PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Fall 6: Alchian (A) und Demsetz (D) betreiben unter dem Namen „ChicagoCarrier“ einen gemeinsamen Fahrradkurierdienst in Berlin. Die Fahrräder haben A und D mit gemeinsamen Mitteln angeschafft. Außerdem haben sie verabredet, dass A für Abrechnungen und Auftragsentgegennahme zuständig sein soll, während D den „Außendienst“ organisiert. Im Gesellschaftsvertrag haben sie daher Einzelgeschäftsführungsbefugnis und Einzelvertretungsmacht der Gesellschafter vereinbart. Gemeinsame Geschäftsräume existieren nicht; mit den organisatorischen Aufgaben befassen sie sich jeweils in ihren Wohnungen, die Fahrräder stehen im Keller des Mietwohnhauses, in dem A wohnt. Die Fahrten führen Studenten durch, die dafür stundenweise entlohnt werden. In dringenden Fällen fahren A und D auch selbst. Eines Tages beauftragt eine Charlottenburger Wirtschaftskanzlei den „ChicagoCarrier“ damit, eine wichtige Eilsendung nach Mitte zu bringen. D selbst macht sich daraufhin mit der Sendung auf den Weg. Da er in Eile ist, übersieht er an einer Kreuzung eine rote Ampel und fährt die Rentnerin R an. Diese wird verletzt. Frage 1: R verlangt Ersatz für die ihr entstandenen ärztlichen Behandlungskosten in Höhe von 2000 €. An wen kann sie sich halten? Frage 2: Auch mit A gibt es Ärger: obwohl er in eigenen Angelegenheiten etwas nachlässig ist, hat er es übernommen, eine Gesellschaftsforderung gegen den X einzuziehen. Er schickt X jedoch nur eine Mahnung zu, so dass die Forderung verjährt. Als X bei Inanspruchnahme die Zahlung verweigert, fordert D den A zur Ersatzleistung auf. A erklärt, er habe eine Mahnung für ausreichend gehalten, da die Forderungen des „ChicagoCarrier“ bisher immer nach einmaliger Mahnung beglichen worden seien. Steht der Gesellschaft gegen A ein Anspruch auf Ersatzleistung in die Gesellschaftskasse zu? Frage 3: Um die Abrechnungen zu erleichtern, bestellt A im Januar 2008 namens der Gesellschaft bei E einen neuen Computer im Werte von 2.000 €, der im April 2008 geliefert wird. Im Mai 2008 wird der vermögende C als Gesellschafter in die Gesellschaft und sogleich in den Briefkopf aufgenommen. Da der Kaufpreis für den Computer noch nicht gezahlt wurde, verlangt E diesen nunmehr von C. Zu Recht? Vertiefung a) Konstellation von Frage 3 mit folgender Abwandlung: A und D betreiben keinen Kurierdienst, sondern sind Anwälte und bilden eine Zwei-Mann-Sozietät. Im Februar 2008 stellen Sie den promovierten Junganwalt J bei sich an. Obwohl J nur als angestellter Anwalt arbeitet, führen sie J als Partner auf dem Briefkopf, da sich der Doktortitel so gut macht. Kann E den J wegen der Rechnung in Anspruch nehmen? b) Auf dem Weg zum Gericht übersieht J eine rote Ampel und fährt die Rentnerin R an. An wen kann sich R halten? 1 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Lösung Fall 6 Frage 1: Ansprüche der R Gegen D A. § 823 I BGB D hat durch den Unfall in adäquat kausaler Weise die körperliche Integrität und die Gesundheit der R und damit durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgüter verletzt. Diese Handlung hat auch zu einem adäquat kausalen Schaden geführt, der zu ersetzen ist. Der Umfang des Schadensersatzes bestimmt sich nach § 249 II 1 BGB; er beläuft sich auf die ärztlichen Behandlungskosten in Höhe von 2000 €. B. § 823 II BGB iVm. § 229 StGB Auch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gem. § 823 II BGB wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB und damit Verletzung eines Schutzgesetzes iSv § 823 II BGB sind gegeben. Exkurs: Verkehrsunfälle Denken Sie bei Verkehrsunfällen auch immer an §§ 7 ff. StVG ! Diese sind in der Praxis wichtiger als §§ 823 ff., weil sie weniger hohe Darlegungsanforderungen, da es sich um eine Gefährdungshaftung handelt. Hier nicht einschlägig, da kein Kraftfahrzeug. Gegen „ChicagoCarrier“ C. § 823 I BGB iVm § 124 I HGB R könnte ein Anspruch gem. § 823 I BGB iVm § 124 I HGB gegen „ChicagoCarrier“ auf Ersatz der ihr entstandenen Behandlungskosten zustehen. Dies setzt voraus, dass es sich bei „ChicagoCarrier“ um eine OHG handelt, die R an einem ihrer durch § 823 I BGB geschützten Rechtsgüter einen Schaden zugefügt hat. I. Vorliegen einer im Außenverhältnis wirksamen OHG Bei „ChicagoCarrier“ müsste es sich um eine im Verhältnis zu Dritten wirksame OHG handeln. 1. Wirksamkeit im Außenverhältnis gem. § 123 I HGB „ChicagoCarrier“ ist nicht im Handelsregister eingetragen, so dass es sich nicht um eine gem. § 123 I HGB im Außenverhältnis wirksame OHG handelt. 2. Wirksamkeit im Außenverhältnis gem. § 123 II HGB Bei „ChicagoCarrier“ könnte es sich um eine gem. § 123 II HGB im Außenverhältnis wirksame OHG handeln, wenn sie bereits vor Eintragung im Handelsregister ihre Geschäfte aufgenommen hat. „ChicagoCarrier“ ist schon im Geschäftsverkehr mit dem Ausführen von Kurierdiensten in Berlin tätig. Bei dem Geschäftsgegenstand von „ChicagoCarrier“ müsste es sich jedoch gem. § 123 II a.E. HGB um das Betreiben eines Handelsgewerbes iSv § 1 HGB handeln. Gem. § 1 II HGB ist ein Handelsgewerbe jeder Gewerbebetrieb, der nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, was sich aus einer Gesamtschau im Einzelfall ergibt. Angaben über den Umfang des von A und D betriebenen Kurierdienstes liegen nicht vor. Die Fahrten werden von Studenten durchgeführt, die stundenweise entlohnt werden, so dass es sich bei ihnen nicht um 2 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Festangestellte handelt. Eine Lagerhaltung findet nicht statt. All dies spricht gegen das Bedürfnis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes. Eine Wirksamkeit im Außenverhältnis gem. § 123 II HGB scheidet somit aus. II. Ergebnis Bei „ChicagoCarrier“ handelt es sich somit nicht um eine OHG, ein Anspruch gem. § 823 I BGB iVm § 124 I HGB kommt daher nicht in Betracht. Vorüberlegung §§ 823 I, 705 BGB R könnte dennoch ein Anspruch gem. § 823 I BGB auf Ersatz ihrer Behandlungskosten gegen „ChicagoCarrier“ zustehen, wenn es sich dabei um eine GbR handelte. I. Vorliegen einer rechtsfähigen Gesellschaft in Form einer GbR Fraglich ist zunächst, ob es sich bei „ChicagoCarrier“ um eine selbständige Zuordnungseinheit handelt. Dies wäre der Fall, wenn es sich bei „ChicagoCarrier“ um eine rechtsfähige Gesellschaft handelte. 1. Gesellschaftsvertrag einer GbR, § 705 BGB Dazu bedarf es zunächst eines zwischen A und D abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages iSv § 705 BGB. Ein solcher liegt vor. 2. (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR Weiterhin bedarf es der Rechtsfähigkeit der GbR. Zumindest eine nach außen auftretende GbR ist als eigenständiges Rechtssubjekt anzusehen (vgl. Lösung Fall 5, S. 4 ff; Grundsatzentscheidung BGHZ 146, 341 ff). Von einer Außen-GbR ist auszugehen, wenn sie unter eigenem Namen am Rechtsverkehr teilnimmt, eine der Teilnahme am Rechtsverkehr dienende Handlungsorganisation aufweist sowie über ein Gesamthandsvermögen verfügt. Unter dem Namen „ChicagoCarrier“ führen A und D Kurierdienste durch. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Aufgaben sind auf A und D verteilt, ferner ist abweichend von § 709 BGB Alleingeschäftsführung vereinbart, so dass eine der Teilnahme am Rechtsverkehr dienende Organisationsstruktur gegeben ist. Das Gesellschaftsvermögen besteht zumindest aus den aus gemeinsamen Mitteln angeschafften Fahrrädern, so dass „ChicagoCarrier“ über ein Gesamthandsvermögen verfügt. Folglich handelt es sich bei „ChicagoCarrier“ um eine Außen-GbR und damit um ein eigenständiges Rechtssubjekt. II. Rechtsgutsverletzung durch „ChicagoCarrier“ Die GbR müsste jedoch ein Rechtsgut der R verletzt haben. Dies ist nicht der Fall, „ChicagoCarrier“ selbst hat kein Rechtsgut der R verletzt. Mithin scheidet ein Anspruch der R gem. §§ 823 I, 705 BGB gegen „ChicagoCarrier“ aus. D. § 831 BGB Der R könnte ein Anspruch gem. § 831 BGB auf Ersatz ihrer Behandlungskosten gegen die GbR zustehen, wenn D von der GbR zu einer Verrichtung bestellt worden ist, bei deren Ausführung er der R den Schaden zugefügt hat. Maßgeblich ist also, ob D als Verrichtungsgehilfe tätig geworden ist. Zu einer Verrichtung bestellt ist derjenige, dem von einem anderen, in dessen Einflussbereich er sich allgemein oder im konkreten Fall befindet 3 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden ist. Das in diesem Zusammenhang geltende Weisungsrecht besagt, dass der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit nach Zeit, Dauer und Umfang bestimmen kann (PalandtSprau, BGB § 831 Rn 5; BGHZ 45, 311, 313). Dies trifft auf das Verhältnis zwischen D und der GbR, deren zur Einzelgeschäftsführung und –vertretung berechtigter Gesellschafter er ist, nicht zu. Ein Anspruch gem. § 831 BGB scheidet mithin aus. E. § 823 I iVm § 31 BGB analog R könnte gegen die GbR ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 I iVm § 31 BGB zustehen. Dies setzt voraus, dass D eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat, die der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. § 31 BGB zuzurechnen ist. I. Direkte Anwendbarkeit des § 31 BGB Die GbR ist kein Verein, so dass § 31 BGB keine direkte Anwendung findet. II. Analoge Anwendung des § 31 BGB § 31 BGB könnte jedoch analoge Anwendung finden. § 31 BGB rechnet dem Verein das Handeln seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter zu und ist somit Ausdruck der Organtheorie. § 31 BGB ist daher analog bei anderen juristischen Personen, die durch Organe handeln, anwendbar. Gleiches gilt für oHG und KG (BGHZ 45, 312), sowie mittlerweile für die GbR. Letzteres wurde früher mit dem Argument verneint, die GbR weise „keine körperschaftliche Struktur“ auf und verfüge daher über keine „Organe“ (ältere Auffassung: Zurechnung über § 831 BGB). Die heute h.M. geht davon aus, dass die rechtsfähige GbR auch körperschaftlich strukturiert sein kann und sich ein zum Schadensersatz verpflichtendes Handeln ihrer (geschäftsführenden) Gesellschafter gemäß § 31 BGB analog zurechnen lassen muss (vgl. BGH NJW 2003, 1445). Dies ist der Fall, wenn sie eine der OHG vergleichbare Organisation aufweist und sie als Gesamthandsgesellschaft nach außen auftritt und deshalb organschaftlich vertreten wird. Dies trifft auf „ChicagoCarrier“ zu, so dass § 31 BGB analog anzuwenden ist. III. Voraussetzungen des § 31 BGB 1) Persönlicher Anwendungsbereich: Der persönliche Anwendungsbereich erfasst den Vorstand sowie den „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“. Bei D, dem persönlich haftenden, vertretungsberechtigten Gesellschafter, handelt es sich um den verfassungsmäßig berufenen Vertreter der GbR; damit ist der persönliche Anwendungsbereich eröffnet. 2) zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des D (+), s.o. 3) „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ D müsste „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“, d.h. in „amtlicher“ Eigenschaft den Schaden verursacht haben. Zwischen seinem Aufgabenkreis und der schädigenden Handlung muss ein sachlicher, nicht bloß zufälliger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang bestanden haben. D hat den 4 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Unfall verursacht, als er eine Lieferung seines Kurierdienstes selbst ausgetragen hat, mithin in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen. IV. Rechtsfolge: Haftung des Gesellschaftsvermögens Die GbR, der das Verhalten des D zuzurechnen ist, haftet mit ihrem Gesellschaftsvermögen für den Ersatz der Behandlungskosten der R. F. § 823 II iVm § 31 BGB analog iVm § 229 StGB (+) Gegen A G. § 823 BGB iVm § 128 HGB analog I. Anwendbarkeit von § 128 HGB Fraglich ist, ob § 128 HGB analoge Anwendung finden kann, denn die §§ 705 ff BGB enthalten keine entsprechende Regelung. In Fall 5 wurde bereits die Problematik besprochen, dass nach nunmehr herrschender Ansicht auf der Grundlage der Akzessorietätstheorie die Gesellschafter einer GbR gem. § 128 HGB analog für die vertraglich begründeten Verpflichtungen der GbR einzustehen haben (vgl. Lösung Fall 5, S. 10 ff. – Wiederholen Sie an dieser Stelle den Meinungsstreit bitte kurz und überlegen Sie sich die Argumente zu den beiden Positionen!). Damit kommt es nun hier darauf an, ob diese Grundsätze der akzessorischen Haftung gem. § 128 HGB analog auch für gesetzliche Verbindlichkeiten (im Gegensatz zu rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten) z.B. im Rahmen des Deliktsrechts anzuwenden sind. Dazu führt der BGH aus: „Es gibt keinen überzeugenden Grund, diese Haftung auf rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten zu beschränken. (...) Die ausnahmslose Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten ist zudem im Modell der akzessorischen Haftung angelegt; ohne sie bliebe die Rechtssubjektivität der Gesellschaft bürgerlichen Rechts unvollkommen.“ (BGH NJW 2003, 1445). Folglich begreift der BGH die Haftung der Gesellschafter als eine umfassende, die nicht auf rechtsgeschäftlich eingegangene Verbindlichkeiten beschränkt bleibt. II. Verbindlichkeit der GbR (+), s.o. unter E. III. A ist Gesellschafter der GbR (+) IV. Rechtsfolge R kann A persönlich gem. § 823 BGB iVm § 128 HGB analog auf Ersatz der ihr entstandenen Behandlungskosten in Anspruch nehmen. H. Ergebnis (Verhältnis der Ansprüche untereinander): D, die Gesellschaft, sowie A haften gegenüber der R. Es gibt kein Vorrangverhältnis zwischen den unterschiedlichen Vermögensmassen. Damit kann die Gläubigerin R sich auch bei deliktischen Ansprüchen der vorliegenden Art aussuchen, gegen wen sie vorgeht. (Beachte: D haftet natürlich nicht nur als deliktischer Schädiger direkt aus § 823 I BGB, sondern auch als Gesellschafter der GbR gem. §§ 823 I, II BGB, § 31 BGB analog, § 128 HGB analog.) 5 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Frage 2: Anspruch der Gesellschaft „ChicagoCarrier“ gegen A gem. §§ 280 I 1, 705 BGB D könnte gegen A ein Anspruch auf Ersatzleistung in die Gesellschaftskasse gem. §§ 280 I 1, 705 BGB wegen Verletzung seiner Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag geltend machen. I. Schuldverhältnis Der Gesellschaftsvertrag zwischen A und D stellt ein Schuldverhältnis iSv § 280 I 1 BGB dar. II. Pflichtverletzung Dies setzt zunächst eine Pflichtverletzung des A voraus. Allgemein bestimmt sich der Pflichtenrahmen eines geschäftsführenden Gesellschafters nach § 713 BGB, der insoweit auf das Auftragsrecht, §§ 664-670, verweist. Nach dem Gesellschaftsvertrag ist A für Abrechnungen zuständig. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gebot es dem A, sich über geeignete Maßnahmen zur Hemmung/Neubeginn der Verjährung zu informieren. Dabei hätte er festgestellt, dass die Verjährung entweder durch das Anerkenntnis des Schuldners neu beginnt (§ 212 I Nr. 1 BGB), oder durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruches gehemmt wird (§ 204 I Nr. 1 BGB), eine Mahnung hingegen ohne Einfluss auf die Verjährung bleibt. Indem er dies nicht getan hat, hat A seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verletzt. III. Schuldhaftigkeit der Pflichtverletzung Die Pflichtverletzung des A müsste schuldhaft iSd § 276 BGB erfolgt sein. Grundsätzlich hat er somit Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verantworten, sofern nicht ein anderer Haftungsmaßstab bestimmt ist. Bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt hätte A erkennen müssen, dass seine Kenntnisse und Erfahrungen zur Beurteilung der Verjährungsfrage nicht ausreichen; demnach hätte er schuldhaft (iSv Fahrlässigkeit) gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Allerdings könnte hier ein anderer Haftungsmaßstab gelten: gem. § 708 BGB hat A in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. § 708 BGB beruht auf dem Gedanken, dass die Gesellschafter aufgrund ihrer engen persönlichen Zusammenarbeit sich so akzeptieren müssen, wie sie sind. Die Vorschrift setzt daher voraus, dass die Gesellschafter bei ihrem Handeln überhaupt einen gewissen Spielraum haben, in dessen Rahmen ihnen ihre individuellen Schwächen nachgesehen werden können. Im Straßenverkehr, in dem für alle Teilnehmer die gleichen Anforderungen gelten, ist dies nicht der Fall, so dass § 708 BGB auf Pflichtverletzungen bei Teilnahme am Straßenverkehr nicht anwendbar ist. § 708 BGB ist jedoch dispositiv, so dass die Gesellschafter die Haftung für jede Fahrlässigkeit auch vereinbaren können. (s. zur Problematik Hüffer, Gesellschaftsrecht, 7. Auflage 2007, S. 88 f.) Angesichts seiner Unkenntnis und der früher mit einer einfachen Mahnung erzielten Erfolge war von A auch in Wahrnehmung eigener Angelegenheiten nicht mehr an Umsicht zu erwarten, als er gezeigt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass er nicht das beachtet hat, was jedermann hätte einleuchten müssen. Es fehlt somit an einer schuldhaften Pflichtverletzung. 6 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 D kann gegen A keinen Anspruch gem. §§ 280 I 1, 705 BGB auf Ersatzleistung an die Gesellschaft geltend machen. Frage 3 Anspruch des E gegen C gem. § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 130 I HGB analog E könnte gegenüber C ein Anspruch gem. § 433 II BGB iVm § 130 I HGB analog auf Zahlung des Kaufpreises zustehen. Dies setzt neben einem wirksamen Kaufvertrag zwischen E und der Chicago Carrier GbR voraus, dass auch der C persönlich für die vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet. I. Sachlicher Anwendungsbereich: bestehende Gesellschaft (analoge Anwendbarkeit des § 130 I HGB) Zunächst müsste § 130 I HGB anwendbar sein. Dem Wortlaut nach setzt er das Bestehen einer Gesellschaft voraus. Da er sich im Abschnitt über die Regeln über die OHG befindet, gilt er für diese, sowie gem. § 161 I HGB für die KG. Für die GbR gibt es keine entsprechende Regelung im BGB, so dass § 130 I HGB auf sie allenfalls analoge Anwendung finden kann. Die analoge Anwendung einer Norm setzt das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage mit dem durch die Analogie zu regelnden Problem voraus. 1. planwidrige Regelungslücke Eine Haftung des eintretenden Gesellschafters in die GbR ist nicht gesetzlich geregelt, so dass diesbezüglich eine Regelungslücke besteht. Diese ist insoweit planwidrig, als bei Fassung der §§ 705 ff BGB nicht abzusehen war, dass sich aus der als Gesamthand konzipierten Gesellschaft bürgerlichen Rechts die unternehmerisch tätige Außen-GbR entwickeln würde, die zudem eine Anerkennung als (teil)rechtsfähige Zuordnungseinheit von Rechten und Pflichten durch die Rechtsprechung erfahren würde. 2. vergleichbare Interessenlage Hinsichtlich der Haftung des eintretenden Gesellschafters in eine Personengesellschaft, sei es in Form einer OHG oder in Form einer GbR, besteht aus verschiedenen Gründen zudem eine vergleichbare Interessenlage. So entspricht die Haftung aller Gesellschafter dem Wesen der Personengesellschaft, die kein zu Gunsten ihrer Gläubiger gebundenes garantiertes Haftungskapital besitzt, sowie ihren Haftungsverhältnissen. Können die Gesellschafter jederzeit auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen, dient die persönliche Haftung als notwendiges Gegenstück zum Fehlen von Kapitalerhaltungsvorschriften. Dies gilt auch für den neu eintretenden Gesellschafter, der mit dem Erwerb seiner Gesellschafterstellung eine Zugriffsmöglichkeit auf das Gesellschaftsvermögen erlangt. Somit muss er demselben Haftungsregime wie die Altgesellschafter unterliegen. BGHZ 154, 370-378: Dabei handelt es sich keineswegs um ein überraschendes Geschenk an die Gläubiger, sondern um das wohlbegründete Ergebnis einer Abwägung der legitimen Interessen der Gläubiger und des Neueingetretenen. Die Gesetzeskonformität dieser Abwägung wird dadurch belegt, dass das 7 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 deutsche Recht überall dort, wo es eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, zumindest eine grundsätzliche Mithaftung neu eintretender Gesellschafter vorsieht, so außer in § 130 HGB auch in § 173 HGB und § 8 PartGG. Die innere Berechtigung des damit gesicherten Gläubigerschutzes ist umso fundierter, als ohne ihn eine Haftung neu eintretender Gesellschafter für alle vor ihrem Eintritt „begründeten“ Verbindlichkeiten ausgeschlossen wäre. „Begründet“ ist die Verbindlichkeit bzw. Forderung nach überkommenem Verständnis, sobald ihr Rechtsgrund gelegt ist. Ohne eine haftungsmäßige Gleichstellung von Alt- und Neugesellschaftern bräuchten letztere bei werdenden Verpflichtungen nicht aufzukommen, sofern nur das Rechtsverhältnis selber davor begründet worden war. (...) Die vorstehenden Erwägungen machen deutlich, dass der in § 130 I HGB kodifizierte Gedanke keineswegs auf Besonderheiten gerade des handelsrechtlichen Geschäftsverkehrs beruht. Er findet seine Begründung und Rechtfertigung vielmehr in den Eigenheiten rechtsfähiger Personengesellschaften mit auf dem Prinzip der Akzessorietät aufbauender Haftungsverfassung, wie auch seine Übernahme in die moderne Kodifikation der Partnerschaftsgesellschaft (§ 8 I 2 PartGG) bestätigt. Die Annahme der Mithaftung auch des neu eingetretenen Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die bereits bei seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft ergänzt damit in rechtspraktischer und methodisch folgerichtiger Weise die Rechtsprechung des Senats, wonach bei der GbR die persönliche Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft derjenigen bei der OHG entspricht (BGHZ 142, 315; 146, 341). Exkurs: Nach der Doppelverpflichtungstheorie wurde auf die (rechtsgeschäftliche) Vertretung der Gesellschafter bei Vertragsabschluß abgestellt; d.h. durch den Vertragsschluss wurden neben der Gesellschaft auch die Gesellschafter vertreten und damit verpflichtet. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages war C noch nicht Gesellschafter, daher konnte er von A und D nicht vertreten werden. Es besteht somit auch eine vergleichbare Interessenlage zwischen der Haftung des in eine OHG eintretenden Gesellschafters und der Haftung des in eine GbR eintretenden Gesellschafters. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 130 HGB sind somit gegeben; mit der GbR liegt demnach eine bestehende Gesellschaft vor. II. Eintritt des C C müsste ferner wirksam in die GbR eingetreten sein. Entsprechend dem in § 123 HGB enthaltenen Rechtsgedanken kommt es dabei auf die Wirksamkeit nach außen an (Baumbach/Hopt, HGB, 33. Auflage 2008, § 130 Rn 6). Gem. § 123 I HGB ist dafür die Eintragung ins Handelregister maßgeblich. Diese erfolgt bei der GbR jedoch gerade nicht (wohingegen für die OHG gem. § 107 HGB eine Eintragungspflicht besteht). Somit kommt es auf den in § 123 II HGB enthaltenen Rechtsgedanken an, so dass der Beitritt erst dann wirksam ist, wenn er mit dem Einverständnis der anderen Gesellschafter nach außen vollzogen ist. Demnach müsste ein Eintritt durch Aufnahmevertrag erfolgt sein, sowie C nach außen erkennbar als Gesellschafter auftreten. Mit dem Aufnahmevertrag ist die Änderung des Gesellschaftsvertrags, die den Wechsel im Gesellschafterbestand zum Gegenstand hat, gemeint (bea.: Rechtsmängel dieser Verträge lassen die Wirksamkeit des Beitritts nach außen 8 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 unberührt, Baumbach/Hopt, HGB, 33. Auflage 2008, § 130 Rn 4). C ist im Mai in die GbR aufgenommen worden. Dies geschah auch nach außen erkennbar durch die unmittelbar im Anschluss daran erfolgte Aufnahme in den Briefkopf. Ein im Sinne des § 130 I HGB wirksamer Beitritt des C liegt somit vor. III. Verbindlichkeit der Gesellschaft vor dem Beitritt begründet - wirksamer Kaufvertrag 1. GbR als Vertragspartnerin - Verpflichtungsfähigkeit Die GbR müsste als Vertragspartnerin verpflichtet worden sein. Dies setzt zunächst voraus, dass die GbR Rechtsträgereigenschaft aufweist (Vgl. ausführlich zur Frage der schuldrechtlichen Verpflichtungsfähigkeit einer GbR: Lösung Fall 5, S. 4 ff, sowie BGHZ 146, 341). Dies ist für „ChicagoCarrier“ bereits festgestellt worden (s. unter Frage 1, D.I.2.), so dass sie verpflichtungsfähige Vertragspartnerin ist. 2. Wirksame Vertretung der Gesellschaft durch A Der Vertragsabschluss durch A müsste der GbR zuzurechnen sein, A müsste sie also wirksam gem. § 164 I 1 BGB vertreten haben. A hat eine Willenserklärung im Namen der Gesellschaft abgeben, fraglich ist allein, ob er dies im Rahmen der ihm zustehenden Vertretungsmacht getan hat. § 709 BGB sieht eine Gesamtgeschäftsführungsbefugnis aller Gesellschafter gemeinschaftlich vor; daher besteht nach § 714 BGB im Grundsatz auch Gesamtvertretungsmacht. Abweichende Vereinbarungen sind im Gesellschaftsvertrag möglich. Zwischen A und D ist eine abweichende Vereinbarung, nämlich Einzelvertretung und Einzelgeschäftsführung, getroffen worden, so dass A die Gesellschaft wirksam vertreten konnte. 3. Begründung der Verbindlichkeit vor dem Beitritt des C Die Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag müsste begründet worden sein, bevor der Beitritt des C nach außen wirksam geworden ist. Dabei kommt es auf den wirksamen Vertragsschluss an. Der Kaufvertrag ist wirksam im Januar 2008 geschlossen worden, C ist erst im Mai der GbR beigetreten, so dass die Verbindlichkeit bereits vor dem Beitritt begründet war. IV. Rechtsfolge E kann C persönlich gem. § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 130 HGB analog für die Begleichung der Kaufpreisschuld in Anspruch nehmen. Vgl. zur Haftung der GbR und deren Gesellschafter die kurze Darstellung mit Fallbeispielen bei Lingl, JuS 2005, S. 595-598; Funke/Falkner, JURA 2004, 721-728 Vertiefung: Haftung bei sog. Scheinsozius Es ist streng zu unterscheiden: Haftung des Scheinsozius für Alterverbindlichkeiten, dazu a) und Haftung der Gesellschafter und der anderen Gesellschafter für ein Handeln des Scheinsozius, dazu b). Voraussetzung hierfür ist zunächst die Setzung eines zurechenbaren Rechtsscheines, auf den der Dritte vertraut hat und vertrauen durfte (vgl. generell zu Rechtsscheinhaftung Baumbach/Hopt, HGB, § 5, Rdn. 9 ff.). a) Haftung des Scheinsozius für Altverbindlichkeiten OLG Saabrücken (NJW 2006, 2862), näher dazu Lapczyk 2006, 3391 verneint Haftung des Scheinsozius für Altverbindlichkeiten 9 PÜ Handels- und Gesellschaftsrecht Peter Schantz Sommersemester 2009 Kern(wertungs)argument: Scheinsozius keinen Einfluss und keine finanzielle Beteiligung wie ein Partner. Den hohen Haftungsrisiken stehen keine entsprechenden Chancen gegenüber b) Haftung der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter für Handeln des Scheinsozius Vertiefungshinweis: BGH v.3.5.2007 – IX ZR 218/05, ZIP 2007, 1460 = NJW 2007, 2490: Haftung bejaht. Kern(wertungs)argument: Wer sich mit einem Namen auf dem Briefkopf brüstet muss auch für das Handeln dieser Person einstehen Im den Urteilen spielt teilweise noch die Frage eine Rolle, ob bei Anwälten berufsrechtliche Ansprüche nicht unter §§ 128 ff. HGB fallen. Diese Differenzierung hat der BGH jetzt abgelehnt. Folgt man dem, kommt man zu denselben Ergebnissen wie bei Frage 1. 1 0