EUROPÄISCHES PARLAMENT 1999 2004 Sitzungsdokument ENDGÜLTIG A5–0223/2001 21. Juni 2001 BERICHT über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000) (2000/2231(INI)) Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten Berichterstatter: Thierry Cornillet RR\443621DE.doc DE PE 302.216 DE PE 302.216 DE 2/135 RR\443621DE.doc INHALT Seite GESCHÄFTSORDNUNGSSEITE ............................................................................................ 4 ENTSCHLIESSUNGSANTRAG .............................................................................................. 6 BEGRÜNDUNG ...................................................................................................................... 26 ENTSCHLIESSUNGSANTRAG – B5-0034/2001 ............................................................... 134 STELLUNGNAHME DES PETITIONSAUSSCHUSSES .................................................. 135 RR\443621DE.doc 3/135 PE 302.216 DE GESCHÄFTSORDNUNGSSEITE In der Sitzung vom 6. Oktober 2000 gab die Präsidentin des Europäischen Parlaments bekannt, dass der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten die Genehmigung zur Ausarbeitung eines Initiativberichts gemäß Artikel 163 der Geschäftsordnung über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000) erhalten hat. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 übermittelte der Rat dem Europäischen Parlament den Jahresbericht der Europäischen Union über die Menschenrechte (11317/2000). In der Sitzung vom 27. Oktober 2000 gab die Präsidentin des Europäischen Parlaments bekannt, dass sie den die Menschenrechte in der Europäischen Union betreffenden Teil dieses Berichts an den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten als federführenden und an den Petitionsausschuss als mitberatenden Ausschuss überwiesen hat (C5–0536/2000). Der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten hatte in seiner Sitzung vom 5. Juni 2000 Thierry Cornillet als Berichterstatter benannt. In seiner Sitzung vom 28./29. Mai 2001 beschloss der Ausschuss, in seinen Bericht die folgende Entschließung einzubeziehen: B5–0034/2001, eingereicht von Bart Staes, Jillian Evans, Gorka Knörr Borràs, Nelly Maes, Carlos Bautista Ojeda, Ian Stewart Hudghton, Camilo Nogueira Román, Neil MacCormick, Josu Ortuondo Larrea und Eurig Wyn, zum Schutz und zur direkten politischen Vertretung der sprachlichen Minderheiten der Region mit Sonderstatut Friaul–Julisch Venetien, die am 2. Mai 2001 an den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten als federführenden Ausschuss und an den Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport als mitberatenden Ausschuss überwiesen wurde. Der Ausschuss prüfte den Berichtsentwurf in seinen Sitzungen vom 24./25. April 2001 und 19./20. Juni 2001. In der letztgenannten Sitzung nahm der Ausschuss den Entschließungsantrag mit 20 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 12 Enthaltungen an. Bei der Abstimmung waren anwesend: Graham R. Watson, Vorsitzender; Robert J.E. Evans und Enrico Ferri, stellvertretende Vorsitzende; Thierry Cornillet, Berichterstatter; Niall Andrews, Roberta Angelilli, Mary Elizabeth Banotti, Alima Boumediene-Thiery, Marco Cappato, Michael Cashman, Charlotte Cederschiöld, Carmen Cerdeira Morterero (in Vertretung von Sérgio Sousa Pinto), Ozan Ceyhun, Carlos Coelho, Gérard M.J. Deprez, Andrew Nicholas Duff (in Vertretung von Baroness Sarah Ludford), Bertel Haarder (in Vertretung von Jan-Kees Wiebenga), Adeline Hazan, Jorge Salvador Hernández Mollar, Anna Karamanou, Sylvia-Yvonne Kaufmann (in Vertretung von Giuseppe Di Lello Finuoli), Eva Klamt, Alain Krivine (in Vertretung von Pernille Frahm), Torben Lund (in Vertretung von Gerhard Schmid), Hartmut Nassauer, Elena Ornella Paciotti, Hubert Pirker, Ursula Schleicher (in Vertretung von Bernd Posselt gemäß Artikel 153 Absatz 2 der Geschäftsordnung), Ingo Schmitt (in Vertretung von Daniel J. Hannan), Martin Schulz, Patsy Sörensen, Joke Swiebel, PE 302.216 DE 4/135 RR\443621DE.doc Fodé Sylla, Anna Terrón i Cusí, Maurizio Turco (in Vertretung von Frank Vanhecke), Anne E.M. Van Lancker (in Vertretung von Margot Keßler), Gianni Vattimo und Christian Ulrik von Boetticher. Die Stellungnahme des Petitionsausschusses ist diesem Bericht beigefügt. Der Bericht wurde am 21. Juni 2001 eingereicht. Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen wurde auf 28. Juni 2001, 12.00 Uhr festgesetzt. RR\443621DE.doc 5/135 PE 302.216 DE ENTSCHLIESSUNGSANTRAG Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000) (2000/2231(INI))1 Das Europäische Parlament, – unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, – in Kenntnis des Jahresberichts der Europäischen Union über die Menschenrechte (11317/2000 – C5-0536/2000), – in Kenntnis des Entschließungsantrags von Bart Staes, Jillian Evans, Gorka Knörr Borràs, Nelly Maes, Carlos Bautista Ojeda, Ian Stewart Hudghton, Camilo Nogueira Román, Neil MacCormick, Josu Ortuondo Larrea und Eurig Wyn zum Schutz und zur direkten politischen Vertretung der sprachlichen Minderheiten der Region mit Sonderstatut Friaul– Julisch Venetien (B5-0034/2001), – unter Hinweis auf alle diesbezüglichen internationalen Übereinkommen, – unter Hinweis auf Artikel 6 und 7 des EU-Vertrags, – unter Hinweis auf die Berichte der Sonderorgane des Europarats und der einschlägigen europäischen NRO, – unter Hinweis auf die öffentliche Anhörung vom 21. März 2001 mit den nationalen Parlamenten zur Lage der Grundrechte in der EU und zur Verwirklichung eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, – gestützt auf Artikel 163 seiner Geschäftsordnung, – in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten und der Stellungnahme des Petitionsausschusses (A5-0223/2001), ZIEL UND INSTRUMENTE DES JAHRESBERICHTS Ziel 1. Die am 7. Dezember 2000 verkündete Europäische Charta der Grundrechte ist die Zusammenfassung der Grundwerte, auf denen die Europäische Union beruht und auf die sich künftig implizit und zwangsläufig die Artikel 6 Absatz 2, 7 und 29 des EU-Vertrags beziehen, und zwar was die Verwirklichung eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts anbelangt; 2. demzufolge obliegt es den Institutionen der EU, im Anschluss an die Verkündung der 1 Eine Liste der Abkürzungen ist in Anhang 1 enthalten. PE 302.216 DE 6/135 RR\443621DE.doc Charta und in Anbetracht der bei der Unterzeichnung des Vertrags von Nizza am 27. Februar 2001, insbesondere des neuen Artikels 7 Absatz 1, eingegangenen Verpflichtungen, die erforderlichen Initiativen zu ergreifen, um ihre Rolle als Hüterin der Grundrechte in den Mitgliedstaaten auszuüben; 3. es obliegt insbesondere dem Europäischen Parlament, kraft der ihm durch den neuen Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags von Nizza übertragenen Rolle, und seinem zuständigen Ausschuss, in Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten und den Parlamenten der beitrittswilligen Länder darauf zu achten, dass die in den Kapiteln der Charta niedergelegten Rechte sowohl von den europäischen Institutionen als auch von den Mitgliedstaaten beachtet werden; 4. der vorliegende Bericht ist in diesem Sinne ein erster, aufgrund der fehlenden Mittel zwangsläufig begrenzter und unvollständiger, Versuch, in Anbetracht von Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags von Nizza die Lage der Grundrechte in der EU im Jahre 2000 anhand der Struktur der Charta zu analysieren; Künftig erforderliche allgemeine Instrumente empfiehlt betreffend das Europäischen Parlament, 5. einen ständigen Dialog zwischen dem EP und seinen Partnerinstitutionen, den Parlamenten der Mitgliedstaaten, einzuführen, insbesondere über die bedeutenden Entwicklungen in den nationalen Verfassungen, Rechtsvorschriften, Politiken und Praktiken, die sich auf das Konzept und die Achtung der Grundrechte in der EU auswirken; 6. ebenfalls einen ähnlichen Dialog zwischen dem EP und den Parlamenten der beitrittswilligen Länder einzuführen; 7. dass die zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments die Lage der Grundrechte, wie sie insbesondere in der Charta enthalten sind, und eventuelle Missachtungen dieser Rechte ständig berücksichtigen, damit diesen sowohl bei der Gesetzgebungstätigkeit wie auch im interinstitutionellen Dialog Rechnung getragen wird; 8. den Bericht über die Achtung der Grundrechte in der EU in das in Artikel 6 und 7 des EU-Vertrags vorgesehene Frühwarnsystem nach folgenden Grundsätzen aufzunehmen: – Übertragung einer ständigen Aufgabe an den federführenden Ausschuss, die Beachtung der Charta zu verfolgen, unter Mitwirkung der anderen betroffenen Ausschüsse, die ihm sämtliche Feststellungen im Laufe des Jahres mitteilen, – Ausarbeitung des Jahresberichts durch seinen federführenden Ausschuss: a) durch eine Arbeitsgruppe, der die Berichterstatter des vorangegangenen, derzeitigen und nächsten Jahres sowie, für die Stellungnahme, die Verfasser der Stellungnahme des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten in bezug auf beitrittswillige Länder und der RR\443621DE.doc 7/135 PE 302.216 DE anderen betreffenden Ausschüsse in bezug auf Angelegenheiten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, angehören, b) auf der Grundlage der von den verschiedenen Sondereinrichtungen, den NRO und den betroffenen Netzen gesammelten Beobachtungen, und zwar unter Herausstellung der im Laufe des Berichtsjahres festgestellten Fortschritte und Mängel, – Prüfung dieser Bestandsaufnahme während eines jährlichen Zusammentreffens der Vertreter des Europäischen Parlaments und der betroffenen Ausschüsse der nationalen Parlamente, – Annahme des Jahresberichts in jedem Jahr spätestens auf der Juli-Tagung, wobei allein der federführende Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse die Möglichkeit zur Änderung des Entschließungsantrags wie auch des ausführlichen Berichts, auf den dieser sich stützt, haben. Das Parlament wird den Bericht und den Entwurf von Empfehlungen im Plenum nach einem Verfahren prüfen, das sich an dem Verfahren der Zustimmung orientiert, – möglichst weite Verbreitung dieses Berichts, auch über Internet, wobei er in den Internetseiten des EP und der übrigen europäischen Organe deutlich sichtbar platziert werden sollte; – anschließende Anpassung der Geschäftsordnungen der anderen betroffenen europäischen Institutionen; 9. ein Netz von namhaften Menschenrechtsexperten und Juristen aus allen Mitgliedstaaten einzurichten, um einen hohen Grad an Fachwissen zu gewährleisten und um dem EP eine Evaluierung der Umsetzung aller in der Charta verkündeten Rechte vorzulegen, unter Berücksichtigung der Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg und des Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg sowie der Grundsatzurteile der Verfassungsgerichte und der Gerichte der Mitgliedstaaten; 10. die hierfür erforderlichen Pilotprojekte durchzuführen und diese bereits ab 2002 finanziell zu berücksichtigen und dass der Generalsekretär in Anbetracht der Aufgaben, die dem Europäischen Parlament aufgrund der Wahrnehmung seiner Rolle als Hüterin der Grundrechte aus der Charta entstehen, unter Berücksichtigung des Haushaltsentwurfs des EP für 2002 einen Vorschlag vorlegt, der gewährleistet, dass der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten des Europäischen Parlaments die notwendige administrative Unterstützung für die Beobachtung der Grundrechte in der EU und in den Bewerberländern im Hinblick auf den Jahresbericht über die Lage dieser Rechte erhält und dass in der Generaldirektion Wissenschaft baldmöglichst zusätzliche Instrumente eingesetzt werden; 11. im Einvernehmen mit den entsprechenden Institutionen der Mitgliedstaaten sowie den NRO, die auf dem Gebiet der Grundrechte tätig sind, Informationsmittel (Datenbanken, „Help-lines“, Rechtsbeistand) zu entwickeln, die es jeder interessierten Person ermöglichen, Zugang zu den sie betreffenden Informationen zu erhalten, die diesbezüglich erforderlichen Pilotprojekte bereits ab 2002 durchzuführen und zu finanzieren; PE 302.216 DE 8/135 RR\443621DE.doc 12. ein oder mehrere Kontaktnetze und ein Diskussionsforum für die Zivilgesellschaft einzuführen, wie dies in der Erklärung des Rates zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorgesehen ist; dem Rat, 13. sich im Rahmen der Vorbereitung seines Jahresberichts über die Lage der Menschenrechte in der Europäischen Union an den vorstehend genannten Initiativen zu beteiligen; 14. einen Prozess der gegenseitigen Evaluierung zwischen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Beachtung der Grundrechte einzuführen, um die in ihre Rechtsvorschriften eingebrachten innovatorischen Aspekte zu bewerten, die guten Praktiken festzustellen, den Schutz der Grundrechte in der EU stärker zu harmonisieren und mögliche Gefahren einer Verletzung dieser Rechte zu verhindern; der Kommission, 15. ein Kommissionsmitglied zu benennen, das für die Grundrechte und die Umsetzung der politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zuständig ist; 16. die mit der Überwachung der Charta und der Einhaltung ihrer Grundsätze beauftragten Dienststellen der Kommission bei der Definition und der Umsetzung des Rechts der Union und der Gemeinschaft neu zu organisieren; I. Würde des Menschen (Artikel 1 bis 5) – Recht auf Leben empfiehlt den Mitgliedstaaten, 17. den Kampf gegen den Terrorismus zu verstärken und alle im Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Instrumente dabei einzusetzen, um die Demokratie zu erhalten und allen Bürgern Freiheit und körperliche und seelisch-geistige Unversehrtheit zu gewährleisten; 18. die auf der Tagung des Europäischen Rates von Tampere (15./16. Oktober 1999) erzielten Vereinbarungen umzusetzen, namentlich jene, die die wechselseitige Anerkennung von strafrechtlichen Gerichtsentscheidungen, die Vereinfachung des derzeitigen Auslieferungsverfahrens sowie Festnahme und unmittelbare Überstellung von Personen, gegen die ein gerichtlicher Haftbefehl vorliegt, betreffen; – Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung empfiehlt den Mitgliedstaaten, a. bezüglich der Polizei 19. im Falle Irlands, das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter zu ratifizieren, und im Falle Belgiens, Irlands und des Vereinigte Königreichs, die erforderliche Erklärung nach Artikel 22 des Übereinkommens abzugeben und somit die Zuständigkeit RR\443621DE.doc 9/135 PE 302.216 DE des Ausschusses der Vereinten Nationen gegen Folter zur Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden einzelner Personen anzuerkennen; 20. Maßnahmen zur Ausbildung und Diversifizierung des Polizeipersonals durchzuführen und einen Austausch der bewährtesten Praktiken auf europäischer Ebene zu betreiben; 21. den von der Polizei verhafteten und auf den Polizeirevieren festgehaltenen Personen von Anfang an Zugang zu Rechtsbeistand, medizinischer Versorgung und gegebenenfalls Dolmetschleistungen zu garantieren; 22. unabhängige Behörden zur Untersuchung der Tätigkeit der Polizei in den Mitgliedstaaten einzusetzen, in denen es solche Behörden noch nicht gibt; b. bezüglich der Gefängnisse 23. die Lebensbedingungen unverzüglich zu verbessern, insbesondere den Zugang zur Gesundheitsversorgung und zur Betätigung, auch zu Studium und Berufsausbildung, im Gefängnis, das vorrangige Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft erneut zu bekräftigen und die Ausbildung des Strafvollzugspersonals zu verbessern; 24. Alternativen zu kurzen Gefängnisstrafen anzustreben und anzuwenden, wann immer dies möglich ist; 25. die Untersuchungshaft möglichst zu verkürzen und die Anwendung von Einzelhaft zu beschränken; 26. für geringere Vergehen Verwaltungs- und/oder Geldstrafen einzuführen, indem Ersatzstrafen, etwa gemeinnützige Tätigkeiten, gefördert werden, soweit wie möglich Systeme des offenen oder des halboffenen Strafvollzugs entwickelt werden und auf bedingten Hafturlaub zurückgegriffen wird; 27. den besonders verletzlichen Häftlingsgruppen besondere Aufmerksamkeit zu widmen: – den Minderjährigen, deren Einweisung in den Strafvollzug als letztes Mittel eingesetzt werden sollte, und die einer besonderen Unterbringung bedürfen, – schwangeren Frauen und Müttern sehr kleiner Kinder, deren Haftbedingungen besser an ihre Bedürfnisse und die Bedürfnisse ihrer kleinen Kinder angepasst werden müssen, – den geistig behinderten Straftätern, die einer angemessenen ärztlichen Betreuung bedürfen, – den behinderten Straftätern, die die Möglichkeit haben müssen, über Dienstleistungen zu verfügen, die ihrer Behinderung entsprechen, – den drogenabhängigen Straftätern, die die Möglichkeit haben müssen, an nicht zwangsweise auferlegten Entziehungs- und Heilprogrammen teilzunehmen; 28. in allen Mitgliedstaaten Strafvollzugsgesetze einzuführen, die den Häftlingen ein Recht auf Berufung in Disziplinarangelegenheiten und die Ausübung ihrer bürgerlichen und politischen Rechte garantieren, und externe Organe zur Kontrolle und Evaluierung der Strafvollzugsanstalten zu schaffen, vergleichbar dem Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT); PE 302.216 DE 10/135 RR\443621DE.doc 29. eine europäische Stelle für die Zusammenarbeit und den Austausch der bewährtesten Praktiken im Strafvollzug in der Europäischen Union einzurichten; 30. die Inhaftierung von Asylbewerbern auf Ausnahmefälle zu beschränken und nur aus Gründen vorzunehmen, die in den UNHCR-Richtlinien über anwendbare Kriterien und Normen in bezug auf die Inhaftierung von Asylbewerbern dargelegt sind; c. bezüglich der zentralen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge und der Behandlung von Asylbewerbern 31. die Höchstdauer der Inhaftierung zu begrenzen und die Empfangsbedingungen der Asylbewerber an den Grenzen, auf den Flughäfen und den Flüchtlingslagern zu verbessern, insbesondere die Unterstützung durch qualifiziertes medizinisches Personal, Anwälte und Dolmetscher, die Bereitstellung ausführlicher schriftlicher Informationen in einer für sie verständlichen Sprache über die Verfahren im Zusammenhang mit dem Asylrecht und sonstigen Formen des Schutzes, die Möglichkeit, mit den einschlägigen NRO und ihren Familienangehörigen zu kommunizieren, die Antragsverfahren zu beschleunigen und die Rechtsmittel zu achten; 32. den Schutz von Minderjährigen ohne Begleitung Erwachsener, einschließlich der möglichst umgehenden Unterstützung durch einen Betreuer oder einen Rechtsberater, zu verbessern; für das Vorhandensein von Personal zu sorgen, das hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse der Minderjährigen geschult ist; d. bezüglich der Einweisung in psychiatrische Kliniken 33. gegebenenfalls die Rechtsvorschriften und Praktiken der Mitgliedstaaten anzupassen, um die skrupulöse Einhaltung der Kriterien betreffend die Zwangseinweisung, die Rechtsmittel, die Anwendung der Sonderbehandlungen und grundsätzlich das System der Einweisung zu gewährleisten; Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit empfiehlt den Mitgliedstaaten, a. bezüglich des Menschenhandels 34. folgende Dokumente, die von einigen Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert wurden, zu ratifizieren: – das Zusatzprotokoll zur Konvention der UNO zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen vom 6. Oktober 1999, – die neue internationale Konvention gegen das länderübergreifende organisierte Verbrechen vom 15. Dezember 2000, – das Übereinkommen von Den Haag vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, – das Zusatzprotokoll zur UNO-Konvention über die Rechte der Kinder betreffend Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie vom 25. Mai 2000, RR\443621DE.doc 11/135 PE 302.216 DE – Übereinkommen der IAO zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit vom 17. Juni 1999, – das Europäische Übereinkommen über die Ausübung der Rechte des Kindes vom 25. Januar 1996; 35. den Menschenhandel als spezifischen Straftatbestand im Strafgesetzbuch jedes Mitgliedstaats zu verurteilen, und zwar im Rahmen der Ausführung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels (KOM(2000) 854), der zur Zeit zur Beschlussfassung ansteht; 36. in Zusammenarbeit mit der EU und den Ländern, aus denen die Opfer des Menschenhandels stammen: – Informations- und Vorbeugungsprogramme für potenzielle Opfer des Menschenhandels und der Sklavenarbeit im Haushalt sowie – nationale Aktionspläne zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Sklavenarbeit im Haushalt anzunehmen und – eine Stelle zur Anhörung und Betreuung der Betroffenen zu schaffen und Rehabilitationsprogramme zur Unterstützung der Opfer des Menschenhandels und der Sklavenarbeit im Haushalt auszuarbeiten; 37. die Kontrolle und die Politik der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Wege der Angleichung der Rechtsvorschriften zu verstärken; 38. die Annahme eines verbindlichen Rechtsinstruments, das den Opfern des Menschenhandels ausreichenden Schutz gewährleistet und den Menschenhandel als Grund für eine „Verfolgung“ anerkennt; 39. den Opfern des Menschenhandels und der Sklavenarbeit im Haushalt eine befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für die Dauer der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens zu gewähren, um sie zu ermutigen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und zur Verfolgung der Schuldigen beizutragen; 40. die Einstellung von Personal bei Tätigkeiten, die mit Kindern zu tun haben, verstärkt zu kontrollieren und Minderjährigen, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, medizinische und psychologische Unterstützung durch qualifiziertes Personal zu gewähren; 41. die Menschenhändler auszuliefern und den Gewinn aus ihren kriminellen Aktivitäten zu beschlagnahmen, und diese Gelder in einen europäischen Entschädigungsfonds für die Opfer einfließen zu lassen; empfiehlt den Mitgliedstaaten b. betreffend die Sklavenarbeit im Haushalt, 42. die Verurteilung der sklavenähnlichen Ausbeutung von Hausangestellten als spezifischen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch jedes Mitgliedstaats aufzunehmen; PE 302.216 DE 12/135 RR\443621DE.doc 43. die sklavenähnliche Ausbeutung von Hausangestellten im Rahmen der Ausführung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels (KOM(2000) 854), der zur Zeit zur Beschlussfassung ansteht, zu bekämpfen; II. Freiheiten (Artikel 6 bis 19) empfiehlt a. betreffend den Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten 44. dem Rat, der Kommission und den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bürger vor den Eingriffen von nicht in den rechtlichen Rahmen fallenden Systemen zum Abhören von Gesprächen zu schützen, wie etwa vor dem System Echelon; 45. den Mitgliedstaaten die Anwendung – der Richtlinien der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1990 betreffend personenbezogene Daten in automatisierten Dateien, insbesondere die Grundsätze der Zuverlässigkeit, der Loyalität, der Genauigkeit, des Zugangs für die Betroffenen, der Nichtdiskriminierung, der Sicherheit und der Sanktionen, – der Empfehlung R(1999) 5 des Europarates betreffend Leitlinien zum Schutz von Personen im Hinblick auf die Sammlung und die Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf den Datenautobahnen; 46. die Richtlinie vom 24. Oktober 1995 (95/46/EG) zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr umzusetzen, damit die EU über einen gemeinsamen Rechtssockel verfügen kann; 47. der Union, sich ein verbindliches Rechtsinstrument zu geben, das in den Bereichen des zweiten und dritten Pfeilers Garantien bietet, die den in der Richtlinie 95/46/EG vorgesehenen Garantien entsprechen; empfiehlt den Mitgliedstaaten, b. betreffend die Gedanken-, die Gewissens- und die Religionsfreiheit 48. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Dokumente anzuwenden: – die Empfehlung 1202 (1993) des Europarates über religiöse Toleranz in der Gesellschaft, – die Empfehlung 1396 (1999) des Europarates über Religion und Demokratie; 49. den mitunter illegalen oder kriminellen Aktivitäten bestimmter Sekten, die die physische und psychische Integrität der Person gefährden, besondere Aufmerksamkeit zu widmen, insbesondere: – Durchführung von Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen durch spezialisierte und unabhängige Organisationen, die sich für die Achtung der Menschenrechte einsetzen, damit jede Person entscheiden kann, ob sie einer religiösen oder spirituellen Bewegung beitritt oder aus dieser austritt, RR\443621DE.doc 13/135 PE 302.216 DE – Annahme ausreichender gerichtlicher, steuerlicher und strafrechtlicher Bestimmungen, um gegen die illegalen Machenschaften bestimmter Sekten vorzugehen; 50. fordert Griechenland auf, das Recht auf Kriegdienstverweigerung aus Gewissensgründen strikt zu achten, ohne Bezugnahme auf irgendein religiöses Kriterium, und insbesondere in den Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, tatsächlich einen alternativen Dienst zum Wehrdienst einzuführen, dessen Dauer der Dauer des Wehrdienstes entspricht und diese nicht überschreitet und der nicht zu einer Strafform des Zivildienstes abgewandelt werden sollte; c. betreffend die freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit empfiehlt den Mitgliedstaaten, 51. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 1989 zu ratifizieren; 52. die folgenden Empfehlungen des Europarates anzuwenden: – die Empfehlung vom 30. November 1997 betreffend die Medien und die Förderung einer Kultur der Toleranz, – die Empfehlung vom 22. November 1994 betreffend Maßnahmen zur Medientransparenz; 53. das Recht der Journalisten, ihre Informationsquellen nicht preiszugeben, gemäß der Empfehlung vom 8. Mai 2000 über das Recht der Journalisten, ihre Informationsquellen nicht mitzuteilen, strikt zu achten; 54. bei einem nahezu vollständigen Monopol oder einer extremen Konzentration im Bereich der audiovisuellen und schriftlichen Presse, die dem Pluralismus im Wege stehen, besondere Wachsamkeit walten zu lassen und in den Mitgliedstaaten, in denen es noch keine unabhängigen Regulierungsbehörden gibt, solche Behörden einzusetzen; empfiehlt den Mitgliedstaaten, d. betreffend das Asylrecht und die Rechte der Staatsangehörigen von Drittländern 55. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende internationale und europäische Übereinkommen zu ratifizieren: – Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954, – Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961, – gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom 10. Dezember 1984, – Protokoll Nr. 4 zur EMRK vom 16. September 1963, – Protokoll Nr. 7 zur EMRK vom 22. November 1984, – Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Auslieferung vom 15. Oktober 1975; 56. rasch eine gemeinsame Politik für Asylverfahren, die Aufnahme von Asylbewerbern und PE 302.216 DE 14/135 RR\443621DE.doc den Flüchtlingsstatus anzunehmen, die die Rechte der Antragsteller genau achtet und die auf einer nicht restriktiven Auslegung der Genfer Konvention, insbesondere hinsichtlich der Verfolgung durch nichtstaatliche Einrichtungen, der Verfolgung aufgrund des Geschlechts sowie der Verfolgung bei allgemeinen bewaffneten Konflikten, und auf den Empfehlungen und Schlussfolgerungen des UNHCR beruht, und denen, die Recht auf Asyl haben, ein schnelles, effizientes und gerechtes Verwaltungsverfahren und eine vollständige Integration zu gewährleisten; 57. die Möglichkeit zu prüfen, Personen, die durch die Genfer Konvention nicht geschützt sind, die jedoch aus humanitären Gründen oder weil sie in ernster Gefahr wären, nicht in ihr Ursprungsland zurückgeschickt werden dürfen, etwa Opfer von Menschenhandel und der Sklaverei im Haushalt, subsidiären Schutz zu gewähren; 58. das Protokoll von Aznar zum Vertrag von Amsterdam zu streichen, das, wie der UNHCR wiederholt erklärt hat, gegen die Genfer Konvention verstößt, da es das Recht des Einzelnen, Asyl zu beantragen, einschränkt; 59. sicherzustellen, dass sie im Rahmen ihrer Asylpolitik sowie ihrer Grenz- und Einreisepolitik den Grundsatz der Nichtzurückweisung achten, und sich dessen bewusst zu sein, dass derzeit die Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens in Verbindung mit den Konzepten des sicheren Drittlandes und des sicheren Ursprungslandes sowie den Bestimmungen betreffend Sanktionen für Beförderer und der fehlenden aufschiebenden Wirkung bestimmter Berufungsverfahren eine Bedrohung für diesen Grundsatz darstellen; 60. die finanzielle Hilfe der EU für den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) zu erhöhen; 61. das Einbürgerungsverfahren zu lockern, um jenen Einwohnern ausländischen Ursprungs, die dies wünschen, das volle Bürgerrecht zu gewährleisten; 62. empfiehlt dem Rat, unverzüglich den von der Kommission vorgelegten und vom Parlament geänderten Vorschlag für eine Richtlinie über die Familienzusammenführung anzunehmen, um dem Recht auf Familienleben Rechnung zu tragen; III. Gleichheit der Bürger (Artikel 20 bis 26) empfiehlt den Mitgliedstaaten, a. betreffend die Diskriminierung 63. die bereits erlassenen europäischen Richtlinien auf der Grundlage von Artikel 13 des EGVertrags rasch umzusetzen und anzuwenden, mit dem Ziel, jegliche Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Abstammung, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung zu bekämpfen; b. betreffend die Bekämpfung des Rassismus 64. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, die folgenden Übereinkommen zu RR\443621DE.doc 15/135 PE 302.216 DE ratifizieren: – das Übereinkommen der IAO gegen Diskriminierung bei der Beschäftigung vom 25. Juni 1958, – das Übereinkommen der UNESCO gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen vom 14. Dezember 1960, – das Protokoll Nr. 12 zur EMRK vom 4. November 2000; 65. ihre Rechtsvorschriften gegen Diskriminierung sowohl im strafrechtlichen als auch im zivilrechtlichen Bereich gemäß der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft rasch anzupassen sowie Rassismus als straferschwerenden Umstand bei Gewaltdelikten einzuführen; 66. gegebenenfalls unabhängige Stellen zur Betreuung und Unterstützung der Opfer von Rassismus einzurichten, sowie Strategien zur Vorbeugung und zur Bekämpfung dieses Phänomens einzuführen; 67. sowohl die juristischen als auch die berufsständischen Maßnahmen gemeinsam durchzuführen, die erforderlich sind, um die Nutzung des Internet zu rassistischen Zwecken mit Sanktionen zu belegen, insbesondere die Unterzeichnung des Memorandums von EuroIPSA (1997) zwischen den europäischen Providern für den Zugang zum Internet und diesbezügliche Dienstleistungen; c. betreffend die Rechte nationaler Minderheiten 68. – im Falle Belgiens, Irlands und Griechenlands, die Europäische Charta der regionalen oder Minderheitensprachen vom 5. November 1992 zu unterzeichnen und zu ratifizieren, und im Falle Österreichs, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs und Portugals, dieses Dokument zu ratifizieren, – im Falle Belgiens und Frankreichs, das Rahmenübereinkommen über den Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 zu unterzeichnen und zu ratifizieren, und im Falle Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande und Portugals, dieses Dokument zu ratifizieren; 69. ihre besondere Verpflichtung gegenüber den verschiedenen nationalen Minderheiten, die die Bevölkerung der EU bilden, wahrzunehmen und die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Rechte dieser Minderheiten im Sinne dieser Übereinkommen zu berücksichtigen; 70. die Lage der Roma und Sinti erheblich zu verbessern, insbesondere – gegen jegliche Form der Diskriminierung dieser Minderheit vorzugehen, insbesondere im Bereich der Beschäftigung und der Unterkunft, – ein Bildungssystem zugunsten der Kinder der Roma und Sinti einzuführen, das ihren Bedürfnissen angepasst ist, – zusätzliche Standplätze einzurichten und einen europäischen „Wanderausweis“ einzuführen; d. betreffend die Gleichstellung von Männern und Frauen PE 302.216 DE 16/135 RR\443621DE.doc 71. fordert das Vereinigte Königreich nachdrücklich auf, das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 6. Oktober 1999 zu unterzeichnen und zu ratifizieren, und fordert Belgien, Deutschland, Griechenland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Spanien und Schweden eindringlich auf, dieses Dokument zu ratifizieren; 72. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, rasch das Gesetzesinstrumentarium zu verstärken und auszuweiten, insbesondere durch – Aktualisierung der bestehenden europäischen Rechtsvorschriften betreffend die Gleichbehandlung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, – Ausweitung dieser Rechtsvorschriften auf andere Bereiche des Gesellschaftslebens und nicht nur auf die Bereiche Beschäftigung, Beruf und Entlohnung durch Annahme einer Richtlinie über die Gleichbehandlung, um die Gleichstellung von Männern und Frauen zu gewährleisten, – Einführung angemessener Sanktionen bei Nichteinhaltung, u.a. Anwendung des Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Artikel 226 des EG-Vertrags, – allgemeine Berücksichtigung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bei der Rechtsetzung und der Politik gemäß Artikel 3 Absatz 2 des EG-Vertrags und – Politiken (z.B. im Bereich Elternurlaub und Teilzeitarbeit) auszuarbeiten, um Männern die Möglichkeit zu geben und sie zu ermutigen, ihren Anteil an Pflegeaufgaben zu übernehmen; 73. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, das Übereinkommen über den Mutterschutz vom 15. Juni 2000 zu ratifizieren; 74. spezifische Gesetze betreffend den individualisierten Sozialschutz von Frauen einzuführen; 75. nationale Pläne zur Förderung einer ausgewogeneren Teilnahme von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen anzunehmen, indem u.a. politische Parteien ermutigt werden, Quotensysteme in ihre Wahllisten aufzunehmen; 76. die systematische Erhebung und Veröffentlichung vergleichbarer statistischer Daten auf nationaler und europäischer Ebene zu fördern, um ein deutlicheres Bild der Beteiligung von Männern und Frauen an allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens zeichnen zu können; e. betreffend Diskriminierung aufgrund der sexuellen AusrichtungOrientierung 77. in das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK die sexuelle Orientierung als einen der Gründe für eine Diskriminierung aufzunehmen und das Mandat der EKRI entsprechend auszuweiten, um die Homophobie aufgrund der sexuellen Ausrichtung einzubeziehen; 78. fordert die Mitgliedstaaten auf, alle noch bestehenden diskriminierenden Rechtsvorschriften betreffend die Homosexualität abzuschaffen und alle Personen, die aufgrund derartiger Bestimmungen inhaftiert wurden, aus der Haft zu entlassen; fordert insbesondere Österreich und das Vereinigte Königreich auf, in Übereinstimmung mit den RR\443621DE.doc 17/135 PE 302.216 DE einschlägigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie den vielen Appellen des Europäischen Parlaments die Bestimmungen bezüglich des „Einwilligungsalters“ zu überarbeiten; 79. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung im Straf- oder Zivilgesetzbuch zu verbieten und zu verurteilen, und zwar in jedem Mitgliedstaat, sowie angemessene Maßnahmen im Arbeitsrecht zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu ergreifen; 80. Rechtsvorschriften im Einklang mit dem allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG des Rates) einzuführen, der die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sowie in den Bereichen Gesundheit, Wohnungswesen, Bildung und sozialer Schutz untersagt; nur acht Mitgliedstaaten verfügen bisher über äquivalente Rechtsvorschriften zur Nichtdiskriminierung; 81. Gesetze im Strafgesetzbuch der derzeitigen Mitgliedstaaten aufzuheben, die Homosexuelle und Lesben diskriminieren, sowie sicherzustellen, dass sie den Beitritt keines Landes ratifizieren werden, in dem es Gesetze gibt, die Homosexuelle diskriminieren, insbesondere angesichts des jüngsten Falls von Artikel 200 in Rumänien; f. betreffend nichteheliche Beziehungen 82. – ihre Rechtsvorschriften dahingehend zu ändern, dass nichteheliche Beziehungen zwischen Personen desselben oder unterschiedlichen Geschlechts anerkannt werden und diese Personen gleiche Rechte erhalten, – die Frage der gegenseitigen Anerkennung rechtmäßig anerkannter nichtehelicher Beziehungen in der EU anzusprechen; 83. Rechtsvorschriften zu erlassen, die eine Diskriminierung von seit langer Zeit zusammenwohnenden Paaren verbieten und denselben Rechtsschutz wie für rechtmäßig verheiratete Paare bieten; 84. Ehen gleichgeschlechtlicher Partner rechtmäßig anzuerkennen, um die Diskriminierung zwischen Ehen von Mann und Frau und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern zu verringern; g. betreffend die Rechte der Kinder 85. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Dokumente zu ratifizieren: – das Protokoll Nr. 7 zur EMRK vom 22. November 1984, – das Europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24. April 1967, – das Übereinkommen über die Rechtsstellung von außerehelich geborenen Kindern vom 15. Oktober 1975, – das Übereinkommen über die Ausübung der Rechte des Kindes vom 25. Januar 1996; 86. pädophile Handlungen und Kinderpornographie im Internet als spezifische Delikte in den PE 302.216 DE 18/135 RR\443621DE.doc Strafgesetzbüchern aller Mitgliedstaaten zu verurteilen, und zwar im Rahmen der Ausführung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (KOM(2000) 854), der zur Zeit zur Beschlussfassung ansteht; 87. auf europäischer und nationaler Ebene die Stelle eine Ombudsmannes für Kinder zu schaffen und einzurichten, um das Kindeswohl zu fördern und zu wahren; 88. die Schaffung und Erhaltung – auch aus öffentlichen Mitteln – von Einrichtungen zu fördern, an die sich Kinder im Falle von Missbrauch direkt wenden können; 89. dafür zu sorgen, dass alle in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Kinder Zugang zu Ausbildung haben; 90. nationale Informationskampagnen über die Bedingungen einer internationalen Adoption für professionelle Organisationen und für Personen, die eine Adoption beantragt haben, einzuleiten; h. betreffend die Rechte älterer Menschen 91. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996 zu ratifizieren; 92. die Grundsätze der Vereinten Nationen für die älteren Menschen und ihre Eingliederung in die einschlägigen nationalen Programme anzuwenden; 93. Maßnahmen für den zunehmenden Anteil an älteren Menschen in der Gesellschaft zu verabschieden, die ältere Menschen berechtigen, auf allen Ebenen und in allen Bereichen – sozial, kulturell und politisch – gleichberechtigt mitzuwirken; besondere Aufmerksamkeit sollte den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit und sozialer Schutz gewidmet werden; 94. das in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 verankerte Recht, beim Eintritt in den Ruhestand über ausreichende Mittel für einen angemessenen Lebensstandard zu verfügen, anzuwenden; 95. der Überalterung der Bevölkerung im Rahmen der politischen Maßnahmen und Gepflogenheiten der Regierungen in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit und Sozialschutz Rechnung zu tragen; i. betreffend den Schutz der Behinderten 96. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Dokumente zu ratifizieren: – das Übereinkommen der IAO vom 20. November 1983 über die berufliche Rehabilitation und Beschäftigung behinderter Menschen – sowie die revidierte Europäische Sozialcharta, die das Recht auf Unabhängigkeit und soziale Eingliederung garantiert; RR\443621DE.doc 19/135 PE 302.216 DE 97. Behinderungen als zu vermeidenden Diskriminierungsgrund in das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention aufzunehmen; 98. die Standardregeln der Vereinten Nationen im Bereich der Chancengleichheit für Behinderte anzuwenden; 99. den revidierten Europäischen Kodex der sozialen Sicherheit zu unterzeichnen, der die berufliche Umschulung behinderter Menschen gewährleistet; 100. das Jahr 2003 als Europäisches Jahr der behinderten Mitbürger entsprechend dem Vorschlag der Kommission vorzubereiten und das mehrjährige Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Diskriminierung (2001-2006) anzuwenden, um die Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten zu sensibilisieren und die Probleme im Zusammenhang mit einer Behinderung besser sichtbar zu machen; 101. die Zeichensprache und die Braille-Schrift zur Eingliederung der betreffenden Personen angemessen zu berücksichtigen; IV. Solidarität (Artikel 27 bis 38) empfiehlt den Mitgliedstaaten, a. betreffend die Einhaltung gerechter Arbeitsbedingungen 102. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Übereinkommen zu ratifizieren: – das Übereinkommen der UNO über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen vom 18. Dezember 1990, – die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996; 103. das Mindestalter von 15 Jahren, um insbesondere in Familienunternehmen, im Haushalt und in der Landwirtschaft zu arbeiten, rigoros einzuhalten, einschließlich der entsprechenden Sanktionen; 104. die vom Europarat im Bereich der gerechten Vergütung der erwachsenen oder minderjährigen Arbeitnehmer aufgestellten Kriterien einzuhalten; 105. die Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Leiharbeitnehmer oder der Arbeitnehmer auf Zeit zu verbessern, insbesondere im Dienstleistungssektor, und Mobbing grundsätzlich zu bekämpfen; 106. die Bestimmungen über eine ausreichende Kündigungsfrist entsprechend den Mindestbestimmungen der revidierten Sozialcharta einzuhalten; 107. den Kampf gegen nicht angemeldete Erwerbstätigkeit zu intensivieren; b. betreffend den Sozialschutz PE 302.216 DE 20/135 RR\443621DE.doc 108. den Zugang zu erschwinglicher Gesundheitsfürsorge für jeden, insbesondere für Personen mit niedrigem Einkommen, sicherzustellen; 109. dafür zu sorgen, dass jede in ihrem Hoheitsgebiet lebende Person Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge hat; 110. die Bestimmungen der revidierten Europäischen Sozialcharta und der europäischen Richtlinie betreffend das Recht auf Mutterschaftsurlaub hinsichtlich der Dauer und der Höhe der Leistungen sowie des Verbots der Kündigung während dieser Zeit, auch im Bereich der Hausarbeit, rigoros einzuhalten, einschließlich der einschlägigen Sanktionen; c. betreffend die Bekämpfung der Ausgrenzung 111. die Sicherung der grundlegenden materiellen Bedürfnisse von Personen, die in äußerster Armut leben, zu gewährleisten, Praktiken zu bestrafen, mit denen diese Personen ausgegrenzt werden, und entschieden eine Strategie zur Bekämpfung der großen Armut in der EU zu verfolgen; 112. die notwendigen politischen Maßnahmen anzuwenden, um allen Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, menschenwürdige Unterkünfte anbieten zu können, da das Nichtvorhandensein einer Wohnung zu den wichtigsten Faktoren der Ausgrenzung zählt, und heruntergekommene Viertel im Wege der Förderung einer hochwertigen Architektur zu sanieren; empfiehlt d. betreffend den Verbraucherschutz, 113. dass der Rat eine Entschließung annimmt, in der das Vorsorgeprinzip präzisiert wird, um zu einer möglichst genauen und vorhersehbaren juristischen Definition dieses Prinzips und der entsprechenden Anwendungsbedingungen zu gelangen; 114. dass die EU und die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen annehmen, um die wissenschaftliche Forschung in den Sektoren zu intensivieren, die in der Öffentlichkeit Anlass zu tiefer Besorgnis geben, und um die Transparenz, die Rückverfolgbarkeit der Erzeugnisse und die Information der Verbraucher zu gewährleisten; V. Unionsbürgerschaft (Artikel 39 bis 46) empfiehlt den Mitgliedstaaten a. betreffend das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum EP und bei den Kommunalwahlen, 115. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Europäische Übereinkommen zu ratifizieren: – das Europäische Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben vom 5. Februar 1992, RR\443621DE.doc 21/135 PE 302.216 DE – das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 15. November 1997; 116. um gegen eine zunehmende Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit vorzugehen, die sich in einer unzureichenden Beteiligungsrate an den Europawahlen äußert, eine neue Regierungsführung für europäische Angelegenheiten einzuführen, die transparenter und wirksamer ist, und mit einer echten Informationspolitik für die Bürger einhergeht; 117. die Bürger der Union besser über Wahlen zu informieren, damit sie in ihrem Wohnsitzland an den Wahlen zum Europäischen Parlament und an den Kommunalwahlen teilnehmen können; 118. alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit Nicht-EU-Bürger, die rechtmäßig auf dem Hoheitsgebiet der EU wohnhaft sind, verstärkt am politischen Leben teilnehmen können; 119. das Wahlrecht auf Bürger von Drittländern, die bereits lange in der Europäischen Union ansässig sind, auszuweiten; 120. das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen und den Wahlen zum EP, das Artikel 19 EGV allen Unionsbürgern zuspricht, auf alle Nichtunionsbürger auszudehnen, die seit mindestens drei Jahren im Hoheitsgebiet der EU rechtmäßig ansässig sind; 121. in den Fällen, in denen dies noch nicht erfolgt ist, folgende Europäische Übereinkommen zu ratifizieren: – das Europäische Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben vom 5. Februar 1992, – das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997; empfiehlt b. betreffend Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit, 122. der Kommission, dem Rat und den Mitgliedstaaten, alle für die uneingeschränkte Durchführung der Freizügigkeit von Personen kraft Artikel 14 EGV erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen; 123. der Kommission, unverzüglich eine Neufassung der bisher geltenden Texte vorzunehmen, um u.a. – die Ausübung des Aufenthaltsrechts von Studenten, Forschern und Rentnern zu erleichtern, – die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts und der Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer zu beheben, insbesondere im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit und des Erwerbs von Rentenansprüchen, – den Familienangehörigen eines Bürgers der Europäischen Union den Schutz des Familienlebens zu gewährleisten, – das Recht auf Freizügigkeit und freie Wohnortwahl auf Staatsangehörige von PE 302.216 DE 22/135 RR\443621DE.doc Drittstaaten auszudehnen, die seit mindestens drei Jahren in ihrem Hoheitsgebiet rechtmäßig ansässig sind; 124. den Mitgliedstaaten, ihre Politik im Bereich der Abschiebung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der Volksgesundheit besser zu koordinieren, und zwar unter Achtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften; 125. den Mitgliedstaaten, durch ein Übereinkommen eine europäische Verfassung auszuarbeiten, die von den Bürgern angenommen wird und deren Präambel die Charta ist, als echter Gesellschaftsvertrag, mit dem die Gebote der Transparenz und der Demokratie wirksam gewährleistet werden und mit dem die Europäische Union den Bürgern näher gebracht wird; 126. den Mitgliedstaaten, die Charta zu einem verbindlichen Instrument zu machen und ein kohärentes System für den Schutz der Grundrechte europaweit zu gewährleisten und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um es der EU zu ermöglichen, Rechtspersönlichkeit zu erhalten und der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten; empfiehlt c. betreffend das Recht auf eine gute Verwaltung, 127. dass nach dem Vorbild des vom Europäischen Bürgerbeauftragten vorgeschlagenen Verhaltenskodexes vergleichbare Kodizes für alle Institutionen und dezentralisierten Organe der EU angenommen werden; 128. dass in die Verhaltenskodizes der Mitgliedstaaten und der europäischen Institutionen das Prinzip der Neutralität des staatlichen Handelns ergänzend zu den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Unabhängigkeit eingefügt wird, nach denen sich jede Verwaltung zu richten hat; empfiehlt den Mitgliedstaaten d. betreffend das Recht auf Zugang zu Dokumenten, 129. den Beschluss des Rates und des Europäischen Parlaments für eine Verordnung über die Umsetzung von Artikel 255 EGV rigoros anzuwenden; VI. Justiz (Artikel 47 bis 50) empfiehlt den Mitgliedstaaten a. betreffend das Recht auf einen fairen Prozess, 130. die Empfehlung vom 25. Oktober 2000 über die Freiheit, den Beruf des Rechtsanwalt auszuüben, anzuwenden; RR\443621DE.doc 23/135 PE 302.216 DE 131. die Gerichtsverfahren, die in einigen Mitgliedstaaten nach Aussage des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte viel zu langwierig sind, zu beschleunigen und generell die Effizienz der öffentlichen Gerichtsbarkeit insbesondere durch die neuen Informationstechnologien zu erhöhen; 132. die Verzögerungen oder die Widerwilligkeit der nationalen Behörden, sich nach den ergangenen Urteilen zu richten, zu beobachten und ggf. Sanktionen aufzuerlegen; 133. auf die unverzügliche Ausführung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch die nationalen Gerichtsbehörden zu achten und ihre nationalen Rechtsvorschriften sowohl an die EMRK als auch an die Rechtsprechung des Gerichtshofs in Straßburg anzupassen; 134. die Zugangsmodalitäten der rechtssuchenden Bürger zum Rechtsbehelf in allen Bereichen und für alle Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ohne Einschränkung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit oder des Wohnorts zu reformieren, sowie die Bedingungen für den Zugang zu kompetenten und kostenlosen Dolmetschleistungen erheblich zu verbessern; b. betreffend die Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte, 135. den Grundsatz der Unschuldsvermutung, auch bei der Bekämpfung des Terrorismus, zu gewährleisten und grundsätzlich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Untersuchungshaft auf das Mindestmaß zu beschränken; 136. sich auf gemeinsame Mindestnormen für bestimmte Aspekte des Verfahrensrechts zu einigen, beispielsweise auf Bestimmungen für im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ergangene Anordnungen und die Rechte der Verteidigung, um ein gemeinsames Maß an Schutz für die Grundrechte in der gesamten EU zu gewährleisten; 137. vertritt die Auffassung, dass diese Entschließung keine beschränkenden Auswirkungen auf die künftige Auslegung und Entwicklung der Rechte und Freiheiten der Unionsbürger und der sie betreffenden Prinzipien sowie der Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt wurden, hat; 138. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Europäischen Bürgerbeauftragten, dem Europarat sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der beitrittswilligen Länder zu übermitteln. PE 302.216 DE 24/135 RR\443621DE.doc BEGRÜNDUNG "Wort halten …." ----------------------EINLEITUNG Die Billigung der Charta der Grundrechte durch das Parlament im November und ihre Proklamation am 7. Dezember 2000 in Nizza stellten ein Novum dar. Die Charta ist gleichzeitig Bekräftigung gemeinsamer Werte, Proklamation der Identität und politisches Konzept und dient so als Basistext für die Menschenrechte. Als äußerst europäischer Text sowohl durch ihre Ausarbeitung durch den Konvent, in dem die drei demokratischen Legitimitäten zusammentrafen, nämlich die der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments und die der Regierungen, als auch durch ihren Anwendungsbereich, d.h. die Europäische Union und die Mitgliedstaaten, im Falle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts oder der Abweichung davon, ist die Charta in der Tat unumgänglich geworden. Auch wenn sie noch nicht in die Verträge aufgenommen worden ist, so geht die Bedeutung der Charta als Basisdokument über das ursprüngliche Ziel ihrer Ausarbeitung hinaus, und sie wird selbstverständlich Auswirkungen auf die nationalen Rechtsvorschriften haben. Zum ersten Mal werden in einem einzigen Text bürgerliche, politische, wirtschaftliche und soziale Rechte gemeinsam behandelt und sollten in ihrer Gesamtheit analysiert werden. Als Ausdruck der europäischen Gesellschaft stellt die Charta einen Mindeststandard für den Schutz dar, auf den jeder Unionsbürger ein Anrecht hat. Sie wurde auch rasch zu einem bereits von den nationalen und gemeinschaftlichen Gerichten verwendeten Teil positiven Rechts1. Die Einhaltung der Charta sollte auch im Rahmen des in Artikel 6 und 7 des EUV vorgesehenen Frühwarnsystems berücksichtigt werden, wenn die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments entsprechend dem Vorschlag ihres Berichterstatters in diesem Sinne geändert wird. All diese Gründe haben den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten dazu veranlasst, meinen zweifachen Vorschlag zu billigen: – Änderung des Titels des Jahresberichts über die Menschenrechte in „Bericht über die Einhaltung der Grundrechte in der Europäischen Union“; – Verfolgung einer Methode, die darin besteht, die Charta als Arbeitsinstrument und Schlüssel für eine nach Rechten und Ländern gegliederte Analyse zu nutzen. In aller Bescheidenheit versteht sich dieser erste Bericht unter diesen Voraussetzungen eher als Vorlage oder erster Gehversuch auf dem Weg zu einer neuen Methode als umfassender 1 Schlussanträge des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Tizzano in der Rechtssache C-173/99, Randnummer 28 RR\443621DE.doc 25/135 PE 302.216 DE Text, und zwar aus folgenden Gründen: – Ihrem Berichterstatter standen nur wenige Hilfsmittel zur Verfügung. Es gibt keinen spezifischen Dienst im Europäischen Parlament für die Grundrechte in der Union, der sowohl im Verlauf des Jahres bei der Sammlung für die Prüfung nützlicher Quellen als auch bei der Ausarbeitung dieses Berichts helfen kann. Die dringende Einrichtung eines solchen Dienstes muss eine vorrangige Forderung des Parlaments und insbesondere seines Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten sein, wenn er seiner Rolle als Hüter der Grundrechte in Europa voll und ganz gerecht werden soll. – Das Fehlen der Sammlung und Analyse von Informationen über die nationalen Rechtsvorschriften und Praktiken sowie ihrer Anwendung in der Rechtsprechung der nationalen Gerichte ist spürbar. Dies ist umso bedauerlicher als das Parlament die Mittel hätte, Informationen kostengünstig einzuholen. Die Einrichtung eines Sachverständigennetzes muss deshalb ebenfalls eine Hauptforderung sein. – Bisher mangelt es an Zusammenarbeit bei diesen Themen mit den nationalen Parlamenten, die doch die natürlichen Ansprechpartner des Europäischen Parlaments darstellen und einen sehr nützlichen Beitrag zu allen gemeinschaftlichen Analysen der Einhaltung der Grundrechte leisten könnten. Diese drei Gründe erklären, warum ihr Berichterstatter gezwungen war aufgrund fehlender Hilfsmittel nur 26 von 50 Artikeln zu prüfen und sich hauptsächlich auf die im Übrigen grundlegenden und wertvollen Berichte des Europarates, der NRO und verschiedener in der Anlage zitierter Einrichtungen zu stützen, da bisher keine eigenen Unterlagen des Parlaments in diesem Bereich genutzt werden können. Die Themen und die ersten Empfehlungen wurden vom Berichterstatter ausgewählt, der sich dabei jedoch voll und ganz des unvollständigen Charakters des Dokuments bewusst ist. Es ist eher als Ausgangspunkt für eine Methode zu verstehen, die sich bei der Analyse auf Systematisierung und bei den Empfehlungen auf Weiterverfolgung stützt; und es ist Aufgabe des Parlaments, ihre Verwirklichung Jahr für Jahr zu überprüfen. Dieser Bericht präsentiert sich folglich als Ganzes und die Empfehlungen sind untrennbar mit der Begründung verbunden; in der Tat werden in dieser Begründung die Ereignisse des Berichtsjahrs ausführlich dargelegt, die das Ausgangsmaterial und die Grundlage für die Empfehlungen bilden. Der vorliegende Bericht folgt der Untergliederung der Charta, die die Rechte in sechs einzelne Kapitel unterteilt. Die gleiche Untergliederung findet sich in der Begründung und in der diesbezüglichen Entschließung wieder; dazu kommt noch ein siebtes Kapitel allgemeiner Empfehlungen, was die Mittel angeht. In diesem Bericht wird der Berichterstatter nicht von der Absicht geleitet, dieses oder jenes Land zu stigmatisieren, sondern die festgestellten nackten Tatsachen darzulegen (immer vorbehaltlich möglicher Irrtümer). PE 302.216 DE 26/135 RR\443621DE.doc Es steht zu befürchten, dass „Null Fehler“ eine Utopie bei den Grundrechten darstellt, auch wenn darin weiterhin die Zielsetzung besteht. Die Einhaltung der Rechte bedeutet vor allem sehr rasch jegliche Beeinträchtigung und Abweichung festzustellen, die dafür Verantwortlichen dafür zu bestrafen und alle administrativen und rechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Wiederholung auszuschließen, unbeschadet jedoch des ständigen Bemühens um Verbesserung des allgemeinen Schutzniveaus der Grundrechte auf dem Gebiet der Europäischen Union. Dies ist der Preis für die Glaubwürdigkeit der Union. Zunächst einmal muss sie sich selbst beurteilen. In diesem Sinne legt ihr Berichterstatter diesen Bericht vor. RR\443621DE.doc 27/135 PE 302.216 DE KAPITEL I. WÜRDE DES MENSCHEN: ARTIKEL 1 bis 5 1. Verbot der Folter und von unmenschlicher Behandlung Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Artikel 4: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen In dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19661 (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU) wird „Folter oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ verboten (Artikel 7). In diesem Pakt heißt es: „Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden.“ (Artikel 10). Das Protokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19662 (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU) ermächtigt den Ausschuss für Menschenrechte, Beschwerden von Einzelpersonen entgegenzunehmen und zu prüfen. Das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 19843 ist noch nicht von Irland ratifiziert worden. Darüber hinaus haben auch Deutschland und das Vereinigte Königreich die Zuständigkeit des Ausschusses gegen Folter (CAT) noch nicht anerkannt, sowohl Mitteilungen von Vertragsstaaten entgegenzunehmen (Artikel 21) als auch Beschwerden von einzelnen Personen zu prüfen (Artikel 22). Im Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 19894 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) werden den Kindern die gleichen Rechte wie den Erwachsenen zuerkannt. So ist sicherzustellen, „dass kein Kind der Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung … unterworfen wird … weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe … verhängt werden … dass […] die Freiheit rechtswidrig … entzogen wird“ (Artikel 37). 1 Resolution 2200 A (XXI) Resolution 2200 A (XXI) 3 Resolution 39/46 4 Resolution 44/25 2 PE 302.216 DE 28/135 RR\443621DE.doc – Europarat In der EMRK vom 4. November 19501 (Artikel 3) heißt es: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ In dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. November 19872 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) wurde der Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT) errichtet3. – Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg Artikel 3 EMRK – Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung In Artikel 3 ist einer der grundlegendsten Werte der demokratischen Gesellschaften verankert und sogar unter schwierigsten Umständen, wie z.B. der Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen, verbietet die Konvention kategorisch Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung; in Artikel 3 sind keinerlei Ausnahmen vorgesehen und gemäß Artikel 15 Absatz 2 ist sogar im Falle eines öffentlichen Notstandes oder wenn das Leben einer Nation bedroht ist keinerlei Abweichung zulässig4. Die Konvention verbietet Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung ungeachtet des Verhaltens des Opfers5. Im Zusammenhang mit Personen, die ihrer Freiheit beraubt sind, ist der Einsatz körperlicher Gewalt, die nicht durch das eigene Verhalten dieser Personen unbedingt erforderlich gemacht wurde, als Verletzung der Menschenwürde anzusehen und stellt prinzipiell einen Verstoß gegen das in Artikel 3 verankerte Recht dar6. Die Misshandlung muss einen mindestschweren Grad erreicht haben, um in den Anwendungsbereich von Artikel 3 zu fallen. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Falles ab, wie z.B. der Dauer der Misshandlung, ihrer körperlichen und mentalen Folgen und in einigen Fällen von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers7. Handlungen, die dazu führen, Furcht, Schmerz und Minderwertigkeitsgefühle zu wecken, die erniedrigen und entwürdigen und möglicherweise den körperlichen und moralischen Widerstand brechen können, weisen Elemente auf, die ernst genug sind, um eine solche Behandlung unmenschlich und erniedrigend zu machen8. Die damit zusammenhängenden Leiden oder Erniedrigungen müssen auf jeden Fall über das hinausgehen, was als unvermeidliches Leiden oder unvermeidliche Erniedrigung im Zusammenhang mit einer 1 Nr. 005 Nr. 126 3 Dieser unerlässliche Kontrollmechanismus war Gegenstand eines ähnlichen Vorschlags an die UNO, Entwurf eines Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen die Folter, in dem die Einführung eines universellen Mechanismus zur Verhütung von Folter durch ein System von Besuchen in den Haftanstalten vorgesehen ist. 4 Siehe Selmouni gegen Frankreich [Große Kammer] Urteil vom 28. Juli 1999, Nr. 25803/94, § 95, EGMR 1999-V; Labita gegen Italien [Große Kammer] Urteil vom 6. April 2000, Nr. 26772/95, § 119 5 Siehe Labita gegen Italien, Urteil vom 6. April 2000, wie oben erwähnt, § 119 6 Siehe Selmouni gegen Frankreich, Urteil vom 28. Juli 1999, wie oben erwähnt, § 99 7 Siehe Labita gegen Italien, Urteil vom 6. April 2000, wie oben erwähnt, § 120 8 Siehe Selmouni gegen Frankreich, Urteil vom 28. Juli 1999, wie oben erwähnt, § 99 2 RR\443621DE.doc 29/135 PE 302.216 DE bestimmten Form rechtmäßiger Behandlung oder Bestrafung verbunden ist; die Behandlung wurde vom Gerichtshof als „unmenschlich“ erachtet, da sie unter anderem vorsätzlich geschah, über Stunden ununterbrochen andauerte und entweder zu einem tatsächlichen körperlichen Schaden oder starken körperlichen und seelischen Leiden führte1. Die Liste der Ausnahmen von dem Recht auf Freiheit gemäß Artikel 5 Absatz 1 ist erschöpfend, und nur eine enge Auslegung dieser Ausnahmen entspricht dem Ziel der Bestimmung2. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE A. Polizei a) Misshandlungen Nach den Berichten von Amnesty International (2000), der FIDH sowie von durch den CPT erstellten nationalen Berichten sind noch heute zu viele Fälle von Misshandlung durch die Polizei hauptsächlich gegenüber Ausländern festzustellen, Gewaltakte, die auch Minderjährige und schwangere Frauen nicht verschonen und in einigen Fällen bis zum Tod führen können. Amnesty International weist auf Misshandlungen von antifaschistischen Demonstranten (A), maghrebinischen und afrikanischen Demonstranten (F), Türken (D), Roma (I) und von Einwanderern (vor allem E) hin. Sowohl bei Ausweiskontrollen als auch bei Verfolgungsjagden oder während der Festnahme auf Polizeirevieren sind verhaftete Personen zu Tode gekommen. Solche Fälle ereigneten sich in den Jahren 1999 und 2000 (S, F, D, E, P, I und GB). Ferner sind die Gewaltakte und sogar Todesfälle im Zusammenhang mit Ausländern während der Ausweisung hervorzuheben (nach Angaben der FIDH und der FI.ACAT „Kissenmethode“ im Jahr 1999 in B, A; polizeiliche Gewalt im Jahr 2000 in D). Zu den Misshandlungen zählen auch die Haftbedingungen in den Polizeirevieren während des Polizeigewahrsams (F, z.B. in ungeeigneten und dauerbeleuchteten Räumlichkeiten; D, Fall einer jungen Schwangeren aus Togo, der Handschellen angelegt wurden). Die Antiterroristengesetze im Vereinigten Königreich und in Spanien führen auch zu Missbräuchen (Abhören von Gesprächen, lange Einzelhaft)3. Der CPT und Amnesty International betonen, dass noch zu häufig in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU von der Polizei verhaftete Personen während der Verhöre keinen Rechtsbeistand erhalten, nicht angemessen medizinisch versorgt werden können und keinerlei 1 Siehe Labita gegen Italien, Urteil vom 6. April 2000, wie oben erwähnt, § 120 Siehe Labita gegen Italien, wie oben erwähnt, § 170 3 per Gesetz vom 12. Januar 2000 über die strafrechtliche Verantwortung von Minderjährigen im Zusammenhang mit Terrorismus (E) sowie Regelung über die Untersuchungsbefugnisse vom Juli 2000 (GB), die im Bericht 2000 von Amnesty International angeführt werden. 2 PE 302.216 DE 30/135 RR\443621DE.doc Kontakt zu ihren Angehörigen haben. b) die relative Straflosigkeit der Polizeikräfte Zwar ist anzuerkennen, dass die Aufgabe der Polizei oft schwierig ist, aber es ist anhand der oben genannten Berichte feststellbar, dass die Opfer von so besonders offensichtlicher Gewalttätigkeit, die deshalb ein Recht auf Bestrafung der schuldigen Beamten und auf Schadensersatz haben, mit übermäßig langsam vorankommenden Ermittlungen zu kämpfen haben. Die Rechtsprechung in diesem Bereich ist unterschiedlich. In einigen Fällen werden Polizisten tatsächlich mit unbedingten Freiheitsstrafen und der Entlassung aus dem Polizeidienst bestraft, während sie in vielen anderen, offensichtlich ähnlich gelagerten Fällen höchstens zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt und im Dienst belassen werden. Darüber hinaus kommt es vor, dass einige Polizeigewerkschaften heftig gegen die Ermittlungen gegen ihre Kollegen protestieren und faktisch Druck auf die Justiz ausüben (in Österreich hat sich Amnesty International besorgt über die von den Polizeigewerkschaften gegen Zeugen von Gewaltakten angestrengten Verleumdungsverfahren geäußert). c) die Gegenmaßnahmen Alle Mitgliedstaaten haben Anstrengungen zur Ausbildung des Polizeipersonals sowie zu einer Diversifizierung der Einstellung (weibliches Personal, Polizisten mit einer anderen ethnischen Herkunft) unternommen. Es ist sogar nach Ansicht der Verfasser der Berichte wichtig, diese Anstrengungen fortzusetzen; in der Tat hängt von der Qualität der Ausbildung der Polizisten (besseres Erfassen der jeweiligen Situation, Menschenrechtsbewusstsein und Vorurteilslosigkeit, Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel und Waffentypen) ein Großteil der Verminderung der „Unkorrektheiten“ ab. Es wäre wünschenswert, dass alle Mitgliedstaaten eine unabhängige Behörde für die Prüfung von Beschwerden und die Ermittlungsverfahren einrichten, um die Justizbehörden besser unterrichten zu können, wenn sie befasst werden.1 Deshalb erweist es sich auch als wünschenswert, dass alle Mitgliedstaaten der EU den verhafteten und in den Polizeirevieren festgehaltenen Personen den unerlässlichen rechtlichen und medizinischen Beistand gewährleisten (vgl. Gesetz über die Unschuldsvermutung in Frankreich und Videoaufzeichnung der Verhöre). B. Gefängnisse a) Gewalt in Gefängnissen Nach Berichten des CPT, von Amnesty International und der FI.ACAT sowie aufgrund verschiedener Berichte von Untersuchungsausschüssen nationaler Parlamente werden offenbar noch zu häufig in Gefängnissen der EU einsitzende Personen von Vollzugsbeamten auf nicht hinnehmbare Weise brutal behandelt: sinnlose Gewaltakte, Anlegen von 1 In Frankreich im Juni 2000 Einrichtung einer Ethikkommission für Sicherheitsprobleme und in Griechenland im Oktober 1999 eines Büros für interne Angelegenheiten; wobei diese beiden Einrichtungen für die Untersuchung von Polizeigewalt zuständig sind (solche Ausschüsse soll es nicht in FIN und I geben). RR\443621DE.doc 31/135 PE 302.216 DE Handschellen, sexueller Missbrauch, erniedrigende Leibesvisitationen (IRL, niederländische Antillen, GB, E, I). Eine mangelnde Überwachung ist auch der Grund für zahlreiche Selbstmorde1. Zu dieser „institutionellen Gewalt“, die nicht durch die erforderliche Aufrechterhaltung der Sicherheit gerechtfertigt werden kann, kommt offenbar noch die Gewalt zwischen den Gefangenen dazu, die meistens die Folge einer Überbelegung der Gefängnisse ist, die im Folgenden geprüft wird. b) Unwürdige Lebensbedingungen Aus den meisten Berichten gehen häufig unwürdige Lebensbedingungen in den meisten Gefängnissen der EU hervor, wie z.B. – unzureichende Gesundheitsversorgung – fehlende körperliche Ertüchtigung – das Fehlen von Vorschlägen für der Resozialisierung dienenden Tätigkeiten – das Fehlen ausreichender sanitärer Einrichtungen – noch unwürdigere Bedingungen in der Isolierhaft (Anlegen von Handschellen, lange Isolation, „das Gefängnis im Gefängnis“). Die traditionelle bestrafende Rolle des Gefängnisses muss einhergehen mit seiner Aufgabe der Resozialisierung, die in vielen Fällen eher symbolisch als tatsächlich verstanden wird. Nun stammen die Häftlinge in den meisten Fällen aus sozialen Problemgruppen (an der Armutsgrenze lebende marginalisierte Personen ohne berufliche Qualifikation, ohne familiäre und emotionale Bindungen). Deshalb muss den Maßnahmen zur Resozialisierung Vorrang gegeben werden. Im Gefängnis sind im Allgemeinen ärztliche Behandlungen für eine vergleichbare Altersgruppe häufiger erforderlich als außerhalb. Im Strafvollzug ist besondere Wachsamkeit geboten: Kontrolle von Kranken (Aids, Hepatitis, Tuberkulose), Ausbildung und Unabhängigkeit des medizinischen Personals, spezialisierte medizinisch-psychologische Dienste. Zur Erleichterung der Resozialisierung der Häftlinge, insbesondere der mit lange Haftstrafen, müssten die von einigen Mitgliedstaaten unternommenen Anstrengungen, die Gefängnisse menschlicher zu machen, auf alle Gefängnisse der EU ausgedehnt werden. Zur Aufrechterhaltung ihrer sozio-emotionalen Bindungen muss den Häftlingen in welcher Form auch immer die Möglichkeit für emotionale und sexuelle Beziehungen in für diese Art von Zusammentreffen geeigneten Räumlichkeiten gegeben werden (diese Möglichkeiten bestehen in Deutschland, Dänemark, Spanien; in Frankreich gibt es versuchsweise die Familienbesuchseinheiten UVF). Schließlich sollten die Mitgliedstaaten der Verbesserung bestimmter weit abgelegener Strafanstalten (niederländische Antillen, Gran Canaria, Isle of Man) besondere Aufmerksamkeit widmen, bei denen der CPT schwere Mängel und unzureichende Kontrollen 1 Die Fl.ACAT nennt den Fall einer Selbstverbrennung in einer Zelle des Gefängnisses von Poissy (F) im Dezember 2000. PE 302.216 DE 32/135 RR\443621DE.doc festgestellt hat. c) Überfüllte Haftanstalten und Alternativen Die überfüllten Haftanstalten sind in der EU ein nahezu generelles Phänomen. Die Raten liegen zwischen 54/100.000 in Griechenland und 145/100.000 in Portugal. Ungefähr 400.000 Personen sind in der EU inhaftiert1. Unter Häftlingsinflation versteht man eine ständig wachsende Zahl von Häftlingen im Vergleich zum Wachstum der Gesamtbevölkerung (z.B. lag der Häftlingszuwachs in Frankreich zwischen 1975 und 1995 bei 100%, während das Bevölkerungswachstum nur bei 10% lag). Die Häftlingsinflationsraten schwanken zwischen 240% in den Niederlanden und 6% in Dänemark. In einigen Ländern beruht diese Zunahme auf einer höheren Untersuchungshaftrate (im Jahr 1997 schwankte diese Rate zwischen 6% in IRL, 36% in FR, IT und 43% in P). Andere Gründe hängen mit einer Änderung der Häftlingsstruktur zusammen: in den Gefängnissen sitzen heute nicht nur die „klassischen“ Straffälligen und Kriminellen ein, sondern viele Sexualstraftäter (bei 30% der Kranken handelt es sich um Fälle für die Psychiatrie und um Drogenabhängige) und ein starker Ausländeranteil (25%). Schließlich ist die gleichzeitige Zunahme kurzer und langer Strafen (insbesondere bei Sexualstraftätern) ebenso wie die Verhängung von Strafen ohne Straferlass (F zum Beispiel) der Hauptgrund dafür. Ein Ausweg aus dieser Situation führt weniger über den Bau neuer Gefängnisse als über die Suche nach Alternativen zur Inhaftierung, sei es nun bei der Verhängung kurzer als auch langer Freiheitsstrafen: die Anwendung der Unschuldsvermutung (F), die zu einer maximalen Verringerung der Untersuchungshaft führen sollte, und für leichtere Vergehen individuelle Ersatzstrafen (die den allgemeinen Amnestie-Maßnahmen vorzuziehen sind), Freilassung auf Bewährung, offener Strafvollzug (gegebenenfalls verbunden mit dem Tragen eines elektronischen Armbands), externe Unterbringung. Sehr lange Freiheitsstrafen, die bei den Häftlingen zu Verzweiflungstaten führen (Hungerstreiks, Selbstverstümmelung, Selbstmord), stellen ebenfalls ein Problem dar. d) Besondere Häftlingsgruppen Besondere Aufmerksamkeit sollte bestimmten spezifischen Häftlingsgruppen zukommen: – Minderjährigen In den Schlussfolgerungen seines 9. Gesamtberichts, in dem es vor allem um inhaftierte Minderjährige geht, formuliert der CPT Empfehlungen unter Berücksichtigung der Problematik dieser Kategorie von minderjährigen Häftlingen unter 18 Jahren, u.a.: – die Inhaftierung sollte als letztes Mittel angewandt werden und so kurz wie möglich sein – die Unterbringung von Minderjährigen sollte getrennt von den Erwachsenen und vorzugsweise in speziell für sie konzipierten Haftanstalten geschehen 1 In Italien beispielsweise, wo die Haftanstalten erheblich überfüllt sind (53 728 Häftlinge Ende September bei einer Kapazität von 42 876 Häftlingen RR\443621DE.doc 33/135 PE 302.216 DE – – das Personal sollte gemischt sein, und den Tätigkeiten sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, die vorgeschlagen werden, um zu verhindern, dass die mangelnde Anpassungsfähigkeit dieser Minderjährigen noch zunimmt die Aufrechterhaltung eines guten Kontaktes zur Außenwelt sollte gewährleistet sein. – Frauen und Müttern Frauen stellen weniger als 10% der Gefängnisinsassen dar. Das Zusammensein von Mutter und Kind müsste dadurch angestrebt werden, dass es in den normalen Haftanstalten mehr getrennte Haftabteilungen gibt. In seinem 10. Gesamtbericht betonte der CPT insbesondere die Schwierigkeiten schwangerer Frauen und der vor- und nachgeburtlichen Betreuung. Sicher ist es gängige Praxis, zum gegebenen Zeitpunkt die inhaftierten schwangeren Frauen in externe Krankenhäuser zu verbringen. Der CPT hat jedoch Fälle beobachtet, in denen schwangeren Frauen während einer gynäkologischen Untersuchung oder einer Geburt Handschellen angelegt oder diese Frauen angebunden wurden! Ein Gefängnis ist offensichtlich kein geeigneter Aufenthaltsort für ein Baby oder Kleinkind. Eine zwangsweise Trennung von Mutter und Kind jedoch ist ebenfalls nicht wünschenswert. Das in diesen Fällen anwendbare Prinzip sollte allein das Wohl des Kindes sein. In einer jüngsten Empfehlung (R 1469-2000) „Mütter und Babys im Gefängnis“ fordert das Ministerkomitee des Europarats die Mitgliedstaaten auf: – – – Frauen mit Kleinkindern Strafen aufzuerlegen, die sie in der Gemeinschaft ableisten können, und Inhaftierung zu vermeiden; so zu verfahren, dass die Gerichte nur Freiheitsstrafen gegen schwangere oder stillende Frauen verhängen, falls eine schwere Straftat oder ein Gewaltverbrechen vorliegt und die betreffende Person eine ständige Gefahr darstellt; in diesem Fall kleine geschlossene oder halbgeschlossene Einheiten zu schaffen, die über medizinische Versorgung verfügen. – Geisteskranken In den Gefängnissen sitzen heutzutage häufig immer mehr Geisteskranke ein. Tatsächlich kommen die psychiatrischen Gutachten seit Jahren immer weniger zu dem Schluss, dass Straffällige völlig unzurechnungsfähig sind. Die Tendenz besteht heute darin, eine „einfache mindere Zurechnungsfähigkeit“ zugrunde zu legen, die die Strafdauer auf ein Mindestmaß herabsetzen kann, aber dem oder derjenigen, der/die in Wirklichkeit einer Behandlung in der Psychiatrie bedarf, nicht das Gefängnis erspart. Die Gefängnisse stehen deshalb vor einem Zustrom geisteskranker Straffälliger, für die sie nicht geeignet sind. Daraus ergeben sich schwere Risiken sowohl der Übermedikamentierung und der Verschlechterung des Zustands dieser Personen als auch von Selbstmorden, deren Zahl ständig steigt (40% der Selbstmorde geschehen während der ersten drei Monate nach der Inhaftierung, davon mehr als die Hälfte in den ersten 14 Tagen). – sehr betagten Häftlingen PE 302.216 DE 34/135 RR\443621DE.doc Schließlich werden aufgrund der längeren Haftstrafen wegen Drogenhandels und Sexualverbrechen die Häftlinge in mehreren Mitgliedstaaten der EU immer älter1. Diese sehr betagten Häftlinge gehören eher in geriatrische Einrichtungen als in Gefängnisse, in denen sie eine besondere Belastung darstellen. Es müssten deshalb Maßnahmen für diese sehr alten Häftlinge erwogen werden, die häufig keine Familie haben und deren Resozialisierung hypothetisch ist. Zur Erinnerung beträgt die Selbstmordrate in den Gefängnisse der EU pro 10.000 Häftlinge 1,8 in Griechenland, 11 im Vereinigten Königreich, 13 in Deutschland, 17 in Österreich, 23 in Frankreich und 30 in Finnland. e) die Disziplinarordnung Das Prinzip, nach dem der Häftling über Rechte verfügt, wird erst seit kurzem anerkannt und angewandt. Das Gefängnis war lange Zeit ein gesetzfreier Raum. Nun entwickelt sich die Situation äußerst positiv. Der Häftling bekommt z.B. eine Belehrung über seine Rechte und Pflichten im Rahmen der Anstaltsordnung ausgehändigt. In Wirklichkeit müssen diese Rechte jedoch noch eingehalten werden. In der Tat hat die Verwaltung im Bereich des Disziplinarverfahrens einen zu großen Spielraum (das Fehlen eines Rechtsanwalts) und die Beschwerdemöglichkeiten sind eher theoretisch als reell, da die Vorgesetzten sich meistens hinter ihre Vollzugsbeamten stellen. Bei den Strafen stellt die Isolierhaft manchmal bis zur Hälfte der gesamten Strafe dar. Der Zustand dieser Trakte, der „Verließe“, müsste streng kontrolliert werden, da dies häufig einen guten Indikator für den korrekten Betrieb eines Gefängnisses darstellt. Systematische Leibesvisitationen finden häufig im Übermaß statt, während sie sich ebenso wie das Anlegen von Handschellen auf gefährliche Subjekte beschränken sollten. Die Annahme von Strafvollzugsgesetzen, in denen der Status des Gefangenen festgelegt wäre und die die Anwesenheit eines Rechtsanwalts bei Disziplinarverfahren vorsehen würden, wäre dort, wo sie noch nicht existieren, zu begrüßen. Es müssten auch Fortschritte im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts, mit dem Briefgeheimnis (außer in legitimen Fällen der Zensur) und mit der Information des Gefangenen angestrebt werden. Ferner ist die Gleichbehandlung der Gefangenen, was die allgemeinen Serviceleistungen im Strafvollzug angeht, häufig eine Fiktion (Willkür bei der Genehmigung von Telefonaten, sogar elementare Dienstleistungen nur gegen Bezahlung …). – Schlussfolgerungen und Vorschläge Reformen bedeuten eine umfassende Reflexion u.a. über den Sinn der Strafe, die Modernisierung und Anpassung der Strafvollzugsanstalten, die Rechenschaftspflicht (öffentliche Einrichtungen) und die Beurteilung des Funktionierens dieser Anstalten, die Einsetzung externer Kontrollorgane (die als Relaisstationen für die allgemeine vom CPT durchgeführte Kontrolle dienen können), die Einsetzung von für Grundrechte und Haft zuständigen Richtern, die Besserstellung der Strafvollzugsverwaltung und die Verbesserung 1 In Frankreich waren im Jahr 2000 von den verurteilten Sexualstraftätern 50% älter als 50 Jahre, und alle Strafen zusammengenommen waren 27 Verurteilte älter als 80 Jahre, 4 davon älter als 90 Jahre. RR\443621DE.doc 35/135 PE 302.216 DE der Ausbildung. Auf europäischer Ebene wäre es zweifellos sinnvoll, eine europäische Einheit für Zusammenarbeit und Austausch von bewährten Praktiken zwischen den Strafvollzugsverwaltungen der EU zu konzipieren. C. Die zentralen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge Die vor einem immer stärkeren Zuwanderungsdruck stehenden Mitgliedstaaten müssen ihre Politik dieser Situation anpassen. Die Berichte des CPT, von Amnesty International und anderen Organisationen legen häufig sehr unzureichende Unterbringungsbedingungen für diese Flüchtlinge in überfüllten zentralen Aufnahmeeinrichtungen offen, die nicht für Familien, allein stehende Frauen, Minderjährige geeignet sind. Die Flüchtlinge dürfen nicht als Verbrecher angesehen werden, und es müssen die psychologischen und physischen Traumata berücksichtigt werden, die sie erlitten haben. Schlechte Unterbringungsbedingungen wurden in Frankreich (Flughafen Roissy) und in Deutschland (Flughafen Frankfurt) hervorgehoben. In Belgien gibt es fünf „geschlossene“ Zentren nach Art einer Haftanstalt (Gitter mit Stacheldraht, Überwachungskameras, Wachpersonal und eventuelle Strafen, wie z.B. das Anlegen von Handschellen und Isolierung). Von den am häufigsten geäußerten Kritiken wollen wir folgende anführen: unzureichende medizinische Versorgung, Schwierigkeiten, die Hilfe eines Rechtsanwalts einzuholen, und Mangel an Informationen. Darüber hinaus erweist sich das Verfahren zur Bearbeitung eines Asylantrags häufig als zu lang. Diese in mehreren Staaten beobachtete bürokratische Langsamkeit führt zu einer Zunahme der Zahl der „Sans papiers“ (ohne Papiere), die Opfer von skrupellosen Arbeitgebern werden und die unter sehr beschwerlichen Umständen auf eine hypothetische Legalisierung ihres Status warten1. In einer jüngsten Empfehlung des Europarats Rec 1475(2000) „Die Ankunft von Asylbewerbern auf den europäischen Flughäfen“ werden die unzureichenden Unterbringungskapazitäten und die unangemessenen materiellen Bedingungen für die Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, in den Transitbereichen der Flughäfen hervorgehoben. In dieser Empfehlung werden die Mitgliedstaaten vor allem aufgefordert, auf die Verfassung der weiblichen Flüchtlinge und von Minderjährigen ohne Begleitung zu achten und dafür zu sorgen, dass Dolmetscher anwesend sind, dass es Möglichkeiten zur Information der Familien gibt und dass man leicht in Verbindung mit den betreffenden NRO treten kann. D. Einweisung in die Psychiatrie a) Anmerkungen Im letzten Bericht des CPT zu dieser Frage2 sowie im Bericht der NRO „Geistige Gesundheit 1 Der französische Staat wurde im Januar 2001 vom Staatsrat verurteilt, 10.000 FF Schadensersatz an eine Haitianerin zu zahlen, der die Verwaltung die Ausstellung eines Asylantragsdossiers verweigert hatte. 2 obwohl er aus dem Jahr 1997 stammt, ist er immer noch aktuell. PE 302.216 DE 36/135 RR\443621DE.doc in Europa“ kommt man zu der Schlussfolgerung, dass die Fälle von Misshandlungen in den psychiatrischen Krankenhäusern der EU zum Glück ziemlich selten sind, aber es laut diesen Organisationen dennoch angebracht wäre, eine bestimmte Reihe von Garantien und Verbesserungen in den folgenden Bereichen stärker zu gewährleisten: – die Einweisungskriterien Jegliche Einweisung sollte sich auf einen gerichtlichen Beschluss mit der Möglichkeit der Berufung stützen. Die Noteinweisung sollte zeitlich begrenzt sein. Was die Minderjährigen angeht, so darf ihre Einweisung erst nach Begutachtung durch einen unabhängigen Vertreter (häufige Missbräuche) erfolgen. Jugendliche sollten auf keinen Fall gemeinsam mit Erwachsenen untergebracht werden. Die strenge Einhaltung der Einweisungskriterien gestaltet sich manchmal schwierig, da es keine gemeinsame Definition von Geisteskrankheit in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gibt. Deshalb haben die Psychiater, Behörden, bzw. die Familie des Patienten einen zu großen Spielraum, aus dem sich gewisse Risiken für Fehlentscheidungen ergeben. Es kann deshalb geschehen, dass Geisteskranke oder ältere Menschen auf Ersuchen der Familie eingewiesen werden, die sich ihrer „entledigen“ wollen1. – die Behandlungen Die speziellen Behandlungen (Elektroschocktherapie, Psychochirurgie, Sterilisationen) dürften nur mit dem absoluten Einverständnis des Patienten oder seines Vertreters, gegebenenfalls nach Hinzuziehung eines zweiten Psychiaters und selbstverständlich ausschließlich im Interesse des Patienten erfolgen. – Die Form der Unterbringung in geschlossenen Anstalten Kommt es zu Vorfällen, so gehen diese laut dem Bericht des CPT immer häufiger auf das Verhalten des Pflegepersonals zurück, dessen Ausbildung verbessert werden müsste. Das Anlegen einer Zwangsjacke oder die Isolierung sollten nur ausnahmsweise für sehr kurze Zeit eingesetzt und niemals als Bestrafung betrachtet werden. Schließlich muss der Patient seine Beschwerden übermitteln und sie registriert sehen können. Es müssen ihm Berufungsmöglichkeiten sowohl was die Wahl der Ärzte als auch der Behandlung angeht, offen stehen. Schließlich müssen generell die Lebensbedingungen dieser Patienten vergleichbar mit den freiwillig dort untergebrachten Patienten sein. b) Empfehlungen Der Bioethikausschuss des Europarats hat gerade ein Weißbuch über den Schutz der unfreiwillig in die Psychiatrie eingewiesenen Patienten vorgelegt. Gegenstand dieses Berichts ist es zu beurteilen, ob der Europarat neue Empfehlungen formulieren muss, um die Empfehlung aus dem Jahr 1994 zu aktualisieren. 1 Eine im Jahr 1992 auf Ersuchen des Europarats durchgeführte Studie (Shelton und Douraaki) wies bereits auf diese Risiken einer ungerechtfertigten Einweisung hin. Aus dieser Studie war ersichtlich, dass ein immer größerer Anteil an Zwangseinweisungen von am Rande der Gesellschaft lebenden Personen und Ausländern zu beobachten war. RR\443621DE.doc 37/135 PE 302.216 DE Von den in diesem Weißbuch enthaltenen Schlussfolgerungen wollen wir folgende anführen: – die Suche nach Alternativen zur Einweisung (ambulante Behandlung) – die Unabhängigkeit der Behörde, die über die Unterbringung entscheidet, und die Konsultation der Familie, wenn der Patient zustimmt – die schriftliche Festlegung der Behandlung mit Zustimmung des Patienten oder seines Vertreters – Berufungsmöglichkeiten für den Patienten gegen eine Einweisung, die er als illegal erachtet (mit einem eventuellen Recht auf Entschädigung), und danach in regelmäßigen Abständen sogar eine verbindliche Überprüfung nach Ablauf einer bestimmten Zeit – die Einhaltung der bürgerlichen und politischen Rechte der Patienten und die Möglichkeit, sich mit ihrem Anwalt, ihrem Vertreter und allen sonstigen Personen (außer in Ausnahmefällen) zu besprechen – schließlich eine Bewertung der Anstalten durch eine unabhängige Behörde. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb gegebenenfalls ihre Rechtsvorschriften anpassen und die Praktiken der psychiatrischen Anstalten im Zusammenhang mit diesen Empfehlungen kontrollieren1. 2. Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit (Artikel 1 und 5) Artikel 5: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Menschenhandel ist verboten.“ A. DIE RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen - Vereinte Nationen a) Verbot des Frauenhandels In dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19662 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) wird festgestellt: „Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten“ [Zwangs- oder Pflichtarbeit]. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 19793 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) verbietet den Frauenhandel und die Ausbeutung der Prostitution von Frauen (Artikel 6). 1 Auch heute noch aktuelles Urteil Winterwerp/PB vom 24. Oktober 1979 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: die Einweisung einer Person nur aufgrund ihres atypischen Verhaltens im Vergleich zu den in einer Gesellschaft vorherrschenden Normen ist verboten. Das einzig zulässige Kriterium ist das Vorhandensein einer schweren Geistesstörung gepaart mit einem aggressiven oder unverantwortlichen Verhalten, durch das die betreffende Person oder andere gefährdet sind. 2 Resolution 2200 A (XXI) 3 Resolution 34/180 PE 302.216 DE 38/135 RR\443621DE.doc Das Zusatzprotokoll vom 6. Oktober 1999 (nicht von den Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) überträgt „jeder Einzelperson oder jeder Personengruppe, die Opfer eines Verstoßes dieses Staates geworden sind, das Recht, Mitteilungen vorzulegen“. Diese Mitteilungen werden vom „Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen“ bei schweren Verstößen geprüft. Der betreffende Staat kann sich dann mit dem „Ausschuss“ besprechen und schließlich (in einem Bericht) die Maßnahmen vorlegen, die er ergreifen wird (Artikel 9). Die Staaten können jedoch bei der Ratifizierung erklären, dass sie die Zuständigkeit des Ausschusses nicht anerkennen (Artikel 10). Das Übereinkommen gegen „Transnationale organisierte Kriminalität“, das am 15. Dezember 2000 unterzeichnet (aber noch nicht ratifiziert) ist, erkennt an, dass die „Zwangsprostitution“ und die „freie Prostitution“ unterschiedlich behandelt werden sollten. In diesem Übereinkommen wird gefordert, in jedes nationale Strafgesetzbuch das Delikt der Beteiligung an einer „organisierten kriminellen Gruppe“ aufzunehmen. Darüber hinaus wird in seinem Zusatzprotokoll über „den Menschenhandel“ eine rechtliche Definition des Handels zur wirtschaftlichen und sexuellen Ausbeutung vorgeschlagen. b) Verbot des Kinderhandels Im Übereinkommen von La Hague vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das auf den Schutz von Minderjährigen anwendbare Gesetz heißt es (Artikel 1 und 8), dass der Minderjährige von den Justiz- und Verwaltungsbehörden des gewöhnlichen Wohnsitzstaates im Falle einer ernsten Gefährdung seiner Person geschützt werden muss (nicht ratifiziert von B, DK, FIN, IRL, GR, GB). Die Internationale Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 19891 schützt die Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs2 (Artikel 34). In dieser Konvention (Artikel 35) wird die Entführung, der Verkauf von Kindern sowie der Handel mit Kindern zu jeglichem Zweck und in jeglicher Form verboten (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU). Das Fakultativprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes im Zusammenhang mit dem Verkauf von Kindern, der Kinderprostitution und –pornographie, das am 25. Mai 2000 angenommen wurde, weist auf die Verpflichtung des Vertragsstaats hin, dem Ausschuss für die Rechte des Kindes einen Bericht3 über die ergriffenen Maßnahmen vorzulegen, um Aufschluss über die neuen Gegebenheiten und die zu ergreifenden Maßnahmen zu geben (von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert). Das IAO-Übereinkommen4 über „die schlimmsten Formen der Kinderarbeit“, das am 17. Juni 1999 angenommen wurde (von D, A, B, E, F, GR, L, NL, SV nicht ratifiziert), fordert die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, und dies unverzüglich (Artikel 1), wie z.B. den Verkauf von Kindern und den Kinderhandel, die Schuldknechtschaft und die Sklaverei sowie Zwangs- oder Pflichtarbeit (Artikel 3). 1 Resolution 45/25 Illegale sexuelle Handlungen, Ausbeutung zum Zweck der Prostitution oder andere illegale sexuelle Praktiken, Ausbeutung zum Zwecke der Produktion von pornographischen Darbietungen oder von pornographischem Material 3 Innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten im Vertragsstaat 4 Nr. 182 2 RR\443621DE.doc 39/135 PE 302.216 DE – Europarat Die EMRK vom 4. November 19501 verbietet den Menschenhandel und verurteilt „Sklaverei oder Leibeigenschaft“, ohne jedoch eine Definition dafür zu geben (Artikel 4 und Artikel 15 Absatz 2) (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert). Diese Praktiken fallen unter Artikel 3 im Zusammenhang mit der „Folter“. Das Europäische Abkommen über die Ausübung der Rechte des Kindes2 vom 25. Januar 1996 (nicht von A, B, D, DK, F, FIN, IRL, I, L, NL, E, P, GB und SV ratifiziert) schützt die Kinder vor grausamer und erniedrigender Behandlung (Artikel 1). – Europäische Union Die Bekämpfung der Zuhälternetze wird im Rahmen des „dritten Pfeilers“ des Sektors „JI“3 betrieben; Artikel 29 des EUV bezieht sich auf den Menschenhandel und die Verbrechen gegen Kinder. Es gibt zahlreiche Überlagerungen dieses Phänomens mit: Einwanderung, Freizügigkeit im Schengen-Raum, Asylrecht4. Das Mandat von Europol wurde im Jahr 1996 auf Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ausgedehnt. Diese Erweiterung betrifft nicht nur die Prostitution stricto sensu, sondern auch die Pädophilie und die Kinderpornographie. Es gibt jedoch keinerlei Erwähnung des Problems der „sklavenähnlichen Ausbeutung von Hausangestellten“. Im Übrigen hat die Europäische Kommission Programme zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Justizbehörden eingeleitet: Programm Grotius, Grotius II, Oisin, Falcone; das Programm Stop5, Stop II (Sexual Trafficking Of Persons) zur Förderung und zum Austausch im Bereich des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern; und das Programm Daphne und Daphne 2000-2004 zur Unterstützung der Aktion der Mitgliedstaaten im Bereich der Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen. Das Parlament hat im Jahr 2000 mehrere Entschließungen angenommen: „Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels“6, über die Folgemaßnahmen im Anschluss an die Aktionsplattform von Peking7; zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet8 und zur Bekämpfung des Sextourismus mit Kindesmissbrauch9, „Aktionsprogramm Daphne 2000-2004 über vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen“10, „gesetzliche Regelung der Hausarbeit in der Schattenwirtschaft“11. 1 Nr. 005 Nr. 160 3 Justiz und Inneres 4 die grundlegende Elemente des europäischen Einigungswerks, aber auch die Vektoren für die Ausdehnung der internationalen Prostitution darstellen 5 Gemeinsame Maßnahme 96/700/JAI vom 29. November 1996, vom Rat aufgrund Artikel K.3 des EUV angenommen 6 Bericht Patsy Sörensen, A5-0127/2000 7 Bericht Lissy Gröner, A5-0125/2000 8 Bericht Timothy Kirkhope, A5-0090/2000 9 Bericht Ewa Klamt, A5-0052/2000 10 Bericht Marìa Antonia Avilés Perea, A5-0056/99 11 Bericht Miet Smet, A5-0301/2000 2 PE 302.216 DE 40/135 RR\443621DE.doc Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – Strafgesetzbücher Das belgische Gesetz ist eines der fortschrittlichsten in der EU, da es den Ausländerhandel verbietet1. Italien und Österreich verurteilen den Handel. Italien jedoch gibt keine Definition und prüft derzeit zwei Projekte für die Reform des Strafgesetzbuches, um 1) den Handel zu definieren und 2) die Ausbeutung von Menschen als Verbrechen einzustufen. Das österreichische Strafgesetzbuch sieht die Einstufung des Menschenhandels und des Ausländerhandels als spezifischen Straftatbestand vor, wobei die Definition von Menschenhandel im Wesentlichen die Ausbeutung zu sexuellen Zwecken hervorhebt. In Frankreich und Spanien stellt der Menschenhandel keine strafbare Handlung dar. Es gibt nur eine formelle Verurteilung der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, was die Dimension eines Massenphänomens zugrunde legt. Das Strafgesetzbuch und das Arbeitsgesetzbuch können jedoch bestimmte Merkmale des Menschenhandels verurteilen (Straftaten gegen Personen …). Jeder Staat sollte in sein Strafgesetzbuch eine Verurteilung des Menschenhandels aufnehmen. In einigen Staaten stellt die individuelle Ausübung der Prostitution keinen Verstoß dar (D, GB, B, DK, E, I, NL, SV, F), während in anderen Staaten (mit Ausnahme von E und NL) alle Formen der Zuhälterei verurteilt werden. Schweden ist das einzige Land, in dem der Kauf sexueller Dienstleistungen unter allen Umständen verboten ist und wo die fehlende rechtliche Anerkennung des Berufs (ausgenommen NL) dazu führt, dass die Prostituierten sozial nicht völlig abgesichert sind (außer in Spanien, wo die Prostituierten besteuert werden). Einige Mitgliedstaaten haben einen nationalen Aktionsplan im Zusammenhang mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern angenommen (D, A, FIN, F, I, L, NL, SV); andere Staaten haben Schritte unternommen, um einen nationalen Aktionsplan auszuarbeiten (E2, IRL, GB). Darüber hinaus sind allgemeine (DK, SV) und spezifischere (IRL für die Kinder) Maßnahmen vorgesehen, während einige Länder (B) keinen Plan angenommen haben. B. DERZEITIGE LAGE Dieser Überblick wurde auf der Grundlage der Berichte der Europäischen Frauenlobby von ,Save the Children, „Auf dem Weg zu einer EU-Menschenrechtscharta für Kinder“ von ,ECPAT, „Auf dem Weg nach morgen“ 1999-2000, und von Article Premier „Nizza 2000, Grundrechte in Europa“ (ein Zusammenschluss verschiedener Verbände: Amnesty International, Ausschuss gegen moderne Sklaverei, Reporter ohne Grenzen, Frauennetz) und der FIDH erstellt. 1 Gesetz vom 15. Dezember 1980 Der spanische Minister für soziale Angelegenheiten hat im Mai 2000 erklärt, dass er einen Plan ausarbeiten werde. 2 RR\443621DE.doc 41/135 PE 302.216 DE 1. Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Erwachsenen und Minderjährigen a) Situation in den Mitgliedstaaten: Stand der Dinge Jede zweite Prostituierte wird zumindest einmal in ihrem Leben Opfer eines Gewaltakts. Es wird eine geringere Zahl von Fällen als in Wirklichkeit angezeigt und registriert1. Es gibt in der Tat mehr Informationen über Gewalt in der Ehe als über Frauenhandel. Laut Angaben von Europol ist die Größe der Netze unterschiedlich: zu einigen gehören nur fünf Prostituierte, aber im Allgemeinen umfassen die Organisationen bis zu 20 Personen mit einer ganzen Kette der „Spezialisierung“ und einer mafiösen Struktur. Die UNO gibt an, dass weltweit 9 Millionen Frauen durch den Menschenhandel unter an Sklaverei grenzenden Bedingungen leben und 500.000 Frauen, die hauptsächlich aus den Ländern Osteuropas stammen, als „Zwangsprostituierte“ in die EU kommen. b) Die Situation der Opfer und der Menschenhändler Der Frauenhandel kommt hauptsächlich aus Staaten, die durch bewaffnete Konflikte zerstört und wirtschaftlich vernichtet sind2. Der asiatische Menschenhandel führt anscheinend über Moskau, Kiew und Prag. Griechenland, Italien und Österreich dienen seit ihrem Beitritt zum Schengener Raum als Grenzen für den Zustrom aus dem Nahen Osten und vor allem dem Balkan.3 Frauen und Kinder sind Opfer von Prostitution, sexueller Gewalt, pornographischer Nötigung, Pädophilie und Sextourismus4. Die männliche Prostitution nimmt stark zu. Die Rekrutierung findet häufig mit Gewalt statt. Ist sie „freiwillig“, geschieht sie über kleine irreführende Stellenanzeigen für Mannequins, Tänzerinnen, Hostessen …, die Aussicht auf eine Arbeit ist häufig verlockender und die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Gründe tragen den Sieg davon. Außerdem werden viele Frauen und Mädchen von international organisierten Banden entführt, während andere von ihren Familien verkauft werden. c) Der Cybersex und die neuen Technologien Es ist eine stärkere Nutzung der neuen Technologien durch die Sexindustrie, eine Ausdehnung von Telesex, virtuellem Sex und Pornographie im Internet feststellbar. Netze zur Verbreitung von pädophilen Bildern nutzen das Internet (F und B5). Deshalb stehen die „Chatrooms“6 im Blickpunkt in Sachen Pädophilie. In diesem Zusammenhang werden die meisten Klagen von Opfern der Pädophilie aufgrund der fehlenden Zusammenarbeit zwischen der Polizei (verschiedene Dienste untereinander) 1 Insbesondere infolge des Gefühls von Scham, Angst, Schuld, von Schwierigkeiten beim Zugang zu den entsprechenden Diensten oder wegen der Angst vor Reaktionen. 2 Wie die Balkanstaaten. 3 Insbesondere Albanien und Kosovo. 4 Einige gehen in andere Länder, um dort das zu tun, was sie bei sich nicht zu tun wagen. Der Handel mit Prostituierten scheint wie ein Supermarkt zu funktionieren. 5 Die Polizisten der Sektion Nancy, wobei weiterführende Schulen und Universitäten verdächtigt wurden. 6 Insbesondere Yahoo.GB. PE 302.216 DE 42/135 RR\443621DE.doc und der Opfer nicht weiterverfolgt. Es ist eine fehlende Methodik und Zentralisierung der Information festzustellen, was den Erfolg jeglicher Untersuchung behindert (F); zumal die Suche nach pädophilen Websites schlecht geführt wird (zu spät, manchmal ohne Erfolg) (F). Darüber hinaus sind die „Internet-Überwachungsteams“ nicht mit den technischen Mitteln, dem Personal und der ausreichenden technischen Ausbildung1 (B) ausgestattet, um den verschiedenen „Verstößen“ gerecht zu werden. 2. Die Problematik des Asylrechts und der Ausländer In Belgien2 und in Italien werden diese Personen als Opfer der Ausbeutung zu Zwecken der Prostitution anerkannt (in F und GB wurde keine solche Vorkehrung getroffen). Sie können eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung und Beschäftigungsbewilligung (Arbeitserlaubnis) erhalten, um ihre Arbeitgeber gerichtlich zu belangen. Die Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigung ist entweder (B) verbunden mit der Verpflichtung zur Zusammenarbeit beim Gerichtsverfahren oder aber mit keinerlei Verpflichtung (I), um Ausweisungsverfahren zu vermeiden, wenn der Prozess keinen Erfolg hat (gilt ebenso für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung). Eine Aufenthaltserlaubnis kann jedoch aus humanitären Gründen gewährt werden (A)3 (die Opfer werden als geduldete Ausländer angesehen, die immer noch ausgewiesen werden können) oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände (E). Spezielle Aufnahmezentren für Opfer der Zwangsprostitution (I, B) gewährleisten eine soziale, administrative und rechtliche Betreuung der Opfer und bereiten ihre Rückkehr ins Heimatland vor. 3. Empfehlungen Informationen, Kampagnen zur Vorbeugung und Hilfe für die Opfer Die potenziellen Opfer des Menschenhandels müssen so weit wie möglich informiert werden, bevor sie ihr Heimatland verlassen (Rassismus/bedenkliche Umstände). Ein besonderer Telefondienst (grüne Nummer) sollte wie in einigen Mitgliedstaaten (B, F, I) eingerichtet werden. Programme zur Resozialisierung müssten unternommen werden, und eine Einrichtung in der Art der Nationalen Beobachtungsstelle für den Menschenhandel in Italien wäre notwendig, um den Menschenhandel zu bekämpfen. Die Kontrolle der Arbeitsstellen in den Tätigkeitsbereichen im Zusammenhang mit Kindern muss verstärkt werden (F) ebenso wie die Einweisung ins Krankenhaus von Minderjährigen, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind (F). Wie in anderen Spezialeinheiten: „Crime unit“ von Belgien. Gesetz aus dem Jahr 1995 über den internationalen Menschenhandel 3 Seit 1997 gemäß dem Ausländergesetz 1 2 RR\443621DE.doc 43/135 PE 302.216 DE Rechtliche Maßnahmen Jeder Mitgliedstaat müsste in sein Strafgesetzbuch einen spezifischen Straftatbestand Menschenhandel aufnehmen. Ebenso müsste die Frage der Kinderpornographie, der neuen Informationstechnologien und des Rechtsvakuums im Bereich des Internet behandelt werden. Die Kontrolle und die Politik der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten müsste auf der Grundlage der Harmonisierung der diesbezüglichen Rechtsvorschriften verstärkt werden. Die Tatsache, dass die Verfolgung einer Person durch ihr Geschlecht begründet sein kann, sollte als Grund für die Gewährung des Asylrechts anerkannt werden. Eine Änderung des Genfer Übereinkommens von 1951 auf dem Gebiet des Asylrechts sollte als Verfolgung die Tatsache anerkennen, dass man nicht frei über sich bestimmen kann, seine körperliche, psychische oder genetische Unversehrtheit, und allgemeiner, seine Grundrechte bedroht sind. Strafverfahren Es wäre angebracht, es als allgemeine Regel einzuführen, den Opfern von Menschenhandel eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu gewähren, ohne diese Gewährung an ein Gerichtsverfahren zu knüpfen. Darüber hinaus sollten die Opfer eine Entschädigung erhalten (auch wenn das Verfahren Jahre nach dem Verbrechen zu einem Ende gelangt). Hilfsfonds für die Opfer Die Mitgliedstaaten der EU sollten die Ausweisung der Menschenhändler und die Konfiszierung des Gewinns aus ihren kriminellen Aktivitäten vorsehen, um einen Hilfsfonds für die Opfer damit auszustatten. B. Sklavenähnliche Ausbeutung von Hausangestellten 1. Situation in den Mitgliedstaaten a) Länder, in denen Fälle angezeigt wurden Es gibt 200 Opfer der Sklaverei im Haushalt in Frankreich, die aus Westafrika stammen, im Vereinigten Königreich stammen 4000 dieser Hausangestellten aus 29 verschiedenen Ländern1 (davon haben 84% psychische Gewalt erlitten, 54% wurden widerrechtlich eingesperrt, 38% geschlagen und 10% sexuell missbraucht). Die Opfer stammen auch von den Philippinen (B) und arbeiten für Diplomaten im auswärtigen Dienst (B, A); sie kommen auch aus Marokko (E). In anderen Fällen ist es schwierig, Sklaverei im Haushalt festzustellen, aber es gibt Situationen der Ausbeutung, die an Sklaverei grenzen (I). Nach dem Berichtsentwurf über „Sklaverei im Haushalt“ des Ausschusses für die Chancengleichheit von Mann und Frau der Parlamentarischen Versammlung des Europarats stammen die Arbeitgeber aus den Golfstaaten und dem Nahen Osten, aus Indien, aber auch 1 Nach Angaben der NRO Kalayaan PE 302.216 DE 44/135 RR\443621DE.doc aus Griechenland, Italien, dem Vereinigten Königreich und Frankreich. b) Situation der Opfer Die Opfer sind verletzliche Personen, die physisch und moralisch gezwungen werden, ohne finanzielle Gegenleistung zu arbeiten, sie sind ihrer Freiheit beraubt und leben in einer menschenunwürdigen Situation (konfiszierter Pass; äußerst geringer Lohn; unwürdige Arbeitsbedingungen; keine Freizügigkeit aufgrund ihrer illegalen Situation; häufig besteht das Verbot, den nahen Familienangehörigen zu antworten). 2. Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten In keinem Mitgliedstaat wird die Sklaverei im Haushalt verurteilt. Generell gibt es, da eine Definition fehlt, nur eine formelle Verurteilung der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb verurteilt das Strafgesetz- oder Arbeitsgesetzbuch bestimmte konstituierende Elemente einer Situation der Sklaverei (Gefährdung von Personen, Delikte im Zusammenhang mit Schwarzarbeit … F, E). Es ist jedoch festzustellen, dass das italienische Strafgesetzbuch die Degradierung zur Sklaverei verurteilt, aber noch über keine Definition verfügt, während das österreichische Strafgesetzbuch genaue Straftatbestände der Sklaverei vorsieht. Im Bereich der Sklaverei im Haushalt sind es oft die NRO, die den Schutz der Opfer gewährleisten und ihnen soziale und rechtliche Hilfe bieten (F, GB)1. a) Das Ausländerrecht und das Asylrecht Diese Situation ähnelt der des Menschenhandels. Die Opfer werden jedoch als Ausländer betrachtet, befinden sich häufig in einer irregulären Situation und können ausgewiesen werden. Zwei Ausnahmen sind hervorzuheben: Belgien und Italien erkennen den Opfern des Menschenhandels und analog dazu den Opfern von Sklaverei im Haushalt den Status eines Opfers zu und stellen ihnen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis aus, damit sie diejenigen gerichtlich belangen können, die sie ausgebeutet haben. Darüber hinaus kann ihre Zwangsrückkehr von der OIM (Internationale Organisation für Migrationen) oder von Regierungseinrichtungen organisiert werden. Sie leisten den illegalen Einwanderern Hilfe (Informationsdienst, Hilfe beim Transport und Rückkehrprämie). b) Rechtsverweigerung infolge der möglichen Anwendung des Wiener Übereinkommens über die diplomatischen Beziehungen Die diplomatischen Vertreter, die Sklaverei im Haushalt praktizieren, genießen nach dem Wiener Übereinkommen aus dem Jahr 19612 (Artikel 31) eine völlige Immunität von der Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit (sie können weder verhaftet, noch inhaftiert, weder ausgeliefert noch ausgewiesen werden). Die Diplomaten können auch nicht zur Zeugenaussage gezwungen werden (Unverletzlichkeit 1 2 Das Komitee gegen moderne Sklaverei in Frankreich, die NRO Kalayaan im Vereinigten Königreich. Über die diplomatischen Beziehungen RR\443621DE.doc 45/135 PE 302.216 DE der Person); diese Privilegien und Immunität führen dazu, dass sie für Verstöße gegen das Gesetz des Empfangsstaates mit keiner Strafe belegt werden können. Darüber hinaus kann die Immunität zu jedem Zeitpunkt aufgehoben werden (Berufung/Kassation). Es handelt sich also um Rechtsverweigerung. Die einzige theoretische Möglichkeit, sie zu umgehen, besteht darin, dass die diplomatischen Vertreter verpflichtet sind, die Gesetze und Regelungen des Empfangsstaates zu beachten (Artikel 41). Dies bedeutet in Wirklichkeit eine Klage vor den Gerichten des Entsendestaates, den Antrag auf Aufhebung der Immunität oder die Erklärung des Diplomaten zur persona non grata. Die Staaten der EU müssten die Einführung einer Änderung des Wiener Übereinkommens unterstützen, in der die Aufhebung der Immunität im Falle von „vertretbaren Beschwerdegründen im Zusammenhang mit der Verletzung der Menschenrechte durch Diplomaten bei ihrem Privatleben zuzurechnenden Handlungen“ aufgehoben wird. Darüber hinaus ist es international gängige Praxis, dass die Staaten sich gegenseitig zugestehen, diesen Hausangestellten eine Aufenthaltserlaubnis oder „spezielle Karte“ auszustellen. Diese Karte ist mit der Person des Arbeitgebers selbst verbunden und wenn Letzterer sich von ihrer Hausangestellten trennt, verliert diese ihre Aufenthaltserlaubnis und findet sich in einer irregulären Situation wieder. Darüber hinaus kann die Immunität des Diplomaten (B) die Opfer einer Aufenthaltserlaubnis berauben. 3. Empfehlungen Nach dem Berichtsentwurf über „Sklaverei im Haushalt“ des Ausschusses für die Chancengleichheit von Mann und Frau der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sind folgende Punkte besonders zu beachten: Information, Prävention und Hilfe für die Opfer Die Prävention erfolgt über Information und Hilfe für die Opfer. Die ausländischen Hausangestellten müssen informiert werden, bevor sie ihr Heimatland verlassen (äußerst geringer Lohn, Arbeitszeiten …). Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Opfer Die Staaten müssten nationale Fonds zur Entschädigung der Opfer von Sklaverei im Haushalt einrichten. Erforderliche rechtliche Maßnahmen Es ist notwendig, einen spezifischen Straftatbestand der Sklaverei im Haushalt auszuarbeiten; Maßnahmen zum sozialen, administrativen und rechtlichen Schutz und zur diesbezüglichen Unterstützung der Opfer zu ergreifen. Darüber hinaus ist die Verstärkung der Kontrolle und der Politik der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet vorzusehen. Erforderliche Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafverfahren Die Opfer werden den sozialen Diensten erst mehrere Jahre, nachdem die Situation der Sklaverei beendet ist und die Tatvorwürfe verjährt sind, bekannt. Die Verjährungsfristen müssten geändert werden (Die Verjährungsfrist sollte ab dem Zeitpunkt laufen, zu dem das Opfer Klage einreicht). Ferner ist es notwendig, es zur allgemeinen Regel zu machen, den Opfern der Sklaverei im Haushalt eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu PE 302.216 DE 46/135 RR\443621DE.doc gewähren, ohne diese Gewährung an ein Gerichtsverfahren zu knüpfen. Darüber hinaus würde die Verwaltung der „Sklaverei“-Dossiers durch einen einzigen Sonderdienst (es gibt zu viele Zuständigkeiten von unterschiedlichen Dienststellen: Schwarzarbeit, Straftaten gegen Personen …) weniger Bürokratie und Unstimmigkeiten verursachen. Änderung der Vorschriften für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis: – Jeder Ausländer, der in einer Botschaft arbeitet, wird nur auf das Hoheitsgebiet zugelassen, wenn er im Besitz eines Arbeitsvertrags ist. Das Prinzip ist einfach: kein Visum ohne Arbeitsvertrag, wobei die Hausangestellte das Recht hat, den Arbeitgeber zu wechseln. – Hinzufügung einer Änderung zum Wiener Übereinkommen, um die Achtung der EMRK und die erforderlichen Prinzipien miteinander in Einklang zu bringen, die vor dem Druck schützen sollen, den der Empfangsstaat ausüben könnte, und zwar indem Folgendes vorgesehen wird: Aufhebung der diplomatischen Immunität „im Falle eines vertretbaren Beschwerdegrunds“ der Verletzung der Menschenrechte durch Diplomaten bei ihrem Privatleben zuzurechnenden Handlungen. RR\443621DE.doc 47/135 PE 302.216 DE KAPITEL II. FREIHEITEN: Artikel 6 bis 19 1. Schutz des Privatlebens und insbesondere der personenbezogenen Daten Artikel 8: „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen Vereinte Nationen Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19661 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) garantiert u.a. „das Recht auf Privatleben“ (Artikel 17). Die Leitgrundsätze der UNO für die Regelung für computergestützte Dateien, die personenbezogene Daten enthalten, vom 14. Dezember 19902 enthält die Grundsätze betreffend die Mindestgarantien, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen werden sollten (Grundsätze der Zuverlässigkeit und der Loyalität, der Genauigkeit, der Nichtdiskriminierung, der Sicherheit und der Sanktionen […]. Europarat Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 19503 (von allen Mitgliedstaaten ratifiziert) garantiert den Anspruch auf Achtung des Privatund Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs (Artikel 8), sie bekräftigt jedoch auch das Recht auf Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen. Die Freiheit zum Empfang von Nachrichten (Artikel 10) wird als auch für die Freiheit zur Suche nach Nachrichten geltend betrachtet. Die Konvention zum Schutz von Personen im Bereich personenbezogener automatischer Datenverarbeitung vom 28. Januar 19814 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) stellt für jedermann den Schutz seiner Rechte und Grundfreiheiten und insbesondere sein Recht auf einen Persönlichkeitsbereich bei der automatischen Bearbeitung personenbezogener Daten sicher (Artikel 1). Dieses Übereinkommen ist das einzige rechtsverbindliche 1 Resolution 2200 A (XXI) Resolution 45/95 3 Nr. 005 4 Nr. 108; diesbezüglich sollten die Mitgliedstaaten die internen Verfahren abschließen, die den Beitritt der EU zu dieser Konvention ermöglichen, und das Zusatzprotokoll zu der Konvention Nr. 108 ratifizieren, das darauf abzielt, diese Konvention an die Richtlinie 95/46/EG anzupassen. 2 PE 302.216 DE 48/135 RR\443621DE.doc Rechtsinstrument auf internationaler Ebene; ein Beratender Ausschuss1 (T-PD) gewährleistet die Weiterverfolgung des Übereinkommens. Europäische Union Die EU hat verschiedene Kontrollen von europäischen Polizeidateien eingeführt: das Schengener Informationssystem (SIS)2 Europol (Europäisches Polizeiamt), das ein computergestütztes Datensystem unterhält, das ein Informationssystem und Arbeitsdateien zu Analysezwecken umfasst das Zollinformationssystem (SID), für alle Zollverwaltungen, noch nicht operationell das Eurodac-System, das die Fingerabdrücke der Asylbewerber sammelt und die Durchführung der Kontrollen ermöglicht3 (die Datenbank ist jedoch noch nicht erstellt). Alle Polizeidateien umfassen Bestimmungen zum Datenschutz4. Die gemeinsame Schengener Kontrollinstanz (Artikel 115 Absatz 1 des Übereinkommens) hat die Aufgabe, eine technische Kontrolle des SIS durchzuführen und die Anwendung der Grundsätze des Datenschutzes und der Rechte, die den im SIS erfassten Personen zuerkannt werden, zu überwachen. Die Europoldateien werden der Kontrolle einer gemeinsamen Kontrollinstanz unterstellt, die sich ausschließlich aus Vertretern der jeweiligen nationalen Kontrollinstanzen zusammensetzt. Zu diesem Zweck kann die gemeinsame Kontrollinstanz auf eigene Initiative hin oder auf Ersuchen von Einzelpersonen Besuche vor Ort durchführen, um die Bedingungen des Funktionierens und der Regelmäßigkeit der erstellten Dateien zu überprüfen. Die Richtlinie vom 24.Oktober 1995 (95/46/EG) über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und über den freien Datenverkehr bildet einen gemeinsamen Sockel für den Schutz personenbezogener Daten im europäischen Raum. Andere sektorale europäische Richtlinien haben den Schutzmechanismus ergänzt, z.B. die Richtlinie 97/66 vom 15. Dezember 1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation oder die Richtlinie über bestimmte Aspekte des elektronischen Handels. Keine dieser Richtlinien weicht jedoch von den allgemeinen Regeln zum Schutz personenbezogener Daten ab, die in der Richtlinie von 1995 festgelegt sind, noch weicht eine der Richtlinien von den Vorschriften des einschlägigen nationalen Rechts ab. Das Europäische Parlament hat im Jahr 2000 folgende Entschließung angenommen: „Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft5“. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Artikel 8 EMRK – Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens Wesentliches Ziel von Artikel 8 ist der Schutz des einzelnen vor willkürlichen Eingriffen 1 Aus Vertretern der Vertragsparteien des Übereinkommens zusammengesetzt. Geschaffen durch das Durchführungsübereinkommen zum Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990. 3 Gemäß dem Übereinkommen von Dublin. 4 Gemäß dem Übereinkommen von 1981 des Europarats und der Empfehlung R87 (15) des Ministerkomitees des Europarats zu Polizeidateien. 5 Bericht Paciotti Elena Ornella, A5-0279/2000. 2 RR\443621DE.doc 49/135 PE 302.216 DE einer öffentlichen Behörde1. Jede Einmischung einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts des einzelnen auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs muss „gesetzlich vorgesehen“ sein. Dieser Satz erfordert nicht nur die Erfüllung des nationalen Rechts, sondern bezieht sich auch auf die Qualität dieses Rechts, wobei es erforderlich ist, dass es mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist2. Zum Beispiel muss das nationale Recht im Zusammenhang mit der verdeckten Überwachung durch öffentliche Behörden gemäß Artikel 8 Schutz gegen willkürliche Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts einer Einzelperson gewährleisten; die Rechtsvorschriften müssen ausreichend klar formuliert sein, um den Einzelpersonen in angemessener Form anzugeben, unter welchen Umständen und unter welchen Bedingungen öffentliche Behörden das Recht haben, auf derartige Maßnahmen zurückzugreifen3. Der Ausdruck „gesetzlich vorgesehen“ sein beinhaltet Bedingungen, die über das Vorhandensein einer Rechtsgrundlage im nationalen Recht hinausgehen und macht notwendig, dass die Rechtsgrundlage „erreichbar“ und „vorhersehbar“ ist4. Eine Vorschrift ist vorhersehbar, wenn sie mit ausreichender Präzision formuliert ist, die es jeder Einzelperson ermöglicht, ihre Verhaltensweise darauf einzustellen5. Der Begriff Notwendigkeit setzt voraus, dass der Eingriff einem dringenden sozialen Erfordernis entspricht und dass er insbesondere im Verhältnis zu dem legitimen verfolgten Ziel steht6. Die Durchführung von Maßnahmen, die das Recht auf Achtung des Briefverkehrs berühren, muss angemessene und wirksame Schutzvorschriften beinhalten, die eine nur minimale Beeinträchtigung dieses Rechts gewährleisten7. Die Europäische Kommission hat den EuGH mit einer Klage gegen Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Deutschland und Irland wegen des Nichtmitteilens der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie über den Datenschutz in nationales Recht befasst. Diese Maßnahme stellt die dritte formelle Stufe des in Artikel 226 des EG-Vertrags vorgesehenen Vertragsverletzungsverfahrens dar. Rechtsvorschriften Im Zivilrecht ist der Schutz des Privatlebens auf ganz unterschiedliche Weise gewährleistet: Durch allgemeine gesetzliche Bestimmungen, die den Schutz des Privatlebens als ein Grundrecht garantieren, was ermöglicht, den Schutz vor den Gerichten (Spanien, Frankreich) bzw. durch die Rechtsprechung einzuklagen (Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich), welche nur fragmentarische Angaben beinhalten. Der strafrechtliche Schutz des Privatlebens ist in den Mitgliedstaaten der EU weiter entwickelt und definiert explizit Verletzungen des Privatlebens (Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich); dagegen gibt es in anderen Ländern (z.B. VK) keinen allgemeinen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens. Alle EU-Länder sind mit einem Gesetz über „Datenschutz und freien Datenverkehr“ und einer unabhängigen Kontrollinstanz ausgestattet. Diese Rechtsvorschriften müssen nach und nach 1 Siehe Camp und Bourimi gegen Niederlande, Urteil vom 3. Oktober 2000, Nr. 28369/95, § 28. Siehe Khan gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 12. Mai 2000, Nr. 3539/97, § 26. 3 Siehe Khan gegen Vereinigtes Königreich, Urteil 12. Mai 2000, wie oben angegeben, § 26. 4 Siehe Foxley gegen Vereinigtes Königreich, Urteil 20. Juni 2000, Nr. 33274/96, § 34. 5 Siehe Malone gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 2. August 1984, Reihe A Nr. 82, S. 31-32, § 66. 6 Siehe Foxley gegen Vereinigtes Königreich, Urteil 20. Juni 2000, siehe oben, § 43. 7 Siehe Foxley gegen Vereinigtes Königreich, Urteil 20. Juni 2000, siehe oben, § 43. 2 PE 302.216 DE 50/135 RR\443621DE.doc mit der Umsetzung der Richtlinie vom 24. Oktober 1995 (siehe oben) harmonisiert werden. Einige Länder haben sie jedoch noch nicht umgesetzt (Deutschland, Irland, Luxemburg). B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Die Frage des Schutzes der privaten Daten hat seit der Ausarbeitung des Übereinkommens des Europarates über den Datenschutz an Bedeutung gewonnen. Die digitale Revolution, die aus dem PC ein gängiges Instrument des täglichen Lebens gemacht hat, beinhaltet für den Einzelnen bestimmte Risiken. Heute werden den nationalen, mit dem Datenschutz beauftragten Behörden immer mehr neue Probleme und praktische Fragen vorgelegt. Die Erfahrung zeigt, dass weder die Grundsätze des Übereinkommens noch die einzelstaatlichen Vorschriften über den Datenschutz genau alle Situationen regeln können. In bestimmten Bereichen kann der Datenschutz flexibel gehandhabt werden, und in anderen kann die Selbstdisziplin noch weiter ausgebaut werden. Folglich hat der Europarat, anstatt das Übereinkommen zu ändern oder ihm Protokolle hinzuzufügen, Empfehlungen ausgearbeitet. Obwohl sie nicht verbindlich sind, enthalten sie wirkliche Referenznormen für alle Staaten. Die Empfehlung R (99) 5 des Europarates über die „Leitlinien für den Schutz der Personen in Bezug auf die Sammlung und Behandlung personenbezogener Daten auf den „Datenautobahnen“ betont die Unsicherheit des Internets. Die elektronische Adresse jedes Anwenders stellt eine personenbezogene Angabe dar. In fünf Mitgliedstaaten ist die Versendung von nichtangeforderten kommerziellen Mitteilungen illegal (Deutschland, Österreich, Italien, Finnland, Dänemark). Es gibt dennoch legal verfügbare Verschlüsselungsmöglichkeiten, um elektronische Post vertraulich zu machen, sowie auch Codes für den Zugang. Jede durchgeführte Transaktion, jeder Besuch einer Website hinterlässt jedoch Spuren. Diese elektronischen Spuren können ohne Wissen des Anwenders verwendet werden, um sein Profil zu erstellen, seine Interessen festzustellen. In dieser Perspektive wird in der Stellungnahme 7/20001 betreffend „die Verarbeitung personenbezogener Daten und der Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation“ der Arbeitsgruppe für den Schutz der Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Auffassung vertreten, dass der Dienstleistungserbringer verpflichtet werden müsste, die Abonnenten/Anwender vor dem Abonnement/der Anwendung und sogar danach über ihr Recht zu informieren, ihnen also jederzeit zu ermöglichen, ihr Recht auf Klageerhebung auszuüben. Die Anbieter/Betreiber veröffentlichen diese Informationen, damit der Abonnent/Anwender jederzeit die möglichen Lösungen zur Ausübung seiner Rechte wählen kann. Es wurden weitere Empfehlungen erstellt wie die Empfehlung über den Schutz medizinischer Angaben2 und die Empfehlung über den Schutz personenbezogener Daten, die zu statistischen Zwecken gesammelt und verarbeitet werden3. Es obliegt jedem Mitgliedstaat der EU, diese Empfehlungen umzusetzen. 1 Zu dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2000 (KOM(2000) 385). 2 Empfehlung R (97) 5. 3 Empfehlung R (97) 18. RR\443621DE.doc 51/135 PE 302.216 DE Empfehlungen Die Staaten, die die Richtlinie von 1995 noch nicht umgesetzt haben, müssen dies so rasch wie möglich tun, damit die EU über einen gemeinsamen Rechtssockel verfügen kann. In Bezug auf die Nutzer des Internets und die möglichen Verletzungen des Privatlebens obliegt es den Mitgliedstaaten der EU, für die Anwendung der Empfehlung R (99) Sorge zu tragen. Diese Empfehlung nennt die Leitlinien für den Schutz der Personen bei der Sammlung und Verarbeitung personenbezogener Daten auf den „Datenautobahnen“ (Recht der Anwender auf mehr Transparenz, Recht auf die legitime Ausübung ihres Rechts gemäß den vorgesehenen Rechtsvorschriften …). 2. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Artikel 10: „Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt, welche die Ausübung dieses Rechts regeln.“ A. WICHTIGSTE RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen Vereinte Nationen Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt, dass „jeder Mensch Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat …“1. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, garantiert in Artikel 18 die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, und legt fest: „Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind“. Des weiteren bestimmt er: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern, des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen“2. Die Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung schützt ebenfalls das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 1)3. Andererseits bestimmt Artikel 6: Gemäß Artikel 1 dieser Erklärung und vorbehaltlich der 1 Resolution/217 A (III), 10. Dezember 1948. Resolution/2200 A (XXI), 16. Dezember 1966. 3 Resolution/36/55, 25. November 1955. 2 PE 302.216 DE 52/135 RR\443621DE.doc Bestimmungen des Absatzes 3 des genannten Artikels beinhaltet das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Weltanschauungsfreiheit u.a. folgende Freiheiten: die Freiheit, Gottesdienst abzuhalten und Zusammenkünfte durchzuführen, die sich auf eine Religion oder eine Weltanschauung beziehen, und zu diesem Zweck Verbindungen herzustellen und zu unterhalten sowie die Freiheit, über dieses Thema zu schreiben, Druckwerke anzufertigen und Veröffentlichungen zu verbreiten. Der Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien zufolge, die auf der Weltkonferenz vom 25.Juni 1993 über die Menschenrechte angenommen wurden, „hat jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Meinungs- und Religionsfreiheit. Sie fordert ferner alle Staaten auf, die Bestimmungen der Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung umzusetzen“1. Europarat Artikel 9 der von allen EU-Mitgliedstaaten ratifizierten EMRK verkündet ihrerseits, dass „jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat; …“2. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Straßburg Artikel 9 EMRK – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ist der Konvention zufolge eine der Grundlagen einer „demokratischen Gesellschaft“. Artikel 9 zufolge erstreckt sich die Freiheit, seine Religion auszuüben, nicht nur auf die Ausübung in Gemeinschaft mit anderen, die „öffentliche“ Ausübung und die Ausübung innerhalb des Kreises derjenigen, deren Glauben man teilt, sondern sie kann auch „einzeln“ und „privat“ erfolgen. Des weiteren schließt er grundsätzlich das Recht ein, zu versuchen, seine Nachbarn zu überzeugen, z.B. durch „Unterricht“, andernfalls würde „die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln“, die in Artikel 9 verankert ist, toter Buchstabe bleiben3. In einer demokratischen Gesellschaft kann es notwendig sein, Beschränkungen für die Religionsfreiheit einzuführen, um die Interessen der verschiedenen religiösen Gruppen miteinander in Einklang zu bringen und um zu gewährleisten, dass die Überzeugungen aller respektiert werden; solche Beschränkungen müssen jedoch einer „dringenden sozialen Notwendigkeit“ entsprechen und im Verhältnis zu „dem legitimen, verfolgten Ziel stehen“4. Die Rolle der Behörden ist es zu gewährleisten, dass die miteinander konkurrierenden Gruppen einander tolerieren5; somit ist es manchmal erforderlich, dass die Behörden positive Maßnahmen ergreifen6. 1 KONF. 157/24, Buchstabe B, Ziffer 22. vom 4. November 1950. 3 Siehe Kokkinakis gegen Griechenland, Urteil vom 25. Mai 1993, Reihe A, Nr. 260-A, S. 17 und 18, § 31. 4 Siehe Serif gegen Griechenland, Urteil vom 14. Dezember 1999, siehe oben, § 49. 5 Siehe Serif gegen Griechenland, Urteil vom 14. Dezember 1999, siehe oben, § 53. 6 Siehe Serif gegen Griechenland, Urteil vom 14. Dezember 1999, Nr. 38178/97, § 53. 2 RR\443621DE.doc 53/135 PE 302.216 DE B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE a) Religion Die Empfehlung 1202 des Europarats über die religiöse Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft (die Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 9 der EMRK zitiert) erklärt, dass „der laizistische Staat seinen Bürgern keinerlei religiöse Verpflichtung auferlegen sollte“1. Folglich wird u.a. empfohlen, die Religions-, die Gewissens- und die Glaubensfreiheit zu gewährleisten, bei der Akzeptierung verschiedener religiöser Praktiken flexibles Vorgehen an den Tag zu legen und in Europa die Schaffung eines Netzes von Forschungsinstituten über die religiöse Toleranz zu erleichtern2. Die Frage des Tragens von Zeichen der religiösen Zugehörigkeit in Schulen In vier Ländern (D, B, VK und NL) wurde die Mehrheit der Konflikte gütlich geregelt, und die Behörden haben das Tragen des islamischen Kopftuchs unter bestimmten Bedingungen genehmigt. In Belgien und in Deutschland wurde das Tragen des Kopftuchs aus Gründen der Integration und im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden in dem Bemühen um Nichtdiskriminierung gestattet. Artikel 17 der belgischen Verfassung lautet: „Die Gemeinschaft organisiert ein Unterrichtswesen, das neutral ist. Die Neutralität beinhaltet insbesondere die Achtung der philosophischen, ideologischen oder religiösen Auffassungen der Eltern und Schüler. Die von den öffentlichen Behörden organisierten Schulen bieten bis zum Ende der Schulpflicht die Wahl zwischen dem Unterricht in einer der anerkannten Religionen und demjenigen in nichtkonfessioneller Sittenlehre“. Das Gesetz vom 19.7.1974 anerkennt den islamischen Glauben. So wird die islamische Religion gleichberechtigt mit der katholischen Religion, der protestantischen Religion oder der israelitischen Religion unterrichtet. Derzeit ist das Tragen des islamischen Kopftuchs durch keine ministerielle Vorschrift geregelt. Jeder Schule ist es freigestellt, ihre eigene interne Regelung zu besitzen3. In Großbritannien regelt sich das Tragen von Zeichen der religiösen Zugehörigkeit auf der Ebene der Schule. Der Ausschuss für die Gleichstellung der Rassen, begründet durch das Gesetz von 1976, hat die Aufgabe, Rassendiskriminierungen zu beseitigen, er kann Untersuchungen durchführen und die Einzelpersonen vor den Gerichten unterstützen. Das Gesetz über die Beziehungen zwischen den Rassen (Race Relations Act von 1976) verbietet jede Diskriminierung auf der Grundlage der Rasse. 1 Empfehlung 1396 (1999), Religion und Demokratie, und Empfehlung 1202 (1993) betreffend die religiöse Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft. 2 Europarat, Bericht des Ausschusses für Kultur und Bildung, Dokument 8270, 27. November 1998. 3 Zusammenfassender Vermerk, „Das Tragen von Zeichen der religiösen Zugehörigkeit in Schulen“, Dienststelle für Europaangelegenheiten, Frankreich, Juni 1997. PE 302.216 DE 54/135 RR\443621DE.doc In den Niederlanden können die Privatschulen Kleidervorschriften herausgeben, an die die Schüler sich halten müssen. In Frankreich wurde die Frage des Kundtuns der Religionszugehörigkeit durch das Tragen des islamischen Kopftuchs mehrfach vom Staatsrat beurteilt. Er stellt klar, dass die Verweisung der Schüler von der Schule legal ist, wenn demonstrativ ein religiöses Zeichen getragen oder eine Verhaltensweise an den Tag gelegt wird, die die öffentliche Ordnung stören kann, oder wenn die Teilnahme an einer schulischen Aktivität ohne rechtmäßige Gründe verweigert wird. Frankreich erlaubt keine Statistiken über religiöse Gruppen, da jedwede Zählung hinsichtlich der konfessionellen Zugehörigkeit verboten ist1. Im Übrigen erwähnt im Rahmen des Gemeinschaftsrechts die noch nicht ratifizierte Erklärung Nr. 11 zum Vertrag von Amsterdam zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften: „Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise“. Die Religionsfreiheit wird im Allgemeinen in den EU-Mitgliedstaaten geachtet. In Österreich, Belgien und Frankreich halten sich jedoch bestimmte religiöse Gruppen, die nicht offiziell anerkannt sind, für diskriminiert. In Griechenland stoßen nichtorthodoxe Gruppen manchmal auf administrative oder gesetzliche Hindernisse in Bezug auf die Ausübung der Religion 2. b) Sekten Definition Im Westen hat das Wort „Sekte“ einen abfälligen Sinn angenommen; die Fachleute ziehen es vor, von „neuen religiösen Bewegungen“ zu sprechen. Dennoch gibt es keine juristische Begriffsbestimmung, die allgemein anerkannt ist. In der Öffentlichkeit der meisten europäischen Länder wird die Sekte mit einer Gruppe verglichen, die Zwang ausübt, totalitär ist und manchmal mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht wird. Besonderheiten Zwischen den Mitgliedstaaten der EU, z.B. zwischen Schweden und Frankreich, gibt es bedeutende Unterschiede. So hat Schweden im März 2000 einer Organisation, die in anderen Mitgliedstaaten der EU als Sekte (Scientology-Kirche) eingestuft wird, den offiziellen Status einer Religionsgemeinschaft zuerkannt, womit es ihr möglich ist, bestimmte Personenstandsurkunden und steuerliche Vergünstigungen zu erhalten. Hoher Rat für Integration, „Der Islam in der Republik Frankreich“, November 2000. Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, Department of State, 2000 Jahresbericht über Internationale Religiöse Freiheit, 5. September 2000. 1 2 RR\443621DE.doc 55/135 PE 302.216 DE Der Bericht über die Sekten in der Europäischen Union enthält folgende Elemente1: die Suche nach und die Anwendung einer genauen Definition des Wortes „Sekte“ ergibt unterschiedliche Standpunkte und Stellungnahmen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die internen Rechtssysteme definieren das Wort Sekte nicht im Einzelnen, die nationalen Verfassungen der Fünfzehn erwähnen die Religions-, Glaubens-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, und der Berichterstatterin zufolge „schließt kein Mitgliedstaat die Religionsgemeinschaften, Kirchen und Sekten sowie ihre Mitglieder von der Anwendung des gemeinen Rechts aus“, in bestimmten Mitgliedstaaten kann religiösen Gemeinschaften durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ein rechtlicher Status gewährt werden, der mit bestimmten steuerlichen Vorteilen, öffentlichen Beihilfen, …, und mehr verbunden ist, es liegen nur wenige zuverlässige Informationen über Art, Zahl und Bedeutung der Sekten vor. Der Bericht stellt die oft sehr „zweifelhaften“ Methoden heraus, auf die die Sekten zurückgreifen (finanzielle Ausbeutung der Anhänger, aggressive Anwerbung, psychische Manipulation, Unterwanderung der staatlichen und der Unternehmensstrukturen, ..) sowie ihre oft kriminellen Aktivitäten, die in einigen Berichten angeführt werden (Pädophilie, Drogenhandel, unbefugte Ausübung des Arztberufs, Steuerbetrug und Anstiftung zum Selbstmord). Es wird die Schaffung einer europäischen Datenbank, einer von Europol geführten Datenbank, einer europäischen Koordinierungszentrale sowie einer europäischen Beobachtungsstelle und die Schaffung nationaler und europäischer Zentralen befürwortet. Auf europäischer Ebene wird keine spezifische Gesetzgebung gegen die illegalen Tätigkeiten der Sekten befürwortet, da man davon ausgeht, dass die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ausreichend sind. Der Europarat betont, dass die Tätigkeiten der religiösen Gruppen die demokratischen Grundsätze beachten müssen. So muss die Schulpflicht beachtet werden, die unbefugte Ausübung des Arztberufs, die recht verbreitet zu sein scheint, muss sanktioniert werden, und es ist angezeigt, über die juristischen Folgen der Indoktrinierung der Sekten (mentale Manipulation) nachzudenken2. Andererseits bekräftigt der Europarat in einer Empfehlung, dass der Rückgriff auf spezifische Rechtsvorschriften für Sekten die Gefahr beinhaltet, dass das Grundrecht der Gewissens- und Religionsfreiheit beeinträchtigt wird, das von der EMRK garantiert wird, und dass damit auch die traditionellen Religionen beeinträchtigt werden könnten3. In einer weiteren Empfehlung4 fordert die Parlamentarische Versammlung des Europarats die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die normalen straf- und zivilrechtlichen Verfahren Bericht über „Die Sekten in der Europäischen Union“, Ausschuss für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten, Dokument A4-0408/97, 11. Dezember 1997. 2 Europarat, „Illegale Tätigkeiten der Sekten“, Bericht des Ausschusses für rechtliche Fragen und Menschenrechte, Dokument 8373, 13. April 1999. 3 Europarat, Empfehlung 1178 (1992) über die Sekten und die neuen religiösen Bewegungen, 5. Februar 1992. 4 Empfehlung 1412 (1999) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats 1 PE 302.216 DE 56/135 RR\443621DE.doc gegen die illegalen Praktiken anzuwenden, die im Namen religiöser, esoterischer oder spiritueller Gruppen ausgeübt werden. Ein weiterer parlamentarischer Untersuchungsbericht befürwortet den Erlass neuer strafrechtlicher Bestimmungen über das Ausnutzen bestimmter Situationen der Schwäche und die Anstiftung zum Selbstmord, die Anpassung bestehender Vorschriften zum Schutz der Jugendlichen und betreffend die Satzungen der Vereinigungen sowie eine bessere Kontrolle der Satzungen der Vereinigungen ohne Erwerbszweck sowie die Schaffung einer unabhängigen Beobachtungsstelle1. c) Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen Von den europäischen und internationalen Organisationen wurden internationale Standards für die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen festgelegt. An dieser Stelle seien die Entschließungen des Europäischen Parlaments2 und des Europarats3 genannt. Die Empfehlung R (87)8 des Ministerkomitees enthält das folgende Grundprinzip: „Jede Person, die der Wehrpflicht unterliegt, die sich aus Gewissensgründen weigert, Kriegsdienst mit der Waffe zu leisten, hat das Recht, (unter bestimmten Bedingungen) von diesem Dienst befreit zu werden…. Sie kann verpflichtet werden, einen Ersatzdienst zu leisten“. Auf internationaler Ebene hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen mehrere Resolutionen verabschiedet, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkennen4. Der Militärdienst ist in den meisten EU-Ländern nicht mehr obligatorisch5. Amnesty International ist besorgt über die Dauer des Ersatzdienstes (bzw. des alternativen Dienstes) für den Militärdienst, die bestimmte EU-Staaten6 vorschlagen, sowie über die Inhaftierung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Amnesty International empfiehlt den Mitgliedstaaten, ihren Standpunkt zu überprüfen, wenn der Militärdienst nicht den internationalen Vorschriften entspricht7. 3. Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit Artikel 11: „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“ Bericht des belgischen parlamentarischen Ausschusses „Die Sekten in Belgien“, Berichterstatter: die Herren Duquesne und Willems, April 1997. 2 Entschließungen: Macciochi zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, 7. Februar 1983, Schmidbauer zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und zum Wehrersatzdienst, 13. Oktober 1989, De Gucht zur Achtung der Menschenrechte, 11. März 1993, Bandrés Molet und Bindi zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. 3 Europarat, Entschließung 337 und Empfehlung 478 (1967), Empfehlungen 816 (1977) und R (87). 4 Resolutionen 1989/59, 1993/84, 1995/83 und 1998/77. 5 Europarat, Ausschuss für rechtliche Fragen und Menschenrechte, „Ausübung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in den Mitgliedstaaten des Europarats“, Dokument 8809, 13. Juli 2000. 6 insbesondere Griechenland 7 Amnesty International, Comments in regard to the European Parliament Respect for Human Rights in the European Union“, (1998-1999), European Union Association, 28. Januar 2000. 1 RR\443621DE.doc 57/135 PE 302.216 DE A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen Vereinte Nationen Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 bekräftigt: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; …“ (Artikel 19). Dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 zufolge, der von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, „hat jedermann das Recht auf freie Meinungsäußerung. (Artikel 19) Jedoch „kann die Ausübung der Freiheiten bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind“. Rechtsprechung Artikel 10 EMRK – Recht der freien Meinungsäußerung Das Recht der freien Meinungsäußerung stellt eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft dar; sie gilt nicht nur für „Informationen“ oder „Ideen“, die positiv aufgenommen oder als nichtoffensiv oder als bedeutungslos angesehen werden, sondern auch für solche, die beleidigen, schockieren oder stören, wie es Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit erfordern, ohne die es keine „demokratische Gesellschaft“ gibt1. Die Presse spielt eine wesentliche Rolle in einer demokratischen Gesellschaft. Obwohl sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf, insbesondere in Bezug auf den guten Ruf und die Rechte der anderen und die Notwendigkeit, die Freigabe von vertraulichen Informationen zu vermeiden, ist es dennoch ihre Pflicht, in einer Weise, die ihren Verpflichtungen und ihrer Verantwortung entspricht, Informationen und Ideen über alle Angelegenheiten von öffentlichem Interesse mitzuteilen; die journalistische Freiheit erstreckt sich auch auf den möglichen Rückgriff auf ein bestimmtes Maß an Übertreibung oder sogar Provokation2. Die Medien haben jedoch nicht nur die Aufgabe, derartige Informationen und Ideen weiterzugeben: die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, sie zu erhalten3. Die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften müssen mit ausreichender Präzision formuliert werden, damit die betroffenen Personen – erforderlichenfalls mit der angemessenen rechtlichen Beratung – in einem Ausmaß, das unter den Umständen vernünftig ist, die Folgen vorhersehen können, die ein gegebenes Vorgehen zur Folge haben kann4. Das Adjektiv „notwendig“ in der Bedeutung von Artikel 10 Absatz 2 setzt das Vorhandensein ein „dringenden sozialen Notwendigkeit“5 voraus. Der Gerichtshof muss festlegen, ob der Eingriff „den verfolgten legitimen Zielen angemessen“ war und ob die von den nationalen Gerichten angeführten Gründe zu seiner 1 Siehe Fressoz und Roire gegen Frankreich, Urteil 21. Januar 1999, Nr. 29183/95, § 45. Siehe Fressoz und Roire gegen Frankreich, Urteil 21. Januar 1999, Nr. 29183/95, § 45, News Verlags GmbH & CoKG gegen Österreich, Urteil 11. Januar 2000, Nr. 31457/96, § 55. 3 Siehe News Verlags GmbH & CoKG gegen Österreich, Urteil 11. Januar 2000, Nr. 31457/96, § 56. 4 Siehe News Verlags GmbH & CoKG gegen Österreich, Urteil 11. Januar 2000, Nr. 31457/96, § 42. 5 Siehe News Verlags GmbH & CoKG gegen Österreich, Urteil 11. Januar 2000, oben erwähnt, § 52; Tele 1 Privatfernsehgesellschaft mbH gegen Österreich, Urteil 21. September 2000, Nr. 32240/96, § 34. 2 PE 302.216 DE 58/135 RR\443621DE.doc Rechtfertigung „relevant und ausreichend“ sind1. Die Informationsfreiheit setzt die Freizügigkeit der Informationsträger (in Wort, Schrift, Ton, Bildern) und den freien Zugang zu den Kommunikationsmitteln (Presse, Rundfunk, Fernsehen, elektronische Medien) voraus. In dieser Hinsicht obliegt es Italien, insbesondere die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung des grundsätzlich gleichberechtigten Zugangs zu den Medien (Fernsehen) während des Wahlkampfs für alle konkurrierenden Listen zu treffen und den Wählern das Recht zu garantieren, ausgewogene und unparteiische Informationen über die Programme der verschiedenen Parteien zu erhalten, damit sie eine sachkundige Wahl treffen können. Die Informationsfreiheit ist nicht Gegenstand einer Bestimmung des Vertrags von Rom vom 25. März 1957, und es gibt keinen eigentlichen gemeinsamen Markt für Information. Medien Im Rahmen des Europarates betonen verschiedene Empfehlungen2 betreffend die Medien die Bedeutung, die die Mitgliedstaaten dem Pluralismus und der Transparenz der Medien in den Bereichen Rundfunk und schriftliche Presse gemäß Artikel 10 der EMRK beimessen müssen. Die Erklärung des Ministerkomitees über die Meinungs- und Informationsfreiheit vom 27. April 1982 bringt in diesem Bereich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten des Europarats zum Ausdruck, die Meinungs- und Informationsfreiheit zu achten und auszubauen. Das Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 19893 und das Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 1. Oktober 19984 liefern einen Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Rundfunk. B, DK und IRL sind nicht Vertragspartner dieses Übereinkommens; NL, L, GR, P und S haben es noch nicht ratifiziert. Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ der Europäischen Union ist weitgehend vereinbar mit diesem Übereinkommen. 1 Siehe News Verlags GmbH & CoKG gegen Österreich, Urteil 11. Januar 2000, oben erwähnt, § 52. Europarat, Empfehlung Sammlung (2000) 23 betreffend die Unabhängigkeit und die Aufgaben der Regulierungsbehörden im Rundfunksektor, 20. Dezember 2000. Europarat, Empfehlung Sammlung (2000) 7 betreffend das Recht der Journalisten, ihre Informationsquelle nicht preiszugeben, 8. März 2000. Europarat, Empfehlung Sammlung (99) 1 betreffend die Maßnahmen zur Förderung des Pluralismus der Medien, 19. Januar 1999. Europarat, Empfehlung Sammlung (97) 21 betreffend die Medien und die Förderung einer Kultur der Toleranz, 30. November 1997. Europarat, Empfehlung Sammlung (94) 13 betreffend die Maßnahmen zur Förderung der Transparenz der Medien, 22. November 1994. 3 Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (132), am 1. Mai 1993 in Kraft getreten. 4 Protokoll zur Änderung des Übereinkommens (171). 2 RR\443621DE.doc 59/135 PE 302.216 DE Freiheit der Information Im Bereich der Informationsfreiheit und insbesondere des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten enthalten alle nationalen Gesetzgebungen der Fünfzehn Bestimmungen über den Zugang zu den Akten der Verwaltung (verfassungsrechtliche Bestimmungen, administrative Gesetze, …). Als Beispiel sei das Vereinigte Königreich genannt, wo es seit 1994 eine halbamtliche Sammlung praktischer Anweisungen über den Zugang zu den Informationen der Verwaltung gibt. Außerdem wird 2002 das „Freedom of Information Act“ (Gesetz über die Freiheit der Information) in Kraft treten. Es ist angezeigt, einige Mitgliedstaaten zu erwähnen, in denen vor kurzem Gesetze über die Informationsfreiheit angenommen wurden (IRL und D)1. B. ÜBERLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE In den Niederlanden wurde im Jahr 2000 ein Journalist verhaftet, dann von einem Gericht freigelassen, weil er in einem Presseartikel nicht die Quelle seiner Informationen angegeben hatte. Die Niederlande und Irland besitzen keine Rechtsvorschriften über den Datenschutz. Dänemark, Finnland und Spanien verfügen nicht über eine unabhängige Regulierungsbehörde, denn die Regierung erteilt den Rundfunkanstalten Lizenzen. In mehreren wichtigen Urteilen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt, dass die Meinungsfreiheit „eine der wesentlichen Grundlagen der demokratischen Gesellschaft ist, eine der ausschlaggebenden Bedingungen für ihren Fortschritt und die Entfaltung jedes Einzelnen. Es kann keine demokratische Gesellschaft ohne Pluralismus, Toleranz und Offenheit geben.2 4. Asylrecht, Schutz im Falle der Abschiebung, der Ausweisung und der Auslieferung (Artikel 18 und 19). Artikel 18: „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ 1 Irland: Gesetz Nr. 13 von 1997 über die Informationsfreiheit, Deutschland: Gesetz des Landes Brandenburg vom 10. März 1998 über den Zugang zu den Dokumenten und zur Information. 2 Rechtsache Handsyde gegen Vereinigtes Königreich vom 7. Juli 1976, Reihe A Nr. 24, und Sunday Times gegen Vereinigtes Königreich vom 26. April 1979, Reihe A Nr. 30. PE 302.216 DE 60/135 RR\443621DE.doc Artikel 19: „Kollektivausweisungen sind nicht zulässig. Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“ A. WICHTIGSTE RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 bestimmt (in ihrem Artikel 14): „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen.“ Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (von allen EUMitgliedstaaten ratifiziert) legt die Bedingungen fest, unter denen eine verfolgte Person in einem anderen Land Schutz suchen kann, legt die Grundsätze des Verbots der Ausweisung und Zurückweisung (Artikel 1 und 33) sowie in Umrissen den Inhalt der Rechtsstellung des Flüchtlings fest, ohne sich jedoch zu den Verfahren zu äußern, die für die Zuweisung dieser Rechtsstellung zu verfolgen sind. Das Protokoll vom 31. Januar 1967 (von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert) erweitert die Anwendung des Abkommens auf neue Kategorien von Flüchtlingen. Das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (nicht ratifiziert von Österreich und Portugal) definiert den „Staatenlosen“ als eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht. Das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 (nicht ratifiziert von B, SP, F, FIN, GR, I, L, P) führt an: „Jeder Vertragsstaat verleiht einer in seinem Hoheitsgebiet geborenen Person, die sonst staatenlos wäre, seine Staatsangehörigkeit“ (Artikel 1). Der Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 16. Dezember 1966 (von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert) legt fest, dass ein Ausländer nur aufgrund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden kann (sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen) und Gelegenheit erhalten muss, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde nachprüfen zu lassen (Artikel 13). Das Übereinkommen gegen Folter und sonstige grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafen oder Behandlungen vom 10. Dezember 1984 (noch nicht von Irland ratifiziert) legt fest, dass kein Staat eine Person in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder ausliefern wird, wenn diese Person dort Gefahr läuft, gefoltert zu werden (Artikel 3). – Europarat Das Protokoll Nr. 4 zur EMRK vom 16. September 19631 (noch nicht von GR, SP, VK, ratifiziert) untersagt die Kollektivausweisungen von Ausländern (Artikel 4). 1 Nr. 046 RR\443621DE.doc 61/135 PE 302.216 DE Das Protokoll Nr. 7 zur EMRK vom 22. November 19841 (nicht von D, B, IRL, NL, P, VK, SP ratifiziert) enthält die Verfahrensgarantien im Falle der Ausweisung von Ausländern (Artikel 1) und das Recht auf doppelten Rechtszug im strafrechtlichen Bereich (Artikel 2). Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 19572 (von allen EUMitgliedstaaten ratifiziert) sieht die Auslieferung der Einzelpersonen zwischen den Vertragsparteien vor, die wegen eines Vergehens verfolgt oder zum Zwecke der Ausführung einer Strafe gesucht werden (Artikel 1); jede Vertragspartei kann jedoch die Auslieferung seiner Staatsangehörigen ablehnen. Das Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 15. Oktober 19753 (nicht von A, D, F, FIN, GR, I, IRL, L, VK ratifiziert) schließt von der Kategorie der politischen Verstöße, die keinen Anlass zur Auslieferung geben, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Kriegsverbrechen aus. – Europäische Union Das Dubliner Übereinkommen vom 15. Juni 1990, 1997 in Kraft getreten, legt die Kriterien dafür fest, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Artikel 63 VEU verweist auf die Achtung des Genfer Übereinkommens von 1951. Das dem EU-Vertrag beigefügte Protokoll über die Gewährung von Asyl setzt dem Recht eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der EU, in einem anderen Mitgliedstaat Asyl zu beantragen, beträchtliche Grenzen. Die Eurodac-Verordnung, die im Oktober 2000 erlassen wurde, legt Vorschriften für die Abnahme von Fingerabdrücken von Asylbewerbern in einem der Mitgliedstaaten der EU fest. Das Europäische Parlament hat 2000 folgende Entschließungen angenommen: „Asylbewerber und Zuwanderer: Aktionspläne für die Herkunfts- und Transitländer – Hochrangige Gruppe „Asyl und Migration“4, “Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds“5, „Gemeinsame Normen für Asylverfahren“6. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Angesichts der Zunahme7 der Zahl der Asylanträge seit den 90er Jahren haben fast alle Mitgliedstaaten der EU immer restriktivere Politiken für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus beschlossen. Die eingeführten Verfahren wurden vom UNHCR als nicht mit dem Genfer Abkommen und seinen eigenen Verhaltensvorschriften entsprechend bewertet. Diese restriktiven Politiken kamen insbesondere durch Folgendes zum Ausdruck: – die Zurückweisung der Antragsteller, die über kein Visum verfügen, wohingegen gemäß 1 Nr. 117 Nr. 024 3 Nr. 086 4 Bericht Hernandez Mollar Jorge Salvador, A5-0057/2000 5 Bericht Frahm Pernille, A5-0091/2000 6 Bericht Schmitt Ingo, A5-0123/2000 7 Die Zahl der Asylbewerber in der EU ist von 157.000 im Jahr 1985 auf 674.000 im Jahr 1992 gestiegen, dann im Jahr 2000 auf 390.000 zurückgegangen (Angaben UNHCR) 2 PE 302.216 DE 62/135 RR\443621DE.doc Artikel 31 des Genfer Abkommens die Flüchtlinge, die in ihrem Herkunftsland Opfer von Verfolgung waren, nicht wegen unrechtmäßiger Einreise oder unrechtmäßigen Aufenthalts abgewiesen werden dürfen. Offensichtlich können sich die Opfer von Verfolgung in den meisten Fällen keine gültigen Dokumente beschaffen; – die sehr restriktive Auslegung der Definition des Flüchtlings, der für bestimmte Mitgliedstaaten (Frankreich, Deutschland) nur aufgrund von Verfolgungen durch staatliche Agenten anerkannt werden kann, während zahlreiche Flüchtlinge Opfer von Verfolgungen durch nichtstaatliche Agenten sind, die ihr Staat entweder toleriert oder die ihr Staat in Anbetracht der Desorganisation und der Machtlosigkeit seiner Behörden nicht unterbinden kann (die Situationen von Bürgerkrieg, Guerillakämpfen und allgemeinem Terrorismus); – die Anwendung von beschleunigten Verfahren, die keinerlei Einzelprüfung von Anträgen ermöglichen, die grundsätzlich als offensichtlich unbegründet beurteilt werden, weil die Asylbewerber aus so genannten „sicheren“ Herkunfts- bzw. Transitländern kommen (wohingegen es keine wirklichen Untersuchungen über die Achtung des Genfer Abkommens in diesen Ländern gibt); – eine „abschreckende“ Aufnahme der Asylbewerber durch ihre Zurückbehaltung bei der Ankunft, die Verfahrensschwierigkeiten, denen sie sich gegenübersehen1, bzw. die Weigerung, ihnen soziale Rechte oder eine zeitweilige Arbeitsgenehmigung zu gewähren. Sehr oft sind die Asylbewerber in Anbetracht der Wartezeiten für die Prüfung ihrer Dossiers rechtlos, mittellos und manchmal obdachlos2. Die Ausweisungen von Asylbewerbern erfolgen oft zu rasch, während ihr Antrag noch Gegenstand eines Rechtsbehelfs ist3. Diese restriktiven Politiken werden von fast allen Mitgliedstaaten der EU angewandt. So verwenden 13 Mitgliedstaaten von den 15 ( mit Ausnahme von B und L) beschleunigte Verfahren, 11 Mitgliedstaaten wenden den Grundsatz des sicheren Herkunftslandes an (mit Ausnahme von B, FIN, IRL und I), 14 Mitgliedstaaten (alle mit Ausnahme von IRL) wenden den Grundsatz des sicheren Drittbestimmungslandes an4. Schließlich berücksichtigen 9 Mitgliedstaaten die Verfolgungen durch nichtstaatliche Agenten und lediglich 5 Mitgliedstaaten die Verfolgungen infolge des Fehlens staatlicher Strukturen (Bürgerkriege)5. Unter diesen Bedingungen ist die Quote der Ablehnung der Anerkennung des Flüchtlingsstatus in der EU äußerst hoch (zwischen 85%-95% der Anträge, insbesondere: A, D, SP, F, P, GR, IRL; geringere Quoten werden in B 75%, I 70%, NL 65%, S 48%, FIN 56% 1 In Frankreich hat die Zunahme der Verfahren zu einer Schwächung des Asylrechts geführt; in Frankreich und in Deutschland gibt es keine differenzierte Behandlung für Minderjährige im Alter von 16 Jahren gegenüber den Erwachsenen (FIDH). 2 Insbesondere in Frankreich – der FI.ACAT zufolge – wo die Fristen für die Prüfung der Dossiers bis zu 9 Monate betragen. 3 Die FI.ACAT erwähnt den Fall eines kurdischen Asylbewerbers in Deutschland im Jahr 1998, der ausgewiesen und im Jahr 2000 in der Türkei zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wohingegen ihm das Asylrecht schließlich gewährt wurde. 4 Siehe Stellungnahme von Baroness Ludford zu der Petition, eingereicht von Herrn Williams und Herrn Busch im Namen von Herrn Richard Goldstein, amerikanischer Staatsangehörigkeit, zum politischen Asyl von Herrn Goldstein in Schweden (PE 302.258). 5 Von der GD IV des EP ausgearbeitete Studie über „das Asylrecht in den Mitgliedstaten der EU“, Reihe öffentliche Freiheiten, Nr. 108 RR\443621DE.doc 63/135 PE 302.216 DE festgestellt)1. Sowohl der UNHCR als auch Amnesty International, Human Watch, FIDH oder der Europäische Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen zeigen sich durch diesen Rückschritt beim Schutz des Asylrechts in der EU äußerst besorgt. So hat der Europäische Rat von Tampere im Oktober 1999 in seinen Schlussfolgerungen ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik zu schaffen, die das Recht auf Asyl gemäß den Grundsätzen des Genfer Abkommens unbedingt achtet. Im Laufe des Jahres 2000 haben die Mitgliedstaaten ihre unerbittliche Asylpolitik fortgesetzt, und die EU hat, abgesehen von der Schaffung eines Flüchtlingsfonds, die Zahl der repressiven Vorschläge vervielfacht (Sanktionen für die Schlepper, die Beförderer, Eurodac). Die illegale Einwanderung mit ihren dramatischen Folgen (die Versuche von Flüchtlingen, die spanischen oder italienischen Küsten zu erreichen, die Versuche, den Ärmelkanal zu überqueren, um Calais bzw. die deutschen Grenzen zu erreichen) oder auch mit spektakulären Vorfällen wie der Entdeckung von 58 Leichen von Einwanderern in einem Container in Dover im Juni 2000 dauerte an. Es ist ein Anstieg der Zahl der Asylbewerber zu verzeichnen, die in Aufnahmezentren eingeschlossen sind2, ferner ist ein Anstieg der Zahl der „Illegalen“ in Erwartung einer Regelung ihrer Situation zu verzeichnen. Die Europäische Kommission hat im September 2000 einen Vorschlag für eine Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und im November 2000 eine Mitteilung mit dem Titel „Für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird“, vorgelegt. Die EU müsste auch ihre Unterstützung für den UNHCR aufstocken, die von 600 Mio $ im Jahr 1992 auf 200 Mio $ im Jahr 2000 zurückging. Der Europarat betont in einer jüngsten Mitteilung (R 1440 (2000)) betreffend „die Einschränkungen des Asylrechts in den Mitgliedstaaten des Europarates und der Europäischen Union“ das feindliche Klima, das in Europa gegenüber den Asylbewerbern vorherrscht; er äußert den Wunsch, dass das Asylrecht in die EMRK einbezogen wird und dass eine enge Zusammenarbeit mit der EU über die Harmonisierung der Asylrechtspolitiken geschaffen wird, um den Schutz der Flüchtlinge und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu verstärken. 1 2 Für das Jahr 1998 gemäß der o.g. Studie Siehe Kapitel 1 Seite 8 PE 302.216 DE 64/135 RR\443621DE.doc KAPITEL III. ACHTUNG DER GLEICHHEIT DER BÜRGER: Artikel 20 bis 26 1. Die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung Artikel 20: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.“ Artikel 21: „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten. Im Anwendungsbereich des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union ist unbeschadet der besonderen Bestimmungen dieser Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“ – Der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 19651, das von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, (wenn auch viele von ihnen – A, D, P, GR und B – die Zuständigkeit des Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung „CERD“ zur Entgegennahme von Beschwerden von Einzelpersonen und Gruppen gemäß Artikel 14 nicht anerkennen). Das Übereinkommen der ILA gegen die Diskriminierung bei Einstellung und Beschäftigung, das am 25. Juni 1958 angenommen wurde, (nicht ratifiziert von Schweden) verbietet „… jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung, die aufgrund der Rasse, der Hautfarbe …, des Glaubensbekenntnisses …erfolgt“ (Artikel 1). Das UNESCO-Übereinkommen über den Kampf gegen die Diskriminierung im Bereich der Bildung, das am 14. Dezember 1960 angenommen wurde (nicht ratifiziert von IRL, A, GR und B) verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Glaubensbekenntnisses …, der nationalen Abstammung oder der nationalen Herkunft, die dazu führt, die Gleichheit der Behandlung im Bereich der Bildung aufzuheben (Artikel 1). – Europarat Nach der EMRK vom 4. November 19502 ist unterschiedslos jede Benachteiligung verboten, die in der „Rasse, … Religion, … Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit …“ 1 2 Resolution 2106 A (XX). Nr. 005. RR\443621DE.doc 65/135 PE 302.216 DE begründet ist (Artikel 14). Das neue 12. Protokoll über Nichtdiskriminierung wurde am 4. November 2000 zur Unterzeichnung aufgelegt1 und an diesem Tag von zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet (das Protokoll haben noch nicht unterzeichnet: DK, F, E, SV und UK). Es bestimmt, dass niemand in irgendeiner Form von irgendeiner staatlichen Stelle diskriminiert werden darf. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) setzt sich aus unabhängigen nationalen Sachverständigen zusammen und verfolgt den Kampf gegen den Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, den Antisemitismus und die damit verbundene Intoleranz in jedem einzelnen Land. Diese Kommission erstellt regelmäßige Länderberichte, die den betreffenden Regierungen übermittelt und dann veröffentlicht werden. Die ECRI spricht auch Empfehlungen zu allgemein politischen Themen aus. – Rechtsprechung des Menschengerichtshofs Artikel 14 EMKR – Verbot der Benachteiligung Artikel 14 ist immer dann anwendbar, wenn der Sachverhalt eines Falles in den Geltungsbereich einer anderen sachlichen Vorschrift der Konvention oder ihrer Protokolle fällt2. Ein Verstoß gegen Artikel 14 ist gegeben, wenn ein Staat Personen in vergleichbaren Situationen unterschiedlich behandelt, ohne eine objektive oder vernünftige Begründung hierfür zu liefern. Dies ist allerdings nicht der einzige Aspekt des Verbots der Benachteiligung gemäß Artikel 14. Ein Verstoß liegt auch vor, wenn Staaten ohne eine objektive und vernünftige Begründung Personen nicht unterschiedlich behandelt, deren Situation wesentlich unterschiedlich ist3. Eine unterschiedliche Behandlung ist benachteiligend im Sinne von Artikel 14, wenn es keine objektiven und vernünftigen Gründe für sie gibt, d.h. wenn durch sie kein legitimes Ziel verfolgt wird, oder wenn es keine vernünftige Beziehung zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel gibt oder wenn die Mittel unverhältnismäßig sind4. – Europäische Union Eine Rassendiskriminierung ist nach den Artikeln 13 und 29 EU-Vertrag verboten. Die Richtlinien vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft und vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sowie das Programm EQUAL und das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung der Diskriminierung (2001-2006) Das Europäische Parlament hat folgende Entschließungen angenommen: „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Europäischen Union“5, „Gleichbehandlungsgrundsatz ohne 1 Nr. 177. Siehe Thlimmenos gegen Griechenland, Urteil vom 6. April 2000, Nr. 34269/97, § 40. 3 Siehe Thlimmenos gegen Griechenland, Urteil vom 6. April 2000, a.a.O., § 44. 4 Siehe Camp und Bourimi gegen die Niederlande, Urteil vom 3. Oktober 2000, Nr. 28369/95, § 37. 5 Bericht Ludford Sarah Ann, A5-0049/2000. 2 PE 302.216 DE 66/135 RR\443621DE.doc Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft“1, „Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierung (2001-2006)“2, „Bekämpfung des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit in der Europäischen Union“, „Beschäftigung: Bekämpfung von Diskriminierung, Leitlinien für die Gemeinschaftsinitiative EQUAL“3, „Beschäftigung: Bekämpfung von Diskriminierung, Gleichbehandlung“4. Die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wurde 1997 eingerichtet und hat als Hauptaufgabe, der EU und ihren Mitgliedstaaten objektive Informationen in diesen Bereichen zu liefern. Die Charta der politischen Parteien Europas für eine rassismusfreie Gesellschaft wurde am 5. Dezember 1997 verabschiedet und von 80 Parteien unterzeichnet. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Aus den von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorgelegten Ergebnissen einer Eurobarometer-Umfrage (2000) ergibt sich, dass durchschnittlich 21% der Bevölkerung in der Gemeinschaft die ethnische Vielfalt akzeptieren und 14% sie ablehnen. Allerdings bezeichnen sich 64% als „passiv tolerant oder gleichgültig“. In der EU gibt es weiterhin Rassismus, in einigen Fällen verschlimmert er sich sogar und nimmt neue subtilere Formen unter Einsatz neuer Informationstechnologien (Internet) und ausgefeilterer rassistischer Ausdrücke an, weswegen äußerste, den Umständen angepasste Wachsamkeit erforderlich ist. a) rassistische Gewalttaten Eine genaue Bestandsaufnahme der rassistischen Gewalttaten in der EU ist schwierig. Die folgenden Ausführungen gründen sich einerseits auf die Feststellungen der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (Bericht 2000 über das Jahr 1999) und auf die in den letzten Jahren veröffentlichen jährlichen Länderberichte des ECRI5. Wenigen Ländern sind rassistische Gewalttaten gänzlich erspart geblieben, die Ausfluss einer allgemeinen Einstellung sowohl bei den Polizeikräften als auch bei Einzelpersonen sind und je nach Fall in unterschiedlichen Formen verübt werden. Akte rassistischer Gewalt kommen bei Polizeikräften (insbesondere in B, D, F, A und GR) aber auch bei Bürgern in ihrem täglichen Verhalten gegenüber Einwanderern anderer Hautfarbe vor (SV: die Anzahl gewalttätiger Angriffe aus rassistischen Motiven hat sich von 1997 bis 1999 verdoppelt; FIN: 60% der befragten Einwanderer bestätigen, dass sie schon Opfer von Belästigungen und Beleidigungen waren). Hervorstechendstes Beispiel für diese ablehnende Haltung seitens der ortsansässigen Bevölkerung waren die Unruhen im Februar 1 Bericht Buitenweg Kathalijne Maria, A5-0136/2000. Bericht Cashman Michael, A5-0259/2000. 3 Bericht Stenzel Ursula, A5-0034/2000. 4 Bericht Thomas Mann, A5-0264/2000. 5 1999 (B, E, F, GR, A, SV, UK, DK), 1998 (P, NL, I, D), 1997 (L, IRL, FIN). 2 RR\443621DE.doc 67/135 PE 302.216 DE 2000 in der spanischen Provinz Almeria, gerade im Gebiet von El Ejido, in dem mehrere Zehntausende Marokkaner arbeiten. Sie hatten einen rassistischen Hintergrund. Mehr als 60 Personen wurden verletzt und Hunderte von Einwanderern wurden obdachlos nach Verwüstungen durch die Menge, ohne dass die Verantwortlichen verurteilt worden wären. Auch in Deutschland war ein beträchtlicher Anstieg der Zahl rassistischer Gewalttaten insbesondere im Ostteil des Landes zu verzeichnen (+ 40%; 36 Personen fanden im Jahr 2000 den Tod durch rassistische Gewalttaten). In Österreich konnte eine leichte Abnahme der rassistisch gefärbten Verbrechen und Vergehen verzeichnet werden (- 11%) gegenüber einer Zunahme in Irland und einer unveränderten Lage in Frankreich1. Zu oft werden Akte rassistischer Gewalt von der Justiz nicht mit der gebotenen Strenge verfolgt. Nährboden für rassistische Gewalt sind die Tätigkeiten rassistischer Parteien der extremen Rechten oder rassistischer Gruppen wie der Neonazis in Deutschland (50.000 Anhänger), die die Gewaltbereitschaft fördern und für gewalttätige Aktionen und Aufrufe zur Gewalt verantwortlich sind (in Deutschland gehen 66% der Straftaten mit rassistischem Hintergrund auf Propaganda zurück). Das gilt auch für Österreich, wo nach dem am 8. September 2000 vorgelegten Bericht der Weisen die FPÖ einen eindeutig rassistischen Wahlkampf geführt hat. Ähnliche Situationen sind in Belgien, Frankreich und Italien anzutreffen, wo es extremistische Parteien mit rassistischer und fremdenfeindlicher Ausrichtung gibt. Bemerkenswert ist, dass das Zentrum für Chancengleichheit in Belgien die Gerichte angerufen hat, um ein gesetzeskonformes Verbot der Finanzierung des Vlamsblok aus öffentlichen Mitteln durchzusetzen. Opfer dieser Gewalt sind die Mitglieder der Minderheiten der Einwanderer (Türken in Deutschland; Maghrebiner und Afrikaner in Belgien, Frankreich und Spanien; Roma und Albaner in Italien und Griechenland). Der Fortbestand oder die Verschlimmerung des Rassismus sind zum großen Teil auf den Einwanderungsdruck der letzten Jahre insbesondere in denjenigen Ländern zurückzuführen, die bis dahin keine nennenswerten Einwandererzahlen kannten (I, E und IRL). b) Direkte und indirekte Diskriminierungen aus Gründen der Rasse Sehr viel häufiger als Gewalttaten, aber nicht weniger schwerwiegend, sind die Diskriminierungen aus Gründen der Rasse. Sie nehmen in den meisten Mitgliedstaaten der EU zu. Die Benachteiligungen haben verschiedene Formen, wobei die Diskriminierung bei der Beschäftigung die schwerwiegendste ist. In nicht wenigen Mitgliedstaaten der EU ist die Arbeitslosenrate von Drittstaatsangehörigen doppelt, ja sogar dreimal so hoch, wie die der eigenen Staatsangehörigen (DK, F, NL und UK). Die Benachteiligungen bei der Einstellung nehmen zuweilen systematische Formen in bestimmten Unternehmen an2, wobei sogar Geheimcodes verwendet werden, um Ausländer wegen ihrer Hautfarbe oder ihrem fremdländisch klingenden Namen von bestimmten Posten fern zu halten, weil man von Reaktionen einer vermeintlich rassistischen Bevölkerung ausgeht. 1 Nach dem Netz RAREN (Rapid Response and Evaluation Network) der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. 2 Durch das sogenannte „Testing“ können derartige Verhaltensweisen aufgedeckt werden. PE 302.216 DE 68/135 RR\443621DE.doc Die Entlohnung der Einwanderer, wenn sie denn eingestellt werden, ist oft sehr viel geringer als die der eigenen Staatsbürger für gleichwertige Arbeit und Qualifikation (GR, I: -30%)1, ganz zu schweigen von der „Entlohnung“ der Schwarzarbeit. Gleiches gilt für die Möglichkeiten der beruflichen Fortbildung und der Beförderung. Von den vielen Formen der Diskriminierung sei hier der Zugang der Einwandererkinder zur Ausbildung (oder eine Ausbildung geringerer Qualität), die Wohnungsfindung oder der Zugang zu öffentlichen Plätzen (beispielsweise Diskotheken) angeführt. c) Rassismus im Internet Das Internet gibt zur Sorge Anlass, denn die Internetseiten mit rassistischen Parolen, die dort angeboten und verbreitet werden, nehmen ständig zu. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat die Zahl der rassistischen Webseiten von 600 im Jahr 1997 auf 2.100 Anfang 1999 zugenommen. Die Wesensmerkmale des Internets, seine polyzentrische Struktur, seine Allgegenwart, die Anonymität der Nachrichten sowie ihre Flüchtigkeit verhindern eine wirksame Erfassung und rechtliche Ahndung. Die rechtliche Ahndung dieser Taten sowohl auf strafrechtlichem wie auch auf zivilrechtlichem Gebiet wirft komplizierte Probleme auf, wie etwa die Feststellung des Tatorts, des anzuwendenden Rechts, der Schuldzuweisung unter den verschiedenen Tatbeteiligten (Anbieter von Diensten, von Inhalten), die kurzen Verjährungsfristen für Pressevergehen oder auch der Datenschutz. Außerdem hat das uneingeschränkte Recht auf freie Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten, das als Grundrecht betrachtet wird, zur Entstehung von Schutzzonen geführt (Safe Data Harbours), die dem Zugriff der Justiz entzogen sind. d) Empfehlungen Nach der Verabschiedung der Richtlinien vom 29. Juni und 27. November 2000 müssen die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften in diesen Bereichen bis zum Juli 2003 anpassen. Die Staaten sollten diese Gelegenheit nutzen, um ihre nationalen, oft verstreuten Regelungen zu kodifizieren, um über ein zusammenhängendes und angepasstes Gesetzeswerk sowohl auf strafrechtlichem als auch zivilrechtlichem Gebiet verfügen zu können. Es ist nämlich nicht nur wichtig, die Diskriminierungen aus Gründen der Rasse strafrechtlich zu ahnden, sondern den Opfern muss auch die Möglichkeit eingeräumt werden, zivilrechtlichen Schadenersatz zu erhalten. Um gegen die gemeinschaftlichen Richtlinien, die nur ein Mindestmaß darstellen und weitergehende Bestimmungen nicht verbieten, nicht zu verstoßen, müssen die Mitgliedstaaten u.a. dafür sorgen, dass in ihre Rechtsordnungen folgendes aufgenommen wird, falls sie noch nicht über entsprechende Rechtsvorschriften verfügen: – Sanktionen für unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen 1 Jahresbericht 1999 der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, S. 35 und 39. RR\443621DE.doc 69/135 PE 302.216 DE – Sanktionen für sexuelle oder moralische Belästigung – mehr Flexibilität bei der Beweislast – Einführung des Rassismus als Erschwerungsgrund – Einrichtung unabhängiger Stellen für die Betreuung und Unterstützung von Opfern. Hierfür ist es dringend erforderlich, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die noch nicht über unabhängige Stellen verfügen, die auf die Betreuung und die Unterstützung von Opfern von Rassismus spezialisiert sind (mit Untersuchungsbefugnissen), die insofern notwendigen Maßnahmen ergreifen (F, E, D, GR, A und I). Eine verstärkte Sensibilisierung von Polizisten und Richtern (Fortbildung) scheint in mehreren Ländern erforderlich zu sein1. Allgemein kann man sagen, dass die großen Linien des Kampfes gegen den Rassismus seit Jahren feststehen und sich beispielsweise in den Schlussfolgerungen des letzten Berichts des EP über die Bekämpfung des Rassismus2, im vom Rat am…. angenommenen Aktionsprogramm gegen die Diskriminierung (2001-2006) sowie in den Schlussfolgerungen finden, die von der Europäischen Konferenz „Alle verschieden, alle gleich“ am 13. Oktober 2000 in Straßburg mit Blick auf die Weltkonferenz der Vereinten Nationen zum gleichen Thema im Jahr 2001 angenommen wurden und Folgendes beinhalten: – die Stärkung des rechtlichen Schutzes gegen Rassismus – die Konzipierung nationaler, europäischer und internationaler Strategien – die Aufklärung und Sensibilisierung für diese Probleme – die Rolle der Medien (Festlegung von ethischen Verhaltenskodizes gegen den Rassismus). Angesichts der extremistischen Parteien mit rassistischer Ausrichtung ist es schließlich unverzichtbar, dass die europäischen politischen Parteien alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die Achtung der Charta der europäischen politischen Parteien für eine rassismusfreie Gesellschaft zu gewährleisten, insbesondere jedes Wahlbündnis mit diesen Parteien verurteilen und die Finanzierung ihrer Wahlkampagnen in Frage stellen. Zu der besonderen Frage der Bekämpfung des Rassismus im Internet wird in der Studie der ECRI ausgeführt, dass es trotz der oben beschriebenen juristischen Schwierigkeiten sowohl in legislativer als auch in justizieller Hinsicht rechtliche Mittel gibt, diesen Taten entgegenzutreten (dabei spielt beispielsweise die Überlegung eine Rolle, dass sowohl die strafrechtliche als auch die zivilrechtliche Verfolgung dann möglich ist, wenn die Wirkungen der Straftat, die übrigens als Dauerdelikt angesehen wird, im Staatsgebiet eines Landes auftreten, und dass der Betreiber wegen seiner Nähe zum Inhalt der Sendungen insbesondere der Anbieter von Speicherkapazität zur Verantwortung gezogen werden kann)3. 1 Dies gilt insbesondere für Italien. In Deutschland, Irland, Spanien, Schweden und Frankreich (ein neuer Verhaltenskodex für die Polizei) sind nach Angaben der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Fortschritte zu verzeichnen. 2 Bericht von Sarah Ludford über die Bekämpfung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der EU, A5-0049/2000. 3 Nach den Fachleuten der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit steht man in Österreich, Finnland und Deutschland kurz davor, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. In Frankreich wurde Yahoo verurteilt, einer rassistischen Webseite den Zugang zu verweigern. PE 302.216 DE 70/135 RR\443621DE.doc Solange es kein spezielles internationales Übereinkommen gegen den Rassismus im Internet gibt, müsste die Europäische Union gerade wegen der Haltung der Vereinigten Staaten ein klares Zeichen setzen (5 Mitgliedstaaten der EU haben sogar Erklärungen zur Auslegung von Artikel 4 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vorgelegt) und angesichts der ernsten Gefahr sowohl auf rechtlichem Gebiet als auch im Bereich der Standesregeln eine einheitliche Haltung einnehmen (Soft-lawBereich; so müssten beispielsweise alle Mitgliedstaaten der EU das Memorandum von EuroIPSA von 1997 zwischen den europäischen Vereinigungen der Anbieter von Internetzugang und -diensten unterzeichnen). – Diskriminierung gegen Minderheiten und der Spezialfall der Minderheit der Roma und Sinti1 A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965 verbietet „jede auf der Rasse, … dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung“ (Artikel 1). – Europarat Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 (nicht unterzeichnet von B und F, nicht ratifiziert von L, NL, P und GR, sodass es in sechs Mitgliedstaaten der Union nicht in Kraft getreten ist). Dieses Übereinkommen gilt nicht unmittelbar, sondern muss von jedem Mitgliedstaat umgesetzt werden. Im Wesentlichen wird durch dieses Übereinkommen festgeschrieben, dass der Schutz nationaler Minderheiten Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte ist. Sein Zweck besteht darin, dazu beizutragen, dass Minderheiten nicht als solche benachteiligt werden und insbesondere ihre Kulturen und Sprachen beibehalten können sowie an öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen und Zugang zu den Medien haben können. Allerdings werden in dem Übereinkommen (Artikel 1) den nationalen Minderheiten keine eigentlichen kollektiven Rechte zugestanden. Auch wird nicht genauer bestimmt, was Minderheiten sind. Innerhalb des Europarats gibt es eine Fachgruppe und einen Koordinator für die Roma. Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen wurde am 5. November 1992 angenommen (nicht ratifiziert von A, B, GR, E, F, I, IRL, L, P und UK). In ihr ist die Pflege und die Entwicklung der Traditionen und des kulturellen Erbes Europas vorgesehen. 1 Die Bezeichnungen der Zigeuner sind unterschiedlich und betreffen unterschiedliche Lebensumstände. Die Sinti haben eine starke Germanisierung erfahren (vgl. Jean-Pierre Liégeois, Roma Tziganes, Voyages – herausgegeben vom Europarat 1994). RR\443621DE.doc 71/135 PE 302.216 DE – Europäische Union Artikel 13 EUV und 151 EGV Erklärung über die Lage der Roma in den Kandidatenländern, die der Europäische Rat im Dezember 1999 in Tampere angenommen hat. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es zahlreiche anerkannte Minderheiten, manchmal fünf oder mehr in einem einzigen Staat (Italien: 13 Minderheiten) neben den Gemeinschaften der Einwanderer. Nach den ersten durch das Rahmenübereinkommen vorgesehenen Berichten, die von den Staaten veröffentlicht wurden (DK, I, UK, D, FIN und A), lässt sich schließen, dass diese zum Teil zahlenmäßig schwachen Minderheiten im Großen und Ganzen zufriedenstellende Lebensumstände haben, sowohl was die Nichtdiskriminierung, die Förderung ihrer Kultur und ihrer Sprache sowie den Zugang zu den Medien anbelangt. Allerdings ist die Umsetzung und der Überwachungsmechanismus dieses Übereinkommens noch zu neu, um die Ergebnisse im vollen Umfang zu würdigen. Bestimmte Minderheiten scheinen noch Schwierigkeiten zu haben. Dies gilt insbesondere für Griechenland (die islamische Minderheit von Westthrazien genießt kein uneingeschränktes Recht auf freie Meinungsäußerung; auch die Führung ihrer Schulen unterliegt Beschränkungen; die albanische Gemeinschaft leidet zu oft unter fremdenfeindlichen Reaktionen), für Finnland (die Sami genießen keine ausreichende kulturelle Autonomie), für Dänemark (wo die Inuit aus Grönland im Mutterland benachteiligt werden sollen) und für Italien (wo einige Minderheiten – Albaner in Sizilien, Griechen in Kalabrien, Katalanen in Sardinien usw. – trotz des Schutzes vieler Minderheiten durch Sondermaßnahmen gemäß Artikel 6 der Verfassung besser gestellt werden könnten)1. Die Einrichtung eines Exekutivorgans für Moslems in Belgien sowie die Schaffung des Samedin (Parlament der Sami) in Schweden sind beachtliche Initiativen2. Die Mitgliedstaaten, die das Konzept von Minderheiten ablehnen, wie Frankreich wegen des Verfassungsgrundsatzes der Unteilbarkeit der Republik und der Gleichheit aller Bürger sowie Deutschland, wo nur die Minderheiten deutscher Nationalität anerkannt sind, können die Existenz dieser Minderheiten nicht leugnen, deren Bedürfnisse sie oft in gewisser Weise berücksichtigen. Was die Minderheitensprachen anbelangt, die in der EU sehr zahlreich sind (mehr als 40), werden die Mitgliedstaaten, die die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, aufgerufen, ihre Haltung zu dieser sprachlichen Vielfalt zu überprüfen. Die Zeichensprache wird von 360.000 Personen in der EU benutzt (Europäischer Gehörlosenverband, Bericht 1999-2000). Wenn sie 1 Siehe Entschließungsantrag B5-0034/2001 zum Schutz und zur direkten politischen Vertretung der sprachlichen Minderheiten der Region und Sonderstatut Friaul–Julisch Venetien (Anhang, S. 134) 2 Vgl. die Länderberichte der ECRI. PE 302.216 DE 72/135 RR\443621DE.doc auch nicht in der Charta der Minderheitensprachen erwähnt wird, sollte ihr Studium doch anerkannt werden, da ihr Gebrauch auch durch Angehörige dieser behinderten Menschen ein wichtiger Faktor für ihre gesellschaftliche Integration ist. Die Minderheit der Roma und Sinti verdient besondere Aufmerksamkeit. Ihre Zahl beträgt 10 bis 12 Millionen in ganz Europa. In der derzeitigen Europäischen Union gibt es etwa 2 Millionen Roma (E: 800.000, F: 340.000, I: 110.000, D: 130.000, EL 200.000, UK 120.000)1. a) rassistische Gewalttaten Die ablehnende Haltung gegenüber den Roma ist ein kompliziertes Phänomen, das tiefe Wurzeln in der Geschichte der letzten fünf Jahrhunderte in Europa hat. Die Lage der Roma ist in zwei Mitgliedstaaten der EU besonders Besorgnis erregend, in Italien und in Griechenland. Nach einem Bericht des CERD von 1999 und des „European Roma Rights Center“ bleibt den Roma in Italien oft nichts anderes übrig, als in Lagern unter schwierigsten Lebensbedingungen und somit isoliert von der italienischen Gesellschaft zu leben2. Da man sie für nichtsesshaft hält, sind Roma sehr oft aus der Gesellschaft ausgeschlossen, obwohl 60.000 von ihnen die italienische Staatsbürgerschaft besitzen und sie mehrheitlich sesshaft sind. Bei den Regionalwahlen vom April 2000 waren die Roma oft Gegenstand verächtlicher Parolen der extremistischen Parteien. In Griechenland sind nach dem Bericht der Humen Rights Watch (2001) Misshandlungen gegen die Gemeinschaft der Roma vorgekommen, insbesondere brutale Vertreibungen im Raum Athen anlässlich der Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2004 und in anderen Städten (Thessaloniki), ohne dass diese Gewaltakte verfolgt würden und ohne dass den vertriebenen Gemeinschaften faire Lösungen für eine Umsiedlung vorgeschlagen worden wären. Neben den Vertreibungen sind Roma oft Opfer von Polizeigewalt, und viele von ihnen haben, obwohl sie seit Menschengedenken in Griechenland leben, nicht die griechische Staatsangehörigkeit. Wenn die Lage in Griechenland und in Italien auch besonders schwierig ist, ist sie in anderen Ländern der Union doch auch nicht einfach: Spanien (Diskriminierungen, Rassismus, Vertreibungen usw.), in Frankreich und in Großbritannien (Angriffe auf die Freizügigkeit und mangelnder Zugang zu einer Reihe von Grundrechten; Rassismus, insbesondere seitens der lokalen Behörden). b) direkte und indirekte Diskriminierungen aus Gründen der Rasse Die Roma leiden unter Diskriminierungen aus Gründen der Rasse insbesondere im Bereich des Zugangs zu Wohnraum sowie zu Bildung. Die Roma leben meist in Gettos am Rande der 1 In der EU gibt es allgemein keine genauen Statistiken über nationale Minderheiten. Grundsätzlich sind nach den meisten Verfassungen der europäischen Länder Datenerhebungen auf der Grundlage ethnischer Herkunft untersagt (Die Roma und die Statistiken, Rundtischgespräch vom 22. und 23.5.2000, Straßburg). 2 ERRC-Bericht Campland, Rassentrennung von Roma in Italien, Oktober 2000. RR\443621DE.doc 73/135 PE 302.216 DE Städte unter gesundheitsschädlichen Bedingungen. Bei den nichtsesshaften Roma ist in der EU ein großer Mangel an Stellplätzen zu verzeichnen, und die zur Verfügung stehenden Plätze sind oft überfüllt und schlecht ausgestattet. Die physische Ausgrenzung der Roma verschlimmert ihre Marginalisierung. So sind sie vom Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen der Gesundheitsvorsorge und des Unterrichts ausgeschlossen. Wenn es denn Rechtsvorschriften zugunsten von Stellplätzen und Wohnbereichen des reisenden Volkes gibt (z.B. in F), ist ihre Anwendung zu oft dem Wohlwollen der Gebietskörperschaften anheim gestellt, was zu schweren Ungleichbehandlungen führt. Da sie über keine rechtlich geschützten Stellplätze verfügen, haben die Roma keine Adresse, was zu großen Schwierigkeiten führt, wenn sie soziale Dienste in Anspruch nehmen oder ihre Kinder in Schulen anmelden wollen1. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs der Roma zu Wohnraum ergreifen, wobei darauf zu achten ist, dass der vorgeschlagene Wohnraum ihrer Lebensart entspricht und nicht zu einer Zwangsassimilierung führt. Dies gilt auch für den Zugang zur Beschäftigung, wo die Roma unter sehr starker Diskriminierung leiden, was in Verbindung mit mangelnder Ausbildung zu einer außergewöhnlich hohen Arbeitslosenquote führt. Allgemein kann man sagen, dass es in keinem Bereich des täglichen Lebens Chancengleichheit gibt (Wohnraum, Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Beteiligung am politischen, kulturellen usw. Leben), was wiederum zur Marginalisierung und zur gesellschaftlichen Ausgrenzung führt. c) Die Lage der Roma im Bereich Asylrecht Die EU sieht sich mehr und mehr einem wachsenden Anstieg der Asylanträge von Roma aus den MOEL gegenüber, und ihre Bearbeitung unterscheidet sich je nach Empfängerland. d) Empfehlungen Bis heute haben die Regierungen die Lage der Roma/Sinti-Minderheit nicht genügend berücksichtigt. Aktive Politiken ihrerseits sind notwendig, um die Einstellung zu verändern. Die Empfehlungen des Europarats und des OSZE-Hochkommissars für nationale Minderheitenfragen bildeten die Grundlage für ein Dokument, das auf dem Gipfel von Tampere von der EU verabschiedet wurde, einem Referenzdokument für die Politiken, die zur Verbesserung der Lage der Roma/Zigeuner umgesetzt werden müssen. Die Bekämpfung des Rassismus und der Intoleranz gegenüber Roma/Zigeuner hat zu einer Empfehlung zu Fragen der allgemeinen Politik Nr. 3 der ECRI geführt. Die Erstellung einer europäischen Wegekarte wäre ebenfalls eine sehr nützliche Maßnahme zur Vereinfachung und Harmonisierung der Wanderungsbewegungen der Roma. Zum Zugang zur Bildung stellt der Europarat in einer vor kurzem verabschiedeten Empfehlung zur Unterrichtung von Roma-Kindern (R 2000/4 vom 3.2.2000) fest, dass diese Gemeinschaft unter vollständigem oder teilweisem Analphabetismus leidet, und dass die 1 Siehe den Bericht der FIDH zur Lage der Roma in Frankreich trotz des Gesetzes vom 5. Juli 2000. PE 302.216 DE 74/135 RR\443621DE.doc Roma-Kinder, wenn sie zur Schule gehen, oft Opfer von Ausgrenzungen sind, da sie soziokulturell benachteiligt sind. Unter diesen Bedingungen empfiehlt der Europarat: – – die Einrichtung von echten nationalen umfassenden Politiken, um den Roma/Zigeunern im Bereich der Schulbildung Chancengleichheit einzuräumen, die Schaffung eines Fernunterrichtssystems für die Kinder der nichtsesshaften Roma, die Entwicklung von didaktischen Materialien, die die kulturelle Identität der Roma achten, eine bessere Vorbereitung der künftigen Ausbilder und Lehrer, eine Unterstützung von Forschungsprojekten, um angemessene Antworten zu entwickeln. Allgemein ist es wünschenswert, eine bessere Zusammenarbeit mit den Organisationen anzustreben, die die Gemeinschaften der Roma vertreten, wobei auch gegebenenfalls Mittelsmänner aus ihren Reihen eingesetzt werden sollten. Das Problem einer besseren Bearbeitung der Asylanträge von Roma kann nur im Rahmen der dringend notwendigen gemeinsamen Asylpolitik in der EU gelöst werden1. 2. Gleichheit zwischen Frauen und Männern Artikel 23: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer Vergünstigungen unterrepräsentierter Geschlechter nicht entgegen.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19662 (ratifiziert von allen Mitgliedsländern der EU) verbürgt „die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller in diesem Pakt festgelegten bürgerlichen und politischen Rechte“ (Artikel 3). Nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 19663 sind alle „……..“ Rechte zu achten und sie allen ………… Personen ohne Unterschied, wie ……… des Geschlechts ………… zu gewährleisten“ (Artikel 2). Nach dem Übereinkommen über den bezahlten Bildungsurlaub der IAO vom 24. Juni 1974 (nicht ratifiziert von A, DK, GR, I, IRL, L und P) gilt: 1 Juristische Instrumente zur Bekämpfung des Rassismus im Internet, August 2000, Bericht des Schweizerischen Instituts für vergleichendes Recht für die ECRI. 2 Resolution 2200A(XXI) 3 Resolution A (XXI) RR\443621DE.doc 75/135 PE 302.216 DE „Der bezahlte Bildungsurlaub darf Arbeitnehmern nicht aufgrund …… des Geschlechts ……….. verweigert werden“ (Artikel 8). Das Übereinkommen über Arbeitnehmer mit Familienpflichten vom 23. Juni 1981 (nicht ratifiziert von A, B, D, DK, I, IRL, L und UK) enthält den Grundsatz der echten Chancengleichheit und der Gleichbehandlung für Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts (Artikel 3). Das Übereinkommen über die Kündigung vom 22. Juni 1982 (nicht ratifiziert von A, B, D, DK, GR, I, IRL, L, NL und UK) verbietet die Kündigung aus Gründen des Geschlechts oder wegen Fernbleibens von der Arbeit während des Mutterschaftsurlaubs. Das Übereinkommen über den Mutterschutz vom 15. Juni 2000 (nicht ratifiziert von allen Mitgliedstaaten außer Italien) garantiert Frauen den Gesundheitsschutz (Artikel 3), den Mutterschaftsurlaub (Artikel 4), die Freistellung im Fall von Krankheit (Artikel 5), Leistungen (Artikel 6 und 7), den Schutz des Arbeitsplatzes und die Nichtdiskriminierung (Artikel 8 und 9) sowie Pausen für stillende Mütter (Artikel 10). Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen vom 18. Dezember 1999 (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU) verbietet „jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundrechte durch die Frau …….. im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird“ (Artikel 1). Das Fakultativprotokoll zu diesem Übereinkommen vom 6. Oktober 1999 (nicht unterzeichnet vom UK und nicht ratifiziert von B, D, ESP, GR, L, NL, P und SV) eröffnet Frauen die Möglichkeit, das Komitee wegen Beseitigung von Diskriminierungen gegenüber Frauen und Verletzung des Übereinkommens durch die Mitgliedstaten zu befassen. Nach dem Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 19521 haben die Frauen unter gleichberechtigten Bedingungen mit den Männern das Recht, gewählt zu werden, und zwar ohne jede Diskriminierung (Artikel 2) und das Recht, alle öffentlichen Ämter und alle öffentlichen Funktionen auszuüben (Artikel 3). – Europarat Nach der EMRK vom 4. November 19502 ist jede Benachteiligung, die insbesondere im Geschlecht begründet ist, verboten (Artikel 14). Im 12. Protokoll3 zur EMRK (unterzeichnet am 4. November 2000 von DK, E, F und SV, aber von keinem Mitgliedstaat ratifiziert) ist allgemein jede Form der Diskriminierung verboten. Das neue Protokoll garantiert, dass niemand von einer öffentlichen Stelle aus irgendeinem Grund diskriminiert werden darf (im Gegensatz zu Artikel 14 der EMRK, deren Geltungsbereich auf die Rechte beschränkt ist, die durch sie verbürgt werden). Die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 19614 (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU) garantiert allen Menschen wirtschaftliche und soziale Grundrechte. Das Zusatzprotokoll vom 5. Mai 19885 (nicht ratifiziert von A, B, D, F, L, P, IRL und UK) 1 vom 20. Dezember 1952 Nr. 005 3 Nr. 177 4 Nr. 035 5 Nr. 128 2 PE 302.216 DE 76/135 RR\443621DE.doc erweitert die durch die Charta garantierten Rechte, insbesondere das Recht auf Chancengleichheit und auf Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ohne Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts. Die am 3. Mai 1996 überarbeitete Europäische Sozialcharta1 (nicht ratifiziert von A, B, D, DK, E, FIN, GR, L, P, NL und UK) garantiert neue Rechte (das Recht auf Schutz vor sexueller Belästigung, die Rechte der Arbeitnehmer mit Familienpflichten auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung). Durch die Charta wird der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gestärkt und derjenige der Gleichheit zwischen Frauen und Männern in allen durch den Vertrag abgedeckten Bereichen verbessert, ein stärkerer Mutterschutz und eine bessere soziale Absicherung von Müttern garantiert und der soziale, rechtliche und wirtschaftliche Schutz von Kindern am Arbeitsplatz und außerhalb verbessert. – Der Gerichthof der Europäischen Gemeinschaften Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zu der Frage der Gleichheit zwischen Frauen und Männern hat der Gerichtshof in der Rechtssache C-158/97 (28. März 2000) erkannt, dass Artikel 2 Absatz 1 und 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 nicht nationalen Regelungen entgegensteht, nach denen in Bereichen der öffentlichen Verwaltung, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, weiblichen Bewerbern bei gleicher Qualifikation der weiblichen und männlichen Bewerber Vorrang eingeräumt wird, wenn dies notwendig ist, um die Zielvorgaben des Frauenförderplans zu erfüllen. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-50/96 zwischen Deutsche Telekom AG und Lilli Schroeder in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Artikel 177 (jetziger 234) EG-Vertrag erkannt, dass der Ausschluss teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer von einem Betriebsrentensystem, wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen, eine nach Artikel 119 des Vertrags verbotene Diskriminierung darstellt, wenn diese Maßnahme einen wesentlich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Arbeitnehmer trifft und nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. In einem ähnlichen Fall, der auch Deutschland betraf, erging am 10. Februar 2000 ein Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-270/97 und C-271/97 im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 134 EG-Vertrag) in einem Prozess vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen zwischen der Deutsche Post AG und Elisabeth Sievers und Brunhilde Schrage. Auch hier ging es um die Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag und dem Protokoll zu Artikel 119 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, das dem EG-Vertrag beigefügt ist. Im Tenor dieses Urteils findet sich der Grundsatz, dass die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen gegenüber den sozialen Zielen des Artikels 119 EG-Vertrag, der Ausdruck eines Grundrechts ist, nur nachgeordnete Bedeutung hat. Alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf rückwirkenden Anschluss an ein Betriebsrentensystem und auf eine Rente aus diesem System, sodass auch das nationale Gericht die Auslegung des nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und am Zweck der einschlägigen Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere des Artikels 119 des Vertrags ausrichten muss, um eine wirksame Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen zu gewährleisten. 1 Nr. 163 RR\443621DE.doc 77/135 PE 302.216 DE – Europäische Union Artikel 13 EGV hat den Weg für Rechtsvorschriften gegen die Diskriminierung geebnet. Mehrere Richtlinien wurden seit 1975 erlassen, um dieses Grundprinzip insbesondere hinsichtlich gleichen Entgelts (Artikel 141 Absatz 1), Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung und im Bereich der sozialen Sicherheit, Gleichbehandlung bei betrieblichen Versorgungssystemen, schwangeren Arbeitnehmerinnen und hinsichtlich der Erleichterung der Vereinbarkeit der Familie und Beruf präzisiert und entwickelt. Außerdem hat der Rat eine Richtlinie über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erlassen1. Im Jahr 2000 wurde eine Beschäftigungsrichtlinie erlassen, um einen allgemeinen Rahmen zugunsten der Gleichbehandlung im Bereich Beschäftigung/Arbeit zu schaffen, durch die insbesondere Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung verboten wurden. Ein mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft (1996-2000) hatte den Zweck, die Chancengleichheit bei der Gestaltung aller Politikbereiche fest zu verankern (auf gemeinschaftlicher, nationaler und regionaler Ebene: „Mainstreaming“). Das Europäische Parlament setzt sich engagiert für die Lösung dieser Problematik ein, insbesondere seit der Schaffung des parlamentarischen Ausschusses für die Rechte der Frau im Jahr 1984. In diesem Zusammenhang hat es im Jahr 2000 verschiedene Entschließungen angenommen: Zum „Fünften Aktionsprogramm für die Chancengleichheit von Frauen und Männern“2, zur „Ausgewogenen Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess: Umsetzung der Empfehlung“3 und zur „Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz: Schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen“4. – Rechtslage in den Mitgliedstaaten Gesetze gegen die Diskriminierung In einigen Strafgesetzbüchern der Mitgliedstaaten wird die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung unter Strafe gestellt (E, F, L und DK). Die in den Mitgliedstaaten geltenden Arbeitsgesetze ergänzen die Maßnahmen gegen Diskriminierung im Bereich der Beschäftigung. So wird teilweise jede Diskriminierung in Unternehmen des Privatsektors verboten (D), teilweise sind bestimmte Diskriminierungen, wie beispielsweise sexuelle Belästigung, verboten (F, FIN, E und NL), und manche verbieten allgemein „die Diskriminierungen“ (I). In einigen Mitgliedstaaten ist der Gleichheitsgrundsatz ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Ordnung. In Irland enthält das Gesetz über die Gleichbehandlung aus dem Jahr 2000 („Equal Status Act“) ein Verbot der Diskriminierung im Zusammenhang mit der Beschäftigung nach neuen Kriterien (u.a. Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Familiensituation und Familienstand). Kontrollbehörden oder Zentren für die Gleichberechtigung der Geschlechter wurden eingerichtet (B, DK, IRL und NL), wenn sie auch noch nicht in allen Mitgliedstaaten zu finden sind (insbesondere in Frankreich). 1 Nr. 97/80 Bericht Eriksson Marianne, A5-0294/2000 3 Bericht Karamanou Anna, A5-0373/2000 4 Bericht Damĩao Elisa Maria, A5-0155/2000 2 PE 302.216 DE 78/135 RR\443621DE.doc B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Die folgenden Informationen stammen aus Arbeiten des Europarats und verschiedenen NRO: Gemeinsame Berichte 1999-2000 ILGA, Mobility International, United for Intercultural Action „Endgültiger Projekt-Bericht“; Bericht der Europäischen Frauenlobby“: Beijing +5, Regional Alternative Report for the European Union“; Bericht über das Thema „Hervorhebung der Einkommenssteuerunterschiede zwischen Männern und Frauen“ des Ministeriums für Industrie und Handel, Schweden. Auf dem Arbeitsmarkt der EU beträgt der durchschnittliche Lohn von Frauen 74% des Lohnes männlicher Arbeitnehmer. Heute gilt nach dem Gesetz, dass die Arbeit von Frauen und Männern gleichwertig ist, wenn sie als gleich oder ähnlich einzustufen ist (gleicher Lohn für gleiche Arbeit). Allerdings gibt es weiterhin Unterschiede bei der Einschätzung der Arbeit von Personen beiderlei Geschlechts, und in keinem Land der EU betragen die Löhne von Frauen mehr als 80% derjenigen von Männern. In einigen Ländern haben Frauen ihre Beziehung zur Beschäftigung grundlegend umgestaltet und unterbrechen ihre Arbeit nicht mehr, wenn sie Kinder bekommen (F), was im Gegensatz zu anderen Ländern steht (D, NL und UK). Die Mutterschaft und die Erziehung der kleinen Kinder sind Hindernisse bei der beruflichen Karriere einer Frau im Vergleich zu ihrem Ehemann. Unter diesem Gesichtspunkt kämpfen Gewerkschaften1 und NRO gegen eine Einstellung und eine Kultur, die Diskriminierungen am Arbeitsplatz Vorschub leistet, und stellen Verhaltenskodizes auf. Die Zahl der nichttraditionellen Familien und der Alleinerziehenden steigt in den Mitgliedstaaten an. Schätzungsweise 85% der Alleinerziehenden sind Frauen. Es ist bedauerlich, dass verheiratete Paare bestimmte, vom Arbeitgeber angebotene Dienstleistungen kostenlos in Anspruch nehmen oder bestimmte Vergünstigungen nutzen können, wogegen nichtverheiratete, heterosexuelle oder homosexuelle Paare nicht in den Genuss dieser Vorteile kommen. Das Problem der Armut und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Frauen ist umso gravierender, als sie dieser Gefahr mehr ausgesetzt sind als Männer. Ein beträchtlicher Teil der weiblichen Bevölkerung verfügt nicht über eine eigene Absicherung und ist von der Familie und/oder dem Ehemann abhängig. Die Frauen der schwächsten Bevölkerungsschichten oder von Randgruppen (Einwanderer, ethnische Minderheiten, Lesbierinnen, Behinderte) leiden unter vielerlei Diskriminierungen. Empfehlungen Die Europäische Frauenlobby regt an, die Schaffung eines Sonderfonds für die Bewertung der Arbeit von Frauen und die Verabschiedung von Rechtsvorschriften in diesem Bereich ins Auge zu fassen. Um die Kinderbetreuung durch beide Elternteile zu erleichtern, sei es 1 als Vertreter der Arbeitnehmer RR\443621DE.doc 79/135 PE 302.216 DE notwendig, dass die entsprechenden Bestimmungen Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub beinhalten, wobei vorgeschrieben werden müsse, dass ein Teil dieses Urlaubs zwingend von jedem Elternteil zu nehmen ist (wie beispielsweise in SV). Die gleichen Stimmen fordern eine Verbesserung der beruflichen Eingliederung von Alleinerziehenden durch Gesetze in den Mitgliedstaaten. Die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen, die so geringere Renten und Leistungen der Sozialversicherung erhalten. Die Einrichtung von Kindertagesstätten sei notwendig, um Frauen und Männern die Wahl zu ermöglichen, wie sie ihre Zeit einteilen und Beruf und Familie vereinbaren möchten. Die Staaten müssten ein System des individualisierten sozialen Schutzes schaffen. Dies wäre ein Anreiz für Frauen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, was zu einem ausgewogeneren Familienleben beitragen würde. Außerdem müssten die Rechtsvorschriften (insbesondere im Bereich der sozialen Sicherheit) an die neuen Arbeitsformen (Flexibilität/Teilzeit usw.) angepasst werden. Nationale Pläne für die Förderung der Beteiligung von Frauen an der Entscheidungsfindung (auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene) seien notwendig. Deshalb sei es von ausschlaggebender Bedeutung, die Maßnahmen in den Bereichen Soziales, Beschäftigung und Schutzpolitiken abzustimmen. Die europäische Beschäftigungsstrategie, die zur Förderung der Beschäftigung von Frauen konzipiert worden sei, müsste verbessert werden (Festsetzung verbindlicher Fristen für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter). Außerdem müsste der Platz der Frauen in der Politik durch die Einbeziehung eines Systems der demokratischen Parität in den Vertrag von Amsterdam gesichert werden. Die unterschiedlichen kulturellen Konzepte einer Familienstruktur müssten anerkannt werden. Die Staaten hätte eine durchdachtere Politik gegenüber Personen zu verfolgen, die einer Minderheit angehören (z.B. allein stehende und kinderlose Paare, die steuerlich schlechter gestellt werden und Beiträge zu Familienausgleichskassen zu leisten hätten, ohne daraus Leistungen zu erhalten). Außerdem seien die Informationen über die Gleichberechtigung der Geschlechter in den Massenmedien unzureichend. 3. Homosexuelle Artikel 21: „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten“. PE 302.216 DE 80/135 RR\443621DE.doc A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 16. Dezember 19661 schreibt vor, die „Rechte zu achten und sie allen … Personen ohne Unterschied wie insbesondere … des Geschlechts zu gewährleisten“ (Artikel 2). – Europarat Nach der EMRK vom 4. November 19502 ist jede Benachteiligung, die insbesondere im Geschlecht begründet ist, verboten (Artikel 14). Nach dem 12. Protokoll3 zur EMRK (unterzeichnet am 4. November 2000 von DK, E, F und SV, aber noch von keinem Mitgliedstaat ratifiziert) ist allgemein jede Form der Diskriminierung verboten. Das neue Protokoll bestimmt, dass niemand von einer öffentlichen Stelle aus irgendeinem Grund diskriminiert werden darf (im Gegensatz zu Artikel 14 der EMRK, dessen Geltungsbereich auf die Rechte beschränkt ist, die durch sie verbürgt werden). – Das Recht in den Mitgliedstaaten Sondergesetze zur sexuellen Ausrichtung In bestimmten Strafgesetzbüchern der Mitgliedstaaten wird die Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung unter Strafe gestellt (E, F, L und DK). Nur einige Mitgliedstaaten der EU (DK, B, FIN, F, NL, SV und bald Deutschland) haben Gesetze über die Anerkennung von nichtverheirateten homosexuellen Paaren erlassen. Diese Gesetze sind allerdings nicht einheitlich und unterscheiden sich hinsichtlich der Regelungen für verheiratete Paare etwa in Fragen der Adoption. So gibt es in Frankreich nunmehr eine neue Art von Vertrag: den „Pacte Civil de Solidarité“ (zivilrechtlicher Solidaritätspakt/PACS)4. In den Niederlanden wurde homosexuellen Paaren durch das Gesetz von 2000 die traditionelle Eheschließung ermöglicht (In-Kraft-Treten am 1. April 2001). Wenn die Homosexualität in anderen Ländern (A, GR, P und UK) auch nicht mehr unter Strafe steht (D und I), gibt es doch keinerlei Gesetz über die sexuelle Ausrichtung, was als Diskriminierung betrachtet werden kann. Bemerkenswert ist, dass das irische Gesetz mit der Bezeichnung „Employment Equality Act“5 jede Diskriminierung bei der Beschäftigung verbietet, die sich auf die sexuelle Ausrichtung gründet, die Bereiche der Streitkräfte und der Polizei aber ausnimmt. 1 Resolution A (XXI). Nr. 005 3 Nr. 177 4 Gesetz vom 15.11.1999. 5 von 1998 2 RR\443621DE.doc 81/135 PE 302.216 DE B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Die folgenden Informationen stammen aus Arbeiten des Europarats und verschiedenen NRO: Die Empfehlung 1474 (2000) der PV des Europarats zur „Lage der Lesben und Schwulen in den Mitgliedstaaten des Europarats“; Jahresbericht der ILGA (International Lesbian and Gay Association) 1999-2000. Männliche Homosexuelle und Lesbierinnen werden entweder bereits bei der Einstellung benachteiligt oder sind regelmäßig gezwungen, ihren Arbeitsplatz wegen Angriffen oder Einmischungen seitens Kollegen oder Kunden aufzugeben. Gesetzliche Beschränkungen der Einstellung von Homosexuellen sind selten, wenn auch in der Praxis gelegentlich ein gänzlicher Ausschluss vorkommt. So gibt es beim Zugang zu den Streitkräften Beschränkungen, die allerdings nicht zu rechtfertigen sind (IRL)1, und in anderen Staaten (F) ist man der Ansicht, dass es sich um eine Frage des Privatlebens handle. Insbesondere Österreich sollte seine noch bestehenden Rechtsvorschriften über das Einwilligungsalter hinsichtlich sexueller Beziehungen nach den einschlägigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte2 sowie nach den zahlreichen Forderungen überarbeiten, die das Europäische Parlament diesbezüglich gestellt hat. Empfehlungen: Nach der Empfehlung 1474 (2000) der PV des Europarats zur „Lage der Lesben und Schwulen in den Mitgliedstaaten des Europarats“ und dem Jahresbericht der ILGA (International Lesbian and Gay Association) 1999-2000 sollte in das Protokoll Nr. 12 zur EMRK die sexuelle Ausrichtung als Grund für eine Diskriminierung aufgenommen werden, da es sich hierbei wohl um eine der hasserfülltesten Formen der Diskriminierung handelt. In der Empfehlung 1474 (2000) zur „Lage der Lesben und Schwulen“ wird die Notwendigkeit hervorgehoben, den Auftrag der ECRI auszuweiten und die Homophobie aus Gründen der sexuellen Ausrichtung einzubeziehen. 4. Der Schutz der Kinder Artikel 24: „Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen“. 1 2 Gesetz aus dem Jahr 2000, „Equal Status Act“. Siehe Urteil vom 19.11.1998, Sutherland gegen Vereinigtes Königreich. PE 302.216 DE 82/135 RR\443621DE.doc A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Die Erklärung der Rechte des Kindes vom 20. November 1959 bestimmt, dass jedes Kind ohne jede Diskriminierung Anspruch auf besonderen Schutz, auf soziale Sicherheit, auf ein Aufwachsen unter Betreuung durch seine Eltern und auf Ausbildung hat (Grundsätze 1, 2, 4, 6 und 7). Die Konvention der Rechte des Kindes vom 20. November 19891 (von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert) garantiert den Vorrang des Wohls des Kindes (Artikel 3), wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die das Kind verwirklichen können muss (Artikel 4), das Recht der Eltern, das Kind zu leiten und zu führen (Artikel 5), das Recht des Kindes, seine Identität zu behalten (Artikel 8) und das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Freiheit sich Informationen zu beschaffen und die Religionsfreiheit des Kindes (Artikel 12, 13 und 14). Die Erklärung über die sozialen und rechtlichen Grundsätze für den Schutz und das Wohl von Kindern unter besonderer Berücksichtigung der Aufnahme in eine Pflegefamilie und der Adoption auf nationaler und internationaler Ebene vom 3. Dezember 1986 garantiert das Wohl der Familie und der Kinder (Teil A) und sieht vor, dass die Aufnahme in eine Pflegefamilie (Teil B) sowie die Adoption (Teil C) zum Wohle des Kindes zu erfolgen hat. – Europarat In der EMRK2 ist in Artikel 8 das Recht auf Privat- und Familienleben geschützt. Nach dem siebten Protokoll zur EMRK3 vom 22. November 1984 (nicht ratifiziert von A, B, IRL, NL, P, E und UK) haben „die Ehegatten … untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe“ (Artikel 5). Das Europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24. April 19674 (nicht ratifiziert von B, E, F, FIN, L und NL) bietet Gewähr für ein Minimum von wesentlichen Bestimmungen in der Adoptionspraxis (Teil 2) (dieses Übereinkommen gilt auch für Kinder aus anderen Ländern). Nach dem Europäischen Übereinkommen über die Rückführung Minderjähriger vom 28. Mai 19705 (nur von Italien ratifiziert) ist ein Ersuchen um Rückführung Minderjähriger (im vorrangigen Interesse des Kindes) möglich (Artikel 1 und 2). Das Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung von unehelichen Kindern vom 5. Oktober 19756 (nicht ratifiziert von D, GR, E, F, FIN, I und NL) verbessert die Rechtsstellung unehelicher Kinder, indem die Unterschiede in der Rechtsstellung der unehelichen und der ehelichen Kinder verringert wird. 1 Resolution 45/25 Nr. 005 3 Nr. 117 4 Nr. 058 5 Nr. 071 6 SEV Nr. 85 2 RR\443621DE.doc 83/135 PE 302.216 DE Das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder1 vom 20.5.1980 (ratifiziert von allen Mitgliedstaaten der EU). Das Europäische Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten vom 25. Januar 19962 (nicht ratifiziert von A, B, D, DK, E, F, FIN, I, IRL, L, NL, P, SV und UK) enthält eine Reihe von Verfahrensmaßnahmen, durch die den Kindern die Gelegenheit gegeben werden sollte, ihre Rechte auszuüben, und es ist die Einsetzung eines Ständigen Ausschusses vorgesehen, der Probleme im Zusammenhang mit dem Übereinkommen überprüft. – Europäische Union Das Europäische Parlament hat im Jahr 2000 folgende Entschließung angenommen: „Justizielle Zusammenarbeit: Umgangsrecht, gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen“3. – Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg Artikel 8 EMRK – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens Der Begriff Familie im Sinne dieser Vorschrift ist nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt. Unter ihn fällt auch die „de-facto-Familie“, in der die Parteien ohne Trauschein zusammenleben. Ein in einer solchen Beziehung geborenes Kind ist automatisch Teil dieser „Familie“ vom Zeitpunkt seiner Geburt an4. Das Recht der Eltern und des Kindes, gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen, ist ein Grundelement des Familienlebens, selbst wenn die Beziehung zwischen den Eltern zerbrochen ist5. „Familienleben“ im Sinne des Artikels 8 umfasst zumindest die Bindungen zwischen nahen Verwandten, beispielsweise zwischen Großeltern und Enkeln, da derartige Verwandte eine wichtige Rolle im Familienleben spielen können6. „Achtung“ des Familienlebens bedeutet u.a. die Pflicht des Staates, in einer Weise zu handeln, dass eine normale Entwicklung dieser Bindungen möglich ist.7 – Rechtslage Das Besuchsrecht In einigen Ländern wird das Besuchsrecht von den Eltern ausgeübt, in anderen kann das Kind die Gerichte anrufen (unter bestimmten Umständen in den Niederlanden und UK), oder das Besuchsrecht orientiert sich im Wesentlichen am Wohl des Kindes (Finnland und Schweden). Die Mehrzahl der Staaten der EU haben aber das Besuchsrecht unter beiden Gesichtpunkten ausgestaltet, d.h. es ist ein Recht der Eltern, so weit es dem Wohl des Kindes entspricht (z.B. Italien). 1 SEV Nr. 105 SEV Nr. 160 3 Bericht Banotti, A5-0311/2000. 4 Siehe Elsholz gegen Deutschland, Urteil vom 13. Juli 2000, Nr. 25735/94, § 43 5 Siehe Elsholz gegen Deutschland, Urteil vom 13. Juli 2000, aao 6 Siehe Scozzari und Giunta gegen Italien, Urteil vom 13. Juli 2000, Nr. 39221/98 und 41966/98, § 221 7 aao 2 PE 302.216 DE 84/135 RR\443621DE.doc B. ÜBERBRLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE 1. Die Rechte des Kindes und die Pflichten der Eltern Die Kinder in der EU leben nicht mehr so oft in einer traditionellen Familienstruktur, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Sie kommen aus unterschiedlichen Umfeldern (Kinder von Alleinerziehenden, Familien nach Scheidungen, uneheliche Kinder usw.) und sind deshalb anfälliger, oft mittellos, was auch dazu führt, dass sie sich physisch, psychisch, moralisch und intellektuell nicht normal entwickeln können. Einige Eltern leisten sogar keinen Beitrag mehr zur Betreuung ihrer Kinder mit dem Argument, dass sie nicht mehr unter dem gleichen Dach lebten. Einige Staaten der EU haben trotz dieser Probleme den Grundsatz eines „besonderen Schutzes der Kinder“ noch nicht übernommen. In diesem Sinne müsste die Rechtsstellung des Kindes überprüft werden, wobei beispielsweise den unehelichen Kindern eine eigene Rechtsstellung als Familienangehörige eingeräumt werden sollte (einschließlich der elterlichen Sorgepflicht). Nach dem von der Direktion Juristische Angelegenheiten, Sachverständigenausschuss Familienrecht (CJ-FA) des Europarats erarbeiteten Dokument „Das Besuchsrecht der Kinder in Europa“ dürfen Rechtsvorschriften über das „Besuchsrecht“ ausschließlich das Wohl des Kindes im Verhältnis zum Recht der Eltern berücksichtigen, da sowohl die psychologischen als auch die rechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kind darunter leiden würden. In allen Staaten der EU besitzen die Eltern, unabhängig von der familiären Bindung, ein Besuchsrecht (selbst wenn ihnen das Sorgerecht aberkannt wurde). Allerdings gewähren einige Mitgliedstaaten dieses Besuchsrecht nicht den engen Verwandten (DK, FIN und SV), wogegen andere Länder dieses Recht Dritten zugestehen wollen, die dem Kind nahe stehen (L, NL, E und UK). Zur Lösung dieser Probleme wurde ein spezieller Ombudsmann1 (wie beispielsweise in F) beauftragt, die Kinder über ihre Rechte aufzuklären, sie zu beraten und in ihrem Namen zu klagen und vor Gericht aufzutreten. Andere gravierende Probleme treten auf, wenn man eine internationale Adoption beabsichtigt. Der Europarat meint in seiner Empfehlung 1443 (2000), dass die Staaten der EU die internationale Adoption geradezu in einen Markt verwandelt hätten, der gekennzeichnet sei durch den einseitigen Zustrom von Kindern, die aus armen oder Schwellenländern in die entwickelten Länder kommen. In der EU kommen Straftaten vor und haben sich durch Profitgier gekennzeichnete Praktiken durchgesetzt (psychologischer oder wirtschaftlicher Druck auf schwache Familien, Kinderzeugung zum Zwecke der Adoption, falsche Vaterschaftserklärungen und Kinderadoption über das Internet). Unter diesen Bedingungen kann kaum davon die Rede sein, dass die internationale Adoption im vorrangigen Interesse des Kindes abläuft. Die Empfängerländer haben oft eine falsche Vorstellung von der Lage der Kinder in den Herkunftsländern und von den angeblichen Wohltaten, die dem ausländischen Kind zuteil werden, wenn es in einem reichen Land adoptiert und aufgezogen wird. 1 Entsprechend der Empfehlung 1121 (1990) des Europarats RR\443621DE.doc 85/135 PE 302.216 DE 2. Empfehlungen Den Kindern von geschiedenen Eltern sollte die Anwendung der Empfehlung 896 (1979) über die staatlichen Überweisungen von Vorschüssen auf den Kindern geschuldeten Unterhalt zugute kommen, indem sie eine gewisse Stabilität bei der Mutter finden. Nach der Empfehlung 1443 (2000) des Europarats könnten die Probleme im Zusammenhang mit der internationalen Adoption entschärft werden, wenn Informationskampagnen bei den auf diesem Gebiet Tätigen und bei Bewerbern um eine internationale Adoption durchgeführt würden. Außerdem ist gemäß der Empfehlung 1460 (200) und gemäß den Arbeiten des Europäischen Parlaments die Einrichtung eines Ombudsmanns auf europäischer Ebene unverzichtbar, um die Kenntnis und die Anwendung der verschiedenen Übereinkommen über die Rechte des Kindes zu erweitern, um die verschiedenen Akteure der Politik für Kinder zu beraten und zu unterstützen, um spezifische Strategien zu konzipieren und insbesondere eine Erziehung zu Frieden und Gewaltfreiheit zu fördern. Hierfür müssen diejenigen Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, auf nationaler Ebene einen Ombudsmann für Kinder benennen. Nach der Empfehlung 1221 (1990) des Europarats müsste jeder Staat eine Gruppe von unabhängigen Sachverständigen einsetzen, um zu erforschen, wie Kinder ihre Grundrechte ausüben können, die ihnen durch internationale Rechtsinstrumente eingeräumt wurden. In diesem Sinne müssten Kinder besser über ihre Rechte unterrichtet werden. 5. Schutz der älteren Menschen Artikel 25: „Die Union anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Grundsätze für die älteren Menschen vom 16. Dezember 1991 (Unabhängigkeit, Mitsprache in der Gesellschaft, Selbstverwirklichung und Würde)1. Die Regierungen werden aufgefordert, diese Grundsätze in ihre nationalen Programme einfließen zu lassen. – Europarat Artikel 23 der revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 1996 (die ausschließlich von Finnland, Italien und Schweden ratifiziert wurde) besagt, dass alle älteren Menschen das Recht auf sozialen Schutz haben2. 1 2 Grundsätze der Vereinten Nationen für die älteren Menschen, Resolution 46/91. Revidierte Europäische Sozialcharta, SEV Nr. 163, Teil I, Punkt 23. PE 302.216 DE 86/135 RR\443621DE.doc In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989 heißt es: „Entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten der einzelnen Länder muss jeder Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, wenn er in den Ruhestand geht, über Mittel verfügen können, die ihm einen angemessenen Lebensstandard sichern“1 und „muss jeder, der das Rentenalter erreicht hat, aber keinen Rentenanspruch besitzt oder über keine sonstigen ausreichenden Unterhaltsmittel verfügt, ausreichende Zuwendungen, Sozialhilfeleistungen und Sachleistungen bei Krankheit erhalten können, die seinen spezifischem Bedürfnissen angemessen sind“2. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Statistiken 1997 waren über 70 Millionen (21%) der Bevölkerung der EU 60 Jahre und älter. Die bereits gestiegene Lebenserwartung wird noch weiter steigen, und der Rückgang der Fruchtbarkeit wird die Vergreisung der Bevölkerung beschleunigen. Die Zahl der über 60-jährigen wird den Voraussagen nach weiter zunehmen und im Jahr 2020 37% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Es sei darauf verwiesen, dass die ältere Bevölkerung mehrheitlich weiblichen Geschlechts ist; zwei von drei Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, sind Frauen. Der Alterungsprozess ist im Vereinigten Königreich, in Dänemark, in Belgien und in Deutschland ausgeprägter, während Irland mit einem Anteil von 15% der Bevölkerung im Alter von 60 Jahren und darüber das jüngste Land bleibt. Das Problem der Überalterung der Bevölkerung stellt sich in allen Mitgliedstaaten der EU (wirtschaftliche und soziale Probleme: Übernahme der Kosten bei Abhängigkeit, Finanzierung der Renten, Inanspruchnahme von Pflegediensten). In der EU ist der Anteil der Menschen im Alter von 80 Jahren und darüber von 1,6% im Jahr 1960 auf 3,8% im Jahr 1997 gestiegen und wird im Jahr 2020 5,6% ausmachen. Dies ist insbesondere in Schweden, in Italien, im Vereinigten Königreich, in Dänemark, in Frankreich und in Deutschland verstärkt festzustellen3. Die Betreuung der älteren Menschen durch die Familienangehörigen wird in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt. In der Tat ist der Anteil der älteren Menschen, die in ihren Familien leben, in Spanien (54%), in Portugal (42%), in Griechenland (35%) und in Italien (34%) höher, während der Anteil in Dänemark (2%), in den Niederlanden (5%) und im Vereinigten Königreich (12%) geringer ist. In den nordeuropäischen Ländern (D, A, NL, SV, FIN, UK und IRL) wurden Zuwendungen für die Personen, die sich um die älteren Menschen kümmern bzw. Zulagen für ältere Menschen bei Verlust ihrer Unabhängigkeit eingeführt. In Finnland lösen die Gemeinden die Personen, die sich um einen älteren Menschen kümmern, an jedem zweiten Wochenende ab. Seit Ende der 80er Jahre ist die Zahl der Heimeinweisungen gesunken, in Nord- und Südeuropa gibt es jedoch unterschiedliche Zahlen. In Dänemark, Schweden, in den 1 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Absatz 24. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Absatz 25, vom 9. Dezember 1999. 3 Laut einer Studie des Ministeriums für Beschäftigung und Solidarität vom Juli 2000. 2 RR\443621DE.doc 87/135 PE 302.216 DE Niederlanden und in Finnland lebt ein großer Anteil älterer Menschen in Heimen (über 8% in Dänemark, Schweden und in den Niederlanden). In den südeuropäischen Ländern ist dieser Anteil geringer, 0,5% in Griechenland. In Frankreich leben über ein Viertel der über 85jährigen in Heimen. Zudem wird die Betreuung zu Hause von den Regierungen gefördert, indem sie neue Nachbarschaftsdienste fördern1. Aktionsprogramme Das Europäische Parlament hat insbesondere 1999 mehrere Entschließungen zur Verbesserung der Lage der älteren Menschen angenommen. Das Europäische Parlament unterstreicht die Notwendigkeit, ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern, und empfiehlt den Mitgliedstaaten die Einführung eines Mindesteinkommens, damit die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen über angemessene und vernünftige finanzielle Mittel verfügen (sozialer Schutz und ärztliche Versorgung)2. Auch wenn ausschließlich in Artikel 13 EGV Bezug auf das Alter und Behinderungen genommen wird, so ist das Parlament doch der Auffassung, dass der Vertrag eine Rechtsgrundlage für künftige Maßnahmen zugunsten dieser Bevölkerungsgruppen enthält. Die Kommission ihrerseits hat sich verpflichtet, auf Gemeinschaftsebene Aktionsprogramme zum Schutz der Menschen einzuleiten, die von Arbeitslosigkeit, Diskriminierung oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind3. Die Europäische Union hat anlässlich des „Internationalen Jahres der Senioren“4 erfolgreich Aktionen durchgeführt. Zudem gibt der Europarat diverse Leitgrundsätze bekannt, die im Hinblick auf die Annahme von Maßnahmen für ältere Menschen in Erwägung zu ziehen sind: die Rolle der älteren Menschen und die Solidarität zwischen den Generationen, Prävention und Lebensqualität, Rechte und Pflichten, Teilhabe, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Rolle der Information und der Bildung5. Europäische Kommission, „Ein Europa für alle Altersgruppen – Wohlstand und Solidarität zwischen den Generationen“, (KOM(1999) 221 endg., C5-0185/1999-1999/2159(COS)), 21. Mai 1999. 2 Entschließung zu den Maßnahmen zugunsten älterer Menschen vom 24. Februar 1994. Entschließung zu „Ältere Menschen im 21. Jahrhundert – neue Lebensperspektiven“ vom 16. April 1999. Das Parlament hat zu diesem Thema am 1. und 2. Oktober 1998 eine Konferenz abgehalten. 3 Europäische Kommission „Ein Europa für alle Altersgruppen – Wohlstand und Solidarität zwischen den Generationen“, (KOM(1999) 221 endg. C5-0185/1999-1999/2159(COS)), 21. Mai 1999. Artikel 13, 129 und 137 des EG-Vertrags, geändert durch den Vertrag von Amsterdam. 4 Maßnahmen im Rahmen des „Jahres der Senioren der Vereinten Nationen“ im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt, die Rolle der Senioren in der Gesellschaft und die Förderung der Solidarität zwischen den Generationen, Initiativen zu Unterstützung und zur Förderung der Tätigkeit der NRO und der Netze, die sich für ältere Menschen einsetzen, Maßnahmen zur Förderung der Bürgerschaft, der Teilhabe und der Chancengleichheit der älteren Menschen. 5 Europarat, Empfehlung Nr. R (94) 9 betreffend ältere Menschen, 10. Oktober 1994. 1 PE 302.216 DE 88/135 RR\443621DE.doc 6. Schutz der Behinderten Artikel 26: „Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Vereinte Nationen Mit dem auf der Internationalen Menschenrechtskonferenz angenommenen Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien vom 25. Juni 1993 werden die Rechte der behinderten Personen geschützt, indem verkündet wird, dass „alle Menschen von Geburt an gleich sind und dass gleiche Recht auf Leben und Wohlergehen, auf Bildung und Arbeit, auf ein unabhängiges Leben und eine aktive Beteiligung an allen Aspekten des Lebens und der Gesellschaft … haben“1. In dem Übereinkommen Nr. 159 der IAO vom 20. Juni 1983 heißt es, dass jeder Staat nach der Ratifizierung gemäß den nationalen Gegebenheiten und im Rahmen seiner Möglichkeiten eine Politik zur beruflichen Umschulung und Beschäftigung von Behinderten einführen muss. Dieses Übereinkommen von 1983 über die berufliche Umschulung und Beschäftigung von Behinderten wurde von Österreich, Belgien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich noch nicht ratifiziert; es wird durch die Empfehlung Nr. 168 ergänzt. – Europarat Laut Artikel 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, die von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert wurde, ist jede Diskriminierung „…. ohne Unterschied …der Geburt oder des sonstigen Status“ verboten. Mit dem jüngsten Protokoll Nr. 12 zur EMRK wird das Verbot jeglicher Diskriminierung über die in der Konvention anerkannten Rechte hinaus ausgedehnt. Die Behinderung wird jedoch wie auch die sexuelle Ausrichtung in der indikativen Liste in Artikel 1 nicht ausdrücklich aufgeführt. Die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996, die nur von Finnland, Italien und Schweden ratifiziert wurde, schützt die Behinderten, indem sie ihnen das Recht auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft garantiert 2. Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989 stellt ebenfalls sicher, dass „alle Behinderten …unabhängig von der Ursache und Art ihrer Behinderung konkrete ergänzende Maßnahmen, die ihre berufliche und soziale Eingliederung 1 Wiener Erklärung und Aktionsprogramm, Punkt 6, Absatz 63, A/CONF.157/24. Revidierte Sozialcharta, STE Nr. 163. (Artikel 15 über das Recht der körperlich oder geistig behinderten Menschen auf Berufsausbildung und berufliche und soziale Eingliederung). 2 RR\443621DE.doc 89/135 PE 302.216 DE fördern, in Anspruch nehmen können“ müssen1. Im Übrigen gewährleistet Artikel 42 des revidierten Europäischen Kodexes für soziale Sicherheit vom 6. November 1990 u.a. die berufliche Umschulung von Behinderten. Dieser Kodex wurde bis heute von Spanien, Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich nicht unterzeichnet. – Europäische Union Im Vertrag von Amsterdam heißt es, dass „…. die Organe der Gemeinschaft bei der Ausarbeitung von Maßnahmen nach Artikel 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Rechnung tragen“ müssen2. Im Übrigen besagt Artikel 13 des EG-Vertrags, dass der Rat geeignete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierung insbesondere aus Gründen einer Behinderung oder des Alters zu bekämpfen3. Zudem werden in Artikel 136 und 137 die Ziele der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angegeben, gegen die Ausgrenzung und für die Eingliederung der vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen zu kämpfen. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Nach den Statistiken von Eurostat liegt der Prozentsatz der behinderten Menschen in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten der EU zwischen 10 und 12% der Bevölkerung, d.h. 37 Millionen. In der Tat ist jeder Zehnte in der Europäischen Union von einer Behinderung betroffen, sei es eine körperliche, eine sensorische, eine geistige oder eine psychische Behinderung. Es sei ebenfalls auf das Problem des Autismus verwiesen, zu dem das Europäische Parlament eine Erklärung ausgearbeitet hat4. Der Europarat hat mehrere Empfehlungen betreffend behinderte Menschen vorgelegt. Die EU setzt sich für die Möglichkeiten der normalen Beschäftigung dieser Menschen im Rahmen diverser Programme ein. Die Eingliederung ist der Schlüssel zur Teilhabe der behinderten Menschen an der Gesellschaft. Die Leitlinien zielen im Wesentlichen auf die uneingeschränkte Teilhabe der Behinderten am sozialen Leben und auf ihre Einbeziehung in allen einschlägigen politischen Maßnahmen ab5. Im Jahr 2000 hat der Rat eine Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf6 angenommen. 1 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Punkt 26. Erklärung Nr. 22 zu Personen mit einer Behinderung, als Anlage dem Vertrag von Amsterdam beigefügt. 3 Siehe Richtlinie 2000/78/EG vom 27. Oktober 2000. 4 Europäisches Parlament, Erklärung über die Rechte der Personen, die von Autismus betroffen sind, 9. Mai 1996. 5 Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, „Kompendium der von den einzelnen Mitgliedstaaten verfolgten Chancengleichheitspolitik zugunsten behinderter Menschen“, Oktober 1998. 6 Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000. In Artikel 5 sind „angemessene Vorkehrungen“ für Menschen mit Behinderungen vorgesehen. 2 PE 302.216 DE 90/135 RR\443621DE.doc Die Europäische Kommission ihrerseits hat 1998 einen Verhaltenskodex für die Beschäftigung von Behinderten angenommen; dieser Kodex stützt sich auf die Entschließungen des Europäischen Parlaments und des Rates zur Chancengleichheit von behinderten Menschen im Rahmen der Politiken und internen Praktiken der europäischen Institutionen1. Die Kommission hat ebenfalls die Einführung des „Europäischen Jahres der behinderten Bürger“ im Jahr 2003 vorgeschlagen; auch das mehrjährige Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Diskriminierung (2001-2006) soll zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung und zur uneingeschränkten Teilhabe der behinderten Menschen an der Gesellschaft beitragen. Ferner muss die EU den Entwurf der Konvention der UNO über die Menschenrechte der behinderten Menschen unterstützen. In diesem Zusammenhang haben die Vereinten Nationen bereits Standardregeln in Bezug auf die Chancengleichheit für diese Menschen ausgearbeitet 2. Es sei darauf verwiesen, dass jeder Mitgliedstaat einen anderen Ansatz zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung sowie bei der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Eingliederung der behinderten Menschen in die Gesellschaft verfolgt. In diesem Zusammenhang haben verschiedene Länder Aktionsprogramme eingeführt bzw. werden solche Aktionsprogramme einführen und neue Rechtsvorschriften anwenden, wie etwa Finnland, Portugal, Österreich, die Niederlande, Irland, Spanien und Griechenland. Es gibt bereits spezifische Rechtsvorschriften in Großbritannien, Schweden, Finnland, Portugal, Österreich, Luxemburg, Irland, Dänemark und Belgien. In den Niederlanden, Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Deutschland bestehen Beziehungen zwischen den Regierungen und den Behindertenorganisationen, die die Regierungen beraten und Einfluss nehmen. Dennoch müssen innerhalb der EU noch Fortschritte im Hinblick auf den Schutz und die Verteidigung der Rechte der Behinderten erzielt werden3. Obwohl insbesondere die Zeichensprache im Hinblick auf die Haushaltslinien der Europäischen Union berücksichtigt wurde und Anstrengungen unternommen wurden, um sie in den Dokumenten des „Europäischen Programms des Jahres der Sprachen“ einzufügen, hat kein Land in der Europäischen Union bisher die Zeichensprache in ihre Nationalsprache oder in die Sprache der jeweiligen Minderheiten dieses Landes integriert4. 1 Verhaltenskodex, SEK (1998) 1559/2. Europäisches Parlament, Entschließung zur Chancengleichheit von behinderten Menschen vom 11. April 1997, Entschließung zur Zeichensprache vom 18. November 1998 und Entschließung zur Bewertung des dritten Aktionsprogramms der Gemeinschaft zugunsten behinderter Menschen HELISO II vom 15. Dezember 1998. 2 Standardregeln der Vereinten Nationen, 20. Dezember 1993. 3 The European Blind Union Commission for Liaising with the EU, Note „The respect for human rights mentioned in the Charter of Fundamental Rights of the European Union“, 2001. 4 European Union of the Deaf, Jahresbericht 1999-2000. Diese Organisation vertritt die Gehörlosen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. RR\443621DE.doc 91/135 PE 302.216 DE KAPITEL IV: SOLIDARITÄT: Artikel 27 bis 38 1. Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen Artikel 31: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“ Artikel 32: „Kinderarbeit ist verboten. Unbeschadet günstigerer Vorschriften für Jugendliche und abgesehen von begrenzten Ausnahmen darf das Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben, das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschreiten. Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – UNO Die Internationale Konvention der UNO über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen1 vom 18. Dezember 1990, die von den Mitgliedstaaten der EU nicht ratifiziert wurde, gewährleistet den Schutz der Wanderarbeitnehmer. Die Internationale Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20. November 19892, die von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, bekräftigt, dass das Kind „vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt“ werden muss, „bei der zu erwarten ist, dass sie gefahrenträchtig ist, die Erziehung des Kindes behindert oder seiner Gesundheit oder seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen oder sozialen Entwicklung abträglich ist“ (Artikel 32). Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 19663, der von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, anerkennt das Recht auf Arbeit (Artikel 6), das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Lohn, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, gleiche Möglichkeiten für jedermann, in seiner beruflichen Tätigkeit entsprechend aufzusteigen, sowie des Rechts auf Freizeit (Artikel 7). 1 Resolution 45/158. Resolution 44/25. 3 Resolution 2200 A (XXI). 2 PE 302.216 DE 92/135 RR\443621DE.doc – IAO Gemäß dem Übereinkommen der IAO über die Abschaffung der Zwangsarbeit vom 25. Juli 1957, das von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde, sind Zwangsmaßnahmen, Strafmaßnahmen oder Maßnahmen der Arbeitsdisziplin (Artikel 1) verboten. Das Übereinkommen der IAO vom 21. Juni 1988 über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit, das weder von Österreich, Belgien, Deutschland, Dänemark, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal noch dem Vereinigten Königreich ratifiziert wurde, fördert die Beschäftigung und den Schutz vor Arbeitslosigkeit1. Das Übereinkommen der IAO über das Mindestalter von Kindern für die Zulassung zur Arbeit vom 26. Juni 19732, das von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert wurde, verkündet die faktische Abschaffung der Kinderarbeit und erhöht allmählich das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (Artikel 1). – Europarat Die Sicherstellung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen ist in der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 (Artikel 2 bis 6) sowie in der revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 1996 (in denselben Artikeln) verankert. Alle Mitgliedstaaten der EU haben die Europäische Sozialcharta ratifiziert, einige Staaten (A, B, D, GR, ESP, FIN, L, NL, P, UK) haben jedoch die revidierte Sozialcharta nicht ratifiziert3. Mit dieser revidierten Sozialcharta wird der Vorläufer von 1961 an die wichtigen, seit diesem Zeitpunkt eingetretenen sozialen Veränderungen angepasst. Die Mitgliedstaaten der EU, die die Sozialcharta ratifiziert haben, sollten auch die gesamten Bestimmungen dieser Charta akzeptieren. Zur Zeit ist es bedauerlich, dass einige Staaten dieses Übereinkommen ratifiziert haben, ohne jedoch einige wesentliche Bestimmungen, z.B. über die Höchstdauer der Tagesarbeitszeit (A, DK, UK), die Mindestdauer der Kündigungsfrist (A, DK, L) oder den Schutz Minderjähriger am Arbeitsplatz, wie etwa Mindestalter, Urlaubsdauer, Berufsausbildung, … (A, DK, D, L, UK), nicht übernommen haben. Das Übereinkommen über den europäischen Kodex für soziale Sicherheit von 19644, das von Österreich und Finnland nicht ratifiziert wurde, legt Normen und Mindestschutzvorschriften fest (Arbeitslosengeld, Altersvorsorge …), um die Entwicklung der sozialen Sicherheit in jedem Land voranzutreiben. Zudem gewährleistet das Europäische Übereinkommen über soziale Sicherheit5 von 1972 die grundlegenden Prinzipien der sozialen Sicherheit (gleicher Lohn, Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften, Beibehaltung der erworbenen Rechte, ausländische Dienstleistungen), wurde von einigen Mitgliedstaaten jedoch nicht ratifiziert (DK, FIN, F, GR, IRL, SV, UK). 1 Nr. 168. Übereinkommen IAO C138. 3 Während Zypern, Bulgarien, Rumänien, Slowenien und Estland diese Charta ratifiziert haben …. 4 Nr. 048. 5 Nr. 078. 2 RR\443621DE.doc 93/135 PE 302.216 DE Das Europäische Protokoll über die soziale Sicherheit1 von 1968 enthält Bestimmungen, mit denen die Vertragsparteien ermuntert werden sollen, ein höheres soziales Niveau zu erreichen, als in den Bestimmungen des Kodexes festgelegt ist (ärztliche Versorgung, Leistungen im Krankheitsfall …), wurde jedoch von einigen Mitgliedstaaten immer noch nicht ratifiziert (A, DK, FIN, F, GR, IRL, I, ESP und UK). – Europäische Union Im Vertrag von Amsterdam wird sowohl auf die Europäische Sozialcharta als auch auf die Gemeinschaftscharta der Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989, eine rein deklaratorische Charta, verwiesen, dieser offizielle Hinweis ist jedoch in Anbetracht der derzeitigen Lage vollkommen unzureichend. Denn trotz der bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, die sehr wichtig sind, auch wenn sie nur Teilbereiche betreffen (Gleichstellung von Männern und Frauen, Hygienebedingungen, Information der Arbeitnehmer) halten einige Mitgliedstaaten der EU die von allen anerkannten Rechte nicht vollständig ein. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Aus dem vom Ausschuss für soziale Rechte des Europarates durchgeführten Prüfung der Schlussfolgerungen der Zyklen XV.1 und XV.2 betreffend die Bestimmungen über die Achtung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen geht Folgendes hervor: – Zu lange Wochen- oder Tagesarbeitszeiten In einigen Mitgliedstaaten (IRL, NL, ESP) kann die Wochenarbeitszeit in einigen Sektoren oder allgemein (z.B. Statut der Arbeitnehmer in Spanien) 60 Stunden oder mehr betragen. – Kinderarbeit a) Mindestalter Die Arbeit von Kindern unter 15 Jahren ist weiterhin ein Problem, das in der EU nicht ausreichend anerkannt wird. Berichten des Europarates zufolge werden in Italien 350.000 Kinder, davon 50.000 Kindern von Einwanderern, illegal in der Landwirtschaft und im Haushalt beschäftigt, obwohl sie jünger als 15 Jahre sind. Im Vereinigten Königreich stellt die Arbeit von Kindern zwischen 11 und 15 Jahren noch eine Praxis dar, die zwischen 1,1 und 1,7 Millionen Kindern betrifft. Trotz eines Gesetzes von 1999, mit dem die Strafen für Arbeit von Kindern unter 15 Jahren verstärkt werden, sind keine genauen Statistiken über den Grad der Einhaltung dieses Gesetzes im Vereinigten Königreich bekannt. Außer in diesen Ländern, in denen der Anteil der Kinderarbeit von Kindern unter 15 Jahren sehr hoch ist, besteht diese Praxis ebenfalls in Frankreich in Familienunternehmen und bei der Hausarbeit, sowie bei Kindermodels (1987 gab es einen Erlass betreffend die Landwirtschaft zur Sanktionierung einer vergleichbaren Situation). 1 Nr. 048 A. PE 302.216 DE 94/135 RR\443621DE.doc b) Schlechte Arbeitsbedingungen von Minderjährigen In zahlreichen Mitgliedstaaten herrschen noch Arbeitsbedingungen für Minderjährige, die gegen die Bestimmungen der Sozialcharta verstoßen. In diesem Zusammenhang sei auf die Arbeit von Schulkindern ab 6.00 Uhr morgens (FIN, NL), die Nachtarbeit im Dienstleistungsgewerbe (P, A) und die nicht den Vorschriften entsprechende Urlaubsdauer der in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Minderjährigen (SV, NL) verwiesen. – Ungerechte Vergütung a) Vergütung erwachsener Arbeitnehmer Im Sinne der Sozialcharta ist ein Lohn gerecht, wenn dieser Lohn (der Mindestlohn, wenn es diesen gibt) nicht unter dem durchschnittlichen nationalen Lohn liegt. Die vom Ausschuss für soziale Rechte angenommene Schwelle beträgt 60% des Nettowertes. Liegt sie zwischen 60 und 50%, können die Staaten nachweisen, dass dieser Lohn einen angemessenen Lebensstandard gewährleistet. In jedem Fall müssen die Löhne über der Armutsgrenze des betreffenden Landes liegen. In drei Mitgliedstaaten (IRL, ESP, UK) erhalten die Arbeitnehmer jedoch zwischen 45 und 53% des durchschnittlichen Nettoverdienstes. Grundsätzlich ist die Forderung nach einem angemessenen Mindestlohn statthaft. Heute ist jedoch festzustellen, dass es zu viele „degradierte“ Arbeitsplätze (die Hälfte des Mindestgehalts oder Teilzeitbeschäftigungen) gibt. Solche Löhne halten die betreffenden Personen davon ab, zu arbeiten und die mögliche Zahlung einer ausgleichenden Einkommenszulage würde nur dazu führen, dass die niedrigen Gehälter weiter gezahlt werden. Mehrere Länder der EU halten ebenso wenig die Normen der Sozialcharta betreffend die zusätzlichen Leistungen für ungesunde und gefährliche Arbeiten (I, L, NL), für Überstunden (UK, ESP, B und L für Beamte) und die Arbeit an Feiertagen (P) ein. b) Vergütung von Minderjährigen Was die Vergütung von Minderjährigen anbelangt, sind immer noch zu viele Fälle festzustellen, in denen der gezahlte Lohn nicht gerecht ist. In mehreren Ländern erhalten die unter 18-Jährigen einen Lohn, der unter 30% des Mindestlohns liegt. Diese Minderung erscheint übertrieben, insbesondere in Spanien, wo der gesetzliche Mindestlohn bereits sehr niedrig ist. Das Gleiche trifft auf das Vereinigte Königreich zu, wo der Durchschnittslohn zahlreicher jugendlicher Arbeitnehmer sogar weniger als die Hälfte des Durchschnittslohns der Erwachsenen beträgt (2 £ pro Stunde im Vergleich zu 3,60 für Erwachsene)1; das Gleiche trifft in Griechenland zu (Minderung um 50%), aber auch in den Niederlanden (30%) in Frankreich und in Österreich für Auszubildende. Die Kinderarbeit und die Arbeit von Minderjährigen in der EU ist daher ein schwerwiegendes Problem, da ihre Arbeitsbedingungen, ob es sich nun um das Alter oder um die Vergütung 1 Schlussfolgerungen des Ausschusses Zyklus XV2 betreffend das Vereinigte Königreich (S. 4), Zahlen für das Jahr 2000. RR\443621DE.doc 95/135 PE 302.216 DE handelt, in manchen Ländern und manchmal für einen hohen Anteil der Minderjährigen, im Widerspruch zu den Normen der Sozialcharta steht. Dies ist umso schwerwiegender, als eine solche Situation zu einer unzureichenden Schulausbildung dieser Kinder und damit in ihrem weiteren Leben zu einer mehr oder weniger unumkehrbaren Marginalisierung sowie zu gering qualifizierten Beschäftigungen führt. – Arbeitsbedingungen Aus dem Bericht 2000 der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin geht hervor, dass die allgemeinen Arbeitsbedingungen in der EU sich zwar in mancher Hinsicht verbessert haben (Verbesserung der Berufsausbildung und relativ hoher Grad der Zufriedenheit am Arbeitsplatz; Senkung der Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern: 16% der Arbeitnehmer arbeiten weniger als 30 Stunden pro Woche), sie sich in anderer Hinsicht oder für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern jedoch verschlechtert haben. Grundsätzlich beschweren sich die Arbeitnehmer über die gestiegene Arbeitsbelastung im Zusammenhang mit den Anforderungen und den daraus resultierenden Stress mit den entsprechenden Konsequenzen (Krankheit und Arbeitsunfälle). Den Statistiken der Dubliner Stiftung zufolge arbeitet ein bedeutender Anteil der Arbeitnehmer (20%) mehr als 45 Wochenstunden. Sektorbezogen arbeiten etwa 40% der Arbeitnehmer im Dienstleistungsgewerbe und im Handel am Wochenende. Schließlich gehören Zeitarbeitnehmer und Arbeitnehmer mit einem befristeten Vertrag offenbar zu den Gruppen, die mit schwierigeren Arbeitsbedingungen konfrontiert sind (Beförderung von schweren Lasten, repetitive Arbeitsvorgänge, Stress). Was die Hygiene und die Sicherheit am Arbeitsplatz anbelangt, so sind diese nicht in allen Sektoren, z.B. in der Landwirtschaft, dem Handel und der Industrie, zufriedenstellend (I, NL, P, wo eine erhöhte Zahl von Arbeitsunfällen festgestellt wird). – Unzureichende Kündigungsfrist Nach den Bestimmungen der Sozialcharta hat der Arbeitnehmer (auch bei atypischen Arbeitsverhältnissen) Anspruch auf eine vernünftige Kündigungsfrist bei Entlassung, damit er sich auf dem Arbeitsmarkt umsehen kann, bevor sein Beschäftigungsverhältnis endet. Angesichts der Vielfalt der Situationen hat der Ausschuss für soziale Rechte keine absoluten Regeln festgelegt, zählt jedoch die Fälle auf, in denen die Kündigungsfrist eindeutig unzureichend ist. In diesem Zusammenhang, und ohne dass es möglich wäre, die Situation ausführlich zu beschreiben, denn die Dauer der Kündigungsfrist entspricht gerechterweise dem Dienstaltersgrad des Arbeitnehmers, sind die Kündigungsfristen in Griechenland, Spanien, dem Vereinigten Königreich offenbar zu kurz; auch in Frankreich und in Italien ist die Kündigungsfrist in der Mehrzahl der Fälle für die Arbeitnehmer, die länger als zwei Jahre beschäftigt waren, zu kurz; das Gleiche gilt in den Niederlanden für minderjährige Arbeitnehmer. PE 302.216 DE 96/135 RR\443621DE.doc – Gewerkschaftsrecht Das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten bzw. nicht beizutreten, darf keinerlei Auswirkungen auf die Einstellung eines Arbeitnehmers haben. In einigen Mitgliedstaaten (SV, IRL) gibt es in einigen Sektoren jedoch immer noch die Praxis des „closed shop“. Nach Aussage des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) gibt es noch zahlreiche Unternehmen (KMU, Zulieferunternehmen und Unternehmen der new economy), in denen es de facto keine Gewerkschaften gibt. Es besteht auch eine gewisse Einmischung in das Gewerkschaftsleben von Seiten der Arbeitgeber (von der Unternehmensleitung „ferngesteuerte“ Personalvertreter oder Vorteile für Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehören). Die Mitgliedstaaten müssen wachsamer sein und diese Verhaltensweisen, sei es von Seiten der Gewerkschaft oder des Arbeitgebers, bestrafen. – Recht auf Streik Artikel 6 Absatz 4 der revidierten Sozialcharta garantiert das Recht auf Streik. Dies trifft auch, im Gegensatz zu dem, was oft behauptet wird, auf die Europäische Charta zu. Ohne im Rahmen dieses Berichts auf nähere Einzelheiten einzugehen, sei darauf verwiesen, dass in Dänemark und in Deutschland das Recht der Beamten auf Streik nicht anerkannt wird. Es müssten ebenfalls Überlegungen über die Bedingungen zur Durchführung des Rechts auf Streik angestrengt werden. – Belästigung am Arbeitsplatz Gemäß Artikel 26 der revidierten Sozialcharta verstößt jede Art der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz oder Mobbing gegen die Würde am Arbeitsplatz. Aus Berichten des EGB wie auch Schlussfolgerungen des Berichts 2000 der Europäischen Stiftung von Dublin geht jedoch hervor, dass Mobbing weiterhin ein weit verbreitetes und schwerwiegendes Phänomen ist, gegen das insbesondere in den Mitgliedstaaten im Norden der Europäischen Union, in denen solche Vorfälle öfter festgestellt werden, Maßnahmen zur Information, Warnung und Sanktionen getroffen werden müssen. – Verbot der Zwangsarbeit In der Handelsmarine und der Zivilluftfahrt gelten weiterhin Strafmaßnahmen gegenüber Mitgliedern des Personals, die ihren Posten verlassen oder es ablehnen, den Anordnungen Folge zu leisten, auch wenn die Sicherheit des Schiffs, des Flugzeugs und der Passagiere nicht in Gefahr ist (F, I, B, P, UK, GR). Ebenso können Anträge von Offizieren der Armee auf Entlassung nach Gutdünken des Verteidigungsministeriums abgelehnt werden (IRL, GR)1. Schließlich kann die Untätigkeit in Dänemark strafrechtlich geahndet werden. Solche archaischen Bestimmungen, auch wenn sie selten angewandt werden, müssen außer Kraft gesetzt werden, denn sie verstoßen gegen das Prinzip des Verbots der Zwangsarbeit. Schließlich ist es angezeigt, wachsam zu sein, wie „ATD Quart Monde“ (Bewegung Vierte Welt) signalisiert, z.B. angesichts bestimmter Rechtsvorschriften (B, NL), die die 1 In den Niederlanden wurde vor kurzem mit einem Gesetz die Bestimmung außer Kraft gesetzt, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet war, die Genehmigung des Arbeitgebers einzuholen, um seinen Vertrag zu beenden. RR\443621DE.doc 97/135 PE 302.216 DE Arbeitslosen dazu verpflichten, jegliche Arbeit anzunehmen, da andernfalls die Sozialleistungen gestrichen werden; dies ist jedoch für Alleinerziehende oder bei in großer Entfernung vom Wohnort angebotenen Arbeitsplätzen eine Zumutung. In anderen Fällen kann in manchen Ländern nach Aussage dieser NRO die alleinige Tatsache, dass jemand unentgeltlich für eine Vereinigung tätig ist, dazu führen, dass die Zuwendungen eingestellt werden. 2. Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung (Artikel 34 und 35) Artikel 35: „Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Europarat Empfehlung zu einem Recht auf Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse von Personen in außerordentlicher Not (R (2000) 3 vom 19. Januar 2000). – Rechtssprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften In diesem Zusammenhang erklärte der Gerichtshof (3. Oktober 2000, Rechtssache C–411/98 Angelo Ferlini und Centre Hospitalier de Luxembourg), dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anderes behandelt werden darf als die inländischen Arbeitnehmer. – Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Bezüglich des Rechts auf Gesundheitsfürsorge erklärte der Gerichtshof (5. Oktober 2000, Rechtssache C-376/98, Bundesrepublik Deutschland – EP und Rat der EU) die Richtlinie 98/43/EG vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen für nichtig, mit der Begründung, dass die Erfordernisses des Schutzes der menschlichen Gesundheit Bestandteil nicht nur der Wettbewerbspolitik und der Politik im Rahmen des Binnenmarkts, sondern auch der übrigen Politiken der Gemeinschaft sei und dass Artikel 100a Absatz 3 ausdrücklich vorschreibt, dass bei Harmonisierungen von einem hohen Gesundheitsschutzniveau ausgegangen wird. PE 302.216 DE 98/135 RR\443621DE.doc B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE a. Gesundheitsschutz Sicherlich hat sich der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung der EU in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert; insbesondere die Lebenserwartung ist gestiegen. In den Schlussfolgerungen des Ausschusses für soziale Rechte sowie in den Schlussfolgerungen des Berichts 2000 der Stiftung von Dublin werden bestimmte Fragen aufgeworfen, die in Erwägung gezogen werden sollten. – Ärztliche Versorgung und deren finanzielle Abdeckung Was die Gesundheitsfürsorge selbst anbelangt, so stellt der Ausschuss für die sozialen Rechte eine unzureichende Impfung gegen bestimmte Krankheiten in einigen Mitgliedstaaten (Italien und Belgien, die die niedrigste Impfungsquote in Europa haben) fest. In anderen Ländern müsste die Bekämpfung von AIDS und der Kindersterblichkeit verstärkt werden (E); ebenso die Bekämpfung des Tabakkonsums (GR) und des Alkoholmissbrauchs (DK). In Frankreich sei die Dosis bei der Röntgendiagnostik zu hoch; ferner werden Vorbehalte hinsichtlich der Schutznormen für Einwohner, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, vorgelegt. Die finanzielle Beteiligung der Patienten an den Kosten der Gesundheitsversorgung ist nach allgemeiner Feststellung des Ausschusses für die sozialen Rechte seit 1980 ständig gestiegen. Trotz der Zwänge, die mit der Verwaltung der Systeme der sozialen Sicherheit verbunden sind, ist es daher angezeigt, darauf zu achten, dass die Erstattungsquote insbesondere für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen nicht heruntergesetzt wird; es geht um die Gesundheit der Bevölkerung. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Einführung einer universalen Krankenversicherung wie in Frankreich zweifellos eine Maßnahme, die in der gesamten Europäischen Union Anwendung finden sollte. Unter dem Deckmantel der Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Dienstleistungen zu erbringen (Artikel 15 der Charta), beschäftigen die Unternehmen außerhalb ihrer Grenzen FreelanceArbeitnehmer, die weder in dem Land, in dem sich der Geschäftssitz des Unternehmens befindet, noch in dem Land, in dem sie ihre Beschäftigung ausüben, als Arbeitnehmer anerkannt sind; diese Arbeitnehmer sind daher sozial überhaupt nicht abgesichert, da sie nicht über die Mittel verfügen, sich als Selbstständige zu versichern1. b. Mutterschaftsschutz (Artikel 34 Absatz 1) Die Achtung der Bestimmungen der Sozialcharta (Artikel 8) über den Mutterschaftsschutz ist noch nicht in der ganzen EU sichergestellt. – Recht auf Mutterschaftsurlaub In bestimmten Bereichen, insbesondere im Bereich der Hausarbeit (NL, A) sind Arbeitnehmerinnen, deren Lohn einen bestimmten Betrag unterschreitet oder deren Arbeitszeit eine bestimmte Anzahl von Tagen unterschreitet, vom Mutterschaftsurlaub Vom „European citizens action service“ (ECAS) im Zusammenhang mit zahlreichen britischen Unternehmen angeführt. 1 RR\443621DE.doc 99/135 PE 302.216 DE ausgenommen. In anderen Mitgliedstaaten (E, UK, DK, SU) erhalten die Arbeitnehmerinnen nicht den Mindesturlaub von 12 Wochen oder können darauf verzichten (zugunsten des Vaters); diese Praktiken verstoßen gegen die Sozialcharta. Im Übrigen wird der bei Mutterschutz ausgezahlte Betrag (der allgemein als bezahlter Urlaub gilt) in mehreren Ländern herabgesetzt (UK 90% des vorherigen Lohns für einen Zeitraum von 6 Wochen; in Frankreich und Griechenland: in einigen Bereichen muss die schwangere Arbeitnehmerin eine Mindestbeitragszeit nachweisen; in Österreich für die Arbeitnehmerinnen, die nur einen geringen Lohn erhalten, oder in Dänemark für Frauen, die eine Teilzeitbeschäftigung ausüben). Schließlich wird die Lohnfortzahlung während der Stillzeit in einigen Ländern nicht eingehalten (I, F, B, Schweden). – Kündigungsverbot während des Mutterschaftsurlaubs und Recht auf berufliche Wiedereingliederung In einigen Ländern der EU werden noch Fälle von Kündigung während des Mutterschaftsurlaubs festgestellt (Italien, wo die Kündigung „aus berechtigten Gründen“ im Kollektivvertrag der Hausangestellten verankert ist; in Spanien, wo das Statut der Arbeitnehmer die Kündigung von Schwangeren im Falle einer kollektiven Entlassung nicht verbietet; in Belgien, wo der Arbeitgeber in einem vergleichbaren Fall eine Sonderzulage überweisen muss, die 6 Monatsgehältern entspricht; in Frankreich, wo die Wiedereingliederung für die Arbeitnehmerinnen, die einen befristeten Arbeitsvertrag haben, nicht die Regel ist). 3. Bekämpfung der Ausgrenzung und das „Recht auf Wohnung“ Artikel 34 Absatz 3: „Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.“ a. Bekämpfung der Ausgrenzung Die Achtung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte (Recht auf Beschäftigung, auf Gesundheitsschutz, auf Wohnung) sollte allen Bürgern eine zufriedenstellende soziale Eingliederung sicherstellen, die einem bestimmtem Mindestlebensstandard entspricht. Trotz der zahlreichen jahrzehntelangen Maßnahmen bleiben die Armut und die soziale Ausgrenzung jedoch bestehen und sind seit den 80er Jahren sogar gestiegen, sodass die Europäische Kommission vor Kurzem eine Mitteilung mit dem Titel „Ein Europa schaffen, das alle einbezieht“ vorgelegt hat. So leben zwischen 20 und 40% der Bevölkerung je nach Mitgliedstaat der EU an der Armutsgrenze. Die Armut kann anhand von drei Indikatoren gemessen werden: – nach einem finanziellen Indikator; danach sind die Haushalte oder die Personen arm, deren finanzielle Mittel unter einem gegebenen Niveau liegen (nicht mehr wie im 19. Jahrhundert ein Minimum, um nicht zu sterben, sondern im Verhältnis zum durchschnittlichen Lebensstandard); PE 302.216 DE 100/135 RR\443621DE.doc – nach einem Indikator der Bedingungen (Ausstattung der Wohnung, Verschuldung, Konsum, Einrichtungen usw.) und nach einer globalen Schwierigkeitsskala; danach waren in Frankreich 16% der Haushalte mit 9 Schwierigkeiten benachteiligt; – schließlich nach einem Indikator der durch die Verwaltung erfassten Armut; danach werden die Haushalte registriert, die aufgrund von Sozialhilfe die nationale Solidarität in Anspruch nehmen. Was die Not anbelangt, so gibt es offensichtlich keinen Indikator, da die Not als Instabilität, ungesicherte Verhältnisse definiert wird, während die Armut die unzureichenden finanziellen Mittel beinhaltet. Die Armut betrifft insbesondere allein erziehende Familien, deren Familienoberhaupt eine Frau ist, Familien mit mehr als drei Kindern und alleinlebende oder ältere Personen. Das Armutsrisiko ist für Kinder größer als für Erwachsene, für Frauen größer als für Männer. In der EU liegt die Armutsquote zwischen 5/6% in Dänemark und Irland und 17/18% in Portugal. Der Gemeinschaftsdurchschnitt liegt bei 11,8%. Mehr noch als objektive Zahlen ist jedoch der psychologische Zustand der sehr armen Menschen besorgniserregend. Das Minimum, das diese Personen erhalten, gestattet es ihnen gerade eben, zu überleben, sie werden jedoch nach und nach ausgegrenzt. Die Gewährung dieser Beihilfen ist zudem oft von administrativen Schikanen begleitet, und daraus resultiert ein Gefühl der Erniedrigung, was wiederum die grundsätzlich negative Haltung, die die europäische Gesellschaft diesen Ausgegrenzten gegenüber einnimmt, verstärkt. Die Erniedrigung kann bis zur Vorenthaltung des Rechts auf Achtung der Privatsphäre gehen (nach Aussage von ATD Quart Monde sieht ein Gesetz von 1998 in den Niederlanden über die Begleichung der Schulden sehr armer und hoch verschuldeter Menschen vor, dass der Richter einen Vormund benennt, der nicht nur über das gesamte Einkommen verfügen darf, sondern auch das Recht hat, den Schriftverkehr des Betroffenen einzusehen). Gemäß den Rechtsvorschriften einiger Staaten werden die Zahlungen eingestellt, wenn die Arbeitslosen nicht jede Arbeit annehmen, sodass man in bestimmten Fällen von Zwangsarbeit reden kann. Langzeitarbeitslose erhalten oft gar keine Angebote mehr; sie werden de facto unwiderruflich von den betreffenden Verwaltungen entsprechend eingestuft; diese Personen sind sozusagen zur Untätigkeit verurteilt. In armen Familien können die Eltern die zusätzlichen Kosten einiger außerschulischen Aktivitäten nicht tragen (Schwimmbad; Schullandheime). Schließlich sind die Ausgegrenzten oft gering qualifiziert oder Analphabeten und haben die größten Schwierigkeiten, ihre Forderungen zum Ausdruck zu bringen. Die gewährleistete Befriedigung der grundlegenden materiellen Bedürfnisse der Menschen in außerordentlicher Not, wie der Europarat empfiehlt oder die EU dies anstrebt, stellt sicherlich ein Minimum dar, das nicht vernachlässigt werden darf. In Übereinstimmung mit den oben erwähnten Beispielen1 scheint es jedoch, als ob dieses Minimum, das die Armen in ihrer Ausgrenzung gefangen hält, nicht dem Recht auf Würde im Sinne von Artikel 1 der Europäischen Charta entspricht. 1 Diese Beispiele werden im Bericht 1999 von ATD Quart Monde angeführt. RR\443621DE.doc 101/135 PE 302.216 DE Auf europäischer Ebene hat der Rat vom 17.12.1999 als Ziel die Förderung der sozialen Integration festgelegt; insbesondere der Europäische Rat von Lissabon am 23. und 24. März 2000 hat die Notwendigkeit anerkannt, Maßnahmen zu ergreifen, die Beseitigung der Armut in der Union entscheidend voranzutreiben, indem er Ziele und einen Zeitplan festgelegt hat. Infolgedessen hat die Kommission ein Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung vorgelegt. Dieses Programm 2001-2006 wurde mit 70 Mio. € ausgestattet; die Maßnahmen des Programms werden in verschiedene Aktionsbereiche unterteilt: Analyse der Ursachen der sozialen Ausgrenzung, Austausch von Informationen und bewährten Verfahren, Förderung des Dialogs zwischen den verschiedenen Interessengruppen und Förderung der Netzwerkarbeit. Das EP, das seine Stellungnahme zu diesem Programm1 abgegeben hat, und der zuständige Ausschuss des Parlaments müssen auf die ordnungsgemäße Durchführung dieses Programms achten, insbesondere was die Qualität der nationalen Berichte über die Bekämpfung der Armut angeht. Die Senkung der Zahl der unterhalb der Armutsschwelle lebenden Menschen von derzeit 18% auf 15% im Jahre 2000 und auf 10% im Jahre 2010 ist ein ehrgeiziges Ziel. Von der Verwirklichung dieses Ziels hängt die Glaubwürdigkeit der Union ab. Es ist ebenfalls wichtig, das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts zu erwähnen, das zu den wichtigsten Zielen der EU gehört (Artikel 2). Mit anderen Worten, die benachteiligen Regionen der EU (Gebiete in äußerster Randlage, Inselregionen, Bergregionen oder Gebiete im industriellen Niedergang) müssen im Rahmen der durch die Strukturfonds (Sozialfonds, Regionalfonds, Kohäsionsfonds; etwa 35% des Gemeinschaftshaushalts) durchgeführte Umverteilung von der europäischen Solidarität profitieren können. Der unterschiedliche Grad der Entwicklung zwischen den ärmsten und den reichsten Regionen beträgt in der EU heute noch 1 zu 4 gegenüber 1 zu 2 in den Vereinigten Staaten. Dies ist von wesentlicher Bedeutung, damit alle europäischen Bürger unabhängig von Hoheitsgebiet, auf dem sie sich befinden (insbesondere in den am stärksten benachteiligten Regionen des Ziels 1, wo das BIP pro Einwohner von 63% im Jahr 1988 auf 70% des Gemeinschaftsdurchschnitts im Jahr 1998 gestiegen ist), aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht eine relative Chancengleichheit haben. b. Das „Recht auf Wohnung“ Obwohl dieses Recht für die Würde des Menschen von wesentlicher Bedeutung ist, wurde es noch nicht ausdrücklich in Artikel 34 anerkannt, in dem die Unterstützung für die Wohnung erwähnt wird. Aus fast allen Berichten der betreffenden NRO geht hervor, dass das Nichtvorhandensein einer Wohnung ein wesentlicher Faktor der Ausgrenzung ist. Dies zeigt die Bedeutung der Wohnungsbeihilfe für benachteiligte Personen, angesichts der Tatsache, dass einem Bericht des CECODHAS (Europäischer Verbindungsausschuss für den sozialen Wohnungsbau) zufolge zwischen 30 und 35 Millionen Menschen in der EU in minderwertigen Unterkünften sehr schlecht untergebracht sind und etwa 3 bis 5 Millionen als obdachlos angesehen werden können. 1 Bericht Ildo FIGUERIDO, A5-0307/2000 PE 302.216 DE 102/135 RR\443621DE.doc Es gibt eine ziemlich breit gefächerte Palette von Maßnahmen, um das Wohnungsangebot zu erhöhen: – finanzielle Maßnahmen, wie z.B. die Schaffung von Solidaritätsfonds für den Wohnungsbau; – steuerliche Maßnahmen, wie die Besteuerung leerstehender Wohnungen bzw. ihre Beschlagnahme; – Einführung eines sozialen Mietangebots, das den Bedürfnissen entspricht (mit steuerlichen Vorteilen für die Privateigentümer, die ihre Wohnungen zu niedrigen Preisen vermieten). Es ist ebenfalls angezeigt, Zwangsräumungen zu vermeiden und zu diesem Zweck die Systeme der Mietvermittlung zu fördern. Heute leben jedoch in den großen städtischen Gebieten kinderreiche Familien, bei denen es sich oft um Einwanderer handelt, unter unwürdigen Lebensbedingungen (Überfüllung) in leer stehenden Räumlichkeiten oder in Elendsquartieren, mit denen manche schwarze Schafe der Immobilienbranche handeln. Zusätzlich zur Notwendigkeit, eine Wohnung für die am stärksten benachteiligten Menschen sicherzustellen, müsste eine Politik der städtischen Umstrukturierung der heruntergekommenen Stadtviertel unternommen werden (mit Grundstücken, die eigens für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen sind). Außerdem, wie der Rat im Übrigen in seiner Entschließung vom 14. Februar 20011 betont hat, verbessert eine hochwertige Architektur die Lebensbedingungen und die Beziehung der Bürger zu ihrer städtischen Umwelt und kann daher wirksam zum sozialen Zusammenhalt und zur Verringerung der Spannungen in den Städten beitragen. Das EP hatte 19962 bereits auf „die verhängnisvollen Folgen eines rein quantitativen, zweckgerichteten und monotonen Städtebaus“ hingewiesen: „Die Anonymität zahlreicher Viertel und ein Leben unter Bedingungen, die den sozialen Zusammenhalt zerstören und zu Ausgrenzung und Kriminalität führen“. Das Gleiche gilt für die Verbesserung der öffentlichen Dienste in den benachteiligten Vierteln. Die Gewährleistung des Zugangs zur Wohnung ist offensichtlich eine der Prioritäten einer Politik zur Senkung der Armut. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass ein Gericht vor kurzem den Notstand anerkannt hat, in dem sich bestimmte Personen befinden, die gerichtlich verfolgt werden, weil sie ein Gebäude „besetzt“ haben3. Der Ministerrat des Europarates fordert in seiner Empfehlung vom 19.1.2000 die Mitgliedstaaten auf, in ihren Rechtsvorschriften und in der Praxis jeder Person, die in außerordentlicher Not lebt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, das Recht auf Befriedigung der grundlegenden materiellen Bedürfnisse zuzugestehen (Nahrung, Kleidung, Unterkunft und grundlegende ärztliche Versorgung). 1 Entschließung vom 14.2.2001 über die Qualität der Architektur in den Städten. Diese Besorgnis, die im Weißbuch über Europa und die Architektur von morgen zum Ausdruck gebracht wird, das 1995 vom Rat der Europäischen Architekten vorgelegt wurde, wird von den Konferenzen Habitat (UNO/UNESCO) von 1976 und 1996 geteilt und kommt in einer Erklärung der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen vom 18. September 2000 zum Ausdruck. 2 Kohäsionspolitik und Kultur, Bericht von Herrn Azzolini 1996. 3 Freispruch für einen Familienvater, der in einem einzigen Zimmer schlecht untergebracht war, und der eine Sozialwohnung mit vier Zimmern besetzt hatte (Strafgericht von Paris, 28.11.2000). RR\443621DE.doc 103/135 PE 302.216 DE 3. Verbraucherschutz Artikel 38: „Die Politiken der Union stellen ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher“. A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Europäische Union Laut Vertrag über die Europäische Union (Artikel 152) „wird (bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und –maßnahmen) ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt“. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (der Europäischen Kommission) befasst sich mit Fragen betreffend den Tierschutz (wissenschaftlicher Ausschuss für Tiergesundheit und Tierschutz, Ausarbeitung von Schutznormen bei der Tierzucht, beim Transport und bei der Schlachtung; Verwaltung des Ständigen Veterinärausschusses, Überwachung und Kontrolle der Mitgliedstaaten durch die Lebensmittel- und Veterinärbehörde). Ferner hat die Kommission mit ihrem Beschluss 2000/323 EG1 einen Verbraucherausschuss eingesetzt, den die Verbraucher in Fragen des Schutzes der Verbraucherinteressen auf Gemeinschaftsebene konsultieren können. Im Jahr 2000 hat die Europäische Kommission ein Weißbuch über die Lebensmittelsicherheit und eine Mitteilung über das Vorsorgeprinzip veröffentlicht, um die Rechtsvorschriften der EU im Bereich der Lebensmittel zu ergänzen und zu modernisieren. Das Europäische Parlament hat einen nichtständigen Ausschuss eingesetzt, der mit der Weiterbehandlung der Empfehlungen zu BSE beauftragt ist und im Jahr 2000 folgende Entschließungen angenommen hat: „ Amtliche Futtermittelkontrollen“2, „Verhütung und Bekämpfung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien“3, „Richtlinie über unerwünschte Stoffe und Erzeugnisse in der Tierernährung“4, „Amtliche Futtermittelkontrollen, unerwünschte Stoffe und Erzeugnisse in der Tierernährung“5, „Weißbuch über die Lebensmittelsicherheit“6, „Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz: Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“7, „Verbot bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostatischer Wirkung in der tierischen Erzeugung“8. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Die BSE-Epidemie im Vereinigten Königreich und die Dioxinkrise in Belgien haben zu schwerwiegenden Risiken für die Gesundheit der Verbraucher und zu einem Vertrauensverlust geführt. 1 vom 4. Mai 2000 Bericht Bart Staes, A5-0372/2000. 3 Bericht Dagmar Roth-Behrendt, A5-0117/2000. 4 Bericht Marit Paulsen, A5-0257/2000. 5 Bericht Marit Paulsen, A5-0256/2000. 6 Bericht John Bowis, A5-0272/2000. 7 Bericht Béatrice Patrie, A5-0352/2000. 8 Bericht Karl Erik Olsson, A5-0002/2001. 2 PE 302.216 DE 104/135 RR\443621DE.doc Die Auswirkungen für die Verbraucher in der EU sind nicht zu leugnen. Dem Bericht des Europäischen Parlaments über Vorschriften „zur Verhütung und Bekämpfung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien“1 zufolge können sich die Mitgliedstaaten immer noch nicht auf eine obligatorische, gemeinschaftsweite Entfernung des spezifischen Risikomaterials aus der Nahrungskette einigen, während sich die wissenschaftliche Hinweise auf eine Übertragung von TSE-Erregern über das Blut mehren. Die Verbraucher der EU können auf die diversen (wenig transparenten) Politiken keinen Einfluss nehmen. Dem Bericht des EP über „unerwünschte Stoffe und Produkte in der Tierernährung“2 zufolge besteht das Risiko des Vorhandenseins von Dioxin und organischen Schadstoffen in allen Futtermitteln. In einigen Ländern ist Tiermehl nicht verboten. Angesichts der immer stärkeren Resistenz gegenüber Antibiotika werden die Leiden und die sozialen Kosten, die durch diese Krankheiten entstehen, in Zukunft nur zunehmen. Empfehlungen Damit der Verbraucher wirksam gegen TSE geschützt wird, müssen sich Maßnahmen zur Prävention, zur Bekämpfung und zur Ausrottung auf eine Rechtsgrundlage stützen und lückenlos sein. Es müssen Schnelltests für TSE im Rahmen des Überwachungsprogramms eingeführt werden. Daher muss die Definition eines „Schnelltests“ eingeführt und festgelegt werden. Wurde BSE einmal festgestellt, müssen notwendigerweise strikte Kontrollen erfolgen. Die Informationspolitik aller europäischer Institutionen müsste die Verbraucher unmittelbar und offen über die verfolgte Politik unterrichten. Die Europäische Kommission müsste ständig über die Lage in den Mitgliedstaaten informiert werden, was die TSE-Fälle anbelangt, wobei die Verdachtsfälle sozusagen der vorzeitigen Aufdeckung dienen könnten. Im Falle des Verdachts auf TSE ist auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips jegliches Inverkehrbringen potenziell kontaminierter Waren verboten. Laut Bericht des EP über „unerwünschte Stoffe und Produkte in der Tierernährung“ bestehen die ersten Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der Krankheiten darin, mikrobiologische Normen für alle Lebensmittel festzulegen. Anzuwenden sind auch die Prinzipien der Transparenz und der Rückverfolgbarkeit. Zudem ist die Angleichung der europäischen Rechtsvorschriften für Tiermehl und Fischmehl erforderlich, angesichts des Risikos der Anreicherung und der Wechselwirkung mehrerer unerwünschter Stoffe in Tieren und Menschen. Dazu wäre es wünschenswert, eine unvollständige Liste der biologischen und chemischen Schadstoffe einzuführen; dies würde die Aufgabe der Landwirte, die täglich Mischfuttermittel verwenden, erheblich erleichtern. 1 2 Bericht Dagmar Roth-Behrendt, A5-0117/2000. Bericht Marit Paulsen, A5-0257/2000. RR\443621DE.doc 105/135 PE 302.216 DE Die mit der Futtermittelkontrolle befassten Beamten unterliegen dem Berufsgeheimnis, da es sich um Informationen handelt, deren Verbreitung der Tätigkeit der Einrichtung schaden könnte. Der Schutz des Berufsgeheimnisses darf jedoch die Veröffentlichung von Informationen von allgemeinem Interesse in den Bereichen Umwelt und Gesundheit nicht beeinträchtigen. Das Europäische Büro der Verbraucherverbände (EBV) hat das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Lebensmittelsicherheit geprüft und folgende Schlussfolgerungen daraus gezogen: Unter diesem Gesichtspunkt sollte die Annahme der bewährtesten Praktiken jedes Mitgliedstaats der EU in allen Mitgliedstaaten der EU angewandt werden. Nur wenn sie ihre Normen verstärkt, wird die EU ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Landwirte und der Unternehmen im Bereich der Nahrungsmittel zurückgewinnen. Die Hersteller von Nahrungsmitteln müssen die Rückverfolgbarkeit der Inhaltsstoffe gewährleisten und die Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Grundlage der europäischen Rechtsvorschriften bilden, müssen glaubwürdig sein. Die Schaffung einer Lebensmittelbehörde, die die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus ganz Europa sammelt, wird dazu beitragen, das Vertrauen der Verbraucher wieder herzustellen, unter der Voraussetzung, dass sie unabhängig und transparent handelt. Andererseits müssen die Erfordernisse der Lebensmittelsicherheit und der Volksgesundheit im Vergleich zu den wirtschaftlichen Interessen und der Nahrungsmittelindustrie als prioritär eingestuft werden. Es besteht in der Tat ein Konflikt zwischen Verbrauchern und Herstellern, der nicht angemessen angegangen wird und zu widersprüchlichen Zielen bei der Nahrungsmittelpolitik der EU führt. Außerdem gibt es bis heute kein kohärentes Überwachungssystem auf EU-Ebene für die Volksgesundheit und die wichtigsten einschlägigen Indikatoren. Infolgedessen ist die Politik im Bereich der Nahrungsmittel durch eine Vorgehensweise gekennzeichnet, die eher auf Reaktion als auf Vorbeugung beruht. PE 302.216 DE 106/135 RR\443621DE.doc KAPITEL V. UNIONSBÜRGERSCHAFT: Artikel 39 bis 46 1. Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen Artikel 39: Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt. Artikel 40: Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Europarat Das Europäische Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben1 vom 5. Februar 1992 (nicht ratifiziert von A, D, B, GR, ESP, F, IRL, L, P, UK) zielt auf die verbesserte Integration der ausländischen Einwohner in das Leben der kommunalen Gebietskörperschaften ab. Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 16. November 19972 (nicht ratifiziert von D, DK, B, GR, ESP, F, FIN, I, IRL, L, P, SV, UK) legt ein Paket von Grundsätzen und Regeln fest, die alle Aspekte der Staatsangehörigkeit betreffen. – Europäische Union Artikel 17 und 19 des EG-Vertrags Entschließung des EP vom 10. Dezember 1996 zur Beteiligung der Bürger und der Sozialakteure am institutionellen System der Europäischen Union. Dreijahresberichte der Kommission über die Unionsbürgerschaft. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE a) Die Beteiligung an den Europawahlen – Die Beteiligung im Allgemeinen Die allgemeine Beteiligung an den Europawahlen gibt Anlass zu großer Besorgnis, da die Wahlbeteiligung im Gemeinschaftsdurchschnitt von 63% im Jahre 1979 auf 49,7% im Jahre 1999 gesunken ist, während gleichzeitig die Befugnisse des EP beträchtlich ausgeweitet 1 2 SEV Nr. 144. CSEV Nr. 166. RR\443621DE.doc 107/135 PE 302.216 DE wurden. Um dieser Herausforderung zu begegnen, muss die EU ihre Praktiken reformieren und das verabschieden, was man eine neuen „Governance“ nennt. Mit diesem Begriff ist eine europäische Politik gemeint, die auf mehr Transparenz, Verantwortlichkeit und Effizienz beruht. Dies ist der Tenor des von der Kommission im Oktober 2000 vorgelegten Weißbuches1. Diese verantwortungsvolle „Regierungsführung“ muss verbunden sein mit einer echten Politik zur Information der Bürger. Das EP hat wiederholt eine echte Informationsstrategie gefordert, die die Dienste der drei Institutionen umfasst und im Wesentlichen auf der pädagogischen Dimension und dem Einsatz der geeignetsten Mittel beruht, um den Erwartungen der Öffentlichkeit in Gemeinschaftsfragen, die sie in ihrem täglichen Leben betreffen2, gerecht zu werden. Einige halten auch die Annahme einer europäischen Verfassung für die Bürger für ein Mittel, die EU besser zu vermitteln und eine größere Akzeptanz zu erreichen. – Die Beteiligung der Bürger der Union im Wohnsitzmitgliedstaat Die Richtlinie 93/109/EG vom 6. Dezember 1993 legt die Modalitäten für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament fest. Diese Richtlinie kam zur Anwendung bei den Wahlen von 1994 und 1999. In ihrer letzten Mitteilung über die Anwendung dieser Richtlinie3 stellt die Kommission fest, dass die Beteiligung der Unionsbürger in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat einmal mehr relativ gering war (9%), allerdings höher als bei der vorausgehenden Wahl. Der Prozentsatz der Eintragungen ist insbesondere niedrig in den beiden Ländern, in denen am meisten Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten wohnen (Deutschland und Frankreich, wo 63% dieser Bürger wohnen4, was natürlich den Unionsdurchschnitt nach unten drückt, der bei 17% liegen würde, wenn man diese beiden Länder nicht berücksichtigen würde. Um Abhilfe zu schaffen, empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten Folgendes: – erhebliche Stärkung der Maßnahmen zur Unterrichtung der Bürger über ihr aktives und passives Wahlrecht – Einführung eines Systems von direkter und persönlicher Kontaktaufnahme zu den im Hoheitsgebiet wohnhaften Wählern aus anderen Mitgliedstaaten auf dem Postwege – Durchführung einer ständigen Aktion (nicht nur vor den Wahlen) zur Förderung und Erleichterung der Eintragung in die Wählerverzeichnisse, und zwar durch diesbezügliche Änderung der Wahlbestimmungen (insbesondere Einschreibefristen) – verstärkte Teilnahme am System zum Informationsaustausch, um Doppelabstimmungen zu verhindern. Wie die Kommission in ihrer Mitteilung bemerkt, wären die Unionsbürger, die in einem 1 Die Demokratie in der EU vertiefen: SEK (2000) 1547/7 endg. Bericht von Peter Pex über die Informations- und Kommunikationspolitik der EU A4-0115/98, Mündliche Anfrage B5-0174/2001 und am 13. März 2001 nach dieser Anfrage angenommene Entschließung. 3 KOM(2000) 843 endg. 4 Der Prozentsatz der Eintragungen in diesen beiden Ländern betrug nur 2,1 bzw. 4,9% verglichen mit z.B. 26% in Dänemark und Schweden, 43% in Irland). 2 PE 302.216 DE 108/135 RR\443621DE.doc anderen Mitgliedstaat wohnhaft sind, vielleicht eher geneigt, ihr Wahlrecht auszuüben, wenn sie das Gefühl hätten, dass sie korrekt vertreten und angehört werden. Denn, um nur ein Beispiel zu nennen, ist die Möglichkeit, bei der Gründung von politischen Parteien im Wohnsitzmitgliedstaat mitzuwirken oder ihnen anzugehören, noch nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. b) Das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen im Wohnsitzmitgliedstaat Die Richtlinie 94/80/EG ist inzwischen in allen Mitgliedstaaten umgesetzt. Gemäß Artikel 13 dieser Richtlinie soll die Kommission dem EP ein Jahr nach Durchführung der Kommunalwahlen in allen Mitgliedstaaten der Union, d.h. im März 2002 (nachdem die letzten Kommunalwahlen im März 2001 in Frankreich stattfanden), Bericht erstatten. Sobald dieser Bericht vorliegt, können die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um gegebenenfalls die Anwendung dieser Richtlinie zu verbessern. c) Die Beteiligung der Nicht-EU-Bürger am politischen Leben Obwohl in Artikel 39 der Charta dieses Thema nicht erwähnt wird, halten sich in der EU ca. 15 Millionen Einwanderer aus Drittstaaten auf. Irland, Schweden, Dänemark, die Niederlande haben diesen Nicht-EU-Bürgern das Wahlrecht eingeräumt (unter der Bedingung des Wohnsitzes über einen Zeitraum von zwischen drei und zehn Jahren); andere Mitgliedstaaten (ESP, P, FIN, UK) unter spezielleren Bedingungen der Gegenseitigkeit und Staatsangehörigkeit. In einem jüngsten Bericht vom 22. Dezember 2000 (Dok. 8916) hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Hinblick auf die Mitwirkung der Einwanderer und der ausländischen Einwohner am politischen Leben dem Ministerkomitee Folgendes empfohlen: – den Einwanderern mit rechtmäßigem Wohnsitz das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen zu gewähren, ohne Unterschied im Hinblick auf ihre Herkunft; – Überprüfung ihrer Gesetzesvorschriften mit Blick auf Lockerung, insbesondere was die Kriterien für die Gewährung der Staatsangehörigkeit, die Organisation der politischen Mitwirkung, die Förderung der Tätigkeit der Einwandererorganisationen anbetrifft. Die legal und unbefristet ansässigen Ausländer müssten wie die Inländer in den Genuss sämtlicher Bürger-, Gewerkschafts- und Vereinigungsrechte gelangen und über beratende Stellen verfügen. Das Recht auf Beteiligung an den Kommunalwahlen wird offensichtlich ohne Probleme in mehreren Mitgliedstaaten der EU angewandt. Dies ist im Übrigen der Sinn von Artikel 8 des Übereinkommens des Europarates über die Beteiligung der Ausländer am öffentlichen kommunalen Leben. Mit einer im September 1996 angenommenen Entschließung hat das EP einen ähnlichen Vorstoß gestartet. Es wäre daher angebracht, dass sämtliche EU-Mitgliedstaaten dieses Übereinkommen ratifizieren und einen gemeinsamen Ansatz in dieser Frage verfolgen. Ferner wäre es sinnvoll, dass die EU-Mitgliedstaaten, die dies nicht getan haben, auch das Übereinkommen des Europarates über die Staatsangehörigkeit vom 15. Mai 1997 ratifizieren. Dieses Übereinkommen zielt darauf ab, den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund des freiwilligen Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit zu begrenzen. Ferner sollte die EU der Empfehlung des Ministerkomitees über Prävention und Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit vom 15. September 1999 R (99) 18 besondere Beobachtung schenken. RR\443621DE.doc 109/135 PE 302.216 DE 2. Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit (Artikel 45) Artikel 45: “Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.” A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Artikel 18, 39, 149 und 151 des EG-Vertrags B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Das Aufenthaltsrecht und das Recht auf ungehindertes Zu- und Abwandern in der EU ist für bestimmte Personengruppen, Studenten, Rentner, Wanderarbeitnehmer bei weitem noch nicht völlig gewährleistet, wie dies der ECAS (European Citizens Action Service) in seinen regelmäßigen Berichten bemerkt. Diese administrativen Hemmnisse sind nicht nur rechtswidrig, sondern sie beeinträchtigen auch schwerwiegend die Mobilität der Studenten, Wissenschaftler, Arbeitnehmer und sind wirtschaftlich gesehen kontraproduktiv. a) Verbesserung der Ausübung des Aufenthaltsrechts Für Studenten und Rentner zielen die Empfehlung des Rates, vorgelegt am 21. Januar 2000, sowie der Aktionsplan Mobilität, verabschiedet am 9. November 2000, auf der Grundlage der Artikel 149 und 150 des EG-Vertrags insbesondere auf Folgendes ab: – den Studenten den Nachweis zu erleichtern, dass sie über eine Krankenversicherung oder sonstige Deckung im Hinblick auf den Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung verfügen; – den Beweis zu erleichtern, dass die in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildung absolvierende Person über ausreichende Existenzmittel verfügt. Diese Bestimmungen sollten ebenfalls für Rentner gelten, die zuweilen vor denselben Nachweisschwierigkeiten stehen. Es wäre unzulässig, wenn durch die Pflicht zum Nachweis ausreichender Existenzmittel zwei Gruppen von Rentnern geschaffen würden, und zwar die ohne Existenzprobleme, die in einem anderen Mitgliedstaat willkommen wären, und die weniger gut gestellten, die mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. b) Verringerung der Schwierigkeiten von Wanderarbeitnehmern, sich aufzuhalten und sich frei zu bewegen Die Wanderarbeitnehmer, insbesondere die Aushilfskräfte, Teilzeitkräfte oder Saisonarbeitnehmer, haben mit Verwaltungsproblemen bei der Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung zu kämpfen (z.B. während des Zeitraums, in dem sie Arbeitslosengeld beziehen, auf das sie im Wohnsitzland Anspruch haben) im Hinblick auf den PE 302.216 DE 110/135 RR\443621DE.doc weiteren Erwerb von Rentenansprüchen1, die Übertragung erworbener Renten- oder Vorruhestandsansprüche. Die Verordnung 1408/71 über die soziale Sicherheit müsste überarbeitet werden, denn das derzeitige, zu komplizierte System beinhaltet auch Lücken, was der ECAS in seinem letzten Bericht2 unterstreicht. Schließlich gibt es keine Koordinierung der Sozialversicherungssysteme der EU, sodass die Freizügigkeit der Personen, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind, in der Praxis nicht existiert (ohne ausreichende Existenzmittel erhalten diese Personen kein Aufenthaltsrecht). Gemäß dem vom EP geäußerten Wunsch3 nimmt die Kommission derzeit eine Neufassung der Vielzahl der bestehenden Texte vor. Dabei verfolgt sie die Absicht: – die Ausübung der Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte durch die Einführung eines ständigen Aufenthaltsrechts nach rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat zu erleichtern; – die zu erledigenden Formalitäten abzubauen und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten gleiche Garantien einzuräumen wie den Inländern, um die Nachteile für die Wanderarbeitnehmer und die abgeordneten Arbeitnehmer auszuräumen; – den Familienangehörigen eines Unionsbürgers den Schutz des Familienlebens gemäß dem Recht auf Familienzusammenführung zu gewährleisten (z.B. dem Ehepartner des Wohnsitznehmenden, dem Studenten oder Rentner, einem verheirateten oder unverheirateten Paar, Staatangehörigen von Mitgliedstaaten oder aus einem Drittstaat die Möglichkeit einräumen, ein eigenes Aufenthaltsrecht zu erhalten; ebenfalls hätten im Falle von Scheidung oder Tod desjenigen, der die Aufenthaltsberechtigung erworben hat, die Familienangehörigen das Recht, eine unselbstständige oder selbstständige Tätigkeit aufzunehmen oder weiterzuverfolgen). c) Besserer Schutz der Bürger vor Ausweisungen unter missbräuchlicher Verwendung des Arguments der öffentlichen Ordnung In einer Mitteilung vom 19. März 19994 hatte die Kommission unterstrichen, dass die Koordinierung der Ausweisungsmaßnahmen gegen europäische Bürger aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Volksgesundheit unbefriedigend ist. Dieses Vorrecht obliege zwar den Mitgliedstaaten, man müsse sich aber dennoch fragen, ob es zweckmäßig sei, einen systematischen Zusammenhang herzustellen zwischen einer strafrechtlichen Verurteilung und einer Ausweisungsmaßnahme insbesondere gegen Personen, die sich langfristig im Aufenthaltsland aufgehalten haben, die dort kulturelle, soziale und familiäre Bande haben oder minderjährig sind5. 1 Siehe Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinien 90/64, 90/365 und 93/96 KOM(1999) 127 und Bericht der hochrangigen Gruppe für den freien Personenverkehr vom 18. März 1997, Bericht Simone Veil 2 Bericht soziale Sicherheit des Orientierungsdienstes „Bürger Europas“. Seit Beginn dieser Initiative im Jahre 1996 hat der Orientierungsdienst 1536 diesbezügliche Anfragen erhalten 3 Bericht von Frau Boumédiène Thiery über die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern (A50207/2000), angenommen am 6.9.2000 4 KOM(1999) 372 endg. 5 NB: die vorhergehende italienische Regierung hat ihre Zustimmung zu einer raschen Aufhebung des vorläufigen Artikels 13 der italienischen Verfassung zu erkennen gegeben, wonach die männlichen RR\443621DE.doc 111/135 PE 302.216 DE 3. Recht auf eine gute Verwaltung Artikel 41: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Dieses Recht umfasst insbesondere – das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird; – das Recht einer jeden Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses; – die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Jede Person hat Anspruch darauf, dass die Gemeinschaft den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – OECD Empfehlung des OECD-Rates vom 23. April 1998 zur Verbesserung des Ethikverhaltens im öffentlichen Dienst – Europarat Dokument des Europarats, in dem unter dem Titel „Die Verwaltung und Sie“ die Grundprinzipien eines autonomen Verwaltungsrechts bzw. Verwaltungsverfahrens dargelegt werden1. – Europäische Union Die Artikel 21 und 195 des EG-Vertrags sehen vor, dass in Fällen von Missständen in der Verwaltungstätigkeit eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten eingereicht werden kann. Artikel 21 besagt: „Jeder Unionsbürger besitzt das Petitionsrecht beim Europäischen Parlament ...“. Artikel 195 sieht in diesem Bereich vor: „Das Europäische Parlament ernennt einen Bürgerbeauftragten, der befugt ist, Beschwerden ... über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft, mit Ausnahme des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz in Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse, entgegenzunehmen“. Nachkommen des Königshauses Savoyen auf Lebenszeit im Exil leben müssen. 1 Die Verwaltung und Sie, Dokument des Europarats aus dem Jahr 1996, mit wesentlicher Bedeutung für den Schutz der Privatpersonen in ihren Beziehungen zu den Verwaltungsbehörden PE 302.216 DE 112/135 RR\443621DE.doc Definition eines „Missstandes in der Verwaltungstätigkeit“ Nach Aussage des Europäischen Bürgerbeauftragten „ergibt sich ein Missstand, wenn eine öffentliche Einrichtung nicht im Einklang mit für sie verbindlichen Regeln oder Grundsätzen handelt“1. Der Europäische Bürgerbeauftragte hat ferner betont, dass „der europäische Bürger das Recht hat, dass seine Angelegenheiten korrekt, gerecht und rasch durch eine offene, verantwortungsvolle und dienstleistungsorientierte öffentliche Verwaltung bearbeitet werden“. Das Europäische Parlament hat eine Entschließung in diesem Sinne angenommen. Besonderheiten des Mandats des Europäischen Bürgerbeauftragten Stellt der Bürgerbeauftragte einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit fest, befasst er die betroffene Verwaltung, führt eine Untersuchung durch, sucht eine Lösung und legt gegebenenfalls Entwürfe von Empfehlungen vor, zu denen sich die Institution mit einer begründeten Stellungnahme binnen drei Monaten äußern muss. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Kodex für gute Verwaltungspraxis Im April 2000 hat der Europäische Bürgerbeauftragte einen Entwurf für einen Kodex für gute Verwaltungspraxis ausgearbeitet. Dieser umfasst 28 Artikel, in denen die Grundsätze enthalten sind, die die Beamten in ihren Beziehungen zur Öffentlichkeit beachten sollen. Um den Inhalt von Artikel 41 der Charta der Grundrechte der EU, die am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamiert wurde, in die Praxis umzusetzen, erweist es sich als unerlässlich, dass die europäischen Institutionen und Organe diesen Kodex für gute Verwaltungspraxis verabschieden. Zu diesen Grundsätzen gehören unter anderem: Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit, Verzicht auf Machtmissbrauch, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, Objektivität, Gerechtigkeit, das Recht, gehört zu werden und Bemerkungen zu machen, angemessene Frist für die Entscheidungsfindung, Pflicht zur Begründung der Entscheidung, Hinweis auf Rechtsmittel, Mitteilung der Entscheidung, Schutz der Daten, öffentlicher Zugang zum Kodex und Recht auf Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten. Das Europäische Parlament hat die Notwendigkeit unterstrichen, „so rasch wie möglich einen für jeden europäischen Bürger zugänglichen, im Amtsblatt zu veröffentlichenden Verhaltenskodex der guten Verwaltungspraxis auszuarbeiten, der von allen gemeinschaftlichen Institutionen und Organen beachtet werden muss“.2 Ende Januar 2001 hatten mehrere europäische Institutionen und Organe den Kodex für gute Verwaltungspraxis des Europäischen Bürgerbeauftragten angenommen3, während andere 1 Öffentliches Hearing zum Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Vorbemerkungen des Europäischen Bürgerbeauftragten, Herrn Jacob Söderman, 2. Februar 2000. 2 Entschließungen C4-0270/98 und C4-0138/99 des Europäischen Parlaments 3 Die Europäische Investitionsbank, das Europäische Zentrum zur Förderung der Berufsausbildung, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Europäische Umweltagentur, RR\443621DE.doc 113/135 PE 302.216 DE ihren eigenen Kodex angenommen haben oder annehmen werden1. Der Europarat unterstreicht ebenfalls die Bedeutung einer öffentlichen Verwaltung, die über einen Kodex für gute Verwaltungspraxis verfügt.2 Schließlich wäre noch zu nennen auf nationaler Ebene die Veröffentlichung eines Leitfadens des irischen Bürgerbeauftragten in Nordirland mit Verhaltensnormen für gute Praxis der Beamten im Hinblick auf die ethische Kontrolle der Verwaltung; im Vereinigten Königreich die Existenz einer „Bügercharta“ und in Belgien einer „Belgischen Charta für die Benutzer der öffentlichen Dienste“, bereits seit 1992. Statistische Angaben und spezifische Informationen3 Am 31. Dezember 2000 hatte der Bürgerbeauftragte seit Aufnahme seiner Tätigkeit im Jahre 1995 7.002 Beschwerden erhalten; 6.881 von den 7.002 registrierten Beschwerden wurden geprüft. Es zeigt sich, dass 30% der Beschwerden den Tätigkeitsbereich des Bürgerbeauftragten betreffen. In 1.004 Fällen wurde eine Untersuchung durchgeführt und abschlossen, davon 13 auf Initiative des Bürgerbeauftragten. Diese Fälle betrafen im Wesentlichen das Fehlen oder die Ablehnung von Auskünften, Verzögerungen administrativer Art oder Zahlungsverzögerungen, die hätten vermieden werden können, Einstellungsverfahren einschließlich Auswahlverfahren, Vertragsstreitigkeiten sowie die Tätigkeiten der Kommission als Hüterin der Verträge. Organe, bei denen Untersuchungen durchgeführt wurden, waren in 850 Fällen die Europäische Kommission, in 107 Fällen das Europäische Parlament, in 37 Fällen der Rat der EU und in 7 Fällen der Rechnungshof. 16 weitere Institutionen waren ebenfalls betroffen; es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass einund dieselbe Institution Gegenstand mehrerer Untersuchungen sein kann. 4. Recht auf Zugang zu Dokumenten Artikel 42 „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat haben das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission“. die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt, die Europäische Stiftung für Berufsbildung, die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, das Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der EU, die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, das Gemeinschaftliche Sortenamt 1 Das Europäische Parlament, die Kommission und der Rechnungshof haben ihren eigenen Kodex verabschiedet; der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen werden einen Kodex nach dem Modell der Kommission annehmen. Die Kodizes des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank sind in Vorbereitung. 2 Europarat, Empfehlung Nr. R (2000) 10 über Kodizes für gute Verwaltungspraxis für die öffentlichen Bediensteten, 11. Mai 2000. 3 Der Europäische Bürgerbeauftragte, Jahresbericht 2000 PE 302.216 DE 114/135 RR\443621DE.doc A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Europäische Union Artikel 255 EG-Vertrag B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE Die seit 1993 beim Rat und der Kommission geltenden Verhaltenskodizes hinkten stark hinter einigen nationalen Rechtsvorschriften1 her. Der Europäische Bürgerbeauftragte hatte zahlreiche Beschwerden erhalten. Die Kommission hat daher einen Vorschlag für eine Verordnung zur Durchführung von Artikel 255 (KOM(2000) 30/2) vorgelegt. Dieser Vorschlag, für den das Mitentscheidungsverfahren gilt, war Gegenstand eines Berichts des EP2. In Erster Lesung hat das EP zahlreiche Änderungsanträge eingereicht, um den Erwartungen der Bürger zu entsprechen. Für das EP kann sich das Recht auf Zugang zu den Dokumenten nicht auf das Recht beschränken, Informationen zu erbitten. Dieses Recht kann nicht getrennt werden von einem allgemeineren Recht auf Information über die Tätigkeiten der Institutionen. Die Institutionen müssten somit auch ihre internen Verfahren publik machen und alle leicht verständlichen Informationen zur Verfügung stellen. Der Anwendungsbereich dieses Rechts müsste so umfassend wie möglich sein, d.h. sich auf den gesamten Vertrag erstrecken (darunter auch die zweiten und dritten Pfeiler, das Schengener Übereinkommen, da es vergemeinschaftet ist, sowie das Europol-Übereinkommen). Diese Dokumente, die auch die Vorbereitungsdokumente umfassen, müssten im Internet zugänglich sein. Dieses Recht dürfte schließlich nicht nur auf Dokumente der Ausschüsse und Arbeitsgruppen der drei betroffenen Institutionen beschränkt sein, sondern müsste auch sämtliche europäische Agenturen (Umweltagentur, Arzneimittel usw.) einschließen. Die Ausnahmen für das Zugangsrecht müssen begrenzt, präzise und strikt ausgelegt sein (öffentliche Sicherheit, Verteidigungsgeheimnis, Währungsstabilität oder Privatleben). Diese Ausnahmen müssten von Fall zu Fall vor der Anwendung geprüft werden. Schließlich müsste der Begriff Dokument im weiten Sinne ausgelegt werden, und diese Dokumente müssten direkt auf elektronischem Wege zugänglich sein. Als Rechtsmittel wären möglich Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten oder Klage beim Gerichtshof der EG. Gemäß Artikel 255 des EG-Vertrags müssen die Modalitäten für den Zugang der Bürger zu den Dokumenten zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrags, d.h. im Mai 2001, verabschiedet werden. 1 Siehe Sonderbericht des Bürgerbeauftragten nach einer Untersuchung aus eigener Initiative betreffend den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, C4-0157/98 2 Bericht Cashman A5-0318/2000 RR\443621DE.doc 115/135 PE 302.216 DE KAPITEL VI. WIRKSAMER RECHTSSCHUTZ UND OPFERSCHUTZ 1. Recht auf ein unparteiisches Gericht (Artikel 47) Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen oder vertreten lassen. Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE Internationale Übereinkommen – Vereinte Nationen Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte 1, ratifiziert von allen EUMitgliedstaaten, verankert in Artikel 14 das Recht für jedermann, dass über ihn durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird (Absatz 1) und Mindestgarantien, z.B. Ergehen eines Urteils ohne unangemessene Verzögerung, Recht auf Inanspruchnahme eines Verteidigers und unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers (Absatz 3). Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 enthält in Artikel 10 den Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. – Europarat Die Europäische Menschenrechtskonvention aus dem Jahre 1950 (von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert), sieht in Artikel 6 – unter anderem – Folgendes vor: „Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht …“, ferner das Recht auf unentgeltlichen Beistand eines Pflichtverteidigers, falls der Betroffene nicht über die Mittel verfügt, sowie Recht auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers. Die Empfehlung des Ministerkomitees zur freien Ausübung des Anwaltsberufs2 sieht in Grundsatz IV unter anderem Maßnahmen vor, um wirksamen Zugang zum Rechtsbeistand 1 2 Resolution der Generalvollversammlung 2200A (XXI) vom 16. Dezember 1966 Rec(2000)21, angenommen vom Ministerkomitee am 25. Oktober 2000, Europarat PE 302.216 DE 116/135 RR\443621DE.doc durch unabhängige Anwälte für alle Personen zu gewährleisten, ebenso Ermutigung für Anwälte, Rechtsbeistand an wirtschaftlich schlecht gestellte Personen zu leisten und für die Regierungen, dafür zu sorgen, dass für diese Menschen, insbesondere die in Unfreiheit, wirksamer Rechtsbeistand verfügbar ist. In der Empfehlung über die Rolle der Strafverfolgung im Strafrechtssystem1 fordert das Ministerkomitee, dass Staatsanwälte gewährleisten sollen, dass das Recht angewandt wird sowohl unter Berücksichtigung der Rechte des Einzelnen als auch der erforderlichen Effizienz des Strafrechtssystems. Das Europäische Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe aus dem Jahre 19772 wurde von allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Deutschlands ratifiziert. Dieses Übereinkommen ermöglicht jeder Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei hat und im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei Verfahrenshilfe in Zivil-, Handels- oder Verwaltungssachen beantragen will, diesen Antrag in dem Staat einzureichen, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. – Sonstige Das Haager Übereinkommen über den internationalen Zugang zu den Gerichten aus dem Jahre 19803, ratifiziert von Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Schweden, regelt in Kapitel I, dass Staatsangehörige und Personen, die ihren üblichen Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben, Anspruch auf Rechtsbeistand für Verfahren in zivil- und handelsrechtlichen Angelegenheiten in jedem Vertragsstaat unter denselben Voraussetzungen haben, als ob sie Staatsangehörige dieses Staates wären oder dort ihren üblichen Wohnsitz hätten. – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Artikel 6 – Recht auf ein faires Verfahren Ein grundlegender Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren besteht darin, dass das Strafverfahren kontradiktorisch und „mit gleichen Waffen“ zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung geführt werden sollte4. Um festzustellen, ob ein Gericht als „unabhängig“ betrachtet werden kann, muss unter anderem Einblick in die Art und Weise der Ernennung seiner Mitglieder und deren Amtszeit gewährt werden, das Vorhandensein von Garantien gegen Druck von außen und die Frage geprüft werden, ob das Gremium den Anschein der Unabhängigkeit bietet. Zur Frage der „Unparteilichkeit“: das Gericht, auch die Geschworenen, müssen subjektiv frei von persönlichen Vorurteilen und unbefangen und auch objektiv gesehen unparteilich sein, d.h. es muss ausreichend Gewähr dafür bieten, dass jeder berechtigte Zweifel diesbezüglich ausgeschlossen ist5. 1 Rec(2000)19, angenommen vom Ministerkomitee am 6. Oktober 2000, Europarat SEV Nr. 092 3 Übereinkommen Nr. 29, das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über den internationalen Zugang zur Rechtspflege 4 Siehe Rowe and Davies gegen Vereinigtes Königreich, Urteil 16. vom Februar 2000, Nr. 28901/95, § 60 5 Vgl. McGonnell gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 8. Februar 2000, Nr. 28488/95, §48; Sander gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 9. Mai 2000, Nr. 34129/96, § 22 2 RR\443621DE.doc 117/135 PE 302.216 DE Die Angemessenheit der Verfahrenslänge muss anhand der besonderen Umstände des Falls und unter Berücksichtigung der Kompliziertheit des Falls, des Verhaltens des Klägers und der zuständigen Behörden und dessen, was für den Kläger im Streit auf dem Spiel steht, bewertet werden1. Die Vertragsparteien haben die Pflicht, ihre Rechtssysteme so zu organisieren, dass ihre Gerichte jede der Anforderungen dieser Bestimmung erfüllen können, auch die Verpflichtung, Fälle innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden2, da Verzögerungen die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der Justiz gefährden könnten3. Die Frage, ob im Interesse der Gerechtigkeit Rechtsbeistand erforderlich ist, muss unter Berücksichtigung der Härte der in Frage kommenden Strafe sowie der Kompliziertheit des Falls beantwortet werden4. Wenn es um Freiheitsentzug geht, so ist im Interesse der Gerechtigkeit grundsätzlich Rechtsbeistand erforderlich5. – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Der Europäische Gerichtshof weitet die Bedeutung des Rechts auf ein der Billigkeit entsprechendes Verfahren auf das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf, einschließlich Einspruchsrecht, aus. In Gemeinschaftsangelegenheiten ist das Einspruchsrecht gewährleistet gemäß Artikel 168a des EG-Vertrags, der die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegen Urteile des Gerichts Erster Instanz der EG beim Europäischen Gerichtshof vorsieht. Infolge des Urteils vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache Laboratoires pharmaceutiques Bergaderm and Goupil gegen Kommission6 ist die erste Besonderheit des Einspruchsrechts, dass ein Rechtsmittel genau die beanstandeten Teile des Urteils, die der Rechtsmittelführer aufgehoben haben möchte, und ferner auch die rechtlichen Argumente zur Befürwortung des Antrags bezeichnen muss. Im Urteil vom 21. September 2000 Mediocurso-Estabelecimento gegen Kommission7 stand die Achtung des Rechts des Antragstellers auf ordnungsgemäße Anhörung im Verwaltungsverfahren zur Diskussion, in diesem Fall Gelegenheit für den Antragsteller, seine Argumente vorzubringen. Das Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit jeder Entscheidung einer nationalen Behörde stelle einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der seinen Ursprung in den den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungstraditionen hat8. B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE – Angemessene Frist Die Verfahrenslänge stellt in der gesamten EU ein allgemeines Problem dar. In Italien gibt es 1 Vgl. Comingersoll S.A. gegen Portugal [GC], Urteil vom 6. April 2000, Nr. 35382/97, § 19 Vgl. Comingersoll S.A. gegen Portugal [GC], Urteil vom 6. April 2000, Nr. 35382/97, § 24 3 Vgl. Bottazi gegen Italien, Urteil vom 28. Juli 1999, Nr. 34884/97, § 22 4 Vgl. Perks und andere gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 12. Oktober 1999, Nr. 25277, § 76 5 Vgl. Benham gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 10. Juni 1996, siehe oben, § 61 6 C-352/98 P 7 C-426/98 P 8 C–226/99, Siples Srl, Urteil vom 11. Januar 2001 2 PE 302.216 DE 118/135 RR\443621DE.doc nach wie vor übermäßige Verzögerungen in der Rechtspflege. Obwohl das Ministerkomitee (Europarat) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt im Jahre 1999 und 2000 ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht haben und die italienische Regierung verschiedene Maßnahmen ergriffen hat, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2000 in mehr als 200 Fällen Verstöße gegen die Konvention aufgrund von übermäßiger Verfahrenslänge festgestellt. Die durchschnittliche Verfahrenslänge in Italien liegt bei zehn Jahren. Dies häufig nur in erster Instanz. Auch Frankreich wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in zahlreichen Fällen in den Jahren 1999 und 2000 übermäßig lange Gerichtsverfahren vorgeworfen. In seinem Jahresbericht 2000 machte Amnesty International auf das Selmouni-Urteil aufmerksam. In nur einem der Urteile, in denen mindestens ein Verstoß festgestellt wurde, hatte sich Frankreich an das Erfordernis der „angemessenen Frist“ gehalten. Ähnliche Beobachtungen können im Hinblick auf Österreich gemacht werden. Auch Griechenland und Portugal wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Jahren 1999 und 2000 wiederholt übermäßiger Verfahrenslänge für schuldig befunden. Diesbezüglich wurden im Jahre 2000 Finnland wegen zwei Urteilen, das Vereinigte Königreich wegen eines Urteils verurteilt. Im selben Jahr befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Dänemark, Deutschland, Luxemburg und die Niederlande in jeweils einem Verfahren diesbezüglich für schuldig. – Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Gerichtssystems Die 23. Konferenz der europäischen Justizminister fand im Juni 2000 zu den Themen Effizienz und Fairness der Justiz statt. Als Mittel und Wege zur Vermeidung von Verzögerungen wurden angemessene Rechtsberatung in einem frühen Stadium eines möglichen Streites, außergerichtliche Methoden der Streitbeilegung, alternative Verfahren wie Schlichtung, Anwendung wirksamer Arbeitsmethoden durch Richter und uneingeschränkte Nutzung der Informationstechnologien erachtet. In der Entschließung Nr. 1 „Rechtsbeistand im 21. Jahrhundert“, die auf dieser Konferenz angenommen wurde, beschlossen die teilnehmenden Minister, alle erforderlichen Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene zu ergreifen, um die Fristen zu verkürzen und alternative Wege des Rechtsbeistands zu finden, und forderten die innerhalb des Europarats zuständigen Stellen auf, Maßnahmen zur Verstärkung der Effizienz bei Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz zu prüfen1. – Vollstreckung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte In der Resolution 1226 (2000) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und im vorausgehenden Bericht des Ausschusses für Recht und Menschenrechte2 wird hervorgehoben, dass erhebliche Mängel betreffend die Vollstreckung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehen. Die Parlamentarische Versammlung unterstreicht, dass es von wesentlicher Bedeutung ist, dass sich die Staaten uneingeschränkt an ihre formale Verpflichtung halten, in Fällen, bei 1 Justiz ist schwer zu definieren, vor allen Dingen haushaltsmäßig, weil sie von Land zu Land differiert. Folgende Zahlen wurden gesammelt: (in Prozent des Gesamthaushalts für 2000) A = 1,3%, FIN & F = 1,6%, IRL = 2,3%, I = 1,4% 2 Dok. 8808, Parlamentarische Versammlung, Europarat RR\443621DE.doc 119/135 PE 302.216 DE denen sie Parteien sind, die endgültigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beachten. Ansonsten kann der Standard beim Schutz der Menschenrechte, der durch die Europäische Menschenrechtskonvention erreicht wurde, nicht gehalten werden. Ferner ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Teil der Konvention selbst, womit die Rechtsverbindlichkeit der Konvention auf alle anderen Parteien übertragen wird. Die Parlamentarische Versammlung bringt ihre ernste Besorgnis zum Ausdruck, dass die Vollstreckung einiger Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erhebliche Probleme verursachen wird – einige Urteile seien nach mehreren Jahren noch nicht vollstreckt worden. Die Probleme mit der Vollstreckung aufseiten der staatlichen Parteien sind in erster Linie darauf zurückzuführen, dass in dem Zusammenhang Reformen erforderlich sind (wie z.B. in der Gruppe von Fällen, wo es um die übermäßige Länge von Gerichtsverfahren in Italien geht, wo die Vollstreckung eine Reihe von gesetzgeberischen, verwaltungstechnischen und praktischen Maßnahmen erfordert), auf praktische Gründe im Zusammenhang mit nationalen Gesetzgebungsverfahren (Änderungen des Gesetzgebers, Verzögerungen aufgrund von Richtlinien der EG oder Fälle, in denen im inländischen Recht keine Bestimmung für die Aufhebung des umstrittenen Beschlusses vorgesehen ist, was z.B. die Nichtvollstreckung des Urteils im Fall Hakkar gegen Frankreich zur Folge hatte, was schließlich durch Änderungen am Gesetzentwurf über „Unschuldsvermutung“ behoben wurde) und auch aus Gründen der Überschneidung mit Verpflichtungen seitens anderer Institutionen. In diesem Zusammenhang wird das Urteil aus dem Jahre 1999 im Fall Matthews gegen Vereinigtes Königreich erwähnt, in dem der Gerichtshof der Meinung war, dass ein Verstoß gegen Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 vorlag, indem das Volk Gibraltars bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nicht stimmberechtigt war, obwohl es der „Gesetzgebung“ der Europäischen Union unterliegt. Neue Rechtsvorschriften können offenbar nur verabschiedet werden mit Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Parlamentarische Versammlung empfiehlt mehrere Lösungen, die von den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollen, damit neue Gesetzesvorschriften mit der Konvention uneingeschränkt vereinbar sind. Notwendige Maßnahmen der Regierungen, um das Urteil des Gerichtshofs rasch zu vollstrecken, um erneute Verstöße zu vermeiden; Empfehlungen an die Regierungen, die Einzelsituation des Antragstellers zu bereinigen und Rechtsvorschriften für die Revision nach einem Urteil des Gerichts vorzusehen; den Urteilen des Gerichts direkte Wirkung zu verleihen und Übergangsmaßnahmen zu verabschieden, bis endgültige Reformen wirksam werden. Die Versammlung fordert ferner die Mitgliedstaaten auf, ihr Recht in Anspruch zu nehmen, im Zweifelsfalle beim Gerichtshof eine Auslegung von Urteilen zu verlangen und die gesetzgeberischen, und erforderlichenfalls verfassungsmäßigen Reformen fortzusetzen. – Nichtbeachtung endgültiger Gerichtsbeschlüsse durch die Verwaltung Im Memorandum vom 14. September 20001 brachte das Ministerkomitee seine Besorgnis angesichts der Weigerung mehrerer Verwaltungsteile in Griechenland zum Ausdruck, sich an endgültige und vollstreckbare Entscheidungen griechischer Gerichte zu halten. Das Komitee erwähnt unter anderem die Urteile Hornsby gegen Griechenland vom März 2000 und Georgiadis Dimitrios gegen Griechenland vom Juni 2000 und verweist darauf, dass mehrere ähnlich gelagerte Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig sind. 1 CM/Inf /2000)51 Ministerkomitee, Europarat PE 302.216 DE 120/135 RR\443621DE.doc Bereits früher war angeregt worden, dass die griechischen Behörden eine Verbesserung des Systems der zivil- und verwaltungsrechtlichen Haftung von Beamten insbesondere in Fällen prüfen, in denen sie widerrechtlich eine Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen verweigern. Es wird erneut darauf gedrungen, dass ein Interims-Beschluss ergeht, da somit die Bemühungen der Justizbehörden unterstützt werden könnten, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und sonstige anhängige Gesetzesvorhaben anzuerkennen und die griechische Regierung darauf zu drängen, Sofortmaßnahmen im Hinblick auf offensichtliches widerrechtliches Verhalten bestimmter Verwaltungsteile zu ergreifen. – Unabhängigkeit der Justiz Die Nichtregierungsorganisation International Federation of Human Rights Leagues bekundet in ihren schriftlichen Erklärungen an die Vereinten Nationen von Januar 2000 und Januar 2001 ihre Besorgnis angesichts des Widerstands des Vereinigten Königreichs, die in dem Good Friday Agreement eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen in Gesetz und Praxis umzusetzen. Die International Federation of Human Rights sowie der Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten wiederholen ihre Besorgnis angesichts der Verstrickung des Staates im Mordfall Patrick Finucane und fordern eine unabhängige gerichtliche Untersuchung. Die Ermordung der bekannten Strafverteidigerin Rosemary Nelson im März 1999 in Belfast lässt Zweifel an der Unabhängigkeit und Sicherheit von Verteidigern in Nordirland aufkommen. Im Jahresbericht 2000 meldete Amnesty International Bedenken im Hinblick auf die unzureichende Unabhängigkeit des zur Untersuchung des Mordfalls benannten Polizeiteams von der Royal Ulster Constabulary an, und dass die Ermittlungen der Polizei aufgrund von Beschwerden seitens Rosemary Nelson wegen Einschüchterung und Bedrohung durch die RUC nicht gründlich und neutral durchgeführt wurden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Vereinigte Königreich für schuldig befunden, das Recht auf faire Verhandlung in mehreren Fällen im Zeitraum 1999-2000 verletzt zu haben1. Italien wurde diesbezüglich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einmal 1999 und einmal im Jahre 2000 verurteilt2. – Zugang zu Rechtsbeistand Amnesty International unterstreicht, dass in Nordirland Inhaftierte gemäß Notstandsgesetzen bis zu 7 Tagen ohne gerichtliche Überprüfung ihrer Haft festgehalten werden können und ihnen der Zugang zu Rechtsbeistand bis 48 Stunden nach Inhaftierung und danach über Zeiträume von 48 Stunden hinweg versagt werden kann. Die Organisation fordert die Regierung auf, den Inhaftierten unmittelbaren Zugang zu Rechtsbeistand zu gewähren und dafür zu sorgen, dass sie nur in Anwesenheit ihres Anwaltes vernommen werden, und die irischen Rechtsvorschriften diesbezüglich zu ändern. In dieser Hinsicht bekundet Amnesty International große Besorgnis angesichts des britischen Terrorismusgesetzes aus dem Jahre 2000, da es – gestützt auf frühere Notstandsgesetze – unter anderem Bestimmungen enthält, wonach Inhaftierten bis 48 Stunden nach ihrer 1 Vgl. unter anderem Urteil FN 7 Buscemi gegen Italien, Urteil vom 16. September 1999, Nr. 29569/95 und Rojas Morales gegen Italien, Urteil vom 16. November 2000, Nr. 39676/98 2 RR\443621DE.doc 121/135 PE 302.216 DE Festnahme ein Anwalt verweigert werden kann, wenn die Polizei der Auffassung ist, dass die Einräumung dieses Rechts die Ermittlungen behindern würde, und dass die Unterredung zwischen Anwalt und Inhaftiertem „in Sicht- und Hörweite“ eines Polizeibeamten stattzufinden hat, wenn eine Behinderung der Ermittlungen zu befürchten ist. Die Organisation kritisiert das Terrorismusgesetz aus dem Jahre 2000, das Bestimmungen enthält, die unter anderem gegen das Recht auf faire Verhandlung verstoßen können, wobei sie unter anderem Teil VII des Gesetzes zitieren, wonach zusätzliche Notstandsbefugnisse nur für Nordirland zur Anwendung gelangen können, wodurch der Schutz der Menschenrechte als Bestandteil der Vielparteienvereinbarung von 1998 untergraben wird. Der Sonderberichterstatter über die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten der Vereinten Nationen verweist in seinem Bericht vom 21. Februar 2000 darauf, dass keine Beschwerden in Richtung auf Misshandlung von Anwälten durch Royal Ulster Constabulary-Beamte während Vernehmungen in Nordirland seit Einführung der Aufzeichnung von Vernehmungen in der Castlereagh-Haftanstalt im Jahre 1999 eingereicht wurden, obwohl Beschwerden über solche Missbräuche außerhalb von Castlereagh geäußert wurden. – Prozesskostenhilfe Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen über Prozesskostenhilferegelungen für Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen. Es bestehen jedoch grundlegende Unterschiede in diesen nationalen Prozesskostenhilfesystemen, insbesondere was die Staatsangehörigkeits- oder Wohnsitzbedingung für den Zugang zu Prozesskostenhilfe und die Arten der Verfahren und der Maßnahmen anbelangt, für die Prozesskostenhilfe gewährt wird. In Griechenland z.B. gibt es kein System der Prozesskostenhilfe für Verwaltungsgerichtsverfahren. Sie wird nur gewährt bei zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verfahren. In Irland wird keine Prozesskostenhilfe gewährt für eigens festgelegte Strafsachen wie Verleumdung, Patentierungsverfahren und zivilrechtliche Angelegenheiten gemäß der District CourtsBestimmungen von 1993 (kleine Anspruchsverfahren). Die Haager Konvention aus dem Jahre 1980 über den internationalen Zugang zu den Gerichten ist nur von einer Minderheit der Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Eine allgemeine Ratifizierung der Haager Konvention von 1980 wird empfohlen, und deren korrekte Anwendung wäre höchst wünschenswert. Im Februar 2000 legte die Europäische Kommission ein Grünbuch über die Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen, die Prozesskostenhilfe in Zivilsachen beantragen1, vor. Abgesehen von der Bedingung der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes in einigen Mitgliedstaaten werden bei der Prüfung der finanziellen Situation des Prozessführenden durch einige Mitgliedstaaten die Unterschiede in den Einkommensniveaus zwischen den Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt. Bei der Prüfung der Begründetheit des Verfahrens, für das Prozesskostenhilfe erforderlich ist, wird in den meisten Mitgliedstaaten ein breiter subjektiver Ermessensspielraum zugelassen. Es wird ferner kritisiert, dass das Übereinkommen des Europarats aus dem Jahre 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe vergleichsweise zu wenig angewandt wird, da in den Mitgliedstaaten über das Recht auf Prozesskostenhilfe im Ausland zu wenig bekannt ist. Als Lösungsmöglichkeiten werden im Grünbuch unter anderem die Ratifizierung der Haager 1 KOM(2000)51 end PE 302.216 DE 122/135 RR\443621DE.doc Konvention aus dem Jahre 1980 über den internationalen Zugang zu den Gerichten, die Einführung eines „Berichtigungskoeffizienten“ im Hinblick auf die finanziellen Kriterien, verstärkte Transparenz bei der Prüfung des Anspruchs, Festlegung und Veröffentlichung der Kriterien und eine ausführliche Begründung bei Ablehnung der Prozesskostenhilfe genannt. Auf Ebene der Europäischen Union arbeitet die Kommission derzeit an einem Vorschlag für eine Richtlinie mit Mindeststandards für Prozesskostenhilfe. – Unentgeltliche Beiziehung von Dolmetschern Die Nichtregierungsorganisation Fair Trial Abroad (FTA) verweist in ihrem Bericht für das Jahr bis zum 31. März 2000 auf mehrere Verfahrensfehler in der Art und Weise hin, wie in den europäischen Gerichten die Kommunikation mit Nichtmuttersprachlern gehandhabt wird, und zeigt auf, dass erhebliche Lücken zwischen dem Buchstaben des Gesetzes und der Praxis bestehen. FTA nennt zum Beispiel fehlende finanzielle Mittel für die Bereitstellung von Dolmetschern an vielen Gerichten, das Widerstreben von Richtern, Dolmetscher hinzuzuziehen, da sie dies für eine Obstruktion halten, Beschäftigung eines kleinen Teams von hauseigenen Dolmetschern, von denen erwartet wird, dass sie in jeder an mehreren Gerichten auftretenden Sprache arbeiten, häufige Aufforderung an Angeklagte, Erklärungen in einer Sprache zu unterschreiben, die sie nicht verstehen, und mangelnde oder gänzlich fehlende Ausbildung für Dolmetscher zur Tätigkeit in den Gerichtssystemen in Europa. Als Abhilfemaßnahme empfiehlt die FTA unter anderem die Aufnahme eines verstärkten Dialogs zwischen den juristischen und linguistischen Berufen, die Gewinnung von politischer Unterstützung und die Schaffung von allgemein anerkannten Dienstleistungsstandards. 2. Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte Artikel 48: „Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis ihrer Unschuld als unschuldig. Jeder angeklagten Person wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.“ A. DIE WICHTIGSTEN RECHTSINSTRUMENTE – Vereinte Nationen Der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte aus dem Jahre 1966 – ratifiziert durch alle Mitgliedstaaten der EU – enthält in Artikel 14 Absatz 2 die Unschuldsvermutung, in Absatz 3d das Recht jedes Angeklagten, bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schafft das Recht für jedermann, so lange als unschuldig angesehen zu werden, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist. RR\443621DE.doc 123/135 PE 302.216 DE – Europarat Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte – von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert – enthält in Artikel 6 Absatz 2 das Recht auf Unschuldsvermutung und in Artikel 6 Absatz 3c das Recht, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten. – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK – Unschuldsvermutung Die Vermutung der Unschuld ist eines der Bestandteile der fairen Gerichtsverhandlung, die in Absatz 1 gefordert ist. Sie wird verletzt, wenn eine Gerichtsentscheidung eine Person betreffend, die einer Straftat angeklagt ist, eine Meinung widerspiegelt, dass sie schuldig ist, bevor sie für schuldig befunden wurde. Es genügt, selbst wenn keine formalen Erkenntnisse vorliegen, dass Argumente vorgebracht werden, die darauf schließen lassen, dass das Gericht den Angeklagten für schuldig hält.1 Recht auf Aussageverweigerung Obwohl in Artikel 6 der Konvention nicht eigens erwähnt, sind das Recht auf Aussageverweigerung und das Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, allgemein anerkannte internationale Normen, die dem Begriff eines fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 zugrunde liegen.2 Artikel 6 Absatz 3c EMRK – Recht auf Verteidigung Jeder Angeklagte hat als allgemeinen Grundsatz ausgehend vom Begriff einer fairen Verhandlung das Recht, bei der Verhandlung in erster Instanz zugegen zu sein. Die persönliche Anwesenheit des Angeklagten ist jedoch nicht zwangsläufig von derselben Bedeutung für ein Berufungsverfahren.3 B. ÜBERBLICK ÜBER DIE DERZEITIGE LAGE – Unschuldsvermutung In Frankreich billigte der Senat im Mai 2000 ein neues Gesetz über den „Schutz der Unschuldsvermutung und der Rechte von Opfern“. Anwälte können ihre Klienten innerhalb der ersten Stunde des Polizeigewahrsams besuchen und wieder in der 20. und der 36. Stunde (obwohl diese Maßnahmen nicht terroristischer Verbrechen oder Rauschgifthandels verdächtigter Personen betreffen). Entscheidungen über Untersuchungshaft werden getroffen von einem Richter für Grundfreiheiten, und die Länge des richterlichen Untersuchungszeitraums soll begrenzt werden. Die Organisation „Fair Trial Abroad“ betont in ihrem Jahresbericht 1999/2000 die fehlende Beachtung der Grundprinzipien der Unschuldsvermutung in der Europäischen Union, 1 Siehe Allenet de Ribemont gegen Frankreich, Urteil vom 10. Februar 1995, Nr. 15175/89, § 35 Siehe Heaney und McGuiness gegen Irland, Urteil vom 21. Dezember 2000, Nr. 34720/97, § 40; Quinn gegen Irland, Urteil vom 21. Dezember 2000, Nr. 36887/97, § 40 3 Siehe Josef Prinz von Österreich, Urteil vom 8. Februar 2000, Nr. 2386/94, § 34; Michael Edward Cooke gegen Österreich, Urteil vom 8. Februar 2000, Nr. 25878/94, § 35 2 PE 302.216 DE 124/135 RR\443621DE.doc wodurch die Gefahr von Fehlurteilen entstehe. Bezüglich des Terrorismusgesetzes 2000 im Vereinigten Königreich bekundet Amnesty International Besorgnis angesichts der Verlagerung der Beweislast von der Anklage auf den Beschuldigten, der seine Unschuld gemäß verschiedener gesetzlicher Bestimmungen beweisen muss, womit das Recht auf Unschuldsvermutung unterlaufen wird. In zwei Fällen (Debboub gegen Frankreich und P.B. gegen Frankreich)1 wurde Frankreich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention aufgrund übermäßiger U-Haft-Länge verurteilt, da in beiden Fällen die U-Haft vor der Verurteilung länger als 4 Jahre betrug. Auch Italien wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Verstoßes gegen die Konvention für schuldig befunden aufgrund der Länge einer Untersuchungshaft (Vaccaro gegen Italien2), nämlich vier Jahre und acht Monate3. Eine übermäßig lange Untersuchungshaft vor der Verurteilungsphase ist eine gravierende Beeinträchtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung. – Recht auf Aussageverweigerung Amnesty International hat Bedenken geäußert im Hinblick auf die in Nordirland, England und Wales geltenden Rechtsvorschriften, da dort das Recht auf Aussageverweigerung sowohl im Vorverhandlungs- als auch im Verhandlungsstadium nicht geschützt werde und unter anderem die Aussageverweigerung als Erhärtung sonstiger Beweise gegen den Angeklagten zugelassen werde. Irland wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zweimal verurteilt wegen Verstoßes gegen das Recht auf Aussageverweigerung, das durch das Recht auf faire Verhandlung gewährleistet ist. – Recht auf Verteidigung Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass das Vereinigte Königreich im Jahre 2000 zweimal das Recht auf Rechtsbeistand missachtet hat, indem dem Angeklagten nicht der Beistand eines Anwalts bereits zu Beginn der polizeilichen Vernehmung eingeräumt wurde, wodurch die Rechte des Angeklagten auf Verteidigung beschnitten wurden.4 1 Debboub alias Husseini Ali gegen Frankreich, Urteil vom 9. November 1999, Nr. 37786/97, P.B. gegen Frankreich, Urteil 1 vom August 2000, Nr. 3878/97 2 Vaccaro gegen Italien, Urteil vom 16. November 2000, Nr. 41852/98 3 In Italien wartet etwa die Hälfte aller Häftlinge auf ein Urteil, und im Jahre 2000 wurden 1 208 vom Kassationshof ausgestellte Zahlungsermächtigungen für die Entschädigung zu Unrecht in Untersuchungshaft genommener Bürger in Höhe von 27. Mrd. Lire – in doppelter Höhe wie im Vorjahr – registriert. 4 Averill gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 6. Juni 2000, Nr. 36408/97¸Magee gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 6. Juni 2000, Nr. 28135/95 RR\443621DE.doc 125/135 PE 302.216 DE ANNEXE I LISTE DES ABRÉVIATIONS AI BEUC BIT CEDH CES CJCE CPT ECAS ECPAT ECRE ECRI ENAR ESB EST EUMC FI.ACAT FIDH OCDE ONU OIT PECO PIB UE Amnesty International Bureau Européen des Unions de Consommateurs Bureau International du Travail Convention Européenne des Droits de l'Homme Confédération européenne des syndicats Cour de Justice des Communautés Européennes Comité européen pour la Prévention de la torture (Conseil de l'Europe) European Citizens action service End Child Pornography and Trafficking European Council of Refugees and exiles European Comittee against Racism and Intolerance (Conseil de l'Europe) European network against racism Encéphalopathie Spongiforme Bovine Encéphalopathie Spongiforme Transmissible European Union Monitoring Center Observatoire européen des phénomènes racistes et xénophobes Fédération internationale, Action des Chrétiens contre la torture Fédération Internationale des Droits de l'Homme Organisation de Coopération et de Développement Organisation des Nations-Unies Organisation Internationale du Travail Pays d'Europe Centrale et Orientale Produit Intérieur Brut Union Européenne ETATS MEMBRES DE L'UNION EUROPEENNE A B D DK ESP FIN F GR I IRL L NL P SV UK PE 302.216 DE AUTRICHE BELGIQUE ALLEMAGNE DANEMARK ESPAGNE FINLANDE FRANCE GRECE ITALIE IRLANDE LUXEMBOURG PAYS-BAS PORTUGAL SUEDE ROYAUME-UNI 126/135 RR\443621DE.doc ANNEXE II LISTE DES RAPPORTS UTILISES Rapports annuels 2000 et 2001 d'Amnesty International Rapport (janvier 2000 – janvier 2001) de la Fédération internationale des Droits de l'Homme (FIDH) 9ème et 10ème rapports généraux du Comité Européen de Prévention Contre la Torture (CEPT) Rapports Nationaux établis par le Comité de Prévention Contre la Torture (CPT) Rapport de la FI. ACAT (2000) Rapport de l'ONG "Santé mentale en Europe" (2000) "Livre Blanc sur la Protection des patients involontaires internés dans un hôpital psychiatrique" du Comité de bioéthique du Conseil de l'Europe (2000) Rapport du Lobby européen des Femmes "Beijing + 5, Regional Alternative Report for the European Union" Rapport de Save the Children: "Towards an EU Human Rights, Agenda for Children" (2000) Rapport de "End Child Prostitution and Trafficking (ECPAT): "En préparant demain 1999-2000", Article Premier (qui regroupe plusieurs ONG et associations, Amnesty International, Reporters Sans Frontière réseau les femmes et Le Comité Contre l'Esclavage Moderne): "Nice 2000, Les Droits Fondamentaux en Europe" Projet de rapport sur "L'esclavage domestique" de la Commission sur l'égalité des chances pour les femmes et les hommes de l’Assembée Parlementaire du Conseil de l'Europe (2000) Rapport sur "l'Exercice du droit à l'objection de conscience au service militaire dans les Etats membres du Conseil de l'Europe", Commission des questions juridiques et des Droits de l'homme du Conseil de l'Europe, doc 8809, du 13 juillet 2000 Rapports par Etats membres de l'ECRI Les résultats de l'Eurobaromètre (2000) présenté par l'Observatoire européen de phénomènes racistes et xénophobes Rapport (2000 portant sur l'année 1999) de l'Observatoire européen des phénomènes racistes et xénophobes et réponses du réseau RAREN Rapports conçus pour le suivi de la Convention Cadre sur les Minorités nationales (Conseil de l'Europe) Rapport du CERD (1999) et de "European Roma Rights Center" Rapport du European Roma Rights Center "Racial Segregation of Roma in Italy", Campland Rapport Human Right Watch 2001 Rapport Associés de ILGA, Mobility International, United for Intercultural Action (19992000) Rapport concernant "La mise en lumière des écarts entre les salaires masculins et féminins" du Ministère de l'Industrie et du Commerce, Suède (2000) Rapport concernant "Le Droit de visite des enfants en Europe" préparé par la Direction des Affaires Juridiques, Comité d'experts sur le Droit de la Famille (CJ-FA) (Conseil de RR\443621DE.doc 127/135 PE 302.216 DE l'Europe) The European Blind Union Commission for Liaising with the EU (2001) "European Union of the Deaf", Rapport Annuel (1999-2000) Rapports "Cycles XV.1 et XV.2" effectués par le Comité des droits sociaux du Conseil de l'Europe Rapport 2000 de la Fondation européenne pour les conditions de vie et de travail de Dublin Rapport ADT Quart Monde, Actes de la 6ème session européenne des Universités populaires, Quart Monde, 28 mai 1999 Rapport du Comité de Liaison européen pour le logement (CECODHAS) Rapport du BEUC relatif au Livre Blanc de la Commission Européenne sur "La sécurité Alimentaire" (2001) Rapports périodiques de l'ECAS ECRE, rapports nationaux 1999 Rapport 2000 du Médiateur européen Rapport "El Ejido : Terre de non droit", Comité européen de défense des Réfugiés et Immigrés PE 302.216 DE 128/135 RR\443621DE.doc ANNEXE III LISTE DES ENTRETIENS du RAPPORTEUR CONSEIL DE L'EUROPE M. Régis BRILLAT, Secrétaire exécutif de la Charte sociale européenne M. CASTENETTO, Directeur des services de la séance, Assemblée parlementaire Mme Danielle COIN, Secrétaire de la commission des questions juridiques et des droits de l'homme M. Guy DE VEL, Directeur des Affaires juridiques M. Andrew DRZEMCZEWSKI, Chef du Service du Monitoring auprès du Comité des Ministres Mme Isil GACHET, Secrétaire exécutif de l'ECRI M. GIL–ROBLES, Commissaire aux droits de l'homme M. Hanno HARTIG, Chef du Service Médias et Egalité M. Pierre–Henri IMBERT, Directeur général des droits de l'homme M. John MURRAY, Coordinateur pour les Roms M. STEKETEE, Secrétaire exécutif de la Convention sur la protection des minorités M. STEVENS, Secrétaire exécutif du Comité pour la Prévention de la Torture SECRETARIAT du CONSEIL DES MINISTRES DE L'UE M. Jean–Pierre JACQUE, Directeur du Service juridique MÉDIATEUR EUROPÉEN M. Jacob SÖDERMANN OBSERVATOIRE EUROPEEN DES PHENOMENES RACISTES ET XENOPHOBES M. Peter FLEISSNER, Chef du Département Recherches et Réseaux UNHCR M. Johannes VAN DER KLAUW, Senior European Affairs Office ONG EUROPEENNES Amnesty International Europe, M. Dick OOSTING, Directeur FIDH, Mme Isabelle BRACHET Human Rights Watch, M. Léon PEIJNENBURG RR\443621DE.doc 129/135 PE 302.216 DE FI.ACAT, Mme MOHEDANO IFAS (Institute for international assistance and solidarity), M. Gerd GREUNE, Président FAIR TRIAL, M. JACOBI ATD QUART MONDE, M. Olivier GERHARD Je tiens à remercier vivement de leur collaboration toutes les personnes rencontrées à l'occasion de la préparation de ce rapport et plus particulièrement pour leur aide, M. Claude BRULANT, Administrateur principal, Melles Valérie MIGUERES et Iris KUNTNER, stagiaires au Parlement européen ainsi que mes collaborateurs, Mme Catherine SALLIER et M. Vincent ARTIS. PE 302.216 DE 130/135 RR\443621DE.doc ENTSCHLIESSUNGSANTRAG – B5-0034/2001 Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments eingereicht gemäß Artikel 48 der Geschäftsordnung von Bart Staes, Jillian Evans, Gorka Knörr Borràs, Nelly Maes, Carlos Bautista Ojeda, Ian Stewart Hudghton, Camilo Nogueira Román, Neil MacCormick, Josu Ortuondo Larrea und Eurig Wyn zum Schutz und zur direkten politischen Vertretung der sprachlichen Minderheiten der Region mit Sonderstatut Friaul–Julisch Venetien Das Europäische Parlament, A. in der Erwägung, dass die slowenischen, friaulischen und deutschsprachigen ethnischen und sprachlichen Gemeinschaften und Minderheiten, die in der Region mit Sonderstatut Friaul–Julisch Venetien leben, auf europäischer, italienischer und regionaler Ebene anerkannt sind, B. in der Erwägung, dass der Regionalausschuss (Junta) der autonomen Region Friaul– Julisch Venetien vor kurzem ein Wahlgesetz erlassen hat, das eine Sperrklausel von 5% auf Provinzebene vorsieht, C. in der Erwägung, dass das vom Regionalausschuss der Region Friaul–Julisch Venetien vorgeschlagene Gesetz – wie jedes andere Gesetz zur Anwendung des Mehrheitswahlsystems oder von Sperrklauseln – faktisch die direkte politische Vertretung der slowenischen, friaulischen und deutschsprachigen ethnischen und sprachlichen Minderheiten verhindert, D. in der Erwägung, dass zur Gewährleistung einer größtmöglichen direkten politischen Vertretung aller ethnischen und sprachlichen Gemeinschaften andere autonome Regionen in Italien wie Aostatal und Trentino–Südtirol ein Wahlgesetz zur Einführung eines reinen Verhältniswahlsystems angenommen haben, 1. fordert den Regionalausschuss der Region Friaul–Julisch Venetien auf, die Sperrklausel von 5% auf Provinzebene aus dem Wahlgesetz herauszunehmen und das bereits in anderen Regionen mit Sonderstatut wie Trentino–Südtirol und Aostatal geltende reine Verhältniswahlsystem anzuwenden. RR\443621DE.doc 131/135 PE 302.216 DE 2. Mai 2001 STELLUNGNAHME DES PETITIONSAUSSCHUSSES für den Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten zum Bericht über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000) (2000/2231(INI)) Verfasserin der Stellungnahme: Laura González Álvarez VERFAHREN In seiner Sitzung vom 6. März 2001 benannte der Petitionsausschuss Laura González Álvarez als Verfasserin der Stellungnahme. Der Ausschuss prüfte den Entwurf einer Stellungnahme in seinen Sitzungen vom 22. März, 10./11. April und 26. April 2001. In der letztgenannten Sitzung nahm er die nachstehenden Schlussfolgerungen mit 10 Stimmen und 1 Enthaltung an. Bei der Abstimmung waren anwesend: Roy Perry, stellvertretender Vorsitzender und amtierender Vorsitzender; Laura González Álvarez, Verfasserin der Stellungnahme; Mary Elizabeth Banotti, Felipe Camisón Asensio, Margot Keßler, Ioannis Koukiadis, Jean Lambert, Hans–Peter Mayer, Christian Ulrik von Boetticher, Rainer Wieland und Eurig Wyn. PE 302.216 DE 132/135 RR\443621DE.doc KURZE BEGRÜNDUNG I. EINLEITUNG Der Petitionsausschuss begrüßt, dass der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten im Anschluss an den „endgültigen Entwurf des EU– Jahresberichts zur Menschenrechtslage 1999-2000“ einen detaillierten Bericht ausgearbeitet hat. 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, ergänzt durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Bedeutung der Menschenrechte in der Europäischen Union ist in den Verträgen anerkannt, in denen es heißt, dass die Union die Grundrechte achtet, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten ergeben. Seit 1993 arbeitet der Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger jährlich einen Bericht über die „Menschenrechtslage in der Union“ aus. Die in Nizza „feierlich verkündete“ Charta der Grundrechte ist Ergebnis der Debatten eines Konvents, in dem die nationalen Parlamente, das Europäische Parlament und die Staats- und Regierungschefs vertreten waren, und zielt darauf ab, der Union eine stärkere politische Identität zu verleihen. II. ANMERKUNGEN Der Petitionsausschuss begrüßt die von der EU in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und in der Menschenrechtskommission eingenommene Haltung gegen die Todesstrafe unter allen Umständen, ihr Eintreten für den Schutz der Rechte des Kindes, der Rechte der Frau und der Rechte von Vertriebenen und Flüchtlingen sowie ihr Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. 1. Gleichwohl ist der Petitionsausschuss erstaunt darüber, dass ein 165 Seiten starkes Dokument dem Parlament in Form eines „endgültigen Entwurfs“ vorgelegt wird. Darüber hinaus erscheint ihm kritikwürdig, dass dieses Dokument keinerlei Schlussfolgerungen hinsichtlich der Menschenrechtslage in der Europäischen Union bzw. hinsichtlich der Maßnahmen der Europäischen Union auf der Weltbühne enthält. Es wäre zu wünschen, dass sich dieser Bericht in Zukunft stärker auf Tatsachen stützt und auch Schlussfolgerungen für Aktionslinien der Organe der Europäischen Union zur Verwirklichung der Grundrechte enthält. 2. Für den Petitionsausschuss finden die Menschenrechte konkreten Ausdruck in den Petitionen. Das Petitionsrecht ist in Artikel 44 der Grundrechtecharta der RR\443621DE.doc 133/135 PE 302.216 DE Europäischen Union verankert und wird gemäß Artikel 21 und 194 des EG-Vertrags sowie Artikel 174 bis 176 der Geschäftsordnung des Parlaments vor dem Europäischen Parlament wahrgenommen. Die in den Jahresberichten des Petitionsausschusses aufgeführten Petitionen1 geben einen kleinen Einblick in Bereiche des Gemeinschaftsrechts, in denen auch die Verwirklichung der Grundrechte auf Hindernisse oder Bürokratismus in den Mitgliedstaaten der Union stößt. Der Rat der Europäischen Union wäre besser über die Menschenrechtslage im Alltagsleben der Bürger bzw. der in der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Personen informiert, wenn er dafür Sorge tragen würde, dass er in den Sitzungen des Petitionsausschusses auf einer mehr politischen als rein administrativen Ebene vertreten ist. 3. Überdies müsste, wenn die künftige belgische Ratspräsidentschaft den einzelnen parlamentarischen Ausschüssen ihren turnusmäßigen Besuch abstattet, das für die Fragen des Bürgers als Petenten zuständige Mitglied mit dem Petitionsausschuss in Dialog treten. Dieser würde dann bei dieser Gelegenheit die Probleme ansprechen, die sich konkret für die Verwirklichung der Menschenrechte stellen, und zwar unter Bezugnahme auf für zulässig erklärte Petitionen. So wüsste das Generalsekretariat des Rates in Zukunft, dass für die praktische Umsetzung der Grundrechte der Petitionsausschuss das Organ ist, welches das Parlament zu diesem Zweck eingesetzt hat, und er würde es in diesem Zusammenhang auch zitieren, was er in diesem „endgültigen Entwurf des Jahresberichts“ unterlassen hat (siehe S. 10 des Dokuments 11317/2000). 4. Der Petitionsausschuss begrüßt, dass die Grundrechtecharta der Europäischen Union auf der Tagung des Europäischen Rates von Nizza am 7. und 8. Dezember 2000 feierlich proklamiert wurde. Diese Charta – man kann dies bedauern – hat zwar keine Rechtskraft, jedoch das Gewicht einer gemeinsamen Erklärung an die Institutionen. Daher werden die Petenten, die eine Menschenrechtsverletzung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 geltend machen, vom Petitionsausschuss gebeten, sich direkt an die zuständigen Stellen des Europarats, insbesondere den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zu wenden. SCHLUSSFOLGERUNGEN Der Petitionsausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, folgende Punkte in seinen Entschließungsantrag zu übernehmen: 1 Angenommen am 6. Juli 2000 PE 302.216 DE 134/135 RR\443621DE.doc 1. besteht darauf, dass dieser Jahresbericht künftig dem Parlament nicht in Form eines „endgültigen Entwurfs“, sondern als vom Rat angenommener endgültiger Text vorgelegt wird; 2. unterstützt den Grundsatz der Unteilbarkeit der Menschenrechte, der im Dokument 11317/00 „EU–Jahresbericht zur Menschenrechtslage 1999/2000“ anerkannt wird; 3. hält es für erforderlich, dass im EU–Jahresbericht über die Menschenrechtslage in Zukunft Schlussfolgerungen und Aktionslinien enthalten sind, zu denen das Parlament Stellung nehmen kann; 4. fordert nachdrücklich, dass der Rat in den Sitzungen des Petitionsausschusses auf einer mehr politischen als administrativen Ebene vertreten ist, um dieses Organ für die Probleme zu sensibilisieren, mit denen die Verwirklichung der Menschenrechte in der Europäischen Union konfrontiert ist; 5. hält es für nützlich, dass das für die Anliegen der Bürger als Petenten zuständige Mitglied der künftigen belgischen Ratspräsidentschaft bei seinem turnusmäßigen Besuch in den verschiedenen parlamentarischen Ausschüssen zu einer Aussprache über die für zulässig erklärten Petitionen bereit ist, insbesondere diejenigen, die die Verwirklichung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union berühren. RR\443621DE.doc 135/135 PE 302.216 DE