An welchen rechtsstaatlichen Fehlleistungen sind weite Bereiche

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An welchen rechtsstaatlichen Fehlleistungen sind weite Bereiche der
wiedergutmachungsrechtlichen Aufarbeitung des SED-Unrechts systematisch
gescheitert? - Teil 6: Der rechtsstaatswidrige Beitrag der Bundesministerien der
Finanzen und der Justiz sowie Defizite bei der Aufarbeitung durch die
zeithistorische Forschung
Von Rechtsanwalt Dr. JOHANNES
ALBRRECHT KEMPE, Leipzig
WASMUTH,
München,
und
JULIUS
I. Einleitung
Soweit in den bisherigen Beiträgen dieser Aufsatzserie nachgewiesen wurde, daß den
Opfern der nach dem Muster der stalinistischen Säuberungen und unter krassem
Mißbrauch eines repressiven Entnazifizierungsinstrumentariums durchgeführten
Verfolgungen im Rahmen der Aktionen der sog. “Boden- und Wirtschaftsreform”1
flächendeckend
der
ihnen
gesetzlich
zustehende
strafrechtliche
Rehabilitierungsanspruch verwehrt worden ist, weil die Fachgerichte sowohl den
Verfolgungssachverhalt nicht ermittelt als auch die Reichweite des geltenden
Rehabilitierungsrechts grob verkannt haben,2 soll nunmehr zunächst dargestellt
werden, inwieweit dieses rechtsstaatliche Versagen auf gezielte Einflußnahmen
insbesondere durch die Bundesministerien der Jusitz und der Finanzen zurückzuführen
ist.
Im übrigen sind die offenkundig gewordenen Fehlleistungen der Rechtsprechung auch
darauf zurückzuführen, daß das Bewußtsein für das vom SED-Regime zu
verantwortende Unrecht fehlt. Bekannt und geächtet sind der Mauerbau, der Aufstand
vom 17. Juni 1953 und die Überwachungsmechanismen des Ministeriums für
Staatssicherheit. Daß damit bei weitem nicht das schlimmste, in SBZ und DDR verübte
Unrecht erfaßt wird, ist dagegen weitgehend unbekannt. Insbesondere die krassen
Verfolgungsaktionen während der stalinistischen Machtokupation und -sicherung in
SBZ und DDR werden regelmäßig schon deshalb verkannt, weil das tatsächliche
Unrechtsgeschehen der “Klassenliquidation”3 unzulässig fragmentiert und damit grob
verharmlost wird. Vor diesem Hintergrund soll zusätzlich auf die zu beobachtenden
Unzulänglichkeiten der zeithistorischen Forschung zu den Komplexen der “Boden- und
Wirtschaftsreform” eingegangen werden.
II. Einflußnahme der Bundesministerien der Justiz und der Finanzen
1
Vgl. dazu nur: Wasmuth/Kempe, ZOV 2011, 240 (241ff.); des weiteren: Wasmuth/Kempe, ZOV 2008,
232ff. (zur Wirtschaftsreform); dies., ZOV 2009, 8ff. (zur Boden- und Wirtschaftsreform); Wasmuth, ZOV
2010, 3ff.; ders., ZOV 2010, 216ff., ders., ZOV 2010, 283ff. (jeweils zur Bodenreform); ders., ZOV 2010,
290ff. (zur Wirtschaftsreform in Ostberlin).
2 Vgl. näher Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238ff.
3 Vgl. dazu nur die eingehenden Feststellung des BVerfG: BVerfGE 5, 85 (147ff.).
r
2
Die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen haben nach Erlaß des Rechts der
offenen Vermögensfragen und des Rehabiliterungsrechts zunächst untergeordnete
Bundesbehörden und Landesbehörden geschult. Sie haben die Rechtsanwendung
zudem mit Richtlinien, Rundschreiben, Merkblättern und durch Mitarbeiter verfaßte
Beiträge in juristischen Fachzeitschriften begleitet. Wesentlicher aber noch ist die
irreführende Prozeßbegleitung in für die Rechtsentwicklung zentralen Verfahren
insbesondere vor dem BVerfG und dem BVerwG. Daneben sind Stellungnahmen des
Bundesministeriums der Justiz gegenüber dem Deutschen Bundestag und seinem
Petitionsausschuß zu erwähnen. Anhand dieser Maßnahmen läßt sich zeigen, daß die
den Fakten widersprechende systematische Verharmlosung des geschehenen Unrechts,
die unzulässige Berufung auf eine Rehabilitierung vermeintlich ausschließende
“Vorbedingungen” von UdSSR und DDR und die grundlegende Verkennung des
maßgeblichen Rehabilitierungsrechts und seiner Abgrenzung zum Recht der offenen
Vermögensfragen durch die Fachgerichte primär darauf zurückzuführen ist, daß sie
unkritisch und ohne die von unabhängigen Gerichten zu erwartende Prüfung dem
gezielt irreführenden und grob unzutreffenden, gleichwohl offiziös vermittelten
Parteivortrag der Bundesministerien gefolgt sind.
1. Bloße Umgestaltung der Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich statt
krasse politische Verfolgung
Was die Verfolgungsakte der “Boden- und Wirtschaftsreform” tatsächlich waren, ist in
dieser Beitragsserie und in diversen anderen Beiträgen beschrieben worden:4 Es
handelte sich um einen systematischen, der Ideologie des kommunistischen
Antifaschismus verhafteten, krassen Mißbrauch von häufig nicht einmal
veröffentlichten Strafvorschriften zur Entnazifizierung. Dabei wurde jeder einzelne
Betroffene von den ausschließlich nach dem Muster der stalinistischen Säuberungen
agierenden Kommissionen mit unterschiedlichen Vorwürfen als Kriegs- und
Naziverbrecher beschuldigt. Die Beschuldigung traf nicht sämtliche Angeklagten. Die
Rate der Freisprüche lag im Rahmen der “Wirtschaftsreform” anfangs sogar bei etwa 50
%. Daß sie durch wenig später initiierte Nacherfassungen verringert wurde, steht dem
individuellen Verfolgungscharakter des stalinistischen Terrors nicht entgegen, sondern
bestätigt ihn. In den Kommissionen, die stets SED-dominiert waren, saßen Mitglieder
der antifaschistischen Blockparteien und anderen Organisationen. Die Verfahren
erfolgten ohne Beteiligung der Betroffenen. Eine Ermittlung des Anklagematerials
unterblieb. Vielmehr wurden die Fakten der Anklage als wahr unterstellt. Die
Entscheidungen wurden in Sammelprotokollen kusorisch zusammengefaßt und dem
Regierungskabinett oder - in Ostberlin - dem Magistrat zur abschließenden
Entscheidung vorgelegt. Lediglich bei Landwirten mit Höfen über 100 ha war der
Mißbrauch noch krasser. Sie galten bereits kraft Gesetzes als Mitglieder der Bande der
“Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande... und einer der
Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker.” Ihnen
wurde also ohne Prüfung im Einzelfall eine nach stalinistischem Sprachgebrauch
4
Vgl. dazu die Nachweise in Rn. 1.
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typische Schuld als Kriegs- und Naziverbrecher kraft Gesetzes unterstellt. Nur in
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen konnten die Betroffenen im Rahmen eines
Einspruchs ihre Unschuld als antifaschistische Kämpfer nachweisen und galten dann
nicht als Kriegs- und Naziverbrecher, weshalb ihnen ein Resthof belassen wurde.5
Die an den Schuldspruch durch die Kommissionen oder kraft Gesetzes angeknüpften
Sanktionen waren tiefgreifend: Entziehung des Betriebs- und Privatvermögens,6
Berufsverbot, Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, öffentlicher Tadel
und Vertreibung von Haus und Hof. Damit nicht genug: Nur weil die deutschen
Organe bis August 1947 noch nicht berechtigt waren, Kriegs- und Naziverbrecher zu
verhaften und zu internieren, verhängten diese Maßnahmen noch sowjetische Organe,
die ihrerseits die Verhaftungen nach Mitteilung der Verurteilung durch die deutschen
Kommissionen vornahmen. Umgekehrt wurden vom NKWD verhaftete Unternehmer
und Landwirte den deutschen Verfolgungsorganen mitgeteilt, was Ziff. 1 lit. f SMADBefehl Nr. 124 ausdrücklich vorgeschrieben hat. Es bestand daher stets ein unmittelbarer
Zusammenhang bei der Verfolgung durch deutsche und sowjetische Organe.
In der Darstellung des Bundesministeriums der Justiz lesen sich die Vorgänge allerdings
völlig anders, was hier nur an wenigen Beispielen demonstriert werden kann. Darauf
beruht zunächst das Bodenreformurteil des BVerfG, das den von der Bundesregierung
vorgetragenen Sachverhalt wiedergibt. Dort ist ausschließlich die Rede von einer
wirtschaftlichen Umgestaltung der Eigentumsordnung, wonach der mit der
“Bodenreform” entzogene Grundbesitz privater Landwirte in einen Bodenfonds
überführt worden sei, der teilweise der Versorgung von landlosen oder landarmen
Bauern, Landarbeitern, Flüchtlingen und Umsiedlern mit kleinen Bodenflächen gedient
habe.7 Im Bereich der “Wirtschaftsreform” geht das BVerfG auf den SMAD-Befehl Nr.
124 ein, der lediglich vorläufige Sicherungsmaßnahmen, nicht aber die durchgeführte
Verfolgung regelte. Im übrigen wird für Sachsen auf das Enteignungsgesetz vom
5.6.1946 (GVBl. Sachsen, S. 305) Bezug genommen. Auf das eigentliche
Unrechtsgeschehen (willkürliche Beschuldigung als Kriegs- und Naziverbrecher, kraß
rechtsstaatswidrige Strafverfahren, diverse einschneidende Sanktionen auch nicht
vermögensrechtlicher Natur mit der Zielrichtung der Ausschaltung und Ausrottung
verhaßter Klassen, die als Feinde behandelt wurden) wird dagegen nicht eingegangen.
Dementsprechend hat der damalige Bundesminister der Justiz Klaus Kinkel (FDP) in
der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des BVerfG vom 22.1.1991 wörtlich
u.a. vorgetragen: “Die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 sind Teil eines
vielschichtigen Komplexes von Kriegs- und Besatzungsfolgen. Eine Befriedigung daraus
sich ergebender Ansprüche kann notwendig nur nach dem Maß des Möglichen
5
In den anderen Ländern hat es allenfalls einzelne Fällen Gnadenerweise gegeben.
Im Rahmen der “Bodenreform” erstreckte sich die Vermögenseinziehung auch ohne ausdrückliche
gesetzliche Bestimmung auf “ das gesamte Vermögen einschließlich der beweglichen Habe mit
Ausnahme der unpfändbaren Gegenstände” (Fieberg/Reichenbach, in: dies., VermG, 1991 [Grundwerk], §
1, Rn. 139ff.).
7 BVerfGE 84, 90 (97).
6
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erfolgen. Dabei sind vor allem die Auswirkungen auf das gesamte, in sich ausgewogene
System der Kriegsfolgen-, Kriegsschäden- und Lastenausgleichsgesetzgebung zu
berücksichtigen. .... Der Gesetzgeber hat dabei aus Gleichbehandlungsgründen die ihm
zustehenden Gestaltungsfreiheit dahin ausgeübt, einheitlich auf der Grundlage
steuerlicher Einheitswerte zu entschädigen. Dies betraf die Reparationsschäden, die
Vertreibungsschäden, die Kriegsschäden einschließlich der Plünderungsschäden durch
Besatzungsmächte wie auch die Ostschäden und die Wegnahmeschäden in der
ehemaligen sowjetischen Besatzungsschäden, zu denen auch die Schäden infolge der
Bodenreform gehören.”8 Jeder Hinweis darauf, daß Wegnahmeschäden in der SBZ nicht
nur Enteignungen, sondern auch spezifisch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen u.a.
mit der Sanktion der Vermögenseinziehung waren, die nach Ziff. 9 GemErkl. zu
rehabilitieren sind und nicht von Ziff. 1 GemErkl. erfaßt werden, hat Kinkel gezielt
verschwiegen. Vielmehr werden sämtliche Wegnahmen undifferenziert und
unabhängig von ihrem tatsächlichen Unrechtsgehalt als bloßes Enteignungsunrecht
dargestellt. Damit stellt Kinkel jedenfalls die repressiven Verfolgungsakte der “Bodenund Wirtschaftsreform” sachverhaltlich gezielt falsch dar. Ähnlich verfälschend hatte
das Bundesministerium der Justiz auch durch seinen Verfahrensbevollmächtigten Prof.
Dr. Fritz Ossenbühl vortragen lassen: “Wie der Rechtsstaat mit einer vorrechtsstaatlichen Vergangenheit umzugehen hat, ist kein Problem, das sich auf den
Entzug von Eigentum beschränkt und auch nicht allein die Enteignungen der Jahre 1945
bis 1949 in der SBZ/DDR betrifft. Die genannten Enteignungen sind Bestandteil eines
vielschichtigen
Komplexes
von
Kriegsfolgen,
zu
denen
persönliche
Freiheitsentziehungen ebenso gehören wie die Vertreibung von Millionen deutscher
Staatsbürger aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze, denen Ersatz nur nach
den Regeln des Lastenausgleichs gewährt worden ist..”9
Nachdem das Bodenreformurteil des BVerfG mit diesen unzutreffenden, weil das
tatsächliche Verfolgungsgeschehen nicht erfassende Sachverhaltsschilderungen erlassen
war, haben die Fachgerichte im Grundsatz durchgängig unterstellt, daß “Boden- und
Wirtschaftsreform” nur Enteignungsmaßnahmen zum Zweck der Umgestaltung der
Eigentumsordnung im landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich dargestellt
haben. Sie wurden deshalb auch nur im Vermögens- und Ausgleichsleistungsgesetz,
nicht aber in den Rehabilitierungsgesetzen verortet. Damit ist ein praktisch
flächendeckender Ermittlungsausfall der Fachgerichte zu den individuellen
Verfolgungen der Betroffenen als Kriegs- und Naziverbrecher, zum krassen,
systematisch betriebenen Mißbrauch eines strafrechtlichen Instrumentariums nach dem
Muster der stalinistischen Säuberungen und zum Zusammenwirken eines komplexen
deutschrechtlichen Sanktionensystems mit Internierungen und Vertreibungen durch
den NKWD in erster Linie darauf zurückzuführen, daß das Bundesministerium der
Justiz das BVerfG grob verharmlosend und im Wesentlichen unzutreffend über den
Verfolgungssachverhalt unterrichtet hat.
8
Plädoyer des Bundesministers der Justiz Dr. Klaus Kinkel vor dem BVerfG in Karlsruhe am 22. Januar
1991, in: Recht. Eine Information des Bundesministers der Justiz Nr. 2/1991 v. 22.1.1991, S. 10f.
9 Schriftsatz von Prof. Dr. Fritz Ossenbühl vom 20.12.1990 in den Verfahren 1 BvR 1170/90 u.a., S. 20.
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5
Natürlich hätten die Fachgerichte niemals auf die bloßen Sachverhaltsmitteilungen im
Bodenreformurteil des BVerfG rekurrieren dürfen. Das BVerfG ist kein
Tatsachengericht. Es nimmt daher grundsätzlich keine eigenständige Ermittlung des
verfassungsrechtlich zu beurteilenden Sachverhalts vor, sondern legt den Sachvortrag
der Verfahrensbeteiligten zugrunde. Damit haben die Sachverhaltsschilderungen im
Bodenreformurteil die Fachgerichte nicht von ihrer gesetzlichen Verpflichtung
entbunden, den tatsächlichen Verfolgungssachverhalt im einzelnen zu ermitteln. 10 Die
häufigen Verweisungen der Fachgerichte auf das Bodenreformurteil und die wiederholt
geäußerte Rechtsauffassung, daran gar nach § 31 BVerfGG gebunden zu sein, belegen,
daß
sie
die
unzutreffende,
von
der
Bundesregierung
verbreitete
Sachverhaltsschilderung trotz des gesetzlich angeordneten Untersuchungsgrundsatzes
ungeprüft und praktisch ohne eigenständige Ermittlung übernommen haben.
Dieses Versagen der Fachgerichte ist im übrigen auch darauf zurückzuführen, daß die
Bundesministerien der Justiz und der Finanzen das individuelle Verfolgungsunrecht,
das sich im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” ereignet hat, bis heute in
diversen Stellungnahmen gegenüber Gerichten konsequent und nachhaltig bestritten
haben. So heißt es etwa in der auf ministeriellen Absprachen beruhenden
Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht an
das BVerwG vom 4.2.2002 wörtlich:11 “Auch wenn die Art und Weise der Durchführung
der damaligen Enteignungsmaßnahmen mit den tragenden Grundsätzen eines
Rechtsstaats als schlechthin unvereinbar angesehen werden müssen, diente die den
Rechtsvorgänger des Klägers enteignende Maßnahmen nicht in erster Linie und
zielgerichtet seiner politischen Verfolgung oder stellte einen Willkürakt im Einzelfall
dar. ... Bei der Enteignung des Rechtsvorgängers des Klägers (stand) nicht der Eingriff
in die Persönlichkeitssphäre im Vordergrund, sondern der Vermögenseinzug. .... Die
umfassenden Enteignungsmaßnahmen nach 1945 haben zwar auch (generellen)
Verfolgungscharakter, dienten aber nicht der individuellen politischen Verfolgung. Dies
wird schon daran deutlich, daß die Enteignungsmaßnahmen in der SBZ nicht
bestimmten Einzelpersonen oder einer homogenen Personengruppe galten, da sie
unterschiedslos tatsächliche Träger des NS-Regimes wie andererseits Beteiligte am
Aufstand des 20. Juli 1944, ja sogar jüdische Bodenbesitzer genauso trafen wie kleine
Gewerbetreibende und Großindustrielle. Diese Akte waren ungeachtet der offiziellen
,antifaschistisch-demokratischen
Programmatik’
und
taktisch-verbalen
Selbstbeschränkung der Agitation auf das Vermögen von Nationalsozialisten und
Kriegsverbrechern von Anfang an auf die Umgestaltung einer sozialistischen Ordnung
nach sowjetischem Vorbild gerichtet. Ziel war die grundlegende Veränderung der
Eigentumsstruktur.”
Ohne das Zusammenwirken von sowjetischen und deutschen Organen bei der
10
Dies hat auch das BVerfG ausdrücklich unterstrichen; vgl. nur: BVerfGE 94, 12 (32f.).
Schriftsatz des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vom 4.2.2002 - 2 R
153/01 - im Verfahren BVerwG 3 C 15.01, S. 1f.
11
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Verfolgung von Opfern der “Boden- und Wirtschaftsreform” auch nur im Ansatz
untersucht zu haben, heißt es in einem Fall, in dem ein Bodenreformopfer in einem
Speziallager umgekommen war in der Stellungnahme der Verfahrensbevollmächtigten
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem EGMR:12 “Von dieser
gegen die Person des Vaters des Beschwerdeführers gerichteten individuellen
politischen Verfolgungsmaßnahme durch die sowjetische Besatzungsmacht muß die
Enteignungsmaßnahme gegen die Eltern des Beschwerdeführers unterschieden werden.
Diese erfolgte losgelöst und unabhängig von der Inhaftierung des Vaters des
Beschwerdeführers im Rahmen der Umgestaltung der Wirtschaftsordnung in der
sowjetischen Besatzungszone, die auf die Gestaltung einer sozialistischen Planwirtschaft
nach dem Vorbild der Sowjetunion zielte. Es handelt sich dabei um zwei
unterschiedliche Lebenssachverhalte mit daraus folgenden differenzierten rechtlichen
Bewertungen.”
Zuvor liest sich dieselbe Stellungnahme wie folgt: “In der sowjetischen Besatzungszone
wurden nach dem Kriegsende (8. Mai 1945) bis zur Gründung der DDR (7. Oktober
1949) flächendeckende Enteignungen durchgeführt, die Grundlage der Umgestaltung
der Wirtschafts- und Eigentumsordnung nach sowjetischem Vorbild in eine
sozialistische Planwirtschaft waren. Zu nennen sind insbesondere die
Bodenreformenteignungen .... sowie die Industrieenteignungen. Die Bodenreform
erfaßte den Großgrundbesitz, d.h. Flächen mit mehr als 100ha Land, und das Eigentum
solcher Personen, die als Nazi- und Kriegsverbrecher angesehen wurden.
Kennzeichnend war jeweils die Erfassung der zu enteignenden Güter bzw.
Unternehmen in Listen, die nach und nach ,abgearbeitet’ wurden. Parallel bzw. mit
Überschneidungen wurden auch Amtsleiter, führende Mitglieder und einflußreiche
Anhänger der NSDAP unter Bezugnahme auf den Befehl Nr. 124 der Sowjetischen
Militäradministration (SMAD) vom 30. Oktober 1945 enteignet.13 Ganz im Sinne der
stalinistischen Propaganda setzt die Verfahrensbevollmächtigte der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland das Verfolgungsgeschehen der “Bodenreform” der
stalinistischen Machthaber mit einer üblichen Bodenreform gleich, wenn dort
ausgeführt wird: “Vor allem die Bodenreform war ursprünglich ein von den vier
Siegermächten gemeinsam geplantes Vorhaben. Es bezweckte die Entmachtung der
Großgrundbesitzer, die (anfänglich auch von den Westmächten) als die Träger des
Militarismus und Protagonisten der Naziherrschaft angesehen worden waren.
Entsprechendes galt für die Großindustrie. Die USA unterbreiteten im Oktober 1945
dem Alliierten Kontrollrat den Entwurf eines Gesetzes “zur Beschaffung von
Siedlungsland und zur Bodenreform”, aus dem das Gesetz Nr. 48 des Landes Bayern
vom 18. September 1946 hervorging. Im April 1947 beschlossen die vier Außenminister
in Moskau, in ganz Deutschland die Bodenreform bis zum Jahresende zu Ende zu
12
Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom
21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04
Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 15, Rn. 49.
13 Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom
21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04
Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 4, Rn. 13.
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bringen. ... Im übrigen hatte die Forderung nach einer Bodenreform in Deutschland eine
lange Geschichte. Sie war auch Bestandteil des Ahlener Programms vom 3. Februar 1947
der westdeutschen CDU.”14
Auf dieser Linie liegen auch Stellungnahmen des Bundesministeriums der Justiz an den
Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages. Darin heißt es etwa: “Die sog.
demokratische Bodenreform und die Industrieenteignungen zielten auf die
Umverteilung wirtschaftlicher Ressourcen, um eine andere Gesellschaftsordnung im
Sinne der kommunistischen Doktrin zu schaffen. Im Fall der ,Junker und
Großgrundbesitzer’ war nach den Bodenreformverordnungen allein die Größe des
Gutes von über 100 Hektar Voraussetzung für die Enteignungsmaßnahme. Die
umfassenden Enteignungsmaßnahmen nach 1945 hatten zwar auch einen generellen
Verfolgungscharakter, dienten aber nicht der individuellen politischen Verfolgung oder
der bewußten Diskriminierung einer Person gegenüber vergleichbaren Personen in dem
konkreten Lebenszusammenhang. Dies wird schon daran deutlich, daß die
Enteignungsmaßnahmen in der sowjetisch besetzten Zone nicht bestimmten
Einzelpersonen oder homogenen Personengruppen galten, da sie unterschiedslos
tatsächliche Träger des NS-Regimes wie andererseits Beteiligte am Aufstand des 20. Juli
1944, ja sogar jüdische Bodenbesitzer genau so trafen wie kleine Gewerbetreibende und
Großindustrielle.”15 Und weiter heißt dort: “Die pauschale Diffamierung und
Diskriminierung fast aller Bodenreformenteigneten als ,Kriegs- und Naziverbrecher’
war eine bewußte Spielart der kommunistischen Propaganda, nicht zuletzt um die
Akzeptanz der Enteignungen bei der eigenen Bevölkerung zu erhöhen. Mit derartigen
Diskriminierungen einhergehende ,Ansehensverluste’ der Bodenreformopfer sind einer
Rehabilitierung nicht zugänglich und somit nicht gesondert entschädigungsfähig. Es
darf zudem bezweifelt werden, daß ein solcher Ansehensverlust der durch die
Bodenreform Enteigneten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik
Deutschland über die Jahrzehnte vorhanden war oder gar fortdauern kann. In der
öffentlichen Meinungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland ist der
Unrechtscharakter der entschädigungslosen Vermögensentziehungen aus der Zeit
zwischen 1945 und 1949 tief verwurzelt. Soweit es die ehemalige DDR betrifft, dürfte im
Scheitern des dortigen wirtschaftlichen und politischen Systems auch eine
entsprechende Genugtuung für die zu Unrecht diffamierten Opfer der Bodenreform
liegen.”
Daß diese Sachverhaltsdarstellungen, die in ähnlicher Weise in diversen anderen
offiziellen, ministeriellen oder ministeriell gesteuerten Stellungnahmen wiederholt
auftauchen, durchweg unzutreffend sind, liegt auf der Hand: Soweit Maßnahmen der
“Boden- und Wirtschaftsreform” nicht bloße Verstaatlichungsmaßnahmen einzelner
Wirtschaftszweige waren (etwa von Banken und Versicherungen, Energieunternehmen
14
Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom
21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04
Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 6f., Rn. 21f.
15 Schreiben des Bundesministeriums der Justiz an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages
vom 19.2.2008 - IV B 4 - 4250/9d) - 45 1016/2007,
r
8
oder Privateisenbahnen), hat bis 1949 keine flächendeckende Verstaatlichung von
landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben stattgefunden. Der Zugriff selbst auf
Betriebsvermögen war vielmehr allein davon abhängig, daß die den zur
Entnazifizierung berufenen Strafgerichten gesetzlich gleichgestellten Kommissionen im
Einzelfall die Schuld der Betroffenen als Kriegs- und Naziverbrecher festgestellt haben.
War diese Schuld nicht festgestellt worden, erfolgte auch kein Zugriff auf das
Betriebsvermögen. Dies gilt sowohl für Betriebsinhaber der gewerblichen Wirtschaft als
auch für Landwirte mit Höfen unter 100 ha. Ein festgestellter Schuldvorwurf war im
übrigen auch für sog. Großgrundbesitzer und Junker mit Höfen über 100 ha
erforderlich. In diesen Fällen wurde der Schuldvorwurf, der Betroffene sei Mitglied der
Bande der “Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande... und einer der
Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker” in den
Ländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gesetzlich fingiert, während er in
den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen nur mit der Möglichkeit
gesetzlich vermutet wurde, daß sich der Betroffene durch den Nachweis exkulpierte,
aktiv gegen den Hitlerstaat gekämpft zu haben. In diesem Fall war der Betroffene kein
Kriegs- und Naziverbrecher und konnte einen Resthof behalten. Insofern entspricht es
schon dem Text
der
Bodenreformgesetze
und der
dazu erlassenen
Ausführungsbestimmungen nicht, daß der Zugriff auf landwirtschaftliches
Betriebsvermögen allein von der Größe der bewirtschafteten Bodenflächen abhing.
Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen von Art. I Ziff. 1 Satz 2
und Art. II. Ziff. 3 der jeweiligen Bodenreformgesetze, daß mit der Größe der
Hofflächen über 100 ha allein der Personenkreis der Junker und Großgrundbesitzer
bestimmt wurde, denen gesetzlich der Vorwurf nach Art. I Ziff. 1 Satz 2 der
Bodenreformgesetze gemacht wurde, Teil der Bastion der Reaktion und des Faschismus
und der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege zu sein. Dieser
eindeutige Zusammenhang wird gezielt verschwiegen, wenn behauptet wird, es sei
lediglich auf die Hofgröße abgestellt worden. Nur weil die stalinistischen Machthaber
Großgrundbesitzer und Junker per se als Kriegs- und Naziverbrecher behandelt haben,
traten die übrigen gesetzlichen, allein für Kriegs- und Naziverbrecher kraft Gesetzes
eintretenden Sanktionen (Wahlverbot, Berufsverbot, Vertreibung von Haus und Hof,
Internierung pp.) auch ihnen gegenüber ein.
Der individuellen Verfolgung steht erkennbar auch nicht entgegen, daß sich die
Maßnahmen nicht nur gegen tatsächliche Kriegs- und Naziverbrecher, sondern auch
gegen Verfolgte des NS-Regimes (etwa Mitglieder des Widerstandes vom 20. Juli 1944
und jüdische Unternehmer) richteten. Die stalinistischen Machthaber haben vielmehr,
ebenso wie das Wirtschaftsstrafrecht, auch die repressive Entnazifizierung systematisch
dazu mißbraucht, Personen, die als Klassen- und Staatsfeinde angesehen wurden,
auszurotten und zu vernichten. Klassen- und Staatsfeinde aber konnten ohne weiteres
auch
NS-Verfolgte
sein.
Der
offene
Mißbrauch
des
repressiven
Entnazifizierungsinstrumentariums beruhte dabei auf der für die Verfolgungsorgane
maßgeblichen Ideologie des kommunistischen Antifaschismus, die den Klassen-und
Staatsfeind als den wirtschaftlichen Träger des Faschismus ausgemacht hatte und
deshalb als den eigentlichen Kriegs- und Naziverbrecher behandelte. Damit richtete sich
r
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die mißbrauchte Entnazifizierung gegen den nach stalinistischer Anschauung zu
verfolgenden Klassen- und Staatsfeind. An der individuellen Verfolgung jedes
Betroffenen besteht daher nicht der geringste Zweifel.
Dies gilt auch deshalb, weil von den Kommissionen und der Deutschen
Treuhandverwaltung für das beschlagnahmte und sequestrierte Vermögen im Ostsektor
von Berlin durchgeführten Maßnahmen unmittelbar nach dem Vorbild der Maßnahmen
der im Rahmen der stalinistischen Säuberungen agierenden „Dwoiki“ und „Troiki“ tätig
wurden. Die von diesen Organen ausgehenden Massenrepressalien bilden zutreffend
den zentralen Kern des bereits am 13.8.1990 verkündeten Erlasses des Präsidenten der
UdSSR über die Wiederherstellung der Rechte aller Opfer politischer Repressalien in
den 20 er und 30 er Jahren. Dort heißt es u.a. wörtlich: „Als schweres Erbe der
Vergangenheit erwiesen sich die Massenrepressalien, die Willkür und Gesetzwidrigkeit,
die von der stalinistischen Führung im Namen von Revolution, Partei und Volk
ausgeübt wurden. Die Mitte der 20er Jahre begonnene Schändung der Ehre und selbst
des Lebens von Landsleuten wurde mit grausamster Konsequenz über einige Jahrzehnte
fortgesetzt. Tausende von Menschen wurden moralischen und physischen Folterungen
ausgesetzt, viele von ihnen wurden vernichtet. Das Leben ihrer Familien und Nächsten
wurde in hoffnungslosen Zustand von Demütigungen und Leiden versetzt. …. Zum
größten Teil wurden die Massenrepressalien auf dem Weg außergerichtlicher
Abrechnungen über sogenannte ,Sonderberatungen’, Kollegien, ,Troiki’ und ,Dwoiki’
durchgeführt. Jedoch wurden auch in Gerichten die elementaren Normen der
Rechtsprechung verletzt. ……. Der Schandfleck der Ungerechtigkeit wurde bis jetzt
nicht von Sowjetmenschen genommen, die während der gewaltsamen Kollektivierung
unschuldig litten, inhaftiert wurden, die mit ihren Familien in entfernte Gebiete
ausgewiesen wurden ohne Unterhaltsmittel, ohne Stimmrecht, ja sogar ohne
Bekanntgabe der Dauer des Freiheitsentzugs.“
Deshalb wird u.a. verordnet: „Die den grundlegenden bürgerlichen und sozialökonomischen Rechten des Menschen widersprechenden Repressalien, die gegenüber
Bauern in der Periode der Kollektivierung, sowie gegenüber allen anderen Bürgern aus
politischen, sozialen, nationalen, religiösen oder anderen Motiven in den 20er – 50er
Jahren ausgeübt wurden, werden für gesetzwidrig erklärt, und die Rechte dieser Bürger
werden vollständig wiederhergestellt.“ Der Erlaß des Präsidenten der UdSSR vom
13.8.1990 beschreibt also Maßnahmen, nach deren Vorbild auch in der SBZ die
Repression im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ gegenüber den zu Kriegsund Naziverbrechern im Einzelfall gestempelten Personen verfolgt, ausgeschaltet und
als verhaßte Klassenfeinde vernichtet wurden. Für im Rechtsstaat der BRD agierende
Bundesministerien ist es auch vor diesem Hintergrund unerträglich, wenn diese den
repressiven Verfolgungscharakter dieser nach stalinistischem Vorbild durchgeführten
Maßnahmen leugnen und damit die entsprechenden Rehabilitierungsvorgaben der
UdSSR ignorieren.
Die gegenüber den Betroffenen nach Maßgabe der Richtlinien zum sächsischen
Volksentscheid oder vergleichbarer Vorschriften in den anderen Ländern der SBZ, der
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10
KRD Nr. 38 und nach den Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformgesetzen
individuell festgestellten oder gesetzlich fingierten Schuldvorwürfe als Kriegs- und
Naziverbrecher waren deshalb keine bloß pauschale Propaganda, sondern staatlich
sanktionierte Schuldfeststellungen. Mit der Behauptung der bloßen Propaganda wird
diese staatliche Schuldzuweisung gezielt verfälscht und verharmlost. Vielmehr waren
die Kommissionen ebenso wie die Sondergerichte zur repressiven Entnazifizierung
befugt, die Schuld der Angeklagten hoheitlich festzustellen. Vor diesem Hintergrund ist
es unverzeihlich, daß das Bundesministerium der Justiz von bloßen
“Ansehensverlusten” spricht, welche die Betroffenen erlitten haben. Der Schuldspruch
ist deshalb nicht aus der Welt, weil die Verfolgung in den Anfangsjahren der BRD als
Unrecht betrachtet worden ist. Schon die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums
belegt demgegenüber, daß das Unrecht in der BRD nicht einmal als das wahrgenommen
und verurteilt wird, das es tatsächlich dargestellt hat. Es wirkt im übrigen schon
aufgrund der Vereinbarungen in Art. 18 EVertr. bis heute fort. Vor diesem Hintergrund
kann es nur als grobe Entgleisung des Bundesministeriums der Justiz begriffen werden,
wenn es ausführt, für die Betroffenen sei es hinreichende Genugtuung, daß die DDR
letztlich untergegangen sei.
Der Verfolgungssachverhalt wird auch mit der Behauptung gezielt verfälscht, die
Enteignungen hätten lediglich der Umgestaltung der Eigentumsordnung im
wirtschaftlichen Bereich gedient. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus den Richtlinien
zum sächsischen Volksentscheid, die ausdrücklich klarstellen, daß dieser “keine
wirtschaftliche Maßnahme” sei. Die in Ostberlin anstelle der Richtlinien zum
sächsischen Volksentscheid unmittelbar herangezogene KRD Nr. 38 ist in DDR und SBZ
aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 201 ohnehin ausschließlich als Strafgesetz angewandt
worden. Daß auch die Verfolgung aufgrund der Bodenreformgesetze eine repressive
Verfolgung war, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß sich die damaligen
Machthaber und die UdSSR zu ihrer Rechtfertigung auf die Vereinbarungen im
Potsdamer Abkommen zur Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern berufen
haben.16 Eine bloße Enteignung zum Zweck der Umgestaltung der Eigentumsordnung
hat das Potsdamer Abkommen dagegen nicht erlaubt.
Mit der durch nichts begründeten Behauptung von der bloßen Umgestaltung der
Eigentumsordnung wird das Verfolgungsgeschehen auch deshalb maßgeblich
beschönigt und verharmlost, weil damit die umfassenden Sanktionen, die der
Schuldspruch als Kriegs- und Naziverbrecher ebenfalls ausgelöst hat, vollständig
geleugnet werden. Dies gilt nicht nur für den Zugriff auf das Privatvermögen der
Verfolgung, der per se nicht der Umgestaltung der Eigentumsordnung im
wirtschaftlichen Bereich gedient haben kann, sondern erst recht für Wahlverbote,
Berufsverbote, Vertreibungsmaßnahmen, öffentlichen Tadel als Kriegs- und
16
Vgl. dazu in diesem Zusammenhang nur die Erklärung der sowjetischen Regierung vom 27. März 1990
über die Gültigkeit besatzungspolitischer Maßnahmen der Jahre 1945 bis 1949 (sog. TASS-Erklärung),
abgedruckt in: Alekasandr Galkin, Anatolij Tschernjajew (Hrsg.), Michael Gorbatschow und die deutsche
Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991, 2011, S. 360ff. sowie bei Wasmuth, RVI, B 100, VermG Einf.
Rn. 322ff.
r
11
Naziverbrecher, Sippenhaftung gegenüber Familienmitgliedern und vieles mehr.
Der Verfolgungssachverhalt wird auch grob verkannt, wenn das Bundesministerium
der Justiz behauptet, die Internierung der Betroffenen durch den sowjetischen NKWD
stehe in keinem Zusammenhang mit der “Enteignung”. Tatsächlich haben deutsche und
sowjetische Organe bei diesen Maßnahmen jeweils zusammengewirkt, weil bis zum
Erlaß des SMAD-Befehls Nr. 201 nur eine beschränkte Zuständigkeit deutscher Organe
zur Entnazifizierung bestand. NKWD und Kommissionen haben jedoch nicht nur
faktisch zusammengewirkt und sich gegenseitig Schuldige mitgeteilt, um zu
ermöglichen, daß die jeweils andere Seite ihren Teil der Verfolgung durchführt. Beide
Organe haben auch jeweils die Entnazifizierung des Betroffenen betrieben, selbst wenn
NKWD und SMT in völliger Willkür dazu häufig nicht auf die KRD Nr. 38, sondern auf
Art. 58 RSFSR zurückgegriffen haben.
Vor diesem Hintergrund ist es sachverhaltlich auch unzutreffend, wenn sich das
Bundesministerium der Justiz auf die alliierten Bestimmungen und auf das Ahlener
Programm der westdeutschen CDU zur Durchführung einer Bodenreform beruft.
Gegenüber den Verfolgten haben die stalinistischen Machthaber per se keine
Bodenreform, sondern ausdrücklich eine (kraß rechtsmißbräuchliche) Entnazifizierung
vorgenommen. Bloße Propaganda der kommunistischen Machthaber, der auch das
Bundesministerium der Justiz erliegt, ist die Verbindung der repressiven
Entnazifizierung mit der nachträglichen Aufteilung von Teilen der entzogenen
Bodenflächen an landlose und landarme Bauern, die als “Bodenreform” ausgegeben
wurde. Daß diese Aufteilung von vornherein nur dazu diente, kurzfristig Gefolgsleute
auf dem Lande zu gewinnen, ergibt sich ohne weiteres aus der für eine Bewirtschaftung
bewußt viel zu klein bemessenen Flächenzuteilung, welche die wenig später
durchgeführte Zwangskollektivierung nach sich ziehen sollte.
Es steht zwar außer Frage, daß die stalinistischen Machthaber das bestehende
strafrechtliche Entnazifizierungsinstrumentarium ebenso wie das Wirtschaftsstrafrecht
systematisch dazu mißbraucht haben, sich des Betriebs- und Privatvermögens der
Betroffenen zu bemächtigen. Diese kraß rechtsstaatswidrige Motivation für die
Anwendung repressivem Entnazifizierungsrechts stellt aber, ebenso wie in der
vergleichbare Einsatz des Wirtschaftsstrafrechts, lediglich einen schwerwiegenden
Mißbrauch des Entnazifizierungsstrafrechts dar, der den grundlegenden Widerspruch
der Verfolgungsmaßnahmen zur rechtsstaatlichen Ordnung begründet. Dagegen
beseitigt sie nicht das tatsächlich praktizierte repressive Verfolgungsgeschehen und
ändert es nicht in eine bloße Enteignungsaktion zum Zweck der Umgestaltung der
Eigentumsordnung. Die gegenteilige Behauptung der Bundesministerien verharmlost
und verfälscht das geschehene Unrecht zum Nachteil der Betroffenen.
Diese wenigen Zusammenhänge belegen damit plastisch: Insbesondere das
Bundesministerium der Justiz hat den tatsächlichen Verfolgungssachverhalt in diversen
Verfahren vor dem BVerfG und dem BVerwG sowie gegenüber dem Petitionsausschuß
des Deutschen Bundestages gezielt falsch dargestellt. Die individuelle Verfolgung, das
r
12
kraß gegen elementare, allgemein in der Völkergemeinschaft anerkannte
Menschenrechte verstoßende Repressionsverfahren und die umfassenden, an den
Schuldspruch als Kriegs- und Naziverbrecher geknüpften Sanktionen werden
konsequent entgegen den Tatsachen geleugnet. Statt dessen wird die nachweislich
falsche Behauptung aufgestellt, das Unrecht habe in einer nicht individuellen, nur
allgemeinen Verfolgung bestanden, die ausschließlich der Umgestaltung der
Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich gedient habe.
Daß dieser Vortrag des Bundesministeriums der Justiz gar wider besseres Wissen
erfolgt sein dürfte, belegt im übrigen der Schriftsatz dieses Ministeriums vom 2.5.1994
gegenüber dem BVerfG im Verfahren 1 BvR 1459/90. Dort heißt es u.a. wörtlich: “Aus
sowjetischer Sicht bestand - wie bereits dargelegt - eines der tragenden Motive der in
der Zeit zwischen Kriegsende und Gründung der DDR durchgeführten
Enteignungsmaßnahmen in der Bestrafung der “Kriegsverbrecher” und
“Naziaktivisten”. Die Sowjetunion hat ihr Interesse an der Anerkennung der Legitimität
und Effektivität dieser Bestrafungsaktion - was die Aufrechterhaltung der
Bestrafungsfolgen einschließt - zu keinem Zeitpunkt aufgegeben.” Dem Ministerium ist
damit sehr wohl bekannt, daß es sich bei der Verfolgung im Rahmen der “Boden- und
Wirtschaftsreform” um eine Bestrafungsaktion und deshalb gerade nicht um eine bloße
Umgestaltung der Eigentumsordnung handelte. Zutreffend gibt das Bundesministerium
der Justiz hier auch zu, daß die “Enteignung” eine Bestrafungsfolge dargestellt hat. Dies
deckt sich im übrigen mit der vor 1990 ergangenen Rechtsprechung des 3. Senats des
BVerwG17 und des BVerfG im KPD-Verbotsurteil.18
Der nachweislich unzutreffende Sachvortrag erfolgt damit erkennbar, um zu
suggerieren,
die
Vermögenszugriffe
hätten
bloße
Enteignungen
auf
besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage i.S. von Ziff. 1 GemErkl., §
1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG und keine strafrechtlichen Vermögenseinziehungen i.S. von
Ziff. 9 GemErkl., § 1 I, V, § 3 II StrRehaG i.V.m. § 1 VII, VIII lit. a, 2. Halbs. VermG
dargestellt, die auf schwersten Schuldvorwürfen basierten, welche ihrerseits zu diversen
existenzvernichtenden Rechtsgutseingriffen einschließlich jahrelanger, von sowjetischen
Organen
in
Kollaboration
mit
deutschen
Stellen
durchgeführten
Internierungsmaßnahmen mit konkreter Todesgefahr führten.
BVerwGE 54, 140 (146f.), das dazu u.a. ausführt: “Solche Auffassung hält jedoch der
revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn sie argumentiert allein vom wirtschaftlichen Ergebnis
und von dem mit der Bodenreform insgesamt veroflgten Ziel her, nämlich unter Voranstellung des eldgilich die Verwertung des Vermögens betreffenden - Umstandes, daß sämtlicher im Rahmen der
Bodenreform enteigneter Grundbesitz einem einheitlichen Zweck zu dienen bestimmt war. Sie
vernachlässigt aber den vorrangigenund entscheidungserheblichen Umstand einer unterschiedlichen
gesetzgeberischen Motivation für die im einzelnen geregelten Enteignungstatbestände. Den auf die
Entziehung des Vermögens von Kriegsverbrechern abzielenden Maßnahmen wohnt grundsätzlich keine
auf eine Umgestaltung der dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtete eigentumsfeindliche
Tendenz inne, weil sie generell Straf- und Sühnecharakter tragen.” Vgl. im übrigen OLG Dresden, Beschl.
vom 26.11.2010 - 1 RehaG Ws 96/09 -: “... handelte sich um eine wirtschaftliche Maßnahme, mithin die
Enteignung nicht im Kontext der Umgestaltung des Wirtschaftssystems stand. ....”
18 BVerfGE 5, 95 (147ff.), das aufgrund eigener Ermittlungen festgestellt hat, daß die gesamte bürgerliche
Klasse“ im schärfsten Klassenkampf und gewaltsam liquidiert werden” sollte.
17
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13
2. Vorbedingungen von UdSSR und DDR
Zu den frühen Abwehrstrategien der Bundesministerien gegenüber Ansprüchen wegen
verfolgungsbedingter Vermögenszugriffe im Rahmen
von “Boden- und
Wirtschaftsreform” zählt die Behauptung, die deutsche Wiedervereinigung habe von
der Vorbedingung von UdSSR und DDR abgehangen, die enteigneten Vermögenswerte
nicht
zurückzugeben.
Rechtlich
relevante
Beschränkungen
für
Wiedergutmachungsleistungen können sich aber von vornherein nicht aus bloßen
Forderungen und vermeintlichen Vorbedingungen, sondern nur aus völkerrechtlichen
oder quasi-völkerrechtlichen Vereinbarungen ergeben. Für Vermögenszugriffe auf
besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitlicher Grundlage ergeben sich damit
Beschränkungen ausschließlich aus Ziff. 1 GemErkl., die nach Art. 41 I EVertr. zum
Bestandteil des Einigungsvertrages erklärt wurde und damit auch rechtlich verbindliche
Wirkung entfaltet. Diese Beschränkungen gelten dagegen von vornherein nicht für
strafrechtliche Vermögenseinziehungen, auch wenn sie auf besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sind. In diesen Fällen hat sich die DDR in Ziff.
9 GemErkl. vielmehr ohne jede Einschränkung verpflichtet, die gesetzlichen
Voraussetzungen für ihre Korrektur in einem justizförmigen Verfahren zu schaffen.
Weitere Verpflichtungen hat die BRD auch gegenüber der UdSSR nicht übernommen.19
Vielmehr ist ihr gegenüber im Rahmen der Verhandlungen über den sog. Zwei-plusVier-Vertrag in einem Brief der beiden deutschen Außenminister vom 12. 9. 1990
lediglich darauf Bezug genommen worden. Daraus lassen sich auch gegenüber der
UdSSR
in
bezug
auf
Enteignungen
auf
besatzungsrechtlicher
und
besatzungshoheitlicher Grundlage lediglich Pflichten im Umfang von Ziff. 1 GemErkl.
ableiten, die für strafrechtliche Vermögenseinziehungen nach Ziff. 9 GemErkl. auch
dann nicht gelten, wenn sie sich unter sowjetischer Besatzungshoheit ereignet haben. Im
übrigen haben sich die UdSSR und später auch die Russische Föderation zur
Rehabilitierung Deutscher wegen politischer Verfolgungsakte durch die sowjetische
Besatzungsmacht20 verpflichtet. Insofern prüft das BVerfG im sog. Bodenreformurteil
19
So ausdrücklich auch der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Kastrup in seiner Aussage
vor dem Ersten Senat des BVerfG in der mündlichen Verhandlung vom 22.1.1991; vgl. Niederschrift eines
Auszuges aus dem Tonbandwortprotokoll über die mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des
BVerfG am 22.1.1991, S. 15: “Ich möchte dies mal, ebenso burschikos, wenn Sie gestatten, wie Prof.
Leisner, ausdrücken. Wir haben den Sowjets gesagt, das geht Euch nichts an. Das regeln wir Deutschen
unter uns. Und mit allem Respekt, Herr Prof. Leisner, mit dieser sehr beharrlich durchgehaltenen Position
haben wir uns durchgesetzt. Es gibt keine völkerrechtliche Verpflichtung, welcher Art auch immer, der
Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion, sondern es gibt lediglich eine einseitige, nicht
bestätigte Mitteilung faktischen Inhaltes darüber, was zwischen den beiden deutschen Staaten in dieser
Frage vereinbart worden ist. Also, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie habe nicht mit dem
nötigen Nachdruck die sowjetische Position versucht zu beeinflussen, so ist dieses unzutreffend. Für uns
war dries kein Gegenstand der Verhandlungen mit der Sowjetunion.”
20 Vgl. dazu die Rehabilitierungsvereinbarungen vom 12.9.1990 (vgl. dazu Antwort des Staatssekretärs im
BMJ Rainer Funke vom 29.3.1996 auf die Anfrage des Abgeordneten Schwanitz [SPD], BT-Drucks.
13/4286, S. 13f.) und vom.16.12.1992 (sog. Kohl-Jelzin-Erklärung); vgl. dazu Antwort der
Bundesregierung vom 2.12.1996, BT-Drucks. 13/13/6447 sowie Verbalnote Nr. 1268 des Auswärtigen
Amtes an die Russische Föderation vom 17.6.1996.
r
14
vom 23.4.199121 zutreffend auch nur, ob Ziff. 1 GemErkl. mit dem Grundgesetz
vereinbar ist. Es bejaht diese Frage unter Berufung auf Forderungen, die von seiten der
UdSSR und der DDR erhoben worden sind. Allein bei der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit von Ziff. 1 GemErkl. kommt auch Forderungen und
vermeintlichen Vorbedingungen von UdSSR und DDR eine Bedeutung zu, zumal der
Bundesregierung beim Abschluß völkerrechtlicher Vereinbarungen ein weiter
Beurteilungsspielraum zusteht.22
Maßgeblich für die Beschränkung der Wiedergutmachungsleistungen wegen
Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage ergeben
sich damit aber nur aus Ziff. 1 GemErkl. und nicht mehr aus wie auch immer von der
Bundesregierung verstandenen Vorbedingungen. Den Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. hat
das BVerfG abschließend dahingehend ausgelegt, daß mit Ziff. 1 Satz 1 GemErkl.
ausgeschlossen ist, Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher
Grundlage als nichtig zu behandeln und eine umfassende Rückgabe vorzusehen.23
Demgegenüber heißt es im Bodenreformurteil weiter: “Dagegen verbietet die Regelung
nicht einen vermögenswerten Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen. Ein solcher
Ausgleich, dessen Höhe nicht festgelegt ist, wird vielmehr in Nr. 1 Satz der
Gemeinsamen Erklärung dem Gesetzgeber ausdrücklich vorbehalten.”24 Außerdem sind
für die Inhaltsbestimmung von Ziff. 1 GemErkl. zwei weitere Aussagen des BVerfG von
Bedeutung, nämlich 1. “Die angegriffene Regelung schließt es im übrigen nicht aus, daß
im Rahmen der beabsichtigten Ausgleichsregelung den Betroffenen auch die
Möglichkeit eines Rückerwerbs ihres ehemaligen Eigentums eingeräumt wird, soweit
dies im Einzelfall möglich und von der Interessenlage her angezeigt ist.”25 und 2.
“Welchen Umfang diese Leistungen haben dürfen, regelt Nr. 1 Satz 4 der Gemeinsamen
Erklärung dagegen nicht .... Die in der mündlichen Verhandlung erstatteten Berichte
über den Gang der Vertragsverhandlungen haben im übrigen ergeben, daß eine
bestimmte Regelung der Ausgleichsleistungen weder von der Deutschen
Demokratischen Republik noch von der Sowjetunion verlangt worden sind.”26 Zuvor
hatte der Erste Senat des BVerfG bereits klargelegt: “Die in Nr. 1 GemErkl. vorbehaltene
Entscheidung
über
staatliche
Ausgleichsleistung
mag
zwar
von
den
Vertragsschließenden nicht im Sinn einer Regelung über eine volle Entschädigung
verstanden worden sein. Sie würde aber eine solche Regelung nicht ausschließen.”27
Dies bedeutet: Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher
Grundlage dürfen zwar nicht als nichtig behandelt werden. Der Gesetzgeber darf derart
enteignete Vermögenswerte nicht in der Weise umfassend zurückgeben, daß die
Enteignungen überhaupt keine Wirkungen mehr entfalten, daß also in jeder Hinsicht
21
BVerfGE 84, 90ff.
Vgl. nur: BVerfGE 94, 12 (35); auch bereits: BVerfGE 36, 1 (17f.); 66, 39 (61); DVBl. 1990, 1163.
23 BVerfGE 84, 90 (121).
24 BVerfGE 84, 90 (121).
25 BVerfGE 84, 90 (127); bestätigt durch BVerfGE 94, 12 (46).
26 BVerffGE 84, 90 (130).
27 BVerfGE 83, 162 (172f.).
22
r
15
der status quo ante wieder hergestellt wird. Er ist aber berechtigt, Ausgleichsleistungen
vorzusehen, wegen deren konkrete Ausgestaltung keine Beschränkungen durch
Vereinbarungen mit UdSSR und DDR bestehen. Es gibt weder der Höhe noch dem
Umfang nach irgendwelche vom Gesetzgeber zu beachtende Einschränkungen. Sofern
das Rückgabeinteresse der Geschädigten nicht in Konflikt mit anderen berechtigten
oder gar höherrangigen Interessen (etwa redlicher Erwerb, schützenswertes
Nutzungsinteresse der Allgemeinheit und ähnliches), kann der Gesetzgeber auch einen
Rückerwerb, also auch eine Rückschenkung oder öffentlich-rechtlich ausgedrückt, eine
Rückgabe i.S. von § 3 I 1 VermG vorsehen.
Eine umfassende Rückgabe, die von der Nichtigkeit von Enteignungen ausgeht, sieht
das Vermögensgesetz auch für DDR-rechtliche Vermögensschädigungen nicht vor. Der
Rückgabegrundsatz des § 3 I 1 VermG stellt keinen Herausgabeanspruch i.S. von § 985
BGB dar, dem nur der Eigentümer zusteht. Vielmehr begründet § 3 I 1 VermG nur mit
Wirkung ex nunc einen Anspruch auf Rückübertragung eines untergegangenen
Eigentumsrechts.28 Das Eigentum wird nach § 34 I VermG erst wieder begründet, wenn
die dort genannten Voraussetzungen eingetreten sind.29 Eine solche Rückgabe ist daher
auch für besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Enteignungen durch Ziff. 1
GemErkl. nicht ausgeschlossen, weil sie gerade von der Wirksamkeit der Enteignung
ausgeht. Dies gilt erst recht, weil mit dem Rückgabegrundsatz des § 3 I 1 VermG der
status quo ante nicht wieder hergestellt. Vielmehr stehen der Rückgabe diverse
gesetzliche Ausschlußtatbestände etwa nach § 3 II, IV, §§ 4, 5 VermG, §§ 2ff. InVorG
entgegen. Der Rückgabeberechtigte erhält keinen Wertausgleich für zwischenzeitlich
eingetretene Wertverluste. Die vom Verfügungsberechtigten gezogene Nutzungen
stehen dem Berechtigten im übrigen erst zu, soweit sie diesem nach dem 1.7.1994
zugeflossen sind (§ 7 VII 1, 2 VermG). Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. stünde daher einer
Rückschenkung oder einer Rückgabe im Umfang von § 3 I 1 VermG nach den
Feststellungen des BVerfG, die es aufgrund einer umfassenden Befragung der
damaligen Beteiligten an den deutsch-deutschen Vereinbarungen im Bodenreformurteil
getroffen hat, nicht entgegen.
Hinzu kommt, daß Ziff. 1 GemErkl. nur für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Grundlage gilt, nicht aber, wie sich aus Ziff. 9 GemErkl. ergibt,
für in einem Strafverfahren erfolgte Vermögenseinziehungen. Jedenfalls für
verfolgungsbedingte Vermögenseinziehungen, mit denen Opfer der “Boden- und
Wirtschaftsreform” als Kriegs- und Naziverbrecher in einem spezifisch strafrechtlichen
Verfahren kraß menschenrechtswidrig sanktioniert wurden, gilt damit die
Einschränkung von Ziff. 1 GemErkl. bereits sachverhaltlich nicht.
Daß die sog. Vorbedingung der UdSSR bei Gerichtsentscheidungen zu den
Verfolgungsaktionen der “Boden- und Wirtschaftsreform” dann dennoch eine
28
BGHm VIZ 2004, 121; Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen
DDR - RVI -, B 100, § 3 VermG, Rn. 36.
29 Zur rechtsgestaltenden Wirkung des § 34 I 1 VermG vgl. Wasmuth, in: RVI, § 34, Rn. 66.
r
16
maßgebliche Rolle spielen konnte, ist auf grob irreführende, mit dem Inhalt von Ziff. 1
GemErkl. erkennbar unvereinbare und Ziff. 9 GemErkl. verdrängende
Argumentationslinie des Bundesministeriums der Justiz zurückzuführen, welcher der 7.
Senat des BVerwG30 unbesehen gefolgt ist und mit der die Inhaltsbestimmung von Ziff.
1 GemErkl. durch den Ersten Senat des BVerfG im Bodenreformurteil31 gezielt ad
absurdum geführt worden ist. Uns liegt zwar nicht die zweifellos mit den zuständigen
Bundesministerien abgestimmte offizielle Stellungnahme im Verfahren 7 C 59.93 vor
dem 7. Senat des BVerwG32 vor. Die inhaltliche Übereinstimmug der Argumentation in
der Begründung des dort gefällten Urteils vom 29.4.1994 mit dem uns vorliegenden
Vortrag des Bundesministeriums der Justiz etwa im Verfahren 1 BvR 1459/90 vor dem
BVerfG macht aber deutlich, daß entsprechend auf Veranlassung des
Bundesministeriums der Justiz auch gegenüber dem 7. Senat des BVerwG vorgetragen
wurde. Mit Schriftsatz vom 2.5.1994 hat das Bundesministerium der Justiz gegenüber
dem BVerfG u.a. wörtlich vorgetragen: “Sie (die Haltung der UdSSR) ging in der Sache
ohne Nachgiebigkeit dahin, daß die Legitimität aller unter ihrer Besatzungshoheit
zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 6. Oktober 1949 getroffenen Maßnahmen nicht
mehr zur Disposition gestellt werden dürfte und daß diese Maßnahmen unumkehrbar
seien. .... Sie forderte eine vorbehaltlose Anerkennung der Rechtmäßigkeit der seinerzeit
getroffenen Maßnahmen mit dem gleichzeitigen Ausschluß jeglicher Überprüfung oder
Revision. .... Aus sowjetischer Sicht bestand - wie bereits dargelegt - eines der tragenden
Motive der in der Zeit zwischen Kriegsende und Gründung der DDR durchgeführten
Enteignungsmaßnahmen in der Bestrafung der “Kriegsverbrecher” und
“Naziaktivisten”. Die Sowjetunion hat ihr Interesse an der Anerkennung der Legitimität
und Effektivität dieser Bestrafungsaktion - was die Aufrechterhaltung der
Bestrafungsfolgen einschließt - zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Es wäre für die
Sowjetunion
schlechthin
inakzeptabel
gewesen,
eine
unterschiedslose
Rückgängigmachung aller zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 6. Oktober 1949 erfolgten
Enteignungen ohne Rücksicht darauf hinzunehmen, ob der Betroffene im Einzelfall nach
ihrem Verständnis als “Kriegsverbrecher” oder “Naziaktivist”einzustufen war. Ebenso
unakzeptabel dürfte dies heute für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sein. Dies
hätte von vornherein ohnehin nur eine selektierende Restitutionslösung erlaubt, die in
jedem Einzelfall eine Prüfung der Frage vorausgesetzt hätte, ob die Enteignung des
Betroffenen unter dem Gesichtspukt seiner Bestrafung als “Kriegsverbrecher” oder
“Naziaktivist” erfolgt ist und ob sie zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Das aber hätte
genau das bedeutet, was die Sowjetunion unstreitig strikt abgelehnt hat: die rechtliche
Revision der Legitimität der Enteignungsmaßnahmen, die die Sowjetunion ihrer
Gesamtverantwortung als Besatzungsmacht zugerechnet wissen wollte, durch deutsche
Gerichte oder andere deutsche Staatsorgane.” Die Behauptung, in Ziff. 1 GemErkl. sei
ein Restitutionsausschluß vereinbart worden, der bezwecke, die Sowjetunion von dem
mit einer Restitution verbundenen Unrechtsvorwurf freizustellen, und er erstrecke sich
auch auf an sich zu rehabilitierende, verfolgungsbedingte Vermögenentziehungen, ist
30
Erstmals und grundlegend: BVerwG, VIZ 1994, 411f.
BVerfGE 84, 90 (121, 126, 130).
32 BVerwG, VIZ 1994, 411ff.
31
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17
vom Bundesministerium der Justiz dennoch wiederholt aufgestellt und verbreitet
worden.33
Inhaltlich hat der 7. Senat des BVerwG diesen Vortrag übernommen und dazu
ausgeführt: “Das Vermögensgesetz will im Anschluß an die Gemeinsame Erklärung
vom 15.6.1990 vermögensentziehende oder -beeinträchtigende Maßnahmen
wiedergutmachen, die dem Gesetzgeber aus rechtsstaatlicher Sicht als nicht hinnehmbar
erschienen sind. Ausgangspunkt und Rechtfertigung der Restitution nach dem
Vermögensgesetz ist demnach die Bewertung bestimmter Maßnahmen als staatliches
Unrecht. Aus diesem Grund hat die Sowjetunion während der Verhandlungen zur
Wiederherstellung der deutschen Einheit gegenüber den beiden deutschen Regierungen
die Forderung erhoben, die unter ihrer Oberhoheit als Besatzungsmacht durchgeführten
Enteignungen von der geplanten Restitution auszunehmen. Das geschah in der Weise,
daß sie die Rechtmäßigkeit und Legitimität der Enteignungen betonte und sich gegen
deren Überprüfung durch deutsche Behörden und Gerichte wandte. Sie wollte - wie das
BVerfG dargelegt hat - die ihren früheren rechts-, wirtschafts- und
gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprechenden Maßnahmen nicht nachträglich
zur Disposition des seinerzeit besiegten Deutschlands gestellt sehen. Ihre Forderung
zielte
mithin
zwar
nicht
auf
die
Festschreibung
der
entstandenen
Eigentumsverhältnisse, wohl aber darauf ab, die Rückgabe der enteigneten
Vermögenswerte im Wege der Wiedergutmachung zu verhindern, weil sie damit
zwangsläufig einem Unrechtsvorwurf ausgesetzt gewesen wäre. Diesem Anliegen der
Sowjetunion haben die beiden deutschen Regierungen mit der Regelung in Nr. 1 Satz 1
der GemErkl. vom 15.6.1990 entsprochen, die zum Bestandteil des Einigungsvertrages
vom 31.8.1990 erhoben wurde und über die die Sowjetunion anläßlich der
Unterzeichnung des sog. Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12.9.1990 durch einen Brief der
beiden deutschen Außenminister förmlich unterrichtet wurde. In Übereinstimmung mit
diesem Sinn und Zweck des Restitutionsausschlusses hat das BVerfG dessen Inhalt als
Verbot umschrieben, die Enteignungen als nichtig zu behandeln und ihre Folgen durch
eine Rückgabe der enteigneten Objekte umfassend zu bereinigen.”34 Ein solches Verbot
dürfe auch nicht durch eine Rehabilitierung umgangen werden.35
Das Bundesministerium der Justiz und ihm unbesehen folgend der 7. Senat des BVerwG
erweitern damit den rechtlichen Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. grundlegend durch die
Behauptung, damit sei einer Forderung der UdSSR entsprochen werden, unter ihrer
Besatzungshoheit getroffene Maßnahmen nicht durch Gerichte und Behörden auf ihre
Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, um ihr, der UdSSR, einen Unrechtsvorwurf von
deutschen Stellen zu ersparen. Damit wird ein Rückgabeverbot konstruiert, weil die
Rückgabe nur wegen unter Besatzungshoheit verübter Unrechtsvorgänge erfolge. Das
33
Vgl. das Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 14.10.1996 - I 8 7 - 3449/1-14-1-14 0604/96
an das Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg, das auch an diverse Stelle des Bundes und
der neuen Länder versandt wurde; vgl. auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten
Unrechtsbereinigungsgesetzes, BT-Drucks. 12/4994, S.23.
34 BVerwG, VIZ 1994, 411.
35 BVerwGE 99, 268 (273) = VIZ 1996, 88 (89); VIZ 1998, 630; BVerwGE 116, 42 (44) = VIZ 2002, 272.
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18
Rückgabeverbot wird des weiteren nicht nur für Enteignungen in den Raum gestellt,
sondern auch für verfolgungsbedingt erfolgte Vermögensentziehungen. Dies wird selbst
in der Kenntnis behauptet, daß sich die UdSSR und später die Russische Föderation zur
Rehabilitierung sowjetischer Verfolgungsmaßnahmen verpflichtet haben und daß die
Russische Föderation nach zutreffender ständiger Praxis der zuständigen russischen
Rehabilitierungsbehörden eine Rehabilitierung für deutsche Maßnahmen unter
sowjetischer
Besatzungshoheit
ablehnt,
weil
hierfür
allein
eine
Rehabilitierungszuständigkeit deutscher Stellen gegeben sei.36
Diese Behauptung steht bereits in einem unauflöslichen Widerspruch zur
Inhaltsbestimmung der Gemeinsamen Erklärung durch das BVerfG. Es hat ausdrücklich
festgestellt, auch für besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Maßnahmen seien
Ausgleichsleistungen in Höhe einer vollen Entschädigung und in der Form eines
Rückerwerbsanspruchs zulässig. Auch mit der Einräumung dieser Ansprüche müßte
nicht anders als bei der Gewährung von Rückgabeansprüchen durch deutsche Stellen
festgestellt werden, daß den Betroffenen seinerzeit Unrecht unter sowjetischer
Besatzungshoheit zugefügt worden ist. Auch derartige Wiedergutmachungsansprüche
lassen sich nur deshalb einräumen, wenn der Gesetzgeber die ihnen zugrunde
liegenden Maßnahmen als rechtsstaatlich nicht hinnehmbar beurteilt. Wenn das BVerfG
aber ausdrücklich feststellt, daß derartige Wiedergutmachungsansprüche nicht von Ziff.
1 Satz 1 GemErkl. untersagt werden, ist es denknotwendig ausgeschlossen, daß mit
dieser Vereinbarung eine angebliche Forderung der UdSSR auf Vermeidung eines
Unrechtsvorwurfs durch deutsche Stellen umgesetzt worden sei. Das BVerfG hatte
vielmehr nur festgestellt, daß es der UdSSR um die Durchsetzung einer üblichen
Indemnitätsforderung ging, um zu verhindern, daß ihr gegenüber völkerrechtlich
Schadensersatzansprüche von seiten der BRD geltend gemacht werden.37 Allein dieser
Forderung hätte die BRD nicht entsprochen, wenn sie besatzungsrechtliche oder
besatzungshoheitliche Maßnahmen per se als nichtig behandelt hätte, was
völkerrechtliche Ansprüche gegenüber der UdSSR auslösen können. Dagegen haben
sich Forderungen der UdSSR nie auf deutsche Wiedergutmachungsansprüche bezogen,
die ausschließlich als innere Angelegenheit der Deutschen betrachtet wurden.
Daß
die
Vermeidung
eines
Unrechtsvorwurfs
durch
deutsche
Wiedergutmachungsstellen gegenüber der UdSSR nicht Gegenstand der Gemeinsamen
Erklärung ist, ergibt sich im übrigen auch zwingend aus dem Wortlaut der
Gemeinsamen Erklärung selbst. Nach Ziff. 1 Satz 4 GemErkl. hat sich die BRD mit
Billigung der UdSSR Ausgleichsleistungsansprüche vorbehalten, die ihrerseits ein
rechtsstaatlich nicht vertretbares Unrecht rein vermögensrechtlicher Art voraussetzen.
36
So besonders deutlich das Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 14.10.1996 - I 8 7 3449/1-14-1-14 0604/96 an das Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg, das auch an diverse
Stelle des Bundes und der neuen Länder versandt wurde; vgl. außerdem Stellungnahme des
Oberbundesanwalts beim BVerwG vom 25.2.1999 in den Verfahren BVerwG 7 C 8.98 und BVerwG 7 C
9.98.
37 So ausdrücklich der damalige Präsident des BVerfG Roman Herzog, der am Bodenreformverfahren als
Vorsitzender des Ersten Senats beteiligt war; vgl. Herzog, in: Sobotka/Strauss, Burgen, Schlösser,
Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern, 1993, S. 141 (147).
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19
Im übrigen gibt es für strafrechtliche Vermögenseinziehungen i.S. von Ziff. 9 GemErkl.
keine Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. entsprechende Beschränkung für eine Wiedergutmachung
durch die BRD. Ziff. 9 GemErkl. erfaßt aber nicht nur DDR-rechtliche
Verfolgungsmaßnahmen, sondern auch solche, die sich auf besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Grundlage, also unter der Oberhoheit der UdSSR ereignet
haben. Dazu zählen nicht nur die strafrechtlichen Vermögenseinziehungen durch die
Kommissionen im Rahmen der fälschlich als “Boden- und Wirtschaftsreform”
bezeichneten repressiven Entnazifizierungsverfolgungen, sondern auch strafrechtliche
Vermögenseinziehungen durch die mit dem SMAD-Befehl Nr. 201 zur Entnazifizierung
eingerichteten deutschen Sonderstrafgerichte. Sollte es tatsächlich zutreffen, daß die
beiden deutschen Regierungen in der Gemeinsamen Erklärung die vermeintliche
Forderung der UdSSR umgesetzt haben, sie wegen besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Maßnahmen von Unrechtsvorwürfen durch deutsche
Wiedergutmachungsgerichte und -behörden freizustellen, dann hätte in Ziff. 9
GemErkl.38 zwingend ein entsprechender Ausschluß der Rehabilitierung vorgesehen
sein müssen, der dann ebenso die Rehabilitierung der Verfolgung durch die SMADBefehl Nr. 201 Sonderstrafgerichte, zu denen auch das Sondergericht in Waldheim
gehört hatte, erfaßt hätte. Er fehlt aber sowohl in Ziff. 9 GemErkl. als auch in der
entsprechenden Vereinbarung in Art. 17 EVertr. Auch diese Zusammenhänge belegen
zwingend, daß die Unrechtsvorwurfsvermeidung zugunsten der UdSSR nicht
Vereinbarungsgegenstand der Gemeinsamen Erklärung ist.
Die Behauptung, in Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. sei von beiden deutschen Staaten eine
Forderung der UdSSR festgeschrieben worden, nach der es deutschen Stellen untersagt
sein sollte, in Wiedergutmachungsverfahren rechtsstaatswidriges Verhalten unter
sowjetischer Hoheit festzustellen und in dieser Weise einen Unrechtsvorwurf gegenüber
der UdSSR zu erheben, ist damit eine reine Erfindung des Bundesministeriums der
Justiz, die in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in Ziff. 1 und 9 GemErkl.
und zu den Feststellungen des Ersten Senats zum Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. im
Bodenreformurteil steht. Die Erfindung dient der gezielten Umdeutung der Ziff. 1 Satz 1
GemErkl. zu einem vollständigen Rückgabeverbot, das diese Vereinbarung, wie sich
jedenfalls aus dem Zusammenhang mit Ziff. 1 Satz 4 und Ziff. 9 GemErkl. zwingend
ergibt, nicht enthält. Damit nehmen Bundesjustizministerium und ihm unkritisch
folgend der 7. Senat des BVerwG39 bewußt in Kauf, daß ihre Konkretisierung von Ziff. 1
Satz 1 GemErkl. in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in Ziff. 1 Satz 4, Ziff. 9
GemErkl. steht und deshalb nicht den Regelungsgehalt von Ziff. 1 Satz 1 GemErkl.
wiedergibt. Als bloße Einlegung40 einer in Ziff. 1 GemErkl. nicht enthaltenen
Vereinbarung sind diese willkürlich vorgenommenen Erweiterungen und Verzerrungen
des Regelungsgehalts von Ziff. 1 GemErkl. keine rechtsstaatlich vertretbare Auslegung
38
Entsprechendes gilt auch für den Geltungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, mit
dem die Vereinbarung in Ziff. 9 GemErkl. umgesetzt wird.
39 Später auch der 3. und 8. Senat des BVerwG.
40 Zur Einlegung als nicht mehr zulässiges Mittel der juristischen Auslegung vgl. nur: Rüthers, Die
unbegrenzte Auslegung, 7. Aufl., 2012, S. 505, der damit die Umdeutung geltenden Rechts durch die
Hineinnahme außerrechtlicher Vorstellungen beschreibt.
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20
einer quasivölkerrechtlichen Vereinbarung mehr, sondern stellen eine Anwendung
contra legem dar.
3. Gesetzwidrige Verdrängung von Rehabilitierungsrecht durch das Recht der
offenen Vermögensfragen
Die Bundesministerien waren auch gezielt an der Rechtsprechung beteiligt, wonach die
gesetzlich klar vorgegebenen unterschiedlichen und sich nur bei willkürlichen, im
Verwaltungsrechtswege
erfolgten
Vermögenszugriffen
überschneidenden
Geltungsbereiche von Rehabilitierungsrecht und Recht der offenen Vermögensfragen
grundlegend mißachtet wird. Wie nachgewiesen,41 gelten für beide Rechtsgebiete strikt
zu unterscheidende Sach- und Normbereiche. Danach erfaßt das Rehabilitierungsrecht
sämtliche Fälle straf- oder verwaltungsrechtlicher politischer Verfolgung, auch wenn zu
den Folgen der Verfolgung ein Vermögenszugriff gehört hat. Das Recht der offenen
Vermögensfragen erfaßt dagegen bestimmte rechtsstaatswidrige oder sonst anstößige,
zumindest faktisch endgültig wirkende, rein objektbezogene Vermögenszugriffe, die
nicht Folge einer politischen Verfolgung waren. Zu inhaltlichen Überschneidungen
zwischen beiden Rechtsgebieten kann es nur in den Fällen verwaltungsrechtlich
verfügter, objektbezogener Vermögenszugriffe kommen, die eine Willkürmaßnahme im
Einzelfall dargestellt haben. Dies folgt daraus, daß das Verwaltungsrechtliche
Rehabilitierungsgesetz, anders als das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, neben den
der politischen Verfolgung dienenden Maßnahmen auch ausschließlich willkürliche
Verwaltungsentscheidungen erfaßt,42 die sich damit auch auf verwaltungsrechtliche,
willkürliche Vermögensschädigungen beziehen. Sie werden damit insbesondere vom
Tatbestand der „unlauteren Machenschaften“ des § 1 III VermG erfaßt. Nur diese
gesetzliche Überschneidung der Geltungsbereiche beider Rechtsgebiete wird von § 1 I 2
und 3 VwRehaG in der Weise gelöst, daß dann dem Recht der offenen Vermögensfragen
der Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gebührt, um eine
Anwendung beider Gesetze zu vermeiden.
Die gesetzlich insgesamt eindeutig vorgegebene Abgrenzung des Rehabilitierungsrechts
vom Recht der offenen Vermögensfragen hat das Bundesministerium der Justiz
allerdings in den Begründungen mehrerer Gesetzesentwürfe deutlich verunklart, ohne
damit allerdings tatsächlich verwertbare Anhaltspunkte für eine anderweitige
Abgrenzung geschaffen zu haben. So ergibt sich nur aus der Zusammenschau der den
Einzelbegründungen zu den Vorschriften des Vermögensgesetzes vorangestellten
allgemeinen Erläuterungen der Bundesregierung zum Vermögensgesetz,43 daß
Vermögenseinziehungen in einem rechtsstaatswidrigen Strafverfahren keine
Enteignungen i.S. von § 1 I VermG darstellen. Insofern wird zwar zutreffend dargelegt,
daß das Vermögensgesetz entsprechend der Gemeinsamen Erklärung “nicht die
Aufhebung von Vermögenseinziehungen, die in rechtsstaatswidrigen Strafverfahren .....
ausgesprochen wurden” regelt, sondern daß entsprechende Ansprüche erst nach der
41
Zuletzt sehr eingehend: Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238 (242ff.).
Vgl. § 1 II, 2. Alt. VwRehaG.
43 BT-Drucks. 11/7831.
42
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21
Aufhebung der Vermögenseinziehung nach Maßgabe des Vermögensgesetzes
abzuwickeln sind. Diese Aussage steht aber erst mehrere Absätze nach den allgemeinen
Ausführungen zu Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher
Grundlage. Insofern läßt sich leicht übersehen, daß strafrechtlich verfügte
Vermögenseinziehungen per se keine Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Grundlage darstellen, selbst wenn sie auf besatzungsrechtlicher
oder besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sind. Überhaupt kein Hinweis ergibt sich
aus den Erläuterungen der Bundesregierung zum Entwurf zum Vermögensgesetz, daß
nichts anderes für durch Verwaltungsentscheidung verfolgungsbedingt verfügte
Vermögensentziehungen gilt. Dazu muß erst auf die Erläuterungen zu Art. 17 EVertr. in
der Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag44 zurückgegriffen werden,
aus denen sich ergibt, daß auch verwaltungsrechtliche und betriebliche
Verfolgungsmaßnahmen in gleicher Weise wie strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen
rehabilitiert werden sollen. Diese unübersichtlichen Erläuterungen des Gewollten
können bei kursorischer Prüfung der Rechtslage leicht zu dem Mißverständnis führen,
daß nach dem Willen des Gesetzgebers Enteignungen i.S. von § 1 I, VIII lit. a, 1. Halbs.
VermG auch verfolgungsbedingte Vermögensschädigungen umfassen, jedenfalls dann,
wenn sie Gegenstand einer Verwaltungsentscheidung waren.45
Wesentlich mißverständlich begründet wurde darüber hinaus die daraufhin mit dem
Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14.7.199246 angefügte Klarstellung § 1
VIII lit. a VermG um den zweiten Halbsatz: “Ansprüche nach Absatz 6 und 7 bleiben
unberührt.” In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten
Vermögensrechtsänderungsgesetzes
wird
lediglich
dargelegt,47
daß
NSVermögensschädigungen deshalb nicht vom Anwendungsausschluß in § 1 VIII lit. a, 1.
Halbs. VermG erfaßt sein sollten, weil “die Regelung des Absatzes 6 in diesen
Fallgestaltungen nicht auf die Korrektur einer Maßnahme unter sowjetischer
Besatzungshoheit, sondern auf die Korrektur nationalsozialistischen Unrechts abzielt.”
Dieser Begründungsansatz kann leicht mißverstanden werden, weil man annehmen
könnte, die Ausschlußregelung des § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG sei nur bei einem
erneuten Vermögenszugriff auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher
Grundlage nicht anwendbar. Daß § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG dagegen klarstellt, daß
verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe, die bei Maßnahmen des NS- und SEDRegimes grundsätzlich denselben Unrechtsgehalt aufweisen,48 per se nicht vom
Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes und damit auch nicht von § 1 VIII lit. a, 1.
Halbs. VermG erfaßt wird, ergibt sich aus dieser Begründung nicht. Deshalb hat sich der
44
BT-Drucks. 11/7760.
Die erste Entscheidung, die das Verhältnis von § 1 VI, VII VermG zu § 1 VIII lit. a VermG in einem NSVerfolgungsfall grundlegend mißverstanden hatte, war KG, VIZ 1992, 65f. Diese Entscheidung war dann
auch Anlaß für die gesetzlich Klarstellung in § 1 VIII lit.a, 2. Halbs. VermG durch das Zweite
Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14.7.1992 (BGBl. I S. 1457).
46 BGBl. I S. 1257.
47 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes, BTDrucks. 12/4994, S. 22f.
48 Vgl. BVerfGE 101, 239 (268).
45
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7. Senat des BVerwG49 auch sogleich zur Rechtfertigung seiner Rechtsprechung, nach
der auch verfolgungsbedingte Vermögensverluste auf besatzungsrechtlicher oder
besatzungshoheitlicher Grundlage in den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes
fallen, auf diese mißverständliche Regierungsbegründung berufen. Dabei hat er aber
übersehen, daß bei dieser Konkretisierung die Klarstellung in § 1 VIII lit. a, 2. Halbs.
VermG für die Fälle der verfolgungsbedingten Vermögenszugriffe i.S. von § 1 VII
VermG leerläuft, weil es unter Besatzungshoheit keine zweifachen staatlichen
Vermögenszugriffe gegeben hat.50 Der Senat hat damit nicht bedacht, daß die
Umsetzung der Regierungsbegründung für die Fälle des § 1 VII VermG völlig
sinnwidrig wäre. Jedenfalls bei rechtlicher Betrachtung ist die Begründung auch deshab
sinnwidrig, weil NS-Vermögensschädigungen insbesondere gegenüber Juden wegen
Verstoßes gegen die Radbruchsche Formel51 und wegen der Aufhebung der NSErmächtigungsnormen dazu durch die alliierte Gesetzgebung nichtig waren.
Das gesetzlich Gewollte ergibt sich klar dennoch erst aus Beschlußempfehlung und
Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf von § 1 I 2, Ia 2 AusglLeistG, der für den
Bereich des Ausgleichsleistungsgesetzes eine § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG inhaltlich
entsprechende Klarstellung enthält. Dort heißt es zutreffend:52 “Der neu eingefügte Satz
2 stellt klar, daß bei der Aufhebung einer grob rechtsstaatswidrigen strafrechtlichen
Verurteilung (Rehabilitierung) auch dann ein vermögensrechtlicher Anspruch (auf
Restitution und hilfsweise auf Entschädigung) gegeben ist, wenn die aufgehobene
Verurteilung zwischen dem 8. 5. 1945 und dem 6. 10. 1949 erfolgte. Auch die erst im
nachhinein von der früheren Besatzungsmacht wieder beseitigten Zwangsmaßnahmen
können nicht als ,besatzungsrechtlich’ im Sinne von Ziffer 1 der Gemeinsamen
Erklärung vom 15. 6. 1990 qualifiziert werden. Mit anderen Worten: Auf solche Fälle
finden das Vermögensgesetz (gemeint ist in entsprechender Anwendung nach § 1 VII
VermG) und das Entschädigungsgesetz,53 nicht aber das Ausgleichsleistungsgesetz
Anwendung.”
Eine wesentliche Irreführung hat das Bundesministerium der Justiz schließlich mit der
amtlichen Begründung zum Entwurf von § 1 I 3 E-VwRehaG vorgenommen, in der es
heißt: “In Satz 3 wird klargestellt, daß das VwRehaG auch auf die vom
Vermögensgesetz ausdrücklich ausgeschlossenen Fallgruppen des § 1 Abs. 8
Vermögensgesetz keine Anwendung findet. Besondere Bedeutung hat dies für die
Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (§ 1 Abs.
49
BVerwGE 99, 268 (273) = VIZ 1996, 88 (89).
Eine Ausnahme stellt auch nicht die spätere Wegnahme von Resthöfen dar, die Hofinhabern mit
Flächen über 100 ha nach der “Enteignung” kraft Gesetzes zunächst wieder belassen wurden. In diesen
Fällen sind die Betroffenen zunächst nicht politisch als Kriegs- und Naziverbrecher verfolgt worden.
51 Vgl. nur: BVerfGE 23, 98ff
52 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Entschädigungs- und
Ausgleichsleistungsgesetzes, BT-Drucks. 12/7588, S.41.
53 Gemeint ist hier die in § 1 VI, VII VermG angeordnete entsprechende Anwendung des
Vermögensgesetzes zur bloßen Abwicklung der Rechtsfolgen eines verfolgungsbedingten
Vermögensentzugs, die in den Fällen des § 1 VII VermG zuvor eine rehabilitierungsrechtliche Aufhebung
auch des verfolgungsbedingten Aktes der Vermögensschädigung voraussetzt.
50
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23
8 Buchstabe a VermG). Damit werden im wesentlichen zwei große Enteignungsaktionen
aus dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes und der verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierung ausgeschlossen: Die entschädigungslosen Enteignungen im Bereich der
Industrie zu Gunsten der Länder der ehemaligen SBZ bzw. im Rahmen sowjetischer
Reparationsmaßnahmen und die entschädigungslosen Enteignungen im Bereich der
Landwirtschaft im Rahmen der sog. .demokratischen Bodenreform’. Diese Rechtslage ist
entscheidend auf die Haltung der Sowjetunion zurückzuführen, nach der die unter ihrer
Besatzungshoheit (1945 bis 1949) durchgeführten Enteignungsmaßnahmen
völkerrechtlich nicht zur Disposition der beiden deutschen Staaten stünden und als
solche unangetastet bleiben müßten. Dies war auch im Rahmen des VwRehaG zu
beachten.”54
Die Begründung sagt zwar eigentlich nichts Neues. Sie legt lediglich dar, daß
Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, die
nach § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG aus dem Anwendungsbereich des
Vermögensgesetzes ausgeschlossen sind, auch aus dem Geltungsbereich des
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ausgeschlossen werden sollen. In der
Begründung findet sich aber kein Hinweis darauf, daß Enteignungen i.S. des
Vermögensgesetzes lediglich rein objektbezogene, nicht aber verfolgungsbedingte
Vermögenszugriffe sind. Da dieser Hinweis fehlt,55 entsteht der unzutreffende
Eindruck, die Geltungsbereiche von Vermögensgesetz und Verwaltungsrechtlichem
Rehabilitierungsgesetz seien nach § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG und § 1 I 3 VwRehaG
nicht nur für objektbezogene, sondern auch für verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe
ausgeschlossen. Dieser irrige Eindruck muß entstehen, wenn zuvor nicht ermittelt
wurde, daß der vom Vermögensgesetz erfaßte Enteignungsbegriff (§ 1 I, VIII lit. a
VermG) lediglich rein objektbezogene Vermögensverluste, niemals aber auch
Vermögenszugriffe
erfaßt,
die
Folge
einer
verfolgungsbedingten
Ausgrenzungsentscheidung sind. Dies gilt sowohl für straf- als auch für
verwaltungsrechtliche Verfolgungsmaßnahmen.56
Die sich aus diesen Gesetzesbegründungen ergebenden Irreführungen wurden dann
auch in diversen offiziösen Stellungnahmen, die von den Bundesministerien der Justiz
bzw. der Finanzen verbreitet sowie gegenüber den Gerichten konsequent wiederholt
und vertieft. Dabei tauchen, insbesondere unter gezielt undifferenzierter Berufung auf
die amtliche Begründung zum Entwurf von § 1 I 3 E-VwRehaG, Argumente auf, § 1 I 3
54
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgsgesetzes, BTDrucks. 12/4994, S. 23.
55 Der ausdrückliche Hinweis, daß die Tatbestände in § 1 I und III VermG keine verfolgungsbedingten
Vermögenszugriffe erfassen, befindet sich dagegen nur in der Kommentierung von Fieberg/Reichenbach,
VermG, Grundwerk, 1991, § 1, Rn. 117f. Fieberg und Reichenbach waren im Bundesministerium der
Justiz maßgeblich an der Formulierung der Gemeinsamen Erklärung und des Vermögensgesetzes, das
die Gemeinsame Erklärung in DDR- und dann in bundesdeutsches Recht umsetzt, beteiligt. Sind wußten
also genau um das Verhältnis von Ziff. 1 zu Ziff. 9 GemErkl. und von § 1 I, III zu VII VermG. Später hat
Neuhaus, ebenfalls Beamtin im Bundesministerium der Justiz, diesen entscheidenden Hinweis ohne jede
Erläuterung aus der Kommentierung entfernt.
56 Vgl. dazu eingehend: Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238 (242ff., 252ff.).
r
24
VwRehaG solle sicherstellen, daß § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG nicht umgangen wird.
Dabei wird, ebenso wie in der Gesetzesbegründung, durchgängig verschwiegen, daß
beide Regelungen lediglich rein objektbezogene Vermögenszugriffe, niemals aber
verfolgungsbedingte Vermögensverluste erfassen.57
Auf dieser gezielten Irreführung basiert dann auch die Rechtsprechung des 3. Senats des
BVerwG, der, ebenso wenig wie die amtliche Begründung zu § 1 I 3 E-VwRehaG der
vorgelagerten Frage nachgeht, welche Vermögensverluste als Enteignungen i.S. von § 1
I, VIII lit. a VermG und damit auch i.S. von § 1 I 3 VwRehaG angesehen werden können,
die aus den Anwendungsbereichen beider Gesetze ausgeschlossen werden.58 Dies führt
zu der mit den gesetzlichen Vorgaben unvereinbaren und gegenüber strafrechtlichen
Verfolgungsmaßnahmen
willkürlich
erscheinenden
Ausdehnung
des
vermögensrechtlichen
Enteignungsbegriffs
auch
auf
verfolgungsbedingte
Vermögenszugriffe.
III. Unzulänglichkeiten der zeithistorischen Forschung
Daß das krasse Verfolgungsunrecht, das sich im Rahmen der verharmlosend als
“Boden- und Wirtschaftsreform” bezeichneten Aktionen ereignet hat, bis heute
grundlegend verkannt wird, ist auch auf deutliche Unzulänglichkeiten der
zeithistorischen Forschung zurückzuführen. Sie können im Rahmen dieses Beitrages
allerdings nur in groben Zügen aufgezeigt werden.
Im Gegensatz zu diversen Unrechtsvorgängen, die sich in SBZ und DDR ereignet haben,
werden die Verfolgungsaktionen der “Boden- und Wirtschaftsreform” auffallend selten
behandelt. Soweit sie rechtsstaatlich besonders krasse Rechtsmißbräuche eines
strafrechtlichen Entnazifizierungsinstrumentariums dargestellt haben, werden diese
Zusammenhänge in zeithistorischen Publikationen zur Entnazifizierung oder zur
Justizpolitik in SBZ und DDR regelmäßig nicht behandelt,59 obgleich die Verfolgungen
57
Vgl. aus der Vielzahl entsprechender Schriftsätze in Verfahren unterschiedlichen Gerichten nur:
Schriftsatz des Oberbundesanwalts beim BVerwG vom 18.1.1999 - 2 R 146/98 im Verfahren BVerwG 7 C
8.98 -; Schriftsatz des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG vom 4.2.2002 - 2 R 153.01 - im
Verfahren BVerwG 3 C 15.01; Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland vom 21.2.2005 - IV M -9479/2-4 E (2161)-4 C 35/2004 im Verfahren der
Individualbeschwerde Nr. 27225/04 vor dem EGMR.
58 BVerwG, VIZ 2002, 25 = ZOV 2001, 427; BVerwGE 116, 42 (44) = VIZ 2002, 272f. = ZOV 2002, 178;
VIZ 2002, 461; ZOV 2007, 67 (68).
59 Beispielsweise zur Entnazifizierung: van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern,
Herrschaft und Verwaltung 1945-1948, 1999; Rößler (Hrsg.), Entnazifizierungspolitik der KDP/SED 19451948, Dokumente und Materialien, 1994; Widera, “.... eine gute saubere anständige Gesinnung”.
Entnazifizierung als Instrument der Diktaturdurchsetzung in Dresden 1945, in: Behring/Schmeitzner,
Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945-1952;
Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone, 1998, der die
“Enteignungen” immerhin als Teil der in der SBZ betriebenen Entnazifizierung anspricht (S. 41f.), aber
meint, die Enteignungsfrage sei von der justiziellen Bewältigung von NS-Unrecht vollkommen abgekoppelt
worden, dabei aber übersieht, daß die Verfahren vor den mit den Sondergerichten gleichgestellten
Kommissionen nach sowjetischem Verständnis ebenfalls eine justizielle Bewältigung dargestellt haben;
r
25
im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” zu den zentralen Maßnahmen der
repressiv betriebenen Entnazifizierung während der Phase der stalinistischen
Machtdurchsetzung zählen.
Daneben gibt es einige Untersuchungen, die sich speziell mit der “Bodenreform” und
mit der “Wirtschaftsreform” befassen. Am umfangreichsten dürften dabei die
zeithistorischen Untersuchungen zur “Bodenreform” sein.60 Sie befassen sich teilweise
mit einzelnen Aspekten der Vorbereitung der “Bodenreform” in der UdSSR und den
Diskussionen um die “Bodenreform” in den deutschen Ländern. Es wird auch noch der
Zugriff auf Vermögenswerte anhand der Normtexte der Bodenreformgesetze
beschrieben. Dabei werden die ebenfalls maßgeblichen Ausführungsbestimmungen zu
den Bodenreformgesetzen aber schon nicht mehr berücksichtigt. Im übrigen behandeln
die Darstellungen zur “Bodenreform” lediglich die Aufteilung von Bodenreformland
und die sich daraus ergebenden agrarpolitischen Änderungen.
Mit einer solchen Art der Darstellung entsteht aber ein deutliches Zerrbild über das
tatsächlich praktizierte Unrecht. Insofern fehlt bislang eine umfassende
zeitgeschichtliche Untersuchung über die gegenüber den Bodenreformopfern tatsächlich
verfolgten Zwecke, die nicht nur aufgrund der seinerzeit verbreiteten, auf dem
stalinistischen Feindbild61 basierenden Propaganda (“Rottet dieses Unkraut aus”),
sondern auch nach ihrer Zielrichtung der Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern
und der deshalb verhängten Sanktionen auf die Vernichtung einer sozialen Klasse nach
stalinistischem Verständnis gerichtet war. Gegenüber den Geschädigten wurde also
keine “Bodenreform”, sondern eine kraß rechtsmißbräuchliche repressive
Entnazifizierung durchgeführt. Des weiteren sind zeithistorisch die Verfahren, die vor
örtlichen Kommissionen und den Landeskommissionen zur Bestrafung von Kriegs- und
Naziverbrechern auf der Grundlage der Tatbestände in den Ausführungsbestimmungen
zu den Bodenreformverordnungen durchgeführt worden sind und deren kraß
rechtsstaatswidrige Methoden, nicht im Ansatz untersucht. Im übrigen wird die für die
Verfolgung maßgebliche Schuldfeststellung als Mitglied der “Bastion der Reaktion und
des Faschismus in unserem Lande... und einer der Hauptquellen der Aggression und
der Eroberungskriege gegen andere Völker” nicht nachvollzogen. Statt dessen wird nur
zur Justizpolitik: Weber, Justiz und Diktatur, Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 19451961, 2000; Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953, Transformation und Rolle ihrer zentralen
Institutionen, 2001; Fricke, Politik und Justiz in der DDR, Zur Geschichte der politischen Verfolgung 19451968, Bericht und Dokumentation, 1979; Rössler, Justizpolitik in der SBZ/DDR 1945-1956, 2000. .
60 Vgl. nur: Bauerkämper (Hrsg.), “Junkerland in Bauernhand?”, Durchführung, Auswirkungen und
Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, 1996; ders., Ländliche Gesellschaft in
der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963, 2002;
ders., Der verlorene Antifaschismus. Die Enteignung der Gutsbesitzer und der Umgang mit dem 20. Juli
1944 bei der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
1994, S. 623ff.; Schröder, Gutachten für die Enquete Kommission “Aufarbeitung der Geschichte und
Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einem demokratischen Rechtsstaat im
Land Brandenburg. Systematische Übersicht zur Eigentumstransformation vor und nach 1989 in
Brandenburg, o.J., S. 32ff.; Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik
in Mecklenburg-Vorpommern 1945-1949, 2006, 230ff.
61 Vgl. dazu nur: Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, 3. Aufl., 2012, S. 170f.
r
26
auf die Hofgröße abgestellt. Damit wird übersehen, daß damit lediglich die
Zugehörigkeit zur Bande der “Bastion der Reaktion und des Faschismus” gesetzlich
bestimmt wurde. Die Anknüpfung an die Hofgröße diente lediglich der formalen
Bestimmung dieses Personenkreises, war damit aber nicht der eigentliche Zweck der
Verfolgung. In diesem Zusammenhang haben Zeithistoriker auch nicht die Praxis in den
Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen untersucht, als unschuldig
behandelten antifaschistischen Kämpfern einen Resthof zu belassen, sowie die
nachträglichen Versuche, derartige Entscheidungen wieder rückgängig zu machen.
Nicht untersucht wurde schließlich, was es konkret für die Bestimmung des
Verfolgungszwecks bedeutet, daß sich UdSSR und DDR zur Rechtfertigung der
Verfolgung stets auf die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zur Bestrafung von
Kriegs- und Naziverbrechern,62 niemals aber auf die alliierten Überlegungen zur
Durchführung einer Bodenreform berufen haben. Das wäre auch gar nicht möglich
gewesen, weil die USA erst im Oktober 1945 den Entwurf eines Gesetzes “zur
Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform” im Alliierten Kontrollrat
eingebracht hat.
Es gibt im übrigen keine der tatsächlichen Praxis nur annähernd gerecht werdende
Untersuchung über die gegenüber Bodenreformopfern verhängten Sanktionen. Dies
betrifft sowohl den umfassenden Zugriff auf das Privatvermögen der Betroffenen als
auch die unmittelbare Anwendung von Sanktionsnormen gegen Kriegs- und
Naziverbrecher, etwa zum Wahlverbot, zur Einziehung von Altguthaben, zum
Berufsverbot und manches mehr. Es fehlt auch eine aussagekräftige Untersuchung über
die praktizierte Vertreibung und die damit regelmäßig verbundene Internierung der
Verfolgten. Nicht untersucht ist das Zusammenwirken der deutschen Organe mit dem
sowjetischen NKWD, der regelmäßig die Internierung durchgeführt hat, von denen ein
großer Teil der Bodenreformopfer betroffen war. Gleiches gilt für das Zusammenspiel
von gegen Kriegs- und Naziverbrecher gerichteten Bodenreformverfolgung und den
relativ häufigen Verurteilungen von Bodenreformopfern durch das Sondergericht
Waldheim, die zumeist unmittelbar auf das KRG Nr. 10 und die KRD Nr. 38 gestützt
waren, zu denen Art. I Ziff. 1 Satz 2 der Bodenreformgesetze sowie die
Ausführungsbestimmungen zu Art. II, Ziff. 2 lit.a und b zu den Bodenreformgesetze
Vorgängernormen darstellten.
Vergleichbares gilt für die zeithistorischen Untersuchungen zur “Wirtschaftsreform”.
Hierzu liegen einzelne Dissertationen63 und andere Untersuchungen64 vor. Sie stellen
62
Vgl. dazu nur die Erklärung der sowjetischen Regierung vom 28.3.1990 über die Gültigkeit
besatzungspolitischer Maßnahmen der Jahre 1945 bis 1949 (sog. TASS-Erklärung), abgedr. in:
Galkin/Tscherniaiew (Hrsg.), Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente
1986-1991, S. 360ff. sowie in: Wasmuth, RVI, B 100, VermG Einf., Rn. 322ff.
63 Böhme, Die Enteignung von Großbetrieben und der Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft in der
Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 am Beispiel der Firma Siemens, 2006; Spannuth,
Rückerstattung Ost. Der Umfang der DDR mit dem “arisierten” Eigentum der Juden und die
Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland, 2007.
64 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998; Schröder,
Gutachten für die Enquete Kommission “Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der
r
27
trotz Ihres Umfangs lediglich Beschlagnahmemaßnahmen nach Maßgabe des SMADBefehls Nr. 124 dar, ohne je die unterschiedlichen Funktionen der einzelnen
Beschlagnahmetatbestände
und
die
dazu
teilweise
erlassenen
Ausführungsbestimmungen und das nach Nr. 124 Ziff. 1 f SMAD-Befehl vorgegebene
Zusammenwirken der SMAD bzw. des sowjetischen NKWD mit den deutschen
Kommissionen herausgearbeitet zu haben. Im übrigen werden die Enteignungsgesetze
der Länder beschrieben. Dabei werden allerdings lediglich dort allein geregelte
Entziehung des Betriebsvermögens und dessen Übernahme in Landeseigentum
beschrieben. Zu letzterem werden auch unterschiedliche SMAD-Befehle bemüht.
Bisweilen eingehend werden schließlich die volkseigene Verwertung von Betriebs- und
Privatvermögen der Betroffenen und der Aufbau der Planwirtschaft sowie deren
Organisation dargestellt.
Dagegen werden die repressiven, gesetzlichen Voraussetzungen der “Enteignungen”
und deren damalige Feststellung in aller Regel nicht einmal erwähnt. Ohne jede
nachvollziehbare Einordnung erwähnt nur Hartisch65 den Runderlaß Nr. 5 des
brandenburgischen Amtes für Angelegenheiten der Sequestrierung und
Beschlagnahme, dem in Brandenburg die Funktion der Richtlinien zum sächsischen
Volksentscheid zukommt. Sie enthalten die Tatbestände, nach denen die Verfolgten als
Kriegs- und Naziverbrecher, aktive Verfechter der Nazipartei und des Nazistaates und
aktiv dem Kriegsverbrechen dienende Betriebe und Unternehmen zu beschuldigen
waren. Hartisch weist auch auf die Protokolle der 333 Sitzungen der brandenburgischen
Provizialkommission hin.66 Es fehlt aber jede Einordnung der getroffenen
Schuldfeststellungen. Nicht einmal ansatzweise werden im übrigen die Verfahren vor
den Kommissionen und die dabei verübten krassen Mißbrauchsmaßnahmen
beschrieben, die das Ausmaß der gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit grob
mißachtenden Waldheimer Unrechtsurteile noch überschreiten. Es fehlt auch jede
Untersuchung über die parallel betriebenen repressiven Entnazifizierungsverfahren vor
SMAD-Befehl Nr. 201 Sonderstrafgerichten und Kommissionen. Letztere wurden
zumeist nur aus Beschleunigungsgründen durchgeführt. Gleiches gilt für die
willkürliche, völlig austauschbar gehandhabte Verfolgung nach Vorschriften der
repressiven Entnazifizierung insbesondere bei der sog. “Nacherfassung” und des
Wirtschaftsstrafrechts, die aber erkennen lassen, daß repressive Entnazifizierung und
Wirtschaftsstrafverfahren in identischer Weise lediglich systematisch zur
Verstaatlichung von Betriebsvermögen mißbraucht wurden.
Auch die einschneidenden Sanktionen, soweit sie weit über die “Enteignung” des
Betriebs- und Privatvermögens hinausgingen, werden nicht ansatzweise erwähnt. Nicht
SED-Diktatur und des Übergangs in einem demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg.
Systematische Übersicht zur Eigentumstransformation vor und nach 1989 in Brandenburg, o.J., S. 19ff.;
Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik in MecklenburgVorpommern 1945-1949, 2006, 242ff.; noch aus DDR-Zeiten insbesondere: Wilhelm, Die Rolle von Partei
und Staat bei der Durchführung der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, Akademie für Staats- und
Rechtswissenschaft, Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft, Heft 231, 1980.
65 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998, S. 41.
66 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998, S. 42.
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untersucht wird auch hier das Zusammenwirken von deutschen und sowjetischen
Verfolgungsorganen, die zwar unterschiedliche Verfahren durchgeführt haben, dies
aber stets mit dem gemeinsamen Zweck, den betroffenen Nazi- und Kriegsverbrecher
mit den jeweils in der Kompetenz des Verfolgungsorgans stehenden Sanktionen
(insbesondere Vermögenseinziehung einerseits und Verhaftung und Internierung
andererseits) auszuschalten und zu vernichten. Diese gravierenden Defizite der
zeithistorischen Forschung sind besonders fatal, weil in der BRD regelmäßig eine völlige
Unkenntnis über die Internierung der Verfolgten, die dort herrschenden katastrophalen
Zustände und die von den Machthabern bewußt in Kauf genommenen hohen
Sterberaten zu beobachten ist.
Zur Beurteilung des Unrechts, das den Opfern der “Bodenreform- und
Wirtschaftsreform” ab 1945 zugefügt worden ist, ist die bislang vorliegende
zeithistorische Forschung zur “Boden- und Wirtschaftsreform” daher grundsätzlich
ungeeignet. Sie hat sich bislang praktisch ausschließlich darauf beschränkt, den
wirtschaftlichen Transformationsprozeß nachzuzeichnen. Dagegen hat sie sich mit den
Opfern des repressiven stalinistischen Terrors, welcher der Ausmerzung sozialer
Klassen diente, allenfalls am Rande und nur in groben Ausschnitten befaßt. Dieses
Unrechtsgeschehen wird deshalb wesentlich verzerrt und damit unzutreffend
wiedergegeben. Dieser weitgehende Ausfall der zeithistorischen Forschung bei der
Aufarbeitung des verübten Unrechts dürfte im wesentlichen auf drei Gründen beruhen:
Sowohl die kommunistische Propaganda, die das Unrechtsgeschehen im nachhinein als
bloße “Boden- und Wirtschaftsreform” verharmlost hat, als auch die bereitwillige
Verharmlosung des stalinistischen Terrors durch die Bundesministerien der Justiz und
der Finanzen sowie diverser anderer staatlicher Stellen im wiedervereinigten
Deutschland haben den Blick dafür verstellt, die maßgeblichen Fragen zu stellen.
Zeithistorikern sind im übrigen regelmäßig die rechtlichen Kriterien unbekannt, die
ausschlaggebend für eine rechtlich einwandfreie Einordnung des Unrechts und der
dafür vorgeschriebenen Wiedergutmachungsleistungen sind. Nicht zuletzt ist aber auch
die unkoordinierte, weithin lückenhafte Aufarbeitung der vorhandenen Archivbestände
ein maßgeblicher Gesichtspunkt, der die klaren Defizite der zeithistorischen Forschung
plausibel macht.
IV. Fazit
Der flächendeckende Rehabilitierungsausfall gegenüber den Verfolgungsopfern des
stalinistischen Terrors, der sich unter dem Deckmantel einer “Boden- und
Wirtschaftsreform” ereignet hat, kommt nicht von ungefähr. Er beruht zentral auf
gezielt das Verfolgungsunrecht negierenden oder verharmlosenden sowie die Vorgaben
des geltenden Wiedergutmachungsrechts verzerrenden Stellungnahmen und anderen
Formen der Einflußnahme der Bundesministerien der Justiz und der Finanzen. Beide
Ministerien haben dazu den individuellen, mit äußerster Rücksichtslosigkeit und
Brutalität umgesetzten repressiven Verfolgungscharakter konsequent geleugnet und
grundlegend als bloße Enteignungsmaßnahmen, die primär der Umgestaltung der
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Eigentumsordnung gedient haben soll, umgedeutet. Da sich der Verfolgungscharakter
des Unrechts damit nicht vollständig unterdrücken ließ, wurde außerdem der
Geltungsbereich des Rechts der offenen Vermögensfragen zu Lasten des
Rehabilitierungsrechts ausgedehnt. Zu diesem Zweck wurde die Behauptung, mit der
Gemeinsamen Erklärung habe man die UdSSR von einem Unrechtsvorwurf freistellen
wollen, in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in der Gemeinsamen
Erklärung und zu den Vorschriften zum Geltungsbereich der Rehabilitierungsgesetze
zerfunden. Außerdem wurden bei oberflächlicher Prüfung mißverständliche
Gesetzesbegründungen
insbesondere
zum
Entwurf
des
Zweiten
Unrechtsbereinigungsgesetzes bemüht, um auf dieser Grundlage nicht nur willkürliche,
sondern auch verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe als Enteignungen i.S. von § 1
VIII lit. a, 1. Halbs. VermG auszugeben. Damit haben insbesondere die
Bundesministerien der Justiz und der Finanzen sowohl den Verfolgungssachverhalt der
Terrormaßnahmen im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” maßgeblich
verharmlost als ein Zerrbild von den Geltungsbereichen des Rechts der offenen
Vermögensfragen und des Rehabilitierungsrechts gezeichnet. All dies erfolgte, um den
Opfern des stalinistischen Unrechts den ihnen zustehenden Anspruch auf strafrechtliche
Rehabilitierung vorzuenthalten. Die das Unrecht völlig unzureichend und damit
unzutreffend erfassenden Darstellungen der Bundesministerien werden zudem durch
die weiterhin erheblichen Defizite in der zeithistorischen Forschung in ihrer das Unrecht
verharmlosenden Wirkung zusätzlich verstärkt.
Die Rechtsprechung der Fachgerichte ist den gezielt irreführenden Vorgaben der
Bundesministerien gefolgt, ohne daß ausweislich der Entscheidungsbegründungen
ernsthafte Anstrengungen unternommen worden sind, den tatsächlichen
Verfolgungssachverhalt in seiner tatsächlichen Zielrichtung und in seinem Ausmaß
jemals ermittelt, und ohne die geltende Rechtslage grundlegend, auch jenseits des
Vortrags der Behörden überprüft zu haben. Die Fachgerichte haben sich damit
flächendeckend nicht als unabhängige Gerichte erwiesen, die selbständig den
Sachverhalt ermitteln und umfassend die geltende Rechtslage prüfen. Sie haben sich
vielmehr ausschließlich am behördlichen Parteivortrag orientiert. Dies ist wegen der
Materie der Aufarbeitung schwersten Unrechts, das sich in der Zeit des stalinistischen
Terrors auf deutschem Boden ereignet hat, ein für den Rechtsstaat niederschmetternder
Befund.
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