„Sein oder Nicht-Sein?“ Das ist hier die Frage. Existenz - RAP-Tage

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„Sein oder Nicht-Sein?“
Das ist hier die Frage.
Existenz und Psychotherapie und Psychiatrie
Jürgen Junglas, Bonn
12. Rheinische Allgemeine
PSYCHOtherapietage, Bonn,
9.11.2006
12.rap, bonn 9.11.06
zapp-online 2006(2)-Junglas-a
1
Die Religionen
• Bibel-Suizide
– Saul, Ahithophel, Judas
• Caesarius von Heisterbach, 13. Jhd.:
Laienbruder, „weil er an dem Fehler des Trübsinns litt“
• Bonhoeffer (1943): „Ohne die Freiheit zum Lebensopfer
im Tode gäbe es keine Freiheit für Gott, gäbe es kein
menschliches Leben.“
• Christianisierungsfolge: Suizidversuch wird strafrechtlich
geahndet, in England bis 1961
• Durkheim (1897): Protestanten > Katholiken > Juden
• Gottesdienstbesuch wesentlich (Stack & Wassermann 1993)
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2
Soziologie
• Durkheim: Selbstmord ein soziales Phänomen
• Unterschiede in
– Zeit(verlauf)
• Wiedervereinigung?
• 11.September 2001 (Salib 2003)
– Regionen
– Religionszugehörigkeit
• Unsichere Zahlen!!
(Dunkelziffer, unklare Todesursachen)
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3
Suizid im Zeitverlauf (D)
http://www.suizidpraevention-deutschland.de/Einleitung.html; Abruf 1.11.2006
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4
Wiedervereinigungseffekt? (D)
Althaus 2005
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5
Nationale
Vergleiche
Bronisch 2002
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6
Preis der
Modernität?
• DER SPIEGEL 30/2006
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7
Todesursachen (D) 2005
www.destatis.de
drugs
selbst
fremd
2500
2000
1500
1000
500
0
0-10 J. 10-20J. 20-30J. 30-40J. 40-50J. 50-60J. 60-70J. 70-80J. 80-90J. >90 J.
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8
Suizid und Krankheit/Störung
ICD10
Selbstbeschädigung
Suizidgedanken
-ideen
Suiziddrohung
-risiko
F25.1
F20.4
F32
F32
F32.2
F43
F43.1
F60.3, F63
Suizidhandlung
-versuch
F32
F43
F60.3
F84.2 Rett
F98.4 stereotyp.Bst.
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9
Suizidwahrscheinlichkeit
„normaler Jugendlicher“
(Rubinstein et al. 1989)
1.
Sexualität
2.
Leistungsdruck
3. Suizid in der
Familie
4. Persönlicher
Verlust
Wahrscheinlichkeit der
Suizidalität
1. niedrig
Niedrig
Niedrig
Niedrig
.03
2. hoch
Niedrig
Niedrig
Niedrig
.14
3. hoch
Hoch
Niedrig
Niedrig
.45
4. hoch
Hoch
Hoch
Niedrig
.71
5. hoch
Hoch
Hoch
Hoch
.92
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10
Sozialpsychiatrie des Suizids
(Schmidmeier 2006)
¾ Suizid ist eine soziale Krankheit: untere
¾
¾
¾
¾
¾
¾
Bildungsschichten häufiger betroffen,
Suizid ist eine Alterserscheinung: alle älteren Menschen
haben ein latentes Suizidrisiko
Suizid ist ein jahreszeitliches Problem: Häufung im
Frühjahr
Suizid ist ansteckend: Infektiöse Vorbilder in sozialer
Umgebung oder den Medien
Suizid ist vererbbar: familiäre Häufung
Suizid ist eine chronische Erkrankung
Suizid ist eine häufige Erkrankung
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11
Parasuizid = Suizidversuch WHO 1989
• „Eine Handlung mit nichttödlichem Ausgang, bei
der ein Individuum absichtlich ein nichthabituelles
Verhalten beginnt, das ohne Intervention von
dritter Seite eine Selbstschädigung bewirken
würde, oder absichtlich eine Substanz in einer
Dosis einnimmt, die über die verschriebene oder
im Allgemeinen als therapeutische Dosis
hinausgeht und die zum Ziel hat, durch die
aktuellen oder erwarteten Konsequenzen
Veränderungen zu bewirken.“
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12
Suizid ./. Parasuizid (Rahn & Mahnkopf 2005)
Parasuizid
Suizid
Zuletzt leichter Rückgang
Geschlecht
Anstieg während der letzten Dekaden,
jetzt stabil
Häufiger bei Frauen
Altersgruppe
Meist unter 45 Jahre
Meist über 45 Jahre
Personenstand
Höchste Rate bei Geschiedenen und
Ledigen
Höchste Rate bei Geschiedenen,
Legiden und Verwitweten
Sozialschicht
Höher in Unterschichten
Kein erkennbarer Gradient
Urban/rural
Häufiger in Städten
Häufiger in Städten (gewöhnlich)
Erwerbsstatus
Verbunden mit Arbeitslosigkeit
Verbunden mit Arbeitslosigkeit und
Berentung
Epochaler Trend
Kriegsauswirkungen
Häufiger bei Männer
Niedriger in Kriegszeiten
Jahreszeitliche Variation
Nicht evident
Frühlingsgipfel
Broken home in der Kindheit
Gewöhnlich
Gewöhnlich
Körperkrankheiten
Keine offenkundige Verknüpfung
Wahrscheinliche Verknüpfung
Psychiatrische Hauptdiagnosen
Situationsreaktion, Depression,
Alkoholismus
Häufig Psychopathie
Affektive Erkrankung, Alkoholismus
Persönlichkeitstyp
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Kein spezieller Typ
13
Präsuizidale Syndrome
1.
2.
3.
Einengung
Situative Einengung
Dynamische Einengung ( einseitige
Ausrichtung der Apperzeption, der
Assoziationen, der Verhaltensmuster,
der Affekte und
Abwehrmechanismen)
Einengung der
zwischenmenschlichen Beziehungen
Einengung der Wertwelt
Aggressionsanstauung und Wendung
der Aggression gegen die eigene
Person
Selbstmordphantasien (anfangs aktiv
intendiert, später sich passiv
aufdrängend)
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•
•
•
•
•
•
•
(Ringel 1981, Löchel 1983)
Gefühl von Ohnmacht,
Unverstandensein und mangelndem
Selbstwert
Grübeln, Selbstmitleid
(„Einengung“)
Initiativelosigkeit und soziale
Isolierung
Gegen die eigene Person gerichtete
Aggression („Aggressionsumkehr“)
Konkrete Vorstellungen zur
Durchführung des Suizids
Dysphorische Verstimmungen
„psychosomatische“ Beschwerden
wie Schlafstörungen,
Appetitlosigkeit und Müdigkeit
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14
Suizidentwicklung als
Kontinuum (Poustka 1985, Wolfersdorf et al. 2002)
•
•
•
•
•
•
Æ
neurotische Lebensgestaltung
(z.B. Kontaktstörung, soziale
Isolierung)
Æ Æ Krise (z.B. durch Erkrankung,
Verlust wichtiger Bezugspersonen)
ÆÆÆ
Einengung (z.B.
Grübeln, Selbstmitleid)
ÆÆÆÆ
Aggressionsumkehr
(z.B. Selbstvorwürfe, Ritzen)
ÆÆÆÆÆ
Selbstmordphantasien (z.B.
konkrete Planung)
ÆÆÆÆÆÆ
Selbstmordhandlungen
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Ätiologie (Wolfersdorf 1999)
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16
Tiefenpsychologie
Freud (1916): Kein Neurotiker verspürt Selbstmordabsichten, der solche
nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich zurückwendet
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17
Selbstzerstörung (Menninger 1938)
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18
Selbstpsychologie (Reimer 1985)
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Pathologischer Narzissmus
(Henseler 1984)
• Konflikte in Bezug auf
die psychosexuelle
Identität
• Konflikte in Bezug auf
Wert und Macht und
• Konflikte in Bezug auf
das Akzeptiertsein
schlechthin
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1.
2.
3.
4.
5.
Der zur Selbstmordhandlung neigende Mensch ist
eine in ihrem Selbstgefühl stark verunsicherte
Persönlichkeit
Das heißt für sein subjektives (bewusstes und
auch unbewusstes) Erleben, dass er sich vermehrt
bedroht fühlt, in einen Zustand totaler
Verlassenheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht zu
geraten, aus dem er sich selber nicht retten kann.
Zum Schutz seines Selbstgefühls bedient er sich
deshalb in hohem Maße der Realitätsverleugnung
und der Idealisierung der eigenen Person wie
seiner Umgebung.
Reichen diese Schutzmechanismen nicht aus, muss
er zu noch primitiveren Mitteln greifen, nämlich
zu Phantasien vom Rückzug in einen
harmonischen Primärzustand.
Indem er diese Phantasie in Handlung umsetzt,
kommt er der drohenden narzisstischen
Katastrophe aktiv zuvor und rettet für sein
Empfinden sein Selbstgefühl. Er verzichtet zwar
auf seine Individualität zugunsten einer
Verschmelzung mit einem diffus erlebten primären
Objekt, gewinnt aber Sicherheit, Geborgenheit,
Ruhe und Seligkeit.
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Objektpsychologie
(Kind 1998)
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21
Verhaltenstheorie (Schmidtke & Schaller 2002)
Auf kognitiver Ebene geben sie folgende
intrapersonale Bedingungen an:
• Negative selbstbezogene Kognitionen
• Eingeschränkte oder mangelnde
kognitive Problemlösefähigkeit und
kognitive Rigidität
• Dichotomes Denken
• Inadäquate Zeitperspektiven,
insbesondere eine negative
Zukunftsperspektive
• Dissimulationstendenzen
• Feldabhängigkeit
• Egozentrisches und idiosynkratisches
Denken
• Reduzierte Fähigkeit, positive
Gedächtnisinhalte abzurufen
12.rap, bonn 9.11.06
Auf emotionaler Ebene würden
folgende suizidfördernden
Variablen genannt:
• Depressivität
• Angst
• Ärger
• Impulsivität (am wichtigsten)
• Mangelnde emotionale
Regulationsfähigkeit
• Hoffnungslosigkeit (weniger bei
Jugendlichen; [Goldston et al.
2001])
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Todesfälle (Warnke 2003)
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Suizidversuche (Bronisch 2002)
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24
Psychische Störungen (Wolfersdorf 1999)
Depression
Alkoholkrankheit
Schizophrenie
Anteil der Diagnosegruppe am Suizid
40-70 %
20-30 %
2-12 %
Anteil an Suizidversuch
10-50 %
30-50 %
2-17 %
Suizidversuche im Krankheitsverlauf
20-60 %
3-25 %
20-30 %
Suizidmortalität im Krankheitsverlauf
12-18 %
5-10 %
5-10 %
Anteil am Suizid in psychiatrischen Krankenhäusern
20-30 %
-7 %
40-60 %
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Prävention (WHO; Etzersdorfer 2002)
•
Die Weltgesundheitsorganisation hat
folgende Stufen für die Suizidprävention
formuliert:
– Behandlung psychischer
Krankheiten
– Kontrolle des Waffenbesitzes
– Detoxifizierung von
Haushaltsgasen
– Detoxifizierung von
Kraftfahrzeugabgasen
– Kontrolle verfügbarer
toxischer Substanzen
– Beeinflussung von
Medienberichten
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Präventionsorte:
• Schule
• Justizvollzugsanstalt
• Psychiatrische Klinik
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Bündnisse gegen Depression
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(Hegerl 2005)
27
Althaus & Hegerl 2001
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Diagnostik (Bronisch 2002)
Gefahr eines erneuten Suizidversuchs
geringer:
• Patient kann konkret darstellen, warum
er zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr
suizidal ist, d.h. was sich in seiner
Einstellung zum Leben und Tod und in
seiner sozialen Situation so
grundlegend geändert hat, dass ein
Suizidversuch nicht mehr sinnvoll und
notwendig erscheint
• Bei Zweifel an der Aufrichtigkeit der
Antworten sollen möglichst viele
Fremdinformationen eingeholt werden
• Patient ist froh, den Suizidversuch
überlebt zu haben, er findet die
Suizidideen und suizidales Verhalten
unanehmbar und schrecklich findet oder
um Hilfe bittet
12.rap, bonn 9.11.06
Gefahr eines erneuten Suizidversuchs eher
groß:
• Patient ist schweigsam, unwirsch, trotzig,
unkooperativ, teilnahmslos oder sogar
feindselig;
• Äußert sich nicht offen und direkt.
• Patient spielt die Gefährlichkeit des
Suizidversuchs herunter oder leugnet diese,
versucht darzustellen, dass sein
selbstzerstörerisches Verhalten unbeabsichtigt
war (häufig bei Drogen- oder
Alkoholabhängigen).
• Patient nach Rettung aus lebensbedrohlicher
Situation fühlt sich wie „neugeboren“
• Gedankliche Einengung auf die Innenwelt
• Plötzliche „unheimliche“ Ruhe oder Agitation
• Suizidale Zwangsgedanken (bei schwerer
Depression) oder imperative Stimmen die zur
Selbsttötung auftreten (bei Schizophrenie)
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29
Risikofaktoren (Bronisch 2002, Althaus 2005)
•
•
•
•
•
•
•
•
Geschlecht
Suizide: m > w; Suizidversuche: m < w
Alter
Suizide: >50 Jahre; Suizidversuche:
<35 Jahre
Familienstand
Geschiedene > Verwitwete > Ledige >
Verheiratete
Soziale Schicht
In Unterschicht erhöhtes Risiko
Arbeitsstand
Arbeitslosigkeit
Jahreszeit
Frühjahr häufiger
Stadt-Land-Unterschiede
Stadt > Land; (ehemalige UdSSR
umgekehrt)
Religionszugehörigkeit
evangelisch > katholisch
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30
Schweregrade
(Kind 1998)
12.rap, bonn 9.11.06
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31
Auslösende Ereignisse Jugendliche
(Warnke 2003)
zw ischenmenschliche
Probleme
20%
29%
Ende einer Partnerschaft
finanzielle Probleme
4%
Probleme mit der Polizei
6%
Schulprobleme
7%
Probleme am Arbeitsplatz
9%
12.rap, bonn 9.11.06
25%
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andere
32
Subjektive Gründe Jugendliche
(Warnke 2003)
sterben w ollen
Erleichterung
18%
30%
1%
2%
Entfliehen
Verzw eiflung zeigen
4%
Liebestest
5%
Schlechtes Gew issen
machen
9%
18%
13%
zeigen w ie sehr man liebt
Hilfeschrei
andere
12.rap, bonn 9.11.06
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33
Behandlungssetting (Leitlinien KJP)
Ambulante Behandlung
•
•
•
•
•
•
Fehlen bedeutsamer organischer
oder psychiatrischer
Grunderkrankungen
Gute Compliance und
Motivation bei Patient und
Familie
Erstmaliger Parasuizid
Anbindung an erfahrene
Therapeuten
Weiche parasuizidale Methoden
Baldiges Sistieren
parasuizidaler Gedanken und
Handlungen nach dem
Parasuizid
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Stationäre Behandlung
• Behandlungsbedürftige organische
oder psychiatrische
Grunderkrankungen
• Wiederholter Parasuizid
• Harte Methoden
• Geringe Compliance und
Motivation bei Patient und Familie
• Fortbestehende psychosoziale
Belastungen
• Zusätzliche Komplikationen, z.B.
fortgesetzte autoaggressive
Handlungen oder andere
begleitende Komplikationen
• Perakute Suizidalität.
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34
Therapiezentrum Hamburg (Götze 1997)
12.rap, bonn 9.11.06
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35
Therapeutischer Umgang
•
Selbstwahrnehmung
“Nur wenn ich im Gespräch mit dem suizidalen Menschen
solchermaßen bei mir bin und mich nicht schone, brauche ich auch
ihn nicht zu schonen.“
Vollständigkeit der Wahrnehmung
“Entscheidend ist es, den Unterschied zwischen den Anteilen, die
leben wollen, und denen, die sterben wollen, zu sehen.“
Normalisierung der Beziehung
•
•
–
–
–
•
(Dörner & Plog 1978)
Ich lasse die Angst in mir zu, so dass ich Suizidsignale wahrnehme und
offen zum Gegenstand des Gesprächsaustauschs mache
Ich mindere nicht die Verzweiflung des Anderen, sondern ich vertiefe
sie noch, damit wir gemeinsam besser an ihren Grund gelangen
Ich teile „schonungslos“ dem Anderen alle in mir ausgelösten Ängste
und anderen Gefühle mit
Ich zeige dem Anderen, dass ich sein Recht auf den Tod als eine für
ihn in diesem Augenblick subjektiv sinnvoll erscheinende Lösung
achte.
12.rap, bonn 9.11.06
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Krisenintervention und Behandlung
(Wolfersdorf et al. 2002)
•
Herstellung einer Beziehung
die hilfreichen, stützend und damit bereits präventiven Charakter hat
– Raum, Zeit, Empathie, Akzeptanz von Suizidalität als Ausdruck depressiver Not
•
Diagnostik von Suizidalität und Störung
– Art der Ruhe- und Todeswünsche, der Suizidideen und –absichten
– Handlungsdruck: jetzt hohes Umsetzungsrisiko oder verschieb- bzw. aufhebbar
– Psychische Störung: Krise, Krankheit, Psychopathologie
•
Management der akuten Situation/Krise
– Ambulanter oder stationärer Schutzraum
– Betreuungsdichte
•
Therapieplanung
bzgl. einer zugrunde liegenden psychischen Erkrankung bzw. einer
Belastungs- oder Anpassungsreaktion
– Psychotherapie, z.B. tiefenpsychologisch fundierte Kurzpsychotherapie
– Psychopharmakotherapie:
• Depressive Episode: antidepressiv (nebenwirkungsgeleitet)
• Suizidalität: Sedierung, Anxiolyse, emotionale Distanzierung, Schlafförderung
12.rap, bonn 9.11.06
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37
Suizidbeobachtungskategorien
(SBK, bzw. SOS = suicide observation status) Resnik (1991)
für die Organisation der Suizidprävention im Krankenhaus
• SBK I (hoch)
Sitzwache mit ständiger direkter Beobachtung; Beschränkung auf
einen Raum oder ein speziell dafür eingerichtetes Isolierzimmer;
Entfernung gefährlicher Kleidungsstücke wie Gürtel, Krawatten und
Schnürsenkel; bei Toilettengang Kontrolle der Toilette alle 3 Minuten
• SBK II (mittel)
Ständige direkte Beobachtung, jedoch ohne Beschränkung auf einen
Raum sowie mit Erlaubnis der Teilnahme an überwachten
Gruppenaktivitäten außerhalb der Station; Kontrolle der Toilette alle 3
Minuten
• SBK III (niedrig)
Patient muss in Sichtweite bleiben, er wird aber zur Kontaktaufnahme
zu anderen Patienten und Teilnahme an deren Aktivitäten ermuntert; er
meldet sich regelmäßig alle 15 – 30 min bei der Pflegeperson; nachts
finden Kontrollen statt, die unregelmäßig sein müssen, damit Routine
vermieden wird.
12.rap, bonn 9.11.06
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„therapeutischen Aktivismus“
(Schmidte & Schaller (2002))
bei suizidalen Jugendlichen :
• Patienten, die zu vereinbarten Sitzungen nicht erscheinen sollten aktiv aufgesucht
werden
• Klare Anweisungen und Informationen wie und wann der Therapeut erreichbar ist und
wohin er sich wenden kann, wenn der Therapeut nicht erreichbar ist (z.B.
Institutsambulanzen, Vertretungen etc.)
• Telefonische Kontakte zwischen den Therapiesitzungen
• Eindeutige Erreichbarkeit des Patienten durch den Therapeuten
• Strukturierende Hausaufgaben
–
–
•
•
•
Feste Zeiten für Aufstehen, Essen, Arbeiten, Zubetten und aversiven empfundenen
Tätigkeiten(z.B. Aufräumen bei laufender Lieblings-CD)
Tätigkeiten, die mit suizidalem Verhalten inkompatibel sind (z.B. Joggen, Entspannungsübung,
Besuch von Freunden und Bekannten)
Nicht-Suizid-Pakt für eine definierte Zeitspanne („Aufschub“ statt Verbot)
Präventive Maßnahmen zur Beseitigung von Auslösebedingungen (z.B. Langeweile am
Abend, Besuch kommt nicht etc.)
Psychotherapeut muss wissen, ob Patient von einem Arzt Suizidmittel verschrieben
bekommen hat und diese ggf. unter Mithilfe der Familie wegnehmen
12.rap, bonn 9.11.06
zapp-online 2006(2)-Junglas-a
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Inhaltliche Therapiemodule
(Schmidtke & Schaller 2002)
•
Spezifische Problemlöse- und Kommunikationstechniken für interpersonale Konflikte
–
–
–
•
Kognitive Restrukturierung der Denkstile
–
–
•
Umgang mit Ärger und Aggression, Erhöhung der Frustrationstoleranz
Kognitive Kontrolle: adäquates Erkennen, Benennen und Verstehen der Gefühle
Entspannung und Humor
Einüben reflexiven Verhaltens: Erst Denken – dann Handeln!
Effektive Kommunikation
„Skilltrainingsteil“ und „emotionaler“ Teil sollten klar getrennt werden;
–
•
•
Basierend auf den Empfehlungen von: Beck, Meichenbaum und Ellis
Erarbeitung von Stärken des Patienten und kurzfristig erreichbaren Zielen
Training emotionaler Regulation
–
–
–
–
–
•
Soziales Kompetenztraining
Selbstkontrolltechniken (z.B. Techniken des inneren Sprechens)
Selbstbelohnungsstrategien
Zwei Therapeuten oder zeitliche Strukturierung
Einbezug von Familien und Freunden
Gruppentherapie unter Leitung eines Paares (Mann und Frau);
–
–
–
Cave! Imitationsgefahr
Geeignet für Patienten mit Bedürfnis nach sozialem Kontakt und der Fähigkeit, eigene Bedürfnisse
zurückstellen zu können
Kontraindikation: extreme Depressivität, schwere Impulsivität, destruktive Handlungen, Sucht oder Psychosen
12.rap, bonn 9.11.06
zapp-online 2006(2)-Junglas-a
40
Häufige Fehler (Reimer 1986)
• Trennungsängste übersehen (z.B. Urlaub, Stationswechsel,
Entlassung)
• Provokation persönlich nehmen (Agieren von Ablehnung)
• Bagatellisierungstendenzen des Patienten mitmachen
(Abwehr)
• Einseitige Betonung der Aggressionsproblematik
• Suizidpakte
• Mangelnde Exploration der jetzigen und evtl. früherer
Umstände, die zu Suizidalität geführt haben
• Zu rasche Suche nach positiven
Veränderungsmöglichkeiten (Abwehr)
• Internalisierte Klassifikation von Suizidversuchen
anwenden
12.rap, bonn 9.11.06
zapp-online 2006(2)-Junglas-a
41
Patientenreaktionen
Interaktionsmodi (Götze 1997)
bei 151 Patienten in seinem Hamburger Therapiezentrum für Suizidgefährdete
folgende von den Therapeuten eingeschätzte Patientenreaktionen :
• 47 % aggressiv-entwertend
• 27 % indifferent-verleugnend und/oder den Therapeuten idealisierend
• 26 % regressiv-fordernd oder depressiv-symbiotisch.
Auch in der weiteren Behandlung konnten sich pathologische Interaktionsmodi bei
den Patienten und Therapeuten zeigen, die die Therapie erschwerten:
• Aggressiver Interaktionsmdus:
Ambivalente und betont ablehnende Haltungen stehen weitgehend unbewusst
bei Patient und Therapeut im Vordergrund
• Resignativer Interaktionsmodus:
Trotz hoher Einfühlung und Sympathie auf beiden Seiten stehen sich
Resignation im Denken, Fühlen und Handeln im Vordergrund. Patient und
Therapeut zeigen ein sich gegenseitig bedingendes Enttäuschungserleben
• Harmonisierender Interaktionsmodus:
Hier identifiziert sich der Therapeut stark mit dem Patienten. Beide verleugnen
Konflikte.
12.rap, bonn 9.11.06
zapp-online 2006(2)-Junglas-a
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