ein großer
Vogel herrschte über sie und suchte seine Beute unter ihnen. Die Menschen paarten sich mit
den Affen, Streit entstand und sie vergaßen ihre Heimat. Aber eines Tages hatte einer einen
Traum, in dem er den Schiffbruch wieder erlebte, dabei aber errettet wurde und in seine Stadt
zurückkehrte. Dort stellten die Leute aber seinen heruntergekommenen Zustand fest, gaben
ihm neue Kleider, schnitten ihm die Haare und freuten sich über seine Rückkehr. Als der
Mann aus dem Traum erwachte, fand er sich unter den Affen, wurde traurig und zog sich zurück. Nach einiger Zeit erzählte er jedoch einem Bruder von seinem Traum, und da erinnerte
sich auch dieser an das Heimatland. Nun begannen sie Pläne zu schmieden, wie sie dorthin
zurückkehren könnten. Sie bildeten eine Gemeinschaft, wollten ein Schiff für die Rückkehr
bauen. Da geschah es, dass der Vogel sich wider einen der Affen holen wollte; aber als er ihn
ergriffen und sich in die Lüfte erhoben hatte, merkte er, dass es keiner der gewohnten Affen
war, also setzte er seine Beute auf dem Dach eines Hauses jener anderen Insel ab. Der Mann
fand sich glücklich in seiner alten Heimat wieder, er wünschte, dass der Vogel noch andere
seiner Brüder holen möge, die Zurückgebliebenen wußten aber nichts von seinem Glück und
trauerten um ihn...
Das Bild zweier Inseln. des diesseits und Jenseits, der vergessenen wahren Heimat und des
nur scheinbaren Schreckens des Todesvogels finden wir in der islamischen Esoterik auch an
anderen Stellen, z.B. in dem Entwicklungsroman des andalusischen Autors Ibn Tufail im 12.
Jhdt.:
3. Ibn Tufail: Hayy ibn Jaqzân3
Ibn Tufail spricht in seiner Einleitung von einem Erleuchtungszustand und zitiert Avicenna:
Wenn Wille und Übung bei jemand zu einer gewissen Höhe gestiegen sind, dann werden ihm
vom Anbruch des Lichtes der Wahrheit erquickende Strahlen zu teil, gleich den Blitzen, die
einem jetzt funkeln und wieder verschwinden. Sodann, wenn er in der Übung fortfährt,
vermehren sich ihm jene augenblicklichen Schimmer. Darauf werden sie ihm si häufig zuteil,
dass sie sich ihm auch ohne Übung darstellen. Sooft er dann etwas nur mit einem Blicke
sieht, so tritt er an die Pforte des Heiligen und drückt sich etwas von seinem Wesen ein. Und
in jedem Ding, auf das er nur einen flüchtigen Blick wirft, sieht er sogleich die Wahrheit.
Nach weiteren Ausführungen über den Erkenntnisweg schließt Ibn Tufail sein Vorwort:
2
3
Op.cit., S.XIX
Hajj ibn Jaqzan - der Naturmensch.Ein philosophischer Robinsonroman aus dem arabischen Mittelalter.
Übersetzt von J.G. Eichhorn, Kiepenheuer, Leipzig/Weimar 1983
Indem ich Dir die Geschichte von Hayy ibn Jaqzân, Asal und Salaman beschreibe, werden
erst nur schwache Strahlen ausgehen, um deine Sehnsucht zu erregen und dich anzutreiben,
diesen Weg zu wählen. In ihrer Geschichte finden Verständige ein Beispiel, und wer Herz und
Ohren hat, findet Aufmunterung, ein Zeuge ihres Zustandes zu werden.
Die Erzählung selbst beginnt auf einer Insel, wo ein stolzer Herrscher meint, für seine schöne
Tochter keinen angemessenen Mann zu finden. Die Tochter verbindet sich in heimlicher Ehe
mit Jaqzân (dem elternlos geborenen "Erwachten") und empfängt von diesem ein Knäblein.
Aus Furcht wird es von seiner Mutter Gottes Fürsorge empfohlen, in einem Kästchen ins
Meer ausgesetzt und landet auf einer sagenhaften Insel. Dort wird es von einem Reh gesäugt
und entwickelt sich in Siebenjahresschritten zur höchsten Erkenntnis. Unterdessen nehmen
zwei fromme Männer, Salaman und Asal, auf einer Nachbarinsel eine Religion an, in der wir
den Islam erkennen können. Während Salaman das gesellschaftliche Leben vorzieht, verkauft
Asal all seine Habe, läßt sich auf der einsamen Insel aussetzen und wird zum Einsiedler. Nach
geraumer Zeit begegnet er dem inzwischen fünfzigjährigen Hayy. Sie erkennen einander als
Menschen, Hayy lernt sprechen und Asal stellt erstaunt fest, dass dieser alle Wahrheiten jener
Religion ohne Unterweisung gewonnen hat. Der Unterschied ist nur, dass jene Religion in
materiellen Bildern spricht und ihre Anhänger der Sinneswelt verhaftet sind, während Hayy
alles unverstellt sieht. Sie beschließen, auf die bewohnte Insel zurückzukehren und den Menschen die volle Wahrheit zu bringen; der Versuch scheitert jedoch, die Kräfte der Menschen
reichen nicht aus. Hayy und Asal kehren auf "ihre" Insel zurück.
Ibn Tufail läßt eine ältere Tradition erkennen und auch die Tatsache, dass Averroes einen
Kommentar zu dieser Erzählung schrieb zeigt aufs Deutlichste, dass es sich nicht nur um eine
unterhaltsame Geschichte handelt. Zudem ist das Ganze mit einer Fülle naturwissenschaftlicher Darlegungen durchwoben, aus denen ein Bestreben zur Schulung des Denkens spricht –
sozusagen ein Beitrag, die Erkenntniskräfte der Menschen zu stärken.
Aus der Fülle weiterer Literatur zu diesem Thema seien nur einige wenige Titel aufgeführt:
Attar, Feridun:
Muslimische Heilige und Mystiker - ihr Leben, ihre Taten, ihr Geist.
Kreuzlingen/München 2002 (Diederichs Gelbe Reihe 173)
Corbin, Henri:
Die smaragdene Vision : der Licht-Mensch im persischen
Sufismus München. Diederichs, 1989 (französ. Original.: L’ homme de
lumière dans le soufisme iranien).
ders:
Eine Reihe weiterer Werke fanzösisch und englisch
Halm. Heinz:
Der schiitische Islam. München 1994 (Beck'sche Reihe 1074)
Khan, Hazrat Inayat: Wanderer auf dem inneren Pfad. Freiburg, Herder 1986
Öztürk, Yasar Nuri: Rumi und die islamische Mystik - über das Menschenbild im Islam.
Düsseldorf, 2002
Schimmel, Annemarie: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus.
Frankfurt, Insel, 1975,
dies.
Gesang und Ekstase. Sufi-Texte des indischen Islam. München 1999
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