An welchen rechtsstaatlichen Fehlleistungen sind weite Bereiche der wiedergutmachungsrechtlichen Aufarbeitung des SED-Unrechts systematisch gescheitert? - Teil 6: Der rechtsstaatswidrige Beitrag der Bundesministerien der Finanzen und der Justiz sowie Defizite bei der Aufarbeitung durch die zeithistorische Forschung Von Rechtsanwalt Dr. JOHANNES ALBRRECHT KEMPE, Leipzig WASMUTH, München, und JULIUS I. Einleitung Soweit in den bisherigen Beiträgen dieser Aufsatzserie nachgewiesen wurde, daß den Opfern der nach dem Muster der stalinistischen Säuberungen und unter krassem Mißbrauch eines repressiven Entnazifizierungsinstrumentariums durchgeführten Verfolgungen im Rahmen der Aktionen der sog. “Boden- und Wirtschaftsreform”1 flächendeckend der ihnen gesetzlich zustehende strafrechtliche Rehabilitierungsanspruch verwehrt worden ist, weil die Fachgerichte sowohl den Verfolgungssachverhalt nicht ermittelt als auch die Reichweite des geltenden Rehabilitierungsrechts grob verkannt haben,2 soll nunmehr zunächst dargestellt werden, inwieweit dieses rechtsstaatliche Versagen auf gezielte Einflußnahmen insbesondere durch die Bundesministerien der Jusitz und der Finanzen zurückzuführen ist. Im übrigen sind die offenkundig gewordenen Fehlleistungen der Rechtsprechung auch darauf zurückzuführen, daß das Bewußtsein für das vom SED-Regime zu verantwortende Unrecht fehlt. Bekannt und geächtet sind der Mauerbau, der Aufstand vom 17. Juni 1953 und die Überwachungsmechanismen des Ministeriums für Staatssicherheit. Daß damit bei weitem nicht das schlimmste, in SBZ und DDR verübte Unrecht erfaßt wird, ist dagegen weitgehend unbekannt. Insbesondere die krassen Verfolgungsaktionen während der stalinistischen Machtokupation und -sicherung in SBZ und DDR werden regelmäßig schon deshalb verkannt, weil das tatsächliche Unrechtsgeschehen der “Klassenliquidation”3 unzulässig fragmentiert und damit grob verharmlost wird. Vor diesem Hintergrund soll zusätzlich auf die zu beobachtenden Unzulänglichkeiten der zeithistorischen Forschung zu den Komplexen der “Boden- und Wirtschaftsreform” eingegangen werden. II. Einflußnahme der Bundesministerien der Justiz und der Finanzen 1 Vgl. dazu nur: Wasmuth/Kempe, ZOV 2011, 240 (241ff.); des weiteren: Wasmuth/Kempe, ZOV 2008, 232ff. (zur Wirtschaftsreform); dies., ZOV 2009, 8ff. (zur Boden- und Wirtschaftsreform); Wasmuth, ZOV 2010, 3ff.; ders., ZOV 2010, 216ff., ders., ZOV 2010, 283ff. (jeweils zur Bodenreform); ders., ZOV 2010, 290ff. (zur Wirtschaftsreform in Ostberlin). 2 Vgl. näher Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238ff. 3 Vgl. dazu nur die eingehenden Feststellung des BVerfG: BVerfGE 5, 85 (147ff.). r 2 Die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen haben nach Erlaß des Rechts der offenen Vermögensfragen und des Rehabiliterungsrechts zunächst untergeordnete Bundesbehörden und Landesbehörden geschult. Sie haben die Rechtsanwendung zudem mit Richtlinien, Rundschreiben, Merkblättern und durch Mitarbeiter verfaßte Beiträge in juristischen Fachzeitschriften begleitet. Wesentlicher aber noch ist die irreführende Prozeßbegleitung in für die Rechtsentwicklung zentralen Verfahren insbesondere vor dem BVerfG und dem BVerwG. Daneben sind Stellungnahmen des Bundesministeriums der Justiz gegenüber dem Deutschen Bundestag und seinem Petitionsausschuß zu erwähnen. Anhand dieser Maßnahmen läßt sich zeigen, daß die den Fakten widersprechende systematische Verharmlosung des geschehenen Unrechts, die unzulässige Berufung auf eine Rehabilitierung vermeintlich ausschließende “Vorbedingungen” von UdSSR und DDR und die grundlegende Verkennung des maßgeblichen Rehabilitierungsrechts und seiner Abgrenzung zum Recht der offenen Vermögensfragen durch die Fachgerichte primär darauf zurückzuführen ist, daß sie unkritisch und ohne die von unabhängigen Gerichten zu erwartende Prüfung dem gezielt irreführenden und grob unzutreffenden, gleichwohl offiziös vermittelten Parteivortrag der Bundesministerien gefolgt sind. 1. Bloße Umgestaltung der Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich statt krasse politische Verfolgung Was die Verfolgungsakte der “Boden- und Wirtschaftsreform” tatsächlich waren, ist in dieser Beitragsserie und in diversen anderen Beiträgen beschrieben worden:4 Es handelte sich um einen systematischen, der Ideologie des kommunistischen Antifaschismus verhafteten, krassen Mißbrauch von häufig nicht einmal veröffentlichten Strafvorschriften zur Entnazifizierung. Dabei wurde jeder einzelne Betroffene von den ausschließlich nach dem Muster der stalinistischen Säuberungen agierenden Kommissionen mit unterschiedlichen Vorwürfen als Kriegs- und Naziverbrecher beschuldigt. Die Beschuldigung traf nicht sämtliche Angeklagten. Die Rate der Freisprüche lag im Rahmen der “Wirtschaftsreform” anfangs sogar bei etwa 50 %. Daß sie durch wenig später initiierte Nacherfassungen verringert wurde, steht dem individuellen Verfolgungscharakter des stalinistischen Terrors nicht entgegen, sondern bestätigt ihn. In den Kommissionen, die stets SED-dominiert waren, saßen Mitglieder der antifaschistischen Blockparteien und anderen Organisationen. Die Verfahren erfolgten ohne Beteiligung der Betroffenen. Eine Ermittlung des Anklagematerials unterblieb. Vielmehr wurden die Fakten der Anklage als wahr unterstellt. Die Entscheidungen wurden in Sammelprotokollen kusorisch zusammengefaßt und dem Regierungskabinett oder - in Ostberlin - dem Magistrat zur abschließenden Entscheidung vorgelegt. Lediglich bei Landwirten mit Höfen über 100 ha war der Mißbrauch noch krasser. Sie galten bereits kraft Gesetzes als Mitglieder der Bande der “Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande... und einer der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker.” Ihnen wurde also ohne Prüfung im Einzelfall eine nach stalinistischem Sprachgebrauch 4 Vgl. dazu die Nachweise in Rn. 1. r 3 typische Schuld als Kriegs- und Naziverbrecher kraft Gesetzes unterstellt. Nur in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen konnten die Betroffenen im Rahmen eines Einspruchs ihre Unschuld als antifaschistische Kämpfer nachweisen und galten dann nicht als Kriegs- und Naziverbrecher, weshalb ihnen ein Resthof belassen wurde.5 Die an den Schuldspruch durch die Kommissionen oder kraft Gesetzes angeknüpften Sanktionen waren tiefgreifend: Entziehung des Betriebs- und Privatvermögens,6 Berufsverbot, Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, öffentlicher Tadel und Vertreibung von Haus und Hof. Damit nicht genug: Nur weil die deutschen Organe bis August 1947 noch nicht berechtigt waren, Kriegs- und Naziverbrecher zu verhaften und zu internieren, verhängten diese Maßnahmen noch sowjetische Organe, die ihrerseits die Verhaftungen nach Mitteilung der Verurteilung durch die deutschen Kommissionen vornahmen. Umgekehrt wurden vom NKWD verhaftete Unternehmer und Landwirte den deutschen Verfolgungsorganen mitgeteilt, was Ziff. 1 lit. f SMADBefehl Nr. 124 ausdrücklich vorgeschrieben hat. Es bestand daher stets ein unmittelbarer Zusammenhang bei der Verfolgung durch deutsche und sowjetische Organe. In der Darstellung des Bundesministeriums der Justiz lesen sich die Vorgänge allerdings völlig anders, was hier nur an wenigen Beispielen demonstriert werden kann. Darauf beruht zunächst das Bodenreformurteil des BVerfG, das den von der Bundesregierung vorgetragenen Sachverhalt wiedergibt. Dort ist ausschließlich die Rede von einer wirtschaftlichen Umgestaltung der Eigentumsordnung, wonach der mit der “Bodenreform” entzogene Grundbesitz privater Landwirte in einen Bodenfonds überführt worden sei, der teilweise der Versorgung von landlosen oder landarmen Bauern, Landarbeitern, Flüchtlingen und Umsiedlern mit kleinen Bodenflächen gedient habe.7 Im Bereich der “Wirtschaftsreform” geht das BVerfG auf den SMAD-Befehl Nr. 124 ein, der lediglich vorläufige Sicherungsmaßnahmen, nicht aber die durchgeführte Verfolgung regelte. Im übrigen wird für Sachsen auf das Enteignungsgesetz vom 5.6.1946 (GVBl. Sachsen, S. 305) Bezug genommen. Auf das eigentliche Unrechtsgeschehen (willkürliche Beschuldigung als Kriegs- und Naziverbrecher, kraß rechtsstaatswidrige Strafverfahren, diverse einschneidende Sanktionen auch nicht vermögensrechtlicher Natur mit der Zielrichtung der Ausschaltung und Ausrottung verhaßter Klassen, die als Feinde behandelt wurden) wird dagegen nicht eingegangen. Dementsprechend hat der damalige Bundesminister der Justiz Klaus Kinkel (FDP) in der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des BVerfG vom 22.1.1991 wörtlich u.a. vorgetragen: “Die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 sind Teil eines vielschichtigen Komplexes von Kriegs- und Besatzungsfolgen. Eine Befriedigung daraus sich ergebender Ansprüche kann notwendig nur nach dem Maß des Möglichen 5 In den anderen Ländern hat es allenfalls einzelne Fällen Gnadenerweise gegeben. Im Rahmen der “Bodenreform” erstreckte sich die Vermögenseinziehung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung auf “ das gesamte Vermögen einschließlich der beweglichen Habe mit Ausnahme der unpfändbaren Gegenstände” (Fieberg/Reichenbach, in: dies., VermG, 1991 [Grundwerk], § 1, Rn. 139ff.). 7 BVerfGE 84, 90 (97). 6 r 4 erfolgen. Dabei sind vor allem die Auswirkungen auf das gesamte, in sich ausgewogene System der Kriegsfolgen-, Kriegsschäden- und Lastenausgleichsgesetzgebung zu berücksichtigen. .... Der Gesetzgeber hat dabei aus Gleichbehandlungsgründen die ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit dahin ausgeübt, einheitlich auf der Grundlage steuerlicher Einheitswerte zu entschädigen. Dies betraf die Reparationsschäden, die Vertreibungsschäden, die Kriegsschäden einschließlich der Plünderungsschäden durch Besatzungsmächte wie auch die Ostschäden und die Wegnahmeschäden in der ehemaligen sowjetischen Besatzungsschäden, zu denen auch die Schäden infolge der Bodenreform gehören.”8 Jeder Hinweis darauf, daß Wegnahmeschäden in der SBZ nicht nur Enteignungen, sondern auch spezifisch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen u.a. mit der Sanktion der Vermögenseinziehung waren, die nach Ziff. 9 GemErkl. zu rehabilitieren sind und nicht von Ziff. 1 GemErkl. erfaßt werden, hat Kinkel gezielt verschwiegen. Vielmehr werden sämtliche Wegnahmen undifferenziert und unabhängig von ihrem tatsächlichen Unrechtsgehalt als bloßes Enteignungsunrecht dargestellt. Damit stellt Kinkel jedenfalls die repressiven Verfolgungsakte der “Bodenund Wirtschaftsreform” sachverhaltlich gezielt falsch dar. Ähnlich verfälschend hatte das Bundesministerium der Justiz auch durch seinen Verfahrensbevollmächtigten Prof. Dr. Fritz Ossenbühl vortragen lassen: “Wie der Rechtsstaat mit einer vorrechtsstaatlichen Vergangenheit umzugehen hat, ist kein Problem, das sich auf den Entzug von Eigentum beschränkt und auch nicht allein die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 in der SBZ/DDR betrifft. Die genannten Enteignungen sind Bestandteil eines vielschichtigen Komplexes von Kriegsfolgen, zu denen persönliche Freiheitsentziehungen ebenso gehören wie die Vertreibung von Millionen deutscher Staatsbürger aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze, denen Ersatz nur nach den Regeln des Lastenausgleichs gewährt worden ist..”9 Nachdem das Bodenreformurteil des BVerfG mit diesen unzutreffenden, weil das tatsächliche Verfolgungsgeschehen nicht erfassende Sachverhaltsschilderungen erlassen war, haben die Fachgerichte im Grundsatz durchgängig unterstellt, daß “Boden- und Wirtschaftsreform” nur Enteignungsmaßnahmen zum Zweck der Umgestaltung der Eigentumsordnung im landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich dargestellt haben. Sie wurden deshalb auch nur im Vermögens- und Ausgleichsleistungsgesetz, nicht aber in den Rehabilitierungsgesetzen verortet. Damit ist ein praktisch flächendeckender Ermittlungsausfall der Fachgerichte zu den individuellen Verfolgungen der Betroffenen als Kriegs- und Naziverbrecher, zum krassen, systematisch betriebenen Mißbrauch eines strafrechtlichen Instrumentariums nach dem Muster der stalinistischen Säuberungen und zum Zusammenwirken eines komplexen deutschrechtlichen Sanktionensystems mit Internierungen und Vertreibungen durch den NKWD in erster Linie darauf zurückzuführen, daß das Bundesministerium der Justiz das BVerfG grob verharmlosend und im Wesentlichen unzutreffend über den Verfolgungssachverhalt unterrichtet hat. 8 Plädoyer des Bundesministers der Justiz Dr. Klaus Kinkel vor dem BVerfG in Karlsruhe am 22. Januar 1991, in: Recht. Eine Information des Bundesministers der Justiz Nr. 2/1991 v. 22.1.1991, S. 10f. 9 Schriftsatz von Prof. Dr. Fritz Ossenbühl vom 20.12.1990 in den Verfahren 1 BvR 1170/90 u.a., S. 20. r 5 Natürlich hätten die Fachgerichte niemals auf die bloßen Sachverhaltsmitteilungen im Bodenreformurteil des BVerfG rekurrieren dürfen. Das BVerfG ist kein Tatsachengericht. Es nimmt daher grundsätzlich keine eigenständige Ermittlung des verfassungsrechtlich zu beurteilenden Sachverhalts vor, sondern legt den Sachvortrag der Verfahrensbeteiligten zugrunde. Damit haben die Sachverhaltsschilderungen im Bodenreformurteil die Fachgerichte nicht von ihrer gesetzlichen Verpflichtung entbunden, den tatsächlichen Verfolgungssachverhalt im einzelnen zu ermitteln. 10 Die häufigen Verweisungen der Fachgerichte auf das Bodenreformurteil und die wiederholt geäußerte Rechtsauffassung, daran gar nach § 31 BVerfGG gebunden zu sein, belegen, daß sie die unzutreffende, von der Bundesregierung verbreitete Sachverhaltsschilderung trotz des gesetzlich angeordneten Untersuchungsgrundsatzes ungeprüft und praktisch ohne eigenständige Ermittlung übernommen haben. Dieses Versagen der Fachgerichte ist im übrigen auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen das individuelle Verfolgungsunrecht, das sich im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” ereignet hat, bis heute in diversen Stellungnahmen gegenüber Gerichten konsequent und nachhaltig bestritten haben. So heißt es etwa in der auf ministeriellen Absprachen beruhenden Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht an das BVerwG vom 4.2.2002 wörtlich:11 “Auch wenn die Art und Weise der Durchführung der damaligen Enteignungsmaßnahmen mit den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats als schlechthin unvereinbar angesehen werden müssen, diente die den Rechtsvorgänger des Klägers enteignende Maßnahmen nicht in erster Linie und zielgerichtet seiner politischen Verfolgung oder stellte einen Willkürakt im Einzelfall dar. ... Bei der Enteignung des Rechtsvorgängers des Klägers (stand) nicht der Eingriff in die Persönlichkeitssphäre im Vordergrund, sondern der Vermögenseinzug. .... Die umfassenden Enteignungsmaßnahmen nach 1945 haben zwar auch (generellen) Verfolgungscharakter, dienten aber nicht der individuellen politischen Verfolgung. Dies wird schon daran deutlich, daß die Enteignungsmaßnahmen in der SBZ nicht bestimmten Einzelpersonen oder einer homogenen Personengruppe galten, da sie unterschiedslos tatsächliche Träger des NS-Regimes wie andererseits Beteiligte am Aufstand des 20. Juli 1944, ja sogar jüdische Bodenbesitzer genauso trafen wie kleine Gewerbetreibende und Großindustrielle. Diese Akte waren ungeachtet der offiziellen ,antifaschistisch-demokratischen Programmatik’ und taktisch-verbalen Selbstbeschränkung der Agitation auf das Vermögen von Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern von Anfang an auf die Umgestaltung einer sozialistischen Ordnung nach sowjetischem Vorbild gerichtet. Ziel war die grundlegende Veränderung der Eigentumsstruktur.” Ohne das Zusammenwirken von sowjetischen und deutschen Organen bei der 10 Dies hat auch das BVerfG ausdrücklich unterstrichen; vgl. nur: BVerfGE 94, 12 (32f.). Schriftsatz des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vom 4.2.2002 - 2 R 153/01 - im Verfahren BVerwG 3 C 15.01, S. 1f. 11 r 6 Verfolgung von Opfern der “Boden- und Wirtschaftsreform” auch nur im Ansatz untersucht zu haben, heißt es in einem Fall, in dem ein Bodenreformopfer in einem Speziallager umgekommen war in der Stellungnahme der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem EGMR:12 “Von dieser gegen die Person des Vaters des Beschwerdeführers gerichteten individuellen politischen Verfolgungsmaßnahme durch die sowjetische Besatzungsmacht muß die Enteignungsmaßnahme gegen die Eltern des Beschwerdeführers unterschieden werden. Diese erfolgte losgelöst und unabhängig von der Inhaftierung des Vaters des Beschwerdeführers im Rahmen der Umgestaltung der Wirtschaftsordnung in der sowjetischen Besatzungszone, die auf die Gestaltung einer sozialistischen Planwirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion zielte. Es handelt sich dabei um zwei unterschiedliche Lebenssachverhalte mit daraus folgenden differenzierten rechtlichen Bewertungen.” Zuvor liest sich dieselbe Stellungnahme wie folgt: “In der sowjetischen Besatzungszone wurden nach dem Kriegsende (8. Mai 1945) bis zur Gründung der DDR (7. Oktober 1949) flächendeckende Enteignungen durchgeführt, die Grundlage der Umgestaltung der Wirtschafts- und Eigentumsordnung nach sowjetischem Vorbild in eine sozialistische Planwirtschaft waren. Zu nennen sind insbesondere die Bodenreformenteignungen .... sowie die Industrieenteignungen. Die Bodenreform erfaßte den Großgrundbesitz, d.h. Flächen mit mehr als 100ha Land, und das Eigentum solcher Personen, die als Nazi- und Kriegsverbrecher angesehen wurden. Kennzeichnend war jeweils die Erfassung der zu enteignenden Güter bzw. Unternehmen in Listen, die nach und nach ,abgearbeitet’ wurden. Parallel bzw. mit Überschneidungen wurden auch Amtsleiter, führende Mitglieder und einflußreiche Anhänger der NSDAP unter Bezugnahme auf den Befehl Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 30. Oktober 1945 enteignet.13 Ganz im Sinne der stalinistischen Propaganda setzt die Verfahrensbevollmächtigte der Regierung der Bundesrepublik Deutschland das Verfolgungsgeschehen der “Bodenreform” der stalinistischen Machthaber mit einer üblichen Bodenreform gleich, wenn dort ausgeführt wird: “Vor allem die Bodenreform war ursprünglich ein von den vier Siegermächten gemeinsam geplantes Vorhaben. Es bezweckte die Entmachtung der Großgrundbesitzer, die (anfänglich auch von den Westmächten) als die Träger des Militarismus und Protagonisten der Naziherrschaft angesehen worden waren. Entsprechendes galt für die Großindustrie. Die USA unterbreiteten im Oktober 1945 dem Alliierten Kontrollrat den Entwurf eines Gesetzes “zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform”, aus dem das Gesetz Nr. 48 des Landes Bayern vom 18. September 1946 hervorging. Im April 1947 beschlossen die vier Außenminister in Moskau, in ganz Deutschland die Bodenreform bis zum Jahresende zu Ende zu 12 Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04 Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 15, Rn. 49. 13 Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04 Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 4, Rn. 13. r 7 bringen. ... Im übrigen hatte die Forderung nach einer Bodenreform in Deutschland eine lange Geschichte. Sie war auch Bestandteil des Ahlener Programms vom 3. Februar 1947 der westdeutschen CDU.”14 Auf dieser Linie liegen auch Stellungnahmen des Bundesministeriums der Justiz an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages. Darin heißt es etwa: “Die sog. demokratische Bodenreform und die Industrieenteignungen zielten auf die Umverteilung wirtschaftlicher Ressourcen, um eine andere Gesellschaftsordnung im Sinne der kommunistischen Doktrin zu schaffen. Im Fall der ,Junker und Großgrundbesitzer’ war nach den Bodenreformverordnungen allein die Größe des Gutes von über 100 Hektar Voraussetzung für die Enteignungsmaßnahme. Die umfassenden Enteignungsmaßnahmen nach 1945 hatten zwar auch einen generellen Verfolgungscharakter, dienten aber nicht der individuellen politischen Verfolgung oder der bewußten Diskriminierung einer Person gegenüber vergleichbaren Personen in dem konkreten Lebenszusammenhang. Dies wird schon daran deutlich, daß die Enteignungsmaßnahmen in der sowjetisch besetzten Zone nicht bestimmten Einzelpersonen oder homogenen Personengruppen galten, da sie unterschiedslos tatsächliche Träger des NS-Regimes wie andererseits Beteiligte am Aufstand des 20. Juli 1944, ja sogar jüdische Bodenbesitzer genau so trafen wie kleine Gewerbetreibende und Großindustrielle.”15 Und weiter heißt dort: “Die pauschale Diffamierung und Diskriminierung fast aller Bodenreformenteigneten als ,Kriegs- und Naziverbrecher’ war eine bewußte Spielart der kommunistischen Propaganda, nicht zuletzt um die Akzeptanz der Enteignungen bei der eigenen Bevölkerung zu erhöhen. Mit derartigen Diskriminierungen einhergehende ,Ansehensverluste’ der Bodenreformopfer sind einer Rehabilitierung nicht zugänglich und somit nicht gesondert entschädigungsfähig. Es darf zudem bezweifelt werden, daß ein solcher Ansehensverlust der durch die Bodenreform Enteigneten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland über die Jahrzehnte vorhanden war oder gar fortdauern kann. In der öffentlichen Meinungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland ist der Unrechtscharakter der entschädigungslosen Vermögensentziehungen aus der Zeit zwischen 1945 und 1949 tief verwurzelt. Soweit es die ehemalige DDR betrifft, dürfte im Scheitern des dortigen wirtschaftlichen und politischen Systems auch eine entsprechende Genugtuung für die zu Unrecht diffamierten Opfer der Bodenreform liegen.” Daß diese Sachverhaltsdarstellungen, die in ähnlicher Weise in diversen anderen offiziellen, ministeriellen oder ministeriell gesteuerten Stellungnahmen wiederholt auftauchen, durchweg unzutreffend sind, liegt auf der Hand: Soweit Maßnahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” nicht bloße Verstaatlichungsmaßnahmen einzelner Wirtschaftszweige waren (etwa von Banken und Versicherungen, Energieunternehmen 14 Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 21.5.2005 - IV M -9470/2 - 4 E (2161) - 4 C 35/2004 - im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 2725/04 Bars ./. Bundesrepublik Deutschland, S. 6f., Rn. 21f. 15 Schreiben des Bundesministeriums der Justiz an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vom 19.2.2008 - IV B 4 - 4250/9d) - 45 1016/2007, r 8 oder Privateisenbahnen), hat bis 1949 keine flächendeckende Verstaatlichung von landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben stattgefunden. Der Zugriff selbst auf Betriebsvermögen war vielmehr allein davon abhängig, daß die den zur Entnazifizierung berufenen Strafgerichten gesetzlich gleichgestellten Kommissionen im Einzelfall die Schuld der Betroffenen als Kriegs- und Naziverbrecher festgestellt haben. War diese Schuld nicht festgestellt worden, erfolgte auch kein Zugriff auf das Betriebsvermögen. Dies gilt sowohl für Betriebsinhaber der gewerblichen Wirtschaft als auch für Landwirte mit Höfen unter 100 ha. Ein festgestellter Schuldvorwurf war im übrigen auch für sog. Großgrundbesitzer und Junker mit Höfen über 100 ha erforderlich. In diesen Fällen wurde der Schuldvorwurf, der Betroffene sei Mitglied der Bande der “Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande... und einer der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker” in den Ländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gesetzlich fingiert, während er in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen nur mit der Möglichkeit gesetzlich vermutet wurde, daß sich der Betroffene durch den Nachweis exkulpierte, aktiv gegen den Hitlerstaat gekämpft zu haben. In diesem Fall war der Betroffene kein Kriegs- und Naziverbrecher und konnte einen Resthof behalten. Insofern entspricht es schon dem Text der Bodenreformgesetze und der dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen nicht, daß der Zugriff auf landwirtschaftliches Betriebsvermögen allein von der Größe der bewirtschafteten Bodenflächen abhing. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen von Art. I Ziff. 1 Satz 2 und Art. II. Ziff. 3 der jeweiligen Bodenreformgesetze, daß mit der Größe der Hofflächen über 100 ha allein der Personenkreis der Junker und Großgrundbesitzer bestimmt wurde, denen gesetzlich der Vorwurf nach Art. I Ziff. 1 Satz 2 der Bodenreformgesetze gemacht wurde, Teil der Bastion der Reaktion und des Faschismus und der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege zu sein. Dieser eindeutige Zusammenhang wird gezielt verschwiegen, wenn behauptet wird, es sei lediglich auf die Hofgröße abgestellt worden. Nur weil die stalinistischen Machthaber Großgrundbesitzer und Junker per se als Kriegs- und Naziverbrecher behandelt haben, traten die übrigen gesetzlichen, allein für Kriegs- und Naziverbrecher kraft Gesetzes eintretenden Sanktionen (Wahlverbot, Berufsverbot, Vertreibung von Haus und Hof, Internierung pp.) auch ihnen gegenüber ein. Der individuellen Verfolgung steht erkennbar auch nicht entgegen, daß sich die Maßnahmen nicht nur gegen tatsächliche Kriegs- und Naziverbrecher, sondern auch gegen Verfolgte des NS-Regimes (etwa Mitglieder des Widerstandes vom 20. Juli 1944 und jüdische Unternehmer) richteten. Die stalinistischen Machthaber haben vielmehr, ebenso wie das Wirtschaftsstrafrecht, auch die repressive Entnazifizierung systematisch dazu mißbraucht, Personen, die als Klassen- und Staatsfeinde angesehen wurden, auszurotten und zu vernichten. Klassen- und Staatsfeinde aber konnten ohne weiteres auch NS-Verfolgte sein. Der offene Mißbrauch des repressiven Entnazifizierungsinstrumentariums beruhte dabei auf der für die Verfolgungsorgane maßgeblichen Ideologie des kommunistischen Antifaschismus, die den Klassen-und Staatsfeind als den wirtschaftlichen Träger des Faschismus ausgemacht hatte und deshalb als den eigentlichen Kriegs- und Naziverbrecher behandelte. Damit richtete sich r 9 die mißbrauchte Entnazifizierung gegen den nach stalinistischer Anschauung zu verfolgenden Klassen- und Staatsfeind. An der individuellen Verfolgung jedes Betroffenen besteht daher nicht der geringste Zweifel. Dies gilt auch deshalb, weil von den Kommissionen und der Deutschen Treuhandverwaltung für das beschlagnahmte und sequestrierte Vermögen im Ostsektor von Berlin durchgeführten Maßnahmen unmittelbar nach dem Vorbild der Maßnahmen der im Rahmen der stalinistischen Säuberungen agierenden „Dwoiki“ und „Troiki“ tätig wurden. Die von diesen Organen ausgehenden Massenrepressalien bilden zutreffend den zentralen Kern des bereits am 13.8.1990 verkündeten Erlasses des Präsidenten der UdSSR über die Wiederherstellung der Rechte aller Opfer politischer Repressalien in den 20 er und 30 er Jahren. Dort heißt es u.a. wörtlich: „Als schweres Erbe der Vergangenheit erwiesen sich die Massenrepressalien, die Willkür und Gesetzwidrigkeit, die von der stalinistischen Führung im Namen von Revolution, Partei und Volk ausgeübt wurden. Die Mitte der 20er Jahre begonnene Schändung der Ehre und selbst des Lebens von Landsleuten wurde mit grausamster Konsequenz über einige Jahrzehnte fortgesetzt. Tausende von Menschen wurden moralischen und physischen Folterungen ausgesetzt, viele von ihnen wurden vernichtet. Das Leben ihrer Familien und Nächsten wurde in hoffnungslosen Zustand von Demütigungen und Leiden versetzt. …. Zum größten Teil wurden die Massenrepressalien auf dem Weg außergerichtlicher Abrechnungen über sogenannte ,Sonderberatungen’, Kollegien, ,Troiki’ und ,Dwoiki’ durchgeführt. Jedoch wurden auch in Gerichten die elementaren Normen der Rechtsprechung verletzt. ……. Der Schandfleck der Ungerechtigkeit wurde bis jetzt nicht von Sowjetmenschen genommen, die während der gewaltsamen Kollektivierung unschuldig litten, inhaftiert wurden, die mit ihren Familien in entfernte Gebiete ausgewiesen wurden ohne Unterhaltsmittel, ohne Stimmrecht, ja sogar ohne Bekanntgabe der Dauer des Freiheitsentzugs.“ Deshalb wird u.a. verordnet: „Die den grundlegenden bürgerlichen und sozialökonomischen Rechten des Menschen widersprechenden Repressalien, die gegenüber Bauern in der Periode der Kollektivierung, sowie gegenüber allen anderen Bürgern aus politischen, sozialen, nationalen, religiösen oder anderen Motiven in den 20er – 50er Jahren ausgeübt wurden, werden für gesetzwidrig erklärt, und die Rechte dieser Bürger werden vollständig wiederhergestellt.“ Der Erlaß des Präsidenten der UdSSR vom 13.8.1990 beschreibt also Maßnahmen, nach deren Vorbild auch in der SBZ die Repression im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ gegenüber den zu Kriegsund Naziverbrechern im Einzelfall gestempelten Personen verfolgt, ausgeschaltet und als verhaßte Klassenfeinde vernichtet wurden. Für im Rechtsstaat der BRD agierende Bundesministerien ist es auch vor diesem Hintergrund unerträglich, wenn diese den repressiven Verfolgungscharakter dieser nach stalinistischem Vorbild durchgeführten Maßnahmen leugnen und damit die entsprechenden Rehabilitierungsvorgaben der UdSSR ignorieren. Die gegenüber den Betroffenen nach Maßgabe der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid oder vergleichbarer Vorschriften in den anderen Ländern der SBZ, der r 10 KRD Nr. 38 und nach den Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformgesetzen individuell festgestellten oder gesetzlich fingierten Schuldvorwürfe als Kriegs- und Naziverbrecher waren deshalb keine bloß pauschale Propaganda, sondern staatlich sanktionierte Schuldfeststellungen. Mit der Behauptung der bloßen Propaganda wird diese staatliche Schuldzuweisung gezielt verfälscht und verharmlost. Vielmehr waren die Kommissionen ebenso wie die Sondergerichte zur repressiven Entnazifizierung befugt, die Schuld der Angeklagten hoheitlich festzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es unverzeihlich, daß das Bundesministerium der Justiz von bloßen “Ansehensverlusten” spricht, welche die Betroffenen erlitten haben. Der Schuldspruch ist deshalb nicht aus der Welt, weil die Verfolgung in den Anfangsjahren der BRD als Unrecht betrachtet worden ist. Schon die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums belegt demgegenüber, daß das Unrecht in der BRD nicht einmal als das wahrgenommen und verurteilt wird, das es tatsächlich dargestellt hat. Es wirkt im übrigen schon aufgrund der Vereinbarungen in Art. 18 EVertr. bis heute fort. Vor diesem Hintergrund kann es nur als grobe Entgleisung des Bundesministeriums der Justiz begriffen werden, wenn es ausführt, für die Betroffenen sei es hinreichende Genugtuung, daß die DDR letztlich untergegangen sei. Der Verfolgungssachverhalt wird auch mit der Behauptung gezielt verfälscht, die Enteignungen hätten lediglich der Umgestaltung der Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich gedient. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus den Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid, die ausdrücklich klarstellen, daß dieser “keine wirtschaftliche Maßnahme” sei. Die in Ostberlin anstelle der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid unmittelbar herangezogene KRD Nr. 38 ist in DDR und SBZ aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 201 ohnehin ausschließlich als Strafgesetz angewandt worden. Daß auch die Verfolgung aufgrund der Bodenreformgesetze eine repressive Verfolgung war, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß sich die damaligen Machthaber und die UdSSR zu ihrer Rechtfertigung auf die Vereinbarungen im Potsdamer Abkommen zur Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern berufen haben.16 Eine bloße Enteignung zum Zweck der Umgestaltung der Eigentumsordnung hat das Potsdamer Abkommen dagegen nicht erlaubt. Mit der durch nichts begründeten Behauptung von der bloßen Umgestaltung der Eigentumsordnung wird das Verfolgungsgeschehen auch deshalb maßgeblich beschönigt und verharmlost, weil damit die umfassenden Sanktionen, die der Schuldspruch als Kriegs- und Naziverbrecher ebenfalls ausgelöst hat, vollständig geleugnet werden. Dies gilt nicht nur für den Zugriff auf das Privatvermögen der Verfolgung, der per se nicht der Umgestaltung der Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich gedient haben kann, sondern erst recht für Wahlverbote, Berufsverbote, Vertreibungsmaßnahmen, öffentlichen Tadel als Kriegs- und 16 Vgl. dazu in diesem Zusammenhang nur die Erklärung der sowjetischen Regierung vom 27. März 1990 über die Gültigkeit besatzungspolitischer Maßnahmen der Jahre 1945 bis 1949 (sog. TASS-Erklärung), abgedruckt in: Alekasandr Galkin, Anatolij Tschernjajew (Hrsg.), Michael Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991, 2011, S. 360ff. sowie bei Wasmuth, RVI, B 100, VermG Einf. Rn. 322ff. r 11 Naziverbrecher, Sippenhaftung gegenüber Familienmitgliedern und vieles mehr. Der Verfolgungssachverhalt wird auch grob verkannt, wenn das Bundesministerium der Justiz behauptet, die Internierung der Betroffenen durch den sowjetischen NKWD stehe in keinem Zusammenhang mit der “Enteignung”. Tatsächlich haben deutsche und sowjetische Organe bei diesen Maßnahmen jeweils zusammengewirkt, weil bis zum Erlaß des SMAD-Befehls Nr. 201 nur eine beschränkte Zuständigkeit deutscher Organe zur Entnazifizierung bestand. NKWD und Kommissionen haben jedoch nicht nur faktisch zusammengewirkt und sich gegenseitig Schuldige mitgeteilt, um zu ermöglichen, daß die jeweils andere Seite ihren Teil der Verfolgung durchführt. Beide Organe haben auch jeweils die Entnazifizierung des Betroffenen betrieben, selbst wenn NKWD und SMT in völliger Willkür dazu häufig nicht auf die KRD Nr. 38, sondern auf Art. 58 RSFSR zurückgegriffen haben. Vor diesem Hintergrund ist es sachverhaltlich auch unzutreffend, wenn sich das Bundesministerium der Justiz auf die alliierten Bestimmungen und auf das Ahlener Programm der westdeutschen CDU zur Durchführung einer Bodenreform beruft. Gegenüber den Verfolgten haben die stalinistischen Machthaber per se keine Bodenreform, sondern ausdrücklich eine (kraß rechtsmißbräuchliche) Entnazifizierung vorgenommen. Bloße Propaganda der kommunistischen Machthaber, der auch das Bundesministerium der Justiz erliegt, ist die Verbindung der repressiven Entnazifizierung mit der nachträglichen Aufteilung von Teilen der entzogenen Bodenflächen an landlose und landarme Bauern, die als “Bodenreform” ausgegeben wurde. Daß diese Aufteilung von vornherein nur dazu diente, kurzfristig Gefolgsleute auf dem Lande zu gewinnen, ergibt sich ohne weiteres aus der für eine Bewirtschaftung bewußt viel zu klein bemessenen Flächenzuteilung, welche die wenig später durchgeführte Zwangskollektivierung nach sich ziehen sollte. Es steht zwar außer Frage, daß die stalinistischen Machthaber das bestehende strafrechtliche Entnazifizierungsinstrumentarium ebenso wie das Wirtschaftsstrafrecht systematisch dazu mißbraucht haben, sich des Betriebs- und Privatvermögens der Betroffenen zu bemächtigen. Diese kraß rechtsstaatswidrige Motivation für die Anwendung repressivem Entnazifizierungsrechts stellt aber, ebenso wie in der vergleichbare Einsatz des Wirtschaftsstrafrechts, lediglich einen schwerwiegenden Mißbrauch des Entnazifizierungsstrafrechts dar, der den grundlegenden Widerspruch der Verfolgungsmaßnahmen zur rechtsstaatlichen Ordnung begründet. Dagegen beseitigt sie nicht das tatsächlich praktizierte repressive Verfolgungsgeschehen und ändert es nicht in eine bloße Enteignungsaktion zum Zweck der Umgestaltung der Eigentumsordnung. Die gegenteilige Behauptung der Bundesministerien verharmlost und verfälscht das geschehene Unrecht zum Nachteil der Betroffenen. Diese wenigen Zusammenhänge belegen damit plastisch: Insbesondere das Bundesministerium der Justiz hat den tatsächlichen Verfolgungssachverhalt in diversen Verfahren vor dem BVerfG und dem BVerwG sowie gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gezielt falsch dargestellt. Die individuelle Verfolgung, das r 12 kraß gegen elementare, allgemein in der Völkergemeinschaft anerkannte Menschenrechte verstoßende Repressionsverfahren und die umfassenden, an den Schuldspruch als Kriegs- und Naziverbrecher geknüpften Sanktionen werden konsequent entgegen den Tatsachen geleugnet. Statt dessen wird die nachweislich falsche Behauptung aufgestellt, das Unrecht habe in einer nicht individuellen, nur allgemeinen Verfolgung bestanden, die ausschließlich der Umgestaltung der Eigentumsordnung im wirtschaftlichen Bereich gedient habe. Daß dieser Vortrag des Bundesministeriums der Justiz gar wider besseres Wissen erfolgt sein dürfte, belegt im übrigen der Schriftsatz dieses Ministeriums vom 2.5.1994 gegenüber dem BVerfG im Verfahren 1 BvR 1459/90. Dort heißt es u.a. wörtlich: “Aus sowjetischer Sicht bestand - wie bereits dargelegt - eines der tragenden Motive der in der Zeit zwischen Kriegsende und Gründung der DDR durchgeführten Enteignungsmaßnahmen in der Bestrafung der “Kriegsverbrecher” und “Naziaktivisten”. Die Sowjetunion hat ihr Interesse an der Anerkennung der Legitimität und Effektivität dieser Bestrafungsaktion - was die Aufrechterhaltung der Bestrafungsfolgen einschließt - zu keinem Zeitpunkt aufgegeben.” Dem Ministerium ist damit sehr wohl bekannt, daß es sich bei der Verfolgung im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” um eine Bestrafungsaktion und deshalb gerade nicht um eine bloße Umgestaltung der Eigentumsordnung handelte. Zutreffend gibt das Bundesministerium der Justiz hier auch zu, daß die “Enteignung” eine Bestrafungsfolge dargestellt hat. Dies deckt sich im übrigen mit der vor 1990 ergangenen Rechtsprechung des 3. Senats des BVerwG17 und des BVerfG im KPD-Verbotsurteil.18 Der nachweislich unzutreffende Sachvortrag erfolgt damit erkennbar, um zu suggerieren, die Vermögenszugriffe hätten bloße Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage i.S. von Ziff. 1 GemErkl., § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG und keine strafrechtlichen Vermögenseinziehungen i.S. von Ziff. 9 GemErkl., § 1 I, V, § 3 II StrRehaG i.V.m. § 1 VII, VIII lit. a, 2. Halbs. VermG dargestellt, die auf schwersten Schuldvorwürfen basierten, welche ihrerseits zu diversen existenzvernichtenden Rechtsgutseingriffen einschließlich jahrelanger, von sowjetischen Organen in Kollaboration mit deutschen Stellen durchgeführten Internierungsmaßnahmen mit konkreter Todesgefahr führten. BVerwGE 54, 140 (146f.), das dazu u.a. ausführt: “Solche Auffassung hält jedoch der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn sie argumentiert allein vom wirtschaftlichen Ergebnis und von dem mit der Bodenreform insgesamt veroflgten Ziel her, nämlich unter Voranstellung des eldgilich die Verwertung des Vermögens betreffenden - Umstandes, daß sämtlicher im Rahmen der Bodenreform enteigneter Grundbesitz einem einheitlichen Zweck zu dienen bestimmt war. Sie vernachlässigt aber den vorrangigenund entscheidungserheblichen Umstand einer unterschiedlichen gesetzgeberischen Motivation für die im einzelnen geregelten Enteignungstatbestände. Den auf die Entziehung des Vermögens von Kriegsverbrechern abzielenden Maßnahmen wohnt grundsätzlich keine auf eine Umgestaltung der dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtete eigentumsfeindliche Tendenz inne, weil sie generell Straf- und Sühnecharakter tragen.” Vgl. im übrigen OLG Dresden, Beschl. vom 26.11.2010 - 1 RehaG Ws 96/09 -: “... handelte sich um eine wirtschaftliche Maßnahme, mithin die Enteignung nicht im Kontext der Umgestaltung des Wirtschaftssystems stand. ....” 18 BVerfGE 5, 95 (147ff.), das aufgrund eigener Ermittlungen festgestellt hat, daß die gesamte bürgerliche Klasse“ im schärfsten Klassenkampf und gewaltsam liquidiert werden” sollte. 17 r 13 2. Vorbedingungen von UdSSR und DDR Zu den frühen Abwehrstrategien der Bundesministerien gegenüber Ansprüchen wegen verfolgungsbedingter Vermögenszugriffe im Rahmen von “Boden- und Wirtschaftsreform” zählt die Behauptung, die deutsche Wiedervereinigung habe von der Vorbedingung von UdSSR und DDR abgehangen, die enteigneten Vermögenswerte nicht zurückzugeben. Rechtlich relevante Beschränkungen für Wiedergutmachungsleistungen können sich aber von vornherein nicht aus bloßen Forderungen und vermeintlichen Vorbedingungen, sondern nur aus völkerrechtlichen oder quasi-völkerrechtlichen Vereinbarungen ergeben. Für Vermögenszugriffe auf besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitlicher Grundlage ergeben sich damit Beschränkungen ausschließlich aus Ziff. 1 GemErkl., die nach Art. 41 I EVertr. zum Bestandteil des Einigungsvertrages erklärt wurde und damit auch rechtlich verbindliche Wirkung entfaltet. Diese Beschränkungen gelten dagegen von vornherein nicht für strafrechtliche Vermögenseinziehungen, auch wenn sie auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sind. In diesen Fällen hat sich die DDR in Ziff. 9 GemErkl. vielmehr ohne jede Einschränkung verpflichtet, die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Korrektur in einem justizförmigen Verfahren zu schaffen. Weitere Verpflichtungen hat die BRD auch gegenüber der UdSSR nicht übernommen.19 Vielmehr ist ihr gegenüber im Rahmen der Verhandlungen über den sog. Zwei-plusVier-Vertrag in einem Brief der beiden deutschen Außenminister vom 12. 9. 1990 lediglich darauf Bezug genommen worden. Daraus lassen sich auch gegenüber der UdSSR in bezug auf Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage lediglich Pflichten im Umfang von Ziff. 1 GemErkl. ableiten, die für strafrechtliche Vermögenseinziehungen nach Ziff. 9 GemErkl. auch dann nicht gelten, wenn sie sich unter sowjetischer Besatzungshoheit ereignet haben. Im übrigen haben sich die UdSSR und später auch die Russische Föderation zur Rehabilitierung Deutscher wegen politischer Verfolgungsakte durch die sowjetische Besatzungsmacht20 verpflichtet. Insofern prüft das BVerfG im sog. Bodenreformurteil 19 So ausdrücklich auch der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Kastrup in seiner Aussage vor dem Ersten Senat des BVerfG in der mündlichen Verhandlung vom 22.1.1991; vgl. Niederschrift eines Auszuges aus dem Tonbandwortprotokoll über die mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des BVerfG am 22.1.1991, S. 15: “Ich möchte dies mal, ebenso burschikos, wenn Sie gestatten, wie Prof. Leisner, ausdrücken. Wir haben den Sowjets gesagt, das geht Euch nichts an. Das regeln wir Deutschen unter uns. Und mit allem Respekt, Herr Prof. Leisner, mit dieser sehr beharrlich durchgehaltenen Position haben wir uns durchgesetzt. Es gibt keine völkerrechtliche Verpflichtung, welcher Art auch immer, der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion, sondern es gibt lediglich eine einseitige, nicht bestätigte Mitteilung faktischen Inhaltes darüber, was zwischen den beiden deutschen Staaten in dieser Frage vereinbart worden ist. Also, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie habe nicht mit dem nötigen Nachdruck die sowjetische Position versucht zu beeinflussen, so ist dieses unzutreffend. Für uns war dries kein Gegenstand der Verhandlungen mit der Sowjetunion.” 20 Vgl. dazu die Rehabilitierungsvereinbarungen vom 12.9.1990 (vgl. dazu Antwort des Staatssekretärs im BMJ Rainer Funke vom 29.3.1996 auf die Anfrage des Abgeordneten Schwanitz [SPD], BT-Drucks. 13/4286, S. 13f.) und vom.16.12.1992 (sog. Kohl-Jelzin-Erklärung); vgl. dazu Antwort der Bundesregierung vom 2.12.1996, BT-Drucks. 13/13/6447 sowie Verbalnote Nr. 1268 des Auswärtigen Amtes an die Russische Föderation vom 17.6.1996. r 14 vom 23.4.199121 zutreffend auch nur, ob Ziff. 1 GemErkl. mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es bejaht diese Frage unter Berufung auf Forderungen, die von seiten der UdSSR und der DDR erhoben worden sind. Allein bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Ziff. 1 GemErkl. kommt auch Forderungen und vermeintlichen Vorbedingungen von UdSSR und DDR eine Bedeutung zu, zumal der Bundesregierung beim Abschluß völkerrechtlicher Vereinbarungen ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht.22 Maßgeblich für die Beschränkung der Wiedergutmachungsleistungen wegen Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage ergeben sich damit aber nur aus Ziff. 1 GemErkl. und nicht mehr aus wie auch immer von der Bundesregierung verstandenen Vorbedingungen. Den Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. hat das BVerfG abschließend dahingehend ausgelegt, daß mit Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. ausgeschlossen ist, Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage als nichtig zu behandeln und eine umfassende Rückgabe vorzusehen.23 Demgegenüber heißt es im Bodenreformurteil weiter: “Dagegen verbietet die Regelung nicht einen vermögenswerten Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen. Ein solcher Ausgleich, dessen Höhe nicht festgelegt ist, wird vielmehr in Nr. 1 Satz der Gemeinsamen Erklärung dem Gesetzgeber ausdrücklich vorbehalten.”24 Außerdem sind für die Inhaltsbestimmung von Ziff. 1 GemErkl. zwei weitere Aussagen des BVerfG von Bedeutung, nämlich 1. “Die angegriffene Regelung schließt es im übrigen nicht aus, daß im Rahmen der beabsichtigten Ausgleichsregelung den Betroffenen auch die Möglichkeit eines Rückerwerbs ihres ehemaligen Eigentums eingeräumt wird, soweit dies im Einzelfall möglich und von der Interessenlage her angezeigt ist.”25 und 2. “Welchen Umfang diese Leistungen haben dürfen, regelt Nr. 1 Satz 4 der Gemeinsamen Erklärung dagegen nicht .... Die in der mündlichen Verhandlung erstatteten Berichte über den Gang der Vertragsverhandlungen haben im übrigen ergeben, daß eine bestimmte Regelung der Ausgleichsleistungen weder von der Deutschen Demokratischen Republik noch von der Sowjetunion verlangt worden sind.”26 Zuvor hatte der Erste Senat des BVerfG bereits klargelegt: “Die in Nr. 1 GemErkl. vorbehaltene Entscheidung über staatliche Ausgleichsleistung mag zwar von den Vertragsschließenden nicht im Sinn einer Regelung über eine volle Entschädigung verstanden worden sein. Sie würde aber eine solche Regelung nicht ausschließen.”27 Dies bedeutet: Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage dürfen zwar nicht als nichtig behandelt werden. Der Gesetzgeber darf derart enteignete Vermögenswerte nicht in der Weise umfassend zurückgeben, daß die Enteignungen überhaupt keine Wirkungen mehr entfalten, daß also in jeder Hinsicht 21 BVerfGE 84, 90ff. Vgl. nur: BVerfGE 94, 12 (35); auch bereits: BVerfGE 36, 1 (17f.); 66, 39 (61); DVBl. 1990, 1163. 23 BVerfGE 84, 90 (121). 24 BVerfGE 84, 90 (121). 25 BVerfGE 84, 90 (127); bestätigt durch BVerfGE 94, 12 (46). 26 BVerffGE 84, 90 (130). 27 BVerfGE 83, 162 (172f.). 22 r 15 der status quo ante wieder hergestellt wird. Er ist aber berechtigt, Ausgleichsleistungen vorzusehen, wegen deren konkrete Ausgestaltung keine Beschränkungen durch Vereinbarungen mit UdSSR und DDR bestehen. Es gibt weder der Höhe noch dem Umfang nach irgendwelche vom Gesetzgeber zu beachtende Einschränkungen. Sofern das Rückgabeinteresse der Geschädigten nicht in Konflikt mit anderen berechtigten oder gar höherrangigen Interessen (etwa redlicher Erwerb, schützenswertes Nutzungsinteresse der Allgemeinheit und ähnliches), kann der Gesetzgeber auch einen Rückerwerb, also auch eine Rückschenkung oder öffentlich-rechtlich ausgedrückt, eine Rückgabe i.S. von § 3 I 1 VermG vorsehen. Eine umfassende Rückgabe, die von der Nichtigkeit von Enteignungen ausgeht, sieht das Vermögensgesetz auch für DDR-rechtliche Vermögensschädigungen nicht vor. Der Rückgabegrundsatz des § 3 I 1 VermG stellt keinen Herausgabeanspruch i.S. von § 985 BGB dar, dem nur der Eigentümer zusteht. Vielmehr begründet § 3 I 1 VermG nur mit Wirkung ex nunc einen Anspruch auf Rückübertragung eines untergegangenen Eigentumsrechts.28 Das Eigentum wird nach § 34 I VermG erst wieder begründet, wenn die dort genannten Voraussetzungen eingetreten sind.29 Eine solche Rückgabe ist daher auch für besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Enteignungen durch Ziff. 1 GemErkl. nicht ausgeschlossen, weil sie gerade von der Wirksamkeit der Enteignung ausgeht. Dies gilt erst recht, weil mit dem Rückgabegrundsatz des § 3 I 1 VermG der status quo ante nicht wieder hergestellt. Vielmehr stehen der Rückgabe diverse gesetzliche Ausschlußtatbestände etwa nach § 3 II, IV, §§ 4, 5 VermG, §§ 2ff. InVorG entgegen. Der Rückgabeberechtigte erhält keinen Wertausgleich für zwischenzeitlich eingetretene Wertverluste. Die vom Verfügungsberechtigten gezogene Nutzungen stehen dem Berechtigten im übrigen erst zu, soweit sie diesem nach dem 1.7.1994 zugeflossen sind (§ 7 VII 1, 2 VermG). Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. stünde daher einer Rückschenkung oder einer Rückgabe im Umfang von § 3 I 1 VermG nach den Feststellungen des BVerfG, die es aufgrund einer umfassenden Befragung der damaligen Beteiligten an den deutsch-deutschen Vereinbarungen im Bodenreformurteil getroffen hat, nicht entgegen. Hinzu kommt, daß Ziff. 1 GemErkl. nur für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage gilt, nicht aber, wie sich aus Ziff. 9 GemErkl. ergibt, für in einem Strafverfahren erfolgte Vermögenseinziehungen. Jedenfalls für verfolgungsbedingte Vermögenseinziehungen, mit denen Opfer der “Boden- und Wirtschaftsreform” als Kriegs- und Naziverbrecher in einem spezifisch strafrechtlichen Verfahren kraß menschenrechtswidrig sanktioniert wurden, gilt damit die Einschränkung von Ziff. 1 GemErkl. bereits sachverhaltlich nicht. Daß die sog. Vorbedingung der UdSSR bei Gerichtsentscheidungen zu den Verfolgungsaktionen der “Boden- und Wirtschaftsreform” dann dennoch eine 28 BGHm VIZ 2004, 121; Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR - RVI -, B 100, § 3 VermG, Rn. 36. 29 Zur rechtsgestaltenden Wirkung des § 34 I 1 VermG vgl. Wasmuth, in: RVI, § 34, Rn. 66. r 16 maßgebliche Rolle spielen konnte, ist auf grob irreführende, mit dem Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. erkennbar unvereinbare und Ziff. 9 GemErkl. verdrängende Argumentationslinie des Bundesministeriums der Justiz zurückzuführen, welcher der 7. Senat des BVerwG30 unbesehen gefolgt ist und mit der die Inhaltsbestimmung von Ziff. 1 GemErkl. durch den Ersten Senat des BVerfG im Bodenreformurteil31 gezielt ad absurdum geführt worden ist. Uns liegt zwar nicht die zweifellos mit den zuständigen Bundesministerien abgestimmte offizielle Stellungnahme im Verfahren 7 C 59.93 vor dem 7. Senat des BVerwG32 vor. Die inhaltliche Übereinstimmug der Argumentation in der Begründung des dort gefällten Urteils vom 29.4.1994 mit dem uns vorliegenden Vortrag des Bundesministeriums der Justiz etwa im Verfahren 1 BvR 1459/90 vor dem BVerfG macht aber deutlich, daß entsprechend auf Veranlassung des Bundesministeriums der Justiz auch gegenüber dem 7. Senat des BVerwG vorgetragen wurde. Mit Schriftsatz vom 2.5.1994 hat das Bundesministerium der Justiz gegenüber dem BVerfG u.a. wörtlich vorgetragen: “Sie (die Haltung der UdSSR) ging in der Sache ohne Nachgiebigkeit dahin, daß die Legitimität aller unter ihrer Besatzungshoheit zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 6. Oktober 1949 getroffenen Maßnahmen nicht mehr zur Disposition gestellt werden dürfte und daß diese Maßnahmen unumkehrbar seien. .... Sie forderte eine vorbehaltlose Anerkennung der Rechtmäßigkeit der seinerzeit getroffenen Maßnahmen mit dem gleichzeitigen Ausschluß jeglicher Überprüfung oder Revision. .... Aus sowjetischer Sicht bestand - wie bereits dargelegt - eines der tragenden Motive der in der Zeit zwischen Kriegsende und Gründung der DDR durchgeführten Enteignungsmaßnahmen in der Bestrafung der “Kriegsverbrecher” und “Naziaktivisten”. Die Sowjetunion hat ihr Interesse an der Anerkennung der Legitimität und Effektivität dieser Bestrafungsaktion - was die Aufrechterhaltung der Bestrafungsfolgen einschließt - zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Es wäre für die Sowjetunion schlechthin inakzeptabel gewesen, eine unterschiedslose Rückgängigmachung aller zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 6. Oktober 1949 erfolgten Enteignungen ohne Rücksicht darauf hinzunehmen, ob der Betroffene im Einzelfall nach ihrem Verständnis als “Kriegsverbrecher” oder “Naziaktivist”einzustufen war. Ebenso unakzeptabel dürfte dies heute für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sein. Dies hätte von vornherein ohnehin nur eine selektierende Restitutionslösung erlaubt, die in jedem Einzelfall eine Prüfung der Frage vorausgesetzt hätte, ob die Enteignung des Betroffenen unter dem Gesichtspukt seiner Bestrafung als “Kriegsverbrecher” oder “Naziaktivist” erfolgt ist und ob sie zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Das aber hätte genau das bedeutet, was die Sowjetunion unstreitig strikt abgelehnt hat: die rechtliche Revision der Legitimität der Enteignungsmaßnahmen, die die Sowjetunion ihrer Gesamtverantwortung als Besatzungsmacht zugerechnet wissen wollte, durch deutsche Gerichte oder andere deutsche Staatsorgane.” Die Behauptung, in Ziff. 1 GemErkl. sei ein Restitutionsausschluß vereinbart worden, der bezwecke, die Sowjetunion von dem mit einer Restitution verbundenen Unrechtsvorwurf freizustellen, und er erstrecke sich auch auf an sich zu rehabilitierende, verfolgungsbedingte Vermögenentziehungen, ist 30 Erstmals und grundlegend: BVerwG, VIZ 1994, 411f. BVerfGE 84, 90 (121, 126, 130). 32 BVerwG, VIZ 1994, 411ff. 31 r 17 vom Bundesministerium der Justiz dennoch wiederholt aufgestellt und verbreitet worden.33 Inhaltlich hat der 7. Senat des BVerwG diesen Vortrag übernommen und dazu ausgeführt: “Das Vermögensgesetz will im Anschluß an die Gemeinsame Erklärung vom 15.6.1990 vermögensentziehende oder -beeinträchtigende Maßnahmen wiedergutmachen, die dem Gesetzgeber aus rechtsstaatlicher Sicht als nicht hinnehmbar erschienen sind. Ausgangspunkt und Rechtfertigung der Restitution nach dem Vermögensgesetz ist demnach die Bewertung bestimmter Maßnahmen als staatliches Unrecht. Aus diesem Grund hat die Sowjetunion während der Verhandlungen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit gegenüber den beiden deutschen Regierungen die Forderung erhoben, die unter ihrer Oberhoheit als Besatzungsmacht durchgeführten Enteignungen von der geplanten Restitution auszunehmen. Das geschah in der Weise, daß sie die Rechtmäßigkeit und Legitimität der Enteignungen betonte und sich gegen deren Überprüfung durch deutsche Behörden und Gerichte wandte. Sie wollte - wie das BVerfG dargelegt hat - die ihren früheren rechts-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprechenden Maßnahmen nicht nachträglich zur Disposition des seinerzeit besiegten Deutschlands gestellt sehen. Ihre Forderung zielte mithin zwar nicht auf die Festschreibung der entstandenen Eigentumsverhältnisse, wohl aber darauf ab, die Rückgabe der enteigneten Vermögenswerte im Wege der Wiedergutmachung zu verhindern, weil sie damit zwangsläufig einem Unrechtsvorwurf ausgesetzt gewesen wäre. Diesem Anliegen der Sowjetunion haben die beiden deutschen Regierungen mit der Regelung in Nr. 1 Satz 1 der GemErkl. vom 15.6.1990 entsprochen, die zum Bestandteil des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 erhoben wurde und über die die Sowjetunion anläßlich der Unterzeichnung des sog. Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12.9.1990 durch einen Brief der beiden deutschen Außenminister förmlich unterrichtet wurde. In Übereinstimmung mit diesem Sinn und Zweck des Restitutionsausschlusses hat das BVerfG dessen Inhalt als Verbot umschrieben, die Enteignungen als nichtig zu behandeln und ihre Folgen durch eine Rückgabe der enteigneten Objekte umfassend zu bereinigen.”34 Ein solches Verbot dürfe auch nicht durch eine Rehabilitierung umgangen werden.35 Das Bundesministerium der Justiz und ihm unbesehen folgend der 7. Senat des BVerwG erweitern damit den rechtlichen Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. grundlegend durch die Behauptung, damit sei einer Forderung der UdSSR entsprochen werden, unter ihrer Besatzungshoheit getroffene Maßnahmen nicht durch Gerichte und Behörden auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, um ihr, der UdSSR, einen Unrechtsvorwurf von deutschen Stellen zu ersparen. Damit wird ein Rückgabeverbot konstruiert, weil die Rückgabe nur wegen unter Besatzungshoheit verübter Unrechtsvorgänge erfolge. Das 33 Vgl. das Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 14.10.1996 - I 8 7 - 3449/1-14-1-14 0604/96 an das Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg, das auch an diverse Stelle des Bundes und der neuen Länder versandt wurde; vgl. auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes, BT-Drucks. 12/4994, S.23. 34 BVerwG, VIZ 1994, 411. 35 BVerwGE 99, 268 (273) = VIZ 1996, 88 (89); VIZ 1998, 630; BVerwGE 116, 42 (44) = VIZ 2002, 272. r 18 Rückgabeverbot wird des weiteren nicht nur für Enteignungen in den Raum gestellt, sondern auch für verfolgungsbedingt erfolgte Vermögensentziehungen. Dies wird selbst in der Kenntnis behauptet, daß sich die UdSSR und später die Russische Föderation zur Rehabilitierung sowjetischer Verfolgungsmaßnahmen verpflichtet haben und daß die Russische Föderation nach zutreffender ständiger Praxis der zuständigen russischen Rehabilitierungsbehörden eine Rehabilitierung für deutsche Maßnahmen unter sowjetischer Besatzungshoheit ablehnt, weil hierfür allein eine Rehabilitierungszuständigkeit deutscher Stellen gegeben sei.36 Diese Behauptung steht bereits in einem unauflöslichen Widerspruch zur Inhaltsbestimmung der Gemeinsamen Erklärung durch das BVerfG. Es hat ausdrücklich festgestellt, auch für besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Maßnahmen seien Ausgleichsleistungen in Höhe einer vollen Entschädigung und in der Form eines Rückerwerbsanspruchs zulässig. Auch mit der Einräumung dieser Ansprüche müßte nicht anders als bei der Gewährung von Rückgabeansprüchen durch deutsche Stellen festgestellt werden, daß den Betroffenen seinerzeit Unrecht unter sowjetischer Besatzungshoheit zugefügt worden ist. Auch derartige Wiedergutmachungsansprüche lassen sich nur deshalb einräumen, wenn der Gesetzgeber die ihnen zugrunde liegenden Maßnahmen als rechtsstaatlich nicht hinnehmbar beurteilt. Wenn das BVerfG aber ausdrücklich feststellt, daß derartige Wiedergutmachungsansprüche nicht von Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. untersagt werden, ist es denknotwendig ausgeschlossen, daß mit dieser Vereinbarung eine angebliche Forderung der UdSSR auf Vermeidung eines Unrechtsvorwurfs durch deutsche Stellen umgesetzt worden sei. Das BVerfG hatte vielmehr nur festgestellt, daß es der UdSSR um die Durchsetzung einer üblichen Indemnitätsforderung ging, um zu verhindern, daß ihr gegenüber völkerrechtlich Schadensersatzansprüche von seiten der BRD geltend gemacht werden.37 Allein dieser Forderung hätte die BRD nicht entsprochen, wenn sie besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Maßnahmen per se als nichtig behandelt hätte, was völkerrechtliche Ansprüche gegenüber der UdSSR auslösen können. Dagegen haben sich Forderungen der UdSSR nie auf deutsche Wiedergutmachungsansprüche bezogen, die ausschließlich als innere Angelegenheit der Deutschen betrachtet wurden. Daß die Vermeidung eines Unrechtsvorwurfs durch deutsche Wiedergutmachungsstellen gegenüber der UdSSR nicht Gegenstand der Gemeinsamen Erklärung ist, ergibt sich im übrigen auch zwingend aus dem Wortlaut der Gemeinsamen Erklärung selbst. Nach Ziff. 1 Satz 4 GemErkl. hat sich die BRD mit Billigung der UdSSR Ausgleichsleistungsansprüche vorbehalten, die ihrerseits ein rechtsstaatlich nicht vertretbares Unrecht rein vermögensrechtlicher Art voraussetzen. 36 So besonders deutlich das Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 14.10.1996 - I 8 7 3449/1-14-1-14 0604/96 an das Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg, das auch an diverse Stelle des Bundes und der neuen Länder versandt wurde; vgl. außerdem Stellungnahme des Oberbundesanwalts beim BVerwG vom 25.2.1999 in den Verfahren BVerwG 7 C 8.98 und BVerwG 7 C 9.98. 37 So ausdrücklich der damalige Präsident des BVerfG Roman Herzog, der am Bodenreformverfahren als Vorsitzender des Ersten Senats beteiligt war; vgl. Herzog, in: Sobotka/Strauss, Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern, 1993, S. 141 (147). r 19 Im übrigen gibt es für strafrechtliche Vermögenseinziehungen i.S. von Ziff. 9 GemErkl. keine Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. entsprechende Beschränkung für eine Wiedergutmachung durch die BRD. Ziff. 9 GemErkl. erfaßt aber nicht nur DDR-rechtliche Verfolgungsmaßnahmen, sondern auch solche, die sich auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, also unter der Oberhoheit der UdSSR ereignet haben. Dazu zählen nicht nur die strafrechtlichen Vermögenseinziehungen durch die Kommissionen im Rahmen der fälschlich als “Boden- und Wirtschaftsreform” bezeichneten repressiven Entnazifizierungsverfolgungen, sondern auch strafrechtliche Vermögenseinziehungen durch die mit dem SMAD-Befehl Nr. 201 zur Entnazifizierung eingerichteten deutschen Sonderstrafgerichte. Sollte es tatsächlich zutreffen, daß die beiden deutschen Regierungen in der Gemeinsamen Erklärung die vermeintliche Forderung der UdSSR umgesetzt haben, sie wegen besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Maßnahmen von Unrechtsvorwürfen durch deutsche Wiedergutmachungsgerichte und -behörden freizustellen, dann hätte in Ziff. 9 GemErkl.38 zwingend ein entsprechender Ausschluß der Rehabilitierung vorgesehen sein müssen, der dann ebenso die Rehabilitierung der Verfolgung durch die SMADBefehl Nr. 201 Sonderstrafgerichte, zu denen auch das Sondergericht in Waldheim gehört hatte, erfaßt hätte. Er fehlt aber sowohl in Ziff. 9 GemErkl. als auch in der entsprechenden Vereinbarung in Art. 17 EVertr. Auch diese Zusammenhänge belegen zwingend, daß die Unrechtsvorwurfsvermeidung zugunsten der UdSSR nicht Vereinbarungsgegenstand der Gemeinsamen Erklärung ist. Die Behauptung, in Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. sei von beiden deutschen Staaten eine Forderung der UdSSR festgeschrieben worden, nach der es deutschen Stellen untersagt sein sollte, in Wiedergutmachungsverfahren rechtsstaatswidriges Verhalten unter sowjetischer Hoheit festzustellen und in dieser Weise einen Unrechtsvorwurf gegenüber der UdSSR zu erheben, ist damit eine reine Erfindung des Bundesministeriums der Justiz, die in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in Ziff. 1 und 9 GemErkl. und zu den Feststellungen des Ersten Senats zum Inhalt von Ziff. 1 GemErkl. im Bodenreformurteil steht. Die Erfindung dient der gezielten Umdeutung der Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. zu einem vollständigen Rückgabeverbot, das diese Vereinbarung, wie sich jedenfalls aus dem Zusammenhang mit Ziff. 1 Satz 4 und Ziff. 9 GemErkl. zwingend ergibt, nicht enthält. Damit nehmen Bundesjustizministerium und ihm unkritisch folgend der 7. Senat des BVerwG39 bewußt in Kauf, daß ihre Konkretisierung von Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in Ziff. 1 Satz 4, Ziff. 9 GemErkl. steht und deshalb nicht den Regelungsgehalt von Ziff. 1 Satz 1 GemErkl. wiedergibt. Als bloße Einlegung40 einer in Ziff. 1 GemErkl. nicht enthaltenen Vereinbarung sind diese willkürlich vorgenommenen Erweiterungen und Verzerrungen des Regelungsgehalts von Ziff. 1 GemErkl. keine rechtsstaatlich vertretbare Auslegung 38 Entsprechendes gilt auch für den Geltungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, mit dem die Vereinbarung in Ziff. 9 GemErkl. umgesetzt wird. 39 Später auch der 3. und 8. Senat des BVerwG. 40 Zur Einlegung als nicht mehr zulässiges Mittel der juristischen Auslegung vgl. nur: Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 7. Aufl., 2012, S. 505, der damit die Umdeutung geltenden Rechts durch die Hineinnahme außerrechtlicher Vorstellungen beschreibt. r 20 einer quasivölkerrechtlichen Vereinbarung mehr, sondern stellen eine Anwendung contra legem dar. 3. Gesetzwidrige Verdrängung von Rehabilitierungsrecht durch das Recht der offenen Vermögensfragen Die Bundesministerien waren auch gezielt an der Rechtsprechung beteiligt, wonach die gesetzlich klar vorgegebenen unterschiedlichen und sich nur bei willkürlichen, im Verwaltungsrechtswege erfolgten Vermögenszugriffen überschneidenden Geltungsbereiche von Rehabilitierungsrecht und Recht der offenen Vermögensfragen grundlegend mißachtet wird. Wie nachgewiesen,41 gelten für beide Rechtsgebiete strikt zu unterscheidende Sach- und Normbereiche. Danach erfaßt das Rehabilitierungsrecht sämtliche Fälle straf- oder verwaltungsrechtlicher politischer Verfolgung, auch wenn zu den Folgen der Verfolgung ein Vermögenszugriff gehört hat. Das Recht der offenen Vermögensfragen erfaßt dagegen bestimmte rechtsstaatswidrige oder sonst anstößige, zumindest faktisch endgültig wirkende, rein objektbezogene Vermögenszugriffe, die nicht Folge einer politischen Verfolgung waren. Zu inhaltlichen Überschneidungen zwischen beiden Rechtsgebieten kann es nur in den Fällen verwaltungsrechtlich verfügter, objektbezogener Vermögenszugriffe kommen, die eine Willkürmaßnahme im Einzelfall dargestellt haben. Dies folgt daraus, daß das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz, anders als das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, neben den der politischen Verfolgung dienenden Maßnahmen auch ausschließlich willkürliche Verwaltungsentscheidungen erfaßt,42 die sich damit auch auf verwaltungsrechtliche, willkürliche Vermögensschädigungen beziehen. Sie werden damit insbesondere vom Tatbestand der „unlauteren Machenschaften“ des § 1 III VermG erfaßt. Nur diese gesetzliche Überschneidung der Geltungsbereiche beider Rechtsgebiete wird von § 1 I 2 und 3 VwRehaG in der Weise gelöst, daß dann dem Recht der offenen Vermögensfragen der Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gebührt, um eine Anwendung beider Gesetze zu vermeiden. Die gesetzlich insgesamt eindeutig vorgegebene Abgrenzung des Rehabilitierungsrechts vom Recht der offenen Vermögensfragen hat das Bundesministerium der Justiz allerdings in den Begründungen mehrerer Gesetzesentwürfe deutlich verunklart, ohne damit allerdings tatsächlich verwertbare Anhaltspunkte für eine anderweitige Abgrenzung geschaffen zu haben. So ergibt sich nur aus der Zusammenschau der den Einzelbegründungen zu den Vorschriften des Vermögensgesetzes vorangestellten allgemeinen Erläuterungen der Bundesregierung zum Vermögensgesetz,43 daß Vermögenseinziehungen in einem rechtsstaatswidrigen Strafverfahren keine Enteignungen i.S. von § 1 I VermG darstellen. Insofern wird zwar zutreffend dargelegt, daß das Vermögensgesetz entsprechend der Gemeinsamen Erklärung “nicht die Aufhebung von Vermögenseinziehungen, die in rechtsstaatswidrigen Strafverfahren ..... ausgesprochen wurden” regelt, sondern daß entsprechende Ansprüche erst nach der 41 Zuletzt sehr eingehend: Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238 (242ff.). Vgl. § 1 II, 2. Alt. VwRehaG. 43 BT-Drucks. 11/7831. 42 r 21 Aufhebung der Vermögenseinziehung nach Maßgabe des Vermögensgesetzes abzuwickeln sind. Diese Aussage steht aber erst mehrere Absätze nach den allgemeinen Ausführungen zu Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage. Insofern läßt sich leicht übersehen, daß strafrechtlich verfügte Vermögenseinziehungen per se keine Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage darstellen, selbst wenn sie auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sind. Überhaupt kein Hinweis ergibt sich aus den Erläuterungen der Bundesregierung zum Entwurf zum Vermögensgesetz, daß nichts anderes für durch Verwaltungsentscheidung verfolgungsbedingt verfügte Vermögensentziehungen gilt. Dazu muß erst auf die Erläuterungen zu Art. 17 EVertr. in der Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag44 zurückgegriffen werden, aus denen sich ergibt, daß auch verwaltungsrechtliche und betriebliche Verfolgungsmaßnahmen in gleicher Weise wie strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen rehabilitiert werden sollen. Diese unübersichtlichen Erläuterungen des Gewollten können bei kursorischer Prüfung der Rechtslage leicht zu dem Mißverständnis führen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Enteignungen i.S. von § 1 I, VIII lit. a, 1. Halbs. VermG auch verfolgungsbedingte Vermögensschädigungen umfassen, jedenfalls dann, wenn sie Gegenstand einer Verwaltungsentscheidung waren.45 Wesentlich mißverständlich begründet wurde darüber hinaus die daraufhin mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14.7.199246 angefügte Klarstellung § 1 VIII lit. a VermG um den zweiten Halbsatz: “Ansprüche nach Absatz 6 und 7 bleiben unberührt.” In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes wird lediglich dargelegt,47 daß NSVermögensschädigungen deshalb nicht vom Anwendungsausschluß in § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG erfaßt sein sollten, weil “die Regelung des Absatzes 6 in diesen Fallgestaltungen nicht auf die Korrektur einer Maßnahme unter sowjetischer Besatzungshoheit, sondern auf die Korrektur nationalsozialistischen Unrechts abzielt.” Dieser Begründungsansatz kann leicht mißverstanden werden, weil man annehmen könnte, die Ausschlußregelung des § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG sei nur bei einem erneuten Vermögenszugriff auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nicht anwendbar. Daß § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG dagegen klarstellt, daß verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe, die bei Maßnahmen des NS- und SEDRegimes grundsätzlich denselben Unrechtsgehalt aufweisen,48 per se nicht vom Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes und damit auch nicht von § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG erfaßt wird, ergibt sich aus dieser Begründung nicht. Deshalb hat sich der 44 BT-Drucks. 11/7760. Die erste Entscheidung, die das Verhältnis von § 1 VI, VII VermG zu § 1 VIII lit. a VermG in einem NSVerfolgungsfall grundlegend mißverstanden hatte, war KG, VIZ 1992, 65f. Diese Entscheidung war dann auch Anlaß für die gesetzlich Klarstellung in § 1 VIII lit.a, 2. Halbs. VermG durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14.7.1992 (BGBl. I S. 1457). 46 BGBl. I S. 1257. 47 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes, BTDrucks. 12/4994, S. 22f. 48 Vgl. BVerfGE 101, 239 (268). 45 r 22 7. Senat des BVerwG49 auch sogleich zur Rechtfertigung seiner Rechtsprechung, nach der auch verfolgungsbedingte Vermögensverluste auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes fallen, auf diese mißverständliche Regierungsbegründung berufen. Dabei hat er aber übersehen, daß bei dieser Konkretisierung die Klarstellung in § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG für die Fälle der verfolgungsbedingten Vermögenszugriffe i.S. von § 1 VII VermG leerläuft, weil es unter Besatzungshoheit keine zweifachen staatlichen Vermögenszugriffe gegeben hat.50 Der Senat hat damit nicht bedacht, daß die Umsetzung der Regierungsbegründung für die Fälle des § 1 VII VermG völlig sinnwidrig wäre. Jedenfalls bei rechtlicher Betrachtung ist die Begründung auch deshab sinnwidrig, weil NS-Vermögensschädigungen insbesondere gegenüber Juden wegen Verstoßes gegen die Radbruchsche Formel51 und wegen der Aufhebung der NSErmächtigungsnormen dazu durch die alliierte Gesetzgebung nichtig waren. Das gesetzlich Gewollte ergibt sich klar dennoch erst aus Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf von § 1 I 2, Ia 2 AusglLeistG, der für den Bereich des Ausgleichsleistungsgesetzes eine § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG inhaltlich entsprechende Klarstellung enthält. Dort heißt es zutreffend:52 “Der neu eingefügte Satz 2 stellt klar, daß bei der Aufhebung einer grob rechtsstaatswidrigen strafrechtlichen Verurteilung (Rehabilitierung) auch dann ein vermögensrechtlicher Anspruch (auf Restitution und hilfsweise auf Entschädigung) gegeben ist, wenn die aufgehobene Verurteilung zwischen dem 8. 5. 1945 und dem 6. 10. 1949 erfolgte. Auch die erst im nachhinein von der früheren Besatzungsmacht wieder beseitigten Zwangsmaßnahmen können nicht als ,besatzungsrechtlich’ im Sinne von Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. 6. 1990 qualifiziert werden. Mit anderen Worten: Auf solche Fälle finden das Vermögensgesetz (gemeint ist in entsprechender Anwendung nach § 1 VII VermG) und das Entschädigungsgesetz,53 nicht aber das Ausgleichsleistungsgesetz Anwendung.” Eine wesentliche Irreführung hat das Bundesministerium der Justiz schließlich mit der amtlichen Begründung zum Entwurf von § 1 I 3 E-VwRehaG vorgenommen, in der es heißt: “In Satz 3 wird klargestellt, daß das VwRehaG auch auf die vom Vermögensgesetz ausdrücklich ausgeschlossenen Fallgruppen des § 1 Abs. 8 Vermögensgesetz keine Anwendung findet. Besondere Bedeutung hat dies für die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (§ 1 Abs. 49 BVerwGE 99, 268 (273) = VIZ 1996, 88 (89). Eine Ausnahme stellt auch nicht die spätere Wegnahme von Resthöfen dar, die Hofinhabern mit Flächen über 100 ha nach der “Enteignung” kraft Gesetzes zunächst wieder belassen wurden. In diesen Fällen sind die Betroffenen zunächst nicht politisch als Kriegs- und Naziverbrecher verfolgt worden. 51 Vgl. nur: BVerfGE 23, 98ff 52 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes, BT-Drucks. 12/7588, S.41. 53 Gemeint ist hier die in § 1 VI, VII VermG angeordnete entsprechende Anwendung des Vermögensgesetzes zur bloßen Abwicklung der Rechtsfolgen eines verfolgungsbedingten Vermögensentzugs, die in den Fällen des § 1 VII VermG zuvor eine rehabilitierungsrechtliche Aufhebung auch des verfolgungsbedingten Aktes der Vermögensschädigung voraussetzt. 50 r 23 8 Buchstabe a VermG). Damit werden im wesentlichen zwei große Enteignungsaktionen aus dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes und der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung ausgeschlossen: Die entschädigungslosen Enteignungen im Bereich der Industrie zu Gunsten der Länder der ehemaligen SBZ bzw. im Rahmen sowjetischer Reparationsmaßnahmen und die entschädigungslosen Enteignungen im Bereich der Landwirtschaft im Rahmen der sog. .demokratischen Bodenreform’. Diese Rechtslage ist entscheidend auf die Haltung der Sowjetunion zurückzuführen, nach der die unter ihrer Besatzungshoheit (1945 bis 1949) durchgeführten Enteignungsmaßnahmen völkerrechtlich nicht zur Disposition der beiden deutschen Staaten stünden und als solche unangetastet bleiben müßten. Dies war auch im Rahmen des VwRehaG zu beachten.”54 Die Begründung sagt zwar eigentlich nichts Neues. Sie legt lediglich dar, daß Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, die nach § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG aus dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes ausgeschlossen sind, auch aus dem Geltungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ausgeschlossen werden sollen. In der Begründung findet sich aber kein Hinweis darauf, daß Enteignungen i.S. des Vermögensgesetzes lediglich rein objektbezogene, nicht aber verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe sind. Da dieser Hinweis fehlt,55 entsteht der unzutreffende Eindruck, die Geltungsbereiche von Vermögensgesetz und Verwaltungsrechtlichem Rehabilitierungsgesetz seien nach § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG und § 1 I 3 VwRehaG nicht nur für objektbezogene, sondern auch für verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe ausgeschlossen. Dieser irrige Eindruck muß entstehen, wenn zuvor nicht ermittelt wurde, daß der vom Vermögensgesetz erfaßte Enteignungsbegriff (§ 1 I, VIII lit. a VermG) lediglich rein objektbezogene Vermögensverluste, niemals aber auch Vermögenszugriffe erfaßt, die Folge einer verfolgungsbedingten Ausgrenzungsentscheidung sind. Dies gilt sowohl für straf- als auch für verwaltungsrechtliche Verfolgungsmaßnahmen.56 Die sich aus diesen Gesetzesbegründungen ergebenden Irreführungen wurden dann auch in diversen offiziösen Stellungnahmen, die von den Bundesministerien der Justiz bzw. der Finanzen verbreitet sowie gegenüber den Gerichten konsequent wiederholt und vertieft. Dabei tauchen, insbesondere unter gezielt undifferenzierter Berufung auf die amtliche Begründung zum Entwurf von § 1 I 3 E-VwRehaG, Argumente auf, § 1 I 3 54 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgsgesetzes, BTDrucks. 12/4994, S. 23. 55 Der ausdrückliche Hinweis, daß die Tatbestände in § 1 I und III VermG keine verfolgungsbedingten Vermögenszugriffe erfassen, befindet sich dagegen nur in der Kommentierung von Fieberg/Reichenbach, VermG, Grundwerk, 1991, § 1, Rn. 117f. Fieberg und Reichenbach waren im Bundesministerium der Justiz maßgeblich an der Formulierung der Gemeinsamen Erklärung und des Vermögensgesetzes, das die Gemeinsame Erklärung in DDR- und dann in bundesdeutsches Recht umsetzt, beteiligt. Sind wußten also genau um das Verhältnis von Ziff. 1 zu Ziff. 9 GemErkl. und von § 1 I, III zu VII VermG. Später hat Neuhaus, ebenfalls Beamtin im Bundesministerium der Justiz, diesen entscheidenden Hinweis ohne jede Erläuterung aus der Kommentierung entfernt. 56 Vgl. dazu eingehend: Wasmuth/Kempe, ZOV 2012, 238 (242ff., 252ff.). r 24 VwRehaG solle sicherstellen, daß § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG nicht umgangen wird. Dabei wird, ebenso wie in der Gesetzesbegründung, durchgängig verschwiegen, daß beide Regelungen lediglich rein objektbezogene Vermögenszugriffe, niemals aber verfolgungsbedingte Vermögensverluste erfassen.57 Auf dieser gezielten Irreführung basiert dann auch die Rechtsprechung des 3. Senats des BVerwG, der, ebenso wenig wie die amtliche Begründung zu § 1 I 3 E-VwRehaG der vorgelagerten Frage nachgeht, welche Vermögensverluste als Enteignungen i.S. von § 1 I, VIII lit. a VermG und damit auch i.S. von § 1 I 3 VwRehaG angesehen werden können, die aus den Anwendungsbereichen beider Gesetze ausgeschlossen werden.58 Dies führt zu der mit den gesetzlichen Vorgaben unvereinbaren und gegenüber strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen willkürlich erscheinenden Ausdehnung des vermögensrechtlichen Enteignungsbegriffs auch auf verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe. III. Unzulänglichkeiten der zeithistorischen Forschung Daß das krasse Verfolgungsunrecht, das sich im Rahmen der verharmlosend als “Boden- und Wirtschaftsreform” bezeichneten Aktionen ereignet hat, bis heute grundlegend verkannt wird, ist auch auf deutliche Unzulänglichkeiten der zeithistorischen Forschung zurückzuführen. Sie können im Rahmen dieses Beitrages allerdings nur in groben Zügen aufgezeigt werden. Im Gegensatz zu diversen Unrechtsvorgängen, die sich in SBZ und DDR ereignet haben, werden die Verfolgungsaktionen der “Boden- und Wirtschaftsreform” auffallend selten behandelt. Soweit sie rechtsstaatlich besonders krasse Rechtsmißbräuche eines strafrechtlichen Entnazifizierungsinstrumentariums dargestellt haben, werden diese Zusammenhänge in zeithistorischen Publikationen zur Entnazifizierung oder zur Justizpolitik in SBZ und DDR regelmäßig nicht behandelt,59 obgleich die Verfolgungen 57 Vgl. aus der Vielzahl entsprechender Schriftsätze in Verfahren unterschiedlichen Gerichten nur: Schriftsatz des Oberbundesanwalts beim BVerwG vom 18.1.1999 - 2 R 146/98 im Verfahren BVerwG 7 C 8.98 -; Schriftsatz des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG vom 4.2.2002 - 2 R 153.01 - im Verfahren BVerwG 3 C 15.01; Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 21.2.2005 - IV M -9479/2-4 E (2161)-4 C 35/2004 im Verfahren der Individualbeschwerde Nr. 27225/04 vor dem EGMR. 58 BVerwG, VIZ 2002, 25 = ZOV 2001, 427; BVerwGE 116, 42 (44) = VIZ 2002, 272f. = ZOV 2002, 178; VIZ 2002, 461; ZOV 2007, 67 (68). 59 Beispielsweise zur Entnazifizierung: van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern, Herrschaft und Verwaltung 1945-1948, 1999; Rößler (Hrsg.), Entnazifizierungspolitik der KDP/SED 19451948, Dokumente und Materialien, 1994; Widera, “.... eine gute saubere anständige Gesinnung”. Entnazifizierung als Instrument der Diktaturdurchsetzung in Dresden 1945, in: Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945-1952; Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone, 1998, der die “Enteignungen” immerhin als Teil der in der SBZ betriebenen Entnazifizierung anspricht (S. 41f.), aber meint, die Enteignungsfrage sei von der justiziellen Bewältigung von NS-Unrecht vollkommen abgekoppelt worden, dabei aber übersieht, daß die Verfahren vor den mit den Sondergerichten gleichgestellten Kommissionen nach sowjetischem Verständnis ebenfalls eine justizielle Bewältigung dargestellt haben; r 25 im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” zu den zentralen Maßnahmen der repressiv betriebenen Entnazifizierung während der Phase der stalinistischen Machtdurchsetzung zählen. Daneben gibt es einige Untersuchungen, die sich speziell mit der “Bodenreform” und mit der “Wirtschaftsreform” befassen. Am umfangreichsten dürften dabei die zeithistorischen Untersuchungen zur “Bodenreform” sein.60 Sie befassen sich teilweise mit einzelnen Aspekten der Vorbereitung der “Bodenreform” in der UdSSR und den Diskussionen um die “Bodenreform” in den deutschen Ländern. Es wird auch noch der Zugriff auf Vermögenswerte anhand der Normtexte der Bodenreformgesetze beschrieben. Dabei werden die ebenfalls maßgeblichen Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformgesetzen aber schon nicht mehr berücksichtigt. Im übrigen behandeln die Darstellungen zur “Bodenreform” lediglich die Aufteilung von Bodenreformland und die sich daraus ergebenden agrarpolitischen Änderungen. Mit einer solchen Art der Darstellung entsteht aber ein deutliches Zerrbild über das tatsächlich praktizierte Unrecht. Insofern fehlt bislang eine umfassende zeitgeschichtliche Untersuchung über die gegenüber den Bodenreformopfern tatsächlich verfolgten Zwecke, die nicht nur aufgrund der seinerzeit verbreiteten, auf dem stalinistischen Feindbild61 basierenden Propaganda (“Rottet dieses Unkraut aus”), sondern auch nach ihrer Zielrichtung der Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern und der deshalb verhängten Sanktionen auf die Vernichtung einer sozialen Klasse nach stalinistischem Verständnis gerichtet war. Gegenüber den Geschädigten wurde also keine “Bodenreform”, sondern eine kraß rechtsmißbräuchliche repressive Entnazifizierung durchgeführt. Des weiteren sind zeithistorisch die Verfahren, die vor örtlichen Kommissionen und den Landeskommissionen zur Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern auf der Grundlage der Tatbestände in den Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformverordnungen durchgeführt worden sind und deren kraß rechtsstaatswidrige Methoden, nicht im Ansatz untersucht. Im übrigen wird die für die Verfolgung maßgebliche Schuldfeststellung als Mitglied der “Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande... und einer der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker” nicht nachvollzogen. Statt dessen wird nur zur Justizpolitik: Weber, Justiz und Diktatur, Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 19451961, 2000; Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953, Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen, 2001; Fricke, Politik und Justiz in der DDR, Zur Geschichte der politischen Verfolgung 19451968, Bericht und Dokumentation, 1979; Rössler, Justizpolitik in der SBZ/DDR 1945-1956, 2000. . 60 Vgl. nur: Bauerkämper (Hrsg.), “Junkerland in Bauernhand?”, Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, 1996; ders., Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963, 2002; ders., Der verlorene Antifaschismus. Die Enteignung der Gutsbesitzer und der Umgang mit dem 20. Juli 1944 bei der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1994, S. 623ff.; Schröder, Gutachten für die Enquete Kommission “Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einem demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg. Systematische Übersicht zur Eigentumstransformation vor und nach 1989 in Brandenburg, o.J., S. 32ff.; Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern 1945-1949, 2006, 230ff. 61 Vgl. dazu nur: Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, 3. Aufl., 2012, S. 170f. r 26 auf die Hofgröße abgestellt. Damit wird übersehen, daß damit lediglich die Zugehörigkeit zur Bande der “Bastion der Reaktion und des Faschismus” gesetzlich bestimmt wurde. Die Anknüpfung an die Hofgröße diente lediglich der formalen Bestimmung dieses Personenkreises, war damit aber nicht der eigentliche Zweck der Verfolgung. In diesem Zusammenhang haben Zeithistoriker auch nicht die Praxis in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen untersucht, als unschuldig behandelten antifaschistischen Kämpfern einen Resthof zu belassen, sowie die nachträglichen Versuche, derartige Entscheidungen wieder rückgängig zu machen. Nicht untersucht wurde schließlich, was es konkret für die Bestimmung des Verfolgungszwecks bedeutet, daß sich UdSSR und DDR zur Rechtfertigung der Verfolgung stets auf die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zur Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern,62 niemals aber auf die alliierten Überlegungen zur Durchführung einer Bodenreform berufen haben. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, weil die USA erst im Oktober 1945 den Entwurf eines Gesetzes “zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform” im Alliierten Kontrollrat eingebracht hat. Es gibt im übrigen keine der tatsächlichen Praxis nur annähernd gerecht werdende Untersuchung über die gegenüber Bodenreformopfern verhängten Sanktionen. Dies betrifft sowohl den umfassenden Zugriff auf das Privatvermögen der Betroffenen als auch die unmittelbare Anwendung von Sanktionsnormen gegen Kriegs- und Naziverbrecher, etwa zum Wahlverbot, zur Einziehung von Altguthaben, zum Berufsverbot und manches mehr. Es fehlt auch eine aussagekräftige Untersuchung über die praktizierte Vertreibung und die damit regelmäßig verbundene Internierung der Verfolgten. Nicht untersucht ist das Zusammenwirken der deutschen Organe mit dem sowjetischen NKWD, der regelmäßig die Internierung durchgeführt hat, von denen ein großer Teil der Bodenreformopfer betroffen war. Gleiches gilt für das Zusammenspiel von gegen Kriegs- und Naziverbrecher gerichteten Bodenreformverfolgung und den relativ häufigen Verurteilungen von Bodenreformopfern durch das Sondergericht Waldheim, die zumeist unmittelbar auf das KRG Nr. 10 und die KRD Nr. 38 gestützt waren, zu denen Art. I Ziff. 1 Satz 2 der Bodenreformgesetze sowie die Ausführungsbestimmungen zu Art. II, Ziff. 2 lit.a und b zu den Bodenreformgesetze Vorgängernormen darstellten. Vergleichbares gilt für die zeithistorischen Untersuchungen zur “Wirtschaftsreform”. Hierzu liegen einzelne Dissertationen63 und andere Untersuchungen64 vor. Sie stellen 62 Vgl. dazu nur die Erklärung der sowjetischen Regierung vom 28.3.1990 über die Gültigkeit besatzungspolitischer Maßnahmen der Jahre 1945 bis 1949 (sog. TASS-Erklärung), abgedr. in: Galkin/Tscherniaiew (Hrsg.), Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991, S. 360ff. sowie in: Wasmuth, RVI, B 100, VermG Einf., Rn. 322ff. 63 Böhme, Die Enteignung von Großbetrieben und der Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 am Beispiel der Firma Siemens, 2006; Spannuth, Rückerstattung Ost. Der Umfang der DDR mit dem “arisierten” Eigentum der Juden und die Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland, 2007. 64 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998; Schröder, Gutachten für die Enquete Kommission “Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der r 27 trotz Ihres Umfangs lediglich Beschlagnahmemaßnahmen nach Maßgabe des SMADBefehls Nr. 124 dar, ohne je die unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Beschlagnahmetatbestände und die dazu teilweise erlassenen Ausführungsbestimmungen und das nach Nr. 124 Ziff. 1 f SMAD-Befehl vorgegebene Zusammenwirken der SMAD bzw. des sowjetischen NKWD mit den deutschen Kommissionen herausgearbeitet zu haben. Im übrigen werden die Enteignungsgesetze der Länder beschrieben. Dabei werden allerdings lediglich dort allein geregelte Entziehung des Betriebsvermögens und dessen Übernahme in Landeseigentum beschrieben. Zu letzterem werden auch unterschiedliche SMAD-Befehle bemüht. Bisweilen eingehend werden schließlich die volkseigene Verwertung von Betriebs- und Privatvermögen der Betroffenen und der Aufbau der Planwirtschaft sowie deren Organisation dargestellt. Dagegen werden die repressiven, gesetzlichen Voraussetzungen der “Enteignungen” und deren damalige Feststellung in aller Regel nicht einmal erwähnt. Ohne jede nachvollziehbare Einordnung erwähnt nur Hartisch65 den Runderlaß Nr. 5 des brandenburgischen Amtes für Angelegenheiten der Sequestrierung und Beschlagnahme, dem in Brandenburg die Funktion der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid zukommt. Sie enthalten die Tatbestände, nach denen die Verfolgten als Kriegs- und Naziverbrecher, aktive Verfechter der Nazipartei und des Nazistaates und aktiv dem Kriegsverbrechen dienende Betriebe und Unternehmen zu beschuldigen waren. Hartisch weist auch auf die Protokolle der 333 Sitzungen der brandenburgischen Provizialkommission hin.66 Es fehlt aber jede Einordnung der getroffenen Schuldfeststellungen. Nicht einmal ansatzweise werden im übrigen die Verfahren vor den Kommissionen und die dabei verübten krassen Mißbrauchsmaßnahmen beschrieben, die das Ausmaß der gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit grob mißachtenden Waldheimer Unrechtsurteile noch überschreiten. Es fehlt auch jede Untersuchung über die parallel betriebenen repressiven Entnazifizierungsverfahren vor SMAD-Befehl Nr. 201 Sonderstrafgerichten und Kommissionen. Letztere wurden zumeist nur aus Beschleunigungsgründen durchgeführt. Gleiches gilt für die willkürliche, völlig austauschbar gehandhabte Verfolgung nach Vorschriften der repressiven Entnazifizierung insbesondere bei der sog. “Nacherfassung” und des Wirtschaftsstrafrechts, die aber erkennen lassen, daß repressive Entnazifizierung und Wirtschaftsstrafverfahren in identischer Weise lediglich systematisch zur Verstaatlichung von Betriebsvermögen mißbraucht wurden. Auch die einschneidenden Sanktionen, soweit sie weit über die “Enteignung” des Betriebs- und Privatvermögens hinausgingen, werden nicht ansatzweise erwähnt. Nicht SED-Diktatur und des Übergangs in einem demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg. Systematische Übersicht zur Eigentumstransformation vor und nach 1989 in Brandenburg, o.J., S. 19ff.; Brunner, Der Schein der Souveränität. Landesregierung und Besatzungspolitik in MecklenburgVorpommern 1945-1949, 2006, 242ff.; noch aus DDR-Zeiten insbesondere: Wilhelm, Die Rolle von Partei und Staat bei der Durchführung der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft, Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft, Heft 231, 1980. 65 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998, S. 41. 66 Hartisch, Die Enteignung von “Nazi- und Kriegsverbrechern” im Land Brandenburg, 1998, S. 42. r 28 untersucht wird auch hier das Zusammenwirken von deutschen und sowjetischen Verfolgungsorganen, die zwar unterschiedliche Verfahren durchgeführt haben, dies aber stets mit dem gemeinsamen Zweck, den betroffenen Nazi- und Kriegsverbrecher mit den jeweils in der Kompetenz des Verfolgungsorgans stehenden Sanktionen (insbesondere Vermögenseinziehung einerseits und Verhaftung und Internierung andererseits) auszuschalten und zu vernichten. Diese gravierenden Defizite der zeithistorischen Forschung sind besonders fatal, weil in der BRD regelmäßig eine völlige Unkenntnis über die Internierung der Verfolgten, die dort herrschenden katastrophalen Zustände und die von den Machthabern bewußt in Kauf genommenen hohen Sterberaten zu beobachten ist. Zur Beurteilung des Unrechts, das den Opfern der “Bodenreform- und Wirtschaftsreform” ab 1945 zugefügt worden ist, ist die bislang vorliegende zeithistorische Forschung zur “Boden- und Wirtschaftsreform” daher grundsätzlich ungeeignet. Sie hat sich bislang praktisch ausschließlich darauf beschränkt, den wirtschaftlichen Transformationsprozeß nachzuzeichnen. Dagegen hat sie sich mit den Opfern des repressiven stalinistischen Terrors, welcher der Ausmerzung sozialer Klassen diente, allenfalls am Rande und nur in groben Ausschnitten befaßt. Dieses Unrechtsgeschehen wird deshalb wesentlich verzerrt und damit unzutreffend wiedergegeben. Dieser weitgehende Ausfall der zeithistorischen Forschung bei der Aufarbeitung des verübten Unrechts dürfte im wesentlichen auf drei Gründen beruhen: Sowohl die kommunistische Propaganda, die das Unrechtsgeschehen im nachhinein als bloße “Boden- und Wirtschaftsreform” verharmlost hat, als auch die bereitwillige Verharmlosung des stalinistischen Terrors durch die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen sowie diverser anderer staatlicher Stellen im wiedervereinigten Deutschland haben den Blick dafür verstellt, die maßgeblichen Fragen zu stellen. Zeithistorikern sind im übrigen regelmäßig die rechtlichen Kriterien unbekannt, die ausschlaggebend für eine rechtlich einwandfreie Einordnung des Unrechts und der dafür vorgeschriebenen Wiedergutmachungsleistungen sind. Nicht zuletzt ist aber auch die unkoordinierte, weithin lückenhafte Aufarbeitung der vorhandenen Archivbestände ein maßgeblicher Gesichtspunkt, der die klaren Defizite der zeithistorischen Forschung plausibel macht. IV. Fazit Der flächendeckende Rehabilitierungsausfall gegenüber den Verfolgungsopfern des stalinistischen Terrors, der sich unter dem Deckmantel einer “Boden- und Wirtschaftsreform” ereignet hat, kommt nicht von ungefähr. Er beruht zentral auf gezielt das Verfolgungsunrecht negierenden oder verharmlosenden sowie die Vorgaben des geltenden Wiedergutmachungsrechts verzerrenden Stellungnahmen und anderen Formen der Einflußnahme der Bundesministerien der Justiz und der Finanzen. Beide Ministerien haben dazu den individuellen, mit äußerster Rücksichtslosigkeit und Brutalität umgesetzten repressiven Verfolgungscharakter konsequent geleugnet und grundlegend als bloße Enteignungsmaßnahmen, die primär der Umgestaltung der r 29 Eigentumsordnung gedient haben soll, umgedeutet. Da sich der Verfolgungscharakter des Unrechts damit nicht vollständig unterdrücken ließ, wurde außerdem der Geltungsbereich des Rechts der offenen Vermögensfragen zu Lasten des Rehabilitierungsrechts ausgedehnt. Zu diesem Zweck wurde die Behauptung, mit der Gemeinsamen Erklärung habe man die UdSSR von einem Unrechtsvorwurf freistellen wollen, in offenem Widerspruch zu den Vereinbarungen in der Gemeinsamen Erklärung und zu den Vorschriften zum Geltungsbereich der Rehabilitierungsgesetze zerfunden. Außerdem wurden bei oberflächlicher Prüfung mißverständliche Gesetzesbegründungen insbesondere zum Entwurf des Zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes bemüht, um auf dieser Grundlage nicht nur willkürliche, sondern auch verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe als Enteignungen i.S. von § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG auszugeben. Damit haben insbesondere die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen sowohl den Verfolgungssachverhalt der Terrormaßnahmen im Rahmen der “Boden- und Wirtschaftsreform” maßgeblich verharmlost als ein Zerrbild von den Geltungsbereichen des Rechts der offenen Vermögensfragen und des Rehabilitierungsrechts gezeichnet. All dies erfolgte, um den Opfern des stalinistischen Unrechts den ihnen zustehenden Anspruch auf strafrechtliche Rehabilitierung vorzuenthalten. Die das Unrecht völlig unzureichend und damit unzutreffend erfassenden Darstellungen der Bundesministerien werden zudem durch die weiterhin erheblichen Defizite in der zeithistorischen Forschung in ihrer das Unrecht verharmlosenden Wirkung zusätzlich verstärkt. Die Rechtsprechung der Fachgerichte ist den gezielt irreführenden Vorgaben der Bundesministerien gefolgt, ohne daß ausweislich der Entscheidungsbegründungen ernsthafte Anstrengungen unternommen worden sind, den tatsächlichen Verfolgungssachverhalt in seiner tatsächlichen Zielrichtung und in seinem Ausmaß jemals ermittelt, und ohne die geltende Rechtslage grundlegend, auch jenseits des Vortrags der Behörden überprüft zu haben. Die Fachgerichte haben sich damit flächendeckend nicht als unabhängige Gerichte erwiesen, die selbständig den Sachverhalt ermitteln und umfassend die geltende Rechtslage prüfen. Sie haben sich vielmehr ausschließlich am behördlichen Parteivortrag orientiert. Dies ist wegen der Materie der Aufarbeitung schwersten Unrechts, das sich in der Zeit des stalinistischen Terrors auf deutschem Boden ereignet hat, ein für den Rechtsstaat niederschmetternder Befund.