CM_PETI

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EUROPÄISCHES PARLAMENT
2009 – 2014
Petitionsausschuss
30.5.2012
MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER
Betrifft:
1.
Petition 1099/2011, eingereicht von Francesca Cardenia, italienischer
Staatsangehörigkeit, im Namen des Verbands „ambulanti piemontesi“, zu den
Beschäftigungsproblemen in der Region Piemont infolge der Anwendung der
Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (sogenannte
Bolkestein-Richtlinie)
Zusammenfassung der Petition
In der Petition wird auf die Anwendung der Richtlinie über die Liberalisierung von
Dienstleistungen 2006/123/EG verwiesen, durch die dem Sektor der ambulanten Händler in
Piemont gravierende Beschäftigungs- und Wirtschaftsprobleme entstünden.
Viele dieser Händler hätten Handelslizenzen zu hohen Preisen (bisweilen 200 000 EUR)
erworben und könnten ihre Bankschulden nicht mehr begleichen.
2.
Zulässigkeit
Für zulässig erklärt am 30. Januar 2012. Die Kommission wurde um Auskünfte ersucht
(Artikel 202 Absatz 6 der Geschäftsordnung).
3.
Antwort der Kommission, eingegangen am 30. Mai 2012
Die Petentin beklagt die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie1 auf Straßenhändler
insbesondere in der italienischen Region Piemont.
Die Petentin trägt vor, dass das Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie 2015 in Italien
1
Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006, L 376/36.
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PE491.006v01-00
In Vielfalt geeint
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verheerende wirtschaftliche Auswirkungen auf Straßenhändler in der Region Piemont haben
wird. Aus der Petition geht hervor, dass vor dem Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie
zahlreiche Straßenhändler Handelslizenzen mit unbefristeter Geltungsdauer zu sehr hohen
Preisen (bisweilen bis zu 200 000 EUR) erworben hätten und immer noch ihre Bankkredite
abzahlen, die sie zur Zahlung dieser Lizenzen aufgenommen hatten. Mit der Umsetzung der
Dienstleistungsrichtlinie werden die Lizenzinhaber ihre unbefristeten Rechte verlieren und
damit Gefahr laufen, nicht mehr zur Rückzahlung der noch ausstehenden Kreditraten in der
Lage zu sein.
Die Petentin vertritt die Auffassung, dass die Dienstleistungsrichtlinie „unmittelbar die
unveräußerlichen Menschenrechte verletzt“, da „sie dazu führt, dass viele Menschen in
Krisenzeiten ihre Arbeit verlieren“.
Anmerkungen der Kommission
Die Kommission ist sich der Proteste der ambulanten Händler in Italien und Spanien im
Zusammenhang mit der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie bewusst. Dieses Thema
wurde bereits in schriftlichen Anfragen an die Kommission aufgeworfen, auf welche die
Kommission geantwortet hat.1 Die Kommission hat auch Kenntnis der Entschließung des
Europäischen Parlaments über einen Bericht zum Thema „Mehr Effizienz und Fairness auf
dem Einzelhandelsmarkt“ (2010/2109(INI)) und insbesondere der Ziffer 22 des Berichts, in
der das Europäische Parlament auf die große Besorgnis verweist, die auf öffentlichen Plätzen
tätige fahrende Händler zum Ausdruck gebracht hatten.
Die Kommission hatte Ende 2011 ein informelles Treffen des Europaabgeordneten Gianluca
SUSTA mit Vertretern der Region Piemont zum Thema der Straßenhändler veranstaltet.
Auch einige Straßenhändler der Region hatten an dem Treffen teilgenommen. Aus den
Gesprächen ging hervor, dass die in der Region Piemont tätigen Straßenhändler den Verlust
ihrer Lizenzen und sich daraus ergebende wirtschaftliche Schwierigkeiten befürchten.
Fahrende Händler sind zur Ausübung ihrer Tätigkeit auf die Nutzung öffentlichen Grundes
angewiesen. Öffentlicher Grund ist ein knappes Gut von festgelegter Größe und kann nicht
wesentlich ausgeweitet werden. Im Laufe eines Arbeitstages kann ein bestimmter Teil
öffentlichen Grunds nur jeweils von einem Händler genutzt werden. Öffentlicher Grund stellt
daher im Zusammenhang mit Straßenhandel ein knappes Gut dar.
Ist die Zahl der verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen
Ressourcen oder der verfügbaren technischen Kapazitäten begrenzt, ist es Mitgliedstaaten
nach Artikel 12 der Dienstleistungsrichtlinie nicht nur gestattet, sondern sie sind sogar dazu
verpflichtet, ausschließlich zeitlich befristete Genehmigungen zu erteilen. Diese Bestimmung
soll Dienstleistungsanbietern einen ausgewogenen und gerechten Zugang zum Raum
gewährleisten. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, in Anbetracht des verfügbaren öffentlichen
Raums festzulegen, wie viele Lizenzen für welche Dauer erteilt werden können.
Es
ist
hervorzuheben,
dass
zur
Erteilung
der
Genehmigungen
ein
gesondertes
1
Siehe z. B. die Antworten auf E-3377/10, auf 3434/10, auf E-4488/10, die gemeinsamen Antworten auf E-3918
bis 3941/10 und die Antwort auf P-6712/11.
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Auswahlverfahren Neutralität, Transparenz und freien Wettbewerb gewährleisten muss. Nach
Artikel 12 Absatz 3 der Dienstleistungsrichtlinie können diese Auswahlverfahren unter
anderem Kriterien festlegen, die auf Überlegungen im Hinblick auf die öffentliche
Gesundheit, sozialpolitische Ziele, die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern oder
Selbstständigen, den Schutz der Umwelt und die Erhaltung des kulturellen Erbes beruhen,
vorausgesetzt, dass diese Kriterien dem Diskriminierungsverbot und den allgemeinen
Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen, die in Bezug auf die
Voraussetzungen zur Erteilung von Genehmigungen in
Artikel 10 der
Dienstleistungsrichtlinie vorgegeben sind.
Eine automatische Verlängerung von Genehmigungen – sowie jeglicher anderer
Begünstigungen, die dem Dienstleistungserbringer zu Lasten anderer potenziell am Zugang zu
derselben Tätigkeit Interessierter gewährt wurden – stünde im Widerspruch zu dem Grundsatz
der Gleichbehandlung aller Dienstleistungsanbieter. Der Zeitraum, für den die Genehmigung
gewährt wird, soll so bemessen sein, dass der Dienstleistungserbringer die Investitionskosten
amortisieren und eine angemessene Investitionsrendite erwirtschaften kann.1.
Was den Vorwurf des Verstoßes gegen Grundrechte angeht, weist die Kommission darauf
hin, dass die Genehmigungsregelungen eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit
darstellen können (die nach Artikel 16 der Charta der Grundrechte unter Schutz gestellt ist),
dass eine solche Einschränkung jedoch als gerechtfertigt gelten kann, wenn sie nicht
diskriminierend ist und aus zwingenden Gründe des Allgemeininteresses erfolgt (nach Artikel
9 der Richtlinie). Das diskriminierungsfreie Genehmigungsverfahren kann als konform mit
Artikel 15 der Charta angesehen werden, in der allen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern
die Freiheit zugesichert wird, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich
niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. Die Kommission vertritt die Auffassung,
dass dieses Genehmigungsverfahren nicht gegen weitere Rechte der Charta verstößt.
Schlussfolgerungen
Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie soll eine bessere Transparenz schaffen und
gleiche Wettbewerbsbedingungen beim Zugang zu lokalen Märkten gewährleisten, was allen
Dienstleistungsanbietern zum Vorteil gereichen wird. Die Kommission ist überzeugt, dass
diese Vorteile ohne Beeinträchtigung sozialpolitischer Ziele erreicht werden können. Es ist
Sache der Mitgliedstaaten, diese bei den Auswahlkriterien zu berücksichtigen. Daher hat die
Kommission nicht die Absicht, eine Änderung der Dienstleistungsrichtlinie im Hinblick auf
das spezielle Problem der Straßenhändler vorzuschlagen.
1
Siehe Erwägungsgrund 62 der Dienstleistungsrichtlinie.
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