Ökologisches Wirtschaften 1996-03-04

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Konsum
Produktpolitik im Spannungsfeld zwischen Kundennutzen und Öko-Effizienz
SCHWERPUNKT
immateriellen Produktmerkmale gilt es dann in
einem zweiten Schritt, eine möglichst öko-effizi-
Von der Produktzur Bedürfnisorientierung
ente Befriedigung des Kundennutzens zu erreichen. Dabei steht allzu häufig allein die technische Umsetzung im Vordergrund. Durch ein
entsprechendes Design, die geschickte Wahl der
Werkstoffe, durch Miniaturisierung und einen
Den Unternehmen kommt eine Schlüsselrolle bei der umweit- und sozialverträglichen Gestaltung unserer Gesellschaft zu. Soweit besteht Einigkeit. Es fragt sich
aber, was dies für Unternehmen bedeutet, die nur dann überleben können, wenn
ihre Kunden mit den Produkten zufrieden sind. Welche Anforderungen werden an
Unternehmen gestellt, und wie kann öko-effiziente Produktgestaltung aussehen?
D
modularen Aufbau sollen der spezifische Ressourcenverbrauch und die spezifische Umweltbelastung minimiert werden. Vernachlässigt
werden die ungeheuren Effizienzsteigerungspotentiale, die in der ökonomischen Umsetzung
hegen.
• Analyse der Verfügungsrechte
Von Kai Hockerts
Was aber bedeutet dies aus der Sicht eines
und Michael G. Moeller
Unternehmens, das sich Gedanken über die
Ein völlig vernachlässigter Faktor in der unter-
Gestaltung seiner Produkte macht?
nehmerischen Produktgestaltung ist die syste-
•
gungsrechte. Zu oft wird angenommen, daß der
ie Unternehmen sind im Zeichen der
Wirtschaftskrise und des wachsenden, internationalen Wettbewerbsdrucks vor allem damit
beschäftigt, ihre Geschäftsprozesse zu rationalisieren, um einerseits Kosten zu senken und
matische Analyse der damit verbundenen Verfü-
Anforderungen
an die Unternehmen
Kunde in erster Linie das Eigentum an einem
Macht sich ein Unternehmen an die Entwicklung
bestimmten materiellen Gut erwerben will.
andererseits die Zufriedenheit der Kunden mit
neuer Produkte, so geht es zunächst darum, sinn-
Tatsächlich sind mit dem Eigentum jedoch zahl-
den Leistungen des Unternehmens zu steigern.
volle Ziele und Bewertungskriterien für Produkte
reiche Verfügungsrechte verbunden, die nicht
Zukunftsfähigkeit wird hier mit Wettbewerbs-
festzulegen. Eine umweltverträgliche Produktge-
alle im selben Maße zum Nutzen des Kunden
fähigkeit gleichgesetzt. Sie erfordert Produkte,
staltung erfordert Ziele für den Verbrauch natür-
beitragen. Beispiele hierfür sind leicht zu fin-
die die Erwartungen der Kundschaft hinsichthch
licher Ressourcen und die Entstehung von
den; weder Kundennutzenanalysen noch auf-
Preis und Leistung erfüllen. Moderne Manage-
Umweltbelastungen entlang des gesamten Pro-
wendige Befragungen müssen dafür durchge-
mentkonzepte wie Business Reengineering und
duktlebensweges. Ein Produkt kann seinen
führt werden. Ein Blick in die Mülltonne oder
Total Quality Management machen daher das
Zweck aber nur dann erfüllen, wenn es die
auf den Speicher der Konsumenten genügt: Sta-
dauerhafte Erkennen und Befriedigen der Kun-
tatsächlichen Bedürfnisse des Kunden befriedigt.
peln sich hier ausgediente Altprodukte, kann
denbedürfnisse zur Richtschnur für alle Unter-
Gerade hier hegt trotz Qualitätsmanagement und
man davon ausgehen, daß das Veräußerungs-
nehmensaktivitäten .
Marketing
recht häufig als unangenehme Pflicht zur Ent-
noch
immer
ein
wesentlicher
Ausgangspunkt der Umweltdiskussion ist dage-
Schwachpunkt der Produktpolitik von Unter-
gen der Schutz der natürlichen Umwelt: Hierfür
nehmen: Allzu häufig geht man dort der Neigung
wird u.a. gefordert, den Rohstoff- und Energie-
nach, die bestehenden Produkte durch margi-
verbrauch der Industrieländer um 80 bis 90
nale Veränderungen an neue Nachfragetrends
Prozent zu senken. Eine Effizienzrevolution soll
anzupassen. Häufig wird auch einfach ein
durch technologische Verbesserungen die Pro-
bestimmter Bedarf als Ausgangspunkt der Lei-
duktivität der natürlichen Ressourcen vervielfa-
stungspolitik definiert, ohne zu fragen, welche
chen und die Umweltverträglichkeit von Pro-
menschlichen Bedürfnisse dahinter stehen.
dukten verbessern.
Dadurch bleibt unberücksichtigt, daß ein
Beide Ansätze rücken stets die Rationalisierung
des Mitteleinsatzes in den Vordergrund: hier
der effiziente Einsatz der Produktionsfaktoren
Kapital und Arbeit, dort die Produktivität der
natürlichen Ressourcen. Für eine zukunftsfähige Gestaltung von Leistungen reichen sie aber
nicht aus. Die Rationalität der Mittel kann die
potentielle Irrationalität der gewählten Ziele
des unternehmerischen Handelns nicht verhindern. Unter dem Stichwort Suffizienzrevolution
wird daher gefordert, neue Leitbilder für den
individuellen und gesellschaftlichen Wohlstand
zu entwickeln.
bestimmter Bedarf immer auch Folge bestimmter technischer, gesellschaftlicher, politischer
oder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ist,
die selbst wiederum der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen sollen.
Die Festlegung produktbezogener Ziele erzwingt
sorgung empfunden wird (siehe Beispiel 1).
Beispiel 1: Rücknahmegarantie
Eine Rüctahmegarantie für ihre Bürostühle gibt die
oberpfölzische Grammer AG. Die Kosten für Rücknahme
und das Recycling sind schon heute im Verkaufspreis
enthalten: Die Garantie gilt für alle Produktreihen die
seit 1 9 9 0 in den Markt eingeführt wurden und schlägt
sich bereits in der Entwicklung neuer Produkte nieder,
die recyclingfreundlich gestaltet werden. Obwohl es bei
Grammer auch Überlegungen zu nutzungsorientierten
Dienstleistungen (im Sinne eines „Rent-Ä-Chair"} gibt,
steht der Absatz der bestehenden Produkte im Vordergrund, auch wenn das Unternehmen Langlebigkeit und
Funktionsorientierung als Ziele benennt.
Werturteile, die eine Abwägung zwischen alternativen, widersprüchlichen Bedürfnissen erfordern. Letztlich müßte eine solche Feststellung
im Diskurs aller Anspruchsgruppen des Unternehmens erfolgen, wofür es bislang kaum konkrete Verfahrensvorschläge gibt. Durch eine effiziente
Gestaltung
der
materiellen
und
Das Recht, andere von der Nutzung auszuschließen, ist ein weiteres Merkmal des Eigentums. Pendler, die täglich allein mit ihrem PKW
zur Arbeit fahren, machen offensichtlich von diesem Recht Gebrauch. Der Erfolg von Car-Sharing-Initiativen (siehe Beispiel 2) aber zeigt, daß
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SCHWERPUNKT
Konsum
eine (am Markt bisher nicht artikulierte) Bereit-
Kunden und Anbieter neu verteilt werden, desto
schaft besteht, dieses Recht mit bestimmten Per-
stärker treten die immateriellen Komponenten
zusätzlich zu einem verkauften Produkt angebo-
sonengruppen (Nachbarn, Kollegen) zu teilen.
in den Vordergrund.
ten. Hierbei bleiben die meisten Verfügungsrech-
Denken wir diesen Ansatz weiter, so führt die
Zum anderen ist es notwendig, die heute beste-
te beim Nutzer. Die Interaktion ist gering. Ein
Neuverteilung von Verfügungsrechten zu einer
hende Einbahnstraßen-Marktforschung zu einer
typisches Beispiel dafür wäre die Rücknahme-
Aufweichung des Strebens nach Eigentum. Ziel
interaktiven Zwei-Wege-Kommunikation auszu-
und Recyclinggarantie der Grammer AG. Denk-
marktlicher Aktivitäten ist dann nicht mehr die
bauen. Damit kann es gelingen, Fehlinterpreta-
bar wären auch ein Reparaturservice oder eine
Übertragung des Eigentums an einer Sache, son-
tionen der Bedürfaisstruktur des Kunden zu ver-
reine Anwendungsberatung.
dern die öko-effiziente Stiftung von Kundennut-
meiden
Nutzungsorientierte Leistungen erhöhen durch
und
bislang
nicht
artikulierte
Bedürfnisse zu erkennen. In „Focus Groups"
Miete oder Leasing bzw. durch gemeinsame
Beispiel 2: Car-Pools für Mitarbeiter
könnten Unternehmensvertreter mit den Konsu-
Nutzung (Sharing oder Pooling) die Nutzungs-effi-
menten diskutieren, welche Leistungen ihren
zienz des Produktes. So hat sich die Lebensdauer
Für die Lufthansa AG galt es: wegen akuten Parkplatz-
Bedürfnissen am ehesten entsprechen. Dies
und Wartungsfreundlichkeit von Kopiergeräten
mangels, die Parkraumbewirtschaftung neuzugestalten.
führt zu einem permanenten Kundendialog und
deutlich erhöht, seit diese fast nur noch in Verbin-
Da der Neubau eines weiteten Parkhauses z u erheblichen ökonomischen und Ökologischen Belastungen
geführt hätte, entschied sich die Lufthansa, ihren Mitarbeitern die Nutzung eines speziellen Car-Pools anzubie-
steigert den Grad der Interaktion zwischen dem
dung mit Wartungsverträgen vermietet werden.
Konsumenten und dem Anbieter.
Die ökologischen Vorteile der nutzungsorientier-
Denkt man diesen Weg konsequent zu Ende,
ten Leistungen hegen z.B. in der erhöhten Lebens-
wird jeder Leistungsaustausch von intensiver
dauer, im reduzierten Verbrauch von Energie und
men etwa 1 3 . 0 0 0 Bedienstete der Lufthansa den Frank-
Interaktion begleitet sein. Bei jeder Inan-
Betriebsstoffen oder der Entsorgungsfreundlich-
furter Car-Pool mit 4 3 0 Fahrzeugen in Anspruch. Dabei
spruchnahme einer Leistung müssen sich Kunde
keit, da die Sachleistung am Nutzungsende vom
ten. Heute neh-
zeigt sich, daß eine steigende Zahl von Nutzern nur zu
und Anbieter über den Inhalt dieser Leistung
Hersteller zurückgenommen wird.
relativ wenig mehr Bedarf an Autos führte. Ungefähr
erneut austauschen. Dabei wird nicht nur die
Bei bedürfaisorientierten Leistungen wird nicht
6 0 Prozent der Nutzer verwenden das System häufig.
effiziente Mittelwahl diskutiert, sondern es
mehr das materielle Gut verkauft sondern das
kommt auch zu einer Verhandlung über den
Ergebnis der Leistung, die reine Bedürfnisbefrie-
Zweck der Leistung. Ziel der Interaktion ist es,
digung also. So wird etwa Raumwärme statt Heizöl
die konkreten Bedürfnisse des Konsumenten bei
gehandelt,oder es wird die Diensüeistung Doku-
zelner Verfügungsrechte. Das Nutzungsrecht an
jeder Nutzung individuell zu berücksichtigen.
mentenvervielfältigung statt eines Fotokopiergerä-
einem Sachgut etwa setzt sich oft aus einer Viel-
Weiterhin erlaubt eine starke Interaktion dem
tes verkauft. Hier überläßt der Kunde den größten
zahl von Haupt- und Nebenleistungen zusam-
Anbieter bereits bei der Entwicklung und Erstel-
Teil der Verfügungsrechte dem Anbieter, der ihm
men. Diese jeweils separat oder gebündelt anzu-
lung der Leistung den Kunden einzubinden.
nur eine Leistungsgarantie gibt. Durch die hohe
zen durch eine zweckmäßige Übertragung ein-
Interaktion können die Anforderungen individuell
bieten, kann sowohl für den Kunden als auch für
den Anbieter von Vorteil sein. In vielen Fällen ist
•
Frage der ökologischen Vorteile
es auch sinnvoll, wenn Konsumenten den Anbie-
Nun stellt sich natürlich die Frage, welche öko-
ter am Gewinnaneignungsrecht beteiligen. So
logischen Vorteile diese Interaktion bringt. Zum
wird ein Bauunternehmer viel eher auf Energie-
einen vermeidet sie, daß Unternehmen Produkte
effizienz eines Bauobjektes achten, wenn er
anbieten, die nur teilweise die Bedürfnisse des
während der Nutzungsphase unter Zugrundele-
Kunden befriedigen. Darüber hinaus erlaubt die
gung eines standardisierten Mittelwertes an den
Interaktion auch, Konsum selbst und die ihm
Energieeinsparungen beteiligt wird.
zugrundehegenden Prämissen zu berücksichtigen: Wer etwa Heizöl konsumiert, hat ja in Wirk-
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entierte. Produktorientierte Leistungen werden
angepaßt werden. Die drei Typen von Öko-effizienten Dienstleistungen geben einen groben
Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten.
Durch eine flexible Zuweisung der Verfügungsrechte und eine variable Gestaltung des Interaktionsgrades lassen sich Produktinnovationen entwickeln, die Kundennutzen und Umweltverträglichkeit Öko-effizient verbinden und Unternehmen neue Marktchancen entwickeln.
• Öko-effziente Produktgestaltung als Ergebnis
weise ließe sich auch manche Nachfrage nach
Ziel ist es, die Verfügungsrechte an einem Pro-
Transport lösen, wenn das zugrundeliegende
Die beiden Beispiele sowie weitere Fallstudien können in
dukt so zu verteilen, daß Kundennutzen und
Bedürfais nach „Zugang" anders befriedigt wür-
einer ausführlichen Fassung (jeweils 8 - 1 0 Seiten) gegen
Umweltverträglichkeit maximiert werden. Das
de. Somit eröffnet die Interaktion einen erhebli-
einen Verrechnungsscheck über je 12 Mark bei der Bay-
Ergebnis ist eine öko-effziente Produktgestal-
chen Spielraum, um Ressourcenverbrauch und
reuther Initiative angefordert werden.
tung. Dafür ist aber eine grundlegende Neuori-
ökologische Schäden zu reduzieren. Betrachtet
entierung der Produktpolitik gefordert: Die
man die beiden Variablen der Leistungsgestal-
Die Autoren
Kundenbedürfnisse sind zum Ausgangspunkt für
tung - die Verteilung von Verfügungsrechten und
Kai Hockerts und Michael G. Moeller sind Mitglieder der
lichkeit ein Bedürfais nach Wärme. MöglicherAnmerkung
die Wahl der technischen und verfügungsrecht-
die Interaktion - liegt es nahe, eine Matrix zu
Bayreuther Initiative für Ä t e h a f t s ö k o l o g i e e.V.
lichen Produktgestaltung zu machen. Der Anteil
bilden, um Alternativen aufzuzeigen.
Kontakt: Bayreuther I n i f l f i v e für Wirtschaftsökologie
materieller und immaterieller Komponenten am
Je nach Ausprägung der Dimensionen sind drei
e.V., Universität Bayreuth, RW-Fakuhät, Postfach
„Leistungsbündel Produkt" ergibt sich dann als
Typen öko-efflzienter Dienstleistungen zu unter-
Folge. Je mehr die Verfügungsrechte zwischen
scheiden: produkt-, nutzungs- und bedürfaisori-
Ökologisches Wirtschaften 3/4 1996
110308, 9 5 4 2 2 Bayreuth, Tel./Fax ( 0 9 2 1 ) 55529,
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