„Sein oder Nicht-Sein?“ Das ist hier die Frage. Existenz und Psychotherapie und Psychiatrie Jürgen Junglas, Bonn 12. Rheinische Allgemeine PSYCHOtherapietage, Bonn, 9.11.2006 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 1 Die Religionen • Bibel-Suizide – Saul, Ahithophel, Judas • Caesarius von Heisterbach, 13. Jhd.: Laienbruder, „weil er an dem Fehler des Trübsinns litt“ • Bonhoeffer (1943): „Ohne die Freiheit zum Lebensopfer im Tode gäbe es keine Freiheit für Gott, gäbe es kein menschliches Leben.“ • Christianisierungsfolge: Suizidversuch wird strafrechtlich geahndet, in England bis 1961 • Durkheim (1897): Protestanten > Katholiken > Juden • Gottesdienstbesuch wesentlich (Stack & Wassermann 1993) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 2 Soziologie • Durkheim: Selbstmord ein soziales Phänomen • Unterschiede in – Zeit(verlauf) • Wiedervereinigung? • 11.September 2001 (Salib 2003) – Regionen – Religionszugehörigkeit • Unsichere Zahlen!! (Dunkelziffer, unklare Todesursachen) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 3 Suizid im Zeitverlauf (D) http://www.suizidpraevention-deutschland.de/Einleitung.html; Abruf 1.11.2006 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 4 Wiedervereinigungseffekt? (D) Althaus 2005 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 5 Nationale Vergleiche Bronisch 2002 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 6 Preis der Modernität? • DER SPIEGEL 30/2006 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 7 Todesursachen (D) 2005 www.destatis.de drugs selbst fremd 2500 2000 1500 1000 500 0 0-10 J. 10-20J. 20-30J. 30-40J. 40-50J. 50-60J. 60-70J. 70-80J. 80-90J. >90 J. 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 8 Suizid und Krankheit/Störung ICD10 Selbstbeschädigung Suizidgedanken -ideen Suiziddrohung -risiko F25.1 F20.4 F32 F32 F32.2 F43 F43.1 F60.3, F63 Suizidhandlung -versuch F32 F43 F60.3 F84.2 Rett F98.4 stereotyp.Bst. 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 9 Suizidwahrscheinlichkeit „normaler Jugendlicher“ (Rubinstein et al. 1989) 1. Sexualität 2. Leistungsdruck 3. Suizid in der Familie 4. Persönlicher Verlust Wahrscheinlichkeit der Suizidalität 1. niedrig Niedrig Niedrig Niedrig .03 2. hoch Niedrig Niedrig Niedrig .14 3. hoch Hoch Niedrig Niedrig .45 4. hoch Hoch Hoch Niedrig .71 5. hoch Hoch Hoch Hoch .92 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 10 Sozialpsychiatrie des Suizids (Schmidmeier 2006) ¾ Suizid ist eine soziale Krankheit: untere ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Bildungsschichten häufiger betroffen, Suizid ist eine Alterserscheinung: alle älteren Menschen haben ein latentes Suizidrisiko Suizid ist ein jahreszeitliches Problem: Häufung im Frühjahr Suizid ist ansteckend: Infektiöse Vorbilder in sozialer Umgebung oder den Medien Suizid ist vererbbar: familiäre Häufung Suizid ist eine chronische Erkrankung Suizid ist eine häufige Erkrankung 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 11 Parasuizid = Suizidversuch WHO 1989 • „Eine Handlung mit nichttödlichem Ausgang, bei der ein Individuum absichtlich ein nichthabituelles Verhalten beginnt, das ohne Intervention von dritter Seite eine Selbstschädigung bewirken würde, oder absichtlich eine Substanz in einer Dosis einnimmt, die über die verschriebene oder im Allgemeinen als therapeutische Dosis hinausgeht und die zum Ziel hat, durch die aktuellen oder erwarteten Konsequenzen Veränderungen zu bewirken.“ 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 12 Suizid ./. Parasuizid (Rahn & Mahnkopf 2005) Parasuizid Suizid Zuletzt leichter Rückgang Geschlecht Anstieg während der letzten Dekaden, jetzt stabil Häufiger bei Frauen Altersgruppe Meist unter 45 Jahre Meist über 45 Jahre Personenstand Höchste Rate bei Geschiedenen und Ledigen Höchste Rate bei Geschiedenen, Legiden und Verwitweten Sozialschicht Höher in Unterschichten Kein erkennbarer Gradient Urban/rural Häufiger in Städten Häufiger in Städten (gewöhnlich) Erwerbsstatus Verbunden mit Arbeitslosigkeit Verbunden mit Arbeitslosigkeit und Berentung Epochaler Trend Kriegsauswirkungen Häufiger bei Männer Niedriger in Kriegszeiten Jahreszeitliche Variation Nicht evident Frühlingsgipfel Broken home in der Kindheit Gewöhnlich Gewöhnlich Körperkrankheiten Keine offenkundige Verknüpfung Wahrscheinliche Verknüpfung Psychiatrische Hauptdiagnosen Situationsreaktion, Depression, Alkoholismus Häufig Psychopathie Affektive Erkrankung, Alkoholismus Persönlichkeitstyp 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a Kein spezieller Typ 13 Präsuizidale Syndrome 1. 2. 3. Einengung Situative Einengung Dynamische Einengung ( einseitige Ausrichtung der Apperzeption, der Assoziationen, der Verhaltensmuster, der Affekte und Abwehrmechanismen) Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen Einengung der Wertwelt Aggressionsanstauung und Wendung der Aggression gegen die eigene Person Selbstmordphantasien (anfangs aktiv intendiert, später sich passiv aufdrängend) 12.rap, bonn 9.11.06 • • • • • • • (Ringel 1981, Löchel 1983) Gefühl von Ohnmacht, Unverstandensein und mangelndem Selbstwert Grübeln, Selbstmitleid („Einengung“) Initiativelosigkeit und soziale Isolierung Gegen die eigene Person gerichtete Aggression („Aggressionsumkehr“) Konkrete Vorstellungen zur Durchführung des Suizids Dysphorische Verstimmungen „psychosomatische“ Beschwerden wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Müdigkeit zapp-online 2006(2)-Junglas-a 14 Suizidentwicklung als Kontinuum (Poustka 1985, Wolfersdorf et al. 2002) • • • • • • Æ neurotische Lebensgestaltung (z.B. Kontaktstörung, soziale Isolierung) Æ Æ Krise (z.B. durch Erkrankung, Verlust wichtiger Bezugspersonen) ÆÆÆ Einengung (z.B. Grübeln, Selbstmitleid) ÆÆÆÆ Aggressionsumkehr (z.B. Selbstvorwürfe, Ritzen) ÆÆÆÆÆ Selbstmordphantasien (z.B. konkrete Planung) ÆÆÆÆÆÆ Selbstmordhandlungen 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 15 Ätiologie (Wolfersdorf 1999) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 16 Tiefenpsychologie Freud (1916): Kein Neurotiker verspürt Selbstmordabsichten, der solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich zurückwendet 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 17 Selbstzerstörung (Menninger 1938) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 18 Selbstpsychologie (Reimer 1985) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 19 Pathologischer Narzissmus (Henseler 1984) • Konflikte in Bezug auf die psychosexuelle Identität • Konflikte in Bezug auf Wert und Macht und • Konflikte in Bezug auf das Akzeptiertsein schlechthin 12.rap, bonn 9.11.06 1. 2. 3. 4. 5. Der zur Selbstmordhandlung neigende Mensch ist eine in ihrem Selbstgefühl stark verunsicherte Persönlichkeit Das heißt für sein subjektives (bewusstes und auch unbewusstes) Erleben, dass er sich vermehrt bedroht fühlt, in einen Zustand totaler Verlassenheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht zu geraten, aus dem er sich selber nicht retten kann. Zum Schutz seines Selbstgefühls bedient er sich deshalb in hohem Maße der Realitätsverleugnung und der Idealisierung der eigenen Person wie seiner Umgebung. Reichen diese Schutzmechanismen nicht aus, muss er zu noch primitiveren Mitteln greifen, nämlich zu Phantasien vom Rückzug in einen harmonischen Primärzustand. Indem er diese Phantasie in Handlung umsetzt, kommt er der drohenden narzisstischen Katastrophe aktiv zuvor und rettet für sein Empfinden sein Selbstgefühl. Er verzichtet zwar auf seine Individualität zugunsten einer Verschmelzung mit einem diffus erlebten primären Objekt, gewinnt aber Sicherheit, Geborgenheit, Ruhe und Seligkeit. zapp-online 2006(2)-Junglas-a 20 Objektpsychologie (Kind 1998) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 21 Verhaltenstheorie (Schmidtke & Schaller 2002) Auf kognitiver Ebene geben sie folgende intrapersonale Bedingungen an: • Negative selbstbezogene Kognitionen • Eingeschränkte oder mangelnde kognitive Problemlösefähigkeit und kognitive Rigidität • Dichotomes Denken • Inadäquate Zeitperspektiven, insbesondere eine negative Zukunftsperspektive • Dissimulationstendenzen • Feldabhängigkeit • Egozentrisches und idiosynkratisches Denken • Reduzierte Fähigkeit, positive Gedächtnisinhalte abzurufen 12.rap, bonn 9.11.06 Auf emotionaler Ebene würden folgende suizidfördernden Variablen genannt: • Depressivität • Angst • Ärger • Impulsivität (am wichtigsten) • Mangelnde emotionale Regulationsfähigkeit • Hoffnungslosigkeit (weniger bei Jugendlichen; [Goldston et al. 2001]) zapp-online 2006(2)-Junglas-a 22 Todesfälle (Warnke 2003) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 23 Suizidversuche (Bronisch 2002) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 24 Psychische Störungen (Wolfersdorf 1999) Depression Alkoholkrankheit Schizophrenie Anteil der Diagnosegruppe am Suizid 40-70 % 20-30 % 2-12 % Anteil an Suizidversuch 10-50 % 30-50 % 2-17 % Suizidversuche im Krankheitsverlauf 20-60 % 3-25 % 20-30 % Suizidmortalität im Krankheitsverlauf 12-18 % 5-10 % 5-10 % Anteil am Suizid in psychiatrischen Krankenhäusern 20-30 % -7 % 40-60 % 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 25 Prävention (WHO; Etzersdorfer 2002) • Die Weltgesundheitsorganisation hat folgende Stufen für die Suizidprävention formuliert: – Behandlung psychischer Krankheiten – Kontrolle des Waffenbesitzes – Detoxifizierung von Haushaltsgasen – Detoxifizierung von Kraftfahrzeugabgasen – Kontrolle verfügbarer toxischer Substanzen – Beeinflussung von Medienberichten 12.rap, bonn 9.11.06 Präventionsorte: • Schule • Justizvollzugsanstalt • Psychiatrische Klinik zapp-online 2006(2)-Junglas-a 26 Bündnisse gegen Depression 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a (Hegerl 2005) 27 Althaus & Hegerl 2001 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 28 Diagnostik (Bronisch 2002) Gefahr eines erneuten Suizidversuchs geringer: • Patient kann konkret darstellen, warum er zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr suizidal ist, d.h. was sich in seiner Einstellung zum Leben und Tod und in seiner sozialen Situation so grundlegend geändert hat, dass ein Suizidversuch nicht mehr sinnvoll und notwendig erscheint • Bei Zweifel an der Aufrichtigkeit der Antworten sollen möglichst viele Fremdinformationen eingeholt werden • Patient ist froh, den Suizidversuch überlebt zu haben, er findet die Suizidideen und suizidales Verhalten unanehmbar und schrecklich findet oder um Hilfe bittet 12.rap, bonn 9.11.06 Gefahr eines erneuten Suizidversuchs eher groß: • Patient ist schweigsam, unwirsch, trotzig, unkooperativ, teilnahmslos oder sogar feindselig; • Äußert sich nicht offen und direkt. • Patient spielt die Gefährlichkeit des Suizidversuchs herunter oder leugnet diese, versucht darzustellen, dass sein selbstzerstörerisches Verhalten unbeabsichtigt war (häufig bei Drogen- oder Alkoholabhängigen). • Patient nach Rettung aus lebensbedrohlicher Situation fühlt sich wie „neugeboren“ • Gedankliche Einengung auf die Innenwelt • Plötzliche „unheimliche“ Ruhe oder Agitation • Suizidale Zwangsgedanken (bei schwerer Depression) oder imperative Stimmen die zur Selbsttötung auftreten (bei Schizophrenie) zapp-online 2006(2)-Junglas-a 29 Risikofaktoren (Bronisch 2002, Althaus 2005) • • • • • • • • Geschlecht Suizide: m > w; Suizidversuche: m < w Alter Suizide: >50 Jahre; Suizidversuche: <35 Jahre Familienstand Geschiedene > Verwitwete > Ledige > Verheiratete Soziale Schicht In Unterschicht erhöhtes Risiko Arbeitsstand Arbeitslosigkeit Jahreszeit Frühjahr häufiger Stadt-Land-Unterschiede Stadt > Land; (ehemalige UdSSR umgekehrt) Religionszugehörigkeit evangelisch > katholisch 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 30 Schweregrade (Kind 1998) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 31 Auslösende Ereignisse Jugendliche (Warnke 2003) zw ischenmenschliche Probleme 20% 29% Ende einer Partnerschaft finanzielle Probleme 4% Probleme mit der Polizei 6% Schulprobleme 7% Probleme am Arbeitsplatz 9% 12.rap, bonn 9.11.06 25% zapp-online 2006(2)-Junglas-a andere 32 Subjektive Gründe Jugendliche (Warnke 2003) sterben w ollen Erleichterung 18% 30% 1% 2% Entfliehen Verzw eiflung zeigen 4% Liebestest 5% Schlechtes Gew issen machen 9% 18% 13% zeigen w ie sehr man liebt Hilfeschrei andere 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 33 Behandlungssetting (Leitlinien KJP) Ambulante Behandlung • • • • • • Fehlen bedeutsamer organischer oder psychiatrischer Grunderkrankungen Gute Compliance und Motivation bei Patient und Familie Erstmaliger Parasuizid Anbindung an erfahrene Therapeuten Weiche parasuizidale Methoden Baldiges Sistieren parasuizidaler Gedanken und Handlungen nach dem Parasuizid 12.rap, bonn 9.11.06 Stationäre Behandlung • Behandlungsbedürftige organische oder psychiatrische Grunderkrankungen • Wiederholter Parasuizid • Harte Methoden • Geringe Compliance und Motivation bei Patient und Familie • Fortbestehende psychosoziale Belastungen • Zusätzliche Komplikationen, z.B. fortgesetzte autoaggressive Handlungen oder andere begleitende Komplikationen • Perakute Suizidalität. zapp-online 2006(2)-Junglas-a 34 Therapiezentrum Hamburg (Götze 1997) 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 35 Therapeutischer Umgang • Selbstwahrnehmung “Nur wenn ich im Gespräch mit dem suizidalen Menschen solchermaßen bei mir bin und mich nicht schone, brauche ich auch ihn nicht zu schonen.“ Vollständigkeit der Wahrnehmung “Entscheidend ist es, den Unterschied zwischen den Anteilen, die leben wollen, und denen, die sterben wollen, zu sehen.“ Normalisierung der Beziehung • • – – – • (Dörner & Plog 1978) Ich lasse die Angst in mir zu, so dass ich Suizidsignale wahrnehme und offen zum Gegenstand des Gesprächsaustauschs mache Ich mindere nicht die Verzweiflung des Anderen, sondern ich vertiefe sie noch, damit wir gemeinsam besser an ihren Grund gelangen Ich teile „schonungslos“ dem Anderen alle in mir ausgelösten Ängste und anderen Gefühle mit Ich zeige dem Anderen, dass ich sein Recht auf den Tod als eine für ihn in diesem Augenblick subjektiv sinnvoll erscheinende Lösung achte. 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 36 Krisenintervention und Behandlung (Wolfersdorf et al. 2002) • Herstellung einer Beziehung die hilfreichen, stützend und damit bereits präventiven Charakter hat – Raum, Zeit, Empathie, Akzeptanz von Suizidalität als Ausdruck depressiver Not • Diagnostik von Suizidalität und Störung – Art der Ruhe- und Todeswünsche, der Suizidideen und –absichten – Handlungsdruck: jetzt hohes Umsetzungsrisiko oder verschieb- bzw. aufhebbar – Psychische Störung: Krise, Krankheit, Psychopathologie • Management der akuten Situation/Krise – Ambulanter oder stationärer Schutzraum – Betreuungsdichte • Therapieplanung bzgl. einer zugrunde liegenden psychischen Erkrankung bzw. einer Belastungs- oder Anpassungsreaktion – Psychotherapie, z.B. tiefenpsychologisch fundierte Kurzpsychotherapie – Psychopharmakotherapie: • Depressive Episode: antidepressiv (nebenwirkungsgeleitet) • Suizidalität: Sedierung, Anxiolyse, emotionale Distanzierung, Schlafförderung 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 37 Suizidbeobachtungskategorien (SBK, bzw. SOS = suicide observation status) Resnik (1991) für die Organisation der Suizidprävention im Krankenhaus • SBK I (hoch) Sitzwache mit ständiger direkter Beobachtung; Beschränkung auf einen Raum oder ein speziell dafür eingerichtetes Isolierzimmer; Entfernung gefährlicher Kleidungsstücke wie Gürtel, Krawatten und Schnürsenkel; bei Toilettengang Kontrolle der Toilette alle 3 Minuten • SBK II (mittel) Ständige direkte Beobachtung, jedoch ohne Beschränkung auf einen Raum sowie mit Erlaubnis der Teilnahme an überwachten Gruppenaktivitäten außerhalb der Station; Kontrolle der Toilette alle 3 Minuten • SBK III (niedrig) Patient muss in Sichtweite bleiben, er wird aber zur Kontaktaufnahme zu anderen Patienten und Teilnahme an deren Aktivitäten ermuntert; er meldet sich regelmäßig alle 15 – 30 min bei der Pflegeperson; nachts finden Kontrollen statt, die unregelmäßig sein müssen, damit Routine vermieden wird. 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 38 „therapeutischen Aktivismus“ (Schmidte & Schaller (2002)) bei suizidalen Jugendlichen : • Patienten, die zu vereinbarten Sitzungen nicht erscheinen sollten aktiv aufgesucht werden • Klare Anweisungen und Informationen wie und wann der Therapeut erreichbar ist und wohin er sich wenden kann, wenn der Therapeut nicht erreichbar ist (z.B. Institutsambulanzen, Vertretungen etc.) • Telefonische Kontakte zwischen den Therapiesitzungen • Eindeutige Erreichbarkeit des Patienten durch den Therapeuten • Strukturierende Hausaufgaben – – • • • Feste Zeiten für Aufstehen, Essen, Arbeiten, Zubetten und aversiven empfundenen Tätigkeiten(z.B. Aufräumen bei laufender Lieblings-CD) Tätigkeiten, die mit suizidalem Verhalten inkompatibel sind (z.B. Joggen, Entspannungsübung, Besuch von Freunden und Bekannten) Nicht-Suizid-Pakt für eine definierte Zeitspanne („Aufschub“ statt Verbot) Präventive Maßnahmen zur Beseitigung von Auslösebedingungen (z.B. Langeweile am Abend, Besuch kommt nicht etc.) Psychotherapeut muss wissen, ob Patient von einem Arzt Suizidmittel verschrieben bekommen hat und diese ggf. unter Mithilfe der Familie wegnehmen 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 39 Inhaltliche Therapiemodule (Schmidtke & Schaller 2002) • Spezifische Problemlöse- und Kommunikationstechniken für interpersonale Konflikte – – – • Kognitive Restrukturierung der Denkstile – – • Umgang mit Ärger und Aggression, Erhöhung der Frustrationstoleranz Kognitive Kontrolle: adäquates Erkennen, Benennen und Verstehen der Gefühle Entspannung und Humor Einüben reflexiven Verhaltens: Erst Denken – dann Handeln! Effektive Kommunikation „Skilltrainingsteil“ und „emotionaler“ Teil sollten klar getrennt werden; – • • Basierend auf den Empfehlungen von: Beck, Meichenbaum und Ellis Erarbeitung von Stärken des Patienten und kurzfristig erreichbaren Zielen Training emotionaler Regulation – – – – – • Soziales Kompetenztraining Selbstkontrolltechniken (z.B. Techniken des inneren Sprechens) Selbstbelohnungsstrategien Zwei Therapeuten oder zeitliche Strukturierung Einbezug von Familien und Freunden Gruppentherapie unter Leitung eines Paares (Mann und Frau); – – – Cave! Imitationsgefahr Geeignet für Patienten mit Bedürfnis nach sozialem Kontakt und der Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zurückstellen zu können Kontraindikation: extreme Depressivität, schwere Impulsivität, destruktive Handlungen, Sucht oder Psychosen 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 40 Häufige Fehler (Reimer 1986) • Trennungsängste übersehen (z.B. Urlaub, Stationswechsel, Entlassung) • Provokation persönlich nehmen (Agieren von Ablehnung) • Bagatellisierungstendenzen des Patienten mitmachen (Abwehr) • Einseitige Betonung der Aggressionsproblematik • Suizidpakte • Mangelnde Exploration der jetzigen und evtl. früherer Umstände, die zu Suizidalität geführt haben • Zu rasche Suche nach positiven Veränderungsmöglichkeiten (Abwehr) • Internalisierte Klassifikation von Suizidversuchen anwenden 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 41 Patientenreaktionen Interaktionsmodi (Götze 1997) bei 151 Patienten in seinem Hamburger Therapiezentrum für Suizidgefährdete folgende von den Therapeuten eingeschätzte Patientenreaktionen : • 47 % aggressiv-entwertend • 27 % indifferent-verleugnend und/oder den Therapeuten idealisierend • 26 % regressiv-fordernd oder depressiv-symbiotisch. Auch in der weiteren Behandlung konnten sich pathologische Interaktionsmodi bei den Patienten und Therapeuten zeigen, die die Therapie erschwerten: • Aggressiver Interaktionsmdus: Ambivalente und betont ablehnende Haltungen stehen weitgehend unbewusst bei Patient und Therapeut im Vordergrund • Resignativer Interaktionsmodus: Trotz hoher Einfühlung und Sympathie auf beiden Seiten stehen sich Resignation im Denken, Fühlen und Handeln im Vordergrund. Patient und Therapeut zeigen ein sich gegenseitig bedingendes Enttäuschungserleben • Harmonisierender Interaktionsmodus: Hier identifiziert sich der Therapeut stark mit dem Patienten. Beide verleugnen Konflikte. 12.rap, bonn 9.11.06 zapp-online 2006(2)-Junglas-a 42