Univ.-Doz. Dr. Christof EBNER Facharzt für Immunologie und Leiter des Allergieambulatoriums am Reumannplatz, Wien Unterschätzte Allergie, vergebene Chancen Es braucht neue Wege und Betreuungsprogramme, um Allergiker für effektiven Therapien zu motivieren Wien, 3. März 2011 – Zwei Drittel der Allergiker gehen erst zum Arzt, wenn ihre Beschwerden unerträglich werden. Nur wenige Allergiker nutzen die modernen Behandlungsoptionen bzw. brechen viele ihre effektiven Therapien wieder ab. Die Folgen sind Verschlechterung der allergischen Erkrankung und der Lebensqualität sowie erhöhte volkswirtschaftliche Kosten. Bewährte und neue Wege können Allergiker motivieren und unterstützen. Allergien nehmen epidemisch zu. Zurzeit leidet etwa jeder Vierte der industrialisierten Bevölkerung an einer Allergie. Während in manchen europäischen Ländern inzwischen ein Plateau erreicht ist, steigen allergische Erkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen (med. allergische Rhinitis) und Neurodermitis (med. atopisches Ekzem) bei österreichischen Kindern weiterhin an 1. Eine Allergie der Atemwege entwickelt sich meist schleichend. Anfangs wird meist nur ein leichtes Augenjucken bemerkt, im nächsten Jahr der Blütezeit kommt Schnupfen dazu und in der darauffolgenden Pollensaison verstärken sich die Symptome, die sehr oft als (grippaler) Infekt missinterpretiert werden. Erst nach mehreren Jahren wird vielen bewusst, dass die Atemwegsbeschwerden immer zur selben Jahreszeit auftreten und somit höchstwahrscheinlich auf eine Allergie zurückzuführen sind. Doch auch dann werden die Beschwerden häufig nicht ernst genommen: Rund zwei Drittel aller Allergiker gehen erst dann zum Arzt, wenn ihre Beschwerden unerträglich werden2, d.h. wenn ihre Lebensqualität durch Schlafstörungen, Leistungsabfall in der Arbeit bzw. Schule oder bei Freizeitaktivitäten etc. stark beeinträchtigt ist3. Im Schnitt vergehen von ersten Allergie-bedingten Symptomen bis zur fachärztlichen Diagnose 6 bis 9 Jahre. Bis dahin wird die Allergie entweder gar nicht, mit selbst organisierten rezeptfreien Medikamenten oder alternativen Therapiemethoden behandelt. Studiendaten zeigen, dass rund die Hälfte aller Allergiker nie einen Allergietest gemacht hat und deswegen auch keiner adäquaten Therapie zugeführt wurde. Das ist insofern problematisch als bekannt ist, dass der allergische Schnupfen der 1 Schernhammer et al., Pediatric Allergy Immunology 2008 Maurer, M./Zuberbier, T.: Allergy 2007: 62: 1057-1063. Befragung von 2.966 Patienten mit allergischer Rhinitis (Heuschnupfen) aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien 3 Valovirta E. et al.; Curr Opin Allergy and Clin Immunol 2008; 8: 1-9 / Sundberg R. et al.; J Adolesc Health 2007; 40:581-583 2 wichtigste Wegbereiter und somit Risikofaktor für allergisches Asthma ist. Fast ein Drittel aller Patienten mit allergischem Schnupfen entwickelt im Laufe der Allergikerkarriere Asthma – eine chronische Lungenkrankheit, die mit Atemnot und einer massiven Einschränkung der Leistungsfähigkeit einhergeht. Dazu kommt das Risiko, weitere Allergien zu entwickeln. Allergietest ist die Basis der Therapie: Entscheidend ist daher, selbst leichte Formen der Allergie nicht zu unterschätzen und etwas zu tun, bevor sich die Entzündung weiter ausbreiten kann oder weitere Sensibilisierungen entstehen. Der Allergietest beim allergologisch geschulten Facharzt ist die Basis für die Allergenvermeidung, die bei manchen Allergien ausreichend sein kann. Möglichkeiten können u.a. die Trennung vom allergieauslösenden Haustier oder die Wohnraumsanierung bei Hausstaubmilben- oder Schimmelpilzallergie sein. Antiallergische Medikamente ... Da bei Heuschnupfen eine Allergenkarenz nur sehr bedingt möglich ist, werden meist antiallergische Medikamente verschrieben, die die Entzündungen an den Schleimhäuten der Atemwege bekämpfen und so der Ausbreitung und Verschlechterung der Symptome entgegenwirken. Eine sogenannte "bei Bedarf"-Behandlung wird heute nicht mehr empfohlen. Der in Leitlinien empfohlene Therapiestandard sieht bei Heuschnupfen die tägliche Einnahme eines Antiallergikums über die gesamte Blüteperiode vor. Diese Medikamente sind ungefährlich und dürfen auch von Kindern regelmäßig eingenommen werden. Bei stärkeren Symptomen werden zusätzlich entzündungshemmende Nasensprays gegeben, die je nach Problematik Antihistamine oder Cortison enthalten. Auch diese Präparate sind selbst bei längerer örtlicher Anwendung erwiesenermaßen ungefährlich. ... und spezifische Immuntherapie Die nächste Therapiestufe laut ARIA-Guidelines der WHO4 stellt die spezifische Immuntherapie (Abk. SIT) dar, die bei mittlerem bis hohem Leidensdruck indiziert ist. Sie ist die einzige ursächliche Therapie von Atemwegsallergien und kam vor genau 100 Jahren das erste Mal zum Einsatz. Die SIT (auch bekannt unter den Begriffen Allergie-Impfung oder Hyposensibilisierung) lindert nicht nur allergische Symptome, sondern bekämpft gleichzeitig die Ursache der Allergie. Sie kann eine Allergie langfristig bessern und teilweise sogar völlig ausheilen. Dies gelingt, indem direkt in den Krankheitsprozess eingegriffen und der Körper langsam und behutsam an das Allergen gewöhnt wird. Dafür wird in regelmäßigen Abständen die allergieauslösende Substanz injiziert bzw. unter die Zunge getropft, sodass das überempfindliche Immunsystem nicht mehr auf die an sich harmlosen Allergene (z.B. Pollen) reagiert. Für Gräserpollenallergiker steht die Allergie-Impfung inzwischen auch in Tablettenform zur Verfügung5. Die Gräsertabletten sind eine komfortable und höchst effektive Alternative zur Spritzenkur und sind für Erwachsene und Kinder ab 5 Jahren zugelassen. Damit die spezifische Immuntherapie rechtzeitig wirken kann, müssen Allergiker mit der Behandlung – egal ob mittels Injektion, Tropfen oder Tablette – je nach Präparat mindestens zwei, besser aber drei bis vier Monate vor der erwarteten Pollensaison beginnen. Durchhaltevermögen entscheidet über Therapieerfolg 4 ARIA - Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma 5 Hinweis für medizinische Fachmedien: Grazax® und Oralair® Es ist nicht einfach, eine etablierte allergische Immunreaktion langfristig zu beeinflussen. Deshalb dauert die Immuntherapie in der Regel drei, manchmal sogar bis zu fünf Jahre. Hier heißt es durchhalten! Nur wer das vorgeschriebene Behandlungsschema konsequent durchführt, hat den gesamten, durch unzählige Studien gesicherten Therapieerfolg zu erwarten. Die Erfolgsrate der spezifischen Immuntherapie kann über 90 Prozent betragen. Kaum eine andere Therapieform in der Medizin ist derart effizient. Dennoch brechen bis zu 75 Prozent der Patienten ihre Therapie vorzeitig ab – die meisten bereits nach der ersten Verordnung bzw. innerhalb des ersten Therapiejahres 6. Das bedeutet eine Verschlechterung der allergischen Entzündung und der Lebensqualität sowie zusätzliche volkswirtschaftliche Kosten durch erhöhten Bedarf an Medikamenten, Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten sowie vermehrte Krankenstände bzw. Fehlzeiten in der Schule. Die spezifische Immuntherapie stellt also sowohl für den Arzt, der den Patienten regelmäßig zum Weitermachen motivieren sollte, wie auch für den Patienten, dessen Wille zur Mitarbeit bei diesem Projekt entscheidend ist, eine große Herausforderung dar. Natürlich gibt es auch medizinische Gründe eine Impfkur zu beenden. Letztlich ist für die sog. Therapietreue (med. Compliance bzw. Adherence) des Patienten aber fast immer sein eigenes Durchhaltevermögen entscheidend. In den gültigen Therapie-Leitlinien ist schlechte Compliance sogar als Kontraindikation festgehalten. Das Durchhaltevermögen wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Allem voran das Vertrauensverhältnis zum Arzt und die Art der Betreuung7. Dazu kommen empfundener Leidensdruck bzw. das Gefühl, durch eine Allergie nicht ernsthaft bedroht zu sein. Weitere Faktoren sind Erwartungshaltung an den Behandlungserfolg und dessen Wahrnehmung, Verständnis für Krankheit und Therapie und die Notwendigkeit der Fortführung, wenn gerade keine Beschwerden spürbar sind. Ebenso Überdruss durch die mehrjährige Behandlung sowie die Angst vor, weniger jedoch das tatsächliche Auftreten von, Nebenwirkungen. Auch Geschlecht und Alter spielen eine Rolle. Frauen sind meist kooperativer, jüngere Männer tendenziell weniger therapietreu und bei älteren Menschen wirkt sich Vergesslichkeit und Multimorbidität ungünstig aus. Studien zeigen, dass die Einhaltung der Therapie in dem Maße abnimmt, wie die Komplexität und die Dauer der Behandlung zunehmen. Darauf aufbauend müssen Wege der Patientenmotivation gefunden werden, um die hohe Rate der Therapieabbrüche zu reduzieren. 6 7 Aschemann et al., Pädiatrische Allergologie 14/1-2011 Bergmann et al., Allergo J 2000; 9: 480–8 Schlüssel für verbesserte Compliance Untersuchungen zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen, das der Patient in seinen Arzt hat, und seiner Compliance. Funktioniert die Zusammenarbeit, wirkt sich das unmittelbar positiv auf die Einhaltung festgelegter Therapieziele aus. Die Einbindung des Patienten in die Behandlungsplanung, das gemeinsame Definieren von erkenn- und erreichbaren Zielen, verständliche und begründete Empfehlungen, das Aufzeigen von Risiken und möglichen Nebenwirkungen sowie regelmäßige Kontrolluntersuchungen können helfen, die Therapietreue zu steigern. Weitere wesentliche Parameter sind Maßnahmen zur Unterstützung des Patienten im Alltag sowie die patientengerechte Aufklärung und die Möglichkeit, Antworten auf individuelle Fragen zu bekommen. Ersteres sind beispielsweise Erinnerungshilfen, die Patienten per E-Mail oder SMS auf Arzttermine, die Einnahme der Medikamente und neue Rezepte hinweisen. Darüber hinaus gibt es unterstützende Maßnahmen, die die Medikamenteneinnahme mit täglichen Routinehandlungen verknüpfen: z.B. durch Tablettenspender oder Wochenplaner, die an den Badezimmerspiegel geklebt werden etc. Patienten gaben in Untersuchungen an, mehr als die Hälfte der Informationen, die sie im Zuge des Arztgespräches – meist eine Stresssituation – bekamen, nicht behalten zu können. Dazu kommen die falsch verstandenen. Um ein besseres Verständnis für die Therapie zu erreichen, braucht es verständliche und wissenschaftlich abgesicherte Information, auf die auch außerhalb der Arztpraxis zugegriffen werden kann. Der neue Service auf der Website der Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung (IGAV) – das „Forum Immuntherapie“ unter www.allergenvermeidung.org – kann hier Abhilfe schaffen (siehe factsheet in der Pressemappe). Kontakt für Journalisten-Rückfragen: Univ.-Doz. Dr. Christof Ebner Facharzt für Immunologie und Leiter des Allergieambulatoriums am Reumannplatz, Wien T: 01 / 604 24 70 E: [email protected]