Ergänzung zu Schuppener Arbeitsbereiche: Wohnen, Recht, Frühförderung, Schule, Alter, Soziale Hilfen, Humangenetische Beratung,… Institutionen und Bereiche: Kliniken (arbeiten interdisziplinär mit Sozialarbeitern, Medizinern, Psychologen,…), Rehabzentren, Sonderschulen, Frühförderzentren, Werkstätten, Konstruktivistische Modelle: Fornefeld: „Es gibt nicht den Menschen mit Behinderung“, Behinderung ist mehrschichtig und keine statische Vorstellung.“ Wacker: „Menschen mit Behinderungserfahrungen“, „Ich werde behindert, und nicht ich bin behindert“. Diagnosen werden häufig zu überdramatisiert. Behinderung ist nicht unveränderlich. Negativ: Menschen mit Behinderung sind in der Vergangenheit oft behindert worden und tragen dadurch Narben, die gegenwärtig und perspektivisch Narben hinterlassen. Positiv: Menschen mit Behinderung sind kompetent und Experten in eigener Sache und hinsichtlich ihrer zurückliegenden Lebenserfahrung. Menschen mit geistiger Behinderung entwickeln ihre eigenen Strategien, um ihre Existenz zu sichern. Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e.V.: haben den Terminus der „geistigen Behinderung“ durchgesetzt. Durchsetzen konnte sich hingegen nicht der Versuch einer Selbsthilfegruppe, die auf eine Alternativbenennung „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ plädierten. Für die Bezeichnung „Menschen mit geistiger Behinderung“ spricht hingegen wieder, dass der Mensch im Vordergrund steht und nicht die Behinderung, daher sollte der Begriff der „geistigen Behinderung“ hinten angereiht werden. Probleme gibt es (nach wie vor) bei der Abgrenzung zur „Lernbehinderung“. 1 Schuppener: „Die Menschen, die den Begriff der Behinderung verstehen, akzeptieren oder ablehnen haben ein äußerst individuelles Verständnis von der Bedeutung dieser Zuschreibung.“ (Schuppener, 112) Thimm: Es gibt in der BRD ca. 350.000 Menschen mit dem Etikett der „Geistigen Behinderung“, so THIMM. KMK 2005: a.) Förderschwerpunkte: Sprache, Hören, Sehen, Lernen körperlich/motorische Entwicklung, emotional/soziale Entwicklung, geistige Entwicklung; Vor allem diese beiden markierten Schwerpunkte betrafen eine hohe Anzahl an Sonderschülern. Ursachen geistiger Behinderung: Medizin: Fokus auf Funktionen und Strukturen des Gehirns. Seidel: „Geistige Behinderung sei nicht alleine mit medizinischen Mitteln im engeren Sinne zu fassen.“ Neuhauser und Steinhausen: „Bestandsaufnahme über Stärken und Schwächen“, „organisch-/biologische + psychosoziale Grundlagen schaffen, für Behandlungsmaßnahmen schaffen. Der Behinderung wirksam entgegentreten.“ Stellen aus medizinischer Sicht primär die Ursachen und Entstehungsgeschichten vorhandener Funktionsstörungen bei Menschen mit geistiger Behinderung in den Vordergrund. 300 bis 400 Syndrome für geistige Behinderung, die oftmals nach ihrem Entdecker benannt sind, z.B. das „Down-Syndrom“ nach Langdon Down. Pränatal: Genmutationen (Stoffwechselstörungen), Fehlentwicklungen durch multiple Einflüsse wie AngelmannSyndrom, Fehlbildungen des ZNS, Chromosomenanomalien, Exogene Einflüsse, wie Infektionen, Geburtstrauma, Sauerstoffmangel,… 2 Sinken der Rate der Behinderungen: Der Einfluss der Pränataldiagnostik, die vor allem Spätgebärenden oder jungen Müttern nahegelegt wird, ist erheblich. Rd. 98% der Frauen, die durch die PND erfahren, dass ihr Kind Down-Syndrom hat, treiben das Kind ab. Perinatal: durch Geburtstraumen während der Geburt oder durch Sauerstoffmangel (Sauerstoffmangelversorgung), Frühgeburt oder Erkrankung des Neugeborenen. Postnatal: Entzündliche Erkrankungen des Gehirns, Hirnhautentzündung, Gehirnentzündung, Intoxikationen, SchädelHirntraumen, Hirntumore, Thrombosen,.. Perinatale und Postnatale Ursachen für Geistige Behinderung nehmen allerdings zu. Definitionen: Theunissen: „Geistige Behinderung als Etikett…“, dass Menschen auferlegt wurde, die auf emotionaler, kognitiver, sozialer und psychischer Ebene auf verschiedenste Bewältigungsstrategien zurückgreifen und hierfür Ressourcen zur Unterstützung in ihrer Lebensbewältigung benötigen – unter Einbezug der lebensweltbezogenen Maßnahmen.“ Kognitionspsychologische Modelle: Sarimski: „Schwierigkeiten, Zusammenhänge und Ordnungen in der Umwelt und in sozialen Beziehungen verstehen und Verhalten zu planen.“ Meyer: „Menschen mit geistiger Behinderung wird eine geringe Zahl an schwach ausgebildeten Intelligenzfaktoren zugesprochen.“ Klassifikationen: Einteilung in IQ-Klassifikationen (z.B. nach der AAMD 1959 (im anglo-amerikanischen Raum): 70 – 84 [Grenzfälle], 55- 69 [leicht], 40 – 54 [mäßig], 26 – 39 [schwer] und weniger als 25 [sehr schwer]: die ersten beiden Gruppen fallen unter 3 die Gruppe der Lernbehinderten). Von der AAMD gibt es bis heute aber eine andere, noch immer gebräuchliche Einteilung. Ebenso gab es von der WHO ein so genanntes „Drei-Stufen-Schema“ (schwere Unterentwicklung, mäßige Unterentwicklung und leichte Unterentwicklung) Solche IQ-Klassifikationen sind nur in geringem Maße aussagekräftig, da sie viele wichtige Faktoren, wie Förderbedürfnisse beispielsweise, außer Acht lassen. Sie sagen tatsächlich aber nichts aus, wie der Mensch wirklich ist. IQ-Klassifikation der ICD-10: WHO Leichte Intelligenzminderung: IQ 50 – 69 (höchster Anteil) Mittelgradige Intelligenzminderung IQ 35 – 49 Schwere Intelligenzminderung IQ 20 - 34 Schwerste Intelligenzminderung IQ unter 20 (gerings. Anteil) Anglo-amerikanischer Raum: Bezeichnungen und Klassifikationen Mental-deficiency oder auch mental retardation: umfasst Lernbehinderung und Geistige Behinderung! Slow learners bezeichnet ebenfalls Lernbehinderte. Die spätere, heute noch gebräuchliche Einteilung durch die AAMD in „Grade der geistigen Retardierung“ (od. „Behinderungsgrade“) Sehr schwer weniger als 20 4 Schwer 20 - 35 Mäßig 36 – 52 Die amerikanische Klassifikation lässt nur wenig Spielraum für soziale und Lernkompetenzen, sowie Sprachfertigkeiten. Die AAMR – American Association on mental retardation und das Doppelkriterium: AAMR benennt sich momentan wieder um, da “mental disability” weniger stigmatisierend als “mental retardation”. (frühere AAMD = American association of mental deficiency) Die Einführung des so genannten „Doppelkriteriums“ war eine Konsequenz der AAMR, welche die IQ-Klassifikation kritisierte. Das „Doppelkriterium“ berücksichtigt im Rahmen der Beschreibung einer geistigen Behinderung nicht nur das Intelligenzkriterium , sondern auch den Faktor der sozialen Anpassung. Nach ihrer Definition müssen mindestens 2 der genannten Bereiche des adaptiven Verhaltens Einschränkungen vorweisen, um von einer geistigen Behinderung sprechen zu können. Trianguläres Verständnis von geistiger Behinderung und Schwermehrfachbeeinträchtigung (Abbildung SchuppenerFolien) Geistige Behinderung + Schwermehrfachbehinderung als Konstrukt im Sinne einer „sozialen Behinderung“ (gemeint ist sozial behindert werden). Geistige Behinderung + Schwermehrfachbehinderung als Entwicklungsfähigkeit im Sinne von „Kompensation von Entwicklungsbarrieren“. Geistige Behinderung + Schwermehrfachbehinderung als subjektive Kompetenz im Sinne von der „Fähigkeit zur Selbst- und Fremdregulation“ 5 Dies läuft zusammen zum Grundverständnis von: „Geistiger Behinderung und Schwermehrfachbehinderung als Ausdruck individueller Kompetenz im Umgang mit biographisch relevanten Behinderungserfahrungen.“ In Bezug auf die Definition der AAMR ist folgendes zusammen zu fassen: Von geistiger Behinderung ist erst dann zu sprechen, wenn wie bereits angemerkt, 2 der so genannten Bereiche adaptiven Verhaltens (-> adaptive behavior, gemeint ist hier die soziale Kompetenzschwäche), wie z.B. neben kognitiven auch soziale Anpassungsschwierigkeiten, vorhanden sind. Von (geistiger) Behinderung ist auch erst dann zu reden, wenn sie vor dem 18.en Lebensjahr eingetreten ist. Definitionen Geistiger Behinderung Feuser: „Menschen, die wir eben dieser „Kategorie geistige Behinderung“ zuordnen, weil wir sie – im Spiegel der Normen und unserer Wahrnehmung von ihnen (und der Vorstellen wie „normale“ Menschen sein sollen) so bezeichnen.“ => „Sind Menschen, die wir als geistig behindert bezeichnen.“ „Geistig Behinderte gibt es nicht!“ Geistige Behinderung also als Folge externer Zuschreibungsprozesse. Anhand eines Textausschnittes sollten noch einmal wesentliche Aussagen Feuser’s in Bezug auf den Begriff und das Konstrukt der Andersartigkeit und die Auswirkung seiner Theorie für die Praxis, dargestellt werden: Hier eine Zusammenfassung der wesentlichen Punkte: 6 Zuschreibungsprozesse Gesellschaftlich festgelegte Normen implizieren Menschenbilder durch Einstellungen und Werte, die wiederum dann zu Vorurteilen und Bewertungen führen und stigmatisierend wirken. Etikettierung Schubladisierung Behinderung als soziales Konstrukt Feuser wendet sich von einer Persönlichkeitsstörung ab, da diese Individualität bedeute. Er tendiert zu Verhaltensstörung. Er kritisiert auch die Pädagogik, die die Lehrpläne für Behinderte verkürze. Sein Ziel wäre eine Totale Integration. Also weg von einer Einzelintegration hin zu einer Doppelintegration. Er kritisiert weiters die Leistungsbeurteilung Er plädiert für eine Aufhebung der Sonderschulen, einer Umorientierung im Betreuungssystem und einer Anpassung des Schulsystems an das Kind! Festhalten an einer zu defizitären und medizinischen Sichtweise. Soziale Ebene würde komplett weggeblendet. Feuser’s Begriff der „Andersartigkeit“ könnte man beschreiben als eine „andersartige Wahrnehmung“ oder eine „andersartige Individualität“ Soziales Konstrukt Behinderung - Behinderung entsteht durch Zuschreibung und Etikettierung (im Spiegel gesellschaftlich festgelegter Normen) - Behinderung entsteht durch „Hindernisse“ (vgl. „Ich Werde behindert“) - Behinderung in einem außersozialen Sinn gibt es nicht, oder doch: JA: Menschen als „Bio-Psycho-Soziale“ Einheit - Schädigungen, die uns einfach auffallen, äußerlich erkennbare „Andersartigkeiten“ zum Beispiel - Wir nehmen war, reagieren darauf und bewerten (negativ) und bilden uns daraufhin eine Definition, dass jemand aufgrund dessen für uns als „behindert“ gilt 7 Offene Frage: Sind Normen sozial bestimmt oder geschaffen? 3 Kernaussagen zum Begriff Behinderung… Behinderung = eine illegitime Verhaltensweise gegenüber Menschen Behinderung= negativ bewertetes, raltionales Merkmal einer Abweichung zu sehen (CLOERKES) Behinderung = eine existentielle Notwendigkeit und Kennzeichen von Normalität (FEUSER) Feuser arbeitet mit „Restgruppen“, die aus allen Institutionen fallen. Georg Paulmichl: österreichischer Künstler und Dichter, schrieb 4 Bücher und ist selbst geistig behindert. (Bitte noch ergänzen) Geschichtliche Entwicklung Geistig Behinderter und erste Pädagogisierungsversuche Ausgangspunkt: Hochkulturen: Bei Sumerern, aber auch später bei den Römern und den Griechen wurden Menschen mit geistiger Behinderung verstoßen und getötet – bis zum Mittelalter. Es gibt jedoch keine wirklichen Indizien dafür Menschen mit geistiger Behinderung wurden von jeglicher gesellschaftlicher und erzieherischer Fürsorge ausgeschlossen Im Mittelalter setzte sich der Glaube an mythologische Ursachen für Schwachsinn durch. Der Teufel hätte gesunde Kinder gegen ein behindertes Kind eingetauscht, z.B. wenn die Eltern sündig waren oder so. Oft sind die Menschen dann oft beten gegangen in der Hoffnung vielleicht später noch ein gesundes Kind zu bekommen. Als „Wechselbälge“ bezeichnete man Kinder mit sowohl körperlicher als auch geistiger Behinderung. Man dachte, der Satan hätte die Mägde zu sich ins Wasser gezerrt und sie so lange dort behalten, bis diese schwanger würden. Dann hätte er deren Kinder genommen und anderen Eltern in die Wiege gelegt. 8 Weiters wurden diese Menschen auch vor der Öffentlichkeit abgeschirmt oder anders auch zur Schau gestellt – zur Belustigung auf Jahrmärkten oder sie wurden als Hofnarren gehalten. Bis ins 19. Jahrhundert gab es einzelne Klöster. Als es während der Reformationszeit zur Auflösung dieser Klöster kam, kamen die Kinder in Waisenhäuser, wodurch ihre „Andersartigkeit“ mehr und mehr verstärkt wurde. 19. Jahrhundert: Mehr und mehr wandte man sich dem Personenkreis geistig behinderter Menschen zu. Der Beginn der Geistigbehindertenpädagogik ist in diese Zeit zu datieren. Die Zuwendung zu Menschen mit geistiger Behinderung erfolgte aus 3 Sichtweisen: a) aus medizinischer Position, b) aus pädagogisch-sozialer Position und c) aus religiös-karitativer Position. Die Diskussion um Menschen mit geistiger Behinderung war nicht auf der Ebene der „Menschlichen Würde“, sondern fand vor allem auf der Ebene einer „Kosten-Nutzen-Frage“ statt („Vom Almosenempfänger zum Steuerzahler“) Auch waren die Interessen vielmehr wissenschaftlicher Natur: „Wie ist eine Geistesschwäche feststellbar“ und „welche Formen gibt es“? Als eine Form gab es den „Kretinismus“: Bei diesem ging man damals als Ursache von einem Jodmangel aus, weil Kretinismus bevorzugt auch in den Alpenländern auftrat. Medizinische Heilung des Schwachsinns -> damalige Ziel(vorstellung)! Aufgrund der Vorstellung des Gedankens zur Heilung gab es in folgender Zeit Gründungen von Heilanstalten (für Heilbare und für Unheilbare) Guggenbühl: 1841: Gründung der 1. Heilanstalt. Diese Anstalt musste er jedoch wieder aufgeben, da keine Besserung auftrat. Langdon Down: Entdeckung -> „Schwachsinnige als ‚zu Erziehende’ zu sehen“ Pestalozzi Gezielte Erziehungs- und Bildungsversuche: durch Itard (war auch Taubstummenlehrer und pariser Arzt) -> Bsp. von „Viktor, das wilde Kind von Aveyron“. Itard hatte nur begrenzt Erfolge und ist letztlich gescheitert. 9 Einen weiteren Versuch startete Seguin, der durch Itard beeinflusst war. Von ihm gibt es das „1. Lehrbuch über die Behandlung der Idiotie“: Entwicklung des Konzeptes. Es ging genauer um die „physiologische Erziehung“ und er unterschied weiters zwischen Idiotie und Imbezillität. Laut Seguins Definition ist erstere Form als „schuldfähiger“ (schwerere Form) zu sehen, während er zweitere Form als „unverbesserlich“ darstellt, beschreibt. Ad Seguin: Idiotie: Nach Seguin sei diese auch pädagogisch beeinflussbar. Bei Seguin ist durchaus eine „sensible Wahrnehmung“ in Bezug auf Idiotie zu erkennen. Er beschrieb etwa, dass das „Schreien“ etwa ja die einzige Ausdrucksform dieser Kind sei…“ Erste staatliche Hilfsschulen (diese waren auf Privatinitiativen gestützt) -> Ende des 19. Jahrhunderts. Davor gab es noch zahlreiche Anstalten zur „Heilung und Bildung“. Die Heilpädagogik war zu dieser Zeit sehr stark auch von der Reformpädagogik beeinflusst! Im 20.Jahrhundert war die Heilpädagogik allerdings weniger von der Reformpädagogik als vielmehr von der „NS-Pädagogik“ beeinflusst. Ausgangspunkt der NS-pädagogischen Ideen einer Pädagogik waren Theorien von Darwin (Selektion) und Mendel (Vererbungslehre). Die NS-Ideologien interpretierten diese Theorien zum Zwecke ihrer Vorstellungen und setzten diese auch so um. Konsequenz für Menschen mit geistiger Behinderung: Ihnen – den so genannten Schwachsinnigen - wurde das Lebensrecht abgesprochen und sie wurden für bildungsunfähig abgestempelt. 1.1.1934 – Inkraftreten des Gesetzes zur „Zwangssterilisation“ zur Verhinderung/Vermeidung unwerten Lebens. Euthanasieprogramm vernichtete alle als schwachsinnig geltenden Menschen Das Hilfsschulwesen wurde abgeschafft Kosten-Nutzen-Analyse-Tabellen bestimmten oder regelten die ökonomische Brauchbarkeit und Verwertbarkeit Behinderter. 10 Die Situation nach dem 2.Weltkrieg Anknüpfungsversuche an das Versorgungs- und Bildungssystem vor 1930 Menschen mit geistiger Behinderung werden noch immer als bildungsunfähig angesehen -> Reichsschulpflichtgesetz von 1938 1958: Gründung der „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e.V.“ durch eine Elterninitiative 70-er Jahre: Errichtung von Lehrstühlen für Geistigbehindertenpädagogik 1973: Beschulung von Schwerstbehinderten STOP: Skript Seite 15 11 „Sichten und Vernichten“: Die Nazis missbrauchten die Psychiatrie nicht, die Psychiatrie brauchte die Nazis. Ziel war es die Anstalten von den Ballastexistenzen zu befreien, um mit der Therapie für Heilbare beginnen zu können. Die Nazis machten also das möglich, was Anstalten schon lange forderten. Ärzte und Schwestern erhielten Blutgeld, wenn sie schwiegen. Die Funktion der Psychiatrie zur NS-Zeit war eine andere, wie sie es heute ist. Damals war das Anliegen nicht „Heilen“ oder „Therapieren“, sondern „Entsorgen“, „Verwahren“ der Ballastexistenzen. Mit Hilfe der Nationalsozialisten wurde nicht nur verwahrt und entsorgt, sondern auch zwangssterilisiert (vgl. Bonhoeffer: „Forderung nach einer sauberen Diagnostik“ und „Unfruchtbarmachung geistig behinderter Menschen“), geforscht, getötet und seziert – vor allem bei Kindern. Im Interesse der Forschung missbrauchte man Kindern zum Zwecke der Gehirnforschung – beispielsweise dann, wenn ein Kind eine „interessante Krankheit“ aufwies. Die „Behandlung“ der „Verwahrten“ erfolgte durch Elektroschocks, die oftmals zu Knochenbrüchen führten oder durch Insulinschocks, welche nach einigen Stunden zu Bewusstlosigkeit führten. Kinder wurden wie Forschungsobjekte behandelt und vorgeführt. Vergleich auch die Ereignisse in „Schloss Hartheim“. Grundhaltung Paul Klee’s gegenüber der Psychiatrie „Ein weltweit einmaliges Verbrechen: Psychiater versuchen, Kranke und Behinderte komplett auszurotten.“ (zit. n. Klee, bidok-online) Selbst nach Hitler’s 1941 angeordneten Vergasungsstop und nach der Befreiung wurde weiter gemordet, und zwar mehr denn zur Nazizeit selbst. Der Massenmord sei nicht nur als einmalige Gelegenheit genutzt worden, die "Ballastexistenzen" loszuwerden, nein, die so genannten "Lebensunwerten" dienten auch als menschliche Versuchskaninchen, so Klee weiter. (ebd.) 12 Er bemängelt, dass Anstaltsleiter und Gehilfen nie zur Verantwortung gezogen wurden und im Gegenteil, sogar nach der NS-Zeit noch „höhere Stellen“ einnahmen, oder sogar Auszeichnungen bekommen. Vor, während und nach der NS-Zeit wurden Tötungen als legitim angesehen und nicht sanktioniert. Kein einziger deutscher Psychiater verhinderte einen Abtransport. Schwestern erhielten Blutgeld, damit sie über die Vorkommnisse schwiegen. Definition Geistiger Behinderung unter Berücksichtigung des „Sozialen Konstrukts“ Nach Feuser „gibt es geistige Behinderung nicht“: Sie verstehe sich nur als eine Bezeichnung für einen Personenkreis – den wir in Wahrnehmung seiner Tätigkeiten, unter dem Blickwinkel von gesellschaftlich festgelegten Normen, mit dem Etikett „Geistig Behindert“ versehen. Geistige Behinderung als Zuschreibung und Etikettierung. Von der Gesellschaftlich festgelegte Normen führen bei den Menschen zu bestimmten Menschenbildern und Einstellungen. Sie beginnen – anhand bestimmter Wert- und Normvorstellungen – zu bewerten und beurteilen, also zu etikettieren. Das ist stigmatisierend und defizitär orientiert. ICD-10 und DSM-IV im Vergleich: Die ICD-10 umfasst in Kapitel V „Psychische Störungen und Verhaltensstörungen“, in den Punkten F70-79 sind Menschen mit „Intelligenzminderung“ klassifiziert. Dieser Definition ist rein medizinisch geprägt. Als Intelligenzminderung wird ein Zustand beschrieben, der aufgrund verzögerte und unvollständiger Entwicklung geistiger Fähigkeiten einher getreten ist. Der Schwergrad der Intelligenzminderung kann durch standardisierte Verfahren wie IQ-Tests ermittelt werden, gegebenenfalls in Kombination mit Skalen zur Ermittlung der sozialen Anpassung. 13 Die DSM-IV ist ein diagnostisches und medizinisches Manual psychischer Störungen und von der „American Psychiatric Association“ herausgegeben. Sie ist defizitorientiert und verteilt nach IQ-Werten. Vom IQ-Bereich wird auf Merkmale der Behinderung geschlossen. Soziale Anpassungsschwierigkeiten werden durch kognitive Schwächen erklärt. Vor- und Nachteile von Intelligenzdiagnostik Nachteile: Die IQ-bezogene Sichtweise ist sehr fragwürdig und einseitig, da sie die pädagogischen Qualitäten zu sehr ausspart, bzw. kommunikative und soziale Aspekte völlig ausgrenzt. Nachteil: IQ sagt nichts über Lebenserfolg und Kompetenzen aus. Auch Menschen mit einem hohen IQ haben oder können psychische Störungen haben, daher zeigt sich auch hier die Eingeschränktheit einer solchen Klassifizierung. Selektion wird wichtiger als Förderung. Häufig liegen in der Intelligenzdiagnostik veraltete Normierungen vor. Tests sind nicht auf die Zielgruppe Geistig Behinderter ausgerichtet. Testaufgaben sind oft zu schwer. Viele Tests sind oft sprachgebunden, was viele Menschen mit geistiger ‚Behinderung nicht testbar macht. Tests sind auch oft alterbezogen, also auf Kinder und Jugendliche, und auch schulleistungsbezogen. Lösungsvorschläge 14 Wiederholung von Testaufgaben Orientierung am potentiellen Entwicklungsalter bzw. leichtere Aufgaben Umformulierung von Fragen und Instruktionen Motivations- und Lösungshilfen, keine strengen Zeitrahmen, Aufheben der Prüfungsfunktion durch Eisbrecherfunktion durch in Kontakttreten mit den Personen, z.B. mit Spielzeug, Alternativvorschläge Ausführliche Anamnesen, strukturierte Verhaltensbeobachtung, Gespräche und/oder Übungen, Spiele, keine Altersvergleiche, keine Einordnung; Vorteile: Klinische Psychologie Untersucht als Teildisziplin der Psychologie „biologische, soziale, entwicklungs- und verhaltensbezogene sowie kognitive und emotionale Grundlagen psychischer Störungen, sowie Auswirkungen dieser Störungen und anderer Erkrankungen (z.B. neurologische Störungen, Krebs, chronische Herzleiden uvm.) auf die oben genannten Bereiche des Erlebens und Verhaltens“. Primär betreibt die Klinische Psychologie allerdings Grundlagenforschung, „indem sie aus der Erforschung von „gestörtem“ Erleben und Verhalten Rückschlüsse auf „normale“ psychische Funktionsbereiche liefert“. (ebd.) 15 Entwicklungspsychologische Sichtweise von Geistiger Behinderung Nach dieser Perspektive sei bei geistiger Behinderung das „zentrale Merkmal der Verlangsamung grundlegender Entwicklungsverläufe zu sehen“. Differenz- und Entwicklungstheoretische Ansätze Ausgangspunkt: Seit Anfang 90-er: Frage nach der Anteiligkeit erworbener und/oder angeborener Einschränkungen: Itard-Pinel-Kontroverse: Itard: „Jeder ist von seiner Umwelt beeinflusst“. Pinel: „Determinanten der Entwicklung liegen in der Person selbst“. Differenztheoretische Sichtweise Geistige Behinderung = „grundsätzliche Andersartigkeit“ der Entwicklung. Theorien nach diesem Ansatz: „Rigiditätstheorien“ nach Lewin, „Theorie der Reizspurschwäche“ nach Ellis und „Theorie der Systemdissoziation“ nach Lurija. Hinweis auf Differenzund Defekttheorien: Defekttheorien -> bestimmte kognitive Prozesse bei Kindern mit geistiger Behinderung, werden gar nicht durchlaufen. Differenztheorien: postulieren keinen direkten Wegfall kognitiver Entwicklungsphasen, aber sie weisen auf eine geringere Ausprägung 16 einzelnen kognitiver Entwicklungsprozesse im Gegensatz zu normal entwickelten Kindern hin. Differenztheorie: Geistig Behinderte unterscheiden sich von Normalen trotz gleichen Niveaus der Allgemeinintelligenz in speziellen kognitiven Funktionen. Das pädagogische Anliegen dieses Ansatzes liegt in der Kompensation von Defiziten. Entwicklungstheoretische Sichtweise Geistige Behinderung = Kinder durchlaufen grundsätzlich die gleichen Entwicklungsstufen wie Kinder ohne Beeinträchtigung, aber mit verlangsamten Entwicklungstempo. Fazit Differenztheoretischer Ansatz wurde in den letzten Jahren zunehmend von dem entwicklungstheoretischen Ansatz abgelöst. Die entwicklungstheoretische Sichtweise hat dafür verschiedentliche Reformulierungen erfahren. 17 18