Zum Lösen von Aufgaben

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Prof. Dr. W. Rosenheinrich
Fachbereich Grundlagenwissenschaften
Fachhochschule Jena
01.11.2010
Zum Lösen von Aufgaben
Die Erfahrung, die beim Bewerten von Klausuren gesammelt wird, zeigt einige Problemschwerpunkte Neigung zu gewissen formalen Fehlern beim Rechnen einerseits und Hilflosigkeit vor komplexen Problemen
andererseits.
Im ersten Fall werden Umformungen ausgeführt, die auf den ersten Blick sogar mehr oder weniger vernünftig
aussehen, es in Wirklichkeit aber nicht sind, z. B.
1
1
1
=
+
R
R1
R2
=⇒
R = R1 + R2 .
Um solche Fehler zu vermeiden gibt es zwei Wege: Entweder die Umformungsregeln komplett lernen, d. h.
einschließlich ihrer Grenzen und Verbote, oder aber sie inhaltlich zu begreifen.
Im obigen (drastischen) Beispiel hilft sicher auch der gesunde Menschenverstand: Warum steht im Physikbuch die komplizierte linke Formel, wenn die viel einfachere rechte gleichwertig sein soll? - Diese Umformung
muß folglich einen Pferdefuß haben. - Solcherart hat man zwar keine Formel für die direkte Berechnung von
R gewonnen, aber wenigstens einen Fehler vermieden.
Das Begreifen des Stoffes ist auch das wirksamste Mittel gegen Hilflosigkeit vor dem Problem.
Im Rahmen einer Hochschulausbildung kann man keine Aufgaben erwarten, wo man mit Hilfe einer Formel,
in die man gegebene Angaben in einfacher Weise einsetzt, zu einer einzigen Antwortzahl kommt. So etwas
kommt natürlich vor, ist aber nicht der Gipfel der Lehre.
Wenn man zwei Liter einer 3%-igen Salzsäure mit einem halben Liter einer 10%-igen mischt ... dann mache
man ein Mischungskreuz und rechne nach Vorschrift aus, was für eine Konzentration herauskommt.
Das sollte man - bei einer entsprechenden Studienrichtung - können, aber es reicht nicht.
Wenn man 1l gesättigtes Kalkwasser mit 400ml einer 5%-igen Schwefelsäure mischt - wieviel Gips fällt dann
aus?
Hier ist mehr gefragt als ein Fakt oder eine Formel. Man muß sich über die Reaktion klar werden, das stöchiometrische Verhältnis bestimmen (das geht sicher nicht auf, entweder bleibt Ca(OH)2 oder H2 SO4 übrig;
hierzu muß man die Molekulargewichte bedenken) und die geringe, aber hier sicher spürbare Löslichkeit des
Reaktionsproduktes beachten - da sind mehrere ineinandergreifende Schritte notwendig, die man planen und
miteinander verknüpfen muß.
Das erfordert Übersicht über den Problem, beginnend bei den chemischen Zusammenhängen bis zu den verschiedenen Rechenformeln.
Unter diesem Gesichtspunkt reicht es also nicht aus, in der Übung den gezeigten Rechenweg von der Tafel
abzuschreiben und daheim evtl. mit anderen Zahlen zu wiederholen - wichtig ist: Warum wurden ausgerechnet diese Schritte gemacht - wäre es auch anders gegangen? - und warum wurde beispielsweise jener Weg
vermieden? Wäre er falsch gewesen oder nur unnötig aufwendig?
Es geht also darum, neben den mechanischen Rechenfertigkeiten einen theoretischen Überblick zu entwickeln
- zu wissen, was es gibt. Die nötigen Formeln findet man in einem Tafelwerk, diesen theoretischen Überblick
muß man wohl oder übel im Kopf haben - zum Suchen der Formel (so man weiß, daß es sie gibt, wie sie in
etwa aussieht und wo sie vermutlich steht) reicht die Zeit der Klausur, zum Begreifen eines Themas dagegen
nicht.
Für die Ebene im Raum wird in der Vorlesung die Punktrichtungsform angegeben: ~r(λ, µ) = ~a + λ~
p + µ~q.
Hierbei bezeichnet der Vektor ~a einen Punkt in dieser Ebene, die Vektoren p~ und ~q sind zu ihr (nur) parallel
- es wird nirgends behauptet, daß ihre Endpunkte in der Ebene liegen. Kannten Sie diesen kleinen Bedeutungsunterschied dieser drei Vektoren?
Die Ebene kann auch durch drei ihrer Punkte ~a, ~b und ~c gegeben werden: ~r(λ, µ) = ~a + λ(~b − ~a) + µ(~c − ~a).
Diesmal enden alle drei Vektoren in der Ebene.
Obendrein kann eine Ebene durch einen Punkt ~a in ihr und durch ihren Normalenvektor ~n definiert werden.
Drei Darstellungen für ein und dasselbe Objekt - braucht man soviel? Der zur Denkökonomie neigende Student beschließt, mit einer einzigen Formel sein Leben lang auszukommen.
(Übrigens: ~r · ~n = ~n · ~a ist die Formel der Ebene im Raum, aber auch der Geraden in der Ebene. Demgegenüber beschreibt ~r(λ) = ~a + λ~
p in beiden Bereichen [Ebene wie Raum] stets eine Gerade. Es gibt Tafelwerke,
wo auf diesen kleinen Unterschied nicht ausdrücklich hingewiesen wird.)
Mit einer einzigen Formel wird man aber bereits bei den Standardproblemen nicht durchkommen - die Be1
wegung eines räumlichen Manipulators, der in einer (sich bisweilen verändernden) Ebene operiert ist nun
einmal in der Punktrichtungsform besser zu beschreiben, Winkel oder Abstände bestimmen sich dagegen aus
der Normalform günstiger. Sieht man in einem Geometriebuch nach, so findet man dort noch weitere Darstellungsformeln für die Ebene im Raum - die angegebenen sind also bereits eine wohldurchdachte Auswahl,
eine Reduktion des Machbaren auf das Allernotwendigste.
Nachstehend sind einige Aufgaben formuliert und - mit ausgiebigen Kommentaren - gelöst. Diese teilweise
recht philosophischen Kommentare sind wesentliche Aussagen im Rahmen dieses Lehrmaterials, das dem
Studenten helfen soll, wenigstens die mathematischen unter den Prüfungen des Lebens zu bewältigen. Stören Sie sich nicht daran, daß die Aufgaben keine typischen Klausuraufgaben sind - zumindest die erste ist
offensichtlich keine. Obwohl ... in ihrem Verlauf kommt man doch noch auf dieses Thema.
2
Aufgaben:
1. Die Funktion f (x) sei auf der ganzen Menge der reellen Zahlen definiert und stetig.
Für alle x1 und x2 gelte f (x1 + x2 ) = f (x1 ) + f (x2 ).
Welche Gestalt hat die Funktion f (x)?
2. Integrieren Sie!
x5 dx
5 + x12
Z
3. Finden Sie eine quadratische Funktion mit folgenden Eigenschaften:
Sie hat eine Nullstelle bei x1 = 5 und der Wert im Scheitelpunkt bei xs = 2 ist um 7 größer als der
Wert, wo die Kurve der Funktion die y-Achse schneidet.
4. Finden Sie alle komplexen Zahlen z mit folgender Eigenschaft:
Addiert man zu ihr den Wert 3 − 2j, so hat die Summe denselben Betrag wie z, aber ein um 7.42o
größeres Argument.1
5. Es ist A eine 3 × 3 - Matrix mit der Eigenschaft, daß AT A die Einheitsmatrix ergibt. Es bezeichne a(j)
den j-ten Spaltenvektor von A.
Die Vektoren a(1) und a(2) können als gegeben angesehen werden.
a) Finden Sie Darstellungen für alle möglichen Vektoren a(3) !
b) Kann a13 = −4 eintreten?
6. In einem Punkt P der (senkrechten) x − y−Ebene hängt unbeweglich eine Masse m1 . An einem in P
befestigten (masselosen) Faden der Länge l pendelt eine zweite Punktmasse m2 mit dem Maximalausschlag ϕm < 90o . Die Massen beinflussen sich gegenseitig nicht. Die Erdbeschleunigung sei g.
Ermitteln Sie Größe und Richtung (als Winkel ψ zum nach unten gerichteten Lot) der auf P wirkenden
Gesamtkraft bei einer gegebenen Auslenkung ϕ (zum selben Lot genommen) des Fadens!
7. Ermitteln Sie den Wert der vierten Ableitung nach x der Detereminante
15 + 2x
−713
0
584 −17
−17 + x
−170
29 409
−3
2x
−
81
−85
43
−5
276
29 − x an der Stelle x = −9 !
8. In eine lange Säule mit quadratischem Querschnitt mit der Seitenlänge a = 364mm diffundiert durch
eine Seitenfläche die Mischung zweier Flüssigkeiten ein, und zwar die Menge M pro Quadratmeter der
Seitenfläche und pro Zeiteinheit. Die Säule ist mit einer Substanz gefüllt, die dafür sorgt, daß bei einem
solchem Durchstrom in jedem Kubikzentimeter pro Zeiteinheit durch Reaktion der beiden Substanzien
die Menge P eines Produkts entsteht.
.................................................................................................. Auf der gegenüberliegenden Seite der Säule strömt das Gemisch mit...
364
....
.... samt dem Produkt wieder aus. (In der Zeichnung erfolge die Strömung
...
...
....
...
.... von unten nach oben.)
......
......
.
.
...
.
.
.. ... .
.. .... .
.... Nun wird aus technischen Gründen ein Teil der Säule (wiederum mit
...
...
....
....
...
.
...
...
....
.... quadratischen Querschnitt der Breite 97mm, in einer Ecke an der Ein...
...
....
.... strömfläche gelegen) anderweitig blockiert und steht dem Flüssigkeits...
...
...
....
....
....
...
....
.... strom nicht mehr zur Verfügung. Der Einfluß muß über die Restfläche
............................. ....
..
.... erfolgen. Auf wieviel Prozent von M muß nun das Einströmen verändert
... . . . ...
... . . ...
....
... . . . . . ...
.... werden, damit im verbliebenen Rest der Säule nach wie vor P Produkt
... . . . ...
.
............................................................................................................. pro Kubikzentimeter und Zeiteinheit entstehen kann? (Die Verteilung
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
der Flüssigkeit in der Säule erfolge ansonsten ungestört und momentan.)
97
.... .... .... .... ....
... soll fortgesetzt werden ...
1 Alle Argumente sollen zwischen 0o und 360o liegen, denn sonst ist der Begriff ’größer’ sinnlos: −20o < 50o < 340o , aber
−20o und 340o meinen denselben Winkel.
3
Lösungen:
1. Die meisten Studenten würden konkretere Fragen vorziehen, etwa: Welchen Flächeninhalt hat das
folgende Fünfeck ... .
Wenn die geniale Idee ausbleibt muß man halt Fakten zusammentragen und hoffen, daß man dabei
früher oder später über eine Gesetzmäßigkeit stolpert. Die Chancen dafür lassen sich erhöhen, wenn
man beim Zusammentragen die Augen offenhält.
Beginnen wir hier mit einem Umstand, der sich als interessant erweist: Es gilt bekanntlich (zumindest
in der umgedrehten Form, aber in der Vorlesung wurde mehrfach auf den logischen Schluß a = b =⇒
b = a hingewiesen) die Gleichung 0 = 0 + 0. Damit und mit der definierenden Gleichung wird
f (0) = f (0 + 0) = f (0) + f (0) =⇒ 0 = f (0) .
Der logische Schluß besteht darin, daß man auf beiden Seiten der linken Gleichung f (0) subtrahiert.
Die gesuchte Funktion hat also in Null eine Nullstelle.
Weiter: Was ist, wenn im Argument drei Summanden stehen? Dazu ist in der Aufgabenstellung nichts
gesagt.
Diesen Fall kann man auf den von zwei Summanden reduzieren, indem man zwei zu einem zusammenfaßt - hier durch das Setzen eines Klammerpaares dargestellt:
f (x1 + x2 + x3 ) = f ((x1 + [x2 + x3 ]) = f (x1 ) + f (x2 + x3 ) = f (x1 ) + [f (x2 ) + f (x3 )] =
= f (x1 ) + f (x2 ) + f (x2 ) .
Es ist nun leicht einzusehen, daß vier, fünf usw. Summanden analoge Formeln liefern.
Nehmen wir nun an, wir hätten n Summanden, die obendrein gleich sind - alle haben den Wert x:
f (n · x) = f (x + x + . . . + x) = f (x) + f (x) + . . . + f (x) = n · f (x) .
Ein natürlicher Faktor n läßt sich also aus der Funktion herausziehen.
Daß n eine natürliche Zahl war ist zunächst wesentlich, denn die Herleitung lebt von der primären
Definition der Multiplikation als wiederholte Addition gleicher Summanden.
Geht dieses Herausziehen auch für nicht-natürliche Faktoren?
Gehen wir systematisch vor, untersuchen wir zuerst negative ganzzahlige Faktoren. Dazu wäre es
zunächst interessant, etwas über f (−x) zu erfahren: In welchem Verhältnis steht es zu f (x) - gibt es
zwischen beiden einen universellen Zusammenhang?
Es gilt nun nicht nur 0 = 0 + 0, sondern auch 0 = x − x (bekannter wiederum in der umgedrehten
Form), und zwar für alle Zahlen x. Somit folgt
0 = f (0) = f (x − x) = f (x + [−x]) = f (x) + f (−x) =⇒ f (−x) = −f (x) .
Der logische Schluß besteht darin, daß man auf beiden Seiten der linken Gleichung f (x) subtrahiert.
Es gibt also einen solchen universellen Zusammenhang zwischen f (−x) und f (x) - beide Ausdrücke
haben stets denselben Betrag, aber verschiedene Vorzeichen. Zu einfach zu formulierenden Regeln neigend kann man sagen: Ein Minuszeichen läßt sich aus einer Funktion2 herausziehen.
Wissenschaftlicher formuliert: Die betrachteten Funktionen f (x) sind notwendigerweise ungerade. (Hierzu paßt dann auch f (0) = 0 .)
Sei nun also die ganze Zahl n negativ, dann gibt es eine natürliche Zahl m mit n = −m und man erhält
für ein beliebiges x
f (n · x) = f (−m · x) = f (m · [−x]) = m · f (−x) = m · [−f (x)] = −m · f (x) = n · f (x) .
Man kann also alle ganzzahligen Faktoren aus f (x) herausziehen. (Der Fall n = 0 war bei f (0) abgehandelt.)
Sei nun n ≥ 1 eine natürliche Zahl, dann gilt für ein beliebiges x
f (x) = f (1 · x) = f
x
x
x
1
·x =f n·
=n·f
=⇒ f
= · f (x) .
n
n
n
n
n
n
2 mit der eingangs angegebenen Eigenschaft - diese Einschränkung ist ganz wesentlich! Keineswegs gilt das für alle Funktionen,
√
wie z. b. y = f (x) = x zeigt: Hier ist f (4) = 2, aber f (−4) ist nicht -2, sondern existiert nicht.
Beachten Sie auch die Ausführungen am Ende dieser Aufgabe!
4
Der logische Schluß besteht darin, daß man die beiden Seiten der linken Gleichung durch n dividiert.
Sei nun λ ein beliebiger rationaler Faktor: λ = p/q mit ganzzahligen Wert p und natürlichen Wert q,
so wird
p
x
x
1
p
f (λ · x) = f
·x =f p·
=p·f
= p · · f (x) = · f (x) = λ · f (x) .
q
q
q
q
q
Also kann man jeden Faktor aus f (x) herausziehen! ... ?
Gemach! Nicht alle Zahlen sind rational, es gibt auch irrationale. Hm.
Zurück zum Aufgabentext. Dort ist von einer Funktion die Rede, die auf der gesamten Menge der reellen
Zahlen definiert sei - gut, es wurde immer von einem beliebigen Wert x gesprochen, denn nach dieser
Voraussetzung mußte und durfte man x nicht einschränken - und die die Eigenschaft der Stetigkeit
besitzt. Wo braucht man die?
Na hier! Sei nun λ∗ ein irrationaler Faktor (er könnte auch rational sein, aber dann ist die nachfolgende
Betrachtung witzlos),
dann existiert eine Folge λk von rationalen Zahlen, die gegen λ∗ strebt.
√
∗
Sei z. B. λ = 2, dann kann man λ1 = 1, λ2 = 1.4, λ3 = 1.41, λ4 = 1.414, λ5 = 1.4142 usw. wählen immer eine Dezimalstelle mehr vom wahren Wert λ∗ . Endliche Dezimalbrüche sind rationale Zahlen.
Für k → ∞ gilt also λk → λ∗ . Mit der bezüglich k festen Zahl x ist dann nach den Regeln für
Folgengrenzwerte λk x → λ∗ x, und wegen der geforderten Stetigkeit von f (x) wird weiter f (λk x) →
f (λ∗ x).
Man hat nun für denselben Grenzwert einmal
lim f (λk x) = f (λ∗ x)
k→∞
und andererseits
lim f (λk x) = lim [λk · f (x)] = f (x) · lim λk = f (x) · λ∗ ,
k→∞
∗
k→∞
k→∞
∗
∗
weshalb f (λ x) = λ f (x) universell gilt. Jetzt ist λ wirklich eine beliebige reelle Zahl.
Nun bleibt nur noch eine Kleinigkeit: Man entsinne sich, daß jede Zahl ein Vielfaches von Eins ist:
f (x) = f (x · 1) = x · f (1) .
(Zur Abwechslung wurde jetzt einmal x als Faktor aus der Funktion geholt.)
Was wollten wir eigentlich? Ach ja, eine Darstellung der Funktion f (x) finden.
Das haben wir:
f (x) = f (1) · x .
Was kann man über den (in x konstanten) Faktor f (1) sagen? Hierzu schweigt sich die Aufgabenstellung
aus. Er ist also beliebig, nennen wir ihn c. (Man kann ruhig im Gedächtnis behalten, daß dies f (1) ist.)
Jedenfalls ist somit f (x) = cx - eine lineare Funktion ohne Absolutglied, oder eine, deren Gerade durch
den Koordinatenursprung geht. So sehen also alle Funktionen aus, die die Bedingungen der Aufgabe
erfüllen.
Der Faktor c ist beliebig, aber für eine konkrete Funktion f (x) fest (in x).
(Wer mehr - und Allgemeineres - zu diesem Sachverhalt erfahren will sei auf den Paragraph ’Lineare
Abbildungen’ in meinem Lehrbuch verwiesen.)
Der geneigte Leser beantworte sich jetzt die Frage: Habe ich diese Herleitung verstanden?
Eigentlich war nichts so recht schwierig. Die Gleichungen ... wenn doch alle so einfach wären!
Man kann sich nur wundern, mit welch simplen Mitteln man solch tiefsinnige Resultate erreicht.
Das simple Mittel ist eigentlich: gründliches Denken - eine Tugend, die in der jetzigen schnellebigen
Zeit nur mäßiges Ansehen genießt.
Nächste Frage: Können Sie diesen Text weglegen und die Herleitung Schritt für Schritt aus dem Kopf
wiederholen? Wer Merkfähigkeiten wie eine Gedächtniskünstler hat wird dies sicher bald können, aber
darum geht es nicht. Vielmehr sollte man Verständnis (oder meinetwegen Gefühl) für diese Schritte
entwickeln, mit dem Ziel, es in der einen oder anderen Form bei einem neuen Problem wieder anwenden
zu können.
Man müßte dann merken, daß die Herleitung aus verschiedenen ineinandergeschachtelten Strukturen
besteht - es werden jeweils größere Aussagen gewonnen, indem man in kleineren Schritten elementare
Fakten mit den vorher erlangten Erkenntnissen kombiniert.
Unterstellt, man unterzieht sich dieser Anstrengung. (Keine Frage - es ist eine!) Was hat man davon?
Die betrachtete Funktion f (x) hat zwei Eigenschaften, eine primäre und eine aus ihr hergeleitete: Für
alle Werte gilt
f (x1 + x2 ) = f (x1 ) + f (x2 ) und f (λx) = λ f (x) .
5
Dieses Paar von Eigenschaften nennt man Linearität. Sie ist etwas Fundamentales. Dem Ingenieurstudenten tritt diese Fundamentalität entgegen als der Umstand, daß lineare Gleichungssysteme eingehend
behandelt werden, ebenso lineare Differentialgleichungen usw.. Und gern angewandt.
Der unmittelbare, kleine, aber evtl. lebenswichtige Nutzen dieser Funktionsbetrachtung: Wenn stets
f (x1 + x2 ) = f (x1 ) + f (x2 ) gilt, so ist f (x) eine Funktion vom Typ f (x) = cx.
Umkehrschluß: Wenn f (x) nicht von diesem Typ ist, so gilt f (x1 + x2 ) = f (x1 ) + f (x2 ) eben nicht
(oder zumindest nicht für alle Wertepaare,
ggfs. nur für gewisse).3
√
Simpler Fakt: Die√Funktion f (x) = x ist nicht vom Typ cx, also gilt nicht für alle (nichtnegativen)
√
√
x die Beziehung x1 + x2 = x1 + x2 und man darf folglich nicht
Z p
Z
x 4 + x2 dx = x(2 + x) dx
rechnen.
Tja, die Sache hat ihre Konsequenzen, an die man denken sollte.
Wobei - eigentlich wußte das√der Prüfling. Bei der geometrischen Aufgabe hat er die Länge des Vektor
(2.79, 3.82)T korrekt zu l = 2.792 + 3.822 = 4.73 berechnet, ohne zu l = 2.79 + 3.82 zu vereinfachen.
Vielleicht hat hier aber auch die innere Stimme warnend
geflüstert: ’Paß auf! Wenn das so einfach
p
2 + x2 gleich l = x + x !’4
x
wäre, dann√stände in√der Formelsammlung
statt
l
=
1
2
1
2
√
Übrigens: 0 + 1 = 0 + 1 - manchmal klappt’s doch!
Noch ein Beispiel? Auch f (x) = 1/x = x−1 ist nicht vom Typ cx, obwohl es bei sehr oberflächlicher
Betrachtung ein wenig so aussieht.
Konsequenz: Es gilt nicht
1
1
1
=
+
x1 + x2
x1
x2
oder, im Anwendungsfall,
Z
dx
=
2
x + 3x + 2
Z
dx
+
x2
Z
dx
.
3x + 2
Abschließend sei noch darauf verwiesen: Nicht jede lineare Funktion f (x) = mx + n hat die Eigenschaft
der Linearität - es muß n = 0 gelten!
Feststellung am Rande: ’linear’ hat also mehrere Bedeutungen, wie z. B. auch ’homogen’ (das u. a. bei
gewissen linearen Problemen auftaucht).5
2. Integraltabellen machen keinerlei Hoffnung. Man muß sich selbst was einfallen lassen.
Wo liegt eigentlich das Problem? Es handelt sich um eine rationale Funktion, der Grad des Zählerpolynoms ist kleiner als der des Nennerpolynoms, Partialbruchzerlegung und fertig!
Wenn man ein Algebraprogramm auf dieses Problem hetzt, so macht das selbiges vielleicht wirklich,
und dann kommt so etwas heraus:
−9.068644570 × 10−11 ln(1000000000.0 x2 + 2209130004.0 x + 1307660487.0)−
−0.07453559905 arctan(3.378751627 x + 3.732050797) − 5.640890425 × 10−11 ln(1000000000.0 x2 +
+1617195403.0 x + 1307660486.0) + 0.07453559913 arctan(1.236708932 x + 1.0)−
−1.601724672 × 10−11 ln(5000000000.0 x2 + 2959673002.0 x + 6538302435.0)−
−0.07453559934 arctan(0.9053337723 x + 0.2679491923)+
+0.0000000001000000000 ln(5000000000.0 x2 − 2959673002.0 x + 6538302435.0)+
3 Diese
Schlußweise nennt man Kontraposition. Sie besagt: Wenn aus der Aussage A die Aussage B folgt, so ergibt sich aus
der Nicht-Gültigkeit von B die Nicht-Gültigkeit von A.
Keinewegs folgt aber aus der Nicht-Gültigkeit von A die von B. Alles klar?
Also gut: Angenommen, die Sparkasse hat Dienstag und Donnerstag bis 18 Uhr geöffnet, und nur diese beiden Tage. (Feiertage
werden jetzt nicht betrachtet.)
Also gilt z. B.: Aus der Aussage A = ’Heute ist Dienstag.’ folgt die Aussage B = ’Heute hat die Sparkasse bis 18 Uhr auf.’
Aus Nicht-A = ’Heute ist nicht Dienstag.’ folgt nicht die Aussage Nicht-B = ’Heute hat die Sparkasse nicht bis 18 Uhr auf.’ es könnte ja Donnerstag sein.
Sieht man aber, daß die Sparkasse 15 Uhr geschlossen ist, so gilt also Nicht-B, und hieraus folgt Nicht-A: ’Heute ist nicht
Dienstag.’
4 Korrekter - im Sinne von: etwas weniger falsch - wäre: l = |x | + |x | .
1
2
5 Ein besonders belasteter Begriff ist ’Ordnung’, wie der folgende Beispielsatz von Donald E. Knuth zeigt:
’Since only two of our tape drives were in working order I was ordered to order more tape units in short order, in order to order
the data several orders of magnitude faster.’
6
+0.07453559835 arctan(0.9053337723 x−0.2679491923)−0.0000000005200000000 ln(1000000000.0 x2 −
−1617195403.0 x + 1307660486.0) − 0.07453560061 arctan(1.236708932 x − 1.0)−
−0.0000000008458333360 ln(1000000000.0 x2 − 2209130004.0 x + 1307660487.0)+
+0.07453559876 arctan(3.378751627 x − 3.732050797)
Mehr kann sich der Mensch eigentlich nicht wünschen, es sei denn, er will mit dem Resultat noch etwas
anfangen.
Was würde sich bei Handarbeit ergeben? Wie lautet die Vorschrift?
1. Man bestimme die reellen und komplexen Nullstellen im Nenner.
Deren gibt es zwölf, es könnten mehrfache dabeisein (was hier aber nicht eintritt).
Die zwölfte Potenz einer reellen Zahl ist nichtnegativ, und 5 + x12 ≥ 5 > 0 ist stets positiv. Reelle
Nullstellen gibt es folglich nicht, sondern sechs konjugiert komplexe Paare. Diese lassen sich (hier)
leicht konstruieren, indem man die Nullstellen als komplexe Zahlen in trigonometrischer Form ansetzt.6
Man skizziere sich den weiteren Weg im Kopf: Es sind sechs Summanden anzusetzen, mit je einem
quadratischen Polynom im Nenner und einem linearen im Zähler, und dann muß man zwölf Konstanten
bestimmen.
Vermutlich geht es einfacher. Der obige Weg wäre etwas für Sisyphus, aber der hatte auch schwer
gefrevelt. - Geben wir diese Vorgehensweise bereits im ersten Schritt auf - die begonnene Numerierung
erweist sich als überflüssig.
Was hat man sonst noch im Werkzeugkasten? Partielle Integration? Substitution?
Partielle Integration - was wofür wählen? Bei u0 = (5 + x12 )−1 ist man wieder bei einem ganz ähnlichen
Problem und hat nichts gekonnt, also bleibt - solange einem nicht Ausgefalleneres einfällt - nur u0 = x5 .
Ergebnis:
Z
Z
x6
12x17 dx
x5 dx
+
=
12
12
5+x
6(5 + x )
6(5 + x12 )2
Das kann’s nicht sein. Bleibt Substitution?
Wenn man bei der vorigen Rechnung aufgepaßt hat, so müßte man gemerkt haben, daß sich x5 zu x6
integriert (der konstante Vorfaktor ist erst einmal nicht so wichtig).
Und sechs ist ein halbes Dutzend. Im gekauften Besteckkasten sind meist sechs Bestecke, oder zwölf,
aber nie zehn oder gar fünf oder sieben.
Vor dem geistigen Auge formt sich (K steht für irgendeinen festen Faktor, um den man sich später
kümmert)
Z
Z
(x6 )0 dx
x5 dx
=
K
·
.
5 + x12
5 + (x6 )2
Die Substitution x6 = t drängt sich förmlich auf. Der Rest ist Technik: Weiter wäre dann 6x5 dx = dt,
also folgt
Z
Z
Z
1
1
x5 dx
6x5 dx
dt
=
=
.
12
6
2
5+x
6
5 + (x )
6
5 + t2
5 ist √eine positive Zahl und als solche das Quadrat einer anderen positiven Zahl, zweckmäßigerweise
von 5. (Wenn dort 9 stände würde man leichter merken, daß da ein Quadrat steht. Aber besieht
man’s recht, so ist 5 auch eins.)
In der Integraltafel findet man sofort
Z
dx
1
x
= arctan + c ,
a2 + x2
a
a
und auf das vorliegende Problem angewandt hat man
√
dt
t
x6
1 1
5
√
√
·
arctan
+
c
=
arctan √ + c .
=
2
5+t
6
30
5
5
5
√
Der Bruch des Vorfaktors wurde mit 5 erweitert, um den Nenner rational zu machen - das ist ein
üblicher Brauch.
Und das Ergebnis ist menschenfreundlich!
Um schnell zur Lösung zu gelangen wäre es hier günstig, im Geist ein wenig mit den Koeffizienten
Z
x5 dx
1
=
5 + x12
6
Z
6 Es sind die zwölf komplexen zwölften Wurzeln aus -5.
Wäre der Nenner z. B. 5 + x + x12 , so würde dieser einfache Weg entfallen.
7
der zu integrierenden Funktion zu spielen - das sind 5 und 12. Dabei ist 12 = 2 · 6 und 5 = 6 − 1 sagt uns das was? Das 6 − 1 ergibt sich üblichercherweise beim Differenzieren einer Potenzfunktion,
und Differenzieren ist die typische Tätigkeit, die beim Substituieren des Differentials dx im Integral
auszuführen ist.
Die Fähigkeit im Kopf zu differenzieren ist eine Voraussetzung für erfolgreiches Integrieren - damit
kann man umgehend eingrenzen, welcher Funktionentyp im gegebenen Problem überhaupt in Frage
kommt.
Wenn man eine Schraube befestigen will braucht man z. B. eine Mutter, also ist es sinnlos, in der
Werkstatt nach Koaxialkabeln oder Tapetenleim zu suchen. - Hat
√ man die Ableitung von arctan x als
1/(1 + x2 ) im Kopf, so erkennt man in 5 + x12 die Gestalt ( 5)2 + (x6 )2 und braucht nur noch zu
probieren, ob sich mit dieser Erkenntnis im vorliegenden Fall etwas anfangen läßt, grad wie man prüft,
ob eine gefundene Mutter zur gegebenen Schraube paßt.
Es geht die Meinung um, daß die technische Fähigkeit zum Differenzieren nicht mehr benötigt wird,
vielmehr reicht aus zu wissen, daß es so etwas gibt. Das Differenzieren kann ein halbwegs intelligenter
Taschenrechner ausführen - man tippt die Funktion ein, und er zeigt einem nach einem Tastendruck
deren Ableitung an. Und das sogar richtig!
Ich neige nicht zur Maschinenstürmerei. Dies ist eine nützliche Sache, aber wer sich darauf beschränkt
amputiert damit seine Möglichkeit zu integrieren.
Nun, der Schaden hält sich in Grenzen - das kann jener Taschenrechner auch! Diese menschliche
Fähigkeit ist ebenso überflüssig geworden wie die sachgerechte Herstellung eines Faustkeils aus und
mit ein paar Steinen.
Allerdings kann der Taschenrechner nicht jedes Integral berechnen, und um zu wissen, was ggfs. warum
nicht geht braucht’s den Menschen. Und wenn man ein technisches oder wissenschaftliches Problem
hat und zu seiner Lösung ein Integral formulieren müßte, so ist es gut zu ahnen, was für ein Integrand
sinnvollerweise in Betracht kommt - da hat man oftmals Freiheiten.
Die Gymnasialausbildung gilt (vermutlich mit Recht) als überfrachtet. Es ist immer legitim zu fragen:
Worauf kann man verzichten?
Bei dieser Einstellung mahne ich dann aber Konsequenz an! Der Geographieunterricht kann doch
genauso gestrichen werden - es gibt Navigationsgeräte, und bald kann das auch jedes Handy.
Wenn man nach einem stressigen Tag vorm Abendessen noch ein wenig relaxen möchte ... gestern
abend haben sie im Fernsehen einen schönen Strand gezeigt ... Badesachen ins Auto und eingetippt:
’Honolulu Waikiki’, und schon lotst einen eine angenehme Stimme zur A4, Auffahrt Richtung Dresden
...
Wenn man allerdings zurückgefragt wird, ob man über Singapur oder über Tokio will, so wird es bei
solcher Bildung schlagartig kompliziert.
Und die Rechtschreibung gehört gestrichen! Mann schreipt seinen Teckst und wenn mann dan aufn
Batn klickt korigirt der Compjuter in.
Das muß nun aber ein sehr intelligentes Programm sein, welches mitdenkt und in der Lage ist, den Sinn
eines Textes zu erfassen, damit es beim ersten Wort obigen Satzes ein ’n’ streicht und beim letzten ein
’h’ einfügt. Die Autoren dieses Programmes müssen wirklich allerhand können.
Auf jeden Fall dürfen sie nicht nur eine solche Schule absolviert haben.7
3. Wie sieht eine quadratische Funktion aus? Das war y = f (x) = ax2 + bx + c.
Sie hat drei allgemeine Koeffizienten: a, b und c, und in der Aufgabenstellung hat man auch genau
drei Angaben8 bekommen, die man nach erfolgtem Ansatz in drei Gleichungen umwandeln muß (’die
Gleichungen aufstellen’).
7 Überspitzt? Überspitzt.
Man muß fairerweise einräumen - Geographie- und Orthographiekenntnisse braucht praktisch jeder, die Zielgruppe der genannten
mathematischen Fähigkeiten ist kleiner. Wer allerdings beschließt Ingenieur zu werden sollte bedenken, daß er sich damit ihr
anschließt.
Das ändert nichts an dem Umstand, daß das Können, einen Funktionsausdruck zu differenzieren, eine grundlegende Fertigkeit
darstellt. Man benötigt es für nützliche Anwendungen wie Kurvendiskussion oder Extremwertsuche, des weiteren ist es eine
Schulung formalen Denkens - besonders die Kettenregel! - und, so albern es klingen mag, es entwickelt die Fertigkeit, Formeln
zu lesen: ln2 x von ln x2 zu unterscheiden, Klammersetzung ernst zu nehmen u. s. f..
Differentation ist fundamental. Wenn die Steine nicht für das geplante pompöse Gebäude reichen - lieber auf ein Stockwerk
verzichten als am Fundament sparen.
8 Eine wohltuende Eigenschaft von Übungs- und Klausuraufgaben in der Ausbildung - man bekommt die nötigen Angaben
mitgeliefert, und nur diese (sofern es sich nicht irgendwie um eine Scherzaufgabe handelt). Das ist eine große Hilfe.
In der irgendwann dräuenden Praxis muß man vermutlich selbst klären, welche Ausgangsdaten man braucht und wo man sie
herbekommt.
Darüber muß man sich also z. B. im Klaren sein, wenn man bei der Bearbeitung eines Problems beschließt, eine quadratische
Funktion zu benutzen.
8
Nullstelle in x1 = 5: f (5) = 25a + 5b + c = 0.
Scheitelpunkt in xs = 2: f 0 (2) = 2a · 2 + b = 0.
Funktionswert im Scheitelpunkt um 7 größer als bei x = 0: f (2) = 4a + 2b + c = f (0) + 7 = c + 7.
Es resultiert ein System von drei linearen Gleichungen mit drei Unbekannten:
25a + 5b + c = 0 ,
4a + b = 0 ,
4a + 2b = 7 .
(∗)
Das System muß offenbar gelöst werden - ein angenehmer Zustand, wo man durch überschaubare Arbeit etwas zum eigenen Fortkommen leisten kann.
Die erste Gleichung nach a aufzulösen und das Resultat in die anderen beiden einzusetzen ist nicht
ratsam - wer’s nicht glaubt mag’s tun!
Die vermutlich eleganteste Variante besteht darin, die mittlere Gleichung von der letzten abzuziehen,
damit folgt b = 7 und danach sofort a = −7/4 = −1.75.
Kurzes Innehalten: Negatives a bedeutet nach unten geöffnete Parabel. - Das paßt zu der Aussage, daß
ihr Scheitelpunkt über dem Schnittpunkt mit der x-Achse liegt.
Nun zu c - das bekommen wir aus der ersten Gleichung, denn erstens kommt es nur dort vor, und
zweitens haben wir aus den anderen beiden schon zwei Unbekannte bestimmt.9 Diese sind also bereits
ausgepreßt und können keine Information mehr liefern.
Jedenfalls wird c = 35/4 und letztlich y = f (x) = −1.75x2 + 7x + 8.75.
Eine Probe besttigt die Richtigkeit des Ergebnis.
Wenn man in der Kaufhalle das gesuchte Produkt vor der Nase sieht, so sollte man evtl. innehalten
und sich umsehen - mit etwas Glück sieht man ein halbwegs gleichwertiges Produkt zwei Regale tiefer
und wesentlich billiger.
Es ist ratsam, beim Ansatz für ein gesuchtes mathematisches Objekt ähnlich weise zu verfahren und
sich nicht die erstbeste Variante zu schnappen und starrsinnig an ihr festzuhalten.
y = f (x) = ax2 + bx + c ist eine Darstellung für eine quadratische Funktion, aber nicht die einzige.
Und sie ist nicht bei jeder Aufgabe die beste.
Mit dieser Gestalt wurde weiland in der Schule bei der Behandlung der quadratischen Funktionen
operiert, denn mit irgendetwas mußte man ja beginnen. Aber schon dort wurden auch andere Formen
angegeben.10
Beispielsweise läßt sich jedes Polynom auch in der Produktform schreiben, was bei quadratischen Polynomen den Ausdruck f (x) = a(x − x1 )(x − x2 ) ergibt. Das a ist dasselbe wie in der anderen Form,
x1 und x2 sind die beiden Nullstellen - das kann man sich besonders gut merken, wenn man bedenkt,
daß in diesen ein Faktor Null werden muß. Und wenn man die Produktform ausmultipliziert, so muß
vor x2 der Faktor a stehen.
Ein Vorfaktor, zwei Nullstellen - diese Formel enthält ebenfalls drei Parameter, nur andere. Und man
kann die einer Darstellung in die der anderen umrechnen: b = −a(x1 + x2 ) und c = ax1 x2 (das sind
die hoffentlich wohlbekannten Formeln von Vieta) in die eine Richtung, in die andere kommt man mit
der Nullstellengleichung
√
−b ± b2 − 4ac
.
x1,2 =
2a
(Hierbei wurden allerdings reelle Nullstellen vorausgesetzt, die aber in dieser Aufgabe gegeben sind.
Zumindest war von einer die Rede, und dann muß die andere auch reell sein. Doppelte Nullstelle entfällt, denn diese wäre dann auch gleich Scheitelpunkt; laut Aufgabentext sind sie aber verschieden.)
Welchen Nutzen bringt der eine Ansatz vor dem anderen, oder: Nach welchen Gesichtspunkten sollte
man allgemein bei mehreren möglichen Ansätzen einen auswählen?
Es ist oft günstig, bei einem Ansatz gegebene Informationen gleich einzubauen. Jeder verwendete Fakt
kann anschließend abgehakt und aus der Betrachtung genommen werden - seine Information steckt ja
bereits in der Formel. Und es entfällt damit jeweils eine Bestimmungsgleichung - das letztlich resulierende Gleichungssystem wird kleiner. Im Idealfall kann man alle Parameter sofort einbauen, dann
entfällt es völlig.
Hier hat man x1 = 5 - der erste Parameter. Weiter - erhebt man sich vom Niveau des sturen Rechnens
9 Unser lineares System von drei Gleichungen mit drei Unbekannten enthielt also ein Teilsystem von zwei Gleichungen mit
zwei Unbekannten.
10 Auch bei der Einführung der komplexen Zahlen muß man irgendwo anfangen, und meist ist das z = a+bj - die arithmetische
Form. Aber später kommen noch zwei weitere.
Ob der Student neben formalen Rechenfertigkeiten auch eine gewisse Übersicht über diesen Stoff hat kann man in der Klausur
zweckmäßigerweise prüfen, indem man eine Aufgabe stellt, die sich in trigonometrischer Form recht leicht lösen läßt, in jener
dagegen nur sehr mühsam oder garnicht.
9
auf eine - mäßige - theoretische Höhe, so müßte einem einfallen, daß der Abszissenwert des Scheitelpunkts der Parabel einer quadratischen Funktion genau zwischen den Nullstellen liegt. Geometrisch
gesprochen: Die Parabel der quadratischen Funktion besitzt eine Symmetrieachse, die zur y-Achse parallel ist. Dort liegt dann auch der Scheitelpunkt, denn anderenfalls müßte es wegen der Symmetrie zwei
Scheitelpunkte geben. Jedenfalls ist damit die andere Nullstelle x2 = −1, denn 2 ist die Mitte von -1
und 5.
Also hat man für die gesuchte Funktion umgehend f (x) = a(x − 5)(x − [−1]) = a(x − 5)(x + 1).
Ausmultiplizieren bringt zunächst keinen Vorteil.
Es bleibt eine Bestimmungsgleichung für a: f (2) = a · (−3) · 4 = −9a = f (0) + 7 = a · (−5) · 1 + 7 oder
−4a = 7.
Alles Weitere ist klar.
Anmerkung 1: Das Gleichungssystem (∗) enthielt zwei homogene und eine nichthomogene Gleichung,
war also insgesamt inhomogen.
Das ist vernünftig - bei drei homogenen Gleichungen hätte man ein homogenes System mit entweder
nur der trivialen Lösung, oder unendlich vielen.
Bei der Bedingung (die vom vorliegenden Ergebnis auch erfüllt wird!) ’Der Wert im Scheitelpunkt bei
xs = 2 ist das 1.8-fache von dem Wert, wo die Kurve der Funktion die y-Achse schneidet’ wäre diese dritte Gleichung homogen geworden. Die Aufgabe hätte keine eindeutig bestimmte Lösung mehr,
sondern den freien (d. h. aus den gemachten Angaben nicht bestimmbaren) Parameter a. Aber formal
hatte man drei Angaben - die Aufgabe sieht auf den ersten Blick vernünftig aus. Das die dritte Angabe
in Wirklichkeit bereits eine Schlußfolgerung aus den ersten beiden ist zeigt erst die Rechnung bzw. die
Betrachtung des aufgestellten Gleichungssystems: hoppla, du bist ja homogen!
Nun hat ein Student normalerweise das Problem, eine Aufgabe zu lösen, nicht: sie zu formulieren. Die
Auswahl sinnvoller Basisdaten ist Sache der Lehrkraft.
Sofern man bis zur Klausur denkt ist dieser Standpunkt akzeptabel. Will man dagegen auch noch etwas
für die Zeit danach lernen, so sollte man das Gesagte verinnerlichen. Sonst kann es einem passieren,
daß man mit viel Geld und Mühe drei Messungen macht ... und statt der dritten hätte man aber etwas
anderes messen müssen, denn die gemachte dritte Bestimmung erweist sich als überflüssig, dafür fehlt
noch ein brauchbarer Wert.
Anmerkung 2: Mit der Produktform ist die Darstellungsvielfalt von (quadratischen) Polynomen nicht
erschöpft. Das Newtonsche Interpolationspolynom ist für andere Zwecke sinnvoll, und wenn x2 −2x+5
im Nenner eines rationalen Integrals steht, so sollte man es ggfs. als Summe zweier Quadrate schreiben:
(x − 1)2 + 22 , usw..
4. Die komplexe Zahl z wird durch zwei reelle Werte beschrieben, Real- und Imaginärteil oder Betrag
und Argument. In der Aufgabe sind gerade auch zwei Angaben erfolgt. Man kann losrechnen.
Zunächst ist ein Ansatz zu wählen - arithmetische oder trigonometrische Form? (Die Exponentialform
wäre hier nur die Kurzschreibweise der letzteren.)
Die Angaben beziehen sich natürlicherweise auf die trigonometrische Form, aber es taucht die Summe
z + 3 − 2j auf, und addieren kann man in der arithmetischen Form viel einfacher als in jener. Wählen
wir also z = x + yj:
p
p
(x + 3)2 + (y − 2)2 = x2 + y 2 =⇒ (x + 3)2 + (y − 2)2 = x2 + y 2
|z + 3 − 2j| = |z| =⇒
=⇒
6x − 4y + 13 = 0 .
Man kann also schon einmal y = 1.5x + 3.25 festhalten.
Nun zu der Bedingung mit dem Argument: Für komplexe Zahlen a + bj, die nicht rein imaginär sind
(a 6= 0) erfüllt deren Argument ψ die Bedingung tan ψ = b/a.
Diese Gleichung ist der Darstellung ψ = arctan(b/a) vorzuziehen, denn selbige ist eher symbolischer
Art - im Rahmen der getroffenen Voraussetzungen trifft sie nur auf komplexe Zahlen zu, deren Darstellungen im ersten Quadranten der komplexen Ebene liegen. Ansonsten wären noch geeignete Vielfache
des rechten Winkels zu addieren - anders ausgedrückt, man müßte die Rechnung durch einige Fallunterscheidungen ergänzen.
Sei nun ϕ das Argument der gesuchten Zahl z, dann ist also (erst einmal vorausgesetzt, daß sowohl z
als auch z + 3 − 2j nicht rein-imaginär sind) einerseits
tan ϕ =
y
x
und andererseits
tan(ϕ + 7.42o ) =
y−2
.
x+3
Es bietet sich an, das Additionstheorem für den Tangens ins Spiel zu bringen - das funktioniert für alle
Argumente, für die die beteiligten Tangenswerte existieren, unabhängig von irgendwelchen Quadranten.
10
Also:
y
tan(ϕ + 7.42o ) =
=
o
tan ϕ + tan 7.42o
y + x tan 7.42o
x + tan 7.42
=
=
=
1 − tan ϕ · tan 7.42o
1 − xy · tan 7.42o
x − y · tan 7.42o
1.5x + 3.25 + x tan 7.42o
1.63023x + 3.25
y−2
1.5x + 1.25
=
=
=
.
x − (1.5x + 3.25) · tan 7.42o
0.80465x − 0.42325
x+3
x+3
Nach Anwendung des Additionstheorems wurde die erste Gleichung des obigen Paares eingesetzt und
der entstehende Bruch anschließend mit x erweitert. Letztlich wurde die gefundene Darstellung für y
benutzt. Es bleibt eine Gleichung, die den gesuchten Realteil x als einzige Unbekannte enthält. Wird
sie gelöst, so ist auch y ermittelt.
Man multipliziert mit den beiden Nennern:
1.5x + 1.25
1.63023x + 3.25
=
=⇒ (1.63023x + 3.25)(x + 3) = (0.80465x − 0.42325)(1.5x + 1.25)
0.80465x − 0.42325
x+3
und erhält eine quadratische Gleichung. Das weckt den Verdacht, daß es zwei solche komplexen Zahlen
gibt. Aber zuerst wird weitergerechnet:
1.63023x2 + 8.14069x + 9.75 = 1.20698x2 + 0.37094x − 0.52906
0.42326x2 + 7.76975x + 10.27906 = 0
=⇒
=⇒
x2 + 18.3569x + 24.2855 = 0 .
Man erhält die Lösungen x1 = −1.4352 und x2 = −16.9217, woraus mit der Darstellung für y die
Resultate z1 = −1.4352 + 1.0972j und z2 = −16.9217 − 22.1326j folgen.
Kontrolle: |z1 | = 1.8066 und |z1 + 3 − 2j| = |1.5648 − 0.9028j| = 1.8066 - das stimmt.
z1 liegt im zweiten Quadranten, sein Argument ist mithin 180o +arctan(−1.0972/[−1.4352]) = 142.60o ,
und weiter ist z1 + 3 − 2j = 1.5648 − 0.9028j im vierten Quadranten mit dem Argument 330.02o =
142.60o + 180o + 7.42o .
Dieser Wert kommt also nicht in Frage - hier hat uns die Periodizität des Tangens in die Irre geführt.
Ein Glück, daß kontrolliert wurde!
Der Wert z2 ? |z2 | = 27.8603 und | − 13.9217 − 24.1326| = 27.8603, im dritten Quadranten ist
Arg(z2 ) = 232.60o und Arg(z2 + 3 − 2j) = 240.02o = 232.60o + 7.42o - dieser Wert ist richtig.
Einzige Lösung der Aufgabe: z = −16.9217 − 22.1326j
Begnügt man sich damit, so hat man die Aufgabe zwar gelöst, aber nicht verstanden.
Wieso verstehen - kann man denn hier etwas verstehen?
Man kann. Die Menschen haben für viele Erscheinungen, die sich dem unmittelbaren Verständnis
entziehen, Veranschaulichungen gefunden: Strukturformeln für chemische Verbindungen, Neutronen
aufgefaßt als ’Kitt’ zwischen den positiven Protonen usw..
Für die komplexen Zahlen gibt es auch eine Veranschaulichung: die Zahlenebene. Und sie liefert nicht
nur ein Bild für die Vorstellung, sondern erlaubt es auch, Begriffe zu unterlegen und praktikable Schlüsse zu ziehen. Die Wörter ’Betrag’ und ’Argument’ kann man als formale Rechenvorschriften angeben,
aber sinnvollerweise ordnet man ihnen einen geometrischen Inhalt zu: Abstand zum Nullpunkt bzw.
Winkel zur positiven reellen Achse. Darüber wurde in der Vorlesung bis zum Erlahmen des Interesses
gesprochen ...
Und darüber, daß sich also komplexe Zahlen in mancherlei Beziehung wie Punkte verhalten oder durch
Vektoren dargestellt werden können, daß also geometrische Schlußweisen bei bestimmten Sachverhalten
die Situation ebenso entwickeln wie die Rechnung, nur eben anschaulicher.
Also, die gesuchte Zahl (oder sind es mehrere?) z wird gedacht als ein Punkt in der komplexen Ebene.
z + 3 − 2j ist ein anderer Punkt - etwas weiter rechts und etwas tiefer. Er hat denselben Abstand zum
Nullpunkt wie z - beide komplexen Zahlen ... pardon, beide Punkte liegen also auf einem Kreis um den
Nullpunkt.
Verbinden wir (Elementargeometrie!) diese beiden Punkte durch eine Strecke (den Vektor ~s = (3, −2)T ),
so ist dies eine Sehne in jenem Kreis. Ein Radius, der durch den Mittelpunkt der Sehne geht steht senkrecht auf dieser, d. h. auf ~s.
(Die Gleichung der Geraden, auf der diese Sehne liegt, ist übrigens die oben gewonnene Formel
y = 1.5x + 3.25.)
Der Radius ist also parallel (nicht unbedingt gleichgerichtet) zum Vektor (2, 3)T , der aus (3, −2)T
durch die in der Ebene ausführbare Standardoperation ’Vertauschen der Komponenten und Ändern
eines Vorzeichens’ um 90o gedreht wurde.
Vom Nullpunkt aus gesehen schließen die beiden Punkte einen Winkel von 7.42o ein. Der genannte Radius halbiert diesen Winkel. Der Anstieg des Radius ist arctan(3/2) = 56.31o , nach der anderen Seite
11
wären es 180o mehr: 236.31o . z liegt 7.42o /2 = 3.71o davor und z + 3 − 2j denselben Betrag danach.
Wenn es von z zu z + 3 − 2j nach rechts unten geht kommt nur Arg(z) = 236.31o − 3.71o = 232.60o in
Frage.
Damit hat man schon eine Bestimmungsgröße von z - sein Argument. Fehlt noch der Betrag.
Wieder hilft die Elementargeometrie. Betrachten wir das Dreieck, das vom Radius aus dem Nullpunkt
bis zum Schnittpunkt mit jener Sehne, der halben Sehne bis in z und dem Radius aus z zurück in den
Nullpunkt gebildet wird. Es ist rechtwinklig, denn der Radius durch den Mittelpunkt einer Sehne steht
senkrecht auf dieser. Der Winkel im Nullpunkt ist 3.71o und seine Gegenkathede
ist die halbe Strecke
p
~s, folglich√gilt für den Betrag r von z (die Hypotenuse!) die Beziehung ( 32 + (−2)2 /2) : r = sin 3.71o
oder r = 13/2 · sin 3.71o = 27.8608.
In trigonometrischer Form ist folglich z = 27.8608(cos 232.60o + j sin 232.60o ).
Das ist einfach in die arithmetische Form umrechenbar. Eine minimale Differenz zum obigen Resultat
basiert auf Rundungsfehlern der verschiedenen Rechenwege.
Die geometrische Betrachtung läßt einen auch verstehen, warum es nur eine Lösung geben kann.
5. Die Matrix A hat neun Elemente, und AT A = E liefert genau neun Bedingungen. Diese Gleichungen
sind allerdings nichtlinear, denn links werden die Komponenten miteinander multipliziert.
Führt man die Matrixmultiplikation nach Vorschrift aus und setzt man das Produkt gleich der Einheitsmatrix, so erhält man zeilenweise
a211 + a221 + a231 = 1
a11 a12 + a21 a22 + a31 a32
a11 a13 + a21 a23 + a31 a33
a12 a11 + a22 a21 + a32 a31
a212 + a222 + a232 = 1
a12 a13 + a22 a23 + a32 a33
a13 a11 + a23 a21 + a33 a31
a13 a12 + a23 a22 + a33 a32
a213 + a223 + a233 = 1
=0
=0
=0
=0
=0
=0
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
Betrachtet man dieses Gleichungssystem genauer, so stellt man fest, daß die Gleichungen (2) und (4)
identisch sind - man kann eine von ihnen streichen. Ebenso bleibt von (3) und (7) nur eine übrig, und
genauso von (6) und (8).
Man hat also in Wirklichkeit nur sechs Bedingungen. Bei neun Matrixelementen bleiben drei Freiheitsgrade.
a(1) und a(2) als gegeben angesehen sind das drei Bedingungen an diese beiden gegebenen Vektoren sie können nicht völlig beliebig gegeben werden - und drei Bedingungen zur Bestimmung der möglichen
a13 , a23 und a33 .
Das wäre geklärt, nun kann man losrechnen.
Das Unterrichtsfach heißt aber nicht ’Rechnen’, sondern ’Mathematik’, und diese ist bekanntlich die
Kunst, das Rechnen zu vermeiden, wie ein bekannter Scherz behauptet. Er hat allerdings einen tiefen
Sinn!
Was sagt nun die Mathematik?
Zunächst eine abstrakte Vorbemerkung: Zu den Rechenregeln für das Produkt von Matrizen gehört
die für die Bildung der Transponierten: (M N )T = N T M T .
Die Feststellung ’Die Transponierte der Transponierten ist die Ausgangsmatrix’ (in Formelschreibweise: (M T )T = M ) ist schon fast eine Plattheit.
Beide Fakten miteinander kombiniert hat man
(AT A)T = (AT )(AT )T = AT A −
die Matrix AT A ist also gleich ihrer Transponierten, mithin ist sie symmetrisch.
In einer symmetrischen 3 × 3-Matrix kann man aber nur sechs Elemente frei vorgeben (die auf der
Hauptdiagonale, und z. B. die darüber), die anderen drei sind dann durch die Symmetrie bestimmt.
Damit ist die Reduktion des Systems um drei Gleichungen erklärt.
Weiter: Sei M N = Q, dann wurde in der Vorlesung gebetsmühlenartig verkündet, daß ein beliebiges
qij das Skalarprodukt der i-ten Zeile von M mit der j-ten Spalte von N ist. Beide sind nach Voraussetzung für die Durchführbarkeit der Matrixmultiplikation wohlweislich gleichlang. ’Skalarprodukt’
bedeutet hierbei die Summe der Produkte von Elementpaaren, nicht mehr und nicht weniger.
Im Falle AT A ist eine Zeile von AT aber nichts anderes als (ursprünglich) eine Spalte von A. Mit eij
als Element der Einheitsmatrix ist eij mithin das Skalarprodukt der Spalten a(i) und a(j) .
12
Bei i 6= j ist eij = 0 - das Skalarprodukt verschiedener Spalten miteinander ist stets Null oder, anders
ausgedrückt - sie sind orthogonal.
eii ist ein Hauptdiagonalelement von E und als solches gleich 1. Es ergibt
sich als Skalarprodukt von
√
a(i) mit sich selbst. Nun ist v T v = |v|2 , vielleicht bekannter als |v| = v T v.
Also gilt |a(i) | = 1 - die Spalten von A sind Einheitsvektoren.
Fangen wir nach abendländischer Gewohnheit links an: In a(1) können zwei Komponenten (fast!) frei
vorgegeben werden, die dritte bestimmt sich dann aus der Bedingung, daß die Summe der drei Quadrate 1 ergibt. ’Fast’ bedeutet, daß keines der drei Quadrate für sich schon größer als 1 sein darf,
√ a13 = −4
ist also unmöglich! Ist z. B. a211 + a221 = 0.8 , so hat man für a31 zwei mögliche Werte: ± 0.2.
Für a(2) hat man dann zwei Bedingungen, also nur einen frei wählbaren Wert, z. B. a11 . Die anderen
beiden sind so zu bestimmen, daß diese Spalte orthogonal zur ersten ist und ihr Betrag 1 ergibt.
a(3) ist (fast) komplett festgelegt: Es ist orthogonal zu a(1) und a(2) und hat den Betrag 1 - dafür
kommen nur zwei Vektoren in Frage.
Bei dreidimensionalen Vektoren kann man die Geometrie ins Spiel bringen. Um dies anzudeuten versehen wir die abstrakt-algebraischen Spaltenvektoren mit einem Pfeil: ~a(j) .
Eine senkrechte Richtung auf ~a(1) und ~a(2) bekommt man leicht mit dem Kreuzprodukt. Der gesuchte
Vektor ~a(3) muß ein Vielfaches davon sein: ~a(3) = λ(~a(1) × ~a(2) ).
Für λ hat man die Bedingung an den Betrag von ~a(3) . Man beachte, daß ~a(1) und ~a(2) bereits einen
rechten Winkel einschließen und die Länge 1 haben:
1 = |~a(3) | = |λ(~a(1) × ~a(2) )| = |λ| · |~a(1) × ~a(2) )| = |λ| · |~a(1) | · |~a(2) )| · | sin(±90o )| = |λ| · 1 · 1 · 1 = |λ| .
Die Gleichung |λ| = 1 hat zwei Lösungen: λ1 = 1 und λ2 = −1.
Resultat: Mit den zwei zueinander orthogonalen Einheitsvektoren ~a(1) und ~a(2) muß nun einfach
~a(3) = ±(~a(1) × ~a(2) ) sein - das ist die Darstellung aller hier möglicher dritter Spalten.
Haben Sie gemerkt: Es wurde mathematisch gedacht und fast nicht gerechnet! Aus dem oben verbliebenen System von sechs Gleichungen hätte man durch stumpfsinniges Umformen eine mehr oder weniger
praktikable Darstellung finden können, aber das wäre mühsam, wenig hilfreich, und vor allem: Damit
hätte man nichts verstanden.
6. Es sind zunächst zwei Kräfte, die in P wirken: Das Gewicht von m1 und die vom Faden ausgeübte
Zugkraft - drücken wir die zweite Kraft zunächst mit diesen salomonischen Worten aus. Weiterhin wird
sie genauer bestimmt, es wäre aber riskant, sie auf die Schnelle gleich fertig aufschreiben zu wollen.
Beide Kräfte haben im allgemeinen verschiedene Richtungen, sie dürfen also nicht als ihre Beträge
addiert werden, sondern nur vektoriell.
Für letzteres ist - so man es rechnerisch machen will - ein Koordinatensystem hilfreich. Von diesem ist
bereits in der Aufgabenstellung gesprochen. Das nach unten gerichtete Lot kann man mit der negativen
y-Achse identifizieren, wenn man - hierzu gab es keine Festlegung, also hat man diese Freiheit - den
Punkt P als den Koordinatenursprung ansieht.
(In der Aufgabenstellung geht es nur um Kräfte und Winkel, also kommen die kartesischen Koordinaten x und y selbst im Resultat nicht vor. Mithin sind sie nur zwischenzeitliche Hilfsgrößen und können
ziemlich beliebig definiert werden - das beeinflußt nicht das Resultat, wohl aber den Rechenweg. Ob
dieser leicht oder umständlich ist hängt oft wesentlich von der Festlegung des Koordinatensystems ab.
Eine ungeschickte Wahl führt meist zu umfangreichen Formeln, und diese haben zwei Nachteile: Man
macht erstens schneller Rechenfehler, und zweitens verdeckt ihr schierer Umfang den geistigen Inhalt,
weswegen man Mühe hat, die Orientierung auf das eigentliche Ziel zu behalten.)
Die Gewichtskraft von m1 ist senkrecht nach unten gerichtet und durch den Vektor F~1 = (0, −m1 g)T
repräsentiert.
Nun zur Zugkraft im Faden. Sie will bedacht sein! In sie geht zumindest das Gewicht von m2 ein, das
primär nach unten gerichtet ist, also i. a. nicht mit der Richtung des Fadens übereinstimmt. Es wirkt
komplett, wenn der Faden genau nach unten zeigt. Ist es dann aber die einzige Kraft? Offenbar nicht,
denn die Masse bewegt sich mit einer gewissen Geschwindigkeit auf (einem Stück) einer Kreisbahn um
P , und damit entsteht eine Fliehkraft. Die Gesamtkraft im Faden ist folglich die Summe des momentanen Gewichtsanteils und der momentanen Fliehkraft. Sonst noch etwas? - Anscheinend nicht.
Zum Gewichtsanteil legen wir den Vektor der Gewichtskraft F~g an das Ende des Fadens an, den wir
uns im Winkel ϕ ausgelenkt denken. Dieser Vektor wird zerlegt in die Summe zweier Vektoren: Einer ist tangential zur Kreisbahn gerichtet: F~ τ , der andere in Richtung des Fadens: F~f . Es gilt also
F~g = F~τ + F~f . F~f wirkt in Richtung des Kreisradius, und der steht immer senkrecht auf der Tangente
in seinem Endpunkt, hier: im Fadenende.
13
Auf P wirkt nur F~f , denn eine senkrecht zu ihm wirkende Kraft wird von einem Faden nicht übertragen. Das ist die anschauliche Begründung; wissenschaftlicher kann man auch sagen: F~τ bewirkt nur
eine (positive oder negative) Beschleunigung der Masse m2 und geht darin auf, just wie in einem frei
fallenden Körper Schwerelosigkeit herrscht.
Also ist F~f zu bestimmen. Seine Richtung ist die des Fadens, der bildet mit der negativen y-Achse den
Winkel ϕ, mit der positiven x-Achse also ϕ + 270o (oder ϕ − 90o , wenn’s beliebt).
Es gibt eine Standardprozedur zur Gewinnung eines Einheitsvektors in eine durch einen Winkel α zur
positiven x-Achse definierte Richtung: Man nimmt den Punkt auf dem Einheitskreis, und dieser Punkt
ist gegeben durch (cos α, sin α)T .
’Um Himmels willen’, stöhnt der Student, ’wieviel Formeln soll ich mir denn noch merken?’
Wenn man Kisten chaotisch in einen Raum hineinwirft ist er schnell voll - sinnvoll gestapelt bekommt
man wesentlich mehr unter und findet auch leichter, was man sucht. Mit unserem Hirn ist es nicht
anders.
Zum obigen Sachverhalt: Das steht (sogar mit Bild) in jedem Tafelwerk, bei der Definition der Winkelfunktionen Sinus und Kosinus über den Einheitskreis. Man müßte, wenn man sich diesen Sachverhalt
nicht merken will, nur dort nachsehen - so man weiß, daß man dort suchen muß.
Oder man denkt in Zusammenhängen. Ein Punkt in der Ebene kann gedacht werden als komplexe Zahl
(’Aus a = b folgt b = a ...’) und diese ist arithmetisch geschrieben als a+bj, wobei das Pluszeichen eher
als ’und’ zu lesen ist denn als Aufforderung, die beiden Teile so zu addieren, wie man die Preise für
die zwei Sachen im Einkaufskorb addiert. Sie werden nicht echt addiert, sondern bleiben selbständig
- man kann die komplexe Zahl also auch als Vektor darstellen und als solchen schreiben: z = (a, b)T .
Dabei ist wirklich nur die Darstellung gemeint, denn das, was die komplexe Zahl noch kann, nämlich
auch Partner in Multiplikation und Division sein mit dem speziellen Gesetz j 2 = −1 wird durch diese
Schreibweise nicht zum Ausdruck gebracht.
Weiterhin gibt es zur komplexen Zahl noch die trigonometrische Form z = r(cos ϕ + j sin ϕ). Bei r = 1
ist z = cos ϕ + j sin ϕ und der diese Zahl repräsentierende Punkt liegt auf dem Einheitskreis in der
(komplexen, aber das ist jetzt nicht wesentlich) Ebene. Zurück zur Vektorschreibweise: Der Punkt wäre
dort (cos ϕ, sin ϕ)T , siehe oben.
Wenn man diese Wechselbeziehungen der auf den ersten Blick verschiedenen Modelle einmal sorgsam
durchdacht und verstanden hat, so stellt man fest, daß man sich für all diese Beziehung nur eine Formel
merken muß11 . Der Platzbedarf im Hirn reduziert sich.
Aufgetaucht aus diesen philosophisch-methodischen Tiefen wenden wir uns wieder der Kraft F~f zu. Ihr
Vektor ist wie jeder Vektor der mit ihrem Betrag Ff multiplizierte Einheitsvektor ihrer Richtung:
cos(ϕ + 270o )
sin ϕ
~
Ff = Ff
= Ff
.
sin(ϕ + 270o )
− cos ϕ
Hierbei wurden die Quadrantenbeziehungen cos(α + 270o ) = sin α usw. ins Spiel gebracht.
Betrachten wir nun den Betrag Ff = |F~f |. Die drei Vektoren in F~g = F~τ + F~f bilden, wie zuvor bereits
festgestellt wurde, in irgendeinem Sinne ein rechtwinkliges Dreieck. F~g zeigt senkrecht nach unten wie
die y-Achse, F~f in Richtung des Fadens, zwischen ihnen liegt also ebenfalls der Winkel ϕ (Stufenwinkel
zum ursprünglichen). Die Ankathede zu diesem Winkel ist F~f , die Hypotenuse dagegen F~g , und für
ihre Längen ... pardon, Beträge gilt folglich Ff = Fg · cos ϕ . Dabei ist Fg = m2 · g (ohne Minuszeichen,
denn es ist ein Betrag! Das Minuszeichen steckt im Richtungsvektor.).
Nun zur Fliehkraft. Sie ist immer nach außen gerichtet, also in Richtung des Fadens - wir können
dessen Richtungsvektor erneut verwenden und brauchen nur ihren Betrag.
Die Physik lehrt, daß dieser m2 v 2 /l = mω 2 l ist - welche der beiden Formeln wollen wir nehmen?
Weder die (kartesische) Geschwindigkeit v noch die sich (hier ständig ändernde) Winkelgeschwindigkeit
ω ist unmittelbar gegeben. Man hat nur die Masse, die Erdbeschleunigung, die Länge des Fadens und
die momentane Auslenkung, und die Gesetze der Physik.
Von Luftwiderstand oder Reibung im Faden, wenn dieser geknickt wird, war in der Aufgabe nicht die
Rede; seine Masse wurde ausdrücklich vernachlässigt. Also wird all das ignoriert - der Körper schwingt
ungedämpft bis in alle Ewigkeit. Er verliert dabei keine Energie, will heißen: sie bleibt konstant. Damit
ist die Gesamtenergie Eges = Epot + Ekin gemeint. Nun ändert sich die potentielle Energie mit der
Höhe und diese wieder mit der Auslenkung. Setzen wir bei ϕ = 0 gerade Epot = 0 (das ist egal - die
potentielle Energie ist bis auf eine beliebige additive Konstante bestimmt. Bei ihr interessiert eigentlich
nur die Differenz zwischen zwei Zuständen, womit sich eine solche Konstante stets heraushebt.).
11 Und die ist, seien wir ehrlich, eigentlich nur die Definition der beiden Funktionen Sinus und Kosinus, die man eigentlich
kennen sollte. - Na schön, es sind zwei Formeln.
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’Punktmasse’ bedeutet, daß der Abstand vom Nullpunkt zum Schwerpunkt von m2 gleich der Fadenlänge l ist. Betrachten wir den im Winkel ϕ ausgelenkten Faden bzw. das von y-Achse, Faden und der
durch sein Ende gelegten horizontalen Gerade gebildetes Dreieck, dann hat der senkrecht herabhängende Faden am Ende die Höhe −l und ausgelenkt die Höhe −l · cos ϕ, was eine Höhenzunahme zum
tiefsten Punkt um −l · cos ϕ − (−l) = l · (1 − cos ϕ) bedeutet.
Mithin ist
m2 2
v = k = konstant .
Epot + Ekin = l · (1 − cos ϕ) · m2 · g +
2
Damit hat man eine Gleichung, aber auch gleichzeitig eine neue Unbekannte: k. Wissen wir etwas über
sie?
Als Konstante gilt sie immer, also auch speziell dann, wenn der Körper maximal ausgeschwungen ist
und gerade seine Bewegungsrichtung ändert, was eine Momentangeschwindigkeit Null bedeutet. Dann
ist ϕ = ϕm und ebenso
m2 2
0 =k,
l · (1 − cos ϕm ) · m2 · g +
2
also folgt aus der stets zutreffenden Beziehung
l · (1 − cos ϕ) · m2 · g +
m2 2
v = l · (1 − cos ϕm ) · m2 · g
2
die Darstellung
v 2 = 2l(cos ϕ − cos ϕm )g .
v selbst interessiert nicht. Die Fliehkraft (genauer: ihr Betrag) wird somit verwendet in der Gestalt
Fz =
m2 v 2
= m2 · 2(cos ϕ − cos ϕm )g
l
und ergibt mit der Projektion des Gewichts die Gesamtkraft im Faden von
sin ϕ
sin ϕ
sin ϕ
~
~
Ff +Fz = m2 g·cos ϕ
+2m2 g·(cos ϕ−cos ϕm )
= m2 g·(3 cos ϕ−2 cos ϕm )
.
− cos ϕ
− cos ϕ
− cos ϕ
Nun zurück zum Ausgangsproblem: Die gesamte in P angreifende Kraft F~ ist somit die Summe
0
sin ϕ
m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ
~
F =
+ m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm )
=
.
−m1 g
− cos ϕ
−m1 g − m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ
Mit der Größe der Kraft F~ ist ihr Betrag gemeint:
p
|F~ | = F = (m2 g · [3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ]2 + [m1 g + m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ]2 .
Etwas Ergebniskosmetik erscheint angebracht. Zunächst ist festzuhalten: Bei m2 = 0 ist die Aufgabe
uninteressant, es kann also m2 > 0 vorausgesetzt werden. Das erlaubt es, m1 als Vielfaches (k-faches)
von m2 zu schreiben: m1 = k · m2 . Damit läßt sich m2 g aus der Wurzel herausziehen:
p
F = m2 g · [(3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ]2 + [k + (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ]2 =
q
= m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm )2 · (sin2 ϕ + cos2 ϕ)2 + [2k · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) + k 2 ] cos2 ϕ =
p
= m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm )2 + k[2 · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) + k] cos2 ϕ .
Das ist sicher kein überwältigender Fortschritt gegenüber der Ausgangsformel, aber eine gewisse Vereinfachung und auch Klarstellung: m2 g stellt eine Kraft dar, und die Wurzel ist ein reiner Zahlenfaktor.
Dieses Ergebnis ist also wirklich eine Kraft.
Nun ihre Wirkungsrichtung zur senkrechten Achse:
Überlegung am Rande: Es ist stets |ϕ| ≤ ϕm < 90o . In diesem Bereich ist 0 < cos ϕm ≤ cos ϕ, also gilt
unbedingt 3 cos ϕ − 2 cos ϕm > 0.
Wie nicht anders zu erwarten zeigt F~ nach unten. Der mit der negativen y-Achse gebildete Winkel
ist betragsmäßig kleiner als ein rechter. In diesem Bereich ist die Tangensfunktion eineindeutig, also
umkehrbar. Nimmt man einen Auschlag des Fadens nach rechts (x > 0) als positiv, so wird folglich
tan ψ =
m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ
| − m1 g − m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ|
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=⇒
ψ = arctan
(3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ
m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ
= arctan
m1 g + m2 g · (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ
k + (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ
.
Wegen des Summanden k im Nenner ist der Ausdruck nicht mehr sinnvoll zu vereinfachen!
Allerdings kann man jetzt eine Kontrollbetrachtung anschließen: Sei m1 klein gegen m2 , d. h. k nahe
(oder gleich) Null. Es sei vernachlässigt, dann wird
ψ = arctan
(3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) sin ϕ
sin ϕ
= arctan
= arctan (tan ϕ) = ϕ .
0 + (3 cos ϕ − 2 cos ϕm ) cos ϕ
cos ϕ
Wie von der Anschauung her nicht anders zu erwarten wirkt jetzt die Gesamtkraft in Richtung des
Fadens.
Die Formel für F ist dann auch offenbar gerade Gewichtsanteil + Fliehkraft von m2 .
Ist dagegen m1 >> m2 (m1 ist viel größer als m2 ), so ist k groß gegen 1, der andere Summand dagegen
zu vernachlässigen und der Bruch nahe oder gleich Null, also ψ ≈ 0.
Die Gesamtkraft ist das praktisch nur das unbeweglich nach unten wirkende Gewicht; die kleine, an
ihrem Faden pendelnde Masse m2 richtet wenig aus.
7. Igitt!
Um die vierte Ableitung der Determinante zu berechnen muß man ja wohl erst einmal die Determinante
selbst ausrechnen, um sie dann differenzieren zu können. In Anbetracht der vorliegenden Elemente ist
das aber eine reine Strafarbeit.
Es sei denn, man denkt etwas nach, anstatt mit abgeschalteten Gehirn loszuwühlen.
Was ist diese Determinante für ein Gebilde? Es sind 24 Produkte von je vier Faktoren (faktisch dank der
einen Null nur 18). Die Faktoren sind Zahlen oder lineare Funktionen, also sind die Produkte Polynome
in x. Die höchste mögliche Potenz bei x ergibt sich über das Produkt der Hauptdiagonalelemente: vier
miteinander multiplizierte lineare Funktionen liefern ein Polynom vierten Grades, und mit den anderen
Produkten, die Polynome niedrigeren Grades bis hin zu Konstanten ergeben, resultiert ein Gebilde der
Form ax4 + bx3 + cx2 + px + q.
Das soll nun differenziert werden, womit man ein Polynom dritten Grades erhält. Die nächste Ableitung ergibt ein quadratisches, dann hat man ein lineares und zuletzt bleibt eine Konstante: 24a.
Im Ergebnis spielen also b, c, p und q keine Rolle, folglich wäre es Unfug, sie erst liebevoll auszurechnen.
Übrigens ist auch die Vorgabe x = −9 witzlos.
Man braucht also nur den Faktor a, und der ist das Produkt aller Koeffizienten bei x in den Hauptdiagonalelementen: a = 2 · 1 · 2 · (−1) = −4.
Der gesuchte Wert ist also -96.
Ds war erneut der Appell, Aufgaben statt mit blindem Aktionismus mit einer Lösungsstrategie anzugehen.
8. Haben Sie sich durch en Aufgabentext gekämpft und begriffen, worauf es ankommt? Die meisten Feststellungen dort sind Hintergrundinformationen zum Verständnis des Problems und als solche nützlich,
für die eigentliche Rechnung aber zweitrangig.
Die Reaktionsfläche verringert sich, damit das Produkt und demzufolge muß weniger einströmen. Andererseits wird auch die Einströmfläche kleiner. Es ist zunächst nicht abzusehen, ob die Einströmgeschwindigkeit im Resultat zu- oder abnehmen muß.
Aber das ist schnell berechnet. Zunächst sei jedoch festgestellt, daß das Problem nicht in der ganzen
Säule betrachtet werden muß, sondern nur in einer Querschnittsfläche, also zweidimensional. Der Einfluß bekommt dadurch die Maßeinheit kg · m−1 · s−1 statt üblicherweise kg · m−2 · s−1 .
Die Reaktionsfläche ist jetzt 3642 mm2 − 972 mm2 = 123 087mm2 anstelle 3642 mm2 = 132 496mm2 , sie
hat sich also um den Faktor 123 087mm2 : 132 496mm2 = 0.9290 verringert.
Demgegenüber ist die Einflußlänge (entspricht der Fläche) um den Faktor (364mm−97mm) : 364mm =
267mm : 364mm = 0.7335 = 1/1.3633 kleiner geworden. Um pro Zeiteinheit 0.9290M Flüssigkeit ins
Volumen zu bekommen hätte man bei der vollen Fläche die Fließgeschwindigkeit um den Faktor 0.9290
reduzieren müssen. Die Verkleinerung der Fläche vergrößert diesen Wert aber wieder um den Faktor
1.3633, so daß insgesamt
0.9290 · 1.3633 = 1.267
resultiert.
Die Einströmgeschwindigkei muß im vorliegenden Fall also wachsen, und zwar um knapp 27%.
Die Rechnung war nicht kompliziert, aber ein typisches Beispiel für eine beliebte Vorgehensweise:
Gegebene Zahlen werden so früh als möglich in die Formel eingesetzt. Damit verstellt man sich den
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Bick auf das Wesen des Problems (Man sieht den Wald vor Bäumen nicht.) und tastet unötig heftig
auf dem Taschenrechner herum.
Zahlen enthalten in der Regel mehr als eine Ziffer, von der Maßeinheit ganz zu schweigen. Ersetzt man
sie durch Buchstaben, so hat man es nur noch mit einem Zeichen zu tun. Die Schreibarbeit verringert
sich, die Formeln werden kürzer und übersichtlicher. Aus einer 0.9290 wird in der Hitze des Gefechts
schnell mal eine 0.9209, einem a kann man so etwas schwerlich antun.
Also, sei a die Seitenlänge des großen Quadrats, d. h. die Breite der Säule, und b die des ausgesparten
Quadrats. Die Verminderung der Querschnittsfläche erfolgt um den Faktor (a2 − b2 ) : a2 .
Die alte Seitenlänge verhält sich zur verbleibenden wie a zu a − b.
Für den Änderungsfaktor der Einströmgeschwindigkeit gewinnt man die Formel
a
(a + b)(a − b)a
a+b
b
a2 − b2
·
=
=
=1+ .
2
2
a
a−b
a (a − b)
a
a
Schau an, die dritte binomische Formel! Das fiel einem in der Zahlenrechnung gar nicht auf.
Man braucht auch nur 97mm/364mm = 0.266 483 516 zu rechnen und keinen Gedanken auf mögliche
Rundungsfehler im Verlaufe der Rechnung zu verschwenden.
Und man erkennt: Die Einströmgeschwindigkeit muß für alle (positiven) Werte von a und b erhöht
werden.
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