Was heißt es, etwas verstanden zu haben?

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Forschung & Lehre 12|09
WIE LERNT DER MENSCH?
Was heißt es, etwas
verstanden zu haben?
Menschliches Lernen aus der Sicht der Psychologie
| R A L P H S C H U M A C H E R | Es gibt verschiedene Formen des menschlichen Lernens wie beispielsweise die der Konditionierung.Welche Grenzen hat diese Art des Lernens? Wie funktioniert „verstehendes Lernen“,
und wie lässt sich Gelerntes auf neue Situationen übertragen? Neue Erkenntnisse der psychologischen Lehr- und Lernforschung.
ir Menschen teilen einige
eine Ratte in einem Versuch einen beFormen des Lernens mit
stimmten Hebel und wird daraufhin mit
anderen Lebewesen. Dies
Futter belohnt, so wird durch diesen
gilt für die klassische Konditionierung,
verstärkenden Reiz die Häufigkeit diebei der ein zunächst neutraler Reiz
ses Verhaltens erhöht. Das operante
durch assoziatives Lernen mit bestehenKonditionieren spielt auch beim Menden Verhaltensweisen verknüpft wird.
schen eine Rolle, wenn es beispielsweiEin berühmtes Beispiel ist der Pavlovse darum geht, erwünschtes Verhalten
sche Hund, der so konditioniert wurde,
durch positive (Belohnung) oder negatidass nicht erst die Präsentation von Futve Verstärkung (Entzug unerwünschter
ter (unkonditionierter Reiz), sondern
Reize) aufzubauen.
bereits das vorangehende
Klingeln einer Glocke
»Dem Lernen als Konditionierung
(konditionierter Reiz) zu
sind klare Grenzen gesetzt.«
vermehrter Speichelproduktion führte. Beim Menschen spielt die klassische KonditionieBeide Formen des Lernens durch
rung unter anderem bei der Gestaltung
Konditionierung zeigen sich stets in
von Signalen eine Rolle, indem durch
Verhaltensänderungen. Zudem werden
assoziatives Lernen beispielsweise Verdurch sie keine gänzlich neuen Verhalkehrsschilder mit bestimmten Reaktitensweisen erzeugt, sondern nur besteonsmustern verbunden werden.
hende Reaktionsmuster an neue Reize
Auch das operante Konditionieren
gebunden bzw. die Häufigkeit von
zählt zu den Formen des Lernens, die
spontan gezeigtem Verhalten verändert.
Menschen und anderen Lebewesen geAber nicht alle Formen menschlichen
meinsam sind. Dabei wird die HäufigLernens lassen sich auf diese Weise bekeit von ursprünglich spontanem Verschreiben. Denn erstens finden sich bei
halten durch verstärkende oder abMenschen Lernprozesse, die sich nicht
schwächende Reize verändert. Drückt
durch Konditionierung herbeiführen
lassen. Zum Beispiel kann man durch
AUTOR
Konditionierung niemanden zu der Einsicht bringen, warum ein kleines Stück
Dr. Ralph Schumacher,
Eisen im Wasser untergeht, während
Institut für Verhaltenswissenein großes Schiff aus Stahl schwimmt.
schaften, gehört zum LeiStattdessen sind dafür Instruktionen
tungsteam des MINT-Lernwie Erklärungen erforderlich. Zweitens
zentrums der ETH Zürich. Bei
den MINT-Fächern handelt es
gibt es für uns Menschen typische Forsich um Mathematik, Informen des Lernens, die nicht zu Verhalmatik, Naturwissenschaften
tensänderungen führen: So schlägt sich
und Technik.
die Einsicht in die Newtonschen Axio-
W
me nicht in Verhaltensänderungen nieder.
Dem Lernen als Konditionierung
sind also klare Grenzen gesetzt, denn
verstehendes Lernen lässt sich damit
nicht erfassen. Aus diesem Grund ist es
wichtig, zwischen Lernen als Verhaltenssteuerung und Lernen als Wissenskonstruktion zu unterscheiden. Das Besondere am menschlichen Lernen liegt
darin, dass Lernprozesse wie das Verstehen von Konzepten und Zusammenhängen nicht als Veränderung des Verhaltens, sondern nur als aktive Konstruktionsprozesse beschrieben werden
können, bei denen im Zuge der Umstrukturierung des Begriffswissens geistige Repräsentationen verändert werden. Dies gilt besonders für das schulische Lernen.
Intelligentes Wissen als Lernziel
Was heißt es, etwas verstanden zu haben? Eine Anforderung besteht darin,
dass man das betreffende Konzept beschreiben und mit Beispielen erläutern
kann. Geht es um die „Goldene Regel
der Mechanik“, wonach man bei einer
einfachen Maschine wie dem Hebel das
beim Weg zusetzen muss, was an Kraft
eingespart wird (und umgekehrt), dann
muss man in der Lage sein, diesen physikalischen Zusammenhang darzustellen und an Beispielen zu erläutern. Eine
weitere Anforderung liegt darin, dass
man dieses Konzept unter Bezug auf
andere Konzepte erklären kann. In dem
vorliegenden Fall bedeutet dies, dass
man unter Bezug auf das Konzept der
mechanischen Arbeit als dem Produkt
von Kraft und Weg erklären kann, warum bei gleichbleibender Arbeit der
Weg größer werden muss, wenn man
die Kraft verringert. Zudem sollte das
Wissen flexibel einsetzbar und auf ober-
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Die Balkenwaage als geistiges Werkzeug beim Verstehen des Konzepts der Dichte: Geistige Werkzeuge erleichtern es, Gemeinsamkeiten
zwischen oberflächlich unterschiedlichen Aufgabenstellungen zu erkennen – und ermöglichen so den Wissenstransfer. (Siehe: Hardy, I.,
Schneider, M., Jonen, A., Möller, K. & Stern, E. (2005). Fostering diagrammatic reasoning in science education. Swiss Journal of Psychology,
64, 207-217.)
flächlich unterschiedliche Fälle wie den
problemlösungsrelevanter Kriterien rewissen aktiv umzugestalten. Ein wichtiFlaschenzug oder die schiefe Ebene
präsentiert wird. Dies bedeutet beiger Ansatz besteht darin, die Lernenden
übertragbar sein.
spielsweise, dass Kinder lernen, dass
mit Aufträgen zur Erklärung von KonDie entscheidende Voraussetzung
Gewicht nicht das ist, was sich schwer
zepten und Zusammenhängen dazu zu
für die Übertragung von Gelerntem auf
anfühlt, sondern was sich mit einer
bringen, den Lernstoff gezielt zu durchneue Situationen besteht darin, dass die
Waage messen lässt. Wer verstanden
denken. Mit solchen Aufträgen können
gemeinsamen Elemente in der Lernhat, dass es sich bei Schall und Licht um
sie zum Beispiel angeleitet werden, die
und Anwendungssituation erkannt werWellen handelt, der wird trotz oberPerspektive anderer Personen zu überden. Allerdings ist die
nehmen und zu überlemenschliche Kognition
gen, wie sie einen an»Das Lernziel lautet, intelligentes Wissen auf- spruchsvollen Zusamin hohem Maße bereichsspezifisch, so dass
menhang jemandem erzubauen, das die Übertragung von Lösungsein spontaner Wissensklären würden, der nicht
strategien auf neue Situationen ermöglicht.«
transfer zwischen verüber ihr Wissen verfügt.
schiedenen InhaltsbereiAuch Misskonzepte laschen nicht stattfindet. Der Transfer
flächlicher Unterschiede in der Lage
sen sich damit produktiv in den Unterbleibt aus, weil die Gemeinsamkeiten
sein, den Doppler-Effekt vom Schall auf
richt einbeziehen, indem man den Lerder Lern- und Anwendungssituation
das Licht zu übertragen.
nenden den Auftrag gibt darzustellen,
nicht gesehen werden. Das Lernziel inswie man jemandem, der eine bestimmte
besondere beim schulischen Lernen beDie Förderung schulischen
Fehlvorstellung hat, etwas richtig erklästeht deshalb darin, intelligentes Wissen
Lernens durch kognitiv aktiren würde. Besonders wichtig ist, dass
aufzubauen, das die Übertragung von
vierende Lernformen
die Aufträge inhaltlich auf den Lernstoff
Kenntnissen und Lösungsstrategien auf
Die psychologische Lehr- und Lernforabgestimmt sind und das richtige Anneue Situationen ermöglicht.
schung hat eine Reihe von Lernformen
spruchsniveau haben. Generell gilt, dass
Wichtig ist dabei die Umstrukturieentwickelt, mit denen sich der Aufbau
solche Lernformen nicht als allgemeine
rung des Begriffswissens: Begriffliches
intelligenten Wissens im Unterricht förRegeln, sondern nur eingebettet in die
Wissen muss so verändert werden, dass
dern lässt. Sie werden als kognitiv aktiUnterrichtsinhalte vermittelt werden
es nicht nach Oberflächenmerkmalen,
vierend bezeichnet, weil die Lernenden
können: Lernstrategien sind zwar lernsondern anhand theoriegeleiteter und
durch sie angeregt werden, ihr Begriffsbar, aber nicht abstrakt lehrbar.
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