KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare DIRECTORY (if in english) INHALT Biografie 2 Biographie Werke Orchestermusik Opern Kammerorchester Kammermusik Klaviermusik Chormusik Filmmusik 3 3 4 4 6 7 7 Works music for orchestra operas chamber orchester chamber music piano music choral music soundtracks Discographie 8 Discographie Essays über ... Christian Bruhn Karl Heinz Wahren von Bruhn Norbert Schultze Helmut Brandt Erich Schulze 9 16 19 27 28 Reden zu ... 100 Jahre GEMA 50 Jahre DKV Gerald Humel 31 34 40 Kritiken zu ... Magnificat Du sollst nicht töten Fettklößchen Bayreuther Impressionen Friedensoratorium Geburtstagskonzert Essays about ... Christian Bruhn Karl Heinz Wahren by Bruhn Norbert Schultze Speeches about ... 100 years GEMA 50 years German association of composers Cutups about ... 43 44 46 50 50 51 Comments Werkkommentare Brandenburgische Revue Ecce Homo Auf der Suche nach dem verlorenen Tango Magnificat At this moment Entführung aus dem Köchelverzeichnis 52 52 53 53 53 54 Abduction from the Köchel catalogue Kontakt 55 Contact 1 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Karl Heinz Wahren, geboren 1933 in Bonn, wuchs in Gera/Thüringen auf und studierte ab 1953 am Städtischen Konservatorium in Berlin-West. Ab 1961, nach seinem Abschlussexamen an der jetzigen Universität der Künste Berlin, gehörte er zum Schülerkreis Josef Rufers, studierte privat bei Karl Amadeus Hartmann in München und war 1965 Mitbegründer der Gruppe Neue Musik Berlin. 1969 erhielt Wahren den Rompreis (Villa Massimo), 1970 Preis des „Rostrum of Composers“ (UNESCO Paris) für das Werk „Du sollst nicht töten“ für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband. Er war mehrmals Stipendiat der „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt. 1978 konnte er den Förderungspreis der Berliner Akademie der Künste entgegennehmen, 1994 das Bundesverdienst-kreuz, 2001 den GEMA-Ehrenring, 2003 die Werner-Egk-Medaille (Schott Musik International). Von 1981 bis 2003 war er Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, von 1990 bis 2004 Präsident des „Deutschen Komponistenverbandes“. 2003 wurde ihm die GEMA-Ehrenmitgliedschaft verliehen und 2004 wählte ihn der Deutsche Komponistenverband zu seinem Ehrenpräsidenten. Sein Œuvre weist gegenwärtig etwa 60 Kammermusik-kompositionen, 20 Orchesterwerke, einige Filmmusiken und drei Opern auf: „Fettklößchen“ (Dt. Oper Berlin, 1976), „Goldelse“ (Berliner Festwoche, 1987) und „Galathee, die Schöne“ frei nach Franz v. Suppé (Dt. Oper Berlin, 1995). Orchesterwerke Wahrens wurden als Rundfunkaufführungen in über 40 Ländern weltweit gesendet, Kammermusikaufführungen fanden in den meisten europäischen Ländern statt, außerdem in den USA, in Südamerika, Australien und Japan. Ein Teil dieser Werke ist auf insgesamt 12 CDs dokumentiert. Karl Heinz Wahren verfasste zahlreiche Rundfunkbeiträge, Aufsätze, Essays und Vorträge über zeitgenössische Musik. 2003 ernannte ihn der Bayerische Kulturminister Hans Zehetmair zum Honorarprofessor. Er lebt als freischaffender Komponist in Berlin. Karl Heinz Wahren, born 1933 in Bonn, he grew up in Gera/Thuringia; began to study piano and composition in 1953 in Berlin-West at what is today the “Universität der Künste”, where he graduated in 1961; continued his studies under Josef Rufer (Berlin) and Karl Amadeus Hartmann (Munich); co-founder of the “Gruppe Neue Musik, Berlin” in 1965. Awards: 1969 “Rompreis” (1 year at the Villa Massimo); 1970 award of the “Rostrum of Composers” (Unesco, Paris) for his orchestral cantata “Du sollst nicht töten!” (Thou shalt not kill); 1978 award of the “Akademie der Künste”, 1994 Order of Merit (of Germany); 2001 ring of honour of the GEMA; 2003 Werner Egk medal (Schott Music International) and (the same year) honorary member of the GEMA. From 1981 till 2003 he was a member of the “GEMA-Aufsichtsrat”. From 1990 to 2004 he was the president of the German association of composers. Wahren´s musical works spans nearly all musical forms and includes 3 operas – “Fettklösschen” after Maupassant, Deutsche Oper Berlin, 1976; “Goldelse” (libretto Volker Ludwig), Berliner Festwochen for the 750th anniversary of the city of Berlin, 1987; “Galathee, die Schöne” (libretto Thomas Höft) freely adapted from Suppé, Deutsche Oper Berlin, 1995 – as well as 20 orchestral works, more than 60 compositions of chamber music using various instruments and several choral works and film as well as Jazz scores. A selection of his works is available on CD. Wahren is also the author of numerous articles, essays and radio programmes about music. Following a series of lectures he gave at the Munich academy of music and theatre, he was named honorary professor in 2003. He also was named honorary president of the German association of composers in 2004. Wahren works as a freelance composer in Berlin. 2 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Orchesterwerke (Auswahl) Opern Klavierkonzert in 3 Sätzen, UA (Uraufführung) 1968 Fettklößchen Opera buffo nach Guy de Maupassant Libretto: Claus H. Henneberg und Karl Heinz Wahren UA Deutsche Oper Berlin 1976 At This Moment Orchesterkonzert in 3 Sätzen, UA 1976 Circulus virtuosus für Holzbläserquartett und Orchester in 3 Sätzen, UA 1976 Auf der Suche nach dem verlorenen Tango symphonische Dichtung für Orchester, UA 1979 Goldelse Satirische Oper Libretto: Volker Ludwig UA Berliner Festwochen zur 750-Jahrfeier 1987 Galathee, die Schöne Singspiel frei nach Franz von Suppé Libretto: Thomas Höft UA Deutsche Oper Berlin 1995 Romantische Suite für Violoncello und Orchester, UA 1980 Brandenburgische Revue für Sprecher und Orchester in 9 Sätzen, UA 1984 „Nächtliche Tänze toskanischer Jungfrauen in Florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition“ für Big Band und Streichquintett, UA 1986 Entführung aus dem Köchelverzeichnis für Orchester in 3 Sätzen, UA 1991 Ecce Homo Orchestersuite nach Bildern von Otto Dix in 5 Sätzen, UA 1993 Metropolis Berlin Suite für Big Band und Symphonieorchester in 4 Sätzen, UA 1998 Bayreuther Impression für großes Orchester in 3 Sätzen, UA 2004 Tango Capriccio für Orchester in einem Satz UA 2005 3 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Kammerorchester Kammermusik (Auswahl) Wechselspiele für Flöte, Klavier u. Streichorchester UA Budapest 1967 Pas de deux für Violine und 3 Holzbläser UA Haus am Waldsee Berlin 1961 Zum Selbstmord des Genossen Jessenin nach Wladimir W. Majakowski für einen Sprecher, Zuspielband u. Kammerorchester UA Berlin 1972 Frétillement für Flöte und Klavier in 2 Sätzen UA Amerika Gedenkbibliothek 1965 Gruppe Neue Musik Berlin The Pitcher Groteske für einen Sprecher u. Kammerorchester Text: Peter Stripp UA Berlin 1977 Sequenzen für Flöte, Cembalo und Marimbaphon in 2 Sätzen UA Forum-Theater Berlin 1965 Der Unterhaltungskünstler Groteske für einen Sprecher, Gesangsquartett u. Kammerorchester, Text: Peter Stripp UA Berlin 1978 Theatermusik Konzertante Suite in 8 Szenen für Kammerorchester UA Berlin 1981 Les Fleurs du Mal et les Fleurs d’Innocence für Flöte, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichorchester UA 1988 Lippenbekenntnisse Konzert für Posaune u. Kammerorchester UA Berlin 1990 Kabuki Konzert für Schlagzeug und Kammerensemble UA Berlin 1992 Alles was Odem hat ... Doppelkonzert für Flöte, Oboe u. Streichorchester UA Brandenburg a.d. Havel 1993 Hamletpuzzle Satyrspiel für einen Sprecher u. Kammerorchester Text: Thomas Höft UA Berlin 1998 L`art pour l`art für Cello, Flöte, Klavier und Tonband UA Witten 1968 Permutation für 3 Flöten UA Akademie der Künste Berlin 1968 Application für Orgel UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1968 Dionysos meets Apollo Streichquartett in 2 Sätzen UA Akademie der Künste Berlin 1970 Increase für Flöte, Marimba und Orgel UA Kirchenmusiktage Kassel 1971 Pas de deux pour Flutes für 2 Flöten in einem Satz UA Freiburg i. Br. 1974 Soundscreen-Klangraster für Flöte und 2 Schlagzeuger UA Hochschule der Künste Berlin 1975 Entrevue für Flöte und Orgel UA Eosanderkapelle Schloss Charlottenburg 1976 Circulus octo virtuosis für Kammerensemble UA Berliner Kulturtage New York 1977 4 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Fortsetzung Kammermusik (Auswahl) En trois couleurs für Oboe, Klarinette und Fagott UA Braunschweig 1977 Drums-Trip Concertino für Drums-Quartett UA Hotel Intercontinental Berlin 1988 Tango appassionato für Streichquartett UA Berliner Festwochen 1977 Spirale für Percussions-Quartett in 3 Sätzen UA Fürth a.B. 1988 Tango noir für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Violine, Viola, Cello und Kontrabass UA Das Neue Werk Hamburg in Turin 1978 Brass-Quintett in 4 Sätzen UA Frankfurt a.M. 1989 Schon ist die Zukunft da für Sprecher und kleines Ensemble (Text: Matthias Koeppel) UA Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg 1978 Messingklänge für 4 Posaunen und Orgel UA 12-Apostel-Kirche Berlin 1978 Der Wettlauf für Altstimme und Flöte nach Texten von Joachim Ringelnatz UA Amerikahaus Berlin 1979 Der Tierbändiger für Sprecher und Klavier (Text: Friederike Kempner) UA SFB Musikforum live 1983 Nächtliche Tänze toscanischer Jungfrauen in florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition in 4 Sätzen für Cello und Kontrabass UA Gütersloh 1983 Scherzando, Ritmico e Fugato per tre flauti in 3 Sätzen (Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte) UA Richard Strauss Konservatorium München 1986 Elegie des Sisyphos Streichquartett in 2 Sätzen UA Akademie der Künste Berlin 1987 Verborgen – in uns – Duo concertante für Violine und Klavier in 3 Sätzen UA im BKA Berlin 1989 Largo Barbaro in 3 Sätzen für Kammerensemble UA Düsseldorf 1989 „Der große Aufbruch“ Ost-West Kammermusik zur Ausstellung Gerhard Andrees UA Halle 1992 Nur in sich selbst für Solocello UA Berlin 1992 Romantische Rhapsodie für Klavier UA Hamburg 1993 Im Einklang ... für Oboe und Violoncello UA Akademie der Künste Berlin 1994 Echospiele für 5 Blechbläser UA Haus am Waldsee Berlin 1994 Gegenwärtig und Vergangen für Flöte, Schlagzeug und Violoncello UA Theater der Stadt Brandenburg 1996 Stille meidend, Klänge flirrend für Flöte, Violoncello und Tonband UA Kirche Satemin Wendland 1997 5 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Fortsetzung Kammermusik (Auswahl) Klaviermusik (Auswahl) Verweilt im Augenblick für Flöte, Marimba und Violoncello UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1998 Impression de temps perdu et de déjà vu für Flöte, Klavier und Violoncello UA Kunstamt Wilmersdorf Berlin 1999 Klassizistische Sonatine für Klavier in 3 Sätzen UA Städtisches Konservatorium Berlin 1959 Bachandante für Flöte, Marimba und Violoncello in 2 Sätzen UA Hochschule für Musik Weimar 2000 Zwischenräume für Flöte, Violoncello und Harfe UA Lüchow-Dannenberg 2001 Liebeswandel Variationen für Streichquartett UA Haus am Waldsee Berlin 2002 Déjà vu à trois für Flöte, Klavier und Violoncello UA Kolbe Museum Berlin 2002 Nebeneinander-Miteinander in drei Sätzen für Violine, Klarinette und Klavier UA BKA Berlin 2003 Dreisam für Flöte, Klavier und Marimbaphon in 2 Sätzen UA Konzerthaus Berlin 2004 Jeu musical pour trois für Oboe, Harfe und Violoncello UA Kolbe Museum Berlin 2004 Kinder-Suite in 5 Sätzen für Klavier UA Grafschaft/Wilhelmshaven 1967 Tango Rag für Klavier UA Hochschule für Musik Hamburg 1978 Tango Rag für Klavier zu 4 Händen UA British Centre Berlin 1980 Bye-Bye, Bayreuth für Klavier UA Hochschule für Musik Hamburg 1984 Toccata Appasionata für Klavier UA Hochschule für Musik Lübeck 1986 Paradiesvogel Burleske für Klavier UA Hochschule für Musik Hamburg 1987 Sonate de l`Exposition pour Klavier UA Orangerie Schloss Charlottenburg Berlin 1998 Gershwin meets Mozart Klaviervariationen UA Museum für angewandte Kunst Gera 2002 Tango burlesco für Tenorsax., Bassklari., Vibra., Elektrogit., Violoncello u. Kontrabass UA 6. Weimarer Frühjahrstage für zeitg. Musik 2005 6 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Chormusik (Auswahl) Filmmusik Du sollst nicht töten Kantate für Orchester, Chor, Sprecher und Tonband UA 1969 Der Brudermord nach Kafka Fernsehfilm ohne Sprache. Manuskript und Regie: Lothar Geissler UA Filmakademie Berlin 1969 Passioni für 4-stimmigen Chor, Solosopran und 3 Instrumente nach Texten von Giordano Bruno UA Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche Berlin 1973 Die Plapperschlange Surrealistischer Film von H. Otterson UA Kunstamt Tiergarten Berlin 1972 Fernsehhymne für großen Chor (Text: Matthias Koeppel) UA Berliner Festwochen 1982 Fragen an die Wirklichkeit Film-Bild-Projekt von Gerhard Andrees UA London-Lewisham 1975 Magnificat mundus pacem für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor und Orchester UA 1984 Wasser: Pulsieren Zwei Experimentalfilme von Ernst Reinboth UA Akademie der Künste 1977 Fuge an die Industrie für 4-stimmigen Chor (Text: Karl Heinz Wahren) UA Akademie der Künste Berlin 1987 Kyritz-Pyritz Altberliner Posse nach H. Wuttig und O. Justinus, bearbeitet als Fernseh-Musical von Stefan Wigger und K.H. Wahren, Regie: Stefan Wigger UA ARD 1979 Friedensoratorium (Anfang und Ende der Welt) für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor u. Orchester UA 2005 Herzlichen Glückwunsch Sozialkritischer Spielfilm von W. Voigt und A. Quest UA Hofer Filmtage 1982 Stadt-Raum-Landschaft Film von Gerhard Andrees Landschaft heute, aus ihrer historischen Entwicklung UA TV Offener Kanal Berlin 1989 Ich und Christine Buch und Regie: Peter Stripp; mit Götz George, Christiane Paul, Daniel Morgenrot, Jutta Speidel, Maximilian Wigger u.a. UA Filmbühne Wien Berlin 1992 Metropolis Zweistündiger Stummfilm von 1927 Buch: Thea von Harbou, Regie: Fritz Lang Musik für großes Symphonieorchester zusammen mit Bernd Wefelmeyer im Auftrag des Filmorchesters Babelsberg UA 5. Film & Musikfest Bielefeld - Oetkerhalle (22. Okt. 1994) Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki Stummfilmgroteske, UdSSR 1924, R: Lew Kuleschow Musik: Bernd Wefelmeyer und K. H. Wahren UA 13. FilmFestival Cottbus (4. Nov. 2003) 7 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Ricordandi a Verdi (Erinnerungen an Verdi) 3. Streichquartett – Florestan Quartett (Bielefeld) Verlag für Neue Musik, Kreuzberg Records LC 255 Nr. 10033 Les Fleurs du Mal et les Fleurs de l’Innocence Universal Ensemble Berlin – Leitung: Karl Heinz Wahren (sowie Werke von Gerald Humel, Rainer Rubbert, Wilhelm Dieter Siebert) CD-Largo 5116 Spirale für Schlagzeugquartett Percussion Art Quartett Würzburg CD-Thorophon Capella CTH 3063 Klaviermusik Karl Heinz Wahren und Karl Amadeus Hartmann Peter Roggenkamp (Hamburg) – Klavier CD-Largo 5121 Ich und Christine Original Soundtrack zum Götz George Film von Peter Stripp Swing Studio Ensemble Berlin – Leitung: Karl Heinz Wahren CD-ZYX-Musik 20264-2 Selbst und auch zur Weite der Nacht Universal Ensemble Berlin – Leitung: Karl Heinz Wahren CD-Interconti Production - Nau Verlag Berlin Du sollst nicht töten Kantate für Sprecher, Jazzsolisten, Chor und Orchester RIAS-Orchester, RIAS-Kammerorchester – Leitung: Klaus Martin Ziegler CD-Pelca - PSRX 40602 Klangdenkmal A Monument in Sound for the Victims of the Holocaust for String quartet – von 28 Komponisten einzelne Sätze 2002 M.T.A. TIM The International Music Company AG Order No 220813 PC 215 (Tel. +49-40-6699160) Auf weiteren 12 CD’s sind die wichtigsten Orchesterund Kammermusik-Kompositionen dokumentiert. 8 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Marmorstein und Liebeskummer – die musikalische Vielfalt eines Lebensweges Zum 70. Geburtstag von Prof. Christian Bruhn von Prof. Karl Heinz Wahren Marble Stone and Problems with Love – The Musical Variety of a Life For the 70th Birthday of Prof. Christian Bruhn by Prof. Karl Heinz Wahren Es ist für mich eine schöne Genugtuung des Herzens, über das Leben eines verehrten Kollegen schreiben zu dürfen, zumal es mit innerer Anteilnahme und aus Überzeugung geschieht. Der 70. Geburtstag des Komponisten, Pianisten, Musikproduzenten, Publizisten und Hochschulprofessors Christian Bruhn ist mir Anlass, seinen abwechslungsreichen und mit musikalischer Vielfalt verlaufenen Lebensweg, allerdings den hier gegebenen Möglichkeiten entsprechend verkürzt, nachzuzeichnen. Als Erinnerungsstütze dient mir die über zwanzigjährige gemeinsame Zeit im GEMA-Aufsichtsrat und im Vorstand des Deutschen Komponistenverbandes, aber auch die in Bruhns Biografie „Marmor, Stein und Liebeskummer” zusammengefassten „Essay’s, Reden, Gedichte, Gedanken und Gefühle – von ihm selbst aufgeschrieben”. It is very gratifying for me to be allowed to write about the life of an esteemed colleague, especially since I do this with inner sympathy and conviction. The 70th birthday of the composer, pianist, music producer, publicist and university professor Christian Bruhn is a good reason for me to trace his eventful path in life that has been accompanied by musical variety. However, I will abridge it to appropriately fit this occasion. The more than twenty years of time together on the GEMA Board of Supervisors and the Executive Board of the German Composers’ Association, as well as the “essays, speeches, poems, thoughts and feelings - written by his own pen” integrated into Bruhn’s biography Marmor, Stein und Liebeskummer (Marble, Stone and Problems with Love), serve to refresh my memory. Der ausdrückliche Hinweis im Vortext seiner Biografie: „... von mir selbst aufgeschrieben” soll der Vermutung vorbeugen, er könnte, wie heute gern praktiziert, einen Journalisten mit der Niederschrift beauftragt haben. Christian Bruhn jedoch ist sein eigener Schriftsteller, so wie er auch seine Bigband-Arrangements oder die orchestralen Filmkompositionen stets selbst schrieb und keine Bearbeiter bemühen musste, wie so mancher seiner Kollegen, dem die Kunst des Partiturschreibens zeitlebens ein Rätsel bleibt. Die handwerklichen Grundlagen, die es Bruhn ermöglichten, seine jugendlich-besessene Liebe zur Tanzund Jazzmusik später ins Kompositorische praktisch umzusetzen, verdankt das bereits mit vier Jahren selbstständig am Klavier in Terzen fantasierende Kind der couragierten Mutter. Sie war „der Kunst wie auch dem Irdischen zugetan” und sorgte frühzeitig dafür, dass ihr Erstgeborener sinnvollen Klavierunterricht erhielt. Der Vater, Sohn des auch als Erfinder tätigen Sanitätsrates Dr. Adolf Christian Bruhn, betrieb bis 1933 einen Kunstverlag und brachte die Familie als Kaufmann geschickt durch die Wirrnisse des Dritten Reiches. Er „malte sehr schön und anständig – zwischen im- und frühexpressionistisch”, Klavier allerdings spielte er, im Gegensatz zu seiner routiniert Noten lesenden Frau, nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör. Durch seine künstlerische Tätigkeit war er mit Malern wie The express reference in the foreword of his biography: “... written by my own pen” is intended to prevent the assumption that he commissioned a journalist to write it down, which is a popular practice these days. However, Christian Bruhn is his own writer, just as he also always wrote his big-band arrangements or the orchestral film compositions himself and no arranger had to make the effort, as in the case of some of his colleagues to whom the art of writing a score remains a mystery for their entire lives. The child who was already independently extemporising in thirds at the piano at the age of four years owes the fundamental craftsmanship that allowed Bruhn to later practically translate his youthful-obsessed love of dance and jazz music into compositions to his courageous mother. She “had a great affection for both art and the mundane” and made sure that her first-born child received meaningful piano instruction at an early age. The father, the son of the public-health councillor Dr. Adolf Christian Bruhn, who was also an inventor, ran an art-publishing house until 1933 and skilfully brought his family through the confusion of the Third Reich as a businessman. He “painted in a very beautiful and respectable way – between Impressionism and Early Expressionism; however, in contrast to his wife who was experienced at reading music, he only played the piano on the black keys and by ear. As a result of his artistic work, he was friends with painters like Emil Nolde, August Macke, Willi Baumeister and their gal- 9 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Emil Nolde, August Macke, Willi Baumeister und deren Galeristen befreundet. Christian Bruhn wuchs in einer bildungs- und kunstinteressierten Familie auf, deren Domizil infolge des Krieges von Hamburg nach dem damals zu Deutschland gehörenden Österreich verlegt wurde. Da Kärnten aller Voraussicht nach von Luftangriffen verschont bleiben würde, reiste die Mutter mit Sohn Christian und der jüngeren Tochter dorthin. Der Vater kam kriegsbedingt nur gelegentlich zu Besuch. Dort, hoch droben auf dem Berg, wurde Christian eingeschult und verinnerlichte in den nächsten Jahren das süddeutsche Idiom, in dessen Sprachbereich er später die meiste Zeit seines Lebens verbringen sollte. Aber kurz vor Kriegsende ging es zunächst von dem inzwischen geliebten Gebirge wieder zurück in die norddeutsche Tiefebene, nach Wentorf im Großraum Hamburg, das dann bald zur britischen Besatzungszone gehörte. Hier in seiner Geburtsheimat besuchte er das Reinbeker Gymnasium und gründete dort, knapp vierzehnjährig, seine erste Schülerkapelle, mit der er zu Schulfesten etc. aufspielte. Da es in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum gedruckte Noten gab, Papier war wie alles andere ebenfalls Mangelware, hörte Christian die Schlager vom Radio ab und ergänzte das Repertoire seiner Band mit selbst geschriebenen Noten. Gelegentlich schrumpfte das kleine Ensemble zum Duo, dann bestand die Besetzung lediglich aus Klavier und Schlagzeug. Aber auch diese Verkürzung konnte den blutjungen Entertainer nicht bremsen, seine ersten Versuche zur eigenen Schlagerproduktion zu starten. Doch Enthusiasmus und Elan allein reichen nicht, die Zeit war noch nicht reif für den Komponisten Bruhn. Zunächst formte er sich in den nächsten Jahren zum Pianisten, durch ein intensives theoretisches wie praktisches privates Musikstudium neben der Schule. Als junger Musiker verdiente er dann den Lebensunterhalt für sich und seine Verlobte Christiane. 1956 wurde in München geheiratet, und hier beendete Christian auch seine Karriere als Tanz- und Jazzmusiker, er arbeitete als Arrangeur und Produzent für die Firma Spezial Record, die mit ihrem Label Tempo-Schallplatten so genannte Nachzieher, also preiswertere Zweitversionen der gerade erfolgreichsten Hits produzierte. Hier erlernte Bruhn die Voraussetzungen für seinen späteren Hauptberuf als Schlager-, Film- und Fernsehkomponist. Wie bereits eingangs erwähnt, gehört zu Bruhns persönlichem Berufsziel „das Selbst-Erfinden lerists. Christian Bruhn grew up in a family interested in education and art, whose domicile was moved from Hamburg to Austria, which belonged to Germany at that time, as a result of the war. Since it appeared that Carinthia would remain spared of air attacks, the mother travelled there with son Christian and the younger daughter. Because of the war, the father only came to visit occasionally. There, high up on the mountain, Christian was enrolled in elementary school and in the subsequent years internalised the southern German idiom in whose linguistic realm he later spent most of his time. But shortly before the end of the war, they left the mountains that he had grown to love and initially returned to the northern German lowlands, to Wentorf in the Greater Hamburg area, which became a part of the British zone of occupation soon thereafter. Here, in the homeland of his birth, he attended the Reinbeker Gymnasium (secondary school). When he was barely fourteen years old, he established his first student band here and played at school parties with it. Since there was hardly any printed music directly after the war because paper was a scarce commodity, like everything else, Christian listened to the Schlager songs on the radio and added to the repertoire of his band by writing down the music himself. The little ensemble occasionally shrank into a duo, which consisted of just piano and drums. But even this curtailment could not stop the very young entertainer from beginning his first attempts at producing his own Schlager songs. Yet, enthusiasm and élan are not enough. The time was not yet ripe for the composer Bruhn. In the following years, he first developed himself as a pianist through intensive theoretical and practical private music studies in addition to school. As a young musician, he then earned a livelihood for himself and his fiancée Christiane. In 1956, they married in Munich and Christian also ended his career as a dance and jazz musician at this time. Instead, he worked as an arranger and producer for the company Spezial Record, which produced the so-called copies, cheaper second versions of the most successful hits of the moment, with its label Tempo-Schallplatten. This is where Bruhn learned the prerequisites for his later main profession as a composer for Schlager songs, film and television. As already mentioned at the beginning, one of Bruhn’s personal professional goals was “the self-invention of the entire sound image” and he was able to do practical experiments at Spezial Record. 10 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare des gesamten Klangbildes” und bei Spezial Record konnte er praktisch experimentieren. Er profilierte sich zunehmend als Arrangeur, erhielt erste Fernsehaufträge, schrieb sich die Finger wund und lernte im Tempo-Studio bei den Musikaufnahmen seine zweite Frau, die Sängerin Charlotte Bischoff kennen, die ihm zwei Söhne schenkte. Johannes, der Jüngere, promovierte als Pädagoge, während sich Sebastian für den Beruf eines Kameramannes entschied und durch die Geburt seiner Tochter Ella den Vater Christian in den Status des Großvaters erhob. Zurück ins Jahr 1960, denn da gab es mit einer eigenen Komposition den ersten großen Erfolg, mit Midi-Midinette. Dieses Liebeslied auf ein Pariser Mädchen, das so schön ist wie die Stadt an der Seine, sang Conny Froboess mit ihrer frischen, jugendlichen Stimme. Damit begannen die viele Jahre fortgeführten Produktionen mit dem gleichaltrigen Berliner Verleger Peter Meisel, Sohn des Erfolgskomponisten und Musikverlegers Will Meisel. Aus dieser Zusammenarbeit entstand die Freundschaft und daraus schließlich eine lange Reihe von bedeutsamen musikalischen Erfolgen. Gemeinsam entdeckten sie das Multitalent Drafi Deutscher und die Sängerin Manuela, diese führte Schuld war nur der Bossa Nova zum Hit, Drafi Deutscher 1965 Marmor, Stein und Eisen bricht, der einer der populärsten deutschen Schlager überhaupt werden sollte. Aus der produktiven Partnerschaft dieser beiden Bigband- Fans Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn entstanden später weitere zahlreiche Erfolgstitel, denn Wunder gibt es immer wieder und Ein bißchen Spaß muß ... schließlich auch dabei sein. Zuvor trafen Anfang der sechziger Jahre das Autorenduo Bruhn/Georg Buschor (Text) mit ihrem Song Zwei kleine Italiener zielgenau den Zeitnerv. Bei den Deutschen Schlagerfestspielen 1962 in Baden-Baden ersang Conny Froboess damit den begehrten 1. Preis und auf allen Sendern ertönte dieses reizende Lied vom schmerzvollen Verlangen junger italienischer Gastarbeiter nach ihrer warmen, südlichen Heimat. Schlagerlieder überhöhen im Allgemeinen die Realität mit einer textlichsehnsüchtigen Unwirklichkeit, die Zwei kleinen Italiener jedoch lagen ziemlich genau, ohne Samtäugigkeit, an der damaligen Realität. Christian Bruhn möchte mit seiner Musik möglichst vielen Menschen Freude bereiten. Dieses Wunschziel darf man – nicht nur hier – als gelungen ansehen. Wenn einige Kollegen glauben, solcher Musik gegenüber eine vornehme Miene aufsetzen zu müssen, so mö- He increasingly distinguished himself as an arranger, received his first television commissions, wrote his fingers to the bone and met his second wife, the singer Charlotte Bischoff, at the Tempo Studio while recording music. She gave him two sons: Johannes, the younger one, graduated as an educator while Sebastian decided on the profession of a cameraman and elevated his father Christian to the status of a grandfather through the birth of his daughter Ella. Let’s go back to the year 1960 because this is when he had his first big success with one of his own compositions, “Midi-Midinette.” This love song for a Parisian girl who is as beautiful as the city on the Seine was sung by Conny Froboess with her fresh, youthful voice. This started many years of continuing productions with the Berlin publisher Peter Meisel, son of the successful composer and music publisher Will Meisel, who was the same age as Christian. This collaboration became a friendship that ultimately resulted in a long series of significant musical successes. Together they discovered the multi-talented Drafi Deutscher and the singer Manuela, who made a hit of “Blame It on the Bossa Nova.” Drafi Deutscher’s 1965 recording of “Marmor, Stein und Eisen bricht” (Marble, Stone and Iron Breaks) was to become one of the most popular German Schlager songs ever. The productive partnership of the two big-band fans Rudolf Günter Loose/Christian Bruhn later resulted in numerous other successful titles such as “Wunder gibt es immer wieder” and “Ein bisschen Spass muß auch dabei sein.” Even before this, the author duo Bruhn/Georg Buschor (lyrics) accurately hit the nerve of the times with their song “Zwei kleiner Italiener”. At the German Schlager Festival of 1962 in Baden-Baden, Conny Froboess sang her way to the coveted 1st Prize with it and this charming song about two young Italian foreign workers feeling a painful desire for their warm, southern homeland could be heard on all of the stations. Although Schlager songs generally exaggerate the reality with lyrics that express an artificial yearning, Zwei kleiner Italiener was very accurate in reflecting the reality of that time without any velvety eyes. With his music, Christian Bruhn would like to bring joy to as many people as possible. It is safe to say that he has attained this desired goal – and not just here. If some of the colleagues believe that they have to put on a distinguished face with regard to this type of music, may 11 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare gen diese Kaltschwärmer von emotionslosen Ton- und Geräuschfolgen sich auf die heute längst offenkundig gewordene Legitimationskrise der E- Musik konzentrieren. Damals jedenfalls, als Conny Froboess den 1. Preis in Baden-Baden sich und ihren Autoren ersang, litt weder die E-Musik noch der deutsche Schlager unter einer Legitimationskrise oder unter terminologischen Definitionsschwierigkeiten zum eigenen Genre. Es ist freilich schon fast ein halbes Jahrhundert her, dass die Deutschen Schlagerfestspiele eine fest installierte Institution der U-Musik waren, von einem Millionenpublikum aufmerksam verfolgt und genährt durch den rechtlich-öffentlichen Rundfunk und das Fernsehen, an deren Seriosität niemand zweifelte. Nachdem der Gartenzwerg-Marsch (Adelheid) zum Text von Hans Bradtke ein Dauerhit wurde, es für die Zwei kleinen Italiener die erste Goldene Schallplatte (damals für eine Million verkaufter Exemplare) und den Bronzenen Spatz gab, blieb dem fleißigen Duo Bruhn/Buschor der Erfolg auch weiterhin treu, denn sie erzielten bei den Schlagerfestspielen 1964 erneut den ersten Preis, dieses Mal mit ihrem Titel Liebeskummer lohnt sich nicht. Siw Malmquist war die Gesangsinterpretin, begleitet von der Rolf-Hans-Müller-Bigband des Südwestfunks. Im folgenden Jahr, gerade hatte der Dauerbrenner Marmor, Stein und Eisen gezündet, gab es den Goldenen Spatz für Liebeskummer lohnt sich nicht und eine „3/4” Goldene Schallplatte. Es folgten die Hits Lord Leicester aus Manchester und Monsieur Dupont, beides von Manuela gesungen, Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben (Dorthe Kollo), Hinter den Kulissen von Paris (Mireille Mathieu) und Wunder gibt es immer wieder. Mit diesem Lied gewann Katja Ebstein beim internationalen Schlagerwettbewerb Grand Prix d’Eurovision in Amsterdam den 3. Preis für Deutschland, sie gewann aber auch das Herz von Christian Bruhn, und 1972 wurde geheiratet. Erhielt 1963 das Heimwehlied Zwei kleine Italiener die erste Goldene Schallplatte, so folgten 1972 für Akropolis Adieu und 1974 für La Paloma Ade – beides gesungen von Mireille Mathieu – die nächsten Goldenen Schallplatten. Das saisonunabhängige, auf längere Dauer angelegte erfolgreiche Schlagerproduzieren verlangt von den Autoren nicht nur solide handwerklich-musikalische Grundlagen, sondern auch viel Ernst im heiteren Spiel. Freilich muss auch genügend heiteres Spiel im these cold enthusiasts of emotionless sequences of tones and sounds concentrate on the identification crisis of classical music that has long become apparent. In any case, back when Conny Froboess and her authors won the 1st Prize in Baden-Baden, neither classical music nor the German Schlager suffered from an identification crisis or from terminological definition difficulties regarding their own genre. Of course, the German Schlager Festival has become a solidly established institution of light music, attentively followed by an audience of millions and fed by public broadcasting and television, the respectability of which no one can doubt during the nearly fifty years of its existence. After the “Gartenzwerg-Marsch” (Garden Gnome March, Adelheid) to the lyrics by Hans Bradtke became a continuous hit, “Zwei kleiner Italiener” received the first Gold Record (awarded back then for one million copies sold) and the Bronze Sparrow, success remained faithful to the diligent duo Bruhn/Buschor because they once again achieved the first prize at the 1964 Schlager Festival with their title “Liebeskummer lohnt sich nicht.” Siw Malmquist was the vocal performer, accompanied by the Rolf Hans Müller Bigband of Southwest Broadcasting. In the following year, as the long-lasting success “Marmor, Stein und Eisen bricht” was just taking off, they received the Golden Sparrow for “Liebeskummer lohnt sich nicht” and a “3/4” Gold Record. These were followed by the hits “Lord Leicester aus Manchester” and “Monsieur Dupont,” both of which were sung by Manuela, “Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben” (Dorthe Kollo), “Hinter den Kulissen von Paris” (Mireille Mathieu) and “Wunder gibt es immer wieder.” With this last song, Katja Ebstein collected the 3rd Prize for Germany at the international song contest Grand Prix d’Eurovision in Amsterdam, but she also won the heart of Christian Bruhn and they married in 1972. In 1963, the “Zwei kleiner Italiener” song about homesickness received the first Gold Record, which was followed in 1972 by “Akropolis Adieu” and in 1974 by “La Paloma Ade” – both sung by Mireille Mathieu – the next Gold Records. The non-seasonal, long-term successful production of Schlager songs demands not only solid craftsmanship and musical foundations from the authors but also a great deal of seriousness while having fun. There must obviously also be enough fun in the serious- 12 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Ernst sein und dem Publikum immer wieder Neues im Vertrauten geboten werden, bis sich die Paradigmen scheinbar erschöpft haben und unter neuem Anstrich das Vertraute die Empfindungsscala der Rezipienten wieder zum positiven Mitschwingen bringt. Unter diesen Gegebenheiten über viele Jahre hin zu reüssieren ist nur wenigen Komponisten vergönnt. Christian Bruhn gelang es, als einer der schöpferisch erfolgreichsten Popularmusikautoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu wirken. Aus den verschiedenen Genres seines Oeuvres möchte ich hier nur einige Beispiele erwähnen, wie der von Katja Ebstein mit großem Nuancenreichtum interpretierte Heine-Zyklus. Der Schriftsteller Friedrich Torberg war hingerissen und schrieb 1976 begeistert: „Christian Bruhn – und daher die frappante Gültigkeit seiner Vertonungen – hat sich fast ausschließlich an Heine-Gedichte gehalten, die schon von sich aus Chansons waren. (…) Aber da glaubt man immer ein listiges, lustiges Zwinkern aus der Musik herauszuhören. Kein liebliches Geläute zieht leise durchs Gemüt, um den Loreleifelsen wogt es von beinahe Rheintöchtern, Melodie und Instrumentation lassen auch nicht den kleinsten Tropfen Schmalz einsickern. (…)” Ebenso wenig verwandt dem Schlageralltag ist der fürs Fernsehen in zwölf Folgen komponierte Zyklus James Tierleben nach Gedichten von James Krüss. Allein die Fernseh- und Filmmusiken nur aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Essay’s sprengen. Um wenigstens einige Titel zu nennen: Timm Thaler, Sindbad, Alice im Wunderland, Jack Holborn, Captain Future, Die Post geht ab, Die Banditen vom Rio Grande, Apartmentzauber, Maibritt, Fit forever, Manni der Libero, All meine Töchter, Abenteuer in Afrika, Hans im Glück, Hotel Shanghai usw. Die Musik zur Fernsehserie Jack Holborn wurde von dem Symphonieorchester Kurt Graunke 1982 in den Münchener Bavaria Tonstudios eingespielt. Was da in den 16 durchschnittlich knapp drei Minuten langen Musik-Takes an thematischem Material geboten wird, daraus hätte im 19. Jahrhundert ein talentierter Tonsetzer mindestens vier romantische Symphonien komponiert. Bruhns Instrumentation ist hier impressionistisch orientiert und von erlesener Farbigkeit. Schade, dass nur wenige Musikfreunde um diese ganz erstaunliche Vielfachbegabung Bruhns wissen, denn solche Musik ist auch ohne Filmbilder sehr hörenswert. Ganz anders klingt dagegen der Soundtrack zu Hotel Shanghai (nach Vicki Baums Roman), 1997 vom Babelsberger Filmorchester aufgenommen. Hier demon- ness, and the audience must constantly be offered something new within the familiar until the paradigms are apparently exhausted and what is familiar once again elicits a positive resonance from the recipients’ emotional scale under a new veneer. Under these circumstances, having songs that are successful over many years is something that has only been granted to very few composers. Christian Bruhn accomplished this as one of the creatively most successful authors of popular music during the second half of the 20th Century. I would like to just mention a few examples from the various genres of his oeuvre, such as the Heine Cycle that was performed by Katja Ebstein with a wealth of nuances. The writer Friedrich Torberg was fascinated and enthusiastically wrote in 1976: “Christian Bruhn – and therefore the remarkable validity of his compositions for poetry – has almost exclusively followed the Heine poems, which were actually already chansons (…) But we believe that we are always hearing a wily, humorous winking from the music. No sweet chimes run through the soul, the almost daughters of the Rhine are surging around the rocks of the Lorelei and not the smallest drop of schmaltz has seeped into the melody and instrumentation (…)” He composed the cycle James Tierleben, based on poems by James Krüss, for television in twelve episodes and this also has little in common with the everyday life of the Schlager song. Just listing the compositions of television and film music would exceed the scope of this essay. To name just a few of the titles: “Timm Thaler,” “Sindbad,” “Alice im Wunderland,” “Jack Holborn,” “Captain Future,” “Die Post geht ab,” “Die Banditen vom Rio Grande,” “Apartmentzauber,” “Maibritt,” “Fit Forever,” “Manni der Libero,” “All meine Töchter,” “Abenteuer in Afrika,” “Hans im Glück,” “Hotel Shanghai,” etc. The music for the television series Jack Holborn was recorded by the Symphonic Orchestra Kurt Graunke in 1982 at Munich’s Bavaria Sound Studios. The thematic material that was offered in those 16 music takes that were an average of just less than three minutes in length would have sufficed a talented 19th century composer for at least four romantic symphonies. Bruhn’s instrumentation is impressionistically oriented here and exquisitely colourful. It’s unfortunate that so few music fans know about Bruhn’s quite astonishing multi-talented abilities because such music is also very 13 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare striert Christian Bruhn elegant, dass er die musikalischen Codes aller Tanzmusikarten brillant beherrscht, ob Tango, Blues, Charleston usw. Einzelne Musikstükke zeichnen sich durch interessante, exotisch- fernöstliche Klangphänomene aus und folgen damit der Filmhandlung. Der Titelsong erinnert an die frühen James-Bond-Filme und ist ebenso geschickt wie aufwändig instrumentiert, beherrscht von der groovenden Stimme Jocelyn B. Smiths. Diese wenigen Beispiele zeigen den außerordentlichen musikalischen Ideenreichtum des Komponisten Christian Bruhn. Populär wurde er jedoch durch seine Schlagererfolge, die ihm schließlich auch neben den Film- und Fernsehmusiken eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage gaben. Sein frühes Bohemientum mündete im Verlaufe der Jahre in eine allgemeine Lebensbürgerlichkeit, die sich äußerlich in seiner geräumigen Sollner Villa mit Garten, eigenen Aufnahmestudios, lichten Wohnräumen, einem Schwimmbad und schönen Gästezimmern manifestierte. Das Haus ist im späten Jugendstil mit Tendenz zur neuen Sachlichkeit entworfen und im Jahr 1922 gebaut. Die immer wieder beruflich bedingten Trennungen von der singenden Ehefrau führten wohl auch zur Scheidung. Jedoch verhalf Katja Ebstein noch einigen Bruhn-Songs zum Erfolg, wie Der Stern von Mykonos oder Ein Indiojunge aus Peru. Um in sich kein Gefühl der Vereinsamung aufkommen zu lassen, heiratete Christian Bruhn 1976 die junge, begabte Sängerin Erika Götz. Ihr gelangen im Duo mit ihrer fast gleichaltrigen Schwester unter anderem mit Heidi und Die Musik kommt aus Böhmen neue, sehr schöne Erfolge. Christian arbeitete mit Fleiß weiter und wurde in den folgenden Jahren dafür mit dem Goldenen Hufeisen (1986), der Goldenen Stimmgabel (1987), dem PaulLincke-Ring (1993), der Goldenen Nadel der Dramatiker Union, der Richard-Strauss-Medaille der GEMA und der Verdienstmedaille des Deutschen Musikverleger-Verbandes (1999) belohnt. Inzwischen hatte ihn 1982 die GEMA-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit in den Aufsichtsrat gewählt, d.h. er musste zunächst zur Kandidatur überredet werden. Der gleiche Vorgang wiederholte sich 1991, als es galt, nach dem plötzlichen Tod von Raimund Rosenberger einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zu küren. Christian Bruhn stellte sich schließlich dieser zeitaufwändigen Herausforderung, die er nun seit 13 Jahren glänzend bewältigt. Für sei- worthwhile to listen to even without the film images. On the other hand, the soundtrack to Hotel Shanghai (based on Vicki Baum’s novel), which was recorded in 1997 by the Babelsberg film orchestra, makes a completely different impression. Christian Bruhn elegantly demonstrates here that he brilliantly masters the musical codes for all types of dance music, whether tango, blues, Charleston, etc. Individual pieces of music are distinguished by the interesting, exotic Far-Eastern sound phenomena and therefore follow the plot of the film. The title song is reminiscent of the early James Bond films and has an instrumentation that is both skilful and complex, ruled by the grooving voice of Jocelyn B. Smith. These few examples show the composer Christian Bruhn’s extraordinary wealth of ideas. However, he became popular because of his Schlager successes, which ultimately also gave him a stable economic basis in addition to the music for film and television. Through the course of the years, his early Bohemianism ended up as a generally conventional way of life that manifests itself externally in his roomy villa in Solln with its garden, his own recording studios, lightfilled living spaces, a swimming pool and lovely guest rooms. The house was designed as late Art Nouveau leaning towards the new functionalism and built in the year 1922. The repeated separations from the singing wife dictated by the profession probably also led to the divorce. Yet, Katja Ebstein still contributed to the success of some of the Bruhn songs such as “Der Stern von Mykonos” or “Ein Indiojunge aus Peru.” To stop any feelings of loneliness from developing, Christian Bruhn married the young, talented singer Erika Götz in 1976. In a duo with her sister, who is almost the same age, she had some new, very beautiful successes that included “Heidi” and “Die Music kommt aus Böhmen.” Christian continued to work diligently and was rewarded in the following years for it with the Golden Horseshoe (1986), the Golden Tuning Fork (1987), the Paul Lincke Ring (1993), the Golden Pin of the Dramatists’ Union, the Richard Strauss Medal of GEMA and the Medal of Merit of the German Music Publishers’ Association (1999). In the meantime, in 1982 the GEMA General Meeting had elected him with a large majority to the Board of Supervisors, which means that he first had to be talked into becoming a candidate. The same procedure 14 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare ne dabei allen GEMA-Mitgliedern zugute kommenden erbrachten außerordentlichen Leistungen wurde er im Jahr 2001 mit dem GEMA-Ehrenring ausgezeichnet und bald darauf außerdem zum Ehrenmitglied der GEMA ernannt, während der Freistaat Bayern ihn für seine Vorlesungen an der Musikhochschule Nürnberg/ Augsburg mit einer Honorarprofessur würdigte. Bruhns sachlich-freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem GEMA-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Kreile bewährt sich gerade in den augenblicklich in vielerlei Hinsicht zunehmend schwierigen Zeiten für unsere Urheberrechtsgesellschaft. Es ist für uns alle eine glückliche Fügung, dass hier zwei kenntnisreiche, pflichtbewusste Urheberfachleute das wirtschaftliche Wohlergehen der Mitglieder mit Geschick gegen Angriffe von außen und auch von innen verteidigen. Der GEMA-Aufsichtsrat hatte nie zuvor einen so effektiven und umfassend gebildeten Vorsitzenden, ausgenommen Werner Egk; dem allerdings mangelte es an Klarheit gegenüber seiner eigenen politischen Vergangenheit. Bruhn dagegen ist auch politisch „ein Moralist der höheren Art” und außerdem verlässlich. Wer sich wünscht, mit ihm unangestrengt ins Gespräch zu kommen, ohne das Thema Musik zu strapazieren, dem sei die Lektüre einiger Thomas Mann Werke empfohlen. Speziell mit der Genealogie der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook sollte er sich vertraut machen, ebenso mit dem rheinischen Lebenskünstler Felix Krull und mit der fiktiven Biografie über den faustisch-genialen Tonsetzer Adrian Leverkühn. Zu Bruhns literarischer Hitliste zählen unter anderem aber auch die Jahreszeiten von Uwe Johnson und das Frauenschicksal Effie Briest des Berliner Hugenottenabkömmlings Theodor Fontane. Als Nachtisch wäre vielleicht noch Raymond Chandlers The big sleep und ein Gläschen guten schottischen Landweins angezeigt. Trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen bleibt Christian Bruhn auch literarisch auf dem aktuellen Stand. Außerdem schreibt er neue Fernsehmusiken, plant ein Kindermusical und das alles zwischen den Reisen, die ihn rund um die Welt führen, nicht nur als GEMA- Aufsichtsratvorsitzenden, sondern seit 2002 auch als Präsident der CISAC, Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs, Paris. Alle Ehrungen und Ämter ließen Christian Bruhn kollegial und bescheiden bleiben. Weder leidet er unter dem in der Musikbranche gelegentlich aufleuchtenden was repeated in 1991 when a new Chairman of the Board of Supervisors had to be chosen after the sudden death of Raimund Rosenberger. Christian Bruhn ultimately accepted this time-consuming challenge, which he has now mastered brilliantly for the past 13 years. For his extraordinary accomplishments that benefit all of the GEMA members, he was distinguished in the year 2001 with the GEMA Ring of Honour and was named an Honorary Member of GEMA soon afterwards. The State of Bavaria also acknowledged him for his lectures at the Music Academy of Nuremberg/Augsburg with an honorary professorship. Bruhn’s professional and friendly working relationship with GEMA President Prof. Dr. Kreile is standing the test, especially in the momentary difficult times for our copyright society that are becoming increasingly so in many respects. It is a happy stroke of fate for all of us that two such knowledgeable, conscientious author specialists are defending the economic welfare of the members so skilfully against attacks from the outside, as well as from the inside. The GEMA Board of Supervisors has never before had such an effective and extensively educated Chairman except for Werner Egk; however, there is a lack of clarity about the latter’s own political past. On the other hand, Bruhn is also politically “a moralist of the higher sort,” in addition to being reliable. I recommend that anyone who wants to easily get into a conversation with him, without exhausting the topic of music, should read some of the works by Thomas Mann. He should become familiar with the genealogy of the Lubeck merchant family Buddenbrook, as well as with the Rhenish master of the art of living, Felix Krull, and with the fictive biography of the Faustian-ingenious composer Adrian Leverkühn. Bruhn’s literary list of hits also includes the Jahreszeiten book by Uwe Johnson and the woman’s novel Effie Briest by the descendant of Berlin Huguenots, Theodor Fontane. An appropriate dessert would perhaps be Raymond Chandler’s The Big Sleep and a little glass of good Scottish table wine. Despite his numerous obligations, Christian Bruhn also stays up to date when it comes to literature. In addition, he is writing new music for television, is planning a children’s musical and does all this between the journeys that take him around the world not only as the Chairman of the GEMA Board of Supervisors but also as President of CISAC, Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs, Paris, 15 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare bizarren Byzantinismus, noch benötigt er zur Stabilisierung seines Selbstbewusstseins das von Berufskollegen häufig erlebte Schmeichelentzücke. Sein zu knappen Formulierungen neigender Pragmatismus provoziert manchesmal Unverständnis oder gar Unmut, dem begegnet er gelegentlich mit Ironie oder Ungeduld, was mancher mit Erdenschwere und egozentrischer Sensibilität behafteten Komponistenseele nur mäßig bekommt. Ich meine, dass für Christian Bruhns gefestigtes Selbstbewusstsein durchaus berechtigte Grundlagen bestehen. Sein Name erscheint – im Gegensatz zu anderen, meist weniger erfolgreichen Popularmusikautoren – in Gazetten vom Genre der Bildzeitung, dem deutschen Zentralorgan für gesundes Volksempfinden, äußerst selten und dann eher im Zusammenhang mit urheberrechtlichen Problemen als mit Beiträgen zur privaten Sittengeschichte der bundesrepublikanischen Bourgeoisie. Dem Ehekäfig bereits viermal entronnen, wagte er es vor nicht allzu langer Zeit ein fünftes Mal, sich dieser gelegentlich vielleicht auch zwiespältigen Dauerverzückung zu unterwerfen, er heiratete die Ärztin Dr. Irene Link. Christian lebt nicht im Konjunktiv, er dringt darauf, immer wieder neue Erfahrungen zu sammeln und immer noch weiterzulernen. Aber bei all seinen komplexen Interessen bleibt die Musik aktiv wie passiv sein Elan vital. Ich wünsche dem in Süddeutschland inzwischen verwurzelten norddeutschen Glückskind zu seinem 70. Geburtstag vor allem Gesundheit und weiterhin ungebrochene Lebensfreude. Mögen ihm auch in seinem achten Jahrzehnt optimale Lebensbedingungen erhalten bleiben, auf dass sich seine Talente so großartig wie bisher entfalten und seine Schaffenskraft noch viele reife Früchte tragen wird. KARL HEINZ WAHREN – NUN BEREITS SIEBZIG Prof. Christian Bruhn zum 70. Geburtstag seines Freundes since 2002. Despite all of these honours and offices, Christian Bruhn is still friendly and modest. He does not suffer from the bizarre Byzantinism that occasionally flares up in the music sector nor does he require the flattery frequently experienced from professional colleagues for the stabilisation of his self-confidence. His pragmatism, which tends toward succinct formulations, sometimes provokes a lack of understanding or even annoyance, which he will occasionally counter with irony or impatience. Some composers’ souls who are subject to heaviness and egocentric sensitivity only have a mediocre response to this. I believe that there is most definitely a justified reason for Christian Bruhn’s solid sense of self-confidence. His name – in contrast to other, usually less successful authors of popular music – appears extremely rarely in gazettes of a genre like the Bildzeitung newspaper, the German central organ for sound popular instinct, and then more likely in relation to problems concerning authors’ rights than with articles about private stories on the morals of the German bourgeoisie. After already escaping from the cage of marriage four times, he risked subjecting himself to this occasionally conflicting permanent state of ecstasy for a fifth time not too long ago by marrying the physician Dr. Irene Link. Christian does not live in the subjunctive. He is keen about having new experiences time and again and still continuing to learn. But despite all of his complex interests, music in both the active and the passive sense remains his Élan vital. Above all, I wish this north German child of fortune who has now become rooted in southern Germany health and continuing undiminished joy in life for his 70th birthday. May the optimal conditions in life also be preserved for him in his eighth decade so that his talents can continue to develop as splendidly as they have up to now and his creative powers bear many ripe fruits. Lieber Karl Heinz, lieber Freund: Mit 70 ärgert man sich über alles, wundert sich aber über nichts mehr. Karl Heinz Wahren - Already seventy years old Professor Christian Bruhn on the 70th birthday of his friend 70 Jahre – das ist ein Alter, in das man ein Leben lang nicht glaubt, selbst zu kommen. 70-Jährige – das sind Greise, impotent und inkompetent. Dear Karl Heinz, Dear Friend: At 70 people are annoyed with everything but no longer surprised by anything. 70 years – for much of our lives we believe that we will never be that old ourselves. 16 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare 70-Jährige das waren alte Nazis, die von Kriegsheldentaten und den guten Seiten Adolf Hitlers berichteten. 70-Jährige die haben keinen Sinn für Humor und finden alles, was Jüngere tun, vollkommen geschmacklos, vor allem deren Musik. Wie anders dagegen die Wirklichkeit! - Ich bin zwar noch nicht ganz siebzig, wundere mich aber auch nicht mehr viel. Verwundern tun mich jedoch immer wieder drei Umstände im Dasein meines Freundes, die meinem Erachten nach Bewunderung verdienen: In erster Linie imponiert mir, dass dieser E-Kollege sich ohne die hilfreiche Stütze eines Lehrauftrages durchs Leben rettet. Zwar kann er so seine bei Karl Amadeus Hartmann mühsam erworbenen musikalischen Weisheiten leider nicht weitergeben, aber das können ja seine Kollegen tun. Er hat Besseres zu tun. Denn zweitens, Freunde, horcht auf: Selbst mein verengtes und beschränktes Terzen-Herz vermag er mit seiner Musik zu rühren, das will viel heißen. Und deshalb imponiert mir seine Musik ebenfalls. Zum dritten imponiert mir die soziale Grundhaltung meines Freundes Karl Heinz, denn wie anders als sozial ist zu nennen, wenn sich einer in Ehrenämtern zum Wohle der Reihen seiner Berufskollegen aufreibt, anstatt in der Reihentechnik zu komponieren. Mein Lob gilt also a) dem selbstständigen freiberuflichen Komponisten und seiner Musik, b) dem als vielseitigen Funktionär Tätigen und c) natürlich dem Menschen Karl Heinz Wahren. Das gutmütige und hochgebildete, in der Historie (besonders der preußischen) überaus beschlagene Wesen Wahren hat natürlich auch seine Schrullen, wie z. B. die häufige Anwendung des Wortes “kafkaesk” und des Begriffes von der “Heisenbergschen UnschärfeRelation”. Wer ihn kennt, weiß, dass auch sein Privatleben zu Zeiten einer gewissen Groteske nicht entbehrt, aber: Wenn auf jemanden der Terminus “Redlichkeit” anzuwenden ist, dann auf unseren Karl Heinz! Karl Heinz (wie kann man sein Kind nur so taufen lassen-?) - wir lieben dich und wir brauchen dich! 70-year-olds those are the seniors, impotent and incompetent. 70-year-olds those were the old Nazis who talked about the feats of the war heroes and the good sides of Adolf Hitler. 70-year-olds they have no sense of humour and find everything that young people do to be completely tasteless, especially their music. But the reality is very different! Although I am not quite seventy yet, I find very few things surprising anymore. However, I am still constantly astonished about three aspects of my friend’s life that I consider worthy of admiration: First of all, I am impressed that this colleague of serious music has made it through life without the helpful support of a lectureship. Although this means he unfortunately cannot pass on the musical wisdom that he so arduously acquired from Karl Amadeus Hartmann in that way, his colleagues can take care of that. He has better things to do. Secondly, my friends, please listen carefully: Even my narrow-minded and limited heart that loves thirds is touched by his music, which means quite a lot. And this is why his music also amazes me. Thirdly, I am impressed by the basic social attitude of my friend Karl Heinz. Could it be called anything other than “caring” when a person wears himself out in honorary positions to benefit the ranks of his professional colleagues instead of composing in the series technique. My praise is also extended to: a) the independent freelance composer and his music b) the versatile activities of the functionary c) and, of course, Karl Heinz Wahren as a human being. The good-natured and highly educated being Wahren, who is very knowledgeable in history (Prussian in particular) naturally also has his whims, such as the frequent use of the word “Kafkaesque” and the term “Heisenbergian relation of unsharpness.” Those who know him are also aware that his private life has sometimes had a certain grotesque quality to it. However: If there is anyone for whom we can use the expression “uprightness,” then it is our Karl Heinz! Karl 17 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Vor zehn Jahren bereits trug ich anlässlich eines runden Geburtstages (ja - richtig geraten, es war der sechzigste!) unseres heutigen Jubilars ein mühsam verfertigtes, ja: ziseliertes Gedicht vor. Schier echolos verpuffte es in der bereits stark alkoholisierten Menge, und deshalb verdient es, heute wiederholt zu werden (Wiederholungen, lieber Karl Heinz, sind das Salz der U-Musik), nicht ohne dem festlichen Anlass allerdings behutsam angepasst zu sein: Heute, ihr Leute, da jährt sich zum siebzigsten Male der Tag der Geburt unsres immer noch rüstigen Alten. Seht ihn, den feurigen Greis mit dem bärtigen Antlitz, silbern das Haar und leuchtend die wachsamen Augen! Gruben auch Kleine Sekunden und mancher Tritonus - Klänge, die seine Musik unverwechselbar machten gruben sie auch, diese Töne, die oft dissonanten, Runen ins weise Gesicht sowie kleinere Falten, strotzt doch das heitere Kerlchen von Jugend und Spannkraft, perlt von den Lippen der Strom unaufhaltsamer Rede, voll Anekdoten und wichtiger Informationen. Weiß der Karl Heinz doch fast alles von Körper und Seele, von Kafka und Heisenberg, Wilhelm und Friedrich dem Großen, - die Geschichte des preußischen Reiches hier auch zu erwähnen, hieße, die märkischen Eulen nach Spree-Athen tragen weiß er (und weiß, daß auch wir dieses wiederum wissen) ja nicht nur die Regeln der E-Musik kundig zu nutzen, schichtend so wacker wie herzhaft den Reiz der Friktionen über- und nebeneinander im Reich der Euterpe, weiß er doch auch um die Wonnen des klassischen Jazzes, und back to the roots zieht’s ihn öfter am späteren Abend. Erleuchtet vom Weine, befeuert und mächtig beflügelt donnert Karl Heinz dann Akkorde und wucht’ge Kaskaden, schonend wohl kaum des Klavieres empfindliche Tasten. Wo blieb Verlorenen Tangos subtiles Gewebe? Wo bleibt der Jungfrauen zarter Gesang in den Gärten? Alles vereint sich zum Urstrom der wabernden Muse. Aber Adorno rotieret im naßkalten Grabe. Lasset uns heben nun hoch unsre schimmernden Humpen, trinken auf ihn und mit ihm, unsrem Festjubilaren! Die mit dem Altwerden drohenden bösen Gefahren möge das Schicksal dir gnädig noch lange ersparen! Gönne dir und auch den Freunden noch mal einen Klaren, Sei du beschenkt mit noch vielen und fruchtbaren Jahren! Laut rufen alle wir, die heut gekommen in Scharen: Gott segne dich und die Deinen, oh Freund Karl Heinz Wahren! [*] Anmerkung: Auf der Suche nach dem verlorenen Tango und Gesang toskanischer Jungfrauen in florentinischen Gärten zur Blütezeit der Inquisition sind Kompositionen von Karl Heinz Wahren. Heinz (how can anyone have their child baptised with that name...?) - we love you and we need you! Ten years ago, on the occasion of a birthday (yes good guess, it was the sixtieth!) of the person who we are celebrating today, I already read an arduously composed and even engraved poem. Without an echo, it went up in smoke in the strongly alcoholised crowd and therefore deserves to be recited today (repetitions, dear Karl Heinz, are the salt of light music), but not without careful adaptation to this festive occasion: Today, dear people, is the seventieth anniversary Of the birth of our old man so hale and hearty. Look at him, the fiery elder with his bearded countenance, His hair silvery and eyes shining with so much vigilance! Even if the minor seconds and some of the tritones - the sounds that have given his music a style of its own Even if these tones, dissonant as they are in their place, Engraved runes and little wrinkles in his wise face, This cheerful fellow is still bursting with youth and energy, And from his lips bubbles a stream of unstoppable speech Full of anecdotes and information we should know, Karl Heinz is familiar with most things about body and soul, About Kafka and Heisenberg, Wilhelm and Frederick II the Great, - as well as the Prussian empire’s history to date Which means taking the owls of Brandenburg March to Spree-Athens He not only knows (and, in turn, also knows that we all know this) How to use the rules of serious music in a way that is ideal, Layering both bravely and heartily the friction’s appeal One upon the other and side by side in Euterpe’s realm, He even knows the delights of classical jazz and how to enjoy them And often, late in the evening, back to the roots he is drawn Inspired by wine, full of fire, with powerful wings to carry him on Karl Heinz thunders the chords and cascades so massively, That he hardly spares the piano’s sensitive keys. What has happened to the subtle texture of the Lost Tango? Where did the tender Song of Virgins in the Garden go? Everything unites in the undulating muse’s primal stream, Yet Adorno is turning in a grave that is clammy and unseen. So now our glistening glasses should all be raised Drink to him and with him as he celebrates his special day! May fate in its mercy long spare you Of the evil dangers that threaten as we grow older too! Allow yourself, and your friends, one more schnapps in the glass, And may you be given many more fruitful years as they pass! Now it’s time for the whole group here to call out and applaud: Oh, friend Karl Heinz Wahren - may you and yours be blessed by God! [*]Note: In Search of the Lost Tango and the Song of Tuscan Virgins in the Florentine Gardens at the Height of the Inquisition are compositions by Karl Heinz Wahren. [Translated by GEMA member Christine Grimm] 18 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Zum Tode von Norbert Schultze (1911 - 2002) von Karl Heinz Wahren On the Death of Norbert Schultze (1911 - 2002) by Karl Heinz Wahren Norbert Schultze wurde 1911, zu Zeiten der kaiserlichen Monarchie, geboren und eingeschult. Er absolvierte Gymnasium, Abitur und Musikstudium während der Weimarer Republik, dann in der Hitlerdiktatur erlebte er den Aufstieg zu einem der erfolgreichsten und höchstbezahlten deutschen Filmkomponisten. Nach dem II. Weltkrieg erhielt er mehrere Jahre Berufsverbot, um nach seiner Entnazifizierung erneut seine Karriere als renommierter Film- und Fernsehkomponist zu machen. Norbert Schultze was born in 1911 and started school at the time of the imperial monarchy. He attended grammar school, took his matriculation exam and finished his music studies during the Weimar Republic and then under Hitler’s dictatorship he experienced his rise to become one of the most successful and best paid German film composers. After World War II he was banned from pursuing his profession for several years only to resume a career as a renowned film and television composer after his denazification. Das lange Leben des Norbert Schultze durch vier politische Gesellschaftsordnungen sowie sein umfangreiches kompositorisches Schaffen stellen sich der breiten Öffentlichkeit vor allem in zwei Liedern polarisiert dar: Dem 1938 entstandenen Chanson Lili Marleen und dem 1940 vertonten Marschlied Bomben auf Engelland. For the public at large, there are two songs in particular that reveal the polarity of Norbert Schulze’s comprehensive work as a composer and the long life that took him through four different political systems: The chanson Lili Marleen written in 1938 and the marching song Bomben auf Engelland - Bombs on England - set to music in 1940. Dabei begann alles so gutbürgerlich in der preußischen Residenzstadt Braunschweig. Während der Vater, in der Familientradition Medizinprofessor, als Stabsarzt in den I. Weltkrieg einberufen wurde, sorgten die rührigen Großeltern für den ersten Klavierunterricht. Als 13-Jähriger komponierte der Gymnasiast bereits ein Lied auf Verse von Ludwig Uhland. Auch Geigenspiel wurde geübt. Nach dem Abitur ging es nach Köln zur Musikhochschule. Bei dem Busoni-Schüler Philipp Jarnack wurde Harmonielehre und Instrumentation studiert, bei Hermann Abendroth Dirigieren, an der Universität Musik- und Theaterwissenschaft belegt. And everything started from a solid middle-class background in the Prussian town of Braunschweig. While his father, a medical professor in the family tradition, was conscripted as a captain of the medical corps in World War I, his busy grandparents made sure he got his first piano lessons. At the age of 13, the grammar school pupil had already composed a song on verses of Ludwig Uhland. He also learned to play the violin. After his school-leaving examination, he went to the music conservatory in Cologne. He studied harmony and instrumentation with Philipp Jarnack, a former Busoni student, conducting with Hermann Abendroth and musicology and theatre at the university. Im dritten Studienjahr lockte aus München das eben gegründete Studentenkabarett Die vier Nachrichter - so benannt nach Frank Wedekinds Ensemble Elf Scharfrichter. Als Pianist, Komponist und Mitspieler, engagiert von Helmut Käutner, Bobby Todd und Kurt E. Heyne wird ihm das Pseudonym Frank Norbert verpasst: “Schultze klingt für bayrische Ohren zu preußisch.” Mit der Revue Hier irrt Goethe gelingt dem begabten Quartett, das alle Texte selbst schreibt, ein sensationeller Erfolg. Die vielseitige Gruppe wird zum Gastspiel nach Berlin ins Renaissance-Theater eingeladen. In der Charlottenburger Kantstraße lernen sie den Groschenkeller (neben dem Kantgaragenhaus) kennen; dort verkehren Heinrich George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht, Trude In the third year of his studies he was inveigled into joining the newly founded students’ cabaret Die Vier Nachrichter - The four messengers - from Munich - named after Frank Wedekind’s ensemble Elf Scharfrichter - Eleven Executioners. Engaged by Helmut Käutner, Bobby Todd and Kurt E. Heyne as piano player, composer and member of the ensemble he received the pseudonym Frank Norbert: “Schultze sounds too Prussian for Bavarian ears.” The talented quartet that wrote all its own texts had a sensational success with its revue Hier irrt Goethe - Goethe is wrong here. The multi-talented group was invited to Berlin for a guest performance in the Renaissance Theatre. In the Charlottenburg Kantstrasse they got to know the Groschenkeller - Penny Cellar - (next to the Kant- 19 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Hesterberg und viele andere damalige Stars. Die vier Glückspilze lassen sich von der Prominenz verwöhnen und planen nach vierzig ausverkauften Vorstellungen eine Deutschlandtournee. Das Ensemble war für diese Goetherevue - 1932, dem hundertsten Todesjahr des Dichters - mit Damen erweitert worden. So lernte er seine erste Frau kennen, die Schauspielerin Vera Spohr. Er suchte nun ein festes Theaterengagement und fand es in Heidelberg als Chordirektor und Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung. Nach weiteren Engagements, jetzt als Kapellmeister in Darmstadt, München und Leipzig, landete er schließlich wieder als Frank Norbert bei dem alten Nachrichter-Ensemble im Berliner Theater in der Saarlandstraße (heutiges Hebbeltheater) mit dem Stück Die Nervensäge. Inzwischen schrieb man das Jahr 1934. Beim “Röhm-Putsch” zeigt sich erstmalig die menschenverachtende Erbarmungslosigkeit und Brutalität des NS-Systems für einen Moment ganz offen. Aber trotzdem glaubt man noch sehr naiv, dass dieser “braune Spuk” bald wieder vorüber sein wird. Norbert Schultze schließt 1935 einen Vertrag mit der Schallplattenfirma AEG-Telefunken als Koordinator für die Unterhaltungsmusikproduktionen. Damals wurde die Musik mit Saphir in dicke, temperierte Wachsplatten geschnitten, von denen im nachfolgenden industriellen Verfahren die schwarzen Schellackplatten gepresst werden. Zusätzlich verdient sich Norbert Schultze Geld als Komponist mit Werbemusik. Das Ziel, eine eigene Oper zu schreiben, hat er dabei nicht aus dem Auge verloren. Aus dem plattdeutschen Märchen Erik entwickelt er ein Szenarium, in dem das Kartenspiel Schwarzer Peter die Handlung vorantreibt. In Walter Lieck findet sich schließlich ein begabter Librettist, mit dem er - neben seiner Telefunken-Tätigkeit - an dem aufwändigen Projekt arbeitet. Überraschend für die beiden jungen Autoren setzt die Hamburger Staatsoper die “Heitere Oper für kleine und große Leute” - so der Untertitel des Schwarzen Peter - für Weihnachten 1936 kurzfristig als Uraufführung auf den Spielplan. 50 Jahre später meint Norbert Schultze: “Nur wenn man noch ein Greenhorn von 25 Jahren ist, traut man sich zu, eine so große und völlig ungewohnte Aufgabe in so kurzer Zeit zu bewältigen.” Aber es klappte, Schwarzer Peter wurde beim Publikum, ob groß oder klein, und ebenso bei der Kritik ein glänzender Erfolg und anschließend auch gleich von zahlreichen weiteren Bühnen übernommen. garagen house); regular guests there were Heinrich George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bert Brecht, Trude Hesterberg and many other stars of the time. The lucky foursome allowed themselves to be pampered by these celebrities and after forty sold-out performances planned a tour through Germany. The ensemble had been augmented by the addition of several ladies for this Goethe revue - 1932 was the year of the 100th anniversary of the poet’s death. This is when Norbert Schultze met his first wife, the actress Vera Spohr. After that he began looking for a permanent appointment at a theatre and found it in Heidelberg as director of the choir and coach together with conductor’s duties. After further engagements as director of music in Darmstadt, Munich and Leipzig, he finally ended up once again as Frank Norbert with the old Nachrichter ensemble at the Berlin Theatre in Saarlandstrasse (today’s Hebbel Theatre) with the piece Die Nervensäge - Pain in the neck. By now it was the year 1934. For the first time the “Röhm putsch” made momentarily manifest the merciless contempt for mankind and brutality of the NS system. But most of the people were still naïve enough to believe that this “brown spectre” would soon be over. In 1935 Norbert Schultze concluded a contract with the AEG-Telefunken record company as co-ordinator for light music productions. In those days the music was cut with sapphires on thick, heated wax sheets from which the black shellac records were then pressed in the industrial manufacturing process that followed. Norbert Schultze also earned some money as a composer of advertising music. But he did not lose touch with his aim of writing an opera of his own. Based on the Low German fairytale Erik, he developed a scenario where the action is hurried along by the card game Schwarzer Peter. In Walter Lieck he found a talented librettist with whom - in addition to his work with Telefunken - he worked on this demanding project. It came as a surprise to the two young authors when at short notice the Hamburg State Opera put the “Amusing Opera for Young and Old” - the subtitle of Schwarzer Peter - on the programme as a premiere for Christmas 1936. 50 years later Norbert Schultze observed: “Only a greenhorn of 25 years of age can think one is capable of mastering such a major and completely unaccustomed task in such a short period of time.” But it worked out. Schwarzer Peter became a brilliant success with the audience, young and old, 20 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Die Uraufführung, die eigentlich Dr. Hans Schmidt-Isserstedt leiten sollte, der aber wegen plötzlicher Erkrankung absagen musste, dirigierte Norbert Schultze selbst; er wurde dabei auch in seinem Talent als Dirigent bestätigt. Der große Erfolg dieser Märchenoper sollte für den Autor später Konsequenzen haben, die direkt zu dem verhängnisvollen Bomben auf Engelland führten. Doch jetzt herrschte noch Frieden in Europa, hatte Hitler doch gerade erst bei den Olympischen Spielen in Berlin seine angebliche Weltoffenheit und Versöhnlichkeit demonstrativ zur Schau getragen. Im September 1935 verabschiedete die NS-Regierung die “Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” anlässlich des Nürnberger Parteitages der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Danach wurde sowohl ein Liebesverhältnis als auch die Eheschließung zwischen “Juden und deutschen Staatsangehörigen” mit Gefängnis oder Zuchthaus - was praktisch Konzentrationslager bedeutete - geahndet. Diese “Nürnberger Gesetze” schufen die juristische Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, deren Ausmaße täglich sichtbarer wurden. Aber die große Mehrheit der Deutschen ließ sich durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit blenden, durch das Angebot von KdF-Reisen (Kraft durch Freude) und den scheinbar soliden wirtschaftlichen Aufschwung. Die euphemistischen Reden des Propagandaministers Joseph Goebbels verbreiteten Rundfunk und Wochenschau bis in die letzten Winkel des III. Reiches. Von dieser raffinierten Mischung aus Tatsachen und Lügen ließ sich das deutsche Volk willfährig betäuben und glaubte allzu gern an die Friedfertigkeit dieses Systems, trotz der inzwischen offensichtlich gewordenen massiven militärischen Aufrüstung. Hermann Göring, Chef der Luftwaffe und des industriellen Fünf-JahresPlans: “Wir brauchen Kanonen statt Butter!” Norbert Schulze schwimmt inzwischen auf der Welle des Erfolges mit völlig unpolitischen Kompositionen wie mit der Oper Kaspar (im Krieg verloren gegangen), dem Ballett Max und Moritz (Hamburger Staatsoper) und der plattdeutschen Kantate Sünnschien un’ Regen, ein volkstümliches Gegenstück zu Joseph Haydns Jahreszeiten. Die Filmbranche wird auf den begabten, seriösen, jungen Komponisten aufmerk- and also with the critics, whereupon it was taken over immediately by many other theatres. Originally Dr. Hans Schmidt-Isserstedt had been supposed to conduct the premiere, but had to call it off because he suddenly fell ill, so Norbert Schultze conducted it instead and thus confirmed his talent as a conductor. The great success of this fairytale opera was later to have consequences for the author that led directly to the disastrous Bomben auf Engelland. But at the time Europe was still at peace, and Hitler had only just displayed demonstratively his alleged cosmopolitan attitudes and conciliatory nature at the Olympic Games in Berlin. In September 1935 the NS government adopted the “Laws for the Protection of German Blood and German Honour” at the Nuremberg party convention of the Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). According to these laws a relationship or a marriage between “Jews and German nationals” was punishable by prison or penal servitude - which to all intents and purposes meant a concentration camp. These “Nürnberger Gesetze” (Nuremberg Laws) created the legal basis for the discrimination and persecution of the Jewish citizens and the extent of this became more and more apparent with every day. But the great majority of the Germans were dazzled by the elimination of unemployment, by the offer of KdF trips (Kraft durch Freude - Strength through Joy) and the apparently solid economic recovery. The radio and the Wochenschau in the cinemas disseminated the euphemistic speeches of propaganda minister Joseph Goebbels to the furthest corners of the Third Reich. With due compliance the German people allowed themselves to be mesmerised by this cunning mixture of facts and lies and were all too willing to believe in the peacefulness of the system despite the massive military rearmament that had become obvious in the meantime. Said Hermann Goering, head of the Luftwaffe and of the industrial five-year plan: “We need cannons instead of butter!” Norbert Schultze by then was riding a wave of success with compositions of a completely non-political nature such as the opera Kaspar (lost during the war), the ballet Max and Moritz (Hamburg State Opera) and the Low-German cantata Sünnschien un’ Regen (Sunshine and Rain), a popular counterpart to Jose- 21 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare sam und engagiert ihn. Bei der Tobis-Filmgesellschaft entsteht der Musikfilm Renate im Quartett. Ein kleines Bratschenkonzert, Mozart nachempfunden, ist Norbert Schultzes kompositorischer Einstieg in die Filmmusik. Helmut Käutner engagiert den “Kleinen Mozart”, wie ihn Kollegen hänseln, für seinen Terra-Film Frau nach Maß, für den allerdings moderne Tanzmusik verlangt wird. Norbert Schultze schafft auch diesen Spagat zwischen E- und U-Musik und schreibt sein erstes Schlagerlied: Ich möchte so sein wie du mich willst. Nun häufen sich die Angebote für Film-Vertonungen. Norbert im Glück? In seiner alten Stammkneipe, dem Groschenkeller, wo sich nach Feierabend allerlei Künstlerkollegen treffen, bittet ein befreundeter Basssänger Schultze, ihm ein paar Shantys für eine Radiosendung zu schreiben, dabei drückt er ihm die Gedichtesammlung Die kleine Hafenorgel von Hans Leip in die Hand. Norbert vertont daraus zehn Gedichte und spielt sie dem Freund vor. Der aber ist enttäuscht, findet das alles zu sanft, viel zu lyrisch, “für kleine Mädchen”; er, der Sänger, hatte an etwas Zünftiges, eher Derbes “für Männer” gedacht. Die Lieder werden von Schultze reihum bei Verlagen und Schallplattenfirmen angeboten, doch keiner greift zu. Nur Helmut Käutner bedankt sich für die hektographierten Abzüge von Norberts sauberer Reinschrift und gratuliert, speziell zu dem Lied Lili Marleen. Schließlich erhält auch die alte Freundin aus den frühen 30-erJahren, Lieselotte Wilke, jetzt als Sängerin unter dem Namen Lale Anderson im Berliner Kaiserhof engagiert, einen Abzug. Während Schultze als Dirigent in Berlin die Erstaufführung des Schwarzen Peter leitet und im Wechsel damit in der Hamburger Staatsoper sein neues Ballett Max und Moritz dirigiert, steckten die Nazis Synagogen in Brand, verwüsteten jüdische Geschäfte und ermordeten unschuldige Menschen: Der 9. November 1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichte ein. Lale Andersen sang im Rundfunk zum ersten Mal Lili Marleen. Die von Electrola produzierte Schallplatte fand aber kaum Käufer. Norbert Schultze musste zur Musterung und wird als k.v. (kriegsverwendungsfähig) der Infanterie zugeschlagen. Nach dem Kriegsausbruch am 1. September 1939 erwartet er täglich seine Einberufung. Aber als der Polenfeldzug nach sechs Wochen vorüber ist, wird ihm die Vertonung des Films Feuertaufe angebo- ph Haydn’s Four Seasons. The film business became aware of the talented, serious, young composer and offered him a job. The Tobis film company produced the music film Renate im Quartett (Renate in quartet). A minor concerto for viola, after Mozart, was Norbert Schultze’s first compositional work for film music. Helmut Käutner hired the “Little Mozart”, as he was called teasingly by colleagues, for his Terra film Frau nach Maß (Woman made to measure) for which, however, modern dance music was required. Norbert Schultze also succeeded in walking the tightrope between serious and light music and wrote his first hit: Ich möchte so sein wie du mich willst (I want to be like you want me). Now came more and more offers for writing film music. Norbert in luck? In his old local, the Groschenkeller, where numerous fellow artists met after work, Schultze was asked by a bass singer he was acquainted with to write a few shanties for a radio broadcast and gave him Die kleine Hafenorgel, a collection of poems by Hans Leip. Norbert set ten of the poems to music and played them to his friend. The friend, however, was disappointed, considered everything to be too soft, too lyrical, “for little girls”; he, the singer had thought of something more vigorous, rather coarse “for men”. Schultze offered the songs to a number of publishers and record companies but nobody took them. Only Helmut Käutner thanked him for the hectographed copies of Norbert’s neat manuscripts and congratulated him especially on the song Lili Marleen. And finally his old friend from the thirties, Liselotte Wilke, at the time engaged as a singer under the name of Lale Anderson at the Berlin Kaiserhof, also received a copy. While Schultze was switching between managing the premiere of Schwarzer Peter as conductor in Berlin and conducting his new ballet Max and Moritz at the Hamburg State Opera, the Nazis were setting synagogues on fire, devastating Jewish shops and murdering innocent people: November 9th, 1938 went down in the annals of history as the Reichsprogromnacht. And Lale Anderson sang Lili Marleen on the radio for the first time. But the record, which was produced by Electrola, scarcely found any buyers. Norbert Schultze was recruited for military service and, being of sound mind and body, was assigned to the infantry. When war broke out on September 1st, 1939 he expected to be called up any day. But the 22 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare ten, produziert im Auftrag des Göringschen Luftfahrtministeriums. Um die Kompositionsarbeit im Film nicht durch die plötzliche Einberufung zu gefährden, will die zuständige Filmfirma TOBIS Norbert Schultze “u.k.” (unabkömmlich) schreiben lassen. Da stellt sich heraus, dass dieser Komponist längst auf der so genannten “Führerliste” steht, d. h. er darf für die Dauer des Krieges nicht zum Militär einberufen werden. Ein ihm völlig unbekannter Dr. Scherler im Propagandaministerium hatte Norbert Schultze nach der Uraufführung des Schwarzen Peter für würdig befunden, dem deutschen Volk als Künstler erhalten zu bleiben. Der Haken an der Sache: Von nun an heißt es nicht nur künstlerisch, sondern auch propagandistisch dem III. Reich zu dienen. Für den Luftwaffen-Dokumentarfilm Feuertaufe muss er auch gleich den Text Bomben auf Engelland - (“Kamerad! - Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!”) vertonen. Aus dem “Kleinen Mozart” war plötzlich der “Bomben - Schultze” geworden. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Norbert Schultze 55 Jahre später: “Wenn ich das Lied heute wieder höre, gibt es mir jedes Mal einen Stich ins Herz: Was? Das hast du komponiert? Das peinigt mich dann oft tagelang und lässt mich nicht schlafen, vor Schreck und Scham - heute noch.” Auch privat hatte sich Norbert Schultzes Leben verändert. 1941 lernte er die bulgarische Filmschauspielerin und Sängerin Iwa Wanja kennen und heiratete sie 1943. In dieser Zeit entsteht die Märchenoper Das kalte Herz nach Wilhelm Hauff, im Auftrag der Stadt Leipzig. Im gleichen Jahr, 1943, der Film Symphonie eines Lebens, welcher in vier symphonischen Sätzen mit Rückblendetechnik das gesellschaftlich zerbrochene Leben eines Komponisten erzählt. Dieser Film hat mich als Schüler seinerzeit tief beeindruckt mit seiner spätromantischen, an Brahms angelehnten symphonischen Orchestermusik. Die Partitur ging im Krieg verloren. Von dem Film existieren nur noch zwei technisch mäßig gut erhaltene Lichttonkopien. Bereits 1940 war Norbert Schulze in die NSDAP eingetreten, denn das hatte man ihm sehr empfohlen, vor allem um nicht doch wieder von der “Führerliste” gestrichen zu werden und beim Infanterie-Einsatz an der Ostfront statt seines musikalischen Talents militärische Todesbereitschaft für “Führer und Volk” demonstrieren zu müssen. Poland campaign was over in six weeks and after that he was invited to write the music for the film Feuertaufe, produced on commission by Goering’s Ministry of Aviation. In order not to jeopardise the compositional work in the film because he might suddenly be called up, TOBIS, the company making the film wanted to have Norbert Schultze classified as being “in a reserved occupation”. It then emerged that this composer had long since been on the so-called “Führer’s list”, i.e., that he was exempt from conscription for the duration of the war. After the premiere of Schwarzer Peter, a certain Dr. Scherler in the propaganda ministry, who was absolutely unknown to him, had found Norbert Schultze worth keeping as an artist for the German people. The snag was that, from now on, he had to serve the Third Reich not only as an artist but also as a propagandist. For the Luftwaffe documentary Feuertaufe he also had to set the text of Bomben auf Engelland - (“Kamerad! Kamerad! Alle Mädchen müssen warten!” - “Comrade! - Comrade! All the girls must wait!”). “Little Mozart” had suddenly become “Bomber - Schultze”. 55 years later Norbert Schultze wrote in his memoirs: “Every time I hear this song today I am cut to the quick: what? You actually composed this? It often tortures me for days and I cannot sleep owing to my terror and shame - even today.” Norbert Schultze’s life had also changed in his private sphere. In 1941 he met the Bulgarian film actress and singer Iva Vanja and they were married in 1943. At that time he was writing the fairytale opera Das kalte Herz (The cold heart), based on Wilhelm Hauff, commissioned by the city of Leipzig. In the same year, 1943, the film Symphonie eines Lebens - A life’s symphony - which in four symphonic sets using the flashback technique describes the socially shattered life of a composer. As a pupil I was deeply impressed by the film at the time with its Late Romantic symphonic orchestral music adapted from Brahms. The score was lost in the war. There are only two copies of the film today, in the form of photographic sound recordings of poor technical quality. Norbert Schultze had already become a member of the NSDAP in 1940 because he had been urgently prevailed upon to do so, especially to avoid being struck from the “Führer’s list” and having to demonstrate his readiness to die as a soldier in the infantry on the Eastern front, instead of his musical talent. 23 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Norbert Schultze beschloss, sich und seinen inzwischen zwei Familien sein Leben zu erhalten und komponierte entschlossen und erfolgreich weiter, alle politischen und kriegerischen Turbulenzen verdrängend. Neben unpolitischen Spielfilmen wie Aus erster Ehe, Gold für Frisco, Die Nacht der Zwölf oder Sommer, Sonne, Erika entstand die Musik zu politischen Historienfilmen wie Bismarck oder Affäre Rödern, zu dem Kriegsfilm Kampfgeschwader Lützow, und schließlich, kurz vor dem Zusammenbruch des III. Reiches, vertonte er noch den monumentalen Durchhaltefilm Kolberg (Veit Harlan). Nach dem Kriege wurde Norbert Schultze bei seiner “Entnazifizierung” als “Mitläufer” eingestuft, musste aber zunächst, anstatt wie bisher die fünf Notenlinien zu füllen, einige Straßen reparieren, Gärten wiederaufbauen und als sanften Übergang in sein eigentliches Berufsleben für politisch nicht belastete Kollegen Orchesterstimmen herausschreiben. 1948 war es für ihn schließlich wieder so weit und die Schultz’schen Filmkompositionen begleiteten von da an das deutsche Wirtschaftswunder musikalisch erfolgreich. Neben den zahlreichen Filmvertonungen komponierte Norbert Schultze auch für die Bühne. Berühmt wurde sein Musical Käpt’n Bay-Bay mit dem melodiösen Hauptsong Nimm mich mit Kapitän auf die Reise und dem Lied Kleine weiße Möwe. Im Verlaufe der Jahre entstanden die Bühnen-Revue Wir können uns das nicht leisten, die Operette Regen in Paris, die Märchen mit Musik Prinzessin auf der Erbse, Schneekönigin, Schneewittchen und Das tapfere Schneiderlein, die Lustspiele mit Musik Junge Spatzen und Kurzschluss. Das wichtigste Genre aber blieb für Schultze weiterhin der Film und später das Fernsehen. Der Käpt’n Bay-Bay wurde mit Hans Albers verfilmt und durch die anschließende Schallplattenproduktion einer der größten musikalischen Erfolge Schultzes. Er selbst sieht seine umfangreiche Filmarbeit sehr kritisch: “Unter den 25 Filmen, zu denen ich innerhalb von 10 Jahren die Musik geschrieben habe, sind, bei Lichte besehen, nur wenige, die zu erwähnen sich lohnt.” Das liegt freilich viel eher an den Drehbüchern und der Regie als am Komponisten. Eine positive Ausnahme ist hier der 1958 von Rolf Thiele gedrehte Film Das Mädchen Rosemarie. Der nie aufgeklärte Mord an einer Frankfurter Edel-Prostituierten zeigt das damalige bundesdeutsche Wirtschaftswunderland - mu- Norbert Schultze decided to preserve his life for himself and for the two families he had in the meantime and continued his work as a composer with determination and success, putting all political and wartime turbulences from his mind. Along with feature films of a non-political nature such as Aus erster Ehe - From the first marriage -, Gold für Frisco - Gold for Frisco -, Die Nacht der Zwölf - The night of the twelve - or Sommer, Sonne, Erika - Summer, sun, Erika - he wrote the music to political historical films such as Bismarck or Affäre Rödern - Rödern affair-, to the war film Kampfgeschwader Lützow - Lützow fighter squadron - and finally, shortly before the collapse of the Third Reich, he wrote the music for the monumental film Kolberg (Veit Harlan). After the war Norbert Schultze was classified as a “fellow traveller” during his “denazification”, but, instead of writing musical scores, he began by repairing roads, reconstructing gardens and, as a gentle return to his old profession, writing out orchestra parts for colleagues who were politically untainted. In 1948 he was finally allowed to resume his work and, from then on, Schultze’s film compositions began to successfully accompany - in musical terms - the German economic miracle. Along with the large amount of music he wrote for films, Norbert Schultze also composed for the theatre. The musicals that achieved fame were his Käpt’n Bay-Bay with the melodious theme song Nimm mich mit Kapitän auf die Reise (Take me on a journey captain) and the song Kleine weiße Möwe (Little white seagull). Over the years he wrote the stage revue Wir können uns das nicht leisten - We cannot afford this, the operetta Regen in Paris (Rain in Paris), the fairytales with music Prinzessin auf der Erbse (The princess on the pea), Schneekönigin (The snow queen), Schneewittchen (Snow White) and Das tapfere Schneiderlein (The brave little tailor) and the comedies with music, Junge Spatzen (Young sparrows) and Kurzschluss (Short-circuit). But the most important genre for Schultze continued to be the film and later television. Käpt’n Bay-Bay was made into a film starring Hans Albers and, thanks to the record production that followed, became one of Schultze’s greatest musical successes. He himself took a very critical view of his extensive work for film: “Seen in the cold light of day, of the 25 films for which I wrote the music within a period of 10 24 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare sikalisch verschärft durch satirische Moritaten - mit seinen sozialen Verwerfungen kritisch und dabei kaba rettistisch überhöht. Die Besetzungsliste liest sich wie ein Ausschnitt aus dem “Gotha” der Schauspieler. Die “Aufarbeitung” unserer Zeitgeschichte geschah damals eher beiläufig und ohne beunruhigende Reflexion, aber mit viel Verdrängungsfähigkeit zum III. Reich. Norbert Schultze jedoch sah das im Zusammenhang mit seiner eigenen Vergangenheit für sich selbst jetzt kritisch: “Nur zwei historisch-politische Sujets fallen aus dem Rahmen der Nichtigkeiten: Einmal 1958 U 47 - Kapitänleutnant Prien, da klingt als Zeitdokument mein U-Boot-Lied von 1942 noch einmal auf, jetzt natürlich vor dem tragischen Hintergrund des Untergangs und mit der verspäteten Erkenntnis eines sinnlos gewordenen Opfers. Für mich persönlich erschütternd, da ich 1942 vielleicht noch blauäugiger als der berühmte Kapitänleutnant dessen Todesfahrt musikalisch begleitet habe, - 1960 Soldatensender Calais unter Regie von Paul May. Darin ist Lili Marleen ein Lied, das mit dem Widerstand verknüpft ist - wie Lucie Mannheims Version des Liedes, die 1942 und 1943 von der BBC London ausgestrahlt wurde.” Trotz der vielen Aufträge, des notwendigen, zeitraubenden Notenschreibens, der Auftritte als Pianist und Dirigent und der vielen Reisen fühlte sich Norbert Schultze verpflichtet, für seine Kollegen durch ehrenamtliche Tätigkeiten in der GEMA und dem Deutschen Komponistenverband auf einen Teil seiner ohnehin geringen Freizeit zu verzichten. Vier Jahrzehnte lang, von 1956-1996, half er als Kurator der GEMA-Sozialkasse zahllosen in Not geratenen Kollegen, über berufliche oder auch persönliche Schicksalsschläge wenigstens finanziell hinwegzukommen. Uns jüngeren Autoren stand er stets mit seinen realitätsgeprüften, lebensklugen Ratschlägen zur Verfügung, schenkte uns in vielen Gesprächen bereitwillig seine wache Aufmerksamkeit. Er vermochte immer mit feinem Gespür aufzumuntern und den naiven Nachwuchs durch ehrliche Worte vor den Fallstricken unseres Risikoberufes zu warnen oder auch hoffnungsvolle Wege aus fälschlich eingeschlagenen musikalischen Sackgassen zu weisen. Das alles ohne Besserwisserei oder gar Überheblichkeit, sondern mit ermutigender, freundlicher Kollegialität. Von 1973 bis 1992 war er stellvertretendes Vorstandsmitglied des Deutschen Komponistenverbandes und engagierte sich zusätzlich für die Interessen seiner years only a few are worth mentioning.” The reasons for this were of course rather the scripts and the directors than the composer. A positive exception in this context is the film Das Mädchen Rosemarie (The girl Rosemarie) made by Rolf Thiele in 1958. The unsolved murder of a high-class prostitute in Frankfurt critically shows the Germany of the time as the land of the economic miracle - musically highlighted by satirical street ballads and heightened in the cabaret style with all its social distortions. The cast list reads like an excerpt from the actors’ “Gotha”. The method of “coping with” our contemporary history in those days was more of an incidental process and without any disturbing reflections but with a great gift for repressing memories of the Third Reich. Norbert Schultze, however, viewed this very critically in connection with his own past as far as it had a bearing on himself: “Only two historical-political subjects distinguish themselves from the list of trivialities: once in 1958 U 47 - Kapitänleutnant Prien, with my submarine song from 1942 as a document of the time, now of course against the tragic background of the sinking of the vessel and the delayed realisation that the sacrifice was meaningless. What causes me particular personal distress is the fact that in 1942 I provided the musical accompaniment to its fatal voyage even more naively than the famous lieutenant - and in 1960 the film Soldatensender Calais (Army radio station Calais) directed by Paul May. It contains Lili Marleen, a song that is associated with the resistance - like Lucie Mannheim’s version of the song that was broadcast in 1942 and 1943 by BBC London.” Despite the many commissions, the necessary timeconsuming business of writing music, his appearances as pianist and conductor and his many trips, Norbert Schultze felt obliged to spare some of the little time that remained for his colleagues, for honorary work with GEMA and the German Composers’ Association. As trustee of the GEMA Welfare Fund for four decades, from 1956-1996, he helped a large number of colleagues who had fallen on hard times to overcome their professional or personal misfortunes at least in financial terms. He always helped us younger authors with wise advice gathered from his own real experiences, and was always willing to lend us his full attention in the many talks we had with him. He had a constant flair for cheering us up and warning naive young authors against the traps of our risky profession or showing us promising ways out of musical dead 25 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Kollegen mehrere Jahrzehnte im GEMA-Werkausschuss, dem Wertungs- und Beschwerdeausschuss sowie in der Verteilungsplankommission; außerdem von 1959 bis 1996 im Kuratorium der Versorgungsstiftung der deutschen Komponisten. Als er 1996 anlässlich seines 85. Geburtstages für seine Aktivitäten um die Bewahrung des geistigen Eigentums sowie die Verbesserung des ideellen und finanziellen Schutzes der Musikautoren mit dem Ehrenring der GEMA ausgezeichnet wurde, betonte der GEMA-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Reinhold Kreile: “ Norbert Schultze hat die GEMA mitgeprägt, und die Gemeinschaft der Komponisten, Textdichter und Verleger verdankt ihm viel.” Bereits 1973 wurde ihm die höchste repräsentative Ehrung der deutschen Unterhaltungsmusik verliehen, der “Paul-Linke-Ring”. 1980 überreichte ihm im Fernsehen Peter von Zahn die “Goldene Europa”, worauf Norbert Schultze - mit der kleinen Statue in der Hand - feststellte: “Die Hälfte dieser Dame gehört bitte Hans Leip.” Der damals 87-jährige Dichter der Lili Marleen schrieb umgehend: “Dankeschön, lieber Norbert, aber eine Dame teilt man nicht.” Für sein umfangreiches Bühnen-Œuvre würdigte die Dramatiker-Union Norbert Schultze 1981 mit der “Goldenen Nadel”. Im Jahr zuvor produzierte der WDR-Hörfunk die Märchenoper Schwarzer Peter und 1984 Das kalte Herz in einer neuen Fassung. Norbert Schultze dirigierte beide Produktionen, die auch als CDs erschienen. Nach dem Tode seiner Frau Iwa Wanja - inzwischen aus dieser und seiner ersten Ehe mit sechs Kindern, achtzehn Enkeln und vier Urenkeln gesegnet - zog er 1991 vorübergehend erst nach Hamburg, dann aber nach Mallorca, wo er sein “Abendsonnenlicht” - wie er sagt - kennen lernt und Ostern 1992 heiratet: Brigitt Salvatori. Zehn Jahre waren ihm dann noch vergönnt, die er zum größten Teil auf Mallorca, zwischendurch immer wieder in Berlin und zuletzt in Bayern verbrachte. Norbert Schultze war nicht nur ein außerordentlich begabter, er war auch ein bemerkenswert fleißiger Komponist, dem allerdings trotz aller Intelligenz und Weltläufigkeit in jungen Jahren seine politische Naivität zum Schicksal wurde. Er erkannte nicht das Teuflische im Nationalsozialismus, konnte sich aber damit im Kollektivverhalten der meisten Deutschen bestätigt fühlen - “Den Teufel spürt das Völkchen nie”, Mephisto, Faust I. ends mistakenly taken. All this without a trace of condescension or even superciliousness, but in an encouraging, friendly and co-operative manner. From 1973 to 1992 he was a deputy member of the executive board of the German Composers’ Association and as well as that worked for his colleagues’ interests for several decades in the GEMA Works Committee, the Ratings and Complaints Committee and in the Distribution Plan Committee; from 1959 to 1996 he was also active on the board of trustees for the German composers’ pension foundation. In 1996, on his 85th birthday, he was awarded the GEMA Ring of Honour for his work in helping to safeguard intellectual property and in improving the moral and financial protection of music authors. At the award ceremony GEMA President Professor Kreile observed most emphatically: “Norbert Schultze has helped to shape GEMA and the community of composers, lyricists and publishers owes a great deal to him.” As early as 1973 he was awarded the highest representative honour of German light music, the “Paul Lincke Ring”. In 1980 Peter von Zahn awarded him the “Golden Europa” on television, whereupon Norbert Schultze - the little statue in his hand - stated, “Half of this lady belongs to Hans Leip.” The then 87-yearold author of the lyrics to Lili Marleen, wrote back immediately: “Thank you, dear Robert, but one does not share a lady.” In 1981 Norbert Schultze was awarded the “Golden Pin” by the Dramatists’ Union for his wideranging work for the stage. One year earlier the WDR radio station produced a new version of the fairytale opera, Schwarzer Peter, and in 1984 Das kalte Herz. Norbert Schultze conducted both productions, which were also released on CD. After the death of his wife Iva Vanja - in the meantime blessed with six children, eighteen grandchildren and four great-grandchildren from this and his first marriage - he moved to Hamburg for a while in 1991 and then to Mallorca where he met and married his “evening sunlight”- as he called her - at Easter in 1992, namely Brigitt Salvatori. He was granted the privilege of another ten years which he mostly spent on Mallorca and from time to time in Berlin and finally in Bavaria. Norbert Schultze was not only an extremely talented but also a remarkably industrious composer, whose 26 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare In seiner symphonischen Stilistik blieb Norbert Schultze beständig der deutschen Spätromantik des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftet, am deutlichsten in dem filmischen Musikdrama Symphonie des Lebens. Über seinen umfangreichen Werkkatalog, der fast alle Musikgenres umfasst, wird für immer das eine kleine Lied leuchten, das Lied von der Lili Marleen, dessen ahnungsvolle Beklommenheit schon den Zyniker Joseph Goebbels irritierte, das aber über alle kriegerischen Fronten des II. Weltkrieges hinweg in die Herzen der Soldaten traf und ihre privaten Sehnsüchte imaginierte: “Wenn sich die späten Nebel dreh’n ...” young man’s political naivety, however, was to become his fate, despite all his intelligence and urbanity. He was unable to see the diabolical in National Socialism, but could feel confirmed in not doing so by the collective behaviour of most Germans. - “Den Teufel spürt das Völkchen nie” (The people never sense the devil), Mephisto, Faust I. Musik war sein Leben Zum Tode von Helmut Brandt Von Karl Heinz Wahren Fans Jazzclubs und in den frühen Fünfzigerjahren wurden die ersten Jazz-Festivals initiiert. Dort, 1955 beim 3. Deutschen Jazz-Festival in Frankfurt a. M., katapultierte sich Helmut Brandt mit seiner Combo in die vorderste Reihe der deutschen Jazzmusiker. Begeistert umjubelte das Publikum die junge Truppe aus Berlin, mit der Besetzung Baritonsaxophon, Trompete, Piano, Bass und Drums. Die Arrangements schrieb alle Helmut Brandt; auch seine ersten Kompositionen entstanden, wie zum Beispiel die berühmte Ballade „Nordlicht“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderten sich die musikalischen Hörgewohnheiten in Deutschland zunächst kaum. Zwar war die zuvor ständig präsentierte Marschmusik passee und es belebte sich die Tanzmusik unter dem Einfluss des amerikanischen Swing, aber die sinfonische Unterhaltungsmusik beherrschte als populäre Tochter der seriösen historischen Tonkunst neben den aktuellen Schlagern die Programme der zahlreichen Rundfunksender. Der Jazz galt vorläufig weiterhin - wie seit den späten Zwanzigerjahren – als fremdartiger Bürgerschreck. Nur die Jugend interessierte sich für diese auffällig rhythmisch geprägte Musik mit zunehmender Begeisterung, sogar jenseits der sonst so üblichen sozialen Begrenzungen. In den Metropolen wie Berlin (West), Hamburg, München, Frankfurt und Köln gründeten In his symphonic style, Norbert Schultze always remained rooted in the German Late Romanticism of the late 19th century, most clearly in the musical film drama Symphonie des Lebens. A little song will forever shine out above his comprehensive catalogue of works that comprises nearly all genres, the song of Lili Marleen, whose uneasy foreboding had irritated even a cynic like Joseph Goebbels, but which went straight to the hearts of the soldiers on all the fronts of World War II and gave shape to their private longings: “Wenn sich die späten Nebel dreh’n ...” (When the late mists swirl). In der Bundesrepublik begann sich der Jazz zu emanzipieren, und wenngleich die Musikbranche weiterhin von den tradierten Genres beherrscht wurde, konnten sich doch deutsche Eigenarten in dieser bisher ausschließlich nach US-amerikanischen Vorbildern geprägten Musik langsam herausbilden. So fremd, wie es uns verkrustete Vorurteile immer wieder weismachen wollten, war diese Musik ohnehin nicht. Sind doch neben ihrem afrikanisch-amerikanischen Ur- 27 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare sprung gerade im harmonischen Bereich und den vom Musical des frühen 20. Jahrhunderts entlehnten Elementen transponierte europäische Anteile deutlich zu erkennen. Als Miles Davis 1948 das Capitol Orchestra gründete und mit dem Arrangeur Gil Evans das Klangideal der Cool-Jazz-Ära begründete, war Helmut Brandt 17 Jahre alt und studierte in Berlin am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium Klarinette und Tenorsaxophon. Er spielte bald in verschiedenen Berliner Clubs und holte sich erste BigBand-Erfahrungen in den bekannten Orchestern Lubo D’Orio und Kurt Widmann, nachdem er zum Baritonsaxophon überwechselte. Als Arrangeur und Komponist Autodidakt, erarbeitete er sich durch das Abhören und Nachschreiben von Jazz-Schallplatten seine Orchestrierungskenntnisse hartnäckig selbst. Helmut Brandt im Originalton: „Ich habe die großen Jazzmusiker akribisch studiert. Stan Kenton kenne ich seit meiner Jugend in- und auswendig. Von Schellack-Platten habe ich etwa zehn Titel des Miles Davis Capitol Orchestras abgeschrieben und nacharrangiert. Es waren sehr komplizierte Klänge, sehr schwer zu hören.“ Nach dem fantastischen Erfolg auf dem Frankfurter Jazzfestival, seine Komposition „Sum“ war dort der meistdiskutierte Beitrag, sah er für die Realisation seiner größeren kompositorischen Visionen nur noch Möglichkeiten beim Rundfunk. Nach weiteren Erfolgen als Solist und Komponist, zum Beispiel mit dem 1957 im „SDR-Treff Jazz“ uraufgeführten „Konzert für Jazz Combo“ und 1958 einer Auftragskomposition für die All Stars des Frankfurter Jazz-Festivals, trat Helmut Dem Neuen auf der Spur Prof. Dr. h.c. Erich Schulze zum 90. Geburtstag von Karl Heinz Wahren Wer die Filmaufnahmen von der endlosen Trümmerlandschaft Berlins kurz nach Kriegsende kennt, kann sich vorstellen, von welchem Optimismus ein 32-jähriger Stagma-Mitarbeiter beseelt sein musste, der im Spätsommer 1945 die ausgedehnten Ruinenfelder durchradelte, um in den zahlreichen Kellerbars oder den wenigen intakt gebliebenen Tanzlokalen Aufführungslisten von den Kapellen einzutreiben. Vereinzelt Brandt 1959 dem damals über Deutschland hinaus bekannten RIAS-Tanzorchester Berlin als Baritonsaxophonist und Arrangeur bei. Im Verlaufe der Jahre schrieb er neben populären BigBand-Arrangements zahlreiche große Orchesterwerke, wie „Reise nach Prag“ in 3 Sätzen, in der außer der BigBand noch Streicher, Hörner und Holzbläser mitwirken. 1998 wurden durch das Rundfunk Symphonie-orchester Berlin und die RIAS-Big-band seine „Symphonischen Impressionen“ im Konzerthaus Berlin uraufgeführt. Diese sinfonischen Jazzkompositionen gehören auf diesem Gebiet zu dem Interessantesten, was im Deutschland des 20. Jahrhunderts entstand. Als er mit 65 Jahren aus der RIAS-Bigband ausscheiden musste, arbeitete er erfolgreich weiter mit seinem bereits vorher gegründeten Helmut-Brandt-Mainstream-Orchestra, dessen reichhaltiges Repertoire er aus eigenen und anderen populären Jazznummern selbst schrieb. Unser natürlicher Lebenswille verhindert oft die Ahnung vom Tode, aber sie streift uns gelegentlich, so auch den vitalen, jugendlichen 68-jährigen Helmut Brandt, als er vor zwei Jahren sagte: „So viel möchte ich noch machen! Mozart und Beethoven – nicht, dass ich mich mit ihnen vergleichen wollte – aber beide hatten wohl das ganze Leben Angst, nicht mehr genug Zeit zu haben, all das aufzuschreiben, was ihnen im Kopf herum spukte. Diese Angst kenne ich auch.“ Ihn ereilte ein plötzlicher Herzschlag bei einem Spaziergang in Stuttgart, wo er mit seinem großartigen Mainstream-Orchestra bald wieder auftreten sollte und dessen neueste CD demnächst erscheinen wird. gab es inzwischen auch wieder Konzerte zeitgenössischer Musik mit Werken, die zwölf Jahre lang “unerwünscht” oder verboten waren. Dieser junge Mann erweckte die einzige deutsche musikalische Inkassogesellschaft aus ihrer kriegsbedingten Bewusstlosigkeit mit Energie und Einfallsreichtum wieder zum Leben. Von der alliierten Militärregierung ertrotzte er Arbeitserlaubnis, Papierzuteilungen, Reisegenehmigungen und alles, was damals notwendig war, um in dieser Zeit des Ausnahmezustandes eine administrativ effektive Organisation wieder aufbauen zu können. 28 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Als Nichtmitglied der Nazipartei hätte er auch Stadtrat von Wilmersdorf oder Steglitz werden können. Aber er zog es vor, in dem von Bomben und Granaten zur Mondlandschaft umgepflügten Berliner Stadtraum nach realen Musikklängen zu forschen, um diese für ein Inkasso in alter Reichsmark zu registrieren und so den Urhebern einen bescheidenen finanziellen Neuanfang zu ermöglichen. Dieses Geschäft betrieb der junge Mann Monat für Monat mit zunehmendem Erfolg, denn aus den Trümmern blühte zaghaft neues Leben, und dieses wollte sich seine staubig graue und hungrige Umgebung wenigstens mit Musik verschönen: “Ich hab’ so schrecklich Appetit auf Würstchen mit Salat.” Es entstanden bald in beiden Teilen Deutschlands die heutigen Strukturen der Bezirksdirektionen, die natürlich nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern inzwischen mit einem von den Alliierten zur Verfügung gestellten fauchenden Holzvergaser-Opel bereist wurden. Das an sich Unmögliche gelang schließlich, die GEMA entstand neu aus den Ruinen, und der unerschrockene junge Mann wurde von 1950 bis 1989 ihr Alleinvorstand, ohne Mitteldeutschland, das allerdings wurde inzwischen von der staatlichen DDR- Inkassogesellschaft AWA verwaltet. In diesem Jahr nun feiert Prof. Dr. h.c. Erich Schulze seinen 90. Geburtstag. In den letzten neun Jahren seiner Amtszeit lernte ich ihn durch meine Tätigkeit im GEMA- Aufsichtsrat näher kennen. Dabei entdeckte ich bald, dass der auf internationalen Podien vielfach Geehrte, mit Orden und Medaillen, akademischen, weltlichen wie päpstlichen Titeln Geschmückte - bei aller erkennbaren Freude über diese Ehrungen - ein Zeitgenosse realistischmenschlichen Denkens geblieben war. Er nahm sich der Sorgen seiner über 1000 Mitarbeiter ebenso an wie der Nöte einzelner GEMA-Mitglieder, deren Gesamtzahl damals rund 25 000 betrug. Trotz der sich hieraus ergebenden außerordentlichen Machtfülle - die freilich auch mit entsprechender Verantwortung getragen sein wollte - blieb Prof. Dr. Schulze, was er ehedem immer war: Ein sich an der Mitwelt orientierender Zeitgenosse, dem wohl nichts Menschliches fremd ist, dem aber auch der Mensch als Maß aller Dinge gilt, ohne dass solche Bestrebungen mit der Satzungstreue des Kant´schen Imperativs exekutiert würden. Er nahm jede Herausforderung ohne großes Zögern an, ging Konflikten nicht aus dem Wege, wenn er sie im Interesse seiner Urheber für notwendig erachtete. Er war ein Einzelkämpfer, von keinerlei Ängstlichkeit gebremst, der aber mit Voraussicht seine Chancen meist richtig einschätzte und danach handelte. Freilich hat man in diesem hohen Alter viele Feinde kommen, vor allem aber gehen sehen. Wer wird da nicht besinnlicher? Unsere gemeinsame Arbeit im Aufsichtsrat wie in den verschiedenen Ausschüssen führte oft zu divergierenden Meinungen, deren Ursache gelegentlich grundverschiedene Interessenlagen zwischen Autoren und Verlegern, auch mal zwischen Komponisten und Textdichtern oder U- Musik und E-Musik waren. Da galt es für Prof. Dr. Schulze, stets mit taktischem Geschick und feinem Gespür diplomatisch und intelligent zu verhandeln: Um die Besitzstände der verschiedenen gema-eigenen Gruppierungen in einer vertretbaren Balance zu halten, kleine Eitelkeiten zu berücksichtigen - auch die eigenen -, dabei notwendigen Neuerungen auf den Weg zu helfen, Minderheiten vor ungerechtfertigten Auszehrungen zu schützen, die Altersversorgung und Sozialleistungen abzusichern, um nur einige Punkte aus dem großen Repertoire der Aufgabenpalette zu nennen. Und das alles auf dem recht dünnen Eis des vom Gesetzgeber mit munteren Augen bewachten Satzungsgewirrs, dessen kafkaeske Ausmaße sich nur nach jahrelangem Studium zu lichten scheinen. Zusätzlich muss den sich ständig ändernden Verhaltensmustern des Musikmarktes Rechnung getragen, nationale Eigenheiten den internationalen Gepflogenheiten angepasst werden, ohne dabei die eigene Identität zu opfern oder gar Verluste hinzunehmen. Die energische Elastizität, mit der Professor Dr. Schulze den komplexen Forderungen des Tages gegenübertrat, blieb in all den Jahren unverändert, seine Vitalität und Arbeitsbereitschaft ungemindert. Sicher muss jemand zu den Besten zählen, um auf diesem gefährlich glatten Parkett über 40 Jahre mit außerordentlichem Erfolg gewirkt zu haben. Bei all seinen leistungsüberragenden Aktivitäten lässt sich Prof. Dr. Schulze nicht zu einem Musikliebhaber stilisieren. Seine Einstellung zur Musik ist von Gleichmut getragen, besonders wenn es zeitgenössische Konzertmusik betrifft. Eher sah man ihn bei einem Schlagerfestival vorbeischauen, denn diese Musik fordert kaum Widerspruch heraus, sie ist niemals dumm, weil sie niemals klug zu sein braucht und lässt einem einfachen Be- 29 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare haglichkeitsanspruch Raum. Sie erlöst vom Geiste, der uns peinigt und dem wir sonst kaum entrinnen können. Sicher war es feinere diplomatische Taktik, dass Mister GEMA - so nannte schon vor Jahrzehnten die Frankfurter Allgemeine Zeitung Prof. Dr. Schulze durch sein Auftreten in populären Fernsehsendungen breiteren Volksschichten unsere Urheberrechtsinstitution nahe brachte und damit die ungerechten Vorurteile gegen Autorentantiemen abzubauen half. Mehr als mit der akustischen Ausdruckswelt hält es Prof. Dr. Schulze privat mit der Literatur. Hier trifft man ihn im eigenen Hause an, denn mit den Modernen ist er so vertraut wie mit der Romantik oder den Klassikern. Nicht, dass er allen Zacken und Windungen folgte, welche die Avantgarde schlägt, aber dem Neuesten bleibt er auf der Spur und weiß darüber beiläufig, aber treffend zu berichten. Von Herzen soll hier endlich ein Dankeschön ausgesprochen werden, ein Dank für weit über 40 Jahre treueste Dienste an Komponisten, Textdichtern und Verlegern unseres Landes - ein Dank auch für die kulturpolitische Arbeit, deren Wert und Nutzen gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Dank auch für die menschliche Anteilnahme, deren sich in besonderem Maße die Autoren sicher sein durften, eine Sicherheit in einer Welt, deren Unsicherheit eines ihrer sichersten Kennzeichen ist. Nicht vergessen werden wir, dass er uns zu seinem Abschied aus dem Amt mit Prof. Dr. Kreile einen so überragend tüchtigen und würdigen Nachfolger empfahl, der Prof. Dr. Schulzes segensreiches Werk mit großem Erfolg fortsetzt und so die Erinnerungen an diese außerordentliche Leistung, nämlich mit der GEMA eine in der Welt einzigartige Inkassogesellschaft aufgebaut zu haben, bei uns allen wach hält. Möge Professor Dr. Schulze mit Freude und Stolz noch viele Jahre auf sein weiterhin florierendes Lebenswerk blicken und dabei des Dankes seiner Autoren gewiss sein. 30 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Festakt 100 Jahre GEMA am 2. Mai 2003 in Berlin Festredner Karl Heinz Wahren, GEMA-Aufsichtsrat und Präsident des Deutschen Komponisten-Verbandes Sehr geehrter Herr Bundespräsident, meine verehrten Damen und Herren! Die Entwicklungsgeschichte des Urheberrechts für künstlerische Schöpfungen zeigt einen kurvenreichen, gelegentlich sogar bizarren Verlauf, der uns zurück bis in das 18. Jahrhundert führt. Hier möchte ich Sie mit einem Mann bekannt machen, dessen abenteuerliches Leben einem pittoresken Bühnenstück entlehnt sein könnte. Ihm verdanken wir den bis heute in unserer Urheberrechtsgesetzgebung festgeschriebenen Begriff des “Geistigen Eigentums”: Pierre-Augustin Carson de Beaumarchais, geboren 1732. Im 18. Jahrhundert blühte die Aufklärung, es wirkten Goethe, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant, Jefferson, Benjamin Franklin, aber auch erste freischaffende, sich vom höfischen, musikalischen Frondienst emanzipierende Komponisten; Wolfgang Amadeus Mozart ist der uns heute bekannteste von ihnen. Es entwikkelte sich die Idee von religiöser und politischer Freiheit, vom Fortschritt, die Vernunft begann über den Aberglauben zu siegen, unsere moderne Vorstellung vom individuellen Recht auf Glück formte sich. Der Mensch befreite sich aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, wie es Kant formulierte. Es war eine der hoffnungsvollsten Epochen unserer neuzeitlichen Geschichte, der Beginn unserer modernen Welt, mit allen Vor- und Nachteilen. Beaumarchais, der Sohn eines Pariser Uhrmachers, war während seines abenteuerlichen Lebens in zahlreichen Berufen tätig, zunächst als Uhrmacher und Musiker, schließlich brachte er es zum hohen Beamten am Hofe Ludwigs XV. Nebenbei handelte er mit Holz, Kerzen oder Waffen, was ihm immer wieder Rechtsstreitigkeiten und sogar Gefängnisstrafen einbrachte. Einzig als Autor blieb er erfolgreich und wurde durch seine Theaterstücke La folie journée (Figaros Hochzeit) und Le Barbier de Seville weltberühmt. Der Dichter und zugleich trickreiche Geschäftsmann Beaumarchais wollte sich nicht damit abfinden, von den Theatern regelmäßig um einen Teil des ihm zustehenden Geldes betrogen zu werden. Die damals meist von Schauspielern geleiteten Unternehmen rechneten häufig nicht korrekt ab, unterschlu- GEMA’s Centenary Celebration in Berlin – a Dazzling Ceremony Speech of Karl Heinz Wahren, member of the GEMA Board of Supervisors and President of the German Composers’ Association President Rau, Ladies and gentlemen! The history of copyright for the products of artistic creation has followed a meandering, sometimes bizarre course with origins back in the 18th century. Let me introduce you to a man whose adventurous life might have been drawn from a pittoresco play. We owe to him the concept of “intellectual property”, which has remained anchored in our copyright legislation to this day. His name was Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, and he was born in 1732. The 18th century brought the heyday of Enlightenment. It was the age of Goethe, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant, Jefferson, Benjamin Franklin, but also of the first freelance composers, seeking emancipation from musical servitude at the courts of the nobility; Wolfgang Amadeus Mozart is the best-known of these today. Ideas were developed of religious and political liberty and of progress; reason began to triumph over superstition; our modern view of the individual right to happiness took shape. Man was released from what Kant called the “subservience for which he was himself to blame”. It was one of the most hopeful eras in modern history, the dawn of our modern world, with all its pros and cons. Beaumarchais, the son of a Parisian watchmaker, engaged in many occupations during the course of his adventurous life, starting out as a watchmaker and musician and ending up as a high-ranking official at the court of Louis XV. On the side, he traded in timber, candles and weapons, as a result of which he found himself time and again in court, and sometimes prison. His only unblemished success was as a writer, and he won international fame with his plays La folie journée (The Marriage of Figaro) and Le Barbier de Seville. As an author and at the same time a clever businessman, Beaumarchais refused to accept the way theatres regularly cheated him out of some of the money to which he was entitled. These enterprises, most of them run by actors, were frequently lax with their accounting, neglecting to mention entire performances or simply refusing to pay 31 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare gen ganze Vorstellungen oder verweigerten einfach die vertraglich festgelegten Zahlungen. So beschloss Beaumarchais im Sommer 1777 schließlich, das Problem grundsätzlich zu lösen. Er bat die Pariser Theaterautoren in sein Haus zum Souper. Und sein Plan ging auf: Im Verlaufe des Abends gründeten die 22 zusammengekommenen Autoren die erste Urheberrechtsgesellschaft der Welt, die “Société des auteurs dramatiques”, aus der dann 1851 die heute noch existierende Urheberrechtsgesellschaft SACEM hervorging. Das zentralistisch gelenkte Frankreich war der Entwicklung in Deutschland um ein halbes Jahrhundert voraus. Denn die sehr unterschiedliche Gesetzgebung der zahlreichen deutschen Kleinstaaten hatte ein einheitliches Urheberrecht lange verzögert. Mit der allmählichen Entwicklung eines eigenständigen, bürgerlichen Musiklebens im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts verselbstständigte sich die bis dahin im Dienste der Kirche und der Aristokratie befangene Musik. Die geistige Erhebung des Bürgertums gegen die vom Adel bestimmten Klassenschranken geschah im Nachhall der Französischen Revolution. Dabei entwickelte sich auch der bürgerliche Anspruch auf eine eigene Musikkultur. Der Beruf des Komponisten erhielt nun einen ganz neuen gesellschaftlichen, vor allem aber auch künstlerischen Stellenwert: Er trat aus der höfischen Isolation ins Licht eines öffentlichen, bürgerlichen Konzertlebens. Musste der Komponist im fürstlichen Dienst seine Mahlzeiten in der Küche mit der Dienerschaft einnehmen, so durfte er nun gleichberechtigt an der Tafel des Großbürgertums speisen. Das schloss allerdings nicht aus, dass die alltäglichen Lebensverhältnisse eher bescheiden blieben, wie wir in den Memoiren selbst herausragender Tonsetzer lesen können. Waren die Autoren ehedem auf die mehr zufällige, häufig wechselnde Huld ihrer kirchlichen oder fürstlichen Dienstherren angewiesen, mussten sie nun an den Einlasstüren der Konzertsäle das Abkassieren der Eintrittsgelder selbst überwachen. Der besonders misstrauische Paganini - so wird erzählt - verkaufte persönlich die Billetts. Er deponierte die Einnahmen in seinem Geigenkasten, den er mit auf die Bühne nahm und während seines furios-virtuosen Spiels nicht mehr aus den Augen ließ. contractually agreed sums. In the summer of 1777, Beaumarchais therefore decided to resolve the problem once and for all. He invited the theatrical writers of Paris to a supper at his home. And the plan worked: in the course of that evening the twenty-two authors present founded the world’s first copyright society, the “Société des auteurs dramatiques”, which gave birth in 1851 to the copyright society SACEM, still in existence today. France, with its centralised government, was half a century ahead of Germany. The very different laws pertaining in the myriad German principalities delayed standardised legislation on copyright for many years to come. As the bourgeois classes gradually established a musical life of their own in Germany in the late 18th century, musicians who had hitherto been fettered in the service of the church and aristocracy also began to acquire independence. In the wake of the French Revolution, the bourgeoisie unleashed an intellectual rebellion against the class barriers erected by the nobility. The bourgeois demand for a different musical culture was part of this process. The profession of composer acquired a quite new social and, above all, artistic status, away from isolation at court and into the broad daylight of public concerts for the middle classes. A composer in the service of a prince had been obliged to take his meals in the kitchen with the other domestics, whereas now he could dine as an equal at the table of the grand bourgeoisie. That did not necessarily prevent his everyday lifestyle from being rather modest, as we read in the memoirs of even the most accomplished symphonists. Once dependent on the arbitrary, often fluctuating favours of their ecclesiastical or secular lords, these authors were now obliged to stand at the doors of concert halls to supervise the collection of entrance fees on their own behalf. Paganini - they say - was particularly distrustful and sold his tickets himself. He deposited the takings in his violin case and took this on stage with him, where he would not take his eyes off it throughout his virtuoso performance. Today’s composers are spared such rigours, for after the original Society for Musical Performance Rights (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte) 32 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Solche Strapazen bleiben uns heutigen Komponisten erspart. Denn nach der Gründung der ersten “Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” in Deutschland auf Initiative von Richard Strauß, Hans Sommer und Friedrich Rösch - entwickelte sich die GEMA zu einer weltweit führenden Urheberrechtsgesellschaft. Und das trotz der schrecklichen politischen und kriegerischen Turbulenzen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Inzwischen nimmt die GEMA im wirtschaftlich vereinigten Europa für alle in Deutschland lebenden Musikurheber - und ebenso für die Musikverleger - die Rechte in treuhänderischer Verwaltung wahr. Der ihr vom Gesetzgeber erteilte kulturelle Auftrag ist im Satzungskanon verankert. So ist die GEMA ausdrücklich gehalten, auch künstlerische Gegebenheiten zu berücksichtigen. Wir Urheber dürfen bei dem von uns anvisierten Ziel einer angemessenen Verwertbarkeit unserer künstlerischen Arbeit nicht alles ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effektivität sehen. Das war nie und darf nie das Grundmotiv unseres Schaffens sein, denn das würde unserem über Jahrhunderte gewachsenen Kulturverständnis entgegenstehen, das eine normative ethische Grundlage unserer Gesellschaft ist. Als Autoren dürfen wir unsere Musikvisionen nicht allein dem Markt und seinen Managern überlassen. Der Markt wird alles, über die nationalen Grenzen hinweg, ausschließlich nach seinen merkantilen Gesetzen vereinheitlichen. Den eigentlichen Musikschöpfern droht die Aktivität genommen zu werden, ob in der U-Musik oder in der E-Musik. Es gilt daher, die sich weltweit befruchtenden Kulturzonen zu bewahren. Es gilt, unsere kulturelle Vielfalt zu erhalten, um einer Bequemlichkeit auf verständlichstem Niveau entgegenzuwirken. - Leider wird diese heute längst in einem großen Teil der privat-rechtlich betriebenen Fernseh- und Radiostationen lärmend angeboten. Es gilt also den “langen Marsch” ins geistige Neandertal zu verhindern. Wobei die Ironie ist: Das kleine, aber weltberühmte Neandertal zwischen Düsseldorf und Mettmann wurde durch die Funde des Frühmenschen weltberühmt, seinen Namen erhielt es jedoch nach dem Prediger, Dichter und Komponisten Joachim Neander, der dort im 17. Jahrhundert lebte. was founded in Germany, on the initiative of Richard Strauss, Hans Sommer and Friedrich Roesch, GEMA eventually evolved into one of the world’s leading copyright associations. In spite of the appalling political and bellicose turbulence that marked the first half of the twentieth century. Now, in an economically united Europe, GEMA manages rights on a fiduciary basis for all music authors - and also music publishers - living in Germany. The cultural remit defined for it by the legislature is inscribed in its canon of statutes. GEMA is explicitly called upon, for example, to respect artistic considerations. Although it is our declared aim as authors to have our artistic work appropriately rewarded, we should not see everything in terms of commercial effect. That has never been the primary motive for our creativity, and never should be; for it would be at odds with an understanding of culture that has developed over the centuries and is one of the basic ethical foundations of our society. As authors we must not submit our musical visions entirely to the market and its managers. The market will level everything, across national boundaries, in sole obedience to mercantile laws. There is a threat that the real creators of music will be deprived of their activity, in light music and serious music alike. The zones of culture, fertilised world-wide, must be protected. Our cultural diversity must be preserved to counter convenience at the level of broadest comprehension. Unfortunately, this is what many private TV and radio stations have long since been noisily offering. In other words, we must prevent the long descent into an intellectual Neanderthal. This valley between Düsseldorf and Mettmann, small for all its fame, became a household name across the world after the remains of prehistoric man were discovered there. Ironically, the place was named after the preacher, poet and composer Joachim Neander, who lived there in the 17th century. As a collecting society, GEMA is of vital importance, not only to its members. In making copyright happen, it ensures a safe place for our works in a society which may well be culturally orientated, but is sometimes prevented by the sheer speed of life from being aware of its culture. Musical works of the present and recent past are documented, protected, preserved for their 33 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Die Inkassogesellschaft GEMA ist nicht nur für ihre Mitglieder von existenzieller Bedeutung. Indem sie das Urheberrecht realisiert, verschafft sie den Werken einen gesicherten Ort in unserer zwar kulturorientierten, aber in der Schnelllebigkeit nicht immer kulturbewussten Gesellschaft. Musikalische Werke unserer Gegenwart und der näheren Vergangenheit werden dokumentiert, geschützt, als Werte bewahrt. Hier treffen Goethes Faust-Worte auch für künftige Generationen eine kulturelle Realität: own value. It makes cultural reality, today and for future generations, of those words from Goethe’s Faust: “The precious things your forebears left for you Assimilate, that you may own them.” “Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen.” 50 Jahre DKV – Festakt am 12. März 2004, Berlin Über die Ziele des Deutschen Komponistenverbandes und Anmerkungen zu seiner Frühgeschichte anlässlich seines 50-jährigen Neugründungs-Jubiläums 50 years German Music Composers‘ Association The objectives of the German Music Composers’ Association with remarks on its early history on the 50th anniversary of its re-establishment Rede von Prof. Karl Heinz Wahren – Präsident des Deutschen Komponistenverbandes by Prof. Karl Heinz Wahren – President of the German Music Composers’ Association Die Neugründung des Deutschen Komponistenverbandes im Jahr 1954 sollte vor allem ein symbolisches Zeichen sein für die grundsätzliche Erneuerung dieser berufsständischen Organisation nach den politischen und kriegerischen Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn schon lange vorher, noch im wilhelminischen Kaiserreich, wurde im Herbst 1898 in Leipzig die erste Vereinigung deutscher Komponisten ins Leben gerufen. Zuvor hatte Richard Strauss in einem Rundschreiben und im Namen berühmter Kollegen wie Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max von Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Rösch und Hans Sommer zur Gründung einer Komponisten-eigenen - verlegerfreien - Interessenvertretung aufgerufen: “Zweck und Aufgabe dieses Autorenverbandes wäre einzig und alleine eine wirksame genossenschaftliche Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte und der damit verknüpften Standesinteressen.” The re-establishment of the German Music Composers’ Association in 1954 was mainly intended to be a symbol of the fundamental renewal of this professional organisation after the political and military catastrophes of the first half of the 20th century. In fact, the first association of German composers had already been founded long before at the time of the Wilhelminian Empire, in autumn 1898 in Leipzig. Before that, Richard Strauss had circulated an appeal in the name of famous colleagues such as Eugen d’Albert, Engelbert Humperdink, Max von Schillings, Gustav Mahler, Friedrich Roesch and Hans Sommer to found their own association of composers - without publishers: “The sole purpose and task of this authors’ association would be an effective co-operative administration of all musical copyrights and the interests of the profession associated with it.” Zu den von den Leipziger Verbandsgründern seit 1898 angestrebten Zielen verpflichteten sich auch alle weiteren Komponistenvereinigungen, die in der wech- The aims that the founders of the association had been striving for since 1898 were also espoused by all further composers’ organisations that were founded in the ever-changing course of German history in the 34 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare selvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts noch gegründet wurden, sich wieder auflösten oder sich mit anderen Organisationen gleicher Intention vereinigten. Auch heute bleibt die Wahrnehmung und der Schutz aller dem Komponisten zustehenden Rechte die dringlichste Aufgabe dieser großen berufsständischen Vereinigung. Das “Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte” garantiert uns Komponisten - bei angemessenem Fleiß und entsprechendem Erfolg - eine finanzielle Sicherheit, von der die Kollegen früherer Jahrhunderte nur träumen konnten. Denn auf die launisch wechselnde Huld ihrer aristokratischen Dienstherren angewiesen, mussten diese sich vornehmlich als Instrumentalisten oder Dirigenten ihren Lebensunterhalt verdienen, an kleineren Residenzen war das oft auch noch mit Servierdiensten oder Gärtnerarbeit gekoppelt. Mozart gilt in seinem letzten Lebensjahrzehnt, nach dem von ihm provozierten Bruch mit dem Salzburger Fürstenbischof Graf Colloredo, als einer der ersten erfolgreichen freischaffenden Komponisten. Seine zum Teil erheblichen Einnahmen, mit denen weder er noch seine Frau zu haushalten wussten, waren nur Bruchteile dessen, was ihm bereits damals eigentlich zugestanden hätte. Aber im 18. Jahrhundert waren Raubdrucke üblich, und die Verleger rechneten auch die Aufführungen oft nur nach Gutdünken ab. In dieser Zeit der rechtlichen Unsicherheiten für Autoren gründete 1777 der Pariser Theaterdichter PierreAugustin de Beaumarchais mit Kollegen die erste Urheberrechtsgesellschaft der Welt. Die Stückeschreiber waren es leid, immer wieder um einen Teil der ihnen zustehenden Tantiemen betrogen zu werden. In der bald folgenden französischen Revolutionszeit wurde 1793 schließlich das geistige Eigentum an schriftstellerischen und musikalischen Werken gesetzlich geregelt. Von Beaumarchais stammt auch der uns heute geläufige Begriff vom “geistigen Eigentum”. Das erste deutsche Urhebergesetz wurde 1837 in Preußen erlassen. Die unterschiedliche Gesetzgebung in den zahlreichen deutschen Kleinfürstentümern verzögerte lange ein einheitliches Urheberrecht. Das wundert nicht, denn trotz der eingeführten Zollunion galten z.B. um 1850 innerhalb des deutschen Bundes allein neun verschiedene Großmünzen als offizielle Zahlungsmittel, der Preußische Taler, der Reichstaler, der Kronentaler, die Hamburgische Mark, der österreichische Gulden usw. Dieser groteske Zustand änderte sich erst 1871 mit der bismarckschen Reichsgründung. Im twentieth century, only to be disbanded or to unite with other similarly minded organisations. To the present day, the administration and the protection of all rights to which a composer is entitled to has remained the most urgent task of this great professional association. The “Act on Copyright and Related Rights” guarantees us composers - provided we work hard and are suitably successful - a form of financial security of which colleagues of previous centuries could only dream. Being dependent on the favours, capriciously bestowed, of their aristocratic masters they mainly had to earn their living as instrumentalists or working as conductors, and at smaller courts this often also involved serving at table or gardening. In the last decade of his life, after provoking the break-up with the Prince Bishop of Salzburg Count Colloredo, Mozart was looked upon as one of the first successful free-lance composers. His in part considerable income, which neither he nor his wife managed to use economically, were only fractions of what he actually would have been entitled to even back then. But pirate copies were common in the 18th century and also the publishers often paid for performances at their own discretion. In those days of legal uncertainties for authors, the Paris playwright Pierre-Augustin de Beaumarchais got together with colleagues to found the world’s first copyright society in 1777. The playwrights were tired of being repeatedly cheated out of a part of the royalties they were entitled to. In the days of the French Revolution that followed the intellectual property of literary and musical works was finally legally regulated in 1793. Beaumarchais was also the first to use the now common term of “intellectual property”. In 1837 the first German copyright act was enacted in Prussia. The variations in legislation in the numerous small German principalities delayed a uniform copyright for a long time. This is not surprising because, around 1850, despite the introduction of the customs union, there were, for example, no less than nine different large-denomination coins in the German Confederation that were valid as official tender, the Prussian Taler, the Reichstaler, the Kronentaler, the Hamburg Mark, the Austrian Gulden, and so on. This grotesque situation did not change until 1871, with the foundation of the Reich under Bismarck. A “Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten” - German Co-operative of Dramatic Authors and Composers - had also been founded in the same year, but 35 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare gleichen Jahr war zwar noch eine “Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten” entstanden, doch erst 1898 konstituierte sich der älteste Vorläufer unseres heutigen Verbandes, die “Genossenschaft Deutscher Componisten”. 1903 wurde dieser Name auf Wunsch von Engelbert Humperdink und Richard Strauss - “... von dem banausischen und nichtssagenden Fremdwort ‚Componist’ endgültig Abstand nehmen ...” - in “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) umgewandelt. Bei dieser Hauptversammlung in Berlin beschlossen die Mitglieder der GDT auch die organisatorische Verkopplung mit der im gleichen Jahr gegründeten “Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA). Hier hatten ausschließlich die Komponisten das Sagen, freilich nur die Vertreter der Ernsten Musik. Die Unterhaltungsmusikkomponisten gründeten gemeinsam mit ihren Verlegern die “Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte”, abgekürzt GEMA, die allerdings nicht identisch mit unserer heutigen GEMA ist. Beide Organisationen, die “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) und die GEMA hielten ihr Verhältnis zueinander durch permanente Auseinandersetzungen in Spannung. Die politischen Turbulenzen im folgenden Jahrzehnt der Weimarer Republik verschärften diese Kontroversen noch. Der NS-Staat beendete 1933 diesen Kleinkrieg, indem er kurzerhand alle musikberufsständischen wie urheberrechtlich tätigen Organisationen auflöste und in der Reichskulturkammer die Künste politisch gleichschaltete. Für die Komponisten war in den nächsten zwölf Jahren die Reichsmusikkammer zuständig, und nur deren Mitglieder durften öffentlich schöpferisch tätig sein. In Berlin ging damit die weltweit beachtete Epoche einer europäischen Kulturkristallisation plötzlich zu Ende, als es Hitler und Goebbels durch massenwirksame Beredsamkeit im Schatten der Weltwirtschaftskrise gelang, die Minderwertigkeitsgefühle des im Kriege geschlagenen Volkes in die kollektive Wahnidee eines “nationalsozialistischen Mythos” zu transformieren. In diesem rüden “Deutschland erwache”- Taumel war kritische, zum Mitdenken auffordernde Kunst nicht nur unerwünscht, sie wurde verboten, diffamiert, verbrannt und ihre Autoren “ausgedeutscht”, verhaftet, zum Schweigen verurteilt, gejagt und sogar ermordet. Als sich nach der völligen Niederlage Deutschlands 1945 aus den Trümmern wieder zaghaft ein neues the oldest predecessor of our present association was constituted only in 1898, the “Genossenschaft Deutscher Componisten”. In 1903, at the request of Engelbert Humperdink and Richard Strauss - “... to finally bid farewell to the philistine and meaningless foreign word ‘Componist’ (composer) ...” - this name was altered to “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) German Composers’ Co-operative, using the German term ‘Tonsetzer’. At this general meeting in Berlin the members of the GDT also decided to link their organisation with the “Anstalt für musikalische Aufführungsrechte” (AFMA) - Institute for Musical Performing Rights - which had been founded in the same year. Only composers had a say here, and of course only the representatives of serious music. Together with their publishers the composers of light music founded the “Co-operative for the Exploitation of Musical Performing Rights” - “Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte”, abbreviated to GEMA, which, however, is not identical with our present GEMA. Constant disputes created a permanent tension between the two organisations, the “Genossenschaft Deutscher Tonsetzer” (GDT) and GEMA. The political turmoil in the subsequent decade of the Weimar Republic even aggravated these controversies. The NS state put an end to this running battle in 1933 by disbanding, without further ado, all organisations of the musical profession and those active in the field of copyright, and by forcing the arts politically into line in the Reichskulturkammer. In the next twelve years the Reichsmusikkammer took charge of the composers, and only its members were permitted to be creatively active in public. So the epoch of a European crystallisation of culture that had attracted so much international attention came to a sudden end in Berlin, when Hitler and Goebbels succeeded by mass eloquence, in the shadow of the world economic crisis, to transform the feeling of inferiority of a nation defeated in war into the collective delusion of a “National-Socialist myth”. In this rude frenzy of “Germany awake” critical art that called upon people to think was not only undesirable, it was prohibited, defamed, burnt and their authors declared to be “un-German”, arrested, condemned to remain silent, persecuted and even murdered. 36 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Kulturleben zu regen begann, gründeten sich auch wieder verschiedene Komponistenverbände, in München, in Berlin und schließlich getrennt in west- und ostdeutsche Organisationen. Diese in der Folge kompliziert verschlungenen Pfade dieser berufsständischen Organisationen aufzuzeichnen mag der Musikgeschichtswissenschaft vorbehalten bleiben. Als Jubiläum interessiert nur das Jahr 1954, als nämlich der heutige Gesamt-”Deutsche Komponistenverband” seine Gründungsversammlung abhielt. After Germany had been totally defeated in 1945, a new cultural life began timidly to stir again from the ruins and various composers’ associations established themselves once more in Munich and in Berlin, separating finally into organisations in East and West Germany. To map out the intricate, winding paths subsequently taken by these professional organisations needs to be left to the science of musical history. What is of interest here is only the year 1954, when today’s All“German Composers’ Association” held its constitutive meeting. Zwar blieb die von Richard Strauss vorgegebene Zielsetzung, die gemeinsame Wahrnehmung aller musikalischen Urheberrechte als Hauptaufgabe, wurde aber erweitert und den heutigen Gegebenheiten angepasst. So kann jedes Mitglied bei dem Verbandsjustiziar Prof. Dr. Wilhelm Nordemann eine kostenlose Erstberatung in Fragen des Urheber- und Verlagsrechts einholen; jedem Mitglied sind Musterverträge aus den Bereichen U- und E-Musik zugänglich; in persönlichen Notfällen ist durch die verbandseigenen Stiftungen begrenzte finanzielle Unterstützung möglich; die INFORMATIONEN des DKV enthalten nicht nur Hinweise auf Kompositionswettbewerbe, sie berichten außerdem für Komponisten Wissenswertes aus dem Musikleben, wie z.B. über Uraufführungen der Mitglieder; auf der Homepage des DKV wird jedes Mitglied mit detaillierten Informationen zur Person (Foto) und seinem Werk auf einer standardisierten Seite vorgestellt; es würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen, alle Aktivitäten des Verbands, der einzelnen Arbeitsgruppen usw. aufzuzählen. The objective set by Richard Strauss, the joint administration of all musical copyrights, remained the main task, but it was extended and adapted to today’s situation. For example, every member is entitled to a free first consultation with the association’s legal adviser, Prof. Dr. Wilhelm Nordemann, on questions of copyright and publishing law; each member has access to model agreements from the light- and serious-music segments; the association’s own foundations can provide limited financial assistance in personal emergencies; the INFORMATIONEN of the DKV contain not only announcements of competitions for composers, they also supply composers with valuable information from the world of music, such as, for example, members’ premieres; the DKV Homepage presents every member with detailed personal information (photo) and information about his or her work on a standardised page; it would go beyond the scope of this contribution to list all the activities of the association, the individual working groups, etc. So wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durch die Weiterentwicklung unserer Wissenschaft und Technik immer neue Berufe entstanden, andere wieder fast lautlos verschwanden, so veränderten sich nicht nur das Berufsbild des Komponisten, sondern auch die Ergebnisse seiner Arbeiten. Der romantische Geniekult vergangener Epochen verwandelte sich zum Teil in ökonomischen Pragmatismus, gemäß unserer computerisierten Gegenwart mit ihrer oft unkünstlerischen, aber marktschreierisch alles beherrschenden Medienwelt. In the course of the twentieth century, thanks to the continuing development of our science and technology, new professions were created time and again, and others in turn disappeared almost silently. As this happened, it was not only the composers’ professional image that changed, but also the results of their works. The romantic cult of genius of bygone ages was transformed partly into economic pragmatism in conformity with our present computerised age with its world of media that is often unartistic, but blatantly dominates everything. Trotzdem sucht jede Generation ihr eigenes musikalisches Daseinsmuster. In der E-Musik drückt sich diese Suche nach der verlorenen Schönheit, nach einer dämonisch-erotischen And yet, each generation seeks its own musical patterns of existence. In serious music this search for lost beauty, for a demonically erotic vitality or perhaps a coolly distant 37 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Vitalität oder vielleicht einem distanziert-coolen Hörerlebnis in musikalisch-ästhetisch neuen, oft interessanten Klangphänomenen aus, bleibt aber doch noch häufiger in schlichten romantischen Rückblenden hängen oder verirrt sich gar in eklektizistischen, auch elektronischen Stilübungen, ohne durch eigene Originalität zu fesseln. Wozu auch, die Mehrzahl der Hörer liebt ohnehin den historischen Mainstream. acoustic experience finds its expression in musicallyaesthetically novel, often interesting, acoustic phenomena, but even more often remains caught in simple romantic flashbacks or even loses its way in eclecticist, sometimes electronic, stylistic exercises without the grip of its own originality. And why should it? The majority of the audience loves the historical mainstream anyway. In der U-Musik schreitet die Aufsplitterung, man kann schon von Diversifizierung sprechen, unaufhaltsam voran. Ethnologische wie folkloristische Elemente überlagern sich in eleganten elektronisch-technischen Aufbereitungen, der Kenner verliert die Übersicht, den Käufer verwirrt die sich ständig ändernde kaleidoskopartige Vielfalt, die Musikindustrie klagt über massive Umsatzeinbrüche. Allerdings ohne zu erkennen, dass die Probleme im offensichtlichen Mangel ihres musikästhetischen Gespürs liegen, diagnostizieren sie als alleinige Ursache ihrer zehrenden Schwindsucht ausschließlich die Internettauschbörsen und den privaten CD-Brenner. This fragmentation, one may even say diversification, in light music is progressing at an unstoppable pace. Layer upon layer of ethnological and folkloric elements are worked up into a combination of electronic and technological elegance, the expert loses track of what is going on, the buyer is bewildered by the kaleidoscope of ever-changing variety, the music business complains about massive drops in sales. They fail to realise, however, that the problems lie in their obvious lack of an aesthetic feeling for music; they diagnose the Internet exchanges and the private CD-writer as the sole causes of their debilitating galloping consumption. Der Jazz als exotisch-vitales Gewächs zwischen den Polen U- und E-Musik nimmt Anleihen von beiden Seiten und bleibt so immer wieder interessant, nicht nur wegen seines irrealen Metrums. Die Unmittelbarkeit der solistischen Improvisationen, die sprühenden, variablen Rhythmen und in größeren Formationen die harmonisch wie stilistisch oft interessanten Instrumentierungen faszinieren jede Generation erneut. Freilich bleibt die ernsthaft interessierte Zielgruppe so überschaubar wie bei der Neuen Musik. Dabei verändern sich auch hier die Hörerzahlen ständig. Sie sind so wenig wie in den anderen genannten Musikbereichen genau zu verifizieren, im Gegensatz zum Politbarometer oder den Publikumsquoten im Fernsehen - falls nicht auch diese Zahlen mehr von der heisenbergschen Unschärferelation als von der Wirklichkeit beeinflusst sind. Jazz, that vigorously exotic plant that thrives between the poles of light and serious music, borrows from both sides, and this is why it always remains interesting, not just because of its surreal metre. Each new generation is fascinated by the immediacy of the solo improvisations, the effervescent, changing rhythms and, in bigger formations, the instrumentation, whose style and harmony is often so interesting. Of course, the seriously interested target group remains as limited as is the case with New Music. And the number of listeners is continuously changing here as well. It is just as difficult to pin them down exactly as it is in the other fields of music mentioned, unlike the political barometer or the viewer ratings on television - unless these figures are also influenced more by Heisenberg’s uncertainty principle than by reality. Jedes künstlerische Schaffen ist ein Versuch, sich von der Realität zu distanzieren, um sich der eigenen Realität auf schöpferischem Wege zu nähern. Wird die musikalische Chiffrierung dabei jedoch zu weit getrieben, verliert sogar der willige, nicht konservative Hörer den Zugang zum Werk. Dadurch und noch mehr durch die Forderung unserer sinnentleerten Spaßgesellschaft nach permanenter Unterhaltung auf verständlichster Ebene, verblasst der Strahlenglanz unseres Berufes, auch wird sein Ethos brüchig, so wie die moralischen Each artistic work is an attempt to distance oneself from reality, to get closer to one’s personal reality via the creative route. But if the musical encoding is taken too far, even the willing, non-conservative listener loses access to the work. Through this and even more so through the demands of our hollow, hedonistic society for constant entertainment at its most easily comprehensible level, the brilliant aura of our profession pales into insignificance, its ethos also starts to crumble just like the moral 38 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Grundlagen unserer postindustriellen Gesellschaft. Der inzwischen gefestigte Glaube an die Leichtigkeit des Seins treibt wie zur eigenen Rechtfertigung die Boulevardisierung unserer Kultur weiter voran. Die interessanten Beiträge im anspruchsvollen deutschen Feuilleton sind auf Film und Literatur konzentriert. Über Popmusik wird nur unterhaltend berichtet. Mit dem allgemeinen Trend zum musikalischen Analphabetentum hat man sich journalistisch offensichtlich abgefunden - von Ausnahmen abgesehen. Sollte sich in unserem Verband der immer wieder beschworene kollegiale Konsens den äußeren gesellschaftlichen Zuständen folgend in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf innerhalb der verschiedenen musikalischen Gattungen auflösen, werden wir nicht nur uns selbst schaden, sondern auch das öffentliche Ansehen unseres Berufes herabwürdigen. Den Widerspruch zwischen künstlerischem Auftrag und wirtschaftlichen Realitäten erträglich zu lösen, sich in der Gemeinschaft mit ähnlich Gesinnten abzustimmen bleiben neben dem Schutz der urheberrechtlichen Ansprüche wesentliche Anliegen der Mitglieder an unseren Verband. All dem gerecht zu werden bei der zunehmenden Aufsplitterung in immer neue, verschiedenartige musikalische Gattungen, deren wirtschaftliche Interessen gelegentlich fast diametral zueinander stehen, ist die schwierigste Aufgabe für den Deutschen Komponistenverband in den kommenden Jahren. Sie gemeinsam zu lösen muss unser aller Interesse sein, denn von außen ist keine Hilfe zu erwarten. Darum sind der kollegiale Zusammenhalt ebenso wie die Arbeitsaufteilung in die verschiedenen musikalischen Sektoren die wichtigsten Aufgaben, denen wir uns unmittelbar und in der Zukunft stellen müssen. Dazu könnte uns heute, im Jahre 2004 - dem Jubiläumsjahr des großen deutschen Philosophen -, Immanuel Kant mit seiner “Kritik der praktischen Vernunft” eine geistige Anleitung sein. Zumal unserem Berufsstand ständig Gefahren von außen drohen, wie das aktuelle Beispiel mit der Deutschen Landesgruppe IFPI (International Federation of Phonographic Industry) zeigt. Diese senkte den Urheber-Lizenzsatz für Tonträger ab 1. Januar 2004 von 9,009% des Herstellerabgabepreises auf 5,6% - ohne Vertragsabsprache mit der die Urheber vertretenden GEMA. Den Komponisten werden plötzlich und willkürlich 40% ihres bisherigen Einkommens vorenthalten. Solchen rigiden Vorgängen ist der einzelne Urheber schutzlos ausgeliefert, zumal die Erfahrungen uns foundations of our post-industrial society. The meanwhile firmly established belief in the lightness of being is hurrying the trivialisation of our culture along as if in justification of itself. The interesting articles in the sophisticated feature sections of German newspapers focus on film and literature. Reports on pop music are written simply to entertain. It looks as if journalism has already accepted the general trend towards musical illiteracy - apart from a few exceptions. Should the repeatedly invoked consensus among colleagues in our association dissolve - in line with external social conditions - into ruthless competition within the different musical genres, we will not only do ourselves harm but also belittle the standing of our profession. Resolving the contradiction between one’s artistic mission and economic realities in a tolerable way, reaching consensus in a community of like-minded people - these goals will remain, along with the protection of claims based on copyright, the main demands our members will make of our association. Given the ever-increasing fragmentation into newer, even more differentiated musical genres, whose economic interests are sometimes almost diametrically opposed, the most difficult task for the German Composers’ Association in the coming years will be to meet all these expectations. Solving these problems together must be in the interest of us all, because no help can be expected from outside. Thus the most important tasks that we shall have to face both now and in future will be our solidarity as colleagues just as much as the division of work in the different musical sectors. In 2004 - the anniversary year of the great German philosopher - Immanuel Kant, with his “Critique of Practical Reason”, could give us some intellectual guidance in this context. This is especially important because our profession is always threatened by dangers from outside, as is shown by the current example with the German National Group of IFPI (International Federation of Phonographic Industry). From 1st January 2004, it lowered the royalty rate for licensing audio-carriers from 9.009% of the published price for dealers to 5.6% without agreeing a contract with GEMA, the representative of the authors. The composers find themselves suddenly and deliberately deprived of 40% of their former income. The individual author is defenceless without protection against such unyielding processes, especially because experience shows that litigation can drag on for years. The German Composers’ As- 39 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare lehren, dass sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen können. Hier muss der Deutsche Komponistenverband Stärke beweisen und darf dabei grundsätzlich nicht trennen zwischen Komponisten, Popspezialisten oder Composers, er soll vielmehr die Interessen aller Musikautoren jeden Genres wahrnehmen und diese gegenüber einer kleinmütigen Kulturpolitik oder der nur monetaristisch handelnden Industrie entschlossen und redlich vertreten zum Nutzen aller seiner Mitglieder. sociation has to show strength here and must not differentiate on principle between composers of classical music, pop specialists or modern composers. On the contrary, it needs to look after the interests of all music authors of all genres and show honesty and determination when it comes to representing them in the face of a fainthearted cultural policy or the purely monetarist motives of industry, so that all its members may benefit from this. Vortrag in der Akademie der Künste Berlin, am 20. Juni 2005 Gerald Humel zum Gedenken (1931 – 2005) von Karl Heinz Wahren Universitäten gelang er durch ein Fulbright-Stipendium via London 1960 nach Berlin. Wir trafen uns im Frühjahr 1961 an der Staatlichen Musikhochschule in Professor Rufers 12-Ton–Seminar zum Studium der Schönberg´schen Kompositionstechnik. Hieraus ergaben sich neben den beruflichen auch privat-freundschaftliche Kontakte, die schließlich zusammen mit fünf weiteren jungen Komponistenkollegen 1965 zur Gründung der “Gruppe Neue Musik Berlin” führten. Gerald Humel war genuin ein Transatlantiker. Seine Eltern wanderten kurz vor seiner Geburt aus ihrer heimatlichen Tschechoslowakei in die USA aus. Als der Vater dort – in Folge der Weltwirtschaftskrise – keine Arbeit fand, kehrte er mit dem kleinen US-Bürger Gerald in seine angestammte Heimat zurück. Dort wurde Gerald nach ein paar Jahren zwar noch eingeschult, aber als die von Hitler-Deutschland ausgehende Kriegsgefahr 1937 immer konkreter wurde, emigrierte die Familie Humel ein zweites Mal in die USA, in die Industrie- und Universitätsstadt Cleveland am südlichen Ufer des Eriesees im Bundesstaat Ohio. Hier absolvierte Gerald seine gesamte Schulzeit, im Elternhaus wurde noch immer ausschließlich Tschechisch gesprochen. Erst auf der Universität lernte er zum Beispiel die üblichen amerikanischen Essensbegriffe kennen, wie er gelegentlich lachend erzählte. Während des Koreakrieges wurde er zur Army eingezogen, er hatte jedoch Glück und blieb als Tambourmajor bei einer Marsch-Band in New York hängen. Gelegentlich führte er uns mit einem Spazierstock die virtuose Dirigier-, Dreh- und Wurftechnik vor, mit der er seine Military-Band zum Swingen brachte. Nach seinen anschließenden Studien an verschiedenen Es war die Zeit des “Kalten Krieges” und die von uns gemeinsam projektierten Veranstaltungen wurden vom Westberliner Kultursenat finanziell getragen, zumal wir eine Lücke im Schaufenster des westlichen Kulturbetriebes füllten, indem wir kurzweilige Konzerte mit zeitgenössischer Kammermusik organisierten, die sich sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung nicht an dem allgemein üblichen Kanon dieses Genre ausrichteten, sondern durch neue Darstellungsweisen und Aufführungsorte das Interesse des Publikums weckten. Die “Gruppe Neue Musik Berlin” war eine Notgemeinschaft junger Komponisten, die in Eigeninitiative ihre Werke aufführten, interpretiert von gleichaltrigen Musikern aus den großen Westberliner Orchestern, wie den Philharmonikern, dem Radio-Symphonie-Orchester und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin .Die außerordentliche Qualtät dieser Interpreten garantierte ein hohes Aufführungsniveau, was schließ- 40 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare lich unseren Kompositionen zu gute kam. Durch diese Erfolge wurden unsere Begabungen bestätigt, wir erhielten individuelle Kompositionsaufträge von den beiden Westberliner Rundfunksendern Rias und SFB, wurden durch Kunstpreise geehrt und schließlich als junge Kulturbotschafter einer neuen zeitgenössischen Berliner Kammermusik in zahlreiche andere Länder geschickt und konnten so für Berlin und unsere eigene Musik werben. Die einzelnen Mitglieder der Gruppe fluktuierten, es gab Abgänge wegen ästhetischer Querelen oder auch aus ganz pragmatischen Gründen, es gab aber auch immer wieder Neuzugänge, was sich im Verlaufe der Jahre ausglich. Bis schließlich von den Gründungsmitgliedern die drei unverzagten Kollegen Humel, Siebert und Wahren übrig blieben. Jeder von uns hatte neben seinen Kammermusikkompositionen in allen variablen Besetzungen, sein spezielles Genre innerhalb der Neuen Musik entdeckt. Bei Gerald Humel war es die Ballettmusik. Er vertonte mit Begeisterung narrative Szenerien, komplexe Handlungsstränge, deren dramaturgischen Verläufe er mit seiner zunächst vor allem an Arnold Schönberg orientierten Stilistik expressiv in grosse musikalische Zusammenhänge setzte. Ganz gleich ob es sich dabei um Partituren für grosses Orchester oder kleinere, kammermusikalische Formationen handelte. Denn durch unglaublich geschickte, farbig sehr abwechslungsreiche Instrumentationen verlangte er den Musikern Klangphänomene ab, so dass die Hörer schon bald nicht mehr wussten, ob der Handlungsablauf von einem normalen Orchester oder ledigliche von einem kleinen Kammermusik-Ensemble vorangetrieben wurde. Er war von uns Komponisten derjenige, den man ohne stilistische Verbiegung einem wirklich neuen, musikalischen Expressionismus zuordnen konnte, dessen offensichtlicher europäischer Ursprung von transatlantischer Beeinflussung nicht frei war. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beherrschte die Stilikone Arnold Schönberg das Denken avantgardistischer junger Komponisten in Europa wie in den USA. Das betraf vor allem die strenge serielle Kompositionstechnik, der Humel dann viele Jahre verhaftet blieb. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte gelang ihm eine langsame, jedoch konsequente Loslösung von seinem dominanten Vorbild, durch das er bereits in den USA während seines Studiums musikalisch konditioniert worden war. Liest man in Gerald Humels frühem Lebenslauf die Zielgerade zum Transatlantiker heraus, wie ich es eingangs erwähnte, so veränderte sich seine Haltung zu dieser Einordnung mit der Zeit. Schon vor vielen Jahren brachte uns Gerald von seinen USA-Besuchen eigene Eindrücke von der dortigen medialen Massenüberflutung mit. Es war abzusehen, dass es in der Folge dieser Entwicklung langsam unmöglich wurde, zwischen Kitsch und Kunst zu unterscheiden, wirklichen Avantgardismus von purem Blödsinn zu trennen. So verlor sich Humels transatlantisches Selbstverständnis in einer zunehmenden Hinwendung zur Kultur des alten Europa. Das darf man allerdings nicht als eine ästhetische Einengung sehen, es zeigt vielmehr eine Besinnung auf die eigenen, ursprünglichen Wurzeln in einer sich rapide verändernden Welt. Humel reiste viel, besonderns oft ins Ausland, ins östliche wie ins westliche. Vor kurzem verbrachte er mit seiner Frau Haidi Sandmann ein ganzes Jahr in Australien, wohin er sein künstlerisches Netzwerk erweiterte. Bertold Brecht diagnostizierte einst: “Wir Deutschen sind im Ertragen von Langeweile ungemein stark und äußerst abgehärtet gegen Humorlosigkeit”. Sollte Musik ein Auslöser zu diesem Sarkasmus gewesen sein, dann könnte es sich keinesfalls um Musik von Gerald Humel gehandelt haben, denn Langeweile kann ihr selbst der missgünstigste Kollege nicht nachsagen. Allerdings war Humels Humor auch nicht an Heinz Rühmann oder Heinz Erhardt approbiert, sondern eher an Buster Keaton und den Marx-Brothers geschärft worden. Aber in der heutigen Welt geht es längst nicht mehr um die Wirklichkeit, sondern nur noch um die äußere Wirkung. Konnte Picasso noch postulieren: “Kunst ist eine Lüge, die uns die Wirklichkeit erkennen lässt”; Ich bin mir nicht sicher, ob diese kluge Sentenz heute noch richtig verstanden wird, wo doch die Lüge sowohl in der Politik als auch in der Kunst länst gesellschaftsfähig und fast unentbehrlich geworden ist. Auch Humel wollte mit seiner Kunst – wie alle schöpferisch tätigen Menschen - der Wahrheit näher kommen, darum blieb er auch zeitlebens den historisch gewachsenen Parametern unserer abendländischen Musikkultur verhaftet. Allerdings nicht in konventioneller Naivität, sondern gefiltert durch sein eigenes zeitgenössisches Klang- und Rhythmusempfinden, zu dessen individueller Kennzeichnung gerade Kurzweil und Verständlichkeit, aber auch Witz und Ironie gehören. Die klangliche Anschaulichkeit seiner Werke ist allerdings nicht mit dem ersten Schwung zu verste- 41 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare hen. Humel verlangt von seinen Hörern Mitdenken, Mitfühlen. Er verlangt auch die echt gefühlten falschen Töne selbst zu entlarven, das bewusste Klischee in den komplexen Kontext einzuordnen, der sich allerdings zu dem üblichen Behaglichkeisanspruch unseres pittoresken Medienalltags und seiner falschen, marktschreierischen Virulenz quer stellt. bestimmte. Seine perfekte Dreisprachigkeit verlieh ihm die Kraft interkultureller Vermittlung, die er mit großem Feingefühl und seinem Sinn für Prioritäten zu realisieren wusste. Dabei strebte Gerald Humel in seinen Werken stets nach intelligenter Anschaulichkeit und lebendiger Unmittelbarkeit. Verbissene Innovationssucht, dionysische Entsagung bis zur skelettierten Klanglichkeit waren ihm ein Gräul. Von seiner eigenen Zielsetzung ließ er sich auch nicht durch das Hohngelächter ästhetischer Fundamentalisten abbringen, so wenig wie durch die Indolenz journalistischer Schreibtischtäter, die noch immer verbissen auf der Suche nach des Kaisers neuen Kleidern sind. Diesen komplexen Menschen - Gerald Humel - hier mit einigen Sätzen zu umreißen, konnte nur mit mancherlei Unschärfen geschehen. Jedoch seine von einem tiefen Humanismus getragene Botschaft, die in ihrer scheinbar abstrakten, aber lebendigen musikalischen Sprache hörbar und erkennbar von Toleranz und menschlicher Verständnisbereitschaft zu uns spricht, aber auch von intensiver Ablehnung gegen scheinbar Unabänderliches -, kurz, sein musikalisches Vermächtnis soll auch künftig zu uns sprechen und wir wollen uns dabei mit Liebe und Optimismus unseres Freundes und Kollegen Gerald Humel in herzlicher Sehnsucht erinnern. Gerald Humel war ein streitbarer, aber ein klarer Geist, der sich für unseren politischen Alltag ebenso vital ineressierte wie für Musik allgemein, die seine freilich vorangestellt. Mit Eifer konnte er nach einem Konzert eine leidenschaftlich geführte Diskussion um ein einzelnes Werk entfachen, das auf positive oder negative Weise seinen Nerv getroffen hatte.Dabei ging es ihm nie um simple Rechthaberei. Gelang es einem Kontrahenten, ihn zu überzeugen, akzeptierte er auch eine andere, konträre Meinung. Er unterlag nie dem Zwang, Andersdenkende missionieren zu müssen. Denn bei aller Streitbarkeit für einen ästhetischen oder auch politischen Standpunkt, war Humels Charakter von einem Commen sense geprägt, den seine zum Vermitteln bereite, liebenswürdige Grundnatur Während unserer jahrzehntelangen musikalisch wie organisatorischen Zusammenarbeit war zwischen uns eine tiefe Freundschaft entstanden, die unter konkurrierenden Kollegen ihres gleichen sucht. Auf unseren zahlreichen Spaziergängen diskutierten wir Probleme der zeitgenössischen Kunst, speziell solche, unseres sich ständig verändernden Berufsstandes. Aber auch ganz Persönliches, Privates wurde angesprochen und dabei oft gegenseitiger Rat gesucht. Meinen Töchtern, die Gerry – wie wir ihn nannten – von kleinst auf kannten, war er ebenfalls ein lieber, an ihren kleinen Problemen freundlich anteilnehmender Vertrauter. Wir alle haben einen sehr liebenswerten, eben auch kritischen, vor allem aber treuen Freund für immer verloren. 42 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Presse zu “Magnificat” Uraufführung 1984 1. Berliner Morgenpost (W.Sch.) 2. Der Tagesspiegel (Walther Kaempfer) 3. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt) Konzert in der Philharmonie zum 30jährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chores BM 28.03.1984 – Zum Jubiläum gab´s ein Werk von Wahren ... Schwer tat sich dieser Chor nur mit der zeitgenössischen Musik. Sie war und wird wohl auch weiterhin die Ausnahme von der Regel bleiben. Um so bemerkenswerter, daß man zum Jubiläum sogar ein Werk in Auftrag gegeben hat. Es wurde nun unter viel Beifall, aber auch einigen Unmutsäußerungen in der Philharmonie aus der Taufe gehoben: Ein Magnificat von Karl Heinz Wahren. Wahren verschmähte es, seinem Magnificat den sonst üblichen Text aus dem Lukas-Evangelium unterzulegen. Statt dessen greift er auf mehrere, ganz verschiedenartige Autoren zurück. Texte von Cicero, Augustinus, Petrarca, Imanuel Geibel und des Engländers Tavistock stehen nebeneinander. Der Vielfalt der Worte entspricht eine Vielfalt der Stile: Gregorianische, barocke, impressionistische, zwölftönige und geräuschartige Elemente werden eingesetzt. Wahrens Anspruch ist hochgeschraubt. Eine Art Friedensappell, ein Plädoyer für friedliches Zusammenleben aller Völker soll aus dem Werk aufklingen. (W.Sch.) Der Tagesspiegel 27.03.1984 Apokalyptische Kraftballungen – Der Berliner Konzert-Chor mit Weisse in der Philharmonie Zum 30jährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chores war an Karl Heinz Wahren, den heute 50jährigen, vorzugsweise in Berlin ausgebildeten Komponisten und Mitbegründer der Gruppe Neue Musik, der Auftrag ergangen, für das Jubiläumskonzert ein größeres Werk für Chor und Orchester zu schaffen. Was unter dem Titel “Magnificat” nun bei festlichem Anlaß zur Uraufführung kam, war mitnichten eine Vertonung des marianischen Lobgesanges aus dem Lukas-Evangelium, der vom frühen Mittelalter bis in unser Jahrhundert die Meister beider christlichen Konfessionen zu unzählbaren Tonsätzen inspiriert hat. Wahren hat vielmehr ein Konglomerat aus lateinischen, mittelalterlichen Versen oder Sprüchen und einem leider schwachen Gedicht Emanuel Geibels als Textvorlage benutzt, die der in allen Völkern seit der Antike immer wachen Friedenssehnsucht Ausdruck geben soll. Mit den Worten “Magnificat mundus pacem” beginnt und endet das umfangreiche dreiteilige Opus, das mit berühmten Worten Ciceros, des Horaz und Augustinus und der Klage des Petrarca über den Verfall der römischen Kirche im 14. Jahrhundert untermischt ist. Das gewiß hochaktuelle Plädoyer für den Frieden, das von politischen Parteien aller Länder in Demonstrationen laut wird, kann schwerlich zu einem Kunstwerk geformt werden, denn wie schon Cicero wußte, “silent musae inter arma” – wenn die Waffen sprechen, schweigen die Künste. Die Tonsprache Wahrens, die sich collagierend gregorianischer Melismatik, kanonischer und kontrapunktischer, dazu orchestraler Effekte von sanftem Impressionismus bis zu hartem Cluster bedient, erreicht zwar durch vielfach rezitativische Diktion und das zum Instrumentalklang gesprochene Wort im allgemeinen eine Faßbarkeit des Sinngehalts. Musikalische Eindrücke ergeben sich aber nur in wenigen Takten instrumentaler Ein- oder Überleitung oder in apokalyptischen Kraftballungen. Die zeitlichen Übermaße der drei Sätze ermüden die Hörer in der gut besetzten Philharmonie spürbar, so daß der den Schlußbeifall erheblich störende Widerspruch beim Erscheinen des Komponisten auf dem Podium verständlich erschien. (Walther Kaempfer) Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.04.1984 Berliner Konzert-Chor ... Das Jubiläums-Programm stellte vor Mozarts Große Messe in c-moll eine Uraufführung: Karl Heinz Wahrens “Magnificat”; das im Auftrag des Berliner Konzert-Chors zu diesem Anlaß geschrieben ist. Wahren, Jahrgang 1933, lebt in Berlin, hat Komposition bei Josef Rufer und Karl Amadeus Hartmann studiert. In zahlreichen Arbeiten und vielen Gattungen bewährt, machte er 1976 mit der komischen Oper “Fettklößchen” (nach Maupassants Novelle “Boule de suif”) Aufsehen. So vielzüngig wie diese ist auch das 37 Minuten lange “Magnificat” für Chor, Orchester und Soloquartett. Als Text hat Wahren eine lateinische, deutsche und englische Anthologie von Zitaten aus der Weltdichtung zusammengesetzt: Klagesang und Friedensbitte in drei Sätzen. Das pazifistische Leitwort “Magnificat mundus pacem” wird nach kurzer Orchester-Einleitung vom Chor gesungen. Den musikalischen Gipfel bildet der zweite Satz im Wechsel von Fugato der männlichen 43 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Solisten und Chören, alle bald singend, bald sprechend, die Polyphonie bis zur Achtstimmigkeit im “Misera” geführt. Lieblichere Töne bringen die weiblichen Solisten im Rosengedicht eines englischen Barockpoeten, bis Soloquartett und Chor mit einem Friedensruf an die Menschheit das Werk beschließen. Wahren hat wieder einmal ein tief engagiertes Stück von meisterlicher Kunst geschrieben. ... (H.H. Stuckenschmidt) Presse zu “Du sollst nicht töten” Aufführung 1974 1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt) 2. Die Welt (Harald Colberg) 3. Der Tagesspiegel (Gottfried Eberle) 4. RIAS-Hörfunk (Walter Bachauer) 5. Philharmonische Blätter (wgb) 6. Berliner Morgenpost (-w-) 7. Spandauer Volksblatt Berlin Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.04.74 Neuheiten in West-Berliner Konzerten Karl-Heinz Wahren beschloß mit seiner Kantate “Du sollst nicht töten” den interessanten Abend. Zwei Sprecher, Chor und Tonband teilen sich mit Jazzsolisten in die Interpretation eines gegen alle Gewalt gerichteten Textes, den der in Berlin lebende Komponist zusammen mit Walter Böttcher aus christlich-religiösen Liturgieworten ausbrechen läßt. Ausgezeichnet für die Stimmen und Instrumente gesetzt, überzeugend, wo immer sie rein musikalisch begrenzt ist, leidet diese Kantate an einer etwas äußerlichen Plakathaftigkeit. Doch der hohe sittliche Ernst ihres Bekenntnisses setzte sich durch, auch dank der großen Intensität, mit der Reinhard Peters manche Schwierigkeiten der Synchronität überbrückte. (H. H. STUCKENSCHMIDT) Die Welt - 30.03.74 Die Kette von Leiden – “Musik der Gegenwart” unter Reinhard Peters in der Philharmonie “Sie nehmen das Kreuz und drehen und drehen es um, bis es zum Schwert wird.” Dieser Satz, Dreh- und Angelpunkt der Kantate “Du sollst nicht töten” von Karl-Heinz Wahren, läßt schlaglichtartig deutlich werden, mit welch metaphorischer Prägnanz der Berliner Komponist und sein Textmitgestalter Walter Böttcher ein ungeheuer anspruchsvolles Thema angehen: Gewalttat und Mord, die die Menschen seit den Tagen Kain und Abels einander antun, und ihre Konfrontation mit der tradierten christlichen Doktrin von Vergebung und Nächstenliebe. Unausgesprochen ist es, das Problem der Theodizee, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts einer Welt voller Leid, Blut und Vernichtung, das hier aktualisiert wird. Aber es wird nicht theologisch bequem ausgewichen. Letztlich ergeht der Appell an den Menschen selbst, die geschichtliche Kette von Elend und Greueltat zu durchbrechen. Daß dieser Appell nicht in Agitprop-Thesen, sondern in der Benennung des Schrecklichen und nicht frei von Sarkasmus und Verzweiflung vorgetragen wird, gibt dem Werk seine Tiefendimension. ... ...Die Mannigfaltigkeit der Mittel von der Gregorianik bis zum Jazz, vom hymnischen Lobgesang bis zum schaurigen Wehgeschrei, vom Kriegslärm und Demonstrationsprotest bis zur Aufzählung der Stätten des Grauens (“...Treblinka, Hiroshima, Dresden...”) reflektiert die Fülle der Perspektiven. Vor diesem Hintergrund referieren zwei Sprecher (Robert Dietl und Helmut Krauss) Stationen menschlicher Vernichtung: Kains Brudermord, die letzten Sekunden eines Hingerichteten, Aspekte von Napalm- und Atomkrieg, den Terror der christlichen Konquistadoren in Westindien. ...(Harald Colberg) Der Tagesspiegel - 30.03.74 20. Jahrhundert Karl Heinz Wahrens Kantate “Du sollst nicht töten” für kleines Blasorchester, Jazzcombo, Chor, zwei Sprecher und Tonband ist 1969 bei den Jazztagen durchaus mit Erfolg aufgeführt worden. Jetzt erregte sie neben Beifall auch heftigen Widerstand. Warum wohl? Diese Musik war jedenfalls sinnfälliger als das übrige Programm. Zu sinnfällig und direkt vielleicht schon wieder? Ihre Botschaft ist klar. Eine Welt der Glaubensgewißheit repräsentiert durch gregorianischen Choral wird Protokollen des Sterbens und der Brutalität, Kriegs- und Demonstrationslärm konfrontiert. Engagierte Musik also, freilich nicht für eine bestimmte politische Richtung. Wurde das zum Vorwurf gemacht? Das Stück ist fraglos sorgfältig gearbeitet, frappierend vor allem immer wieder in den Übergängen, den Überlappungen von verschiedenen Perspektiven. Allerdings, die einzelnen “Takes” wirkten jetzt zu lang, das Ganze nach dieser kurzen Zeit schon merkwürdig gealtert. Vielleicht aber muß das Komponieren letztlich immer an der Gewalt des besagten Themas abprallen. ... (Gottfried Eberle) 44 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare RIAS-Hörfunk zur Pelca-Schallplatte “Du sollst nicht töten” ...Stockhausen montierte aus den Nationalhymnen der Welt seine “Hymnen”, Luciano Berios “Sinfonia” verklebte Samuel Beckett mit Elementen einer Mahler-Symphonie, Lukas Poss fügte aus verfremdeten Motiven von Dach und Scarlatti seine parodistischen “Barock-Variationen”. Die Kantate Karl Heinz Wahrens nutzt die neue Technik zu einer sehr direkten Konfrontation von Religion, Politik und Musik. Bibelstellen und zeitgenössische Texte über Anwendung von Gewalt, das Alte Testament und Vietnam werden simultan zu Zeugen eines pazifistischen Manifests aufgerufen; im Vordergrund die Anklage gegen die militärischen Maschinerien der Gegenwart und die technisch verfeinerte Kunst des Tötens. Eine kommentarlose Folge der archaischen und modernen Textpartikel - sie ist von der evangelischen Kirche autorisiert - zielt auf Schock, Plastizität der Vorstellung, nicht so sehr auf ästhetische Wirkung. Wahren hat sie ganz der Musik überlassen, die aus nicht minder Heterogenem konstruiert ist. Chor-Polyphonie in dichten Flächen, wie sie übrigens auch Penderecki in der gefeierten “Lucas-Passion” verwendet, stehen neben den harten Blech-Breaks des Jazzensembles, Flötenkantilenen neben Beat und von Tonband eingespieltem Kampflärm. Der Widerspruch der musikalischen Materialien wird nicht simpel durch Verwischung ihrer verschiedenen Ebenen gelöst, sondern quer durch die Dramaturgie des Ganzen ausgetragen. Collage-Technik präsentiert sich hier pur. Das erhöhte Risiko solchen Komponierens hat seinen guten Sinn; der Autor mag in der Musik nichts von dem beschönigen, was der Text in seinen Kontrasten aufwirft. Der ästhetische Bruch, in engagierten Stücken bereits Kunstmittel, spiegelt drastisch den Zustand der “beschädigten Welt”. (Walter Bachauer im RIAS) Philharmonische Blätter - Heft 6 1973/74 Das Thema dieser Kantate ist nicht der ewige Zyklus des Sterbens, sondern vor allem das Töten, der Mord, den Menschen für Menschen planen, ist der Mechanismus der Gewalt, der im Namen von Ideologien oder im Namen des Kreuzes in historischen Zeiten wie in der Gegenwart an Menschen vollzogen wird. Walter Böttcher, der in Zusamrhenarbeit mit dem Komponisten die Texte dieser Kantate zusammenstellte, beginnt zwar mit einer alten biblischen Notiz, der über den Brudermord Kains an Abel. Aber der Blick konzen- triert sich vor allem auf die Dokumentation der Gewalt, wie sie hier durch Texte über den Mord der Spanier in Westindien, durch einen Hinrichtungsbericht oder Texte über Napalm- und Atombombenverheerungen belegt wird. Und die christlichen Verläßlichkeiten, wie sie im alten Lobgesang ,Und gelobt sei der Ewige’ auch hier mehrfach zitiert werden oder in der Gelassenheit des “Alles hat seine Zeit ...” sie geraten in den Sog eines gegenwärtigen Lebensgefühls, das mit den traditionsreichen Wahrheiten nicht nur dissoniert, sondern sie radikal in Frage stellt. Denn angesichts des realen Schreckens wird im Bewußtsein des gegenwärtigen Menschen die alte Bitte “Rette mich, Herr, vor dem ewigen Tode an jenem Tage des Schreckens” zu einer eigentümlich akademisch gefärbten, weit im Hintergrund verborgen liegenden Bitte. Kugelbombe, Napalmbombe, Atombombe und die Topographie des Grauens, die hier mit La Guernica beginnt und mit Biafra ihr, wir wissen, nur vorläufiges Ende gefunden hat, solche Realitäten scheinen durch keine jenseitige Höllenqual mehr überbietbar zu sein. Karl Heinz Wahren hat diese Kantate 1969 im Auftrag des RIAS geschrieben, und im gleichen Jahr fand sie, während der Berliner Jazztage, eine vielbeachtete Uraufführung. Sie ist für Orchester, für Jazzsolisten und Chor und Sprecher und Tonband konzipiert. Und diese Vielfalt der musikalischen Mittel spiegelt exakt die Vielfältigkeit der Perspektiven, wie sie in der Text-Collage ausgebreitet wird. Vordergründig betrachtet, sucht Wahren die Konfrontation von Jazz-Aggressivität, stillem Orgelton und vox humana, als der Stimme des leidenden Menschen, wie sie sich mehrfach in weitgefächerten Chorpartien ausspricht. Hinzu kommt zudem die Nüchternheit der Sprecher, kommen die konkreten musikalischen Partikel von Demonstrationen oder Zitate aus Gregorianik und Renaissance. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß wesentliche Partien der Kantate von schnellen Schnitten leben, von der Konfrontation kurzer musikalischer Partien unterschiedlichen Charakters. So wechseln immer wieder jäh emphatische Ausbrüche des Orchesters mit klagenden Chorpartien oder der nüchternen Heftigkeit kurzer solistischer Jazzeinblendungen. Andererseits aber gelingen Wahren allmähliche Überlagerungen oder auch kaum merkliche Veränderungen der zugrunde liegenden Ausdruckscharaktete von verblüffender Intensität. Nach dem Bericht über den Hingerichteten findet sich eine im Herzrhythmus zukkende Jazzüberleitung, die unmittelbar in eine gregorianische Intonation überführt wird. Klimatisch und musikalisch wird sie überlagert von der Hochstimmung 45 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare der Renaissance-Trompeten, die wiederum ins Saxophon-Solo einmünden, in Linien von eindringlicher Beweglichkeit. Das Solo reichert sich an, es wird zum Ensemble mit zwingendem, vorantreibendem Baß und schliefllich zum Geräusch knatternder Maschinengewehre, das sich zum Demonstrationslärm weitet. Solche Kunst des musikalischen Changierens faßt das musikalisch Einzelne auf faszinierende Weise zum klimatisch einheitlichen Raum zusammen. Und sie ermöglicht es auch, daß Wahrens Partitur nie ins hohle Pathos der Anklage ausbricht oder ins überhöhende musikalische Espressivo. Die Musik bleibt vielmehr so konkret, so unmittelbar faßlich auch, wie es die Texte ohnehin sind. Diese Leichtverständlichkeit der Partitur sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wieviel Kunstverstand in die musikalischen Zusammenhänge eingegangen ist. Denn gerade die Sprache des Jazz, wie sie Wahren in den stilistisch vielfältigen Raum integrierte, wird mit außerordentlicher Empfindsamkeit und auf verschiedenen Ebenen gehandhabt. So ist sie einmal, in den Breaks, Ausdruck der Aggression, andererseits aber auch gleichsam neutralisierende Ebene, vor deren Hintergrund sich mit aller Deutlichkeit die Texte formulieren lassen. In ihrer Gelenkigkeit aber kontrastiert sie mit der Statik der alten Gesänge und deren starrer Traditions-Aura. “Du sollst nicht töten” ist eine Kantate, die um Teilnahme wirbt, indem sie pathoslos sagt, wie es ist. Und darum sollte man sie auch wie eine Information aufnehmen: wach und reflexionsbereit.(wgb) vom Tonband und kammermusikalische Melancholie zu einer verblüffenden Einheit verschweißt werden. ... (-w-) Berliner Morgenpost - 30.03.74 Kühle Sprechtexte und Klageschreie Die Kantate “Du sollst nicht töten” des Berliner Komponisten Karl Heinz Wahren dürfte zu den wenigen zeitgenössischen Werken zählen, die die Chance haben, einstmals unsere Epoche würdig und eindrucksvoll zu repräsentieren. Das liegt nicht nur an dem hochgespannten Thema, das sich nichts Geringeres vornimmt, als Gewalttat und Mord in Geschichte und Gegenwart mit den christlichen Heilsgewißheiten zu konfrontieren. Ein Thema also von unablässiger Brisanz und Aktualität. Viele Stilmittel Es liegt vor allem aber an der dramatisch-packenden Direktheit, mit der Wahren den Vorwurf gestalterisch bewältigt. Der Vielfalt der Perspektiven entspricht eine Fülle scheinbar unzuvereinbarender Stilmittel. So ist es immer wieder faszinierend zu beobachten, wie Gregorianik und Jazz, expressive Klagesehreie und kühl referierende Sprechertexte, reale Geräusche Presse zu “Fettklößchen” - Uraufführung 1976 Spandauer Volksblatt Berlin - 30.03.74 “Musik des 20. Jahrhunderts” In seiner Kantate “Du sollst nicht töten” verbindet Karl Heinz Wahren (geb. 1933) Orchester, Jazzsolisten, Chor, Sprecher und Tonband. Von den damit gegebenen Möglichkeiten macht Wahren eine halbe Stunde lang in rascher Abwechslung immer nur knapp Gebrauch, so dafl ein Eindruck sparsamer Fülle entsteht und die Einheitlichkeit des Duktus stets gewahrt scheint. Der Text, eine von Walter Böttcher und Wahren selbst zusammengestellte Montage in vier Sprachen, läßt vom Sakralwort über politische und medizinische Texte bis hin zur Aufzählung von Stätten des Massenmords von Guernica bis Biafra verschiedene Aspekte des Sterbens und Leidens aufklingen. Der appellative Sinn dieses moralistisch gemeinten Kunstwerkes verbirgt sich hinter nüchterner Beschreibung und Tönen der Klage - und das gewiß nicht zu seinem Schaden. Manche mögen´s jedoch nur mit dem Holzhammer; So jedenfalls erkläre ich mir die vereinzelten Buhrufe, die Wahren als einzigem der anwesenden Komponisten zuteil wurden. 1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (H.H. Stuckenschmidt) 2. Theater Rundschau (Joachim Kramarz) 3. Die Welt (Klaus Geitel) 4. Der Tagesspiegel (Wolfgang Burde) 5. Orpheus (Klaus Laskowski) 6. SFB-Fernsehen Abendschau (Ditha Rupprecht) 7. SFB-Hörfunk (Dietrich Steinbeck) 8. Berliner Morgenpost (Horst Feige) 9. Kieler Nachrichten, Mannheimer Morgen, Tageblatt Heidelberg (Hellmut Kotschenreuther) 10. Westfälische Zeitung (Horst Dammrose) 11. Berliner Zeitung (K.W.) 12. Der Abend 13. Spandauer Volksblatt Berlin (Georg Quander) Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.04.76 Fettklößchens Jammer – Karl Heinz Wahrens Buffa in Berlin uraufgeführt Nun hat ein Musiker des Jahrgangs 1933 einen Fund 46 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare gemacht. Guy de Maupassants Erstlingsnovelle, die “Boule de suif” von 1880, drängt sich als kapitaler Spaß mit kritischen Hintergrund der Bühne gleichsam auf. ... Zusammen mit dem Hausdramaturgen der Deutschen Oper Berlin, Claus H. Henneberg, hat der Komponist Karl Heinz Wahren daraus ein Stück in drei Bildern gemacht. Maupassants Novellentext wird in Szenen und Nummern aufgespalten. Dialoge, Ensembles und Lieder folgen den Geboten des Singtheaters. Dabei kommt es zu Vergöberungen. Die Sprache wird vulgär; bisweilen ist schon die deutsche Übersetzung ordinärer als der französische Text. Dramaturgisch ist das Libretto in Ordnung. Was sagt die Musik dazu? Karl Heinz Wahren, ehemals Schüler Amadeus Hartmanns und Josef Rufers, hat seit den sechziger Jahren mit Symphonik und Kammermusik von sich reden gemacht. Sein Klavierkonzert war bei den Berliner Festwochen 1968 in Rolf Kuhnerts Interpretation ein Wurf. Ohne sich serieller und aleatoririscher Mittel zu bedienen, redete Wahren eine kultivierte, auf zwölftönigen Methoden ruhende Sprache. “Fettklößchen”, im Auftrag der West-Berliner Oper geschrieben, ist sein erster Bühnenversuch. Für nur vierzig Mann Orchester einschließlich Harfe, Celesta, Klavier und zwei Schlagzeuggruppen ist die Partitur sparsamer gesetzt als der oft üppige, rauschende, polyphone Klang vermuten läßt. Die Mittel sind pluralistisch: neben vieltönig-dissonanten Akkorden, Clusters, Glissandowirkungen und vielfarbigem Geklingel stehen äußerst simple Stellen vom Marseillaisezitat im kurzen Vorspiel bis zu den “Nummern”, zu denen ein meist rezitatirisch-deklamierender Singstil manchmal gerinnt. Auch das singspielhaft gesprochene Wort mischt sich in die gesungenen “Strecken” ein. Der Hauptmangel der Musik ist, daß diese höchst heterogenen Mittel fast unvermittelt nebeneinander liegen. Sie wollen nicht verschmelzen. So zerfällt der Ablauf in einzelne Teile. Wahren hat Sinn für Parodien. So glücken ihm Dinge wie das nationalhymnische Unisono am Schluß des ersten Bildes ebenso wie das Terzett de preußischen Soldaten im zweiten und das gesungene Salonstück von Judith und Holofernes. Da überall herrscht ungenierte Tonalität und Diatonik. Aber gleich daneben klingen dann im Orchester teils Erinnerungen an Debus- syschen oder Ravelschen Impressionismus, teils dissonante Kontrapunkte. Das handwerkliche Können, namentlich in der Orchesterbehandlung, ist beachtlich. (H.H. Stuckenschmidt) Theater Rundschau - Juni 1976 Herzlicher Beifall für Karl Heinz Wahrens “Fettklößchen” Diese kleine Eineinhalb-Stunden-Oper verdient alle Anerkennung. Karl Heinz Wahren schreibt eine Nummernoper, seine Musik spielt in klaren Taktmaßen, gewohnten Harmonieabläufen bildet Perioden und benutzt Neutönerisches nur sehr zurückhaltend. Aber in diesem Rahmen ist die Musik einfallsreich, trifft den Ton der Handlung, changiert leicht zwischen Gesang und Sprache, eröffnet den Sängern gute Spielmöglichkeiten und hat Witz. ... (Joachim Kramarz) Die Welt - 26.04.76 Schmunzelmusik zur Häme von Maupassant ... Karl Heinz Wahren, der Komponist und Claus H. Henneberg, Dramaturg der Deutschen Oper Berlin, ab Herbst Generalintendant in Kiel, haben die Bühnenwirksamkeit des Sujets erkannt, das schon Michael Romm in Rußland, Christian Jaque in Frankreich verfilmt haben. In Wahrens Vertonung serviert die Deutsche Oper Berlin nun dieses “Fettklößchen”, gewissermaßen in würziger Sauce, und zwar im neuen Theatersaal der Musikhochschule Berlin. Karl Heinz Wahren ist ein geschickter, auch gewitzter Komponist, der sein Metier ausgezeichnet beherrscht. Er schreibt eine klingende, illustrierende, oft effektvoll schlagkräftige Musik, die im Wechsel aus gesungenen und gesprochenem Wort geschickt Nutzen zieht. Aber es ist gewissermaßen die Musik einer klassenlosen Gesellschaft. Wahren spickt das Geschehen mit hübschen, geschmackvollen Orchesterpointen. Er setzt manch lustigen, ironischen, sogar parodistischen Kommentar. Wahren schreibt eine Schmunzelmusik. ... Das “Fettklößchen” erwies sich als Schlager: sozusagen als musikalischer Whimpy. (Klaus Geitel) Der Tagesspiegel - 27.04.76 Karl Heinz Wahrens Oper “Fettklößchen” uraufgeführt Der Berliner Komponist Karl Heinz Wahren wollte nach seinem eigenen Geständnis eine im besten Sinne unterhaltende Oper schreiben¸ Keine, die den seit den 50er Jahren üblichen vokal-artistischen Subtilitäten erneuten Tribut zollt, keine auch, deren musiksprachliche Differenzierung so weit getrieben ist, das ein unbekümmert drauflos hörendes großes Publikum nach den ersten Takten bereits zurückzuckt, mit Desinteresse oder gar Angst reagiert. Der erste 47 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Schritt, in Zusammenarbeit mit dem Chefdramaturgen der Deutschen Oper Claus H. Henneberg, vollzogen, schien ein gutes Stück auf diesem Wege größtmöglicher Kommunikation voranzutreiben. Man entschied sich für Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif” (Fettklößchen) als literarischen Vorwurf, und Hennelkerg lieferte ein Libretto, das zwar auch die vulgäre Pointe nicht scheut, insgesamt aber spielbar und im traditionellen Sinne theaterwirksam ist. Karl Heinz Wahren hat dazu eine Opernmusik geschrieben, deren Durchsichtigkeit und kurzmotivische Gelenkigkeit, deren relativ leichte Singbarkeit und Auffaßbarkeit zunächst durchaus für sie einnehmen. In den ersten Minuten dieser dreiaktigen Partitur rauscht die Musik impressionistisch auf, der Parlandoton der ersten Rezitative hat Textverständlichkeit für sich, und nirgendwann überdeckt der Klang des Orchesters die sängerischen Aktionen. Im Verlauf des ersten Aktes aber wird auch sichtbar, daß Wahren die Protagonisten an jene beiläufigen sängerischen Wendungen gebunden hält, daß weder Pianissimo-Intimität noch Ausbruch, noch etwa ausführlichere ariose sängerische Selbstdarstellung zu seiner Konzeption gehört. ... (Wolfgang Burde) Orpheus - 15.06.76 Premiere des Monats Fettklößchen von Karl Heinz Wahren ... Guy de Maupassants Novelle “Boule de Suif” hat die theatralische Umwandlung mehr als einmal mitgemacht; ob als Film (z.B. von Michail Romm) oder als Schauspiel (“Hotel du Commerce” von Hochwälder). Jetzt ist aus dem “Fettklößchen” gar eine Oper geworden. Der Berliner Komponist Karl Heinz Wahren hat zusammen mit Claus H. Henneberg, dem das theaterwirksame Libretto zu verdanken ist, einen höchst unterhaltsamen musikalischen Dreiakter geschaffen, der alle Chancen hat, sich als Saison-Hit die deutschen Opernbühnen zu erobern. ... Dieser dramaturgisch hervorragende Bau wird orchestral mit viel Achtel- und Sechszehntelnoten gefüllt. Impressionistische Anklänge wallen für Momente auf, werden durch Zitate und ganz konventionelle Einschübe - ein Chanson, einen Can-Can, die Marseillaise - abgelöst. Der Klang ist alles andere als filigran, obwohl nur ca. 40 Mann im Orchester sitzen. Wahrens Arbeit Zeigt in seinem ersten Bühnenwerk erstaunliches Können, allerdings ohne allzu große Ideengabe. Aber er kann für Stimmen schreiben, und das vermögen heutzutage nur wenige Komponisten. Er individualisiert die Gesangslinie, die oft von der des Orchesters losgelöst ist und nicht selten in den gesprochenen Dialog mündet. ... (Klaus Laskowski) SFB-Fernsehen Redaktion Abendschau Ein gefälliges Werk ist diese Oper vom “Fettklößchen” - einem nicht mehr ganz taufrischen, leichten Mädchen -, das aus Gefälligkeit sieben patriotischen Landsleuten gegenüber dem bösen preußischen feind schließlich doch den gefallen tut und mit ihm ins Bett geht. Gut gefallen hat diese erste Oper des Berliner Komponisten Karl Heinz Wahren dem Premierenpublikum. Nur Bravos waren zu hören und das ist bei Uraufführungen äußerst selten. Nun ist Wahrens Erstling nicht das große, erleuchtende Werk des modernen Musiktheaters. Das will es und soll es gar nicht sein. Aber es stimmt in sich ganz gut. Schade nur, daß das, was z.B. Musik über innere Vorgänge zu sagen hat, oft zu kurz kommt. Wahren räumt dem gesungenen Wort Priorität ein. Deshalb verzichtet er auch auf artistisch hohe Töne. Die Folge: man versteht eigentlich jedes Wort, die Pointen kommen an. Und das ist gar nicht so schlecht für eine Spieloper, die eine gute literarische Vorlage hat. Aus Maupassants Novelle über die heuchlerischen, bigotten Vertreter der Kirche, des Adels und des Bürgertums haben Claus H. Henneberg und Wahren ein witzig-ironisches Libretto zurechtgezimmert. ... ... Der Dirigent Caspar Richter musizierte mit Engagement, Umsicht und Sinn für ironischen Witz. Und die Sänger bewiesen wieder einmal, daß sie treffliche Darsteller sein können. “Fettklößchen” – diese neue Oper wird nicht nur in Berlin ihr Publikum finden. (Ditha Rupprecht) SFB-Hörfunk ... Eins nämlich scheint mir sicher: diese heiter-satirische Spieloper (und wann hätte ein Komponist unserer Zeit Ähnliches zustandegebracht?), sie wird ihren Weg in die deutschen Stadttheater finden. Sie ist, den stimmlichen Anforderungen nach, leicht zu besetzen, sie bietet zu effektvollem Rollenspiel Gelegenheit genug ... das Libretto hat Maupassants frühe Novelle recht geschickt gerafft und dialogisiert ...(Dietrich Steinbeck) Berliner Morgenpost - 27.04.76 Fettklößchens Reise in der Kutsche der Vorurteile ... Das Märchen von “Fettklößchen” ist ebenso erheiternd wie in seiner lapidaren Schlichtheit menschlich 48 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare ergreifend. Die Wuchtbrumme der siebziger Jahre (des vorigen Jahrhunderts) hatte ihre Klößchen an den richtigen Stellen und verstand es, damit gegen bare Münze zu wuchern. Weil der Komponist Karl Heinz Wahren die “bürgerliche Renommierwandelhalle” – so nennt er die Oper im Programmheft – nicht mag, zog man zur Premiere in den Theatersaal der Hochschule der Künste, wo das Singspiel gut aufgehoben war. Die teils impressionistisch schwelgende, teils beatig laute, auch das Couplet nicht scheuende Musik ist illustrierend. Da dieses veroperte “Fettklößchen” im Gegensatz zu seinem literarischen Vorbild nicht im Winter spielt, durfte Martin Rupprecht kleidsame Sommergarderobe heraussuchen. ... Das Orchester unter Caspar Richter spielte die ungewohnte Partitur sicher und mit schönem Erfolg. Der große Beifall sollte die Deutsche Oper anregen, – wo auch immer – “Fettklößchen” am Opernleben zu erhalten. (Horst Feige) Mannheimer Morgen, Kieler Nachrichten, Tageblatt Heidelberg - 28.04.76 Fettklößchen und die Heuchler – Eine Oper von Claus H. Henneberg und Karl Heinz Wahren in Berlin uraufgeführt ... Claus H. Henneberg, der designierte Kieler Generalintendant, und der Komponist Karl Heinz Wahren haben aus der Novelle ein Libretto extrahiert, in dem viel von der beißenden Ironie, viel von der sarkastischen Gesellschafts- und Menschenkritik Maupassants bewahrt ist; und Wahrens Musik, die vom heutigen Stand der kompositorischen Mittel aus den Impressionismus in den Blick nimmt, versteht sich darauf, Situationen und Charaktere effektsicher zu pointieren. Die leichtfüßige Partitur, aus der sich dann und wann kleine Chansons und Ensembles auskristallisieren, zielt – und gedankt sei´s ihr – eher auf Unterhaltsamkeit als auf die Unsterblichkeit; sie hat, was hierzulande seit je rar war: Esprit. ...(Hellmut Kotschenreuther) Westfälische Zeitung - 27.04.76 Durchaus bekömmlich – Wahrens erste Oper “Fettklößchen” in Berlin uraufgeführt Die Deutsche Oper Berlin stellt jetzt im Theater- und Probensaal der Hochschule für Künste als Uraufführung die Oper “Fettklößchen” von Karl Heinz Wahren vor. ... Henneberg und Wahren haben den Novellentext in verschiedene Szenen und Bilder unterteilt, aus der Novelle ein Singspiel gemacht, den Kern und Gehalt der Novelle aber nicht verändert. Die Sprache ist derb, dramaturgisch bietet das Libretto großartige Möglichkeiten. “Fettklößchen” ist Wahrens erster musikalischer Bühnenversuch, ein Auftragswerk für die Deutsche Oper Berlin. Zeitgenösische Kompositionstechniken wechseln mit denen des Impressionismus, Lieder im Volkston, die Ballade von Judith und Holofernes mit modernen, beatähnlichen Rhythmen. Wahren will über die Brücke des Vertrauten dem Hörer einen Zugang zu modernen Klängen erleichtern. Die Musik unterstreicht hervorragend das Wort. ... Mein Gesamteindruck: Diese Nettigkeit “Fettklößchen” sollte keineswegs wieder in der Versenkung verschwinden. Dank einer vorzüglichen musikalischen Interpretation, einer gelungenen Inszenierung, hervorragender darstellerischer Leistungen aller Mitwirkenden eine entspannende Abendunterhaltung, die zum Nachdenken anregt. Sehr empfehlenswert. (Horst Dammrose) Berliner Zeitung B.Z. - 26.04.76 Oper mit allem drum und dran Karl Heinz Wahren hat das “Fettklößchen” zusammen mit Claus H. Henneberg geschickt für das Musiktheater präpariert! Wahren hat auch ein Ohr für Wirkungen. Er weiß, daß man auf die Dauer keine Musik ohne oder gar gegen das Publikum schreiben kann, und hat daraus Konsequenzen gezogen. Also hat er aus “Fettklößchen” eine Oper gemacht, eine richtige kleine Oper, mit allem, was dazugehört. Es gibt kurze Lieder, ein Miniatur-Liebesduett, Tanzrhythmen, alles klanglich bestens gewürzt, und selbst das Lied als dramatisches Füllsel, hier ein balladesker Song von Judith und Holofernes, fehlt nicht. ...(K.W.) Der Abend - 26.04.76 Das kleine Fressen – Erfolg im Quintett: “Fettklößchen” in der Fasanenstraße uraufgeführt ... Die Uraufführung im neuen Theatersaal der Kunsthochschule an der Fasanenstraße, eine Exkursion der Deutschen Oper in ein ihr fehlendes “Kleines Haus”, verlief am Wochenende sehr erfolgreich und rief alle fünf Väter des Werkes und der Aufführung an die Rampe. ... ... Diese Handlung begleitet der Berliner Komponist Karl Heinz Wahren mit einer handwerklich sehr sauberen, auch geschickt instrumentierten, aber insgesamt 49 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare doch recht harmlosen Musik illustrativen Charakters, die sich von jedem Avantgardismus freihält und eher epigonal ist. ... Spandauer Volksblatt Berlin - 27.04.76 Satire im Gewand einer “Spieloper” Claus H. Henneberg und Karl Heinz Wahren ist es im Libretto gelungen, die wesentlichen Elemente aus Guy de Maupassants gleichnamiger Novelle in eine pointenreiche szenische Aktion umzusetzen, die in treffender Rede und gegenrede die politische und moralische Verlogenheit der flüchtigen Reisegesellschaft sentenzenreich charakterisiert. Ravel, Bartók und Strawinsky, die Wahren, zeitkoloristisch bewußt zitiert, feiern fröhliche Urständ. Und das Publikum fühlt sich in solch altvertrauten Klängen offenbar wohl. Es wird von der Musik nicht gefordert und amüsiert sich an den Späßen der Handlung. ... Das Orchester unter Caspar Richter erntete ebenso wie der Komponist und der Librettist herzlichen Applaus. (Georg Quander) Presse zu “Bayreuther Impressionen” Uraufführung 2004 1. Märkische Allgemeine (Olaf Wilhelmer) 2. Brandenburger Stadtkurier (Ann Brünink) Märkische Allgemeine - 03.05.04 Analytische Kraft der Langsamkeit – Wagner in Brandenburg ... Besonders bayreuthisch war das nicht, aber dafür gab es zuvor die Uraufführung der Bayreuther Impressionen von Karl Heinz Wahren. Inspiriert von der rätselhaften Hassliebe der französischen Impressionisten zu Wagner, unternahm der 1933 in Bonn geborene Komponist eine tour d’horizon durch die Welt des musikalischen Zitats: geflügelte Klänge, ein komponierter Büchmann was einem in Bayreuth halt durch den Kopf geht. Kein Wagner-Highlight, das Wahren seinen Instrumentations-künsten nicht unterworfen hätte. Zwischen diesen zweifellos originell verknüpften Fäden keimte aber die Frage auf, wo hinter jenem in die Jahre gekommenen Postmodernismus die Persönlichkeit Wahrens zu suchen sei. Gleichwohl vermochte diese Novität einen komponierten Kommentar zur gedanklichen Klammer des Abends abzugeben: Eingangs war nämlich ... Brandenburger Stadtkurier - 03.05.04 Die Brandenburger Symphoniker zelebrieren Gegensätze ... “Bayreuther Impressionen”, die am Wochendende uraufgeführte, rhythmisch und inhaltlich überreiche Komposition von Karl Heinz Wahren (geboren 1933), hat vor allem den Intellekt der Konzertbesucher angesprochen. Ganz romantisch leiten die Streicher das an musikhistorischen Bezügen reiche Werk mit einem Motiv aus Wagners Lohengrin ein. Doch plötzlich explodiert ein grelles musikalisches Feuerwerk. Temporeich und mit schrillen Dissonanzen schwelgt das Orchester in Erinnerungen an “Tristan” und den “Fliegenden Holländer”. Mit einem wehmütigen Cellosolo verharrt das Orchester an Wagners Grab, bevor die Musik mal im fetzigen CancanRhythmus, mal gravitätisch zu Klängen aus dem immer währenden “Tannhäuser” von der unendlichen Wiederkehr des Altmeisters kündet. Mit seiner freitonalen Musik wolle er die Wagnerver-ehrung in die Gegenwart bringen, erklärt Wahren, Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik Berlin”. Auch wenn viel Wagner darin vorkomme, sei seine Komposition kein Potpourri, sondern eine Collage. Darin verbinde er Wagnerzitate mit Eigenem, aber auch mit anderen Impressionen. Begeistert zeigt sich Wahren von der Leistung der Brandenburger Symphoniker, die seine schwierige Komposition werkgetreu gemeistert hätten. ... Presse zu “Friedensoratorium” 6. Anfang und Ende der Welt Uraufführung 2005 1. Augsburger Allgemeine Zeitung (Claus Lamcy) Augsburger Allgemeine Zeitung - 11.08.05 Vielstimmiger Frieden – Festkonzert zu “Pax 2005” in der Augsburger Annakirche ... Zuletzt “Anfang und Ende der Welt” von Karl Heinz Wahren - eine Gegenüberstellung von Genesis und Offenbarung, zugleich eine Zusammenfassung aller Mitwirkenden. Wahren endfesselt düstere Klanggewitter, selbst für den “siebenten Tag”, der Triumph der Stellen “Der Tod wird nicht mehr sein” und “Schafft alles neu” erscheint als kurzer Siegesmarsch, der jäh abbricht: Auftrag statt Siegesgewissheit? Ein Werk, fragmentarisch und disparat wie unsere Zeit, dieses “Oratorium” , rätselhaft und mitreißend zugleich - ein einmaliger Akzent im Friedensjahr. (Claus Lamcy) 50 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Berliner Morgenpost 11. Oktober 2003 Musikalischer Vagabund - Geburtstagskonzert Er wollte das Publikum nie vor den Kopf stoßen. Eingängig und verständlich sind seine Werke. Serielle Konstruktionen? Nein, danke. Jazzrhythmen haben Karl Heinz Wahren viel stärker inspiriert. Für den Vagabunden zwischen E- und U-Musik gestaltet das BKA ein Porträtkonzert zum 70. Geburtstag. Jazzkomponist wollte der Bonner werden, als er zum Musikstudium nach Berlin kam. Er jazzte in der HajoBar und schrieb Arrangements fürs Rias-Tanzorchester. Dann eröffneten ihm die Werke von Strawinsky, Ravel und Blacher eine neue, viel reichere Welt. Wahren konvertierte, wurde E-Musik-Komponist - und hat doch seine Liebe zum Jazz nie aufgegeben. 1965 war er Mitbegründer der “Gruppe Neue Musik Berlin”, einem Interessenverband junger Komponisten, die individuelle Wege verfolgten. Der Durchbruch gelang Wahren 1976 mit “Fettklößchen”, einer Oper mit Strophenliedern im Volkston, Cancan und französischem Kolorit. “Der Mensch soll sich als Sozialwesen in der Musik wiedererkennen”, sagt er und greift gern gesellschaftspolitische Themen auf, etwa im Antikriegs-Stück “Du sollst nicht töten”. Gerald Humel, langjähriger Weggefährte aus der “Gruppe Neue Musik”, leitet das Geburtstagskonzert mit dem Concerto Streichquartett und acht weiteren Musikern. Sie spielen ausgewählte Kammermusikwerke, die Wahren seit 1959 geschrieben hat, und eine Uraufführung: “Nebeneinander - Miteinander” für Violine, Klarinette und Klavier. Wahren selbst führt durch den Abend. 51 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Brandenburgische Revue des Großen in den ersten Jahren seiner langen Regierungszeit. ... ist eine Folge von “Moments musicaux” zu tatsächlichen Begebenheiten aus der 500 jährigen Geschichte des Hauses Hohenzollern von Brandenburg-Preußen. Die Musik der einzelnen Bilder konfrontiert Stilelemente der jeweiligen Epoche dem Duktus unserer Zeit. Diese stilistischen Rückblenden sollen dem bewußten Hörer ermöglichen, das Vergangene aus der Sicht unserer Gegenwart zu empfinden. 8. PAVANE auf den Tod des im napoleoniscfien Krieg 1806 gefallenen hohenzollern Prinzen und Komponisten Louis Ferdinand. Auftragswerk der Berliner Festwochen 1981 1. FESTLICHE RENAISSANCE INTRODUKTION Am 30. April 1415, während des Konstanzer Konzils, belohnte König Sigismund den Nürnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern mit der Mark Brandenburg. 2. SIEGESMARSCH Anläßlich der ruhmreichen Rückkehr des Kurprinzen Joachim - später Kurfürst Joachim II. - aus den Türkenkriegen im Jahre 1533 3. BERCEUSE zur Geburt des dreiundzwanzigsten Kindes vom kurz zuvor im dreiundsiebzigsten Lebensjahr verstorbenen und drei mal verheirateten Kurfürsten Johann Georg im Jahre 1598. 4. GAVOTTE POPULAIRE auf den Sieg des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm über die schwedischen Invasoren bei Fehrbellin, 1675. 5. FURIOSO BARBARO - FUNEBRE zum Sturz der geistig umnachteten Königin Sophie Louise durch die geschlossene Glastür ins Schlafzimmer ihres Gatten König Friedrich I . und dessen, vom Schrecken ausgelöster unmittelbarer Tod darauf 1713. 6. FUGATO “Nischt wie weg, der König kommt!” Straßenparole aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelm I. der gelegentlich mit dem Stock auf der Strafle “faule” Bürger in die Flucht schlug und dabei rief: “Lieben sollt ihr mich!” 7. GIGUE zu der abendlichen Kammermusik am Hofe Friedrich 9. FINALE MAESTOSO - AGITATO DIVAGANDO zur Ausrufung König WilheIms I. von Preußen zum Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles und Ausblick auf den entgültigen Untergang Preußens in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. (K.H.W.) Ecce Homo Orchestersuite in 5 Sätzen nach Bildern von Otto Dix Die verschiedenen, deutlich voneinander trennbaren Perioden im 0Euvre Ott Dix’ zeigen sich auch in den hier zur Vertonung ausgewählten Bildern, die in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entstanden. Ihr historischer Bogen reicht von der Wilhelminischen Kaiserzeit über die Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Diktatur, bis zur Gründung der beiden antagonistisch zueinander stehenden Deutschen Staaten nach 1945. Diese Bilder sollen nicht in ihren optisch sichtbaren Äußerlichkeiten musikalisch interpretiert werden, vielmehr suche ich sie aus ihrem psychologischen Hintergrund und mit den in ihnen enthaltenen komplexen Anspielungen - natürlich aus subjektiver Sicht - ins Klangliche zu transportieren. Im ersten Gemälde - Die Nacht in der Stadt (1913) verkünden die das Bild beherrschenden Wolken durch expressive Bewegungen ebenso wie die feuerroten Fensterhöhlen des größeren Hauses - in der schwarz/ weiß Reproduktion nicht erkennbar - genuin Unheil, das im zweiten Gemälde - Schützenqraben (1918) die Menschen im absurden Stahigewitter des 1. Weltkrieges gnadenlos erfaßt. An die Schönheit (1922) - beschreibt durch die maskenhafte Darstellung seiner Akteure fast karikatutistisch in einer Art magischem Realismus, die von verbissener Lebenswut gekennzeichnete Oberflächlichkeit der folgenden Nachkriegsjahre, der “Roaring Twenties”, deren Unterhaltungswert sich für uns heute 52 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare unter anderem in begebenden Tangorhythmen nostalgisch symbolisiert. Im Triumph des Todes (1934) wird die damalige politische Polarisierung musikalisch plakativ verdeutlicht durch insistierende Rhythmen, die später überlagert sind von den Kampfliedern “Völker, hört die Signale” und “Die Fahne hoch”, die schließlich mit “Deutschland über alles” verschmelzen. Der Triumph der Nationalsozialisten wurde zum Triumph des Todes über Millionen Menschen. Die Bildersequenz schließt mit einer fast holzschnittartigen Jesus-Darstellung: Ecce homo (1949) - Sehet, welch ein Mensch - der sich vergeblich für das Heil der Menschheit sind den Frieden auf Erden opferte. Nich einem breiten polyphonen Beginn erinnern kurze Zitate an die vorangegangenen Sätze, und mit einem skurrilen Trauermarsch endet die 5-sätzige Suite, eine Hommage an den sensitiv-vitalen Künstler und kritischen Zeitgenossen Otto Dix (1891-1969). (Karl Heinz Wahren) At this moment Auftragswerk der Berliner Festwochen 1970 Im Gegensatz zur Bildenden Kunst, die den Betrachter in keine Zeitbegrenzung zwängt, wirkt Musik im Augenblick, ist nur im Moment ihres Klanges faßbar. Der Titel “At this moment” will das dem Hörer bewußt machen und ihm damit ein gewisses Maß akustischer Kontaktbereitschaft abverlangen. In den drei Sätzen dieses Orchesterkonzertes werden Motive umrissen, die sich fortentwickeln, verändern und wieder neuen Momenten weichen; Wiederholungen, Verflechtungen gegensätzlicher Motive, Einblendungen kurzer Erinnerungen an vergangene musikalische Epochen. Zeitabläufe also, die für Augenblicke Gestalt annehmen, flüchtig, für den bewußten Hörer doch faßbar, reihen sich in “At this moment” musikalisch organisiert aneinander. (K.H.W.) Magnificat mundus pacem Wacht auf, Ihr Menschen! Auftragswerk zum dreißigjährigen Bestehen des Berliner Konzert-Chors 1984 Meinem Magnificat habe ich nicht, wie üblich, die biblischen Verse des Marianischen Lobgesangs (Lukas 1, 46 - 55) - Magnificat anima mea Dominum/Hoch erhebet meine Seele den Herrn - zugrunde gelegt. Im Namen von Konfessionen und politischen Systemen wurde und wird um Vorherrschaft gekämpft: Menschenverachtung zieht sich wie ein roter Faden durch die Ge- schichte. Angst und Aggression sind es, die das friedliche Zusammenleben der Menschen zu allen Zeiten verhindert haben. Diese Erkenntnis ist ein zentrales Thema humanistischen Weltbildes abendländischer Prägung. Ideale Friedenssehnsucht hat seit der Antike immer wieder gültigen Ausdruck gefunden. Mir schien es wichtig, einige Väter dieser Gedanken in meinem MagniticatText zu Wort kommen zu lassen: den Philosophen und Staatsmann Marcus Tullius Cicero (106 - 43 n.Chr.), den Kirchenvater Aurelius Augustinus (354 - 430) und den Dichterfürsten Francesco Pretrarca (1304 -1374). Sie stehen stellvertretend für eine humanistische Tradition, deren Anfänge 2000 Jahre zurückliegen und deren geistesgeschichtliche Wirkung auf unsere Kultur nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Das musikalische Material meines Magnificat collagiert, ebenso wie der Text, verschiedene Stilepochen: Gregorianik, einfache Mehrstimmigkeit, barocken Kontrapunkt, impressionistische Orchesterklangfarben und geräuschähnliche Cluster der Gegenwart - den gesungenen oder gesprochenen Text kommentierend und kontrastierend. Meine Absicht ist es, die Tragik menschlichen Bemühens in Vergangenheit und Gegenwart um eine friedliche Existenz mit künstlerischen Mitteln bewußt zu machen. Inspiriert von Wort und Musik soll der Hörer die aktuelle Brisanz der ciceronischen Weisheit erkennen: Ut sementem feceris, ita metes – Wie die Saat, so die Ernte. (K.H.W.) Auf der Suche nach dem verlorenen Tango Auftragswerk des SFB 1979 “A la Recherche du Tango perdu” ist die Suche nach der verlorenen Zeit mit musikalischen Mitteln. Der Tango, ein ursprünglich aus Argentinien stammender Gesellschaftstanz, auch in Europa repräsentativ für die gehobene Trivialmusik der “roaring twenties”, hat sich bis heute als Lied, aber auch als Tanz bewährt. In dieser etwa 20 Minuten dauernden Komposition sind in rhapsodischer Folge Melodiephrasen und Tangorhythmen miteinander verschränkt, werden va- 53 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare riiert, aufgelöst und schließlich in neuen Zusammenhängen wiederholt oder ins Groteske verzerrt, wobei der monoton insistierende Rhythmus, oft synkopisch zugespitzt, immer wieder dominiert. Der musikalische Rückblick wird durch Elemente der zeitgenössischen Musik gefiltert, so daß Vergangenes und Gegenwärtiges für Momente miteinander verschmolzen scheint. (K.H.W.) Entführung aus dem Köchelverzeichnis Abduction from the Köchel catalogue 1. Allegro con brio 2. Sentimento con espressivo 3. Molto allegro e leggiero “Diese Komposition ist kein Potpourri von Mozartmelodien, sondern ein Konzert für Orchester in historischen und zeitgenössischen Klängen, basierend auf einigen auserwählten Mozartthemen. Der Vorlauf des 1. Satzes - Allegro con brio - läßt sich als Rondo formal so darstellen: A-B-A-C-A. Im A-Teil wird das verkürzte Ouvertürenmotiv der “Entführung aus dem Serail” (1782) verarbeitet, außerdem die Arie des Belmontes: “Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze ...”, die auch im folgenden B-Teil weiterwirkt, kontrastiert mit dem Hauptmotiv aus “Eine kleine Nachtmusik” (K.V. 525). Im C-Teil wird das AndanteThema der “Sinfonia concertante” - für Violine, Bratsche und Orchester, K.V. 364 - verarbeitet. Nach der 2. Wiederholung des A-Teils erklingt eine kurze Coda, anekdotisch versetzt mit dem kleinen Nachtmusik-Motiv. Der 2. Satz - Sentimento con espressivo - bezieht sein motivisches Material von dem Adagio aus Mozarts “Konzert für Klarinette und Orchester” (K.V. 622), das im Sept./0kt. 1791 entstand, wenige Wochen vor Mozarts Tod. Im 3. Satz schließlich - Molto allegro e leggiero - werden Themen des letzten Satzes (Permutationsfuge) der “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V. 551) variiert und beenden so diese in unser Jahrhundert transponierte musikalische Verbeugung vor dem Genie Wolfgang Amadeus Mozart.” This composition is not a potpourri of Mozart melodies but a concerto for orchestra with historical and contemporary sounds, based on some chosen themes from Mozart’s work. The introduction of the first movement (Allegro con brio) is in the following rondo form: A-B-A-C-A. The A part is made up of variations of a shortened version of the ouverture motif of “Entführung aus dem Serail” (1782) as well as Belmontes’ aria “Hier soll ich dich denn sehen, Konstanze ...”. The latter motif is also used in the B part, where it is contrasted with the main motif from “Eine kleine Nachtmusik” (K.V. 525). The C part is characterised by variations of the andante-theme of the “Sinfonia concertante” for violin, viola and orchestra (K.V. 364). The second repetition of the A part is followed by a short coda, anecdotally transposed with the little motif from “Eine kleine Nachtmusik”. The motives for the second movement (Sentimento con espressivo) are drawn from the adagio of Mozart’s “Konzert für Klarinette und Orchester’ (K.V. 622), which Mozart wrote in Sept./Oct. 1791, some weeks before his death. The third movement (Molto allegro e leggiero) is made up of variations inspired by themes from the last movement of Mozart’s “Jupiter-Sinfonie” (1788 - K.V. 551), thus concluding this musical bow, transposed into our century, to the genius of Wolfgang Amadeus Mozart. 54 KARL HEINZ WAHREN ARCHIV Discographie Biografie Werke Essays Reden Kritiken Werkkommentare Kontakt Prof. Karl Heinz Wahren Jenaer Straße 12 10717 Berlin-Wilmersdorf Telefon Telefax eMail Internet +49 (30) 854 42 60 +49 (30) 854 84 76 [email protected] www.karlheinzwahren.de 55