Claudia Maria Fliß Was bedeuten Zwangsmaßnahmen für Menschen mit traumatisierenden Lebenserfahrungen? Fragestellungen: Was ist ein Trauma? Wie entstehen Traumafolgestörungen? Die Bedeutung von Selbstgefährdung sowie Suizidgefährdung? Wie wirken sich Zwangsmaßnahmen bei vorliegenden Traumafolgen aus? Welche Position haben Frauen in all dem? Was kann man tun? © Claudia Fliß Was bedeutet Trauma eigentlich? Trauma bedeutet „Verletzung“. Psychotrauma wird ausgelöst durch „tatsächliche stressreiche äußere Ereignisse, die mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergehen und so eine Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirken.“ (Fliß & Timmermann 2008) © Claudia Fliß Grundlegend bedeutsam und nachhaltig wirksam: Ist die fehlende Hilfe-Erfahrung bei und/oder nach als überwältigend erlebten Ereignissen. Alle vorübergehend wirksamen Traumareaktionen können durch schnelle und adäquate Hilfe reduziert bis beseitigt werden (Zuhören, glauben, die Belastung teilen, Trost und konkrete Hilfe usw.) © Claudia Fliß Was kann traumatisierend wirken? Körperliche Gewalt Sexuelle Gewalt Praktische und emotionale Vernachlässigung Emotionale Gewalt (Abwertungen, Beschimpfungen, Demütigungen usw.) Das Ausmaß wirkt dann traumatisch, wenn die folgenden Verarbeitungsmechanismen erforderlich werden: © Claudia Fliß © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Stressreiche Ereignisse bewirken: Aufnahme aller Reize aus der Umwelt und Auswertung durch Amygdala im limbischen System und dadurch Aktivierung von Hirnstamm und Hypothalamus Im Hypothalamus wird Stressgen CRH aktiviert und © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Die Hormonelle Stressachse (HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse HHN) reagiert Nebennierenrinde schüttet Cortisol aus Hirnstamm schüttet Adrenalin und Noradrenalin aus Reflexe werden beschleunigt © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Cortisol bewirkt Erhöhung des Blutzuckerspiegels und Energie wird frei für Abwehr oder Flucht Oder Erstarrung (Totstellreflex) tritt ein Betäubung von Schmerz durch Endorphine, Neutralisierung von Todesangst, peritraumatische Dissoziation (Wegtreten) © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Gefühl von Entfremdung, Gefahr ist bewusst, aber Gefühl eines Traums „Es ist etwas passiert – aber wem? Mir?“ Zersplitterung des Kontextes des Ereignisses © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Dieser Ablauf bewirkt: Schnelle Reaktionen des Gehirns zum Überleben Großhirn – Sitz des Bewusstseins – bleibt ausgeschaltet Hippocampus (Organisator der Gedächtnisfunktionen, Timmermann 2008) fällt zunehmend aus © Claudia Fliß Was passiert bei Trauma? Emotionen und körperliche Reaktionen werden ins Traumagedächtnis (Boos 2005) gespeichert Kontext geht verloren Erinnerung kann nicht ganzheitlich abgerufen werden Angemessene Verarbeitung ist nicht möglich Keine Integration ins autobiografische Ge-dächtnis © Claudia Fliß Und ohne Traumawirkung? Dagegen bei arbeitendem Hippocampus: Ereignisse können bewusst verarbeitet werden, Erinnerungen können ganzheitlich gespeichert und wieder abgerufen werden, Sprachlich ausgedrückt, In Raum-zeitlichen Zusammenhang gebracht werden. © Claudia Fliß Folgen traumatischer Erlebnisse Amygdala lernt alle Elemente von gefährlichen Ereignissen und reagiert mit Stressreaktion bei jedem dieser Elemente erneut Der gesamte Ablauf wiederholt sich bei ähnlichen Elementen (Triggern), wieder wird das Bewusstsein ausgeschaltet Amygdala kann nicht unterscheiden, ob die Stressreaktion adäquat ist © Claudia Fliß Folgen traumatischer Erlebnisse Mensch wird mit dem durch Trigger ausgelösten Stress in der für die Amygdala gefährlich scheinenden Situation belastet, kann es sich nicht erklären und meidet alle Situationen, die diesen wiederum ähnlich sind © Claudia Fliß Folgen traumatischer Erlebnisse Bewusstsein weiß nicht, dass es nach Triggern suchen müsste Bewusstsein kann die Trigger nicht identifizieren Bewusstsein kann nicht überprüfen, ob die Stressreaktion oder das Vermeiden adäquat sind Trigger können nicht entschärft und Situationen nicht differenziert werden © Claudia Fliß Folgen traumatischer Erlebnisse Mensch bemerkt, dass die eigenen Reaktionen anders sind als bei anderen Schamgefühle Kaschieren durch logisch erscheinende Erklärungen für das ungewöhnliche Verhalten Gezielte Selbstkritik ist schwer bis unmöglich © Claudia Fliß Traumafolge: Posttraumatische Belastungsstörung PTBS All das macht das Symptombild und die Diagnose einer PTBS aus. Der Unterschied zwischen „normalem“ Verhalten und durch Trauma bedingtem Verhalten kann noch wahrgenommen werden © Claudia Fliß Chronische Traumatisierungen verursachen eine zunehmende Zersplitterung des Gehirns und verschiedene, mehr oder weniger voneinander getrennte neuronale Netzwerke entwickeln sich. © Claudia Fliß Chronische Traumatisierungen Jedes Netzwerk besteht aus den mit dem TraumaErleben verknüpften: Emotionen Körpersensationen/Körperreaktionen/Körperhaltungen/Körperzuständen Bildern Kognitionen und Bewertungen © Claudia Fliß Chronische Traumatisierungen Neuronale Netzwerke sind durch Trauma geprägt und entwickeln sich in wiederholten oder weiteren und anderen Traumasituationen weiter Ein Netzwerk bildet einen Persönlichkeitsanteil oder eine gesamte Persönlichkeit, je nach Ausmaß der Weiterentwicklung der Netzwerke und derenTrennung voneinander © Claudia Fliß Chronische Traumafolgestörungen Regelmäßig wiederkehrende traumatische Situationen werden von wiederkehrenden Wechseln der Netzwerke (Persönlichkeitsanteile bis zu ausgeprägten Persönlichkeiten) bewältigt. Ein Netzwerk löst das andere bei Überforderung aus und das nächste Netzwerk löst das vorhergehende damit ab. © Claudia Fliß Chronische Traumafolgestörungen Ketten von Netzwerken/Persönlichkeitsanteilen/Persönlichkeiten können sich bilden, die den Ablauf traumatischer Situationen widerspiegeln – sie laufen am jeweiligen Trauma entlang. Diese Prozesse geschehen entweder in dysfunktionalen Familien unerkannt von außen oder von Tätern geplant, beobachtet und absichtlich durch Wiederholungen festgefügt. © Claudia Fliß Chronische Traumatisierungen Innere Strukturen entwickeln sich mit verschiedenen Trauma geprägten Funktionen der Persönlichkeitsanteile/Persönlichkeiten (z. B. für das Aushalten von Traumata, für die oft erforderliche Übernahme täteridentifizierten Verhaltens, für die Beobachtung und Bewertung der Geschehnisse und für die Steuerung der inneren Abläufe usw. ) © Claudia Fliß Chronische Traumatisierungen Die Verbindungslinien zwischen den Netzwerken laufen am Trauma entlang, die Netzwerke greifen ineinander, wechseln sich ab entsprechend der Trauma-Prägung aus den traumatisierenden Situationen Hypothese: je nach Ausmaß der Traumatisierung und Belastbarkeit des Menschen werden die Netzwerke mehr oder weniger voneinander getrennt (dissoziative Spalte) © Claudia Fliß Folgen chronischer Traumatisierungen Das Bewusstsein kann die Verbindungen kaum bis gar nicht wahrnehmen und kritisch prüfen, hält sie für real und unumstößlich, weil notwendig „Normales“ Verhalten hat es vor den chronischen Traumatisierungen kaum oder gar nicht gegeben, ungewöhnliches Verhalten kann davon kaum oder nicht unterschieden werden © Claudia Fliß Traumafolge: Dissoziative Störungen F44.9, F44.81 Diagnosen F44.9 (ICD-10) oder DESNOS (Arbeitshypothese in DSM-IV) bis hin zu Dissoziativer Identitätsstörung DIS F44.81 Komorbide Störungen entsprechen denen der PTBS © Claudia Fliß Dissoziative Störung F44.9 Die Netzwerke bilden Persönlichkeitsanteile, die noch miteinander verbunden sind und die mit äußerer Unterstützung realisiert und darüber dem Alltagsbewusstsein als existent zugänglich werden können Das Innere mit den Trauma geprägten Persönlichkeitsanteilen erscheint eher diffus © Claudia Fliß Dissoziative Störung F44.9 Im Kontakt mit der Außenwelt befindet sich ein mehr oder weniger erwachsen ausgeprägter Persönlichkeitsanteil, der je nach Ausmaß der Zersplitterung und je nach Ausmaß der Vermeidung des Traumas (Phobie vor dem Trauma, Onno van der Haart) einen vagen bis bewussten Zugang zum Trauma und den damit verbundenen weiteren Persönlichkeitsanteilen haben kann. © Claudia Fliß Dissoziative Identitätsstörung F44.81 (DIS) Persönlichkeiten sind ausgeprägt und können unabhängig voneinander agieren Kindliche, jugendliche und erwachsene Persönlichkeiten, verschiedene Entwicklungsstände Bei frühem Entwicklungsstand gibt es Probleme mit Körperwahrnehmung und -kontrolle © Claudia Fliß Dissoziative Identitätsstörung F44.81 (DIS) Ist eine Persönlichkeit im Körper aktiv und präsent, bedeutet dies: - ein komplettes Trauma geprägtes neuronales Netzwerk - meistens gleichzeitig Flashback und aktuelles TraumaErleben - Keine Orientierung in der aktuellen Situation - Emotionen, Reaktionen und Bewertungen entsprechen dem Trauma, nicht dem Heute © Claudia Fliß Dissoziative Identitätsstörung F44.81 (DIS) Verbindungslinien zwischen den Persönlichkeiten laufen am Trauma entlang Innere Systemstruktur ist durch das Trauma geprägt es gibt Trauma geprägte innere Räume die Persönlichkeiten sind in inneren Räumen in der Regel „im Trauma“ © Claudia Fliß Dissoziative Identitätsstörung F44.81 (DIS) Kontakt und Kommunikation zwischen den Persönlichkeiten sind durch dissoziative Spalte erschwert bis unmöglich und sind: - geprägt durch die traumatischen Erfahrungen - geprägt durch Macht und Ohnmacht - hierarchisch organisiert von Systemsteuerern - Es gibt innere Opfer, Täter und Helfer/Retter © Claudia Fliß Dissoziative Identitätsstörung F44.81 (DIS) Der Kontakt mit der Außenwelt findet über eine Alltagspersönlichkeit oder ein Alltagsteam statt, das aus verschiedenen Persönlichkeiten für verschiedene Anforderungen des Alltags besteht. Über diesen Kontakt kann sich allmählich ein direkter oder indirekter Kontakt zu weiteren Persönlichkeiten entwickeln. © Claudia Fliß DIS mit dem Hintergrund organisierte Rituelle Gewalt Spezifisch/ zusätzlich findet sich u. a. bei betroffenen Menschen: - Spaltungen wurden absichtlich und gezielt hervorgerufen - Persönlichkeiten haben Zuständigkeiten durch die Täter zugewiesen bekommen - Sind konditioniert und meistens in Programme eingebunden, die angetriggert werden können durch Täter, Systemsteuerer (Programmierer) oder zufällig im sozialen Kontakt © Claudia Fliß DIS mit dem Hintergrund organisierte Rituelle Gewalt - Trennung in Persönlichkeiten für den Alltag mit einer dafür geeigneten Funktionalität - Und Persönlichkeiten für Rituale, Menschenhandel, Loyalität und Schweigen, Vermeidung von Hilfe, gezielte Selbstschädigung bis Selbstzerstörung usw. - Organisiert und beherrscht von Systemsteuerern (Programmierern, täterloyal gemacht) © Claudia Fliß Komorbide Folgestörungen Sozialer Rückzug, soziale Phobie Angst- und Vermeidungsverhalten Zwänge zur Kontrolle der Ängste Depressionen Substanzabhängigkeiten © Claudia Fliß Komorbide Folgestörungen nach Traumatisierungen Verhaltenssüchte Essstörungen Selbstverletzendes Verhalten Beziehungsstörungen/Persönlichkeitsstörungen Verhaltensauffälligkeiten © Claudia Fliß Real begründete Angst wird neurotisch: Angst hat vegetative Begleiterscheinungen, die eigentlich zur Abwehr oder Flucht dienen sollen, die bei fehlender Umsetzung der körperlichen Aktivierung aber zu den Symptomen einer Angststörung führen. Diese wiederum können nicht zugeordnet werden und lösen Angst vor dem körperlichen Phänomen aus. Angst vor der Angst als Folge und Teufelskreislauf der Angst. © Claudia Fliß Vermeidungsverhalten Wie weiter oben dargestellt, wird Angst durch auslösende Elemente in den verschiedensten Situationen durch die Amygdala wieder ausgelöst und solche Situationen werden möglichst vermieden, um die Angst zu vermeiden sowie die oft mit solchen Situationen verbundenen Flasbacks. © Claudia Fliß Sozialer Rückzug, Soziale Phobie Traumatisierungen durch Menschen gehen meistens einher mit - Schuld- und Schamgefühlen - einer grundlegenden Verunsicherung des Selbst und der Beziehung zu anderen Menschen - Angst vor einer Wiederholung eines Traumas und Vermeiden von Menschen/sozialen Situationen © Claudia Fliß Zwangsverhalten Über ein Ausüben von Kontrolle über Situationen oder situative Elemente, die erneut Angst und Flashbacks auslösen können, wird die Angst und Belastung vorübergehend vermieden. Da die Ursache damit aber nicht behoben ist, dehnt sich das Zwangsverhalten meistens aus, auch auf wiederum ähnliche Situationen/Elemente. © Claudia Fliß Depressionen Depressionen sind resignative Reaktionsmuster auf unlösbar erscheinende Belastungen und helfen dabei, die Belastung nicht mehr derart intensiv wahrzunehmen. Sie gehen ebenfalls meistens mit Rückzug und Vermeidungsverhalten einher, sind oft begleitet von Schlafstörungen und Dysfunktionalität im Alltag. © Claudia Fliß Substanzabhängigkeiten und Verhaltenssüchte Reduzieren vorübergehend den mit aktiviertem Trauma verbundenen Stress (körperliche und emotionale Anspannungen sowie belastende Gedanken/Bilder) und können als Selbsthilfeversuche angesehen werden, die aber letztlich zu weiteren Problemen führen. Eine Angst auslösende Auseinandersetzung mit den unlösbar erscheinenden Folgen des Traumas kann vorübergehend vermieden werden. © Claudia Fliß Essstörungen Dienen ebenfalls zur vorübergehenden Reduktion von Trauma bedingten körperlichen und emotionalen Anspannungen und belastenden Gedanken/Bildern. Essen entspannt vorübergehend, Hungern gibt ein Gefühl von Macht und Kontrolle über den Körper. Je nach Traumatisierungsform können Essen, Hungern und Erbrechen noch spezifische Bedeutungen haben (Erbrechen von Ekel, nichts mehr aufnehmen wollen usw.) © Claudia Fliß Selbstverletzung Dient ebenfalls der vorübergehenden Reduktion von allen Stresselementen. Außerdem kann Selbstbestrafung ein Motiv sein, wenn ein Mensch sich und seinen Körper für die Traumatisierung verantwortlich macht. Selbstverletzung ist manchmal die einzige Möglichkeit, sich selbst spüren zu können, und kann Dissoziation stoppen. Selbstverletzung kann auch im dissoziierten Zustand, also im Flashback auftreten. © Claudia Fliß Beziehungsstörungen Können eine Folge von grundlegendem Vertrauensverlust nach Traumatisierungen durch Menschen sein. Grundlegendes Misstrauen kann vorherrschen. Es können weiterhin Übertragungen stattfinden: der zwischenmenschliche Kontakt wirkt als Trigger für Flashbacks und löst unpassende Reaktionen des betroffenen Menschen aus. Und ein adäquater Umgang mit Beziehungen zu anderen Menschen wurde möglicherweise nie gelernt. © Claudia Fliß Persönlichkeitsstörungen Wenn Traumatisierungen in frühen Lebensjahren stattfinden (immer bei dissoziativen Störungen), wird die gesamte Entwicklung der Persönlichkeit und des Menschen in seiner Beziehung zu sich, zur Welt und zu anderen Menschen gestört. Manche Entwicklungsschritte fehlen und/oder manches wird falsch gelernt in emotionalen und kognitiven Reaktionen und im Verhalten. © Claudia Fliß Verhaltensauffälligkeiten Ergeben sich aus den verschiedenen Versuchen, mit der überwältigend und unnormalen Traumasituation und ihren vielfachen Folgen umzugehen. Manche Auffälligkeiten finden sich oft bis meistens, manche sind spezifisch und können nur verstanden werden, wenn ihre Entstehung durch das Trauma nachvollziehbar wird. © Claudia Fliß Bedeutung für den Kontakt mit Betroffenen Traumafolgen bilden sich im sozialen Kontakt, in Kommunikation und in Beziehungen ab und erschweren oft einen adäquaten Umgang damit sowie auch eine adäquate Lebensgestaltung, sie wirken sich entsprechend auch auf professionelle Unterstützung aus Wissen darum erleichtert eine Zuordnung und die Suche nach adäquaten eigenen Reaktionen und Unterstützungsmaßnahmen, ermöglicht gezielte Fragen und lässt Betroffene leichter Vertrauen entwickeln © Claudia Fliß Selbstgefährdung Suizidgefährdung Selbstgefährung kann entstehen über: - eine unzureichende bis fehlende Selbstwahrnehmung und somit nicht absichtlich - den Impuls, sich indirekt selbst zu bestrafen - spontane impulsive Handlungen bei Flashbacks - unkontrollierbare dissoziative Reaktionen © Claudia Fliß Selbstgefährdung Suizidgefährdung Suizidgefährung kann die Folge sein von: - nicht mehr weiter wissen und im Tod den einzigen Ausweg zu sehen, das Leid zu beenden, und als letzte und einzige Möglichkeit einer eigenen Entscheidung über sich selbst - einen Hilferuf aussenden wollen - Impulse aus einem Flashback heraus, der suizidale Impulse aus der Trauma Situation beinhaltet - dies kann auch im dissoziierten Zustand/Flashback © Claudia Fliß auftreten Thesen zur Position von Frauen Frauen werden gesamtgesellschaftlich eher Opfer von Gewalt Frauen sind eher bereit als Männer, Hilfe zu suchen und Unterstützung anzunehmen Entsprechend können traumatisierte Frauen eher von negativen Folgen wie Zwangsmaßnahmen betroffen sein. © Claudia Fliß FRA-Studie In einer europaweiten Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen http://fra.europa.eu/DVS/DVT/vaw.php wurden im Jahre 2014 42.000 Frauen in den 28 Mitgliedstaaten der EU zu Gewalterfahrungen und Vorfällen seit dem 15. Lebensjahr, in der Kindheit (vor dem 15. Lebensjahr) und in den letzten 12 Monaten vor der Erhebung gefragt. © Claudia Fliß FRA-Studie Einbezogen wurden - Körperliche Gewalt - Sexuelle Gewalt - Psychische Gewalt - Stalking - Sexuelle Belästigung - Gewalterfahrungen in der Kindheit © Claudia Fliß FRA-Studie Die Ergebnisse wurden mit einer Studie von 2004 verglichen. Die Ergebnisse waren sehr ähnlich. Bisherige Dunkelfeldschätzungen und Untersuchungsbefunde wurden bestätigt. © Claudia Fliß FRA-Vergleich 2004 und 2014 2004 2014 Gewaltform 37 % 33 % Körperliche Gewalt 13 % 12 % Sexuelle Gewalt 40 % 35 % Körperliche und/oder sexuelle Gewalt 58 % 60 % Sexuelle Belästigung 42 % 50 % Physische Gewalt 25 % 22 % Körperliche und/oder sexuelle Gewalt in Partnerschaften © Claudia Fliß FRA-Vergleich 2004 und 2014 2004: Jede 2. bis 3. Frau hat seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche Gewalt erfahren und jede 7. Frau sexuelle Gewalt in Partnerschaften oder durch andere Personen. Jede 4. Frau hat körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch den/die Partner/in erfahren. © Claudia Fliß FRA-Vergleich 2004 und 2014 2014: Jede 3. Frau in Deutschland hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche Gewalt erfahren und jede 8. Frau sexuelle Gewalt. Jede 4. bis 5. Frau hat körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch den/die Partner/in erlebt. © Claudia Fliß Frauen suchen eher professionelle Hilfe als Männer Die LMU München veröffentlicht unter http://www.klinikum.uni-muenchen.de/ Klinik-und-Poliklinik-fuer-Psychiatrie-undPsychotherapie/de/forschung/psychosozio/ schwerpunkt/gender/index.html eine Zusammenfassung verschiedener Studien zum Thema „Gender und psychische Störungen“ und benennt folgende Ergebnisse: © Claudia Fliß Frauen suchen eher professionelle Hilfe als Männer Frauen und Männer leiden gleichermaßen unter Depressionen (ausgenommen bipolare Depression), Neurosen, Angst- und Essstörungen und somatoformen Störungen. Medikamentenabhängigkeit bei Frauen: 3 mal höher als bei Männern Alkohol- und Drogenabhängigkeit und dissoziale Persönlichkeitsstörung ist höher bei Männern, vermutet wird ein Zusammenhang zu unbehandelten Depressionen © Claudia Fliß Frauen suchen eher professionelle Hilfe als Männer Suizidversuche werden zu 2 Dritteln von Frauen begangen, die vollendeten Suizide sind bei Männern häufiger: 2 Drittel bis 3 Viertel aller Suizide werden von Männern begangen, Zunahme mit zunehmendem Alter. Männer suchen weniger Hilfe als es ihrem Bedarf entspricht. © Claudia Fliß Frauen suchen eher professionelle Hilfe als Männer „Geschlechtsspezifische Gesundheitskonzepte und entsprechendes Krankheitsverhalten führen M zu einer Überrepräsentation von Frauen in fast allen medizinischen und psychosozialen Versorgungssituationen M insbesondere bei psychischen Störungen ausgeprägt...“. Die Hintergründe werden verschieden diskutiert, auch Diagnoseverfahren könnten zu diesem Ergebnis führen. © Claudia Fliß Thesen bestätigt... Frauen werden gesamtgesellschaftlich eher Opfer von Gewalt Frauen sind eher bereit als Männer, Hilfe zu suchen und Unterstützung anzunehmen Entsprechend können traumatisierte Frauen eher von negativen Folgen wie Zwangsmaßnahmen betroffen sein. © Claudia Fliß Wie wirken Zwangsmaßnahmen? - grundlegend retraumatisierend, weil sie die traumatische Erfahrung von Überwältigung und Schutzlosigkeit wiederholen. - Sämtliche Abläufe im Gehirn (siehe oben) wiederholen sich. - Professionelle, die helfen sollen und möglicherweise sogar wollen, werden als Täter erlebt. Eine neue traumatische Situation kommt hinzu. © Claudia Fliß Wie wirken Zwangsmaßnahmen? - Zwangsmaßnahmen überschreiten körperliche und emotionale Grenzen, der Mensch ist ausgeliefert und verliert jegliche Selbstbestimmung. Er hat keine Freiheit und keine Würde mehr. - Die gesellschaftliche Instanz des Gesundheitssystems hat wesentlich mehr Macht als Täter im persönlichen Umfeld und kann für den Betroffenen nach solchen Erfahrungen zur generellen Bedrohung werden. © Claudia Fliß Wie wirken Zwangsmaßnahmen - die bereits vorhandenen Trauma Folgestörungen werden verstärkt aktiviert, auch Selbstverletzung, Selbstgefährdung und Suizidalität. Wie kann unter solchen Umständen professionelle „Hilfe“ als solche wahrgenommen und angenommen werden? © Claudia Fliß Welches Vorgehen kann helfen? Entsprechend der Kriterien der Ethischen Stellungnahme der DGPPN sollte möglichst die Selbstbestimmung des Menschen im professionellen Kontakt wiederhergestellt werden, sofern der Mensch (vorübergehend) nicht in der Lage zu sein scheint, seinen „freien Willen“ auszuüben und sein „natürlicher Wille“ seinem Wohl nicht angemessen zu sein scheint. © Claudia Fliß Welches Vorgehen kann helfen? Was haben wir über Traumafolgereaktionen bereits gelernt? Was kann die Ursache davon sein, dass ein betroffener Mensch desorientiert/ selbstgefährdend/fremdgefährdend wirkt? Was kann getan werden, um Zwangsmaßnahmen abzuwenden? © Claudia Fliß Was liegt bei PTBS vor? Ein Mensch mit einer PTBS kann durch einen situativen Auslöser in einen Flashback geraten und Reaktionen können ausgelöst werden, die zur ehemals traumatischen Situation passen, aber nicht zur aktuellen Situation. Der Mensch muss aus seinem Flashback herausgeholt und im Hier und Heute reorientiert werden. © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? Nach meiner Erfahrung ist es am effektivsten, einen guten Kontakt zum betroffenen Menschen herzustellen: - intensive Ansprache - Augenkontakt herstellen - die aktuelle Realität sprachlich benennen - Hände anfassen (sofern möglich und vertretbar), aktuelle Berührungen reorientieren gut. © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? Konkrete Reize, die in der aktuellen Situation orientieren können: - intensiver angenehmer Duft bis hin zu aversivem Geruch - Bewegungen im Raum, Laufen, Schütteln u. Ä. - Haptische Reize wie Igelball in die Hand geben © Claudia Fliß Was muss spezifisch bei dissoziativen Störungen beachtet werden? Ist eine Persönlichkeit/ein Persönlichkeitsanteil im Körper aktiv und präsent, bedeutet dies: - ein fast komplettes oder komplettes Trauma geprägtes neuronales Netzwerk mit mehr oder weniger noch vorhandenem Alltagsbewusstsein - meistens gleichzeitig Flashback und aktuelles TraumaErleben - Kaum bis keine Orientierung in der aktuellen Situation - Emotionen, Reaktionen und Bewertungen entsprechen dem Trauma, nicht dem Heute © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? Primär sehe ich auch hier die Notwendigkeit, einen guten Kontakt zum betroffenen Menschen herzustellen. Auch wenn man mit einem aktivierten Persönlichkeitsanteil oder einer kompletten Persönlichkeit zu tun hat, können die oben genannten reorientierenden Maßnahmen versucht werden. © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? - intensive Ansprache - Augenkontakt herstellen - die aktuelle Realität sprachlich benennen - Hände anfassen (sofern möglich und vertretbar), aktuelle Berührungen reorientieren gut. - intensiver angenehmer Duft bis hin zu aversivem Geruch - Bewegungen im Raum, Laufen, Schütteln u. Ä. - Haptische Reize wie Igelball in die Hand geben © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? Oft hat man es bei einem desorientierten Persönlichkeitsanteil/einer desorientierten Persönlichkeit nicht mit dem Alltagspersönlichkeitsanteil/der Alltagspersönlichkeit zu tun, sondern mit einem inneren Persönlichkeitsanteil/einer inneren Persönlichkeit, die oft vorwiegend bis ausschließlich traumatische Situationen und den Alltag kaum bis gar nicht kennen. © Claudia Fliß Welche Möglichkeiten bestehen? In einem guten Kontakt kann man den Persönlichkeitsanteil/die Persönlichkeit auf den Unterschied zwischen dem, was er/sie meint zu sehen und zu erleben, und der aktuellen Situation hinweisen. Man kann nach dem Alltagspersönlichkeitsanteil/der Alltagspersönlichkeit fragen. In der Regel wird im Inneren des betroffenen Menschen versucht werden, dies umzusetzen. © Claudia Fliß Voraussetzungen sind: - Kenntnisse über die verschiedenen Traumafolgestörungen und deren Erscheinungsformen - Erkennen eines vorliegenden Flashbacks - Erkennen der vorliegenden Traumafolgestörung, um die adäquaten Methoden zur Reorientierung aus dem Flashback heraus auszuwählen und anzuwenden. © Claudia Fliß Das Recht auf Selbstbestimmung Kann auf diese Weise weitgehend gewahrt werden, weil der betroffene Mensch nach erfolgter Reorientierung in der aktuellen Situation sein Recht auf Selbstbestimmung über möglicherweise weiter erforderliche Behandlungen wieder ausüben kann und Zwangsmaßnahmen überflüssig werden. © Claudia Fliß Grenzen dieser Möglichkeiten Es gibt Flashbacks, die derart massiv und gefährlich für den Menschen selbst und auch für andere Menschen werden können, dass die Zeit nicht ausreicht, die genannten reorientierenden Maßnahmen einzusetzen. In solchen Fällen muss sorgsam entsprechend den heute schon vorgestellten Vorgaben entschieden und gehandelt werden. © Claudia Fliß Grenzen dieser Möglichkeiten Beispiele dafür: - akut selbstgefährendes oder fremdgefährdendes Verhalten in einem Flashback - länger andauernde psychotische Reaktion als Teil eines Flashbacks oder als traumatischer Zustand eines Persönlichkeitsanteils/einer Persönlichkeit - akute Intoxikation als Folgeerscheinung einer Traumafolgestörung - gezielter Suizidversuch als „endgültig angesehene Erlösung“ von allen Traumabelastungen © Claudia Fliß Traumatherapeutische Kenntnisse In manchen oder sogar vielen Fällen könnten jedoch traumatherapeutische Kenntnisse zum Einsatz kommen und es kann versucht werden, im aktualisierten Flashback das Trauma direkt zu bearbeiten. Traumakonfrontationen können umgesetzt und das alte Trauma direkt bearbeitet werden. Gelingt dies, führt es zu einer Reorientierung in der aktuellen Situation, die dauerhafter wirksam ist als stabilisierende und reorientierende Maßnahmen, die das Trauma wieder zurück ins Traumagedächtnis bringen. © Claudia Fliß Traumatherapeutische Kenntnisse Insgesamt könnten also wahrscheinlich zahlreiche Zwangsmaßnahmen überflüssig gemacht werden. Hier sei noch einmal auf die Erfordernisse hingewiesen: dazu müssen Professionelle geschult sein und über ausreichende zeitliche Spielräume im Berufsalltag verfügen, um diese Methoden erfolgreich umzusetzen. © Claudia Fliß Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! © Claudia Fliß