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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
MARKUS BANDUR
Carl Orff: Carmina Burana
Originalbeitrag erschienen in:
Albrecht Riethmüller (Hrsg.): Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert: 1925–1945.
Laaber: Laaber-Verlag, 2006, S. 193-199
CarlOrff'.Carmina
Burana
VonMarkusBandur
Kompositionsdatum:1934 (Texteinrichtung),7935-t9 36 (Komposition).
Titel / Satzbezeichnungen:
Carmina Burana. Cantionesprofanae (Fortuna Imperatrix Mundi I. Primo Vere- Uf dem Anger- II. In taberna- IIL Coursd'Amour - Blanzifloret HelenaFortuna Imperatrix Mundi)
Erstaufführung:8. Juni 1937, StädtischeBühnen,Frankfurt am Main.
BeteiligteKünstler:Bertil \(etzelsberger(Dirigent),Oscar'!7älterlin(Inszenierung),
Ludwig Sievert (Bild).
Erstdruck:1937, Schott,Mainz.
g: 1.953, EugenJochum(Dirigent).
Ersteinspielun
Carl Orff wnd sein Werk. Dokumentation,Bd. IV, Tutzing1979,
s.66.
Ebenda, S. 71. Vgl. auch die Verbreitung dieser These etwa bei
\Terner Thomas, "Trionfo o oder
, Konswffi<<,in: International Journal of Musicology I (19921; zitiert
nach dem Abdruck in Carmina
Burana uon Carl Off. Entstehung
- .Wirkung - Text, hg. von Franz
\Tillnauer, Mainz und München
l g g 5 , s . 3 1 f f.
'Werk.
Carl Orff und sein
Dokum e n t a t i o n , B d .I , T u t z i n g I 9 7 5 , 5 .
69.
Nach 1945 verbreitete Carl Orff zwei Legenden zu Uraufführung und Rezeptionsgeschichte der Carmina Bwrana. So will er gegenüber seinen Verlegern, den Gebrüdern Ludwig und'S7illy Strecker vom Schott Verlag Mainz
glänzend
"nach der
verlaufenen Generalprobe" emphatisch geäußert haben, daß diese alles bisher GenMit Carmina Burana beschriebene und Veröffentlichte
"einstampfen" können:
ginnen meine gesammelten Werke.nl Zugleich beschrieb er rückblickend die Premiere mit Blick auf die zweite, für die Partei der NSDAP angesetzte Vorführung
am 12. luni 1937als "Pyrrhussieg",
da
'mehrere große Bühnen, nachdem sie noch am Abend der Uraufführung die Carmina Burana
für die kommende Spielzeit angenommen hatten, ihre Zusage aus fadenscheinigen Gründen
später wieder zurückzogen. Es war nur allzu leicht zu ersehen, daß dies nicht ganz freiwillig
geschah. Das Werk war, wie man inzwischen erfuhr, für 'unerwünscht, erklärt worden, so daß
an weitere Aufführungen vorerst nicht zu denken war."2
Orffs erste Aussage,die sich seit Mai 1945 belegenläßt, ist nicht in Übereinstimmung zu bringen mit der Fortsetzungder kompositorischenArbeit an früheren
'Werken
nach 1937. Und die zweite Behauptung widerspricht in wesentlichen Zigen der Rezeptionsgeschichte
der Carmina Burana in der Zeit desDritten Reichs.
Gleichwohl lassensich die Carmina Burana in der Tat als erste geschlossene
Ausprägungvon Orffs Personalstilauffassen,als Zusammenführungvon verschiedenenstilistischenMerkmalen, die der 1895 geboreneKomponist in der von ihm
selbstals "Lehrjahre bei den alten Meisteln*3 genanntenZeit von 1.9L9bis Anfang
der 30er Jahre ausgebildethatte. Denn erst nach einer Zeit der Orientierung an
Debussyund Schönberg,dessenHarmonielebreer durcharbeitete,nach Auseinandersetzungenmit Texten von Bertolt Brecht,Friedrich Nietzsche,Maurice Maeter-
194
linck und Franz Werfel in Liedern, Kantaten und Chorwerken, die ein umfangreiches Frühwerk bilden, folgte die Entdeckung der Opern Claudio Monteverdis,
dessenOrfeo, Ballo dell'Ingrate und Lamento d'Arianna er seit 1.924 in deutschsprachigerNeugestaltungfür die Bühne einrichteteund herausgab(1958 zusammengefaßt als Lamenti. Trittico teatrale liberamente tratto da opere di Claudio
Monteuerdi). In Richtung "alte Meister" ging auch seineTätigkeit als Dirigent des
Münchner Bachvereins(L930-r933), in deren Rahmen er die Aufführung seiner
szenisch-oratorischen
EinrichtungenderJohann SebastianBachirrtümlich zugeschriebenen Lukas-Passionund der Auferstehungs-Historievon Heinrich Schütz leitete.
orffs orientierung an der Einheit von Sprache,Musik und Szene,wie er sie aus
der frühen italienischenOpernästhetik und ihren Restitutionsbemühungeneiner vermeintlich antiken Auffassung von Musik und Drama herauslas,wurde in den 20er
Jahren ergänzt durch die Idee einer "Regeneration der Musik von der Bewegung,
vom Tanz her.1 - sicherlich nicht unbeeinflußt von Strömungendes aktuellen Musiklebens.Die 1924 in Zusammenarbeit mit Dorothee Günther erfolgte Gründung
der n6;111-rerschule
für Gymnastik,Musik und Tanz. (1,944dwch den Münchner
Gauleiter aufgelöst) stand in Zusammenhangmit demZiel einer engenVerbindung
von Musik und Tanz und führte seit 1931 zur Entwicklung des sogenanntenOrffSchulwerks, dessenmusik-, sozial- und heilpädagogischeZielsetzung als einer wesentlich auf der Idee eigenschöpferischerEntfaltung basierendenMusiklehre die
Heranführung an die "Urkräfte" und
"Urformen. der Musik durch Improvisation
und besondersauch mit der Hilfe neu entwickelter Schlaginstrumentebildete.
Der Kontakt zwischen Orff und den StädtischenBühnen Frankfurt am Main,
dem Ort der Uraufführung der Carmina Burana, wurde vermutlich durch Bertil
'V7etzelsberger
hergestellt,der dort seit 1933 als ErsterKapellmeisterund Operndirektor wirkte und Verbindungenzum SchottVerlag hatte, bei dem Orff unter Vertrag war.z Die BeziehungzwischenOrff und Frankfurt führte am 27. April 1935
zur Aufführung des zu diesem Zweck in Das Paradiesgärtlein umbenannten Kleinen Konzertsfär Cembalo und Bläser nach Lautensätzendes 16. Jahrhwndertsim
'Werken
Rahmen eines Ballettabendsmit
von Händel, Mussorgskij und Johann
'Wetzelsberger
Strauß.
leitete auch die Uraufführung der Carmina Bwrana, die
zugleichProgrammpunkt des in Darmstadt und Frankfurt tagendenTonkünstlerfestesdes AllgemeinenDeutschenMusikvereinswar, dessenAuflösung aus musikpolitischen Gründen zu diesemZeitpunkt schon beschlossenwar. Der Erfolg der
Premiereveranlaßtedie Frankfurter Oper eine'V7ochedanach, Orff eine nEhrengabe" in Höhe von 500 Reichsmarkzu gewähren,und führte gleichfallsauf Anregung des Intendanten Hans Meissner zu einem Brief des nationalsozialistischen
OberbürgermeistersFriedrich Krebs an Orff vom 15. Juni 1937, in dem Krebs der
Hoffnung Ausdruck gab, "11$ die so gltlcklich angeknüpfteVerbindung zwischen
Ihnen und der Frankfurter Oper auch in Zukunft sich bewährenund festigenwird".
Dies geschahauch, denn am 2. April 1938 schriebMeissner an Krebs:
Sommernachtstraum
scheitertimmerwiederdaran,daß
"Die Aufführungvon Shakespeares
nochkeineMusikgeschaffen
ist,die derkünstlerischen
HöhederDichtungebenbürtig
ist.Ich
möchtevorschlagen,dem Münchner TondichterCarl Orff, der durch die Carmina burana die
persönlicheEigenart seiner musikalischenErfindungs- und Gestaltungskraftunter Beweisgestellt hat, mit der SchaffungeinerMusik zu Shakespeares
Dichtungzu beauftragen.o3
Ein Honorar von 5.000 Reichsmarkwurde vereinbart - allerdingsvertraglich als
Vorschuß auf die zu erwartenden Aufführungstantiemendefiniert -, und Orffs
W e r k ed e r d r e i ß i g eJra h r e
Carl Orff und sein Werk. Dokumentation, Bd. III, Tutzing 1976,
s. 17.
Vgl. dazu Eva Hanau ,Irtrationalsozialistische Kultwrp olitik in Frankfurt und Carl Orff , in: Archiv für
Musikwissenschaft56 (1999), S.
2sjff .
Archiv des Orff-Zentrums München; zrtrert nach Hanau 1999, S.
253.
CarlOrff. CarminaBurana
4
5
6
7
Vgl. auch die Darstellung Orffs
aus dem Jahre 1963: Mwsik zum
,SommernachtstrAwm<<.
Ein Bericht, in Carl Orff und sein Werk.
Dokwmentation, Bd. V, Tutzing
1979,S.219-222.
Carmina Burana. Lateinische wnd
dewtscheLieder und Gedichte einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts aus Benediktbeuren,hg.von
Johann Andreas Schmeller, Stuttgaft 1847.
Vgl. dazu Carl Orff - Michel Hofmann. Briefe zur Entstehung der
Carmina Buranarhg. von Frohmut
Dangel-Hofmann, Tüt zing 1990.
Carl Orff 1979, Bd. IV, S. 41.
Vgl. auch ebenda,S. 40.
E b e n d a ,S . 3 8 .
Abgedruckt bei Dangel-Hofmann
1990, S. 142-149, und \Tillnauer
1 9 9 5S
, .r 5 g - r 7 0 .
Ulrich Schreiber, Opernführer für
Fortgeschrittene,Bd. IIV1, Kassel
2000,s. 677.
Ebenda, S. 679.
195
Komposition erklang am L4. Oktober 1939.1 Im Anschluß an diesen prekären
politischen Kompositionsauftrag, der als Verdrängung der \7erke des
"Juden"
Mendelssohnzu sehen ist, wurde Orff weiterhin an Frankfurt gebunden durch
einenI7erkvertrag, der mit 500 Reichsmarkpro Monat dotiert war, vom 1. April
1940 bis zum 31. M*z 1942lief und zur Uraufffihrung des BühnenwerksDie
Kluge am20. Februar L943 fihrte.
Den Auslöser für die Komposition der Carmina Burana bildete im Frühjahr
L934 Orffs Lektüre der Edition2 einer im Kloster Benediktbeurenaufgefundenen
Handschrift um 1230, die etwa 320 Texte aus verschiedenenTeilen Europas aus
der Zeit der davorliegendenJahrhundertwendeenthält. Diesesheute in München
befindliche Manuskript des Codex buranus gilt als umfangreichste und bedeutendste Sammlungsowohl von überwiegendweltlichen lateinischenals auch mittelhochdeutschenLiedern (nebeneinigenwenigengeistlichenSpielen),die - ftir die
Zeit der Entstehungunüblich - thematischgeordnet wurden.
Orff wählte unter Mithilfe des befreundetenBambergerStaatsarchivratsMichel Hofmann3 etwa 25 Texte aus dieserHandschrift aus, wobei er nach eigenem
Zeugnis die dort enthaltenenneumierten'Weisenunberücksichtigtließa,und bildete aus den einzelnen Vertonungen ein schon im Programmbuch der Uraufführung
als "szenischeKantaten5bezeichnetes
Gesamtwerk.Die 50 Minuten dauerndeKomposition verband er 1,953mit den
(Leipzig 1943)
"Ludi scaenici" Catulli carmina
und dem "Concerto scenico. Trionfo di Afrodite (Mailand 1953) zu einem abendfüllenden Gebilde unter dem Titel Trionfi. Orff, der um 1930 die Großform der
Kantate entdeckteund schon im Münchner Bachvereinmit der Begleitunggeeigneter
\ferke durch halbszenische,Bildprojektionen( begann, will die Idee zu einer szenischenAuffuhrung zwar rückblickend schon bei der erstenLektüre der Schmeller-Edition gehabthaben6,doch äußert er erst am1.2.Juni 1936 in einem Brief an Hofmann,
daß "dazu Bilder kommen [sollen]"; so enthält die Partitur zwar keinerlei Hinweise
auf die szenischeUmsetzung,doch spricht der Untertitel explizit von 'magischen Bildern": >cantoribus et choris cantandaecomitantibus instrumentis atque imaginibus
magicisn.Und Hofmanns Außerungenin seinerEinführung zur Uraufführung7,daß
,das innere'V7esen
des\Terkes [...] nach szenischerAufführung in einem Raum [ver''üTirkung
langt], der es gestattet,die
von Wort und Musik durch optische Mittel zu
unterstützenund zu vertiefen", daß die "von Orff beabsichtigtenBilder" keine
"Theaterwirkung(, sonderneine "sich an alle SinnewendendeRaumwirkung" beabsichtigen und somit uden musikalischenEindruck zu einem ganzheitlichenauszuweiten.
suchen,dürften direkt mit Orffs Vorstellung in Beziehungzu setzensein.
Das auf die mediterraneAntike bezogeneEinheitsdenken,die Heimatverbundenheit mit Bayern, die Erfahrungenmit'$TerkenMonteverdis, die Konzentration
auf Rhythmus und Bewegungim SchulwerAsowie der Einfluß von Igor Strawinskys Noces (L923) lassenOrff in der Musik der Carmina Burana 'aus dem von der
Obrigkeit erwünschtenVerzicht auf Experiment und Konstruktivität, auf Schock,
Atonalität und Amoralität eine eigeneAsthetikusentwickeln:
,Überzeugt
vom historischen
Endstadium
der abendländischen
Musikentwicklung,
wollte er
'Wagners,
ein Gesamtkunstwerk
außerhalbdesEinflußkreises
sozusagen
im Rückgriffauf die
Entstehung der Oper um 1600, entwickeln: als innere Einheit von Musik, Spracheund Gestik."e
Orff griff zu diesemZweck bewußt über den historischenEntwicklungsgangder
musikalischenSprachehinweg zu vermeintlich vormodernen Techniken der Fak-
196
W e r k ed e rd r e i ß i g eJra h r e
Bühnenbildentwurf von Ludwig Sievert zur Uraufführung der Carmina
Burana in Frankfurt am Main 1937.
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turbildung und stützte seine kompositorischenVerfahren auf grundlegendeund
basaleModelle musikalischerZusammenhangbildungwie Repetition, Reduktion
sowie die Verwendung von elementaren Zel\en, die der Rezeption durch eine intendierte Primitivität entgegenkommenund das'Werk in der Form eines 'neuen
Kollektiverlebnisses"zu einer "Gebrauchskunstfür Massen" bzw. - pointiert formuliert - einer Art "Rock'n'Roll für die gebildetenStände"1werden lassen.
1 E b e n d a ,S . 6 7 8 u n d 6 8 0 .
2 Arnold Feil, Metzler Musikchro-
Das kompositorischeGefügeoentstehtnicht wie sonstmittels einesentwickelnden,auf Fortspinnungoder auf thematischerArbeit beruhendenmusikalisch-kompositorischen
Satztechnik,
sondernüber musikalischstatischeFundamentaltechniken
wie Bordun, Orgelpunkt,Tonwiederholung,Ostinato,\ü(echselklang,
Dur-Moll-\(echselals vorharmonischerKlangflächenkontrast, Mixturspaltungund -ballungu. ä. Der Klang wird dabeiin der Regelaus Formelnoder
Klangzellenentwickelt,und zugleichwerdenüber erkennbarabschnittsweise
gebildeteWiederholungenmusikalischeFormengebildet(Rondo-Architektur)."2
nik uom frühen Mittelalter bis zur
G egenwart, Stuttgart und'Weimar
1993,5.736.
'S7.
Theodor
Adorno, Strawinsky.
Ein dialektischesBild, in: Quasi
unt fantasia, Frankfurt a.M. 1963;
zitiert nach: Gesammelte Schriften, Bd. XVI, Frankfurt a.M. 1978,
Hinzukommt eine Dominanz des Perkussiven (auch durch vokales Skandieren)
und des rhythmischen Parameters in der musikalische Faktur, die im Orchester
durch das reichbesetzte Schlagzeug mit zwei Klavieren unterstrichen wird, jedoch
- gerade im Gegensatz zu den im Vergleich haufig herangezogenen Noces von
'Werke
Strawinsky und seiner anderen
aus der "russischen Periode" - über die
Akzentuierung simpler und geradzahliger rhythmischer Ablaufsbildungen nie hin'W.
ausgeht. Theodor
Adorno, der auffälligerweise die Carmina Burana nicht zur
Illustration seiner auf Strawinsky gemünzten Thesen in der Philosophie der newen
Musik anführt, spricht vor diesem Hintergrund an anderer Stelle von einem "musikalischen Opfer" Orffs, da dieser dadurch, daß er die "Schlagwirkung gänzlich
dem Primat der Dramaturgie unterstellte, [...] auf den Rest einer kompositorischen
Autonomie verzichtet".3 Die Abwesenheit von komplexen harmonischen Verläu-
s.394.
CarlOrff'. CarminaBurana
197
fen sowie die Ausschaltungder Strebewirkungin der Klangbildung und der \7egfall von polyphonen Technikenfokussierensowohl das Erlebender Mitwirkenden
wie der Zuhörer auf den elementarenBereichder rhythmisch höchst faßlich gegliederten Zeitgestaltung. Orff selbst verwendet zur musikalischen Charakterisierung
die entsprechendenVokabeln, wenn er rückblickend erläutert, daß die Musik der
Carmina Burana ihre "'Wurzeln und Quellen" in den "Anfängen des Schulwerk
und der damit verbundenenEntwicklung eineselementarenMusikstils" hatte und
daß schon die'Werfel-Kantaten(1930) die "ersten klaren Konturen einesauf Bordun und Ostinato aufbauendenStils" aufwiesen.Und geradeals ein
"besonderes
Stilmerkmal" hob er die "statischeArchitektonik" hervor:
7 Carl Orff 1979,Bd. IV S.43.
2 E b e n d aS, . 6 4 .
3 Carl Orff im Gesprächmit Wolfgang Seifert,in: Neue Zertschrift
für Musik 131(1970),Heft 718;zitiert nach\Tillnauer1995, S.300.
4 Ebenda.
5 So laut der Chronologie bei \fillnauer 1995,S. 267 f .
6 Michael H. Kater, Carl Off im Dritten Reich, in: Vierteljahrsheftefür
Zertgeschichte43 (1995), S. 11.
7 Y gl.\Tilhelm Altman n, Statistischer
Überblick über die im Winter 1941/
42 stattfindenden Reihenkonzerte,
tn: Zeitschrift für Musik 109 (1,942),
Heft 3, S. 104, ders., Statistischer
Überblick über die im'Winter 1942/
4 3 stattfindenden Reihenkonzerte,
e b e n d a1 1 0 ( 1 9 4 3 ) ,H e f t 2 , 5 . 6 4 .
B Hochkwltur und Volkskunst, in:
Zertschrift für Musik I04 (1937),
s. 873.
9 DTZ-Berichte: Das letzte Musikfest desADMV,in: DeutscheTonkünstler Zeitung 33,Heft 10 ( 19361
37),5.264.
10 68. Tonkünstleruersammlung des
Allgemeinen Deutschen Musikuereins in Darmstadt wnd Frankfurt, Allgemeine Musikzeitung, Nr.
2 6 ( 1 9 3 7 ) ,S . 4 1 0 .
I 1 D ie deutsche Tonkünstleruersammlwng, in: SchweizerischeMusikzeitung,Nr. 14115(1937), S. 455.
Aufbaukenntsie[dieMusik derCarminaBurana,Anm.d. Verf.]keine
"In ihremstatischen
Entwicklung.
Eineeinmalgefundene
Formulierung
[...] bleibtin allenihrenWiederholungen
gleich.Auf derKnappheit
derAussage
beruhtihre\Tiederholbarkeit
und'Wirkung".l
Im Nachhinein stellteOrff die'Wahl der textlichen Vorlage in einen dezidiert politischenKontext und versuchtedamit zu begründen,wieso "von Parteiseiteimmer
wieder Einwände gegendas inzwischenschon verketzerte\7erk erhoben wurden.
da man allein schon den lateinischenText als Provokation empfand".2 Die Entscheidungfür diesen"gültigen Stoffo sollte dadurch in seinerSicht
"1937 aus der
historisch-politischenSituation heraus" verstandenwerden als ein bewußtesBekenntnis zu einem "europäischenStoff", der nicht >Blut und Boden" verkörperte- ,gegen gewisseStrömungender damaligenZeit war das ein bewußtesOpponieren".'
Auch wenn Orff behauptete,daß erst seit 1940 andereeuropäischeBühnen es
läßt sich ange"riskiertenn, die Carmina Burana in ihren Spielplanaufzunehmena,
sichtsder geschildertenFortsetzungder Verbindung mit der Frankfurter Oper und
der Aufführungsdatenim fraglichenZeitraum keineswegssein Schlußnachvollziehen, daß dies mit einer grundsätzlichablehnendenHaltung nach der Premierezusammenhing,denn tatsächlichwurde noch vor 1940 in Dresdenunter Karl Böhm.
1941 in Aachen unter Herbert von Karajan, 1,942in I7ien, Mailand, Hamburg.
sowie 1944 in Münchensdas'Werk schon 1938 in Bielefeldund 1.939zum zweiten
Mal in Frankfurt aufgeführt6und anschließendim'Winter 194111942in Köln und
München sowie im'V7inter1942/1,943in Göttingen,Köln und Wuppertal gegeben.Auch die Besprechungender Uraufführung vermitteln mehrheitlich gerader-or
dem Hintergrund desverwendetenzeittypischenVokabulars eine durchweg positive Aufnahme. So lobt Horst Büttner das \ferk als nHohelied auf die Kraft ungebrochener Lebensinstinkten,als musikalisches"Zeugnis für die unzerstörbare.
immer wieder hervorbrechendeMacht der Volksweise,ihrer Melodik und ihrer
rhythmischen Gewalt" und betont, daß wenn >das deutscheMusikschaffen der
Gegenwartschonein derartiges'Vferkherausstellenkann, dann brauchenwir s'ohl
keine Sorgehaben, daß die allgemeineSehnsuchtnach ,volksverbundenerKunsr.
unerfüllt bleibt".8 Eberhard Preußner würdigt einen "bedeutsamenErfolg", sin
"schöneseinmaligesGelingen,einen neuen Ansatzpunkt für die szenischeMusik
zu gewinnen*e,Ernst Kroll vermerkt den >stärkstenEindruck desFestes<mit "ungewöhnlich starkem Beifall"10,Karl Holl lobt den "Ausdruck objektiven, gemeinschaftlichenGeistes" und sieht in diesem'Sferk den Beweis, "in welchem Grade
unsereTonkunst nach einer Epoche hochgetriebenerinstrumentaler Abstraktion
aus dem Singenund der Sanglichkeitneue Lebenskraftschöpfenkanno.rr
Die Frage,wie die Carmina Burana vor dem Hintergrund der nationalsozialistischenAsthetik zu bewertensind und in welcher Form Orffs künstlerischesIdeal
198
mit dem \Teltbild desFaschismusdeutscherPrägungkonvergierte,wird gegenwärtig haufig unter Hinweis auf das politischeVerhalten des Komponisten im Dritten
Reich beantwortet. Orff, der nie Mitglied der NSDAP war, doch
"zweifellos zu
den drei oder vier bedeutendenKomponisten im Dritten Reich zu zählenist"1, galt
zwar vielen als pronazistischerProtagonist, doch fanden sich immer auch Stimmen, die ihm politische Unbotmäßigkeit attestiertenund ihm nachsagren,daß er
das Hitler-Regime schon zu Beginn durchschauthabe (auch wurden die Carmina
Burana 1.966 erctmalsin der israelischenNationaloper aufgeführt).2'Wenngleich
Orff anfänglich rechtsgerichtetenKreisen seit 1930 wegen vereinzelterKontakte
zu links orientierten Persönlichkeitenund der Betonung des rhythmischen Elements in seinemkompositorischenund pädagogischen'Werksuspektwar und Herbert Gerigk am L6. J:uni1,937im VölkischenBeobachtereinenVerriß der Carmina
Bwranapublizierte3,kam es doch niemalszu einer der damals durchausmöglichen
,'$ps11sn.der Komposition auf deutschenBühnen.aOrffs Mitwirkung an den OlympischenSpielenin Berlin 1936 mit einem eigensdafür komponierten Olympischen
Reigenund seineBeteiligungan der Verdrängungder Musik Mendelssohnsdurch
eineNeuvertonungvon Shakespeares
Sommernachtstraumsowieder Versuch,sein
Schuluterk(dasentgegenOrffs nachträglicherBehauptungkeinesfallsverbotenwar)
innerhalb der nationalsozialistischen
Pädagogikzu etablierens,lassenhingegenden
Schluß zu, daß er - gestützt nicht zuletzt durch einflußreiche Musikkritiker des
Regimes- spätestensseit der Dresdner Aufführung der Carmina Burana L940
seineberufliche Position soweit gefestigthatte, daß von einer im Ganzengesehen
"glanzvollen Karriere im Dritten Reichn6gesprochenwerden muß, die ihm bis
1945 zahheicheVorteile verschaffte.DiesespersönlicheVerhalten, das aus heutiger Perspektivezumindest als Anpassung,Opportunismus bzw. Mitläufertum gewertet werden kann, wird bestätigt nicht nur durch Orffs Taktik nach 1945, aus
Angst vor einem Berufsverboteiner entsprechendbelastendenBewertung durch
die Entnazifizierungsbehörden
dadurch zu entrinnen, daß er sich gegenüberdem
für ihn zuständigenamerikanischenOffizier (einem ehemaligenSchüler)als Mitbegründerund Mitglied des Münchner \Tiderstandskreisesder Weif|en Rosetm
den mit ihm befreundetenKurt Huber ausgab.TAuch die Selbstdarstellungseines
Verhaltensim Dritten Reich läßt seinePersönlichkeitdurch die offenkundigeStrategie der Verschleierungund Abwiegelung,durch das bewußteAuslassenund Verfälschen von entsprechendenDetails aus diesem Zeitraum durchaus zwiespältig
erscheinen.
Doch Antipathie (gegenüberdem Komponisten) sowie ein differierenderMusikgeschmack(mit Blick auf die Komposition) allein reichen für die häufig geäußerte Beurteilung der Carmina Burana als Inbegriff faschistischerMusiks nicht
'$7erks
aus; die Frage nach dem Verhältnis des
zu seinempolitisch-weltanschaulichen Umfeld laßt sich einzig durch subjektiveÜberzeugungennicht beantworten.
Den klaren Kriterien von Auftragsstellungund intendierter Funktionalität im machtund parteipolitischenApparat (etwa durch die Verwendung eines eindeutig verherrlichendenoder ideologietragendenTexts, der wie bei vielen anderenKomponisten dieserZeit explizit sympathisierendeZüge einesKomponisten mit dem totalitären Regime bekundet), entziehensich die Carmina Burana allerdings durch
Entstehungsgeschichte
und Textauswahl, was ihre ubiquitäre Verwendung im
musikalischenLeben sowie als beliebtesund scheinbar unverdächtigesProdukt
massenmedialerVerwertung nach 1945 erst ermöglicht hat. Und einzelnein den
Carmina Burana vorherrschendemusikalischeund ästhetischeCharakteristikawie
W e r k ed e rd r e i ß i g eJra h r e
I Kater 1995 , S. 2.
2 Vgl. im Einzelnenebenda,S. zff .
3 Gerigk, der die Carmina Burana
4
5
6
7
als >problematischesOpernwerk<
bezeichnet,bezieht sich dabei sowohl a\f die Unverständlichkeit
der Liedertexte als auch auf Orffs
Musik: oDer Musikstil von Orff
ist lapi dar. Da werden eigentlich
nur die Melodien nebeneinander
gesetzt.Die Elemente der formalen Entwicklung sind \Tiederholung und rhythmische Bindung.
Die Melodik erinnert vielfach an
das Kinderlied. Dann gibt es wieder Stellen, die trotz der bewußten Primitivität unverkennbar
Sprößlingeeiner Überkultur sind.
Man glaubt gelegentlichdie ganze Urwüchsigkeit einer elementaren Tonsprachezu hören, und an
anderer Stelle macht sich dann
wieder eine Jazzsttmmung breit. "
SeinResum6e:"Man erlebteeinen
interessanten Einzelfall, den man
als Kuriosum zur Kenntnis nehmen
könnte. Aber anscheinendsoll dies
nur ein Auftakt sein für eine ganze Musikrichtung ähnlicher Art.
Das wäre dann keine Frage der
Kunst mehr für uns, sondern eine
Angelegenheit der Kwltwrpolitik
wnd der Weltanschauung.<<
Vgl. ebenda, S. 9ff.
E b e n d a ,S . 1 5 f .
E b e n d a ,S . 2 0 .
Vgl. ebenda, S. 23ff . Siehe dazu
auch Michael H. Kater, The twisted Muse, New York 1997; deutsch
'Wien
aIs:Die mil3brauchte Mwse,
1998, S. 360ff.; Michael H. Kater,
Composers of the l,JaziEra. Eight
Portaits, New York und Oxford
2000, S. l IIff ., sowie David Monod, Verklärte Nacht: Denazifying
Musicians under American Control, in: Music and lr{azism. Arts
wnder Tyranny, 1933-1945, hg.
von Michael H. Kater und Albrecht Riethmüller, Laaber 2003,
s. 292ff.
VSl. die Beispielsammlung entsprechenderPolemiken bei Kater
2 0 0 0 , S . 11 3 f . u n d S . 1 2 8 .
ArthurHonegger'.
Jeanned'Arcau bücher
Vgl. schon zur Uraufführung der
Carmina Burana \Talter Abendroth, Tonkünstleruersammlung des
ADMV in Darmstadt/Frankfwrt
a.M., in: DeutscheMusikkultur 2,
Heft 3 (1937138),S. 178:
"Die Primitivität der Satztechnik und der
Formanlage wirkt hier nicht störend, sondernd monumentalisierend. DieseMusik ist ein Triumph
bewußter Einfachheit...o
199
etwa Besetzung,rhythmischeDominanz, Simplizität, Geschichtsbild,Archaik und
Monumentalität als genuin faschistischzu qualifizieren,liefe einzigauf eine Verbotsliste zahlreicher Musikwerke seit dem Mittelalter hinaus und würde ganze
Gattungen in Mißkredit bringen, da es keine musikalischenMerkmale gibt, die
ausschließlichim Kontext des Dritten Reichsbegegnen;es kommt hinzu, daß von
einer klar umrissenennationalsozialistischen
Musikästhetik nur schwerlichgesprochen werden kann.
ITerden aber die charakteristischeKonstellation der spezifischenmusikalischen,
szenischen,textlichen Elementeund die Entstehungszeitdes Werks aufeinander
bezogen,läßt sich der Eindruck kaum abweisen,daß die hinter den Carmina Burana stehendekünstlerische Grundüberzeugung und ihre kompositorische Umsetzung mit der nationalsozialistischenWeltanschauungdurchaus gemeinsameAspekte aufweist, die inhaltlich und nicht nur durch eine bloß metaphorischeEbene
miteinander verbunden sind.
Zu nennensind etwa Merkmale wie die Auflösung individueller Vielfalt in eine
bloß akklamatorischeFunktion der Masse, die gleichsam maschinenhaft-rhythmisch gedachtensozialenAbläufe, denen sich das Individuum zu unterwerfen hat
bzw. freiwillig unterwirft, die gezielteEinbindung des Einzelnen in hierarchisch
oder ständischgegliederteKollektive im Sinneeinesgegenüberdem modernen Individualismss "gesünderen"Volksbegriff und die Reduktion des subjektivenAusdrucks auf eine gleichsamunpersönlicheEntäußerung.Hinzu treten die intendierte Überwältigungsabsichtdurch das Gemeinschaftserlebnis,
die aus der Asthetik
des Erhabenenins Triviale umgemünzteRolle von Monumentalität1 als Ziel von
Massenveranstaltungen,
Simplizität, Statik und Wiederholung als gleichsampropagandistischeMittel zur Steigerungder Aussagesowie die Kaschierungmoderner
Techniken durch Verklärung von Mittelalter und Volksgemeinschaftmit dem Rückgriff auf vermeintlichesVolksgut.
Auch wenn sich viele dieserCharakteristikaan zahlreichenideologietragenden
Musikwerken in anderentotalitären Systemenbeobachtenlassen,so verweistdoch
das hier nur ausschnittsweise
angeführteEnsemblevon Merkmalen auf einen bestimmtenhistorischenOrt mit seinemfest umrissenenMenschen-und Gesellschaftsbild. Lassensich somit Orffs Carmina Burana als musikalischeVerkörperung der
nationalsozialistischen'Weltanschauung
begreifen,so stellt sichvon neuemdie Frage
nach den Gründen ihres weltumspannendenErfolgs nach 1945.
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