Einleitung Sozialisation ist zu einem Alltagsbegriff geworden, mit dem umschrieben wird, wie Heranwachsende in die Gesellschaft integriert werden und dabei eine eigene Persönlichkeit ausbilden. Ein solches Verständnis von Sozialisation hat sich jedoch erst in den letzten Jahrzehnten ausgebildet. Dabei gerieten zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen des Geschehens in den Blick. In einem umfassenden Sinne wird der Begriff Sozialisation verwandt, um die soziale Integration von Individuen in die Gesellschaft, konkret: die soziale Bindung an Bezugsgruppen und Bezugspersonen und die Kultivierung sozialer Beziehungen zu umschreiben. In einem engeren Sinne wird thematisiert, wie Individuen zu sozialem Handeln befähigt und in die Lage versetzt werden, sich aktiv an der Gestaltung des Zusammenlebens zu beteiligen. Diese beiden groben Sichtweisen von Sozialisation werden in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit je unterschiedlicher Gewichtung erforscht. In der Psychologie und der Erziehungswissenschaft wird vornehmlich danach gefragt, welche Fähigkeiten Individuen erwerben müssen, um in ihrem sozialen Umfeld und in gesellschaftlichen Institutionen, z. B. in der Schule, angemessen handeln zu können. In der Soziologie, Ethnologie, Kulturanthropologie und Soziobiologie interessiert hingegen eher die Frage, welche Handlungsanforderungen sich aus der Einbindung von Individuen in soziale Gruppen und soziale Strukturen ergeben. Thematisiert werden dabei auch die sozialen Prozesse, über die Menschen ihr Gemeinwesen gestalten und organisieren. Fasst man diese groben Sichtweisen zusammen, werden die Konturen einer allgemeinen, interdisziplinären Theorie der Sozialisation sichtbar. Im vorliegenden Buch wird eine solche Theorie skizziert. Sie begründet sich aus den weit gehend akzeptierten Annahmen über die anthropologischen und soziobiologischen Dispositionen des Menschen für die Kultivierung ihres sozialen Gemeinwesens. Demnach lässt sich Sozialisation aus einer dem Menschen »angeborenen« sozialen Handlungsorientierung und Handlungsbefähigung herleiten. Die damit umschriebene Sozialität drückt sich u. a. darin aus, dass sich Menschen zu Bezugsgruppen zugehörig fühlen, sich in ihrem Verhalten an Mitmenschen orientieren, ihr Handeln und Können vergleichen und schließlich auch darin, dass sie sich gegenseitig helfen und sich in ihrem Handeln ergänzen. Sie kommt aber auch darin zum Ausdruck, dass sich Nachkommen an dem kulturellen und alltagspraktischen Wissen ihrer Vorfahren orientieren, sich Eltern auf ihre Kinder beziehen, um ihnen Kulturtechniken und soziales Handlungswissen zu vermitteln, und die Heranwachsenden bestrebt sind, den Handlungserwartungen der Eltern 9 Einleitung zu entsprechen bzw. sich gegenüber Gleichaltrigen und gegenüber Autoritätspersonen zu behaupten. In den letzten Jahrzehnten hat die Evolutionspsychologie Befunde der Soziobiologie aufgegriffen und darauf aufmerksam gemacht, dass auch die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen, seine psychische Entwicklung und die Genese seiner Handlungsbefähigung (die sich in der Fähigkeit zeigt, in differenten sozialen Umwelten sozial angemessen handeln zu können) maßgeblich von diesen Grunddispositionen sozialen Handelns abhängen. Aus diesen Dispositionen folgt jedoch kein Verhaltensdeterminismus. Sie verweisen vielmehr auf eine dem Menschen eigene soziale Handlungsorientierung und ein spezifisches soziales Bindungsbedürfnis. Dieses zeigt sich mitunter in der Fähigkeit des Menschen, individuelle Handlungen so zu koordinieren, dass gemeinsame Handlungsinteressen verfolgt, Individuen sozial eingebunden und soziale Beziehungen kultiviert werden. Wir nehmen daher an, dass diese sozialen Bindungsprozesse und die Entwicklung der dafür notwendigen Fähigkeiten in und durch Sozialisation hervorgebracht werden. Sozialisation muss sich demnach als ein Prozess beschreiben lassen, über den soziale Praxen der Bezugnahme vermittelt, d. h. durch Mitmenschen vorgelebt und verständlich gemacht werden, über den sich Regeln der Bezugnahme formieren und Kriterien für sozial angemessenes Handeln formuliert werden. So gesehen müsste Sozialisation auch die soziale Handlungsmatrix bestimmen, auf die sich Individuen beziehen, wenn sie in sozialen Umwelten handeln, sich in diesen Umwelten entwickeln und zugleich die sozialen Umwelten mitgestalten. Vor dem Hintergrund eines solchen Grundverständnisses von Sozialisation ist für die Formulierung einer allgemeinen Theorie der Sozialisation herauszuarbeiten, wie sich Menschen in ihrem Zusammenleben aufeinander beziehen und dabei Fähigkeiten des sozialen Umgangs erwerben, die es ihnen ermöglichen, sich in ihrem Zusammenleben wechselseitig zu ergänzen und zu stützen. Wie sich zeigen wird, ist das ein krisenhaftes und auch konfliktreiches Unterfangen. Sozialisation äußert sich daher nicht nur in einem harmonischen Miteinander, sondern kann auch mit Unterdrückung, Aggression und Gewalt gegen Mitmenschen einhergehen. Bei all dem ist Sozialisation auf die Etablierung verlässlicher, auf Solidarität und Wohlfahrt abzielender Sozialisationspraxen ausgerichtet. Das kann hin und wieder auch mit der sozialen Abgrenzung von Bevölkerungsgruppen einhergehen. Geht man von dem gegenwärtigen trans- und interdisziplinären Wissensstand über Sozialisation aus, dann lässt sich der Forschungsgegenstand Sozialisation relativ klar umschreiben: Sozialisation lässt sich als jener Prozess identifizieren, über den sich Sozialität und Gemeinschaftlichkeit im Zusammenleben und über den sich Handlungsweisen und persönliche Haltungen von Individuen ergeben, die das soziale Zusammenleben ermöglichen. Damit verbunden ist auch ein Einblick in jene Prozesse, die uns eine soziale und personale Identität bescheren und die je10 Einleitung den von uns als Mitglied einer umfassenden Gesellschaft bzw. eines Kulturkreises ausweisen. Sozialisation verweist demnach auf einen höchst komplexen Vorgang, durch den soziale Verhältnisse auf Individuen einwirken und umgekehrt, soziale Verhältnisse durch individuelle Aktionen gestaltet werden. Dieser Forschungsgegenstand kann sowohl aus der Perspektive der Gesellschaft und den sie kennzeichnenden Prozessen der sozialen Schließung und Verdichtung von Sozialbeziehungen sowie der Kultivierung des sozialen Lebens als auch aus der Perspektive der individuellen Entwicklung nachgezeichnet werden, über die sich Akteure Erkenntnisse und Handlungswissen aneignen, die sie dazu befähigen, sich aktiv an der Gestaltung des sozialen Lebens zu beteiligen. Mit der vorliegenden Skizze einer allgemeinen Theorie der Sozialisation wird der Versuch unternommen, die unterschiedlichen Facetten des Forschungsgegenstands aufeinander zu beziehen, die bis heute noch unverbunden nebeneinander stehen. Es gilt dem Facettenreichtum des Forschungsgegenstands, d. h. dem sozialen Phänomen Sozialisation gerecht zu werden. Dazu werden die bisherigen theoretischen Überlegungen und empirischen Forschungen systematisch aufeinander bezogen. Damit werden jene Aspekte von Sozialisation herausgearbeitet, die allen Sozialisationspraxen und Sozialisationsprozessen zugrunde liegen. Sie lassen sich als Grundsätze einer allgemeinen Theorie formulieren. Schließlich geht es auch darum, theoretische Modelle »mittlerer Reichweite« über Wirkungsweisen von Sozialisationspraxen und über Ausdrucksformen von Sozialisationserfahrungen, die sich in Persönlichkeitseigenschaften und Kulturen des sozialen Zusammenlebens manifestieren, zu entwickeln. Daraus ergeben sich Ansprüche an die zu formulierende Theorie. Sie muss ein möglichst einheitliches Begriffs- und Aussagesystem anbieten, mit dem die real ablaufenden Sozialisationsprozesse in ihrer Vielfältigkeit empirisch fassbar werden. In der vorliegenden theoretischen Skizze wird dieser Anspruch an wissenschaftliche Theorien nach empirischer Überprüfbarkeit durch systematische Abstraktion von Einzelbefunden erfüllt. Dazu werden verallgemeinerbare »Kernaussagen« formuliert, die sich aus dem bisherigen Wissensstand über Sozialisation ergeben. Im Gegensatz zu bisherigen sozialisationstheoretischen Ansätzen, in denen Sozialisation als gesellschaftlicher Reproduktionsmechanismus bzw. als Vermittlungsprozess zwischen Individuum und Gesellschaft definiert – also aus den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst abgeleitet – wird, basiert die vorliegende Theorie auf einer streng mikrosozialen Herleitung von Sozialisation aus den Interaktionen zwischen Akteuren. Der Fokus der skizzierten Theorie liegt demnach auf Prozessen des Zusammenlebens im mikrosozialen Nahraum sozialer Beziehungen. Sozialisation wird von den Akteuren aus, also von »unten«, und nicht wie bisher von der Gesellschaft aus, also von »oben« her, bestimmt. Dazu wird ein ideales Sozialisationsmodell vorgelegt, aus dem sich alle empirischen Variationen herleiten lassen. 11 Einleitung Diese Modellierung von Sozialisation hat den Vorteil, dass Sozialisation als ein ergebnisoffener Gestaltungsprozess zu bestimmen ist. Dieser manifestiert sich in unterschiedlichsten empirisch fassbaren Formierungen sozialer Beziehungen und in spezifischen soziokulturellen Ein- und Ansichten über personale Handlungsbefähigungen, die für das Eingehen und die Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen konstitutiv sind. Damit werden auch normative Engführungen in der Bestimmung von Sozialisation vermieden, die sich ergeben, wenn Sozialisation z. B. im Sinne einer optimalen Sozialintegration aus den gesellschaftlichen Verhältnissen abgeleitet wird. Mehr noch: Die mikrosoziale Herleitung von Sozialisation ermöglicht es, die gesellschaftlichen und individuellen Einflüsse zu erfassen, die Sozialisationsprozesse beeinflussen, mithin die sozialen Bindungskräfte fördern oder untergraben, die Sozialisation auszeichnen. Auf diese Weise kann letztlich auch die eine enorme Variationsbreite in den empirischen Ausdrucksformen von Sozialisationspraxen erklärt werden. Diese Praxen nämlich informieren über die Gestaltungspotenziale individueller Akteure, verlässliche und auf Solidarität zielende Sozialbeziehungen aufzubauen und auf Dauer zu stellen. Daher unterscheiden sich Sozialisationspraxen – je nach den ihnen zugrunde liegenden sozialen Lebensverhältnissen und soziokulturellen Rahmenbedingungen – vor allem durch die Art und Weise, wie sich Bezugspersonen aufeinander beziehen und wie sich die Akteure selbst in die Interaktion einbringen können. Ziel der vorliegenden Sozialisationstheorie ist es daher, jene Prozesse der sozialen Bezugnahme zu identifizieren, die den vielfältigen empirischen Variationen und Forschungsbefunden über Sozialisation zugrunde liegen. Dazu werden jene Forschungsergebnisse zusammengetragen, die den Erkenntnisgegenstand »Sozialisation« umschreiben und deren analytische Bedeutung für eine Bestimmung von Sozialisation herausgearbeitet. Zugleich wird ermittelt, inwieweit sie auch für andere Forschungsfelder, z. B. das der Erziehungswissenschaft oder Entwicklungspsychologie, bedeutsam sind. Zu begründen ist nämlich, was Sozialisation von sozialem Handeln, von Lernen, Erziehung und Entwicklung unterscheidet und wie diese Prozesse mit Sozialisation verwoben sind. Der Aufbau der Argumentation dieses Buches ähnelt der Rekonstruktion eines Puzzles, aus dessen Randteilen zunächst die Konturen des zu rekonstruierenden Bildes bestimmt werden. Dabei wird nach und nach ein Überblick über den gegenwärtigen Stand der Sozialisationsforschung vermittelt. In diesem Sinne ist die theoretische Skizze einer allgemeinen Sozialisationstheorie auch als Einführung in die Sozialisationsforschung geeignet. Dennoch liegt hier kein klassisches Lehrbuch vor, in dem die Theorieentwicklung, unterschiedliche Forschungsrichtungen und empirische Befunde referiert werden. Es gilt vielmehr, den Forschungsgegenstand Sozialisation neu auszuloten. In diesem Sinne richtet sich das Buch an ein breites, 12 Einleitung interdisziplinäres Fachpublikum mit dem Ziel, die Diskussion um den Forschungsgegenstand Sozialisation zu beleben. Es richtet sich darüber hinaus an Studierende der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften, z. B. der Pädagogik, der Psychologie, der Soziologie, der Kommunikations- und Geschichtswissenschaft, der Ethnologie und der Anthropologie. Schließlich wendet es sich aber auch an Lehrer, Erzieher und andere Praktiker in sozialen Tätigkeitsfeldern, denen es ein fundiertes Hintergrundwissen vermitteln kann. Das vorliegende Wissen über Sozialisation lässt sich allerdings nur bedingt in Form einer Ratgeberliteratur präsentieren. Für den interessierten Laien folgt daraus, dass er einen nicht ganz einfachen, facettenreichen und zum Teil sehr skizzenartigen Lesestoff verarbeiten muss. Ihm wird bei Interesse für das eine oder andere Spezialgebiet die Last aufgebürdet, sich weiterführender und vertiefender Lektüre zuzuwenden. Dennoch kann auch er das Buch mit Gewinn lesen, weil die Sozialisationsforschung einen Einblick in jene Prozesse vermittelt, über die Individuen in soziale Beziehungen eingebunden sind. Sozialisationsforschung ist so gesehen auch für das Verständnis alltäglicher Bindungen (Partnerschaft, Familie, Freundschaften, Kollegen) und für die Anforderungen des Alltags (nach Versorgung, Pflege, Fürsorge) bedeutsam und sie hilft zu verstehen, wie individuelle Bedürfnisse nach Gestaltungsfreiräumen des Lebens mit eben jenen sozialen Verpflichtungen und Handlungsanforderungen zu vereinbaren sind, die uns durch das Leben in sozialer Gemeinschaft und Gesellschaft auferlegt sind. Zugleich bieten die einen oder anderen angeführten Beispiele Anknüpfungspunkte für die eigene Lebenspraxis. Sie zeigen Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Lebensführung und der Beziehungsgestaltung, z. B. zwischen Partnern, Eltern und Kindern, Freunden, Arbeitskollegen usw., auf. Sie verdeutlichen aber auch, dass und wie wir selbst verantwortlich sind für die soziale Welt, die uns umgibt. In diesem Sinne sprechen wir auch von Sozialisation als einer sozialen Praxis des Zusammenlebens, aus der heraus sich sowohl für die einzelnen Personen als auch für die soziale Gemeinschaft Konsequenzen ergeben: die Notwendigkeit des sozialen Verstehens und der Kooperation mit all den dazu notwendigen Erkenntnis- und Handlungsbefähigungen einerseits und die wechselseitige Bezugnahme auf gemeinsame Handlungsinteressen, Überzeugungen und Ressourcen andererseits. Um Sozialisation als eine soziale Praxis des Zusammenlebens zu begründen, wird im ersten Kapitel der Forschungsgegenstand selbst umschrieben. Zunächst wird die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs der Sozialisation aufgegriffen und dessen unterschiedliche wissenschaftliche Konnotationen herausgearbeitet. Daraus leiten sich erste Hinweise auf das abzusteckende Forschungsfeld ab. In Abgrenzung zu den Begriffen Entwicklung, Erziehung und Selektion wird eine erste Bestimmung des Forschungsgegenstands vorgenommen. Dadurch wird bereits verdeutlicht, wie Prozesse der Sozialisation auf Prozesse der Entwicklung und 13 Einleitung des kulturellen Wandels einwirken und zugleich von diesen beeinflusst werden. Im Anschluss daran wird ein theoretisches Rahmenmodell vorgestellt, auf das sich die skizzierten Forschungsstränge beziehen. Auf diese Weise lassen sich vorliegende empirische Befunde systematisch aufeinander beziehen. Aus dem Rahmenmodell ergibt sich eine umfassende Definition von Sozialisation, die der Perspektivenvielfalt des Forschungsgegenstands angemessen ist. Zugleich lassen sich allgemeine Prädispositionen für eine theoretisch umfassende Herleitung von Sozialisation bestimmen. Im zweiten Kapitel werden die Prozesse der sozialisatorischen Interaktion beschrieben, die im Zentrum der Theorie stehen. Zunächst gilt es, die bereits angedeuteten anthropologischen und bio-psycho-sozialen Grundlagen herauszuarbeiten, auf die Sozialisation aufbaut. Daran anschließend werden die an der Interaktion beteiligten Akteure beschrieben. Obwohl Sozialisation wesentlich durch soziale Bezugnahme von Akteuren gekennzeichnet ist, sind Individuen durch ihre Lebensumstände in die sozialisatorische Interaktion eingebunden und bringen sich auf spezifische Art und Weise in diese Interaktion ein. Aus den gemeinsamen Handlungsbezügen der Akteure in der sozialisatorischen Interaktion folgen spezifische Notwendigkeiten und Praktiken der Handlungskoordination, die insbesondere für Sozialisationsprozesse typisch sind. Diese Praktiken verweisen auf eine für Sozialisation typische Art der Gestaltung von Sozialbeziehungen, die sich unmittelbar aus den Grundlagen, den Akteursbezügen und den Notwendigkeiten der Handlungskoordination herleiten. Im dritten Kapitel werden insbesondere die sozialen Praxen der Beziehungsgestaltung beschrieben, aus denen sich Rückschlüsse auf die »Qualität« von Sozialisationspraxen und Sozialisationsverhältnissen ergeben. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf jenen generativen Sozialbeziehungen, die gemeinhin mit Sozialisationsprozessen in Verbindung gebracht werden: geschlechtsspezifische Beziehungspraxen, heterosexuelle Paarbeziehungen und familiale Beziehungspraxen. In einem zweiten Teil werden Sozialisationspraxen im sozialen Raum thematisiert, die durch Generationenbeziehungen, Generationenverhältnisse und institutionelle Handlungskontexte vorbestimmt sind. Die Beziehungen in diesen Sozialisationsfeldern sind gekennzeichnet durch soziale Vernetzungen Gleicher sowie sozialstrukturell und kulturell bedingte Kriterien der sozialen Bezugnahme (z. B. Status und Rollenbezüge), wie es etwa bei Gleichaltrigenbeziehungen der Fall ist. Dabei werden auch die sozialstrukturellen Verankerungen von Sozialisationsprozessen und die (sub-)kulturellen Variationen von Sozialisationspraxen thematisiert, die im Zentrum soziologischer Sozialisationsforschung stehen. Im vierten Kapitel wird die Aufmerksamkeit auf die Akteure der Sozialisation gerichtet und danach gefragt, wie deren Persönlichkeitsentwicklung durch Sozialisationserfahrungen und -bedingungen angeregt oder auch blockiert werden 14 Einleitung kann. Mit Bezug zu der im zweiten Kapitel beschriebenen sozialisatorischen Interaktion wird herausgearbeitet, wie Sozialisationserfahrungen die Erkenntnisgenese der Akteure anregen, ihr soziales Verstehen prägen und die Entwicklung sozialer Handlungskompetenzen beeinflussen. Diese Kompetenzen beschränken sich nicht auf ein Wissen darüber, welches Handeln sozial erwartet und positiv bewertet wird, sondern auch auf die Fähigkeit der Akteure, die Lebensverhältnisse, in die sie eingebunden sind, kritisch zu reflektieren und durch Einsicht aktiv mitzugestalten. Die Einbindung von Individuen in Sozialisationspraxen vermittelt ihnen erst jene pragmatischen Handlungsorientierungen und Handlungsbefähigungen, die sie in die Lage versetzen, sich sozial zu verorten und sozialstrukturell zu positionieren. Damit verbunden sind auch ihre Möglichkeiten, sich im System sozialer Ungleichheit – also ökonomisch und politisch – zu behaupten. Nachdem die zentralen sozialen und psychischen Einflüsse bzw. Wirkungsweisen von Sozialisation dargestellt wurden, werden im fünften Kapitel analytische Zugänge zum Forschungsgegenstand Sozialisation entworfen und Möglichkeiten der Interpretation vorliegender empirischer Befunde im Sinne der skizzierten Theorie vorgestellt. Dabei geht es vornehmlich darum herauszuarbeiten, wie die in Sozialisationspraxen angelegten sozialen Handlungsorientierungen und die soziale Verortung der Akteure in Sozialisationspraxen untersucht werden können. Im sechsten Kapitel werden die theoretischen Überlegungen mit einigen gesellschaftskritischen Reflexionen abgerundet. 15