Folie - Universität Wien

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Der Klang der Geige
Handlungszentrierte Sozialgeographie und
das Verhältnis von Sinn und Materie
Peter Weichhart
Institut für Geographie und Regionalforschung
Universität Wien
Feier anlässlich der Pensionierung und des 65. Geburtstages von
Prof. Dr. Peter Meusburger
16. 2. 2007, Heidelberg
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Johann Sebastian Bach
Partita für Violine solo No. 2 d-moll BWV 1004
5. Chaconne
Shlomo Mintz, Violine
Quelle Ton: Deutsche Grammophon463 023-2
Quelle Bild: http://www.geocities.com/r_polit/varios/onthenet/ShlomoMintz4444.jpg
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Einige Charakteristika von Handlungen
• Handlungen werden von Akteuren durchgeführt.
• Zur Durchführung von Handlungen benötigen die Akteure
in der Regel Gegenstände, Dinge, Werkzeuge …
• Bei den meisten Handlungen spielen die Körper der
Akteure eine wichtige Rolle.
• Viele Handlungen erfordern eine Kopräsenz verschiedener Akteure.
• Viele Handlungen finden an bestimmten Orten statt.
• Die meisten dieser Orte wurden ausdrücklich für den
Zweck gestaltet, Handlungen eines bestimmten Typus
„optimal“ durchführen zu können.
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Einige Charakteristika von Handlungen
• Für die Funktionalität der Orte spielt meist die Relationalität der dort vorfindbaren Dinge/Gegenstände eine wichtige
Rolle („Räumlichkeit“).
• Auch die „Werkzeuge“ wurden in der Regel ausdrücklich
für den Zweck hergestellt, bestimmte Handlungsvollzüge
zu ermöglichen oder zu erleichtern.
• Orte und Werkzeuge besitzen hohe Kontingenzpotenziale.
• „Umbau“ von Orten durch „alltägliche Regionalisierungen“.
• Handlungen sind ein „Tun um zu“. Sie werden durchgeführt, um Ziele zu erreichen und Intentionen der Akteure
zu verwirklichen.
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Einige Charakteristika von Handlungen
• Die meisten Handlungen stehen in einem Gesamtkontext
und sind auf „übergeordnete“ Ziele und Sinnstrukturen des
Akteurs bezogen.
„Actions … are always links in a chain which only may end
with the death of the actor” (E.E. BOESCH, 1991, S. 43).
• Die meisten Handlungen sind in einen übergeordneten
sozialen Kontext eingebunden.
• Die meisten Handlungen sind in einen organisationsstrukturellen Kontext eingebunden. Sie hängen mit den
Rollendifferenzialen von Organisationen zusammen und
dienen der Effizienzsteigerung komplexer Handlungssysteme.
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EGO, Selbst-Identität oder
Ich-Identität ...
... ist eine reflexive Bewusstseinsleistung des Menschen, bei der Erfahrungen über die eigene Existenz
verarbeitet werden. Im Mittelpunkt
steht dabei die Wahrnehmung der
zeitlichen Konstanz und der Entwicklung des Selbst.
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Ich-Identität als „episodische Struktur“
Ich-Identität stellt sich dem Individuum
gleichsam als „erlebter Roman“ dar.
• HauptdarstellerIn („Ich“);
• wichtige soziale Bezugspersonen (die
„anderen“ Hauptrollen, „Du“);
• „Nebenrollen“;
• „Handlungsstränge“;
• Schauplätze („signifikante Orte“).
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Drei Dimensionen von EGO
Personalität: gesellschaftliche Bestimmtheit des Einzelnen durch übernommene Rollen, Werte, Normen, Erwartungen, Gewohnheiten etc.;
„persona“ (lat.) = „Maske“.
PERSON
EGO
SUBJEKT
Subjektivität: Sprach-, Handlungs- und Selbstbestimmungsfähigkeit; EGO als „Quelle von
Kontingenz“.
In Anlehnung an A. SCHERR, 2002, S. 53
INDIVIDUUM
Individualität: Besonderheit
und Einzigartigkeit; Attribute,
durch die Einzelne sich von
anderen unterscheiden.
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Ein handlungstheoretisches Modell der Mensch-Umwelt-Interaktion
Sozialsystem
Materielle Kultur,
Technologie,
Repertoire möglicher/zulässiger
Handlungsakte
Herrschaftsstrukturen, Mittelverfügbarkeit, Organisationsstrukturen ...
SUBJEKT:
WERTE,
BEDÜRFNISSE,
AFFEKTE
SINN, ZIELE,
Intentionalität
Handlungsentwurf
(+, -)
Handlungsvollzug,
Handlungssequenzen, Acteme
Physisch-materielle Welt
Freiheitsgrade subjektiver Sinnzuweisung innerhalb des
Sozialsystems, der
Bezugsgruppe/Rollenkonfiguration
Intendierte/nichtintendierte
Handlungsfolgen
Nach P. WEICHHART, 1986, S. 85, verändert.
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„Geographie machen“ und
„alltägliche Regionalisierungen“
Die auf der Erdoberfläche vorfindbaren Artefakte
und ihre spezifische räumliche Konfiguration sowie
ihre Veränderungsdynamik, die Räumlichkeit der
sozialen Welt sowie die Verteilungsmuster und
Strukturen menschlicher Populationen sind als
„Produkte“ menschlichen Handelns anzusehen. Es
scheint daher sinnvoll und notwendig, sie als intendierte oder nicht intendierte Folgen menschlichen
Handelns zu erklären.
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Ein handlungstheoretisches Modell der Mensch-Umwelt-Interaktion
Sozialsystem
Ziel- und Wertkonflikte
SUBJEKT:
WERTE,
BEDÜRFNISSE,
AFFEKTE
Materielle Kultur,
Technologie,
Repertoire möglicher/zulässiger
Handlungsakte
SINN, ZIELE,
Intentionalität
?
Herrschaftsstrukturen, Mittelverfügbarkeit, Organisationsstrukturen ...
Lebenssituation,
Persönlichkeitsentwicklung,
Enkulturation,
Sozialisation
Handlungsentwurf
(+, -)
Handlungsvollzug,
Handlungssequenzen, Acteme
Lernen,
Weltaneignung
Physisch-materielle Welt
Freiheitsgrade subjektiver Sinnzuweisung innerhalb des
Sozialsystems, der
Bezugsgruppe/Rollenkonfiguration
Intendierte/nichtintendierte
Handlungsfolgen
Nach P. WEICHHART, 1986, S. 85, verändert.
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„Overarching Goals“
Neben der vordergründigen Intention eines bestimmten Handlungsaktes (z. B. Seminararbeit
schreiben) bestehen zusätzlich meist auch noch
so genannte „übergeordnete“ Ziele („overarching
goals“).
Zu diesen praktisch immer präsenten übergeordneten Zielen zählt nach E. E. BOESCH die subjektive Wahrnehmung der eigenen Handlungsfähigkeit des individuellen Akteurs.
„action potential“ ~ „capacity to act“ (S. 13) ~ „agency“
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„Action Potential“
„Many actions are performed less for their overt
goal than for improving, reascertaining, enlarging
or safeguarding our action potential. This then,
constitutes an overarching action orientation of
basic importance.”
(E. E. BOESCH, 1991, S. 13).
Die permanente „Übung“ des Handlungspotenzials
ist das entscheidende Mittel zur Entwicklung und
Aufrechterhaltung der Ich-Identität und des Selbstwertgefühls einer Person.
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Das Handlungskonzept der SAT
Akteur
Situationsdefinition I
Handlungsvollzug
Situationsdefinition II
Bestätigung
des eigenen
Handlungspotenzials
Mittel der
Entwicklung und
Festigung von
Ich-Identität
(„overarching goal“)
Ziel
Emergenz
neuer Ziele
„I c h – W e l t – K o n g r u e n z“
M. CSIKSZENTMIHALYI, 1990: „FLOW“
Nach E. E. BOESCH, 1991, Symbolische Handlungstheorie
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The violin, we have seen, is a
recalcitrant object, and to master
it requires profound transformations of the individual …
Indeed, the sound felt to be
perfect can be produced only by a
perfect fit between instrument
and player. Assimilation and
accommodation cannot be separated anymore: artist and
violin form a symbiotic whole,
the I, so to say, blending into
the object, and the object melting into the I”.
E. E. BOESCH, 1993, S. 78
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Die „Rationalität“ des Handelns
Ziel- und Wertkonflikte
SUBJEKT:
WERTE,
BEDÜRFNISSE,
AFFEKTE
SINN, ZIELE,
Intentionalität
?
Handlungsentwurf
Handlungsvollzug,
Handlungssequenzen, Acteme
Intendierte/nichtintendierte
Handlungsfolgen
Akteure verfügen über ein sehr
großes und überaus flexibles Repertoire argumentativer Bewusstseinsakte, durch die nahezu beliebige Zusammenhänge oder
Kausalbeziehungen zwischen
Sinnstrukturen und Handlungsfolgen hergestellt werden können.
Durch solche „alltagsweltliche
Logiken“ lassen sich auch interund intrasubjektive Ziel- und Wertkonflikte „lösen“.
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Ein Beispiel für
alltagsweltliche „Logiken“:
Die Geschichte mit dem
Hammer
„Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht
aber den Hammer. Der Nachbar
hat einen. Also beschließt unser
Mann, hinüberzugehen und ihn
auszuborgen.“
München und Zürich, 1983
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Ein Beispiel für alltagsweltliche „Logiken“:
Die Geschichte mit dem Hammer II
„Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir
den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich
nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die
Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was?
Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein.“
„Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe
es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie
dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich
noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht‘s mir wirklich.“
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Ein Beispiel für alltagsweltliche „Logiken“:
Die Geschichte mit dem Hammer III
„Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar
öffnet, doch noch bevor er ,Guten Tag‘ sagen
kann, schreit ihn unser Mann an: ‚Behalten Sie
sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!‘“
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Eine besondere Leistung des
handlungstheoretischen Paradigmas
Die Handlungstheorie bietet die Möglichkeit, naturalistischmaterialistische (intendierte und nicht-intendierte Handlungsfolgen) und kulturalistisch-konstruktivistische (Genese und diskursive Begründung von Intentionalität) Deutungen der Welt im Kontext eines kohärenten Denkmodells
zu verbinden.
Damit ermöglicht die handlungszentrierte
Sozialgeographie die Behandlung der
Frage nach den Zusammenhängen zwischen Sinn und Materie.
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Phylogenese von Artefakten
Phin (Thailand)
„The creation of the violin, thus, required
three discoveries: the sound differences of
varying string tensions and lengths, the
effect of a resonance body, and the stroking
bow”.
Soo Uu
Quelle: E. E. BOESCH, 1993, S. 71
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Action Potential – eine Illusion?
Quelle: Der Standard, 15. 1. 2007, © The New York Times
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