Folien (Vorlesungsteile Löffler) zur VO "Medizinische Ethik"

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Medizinische Ethik
SS 2002
DDr. Stephan Leher / DDr. Winfried Löffler
Folien zum Vorlesungsteil von DDr. Winfried Löffler
I. Grundbegriffe .................................................................................... 2
II. Prinzipien medizinischer Ethik ...................................................... 12
III. Arzt und Patient ............................................................................ 14
IV. Pflichten- und Verantwortungskreis des Arztes ........................... 18
V. Die rechtliche Gestalt der ärztlichen Pflichten ............................. 20
VI. Menschenbild und ethische Urteilsbildung .................................. 21
I. Grundbegriffe
1. Handlungen und Handlungsfähigkeit
Moralisch und rechtlich relevant sind nur Handlungen.
Handlungen: sind Verhaltensweisen, die der willentlichen Kontrolle
unterliegen,
„die man auch anders setzen könnte“
Erläuterungen dazu:
Keine Handlungen in diesem Sinne sind zB Reflex-„handlungen“. Sie sind
rechtlich und moralisch normalerweise nicht relevant.
Aber: Moralisch und rechtlich relevant können solche Nicht-Handlungen dann
werden, wenn man sich (vorsätzlich oder fahrlässig) in Situationen begibt, wo
mit solchen Reflexhandlungen zu rechnen ist.
Dauerndes begleitendes „Denken-an-die-eigene-Handlung“ ist nicht nötig, damit
man von einer „Handlung“ sprechen kann. „Automatische“ Verrichtungen,
Routineverrichtungen sind also durchaus „Handlungen“.
Handlungsfähigkeit:
Personen / Situationen, wo die Handlungsfähigkeit reduziert sein kann: Kinder,
Trunkenheit u.a. Drogeneinfluß, nachnarkotische Zustände, schwere Furcht, etc.
Derartige „Handlungen“ (Einwilligungen, Auskünfte, Aggressionen...) sind u.U.
von reduzierter moralischer und rechtlicher Relevanz
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Handeln durch Unterlassen: Auch durch Unterlassen kann gehandelt werden!
Auch Unterlassungen haben Folgen!
Was ist ein „Unterlassen“?
Etwas, was aufgrund der Situation eigentlich
gefordert wäre, nicht tun.
Wer handelt durch Unterlassen?
– Nicht jede(r), sondern nur
– wen besondere Handlungspflicht trifft
Beispiele für besondere Handlungspflichten: Verwandtschaft; freiwillige
Gefahrengemeinschaft; vorhergehende Gefahrenherbeiführung; vertragliche
Verpflichtung
Ärzte (und Angehörige anderer helfende Berufe) treffen – in ihrem
Kompetenzbereich!!! – besondere Handlungspflichten (Fürsorgepflicht)
Rechtlich: § 2 des Strafgesetzbuchs 1975:
Begehung durch Unterlassung
§ 2. Bedroht das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolges mit Strafe, so ist
auch strafbar, wer es unterläßt, ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im
besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist
und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des
gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist.
Zurechenbarkeit von Handlungen, insbesondere Unterlassungshandlungen:
Wer hat eigentlich gehandelt? Wer hat genau was unterlassen?
Besonderes Problem im modernen, arbeitsteiligen Medizinbetrieb.
Die „Logik des Misslingens“
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2. Die Moralische Qualität von Handlungen
„Verdienstliche
Handlungen“;
Verpflichtende Verbotene
Handlungen
Handlungen
Indifferente
Handlungen
„Werke der
Übergebühr“;
Supererogatorische
Handlungen
Handeln Kein Lob
Tadel
Kein Lob, kein
Tadel
Lob
Nicht- Tadel
handeln
Kein Lob
Kein Lob, kein
Tadel
Kein Tadel
Starke und relative Pflichten:
· Starke Pflichten dürfen keinesfalls missachtet werden,
· relative Pflichten („prima facie“-Pflichten) können höherrangigen
Pflichten weichen, oder in Güterabwägung durchbrochen werden
Die Grenze zwischen verpflichtenden Handlungen und „Werken der
Übergebühr“ verläuft bei Ärzten und anderen helfenden Berufen anders als bei
„Normalbürgern“; Stärkere Fürsorgepflichten!
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3. Entscheidungen
· Entscheidung: Entschluß, eine bestimmte Handlungsmöglichkeit zu
verwirklichen (und damit andere nicht)
· Reversible und irreversible Entscheidungen
· Entscheidungsgrundlagen:
- was man erreichen will (meist klar)
- wie man die Handlungsumstände
einschätzt, vor allem die zukünftige Entwicklung (meist nur teilweise klar...)
- wie man die Folgen möglicher
Handlungen einschätzt (häufig unklar)
· Worst-case-Denken: angebracht u.a. bei möglichen desaströsen
Ergebnissen, irreversiblen Entscheidungen
(Ansonsten Gefahr der Handlungsunfähigkeit, „worst case fallacy“)
· Best-case-Denken: angebracht u.a. bei leicht reversiblen Entscheidungen,
Entscheidungen von geringer Tragweite; sonst fahrlässiger Optimismus
· Theoretische und faktische Grenzen vernünftigen Entscheidens in
komplexen Fällen; Häufig Güterabwägungen ohne die „einzig richtige“
Entscheidung
· Jedoch: begründbare Entscheidung!
· Begründbare Entscheidung in der Medizinethik:
Möglichst vollständige medizinische Beurteilung plus
möglichst vollständige ethische Beurteilung
® (gedankliche) Entscheidung
® (versuchsweise) Begründung dieser Entscheidung
® Beurteilung der Begründung; u.U. Abänderung, neue
(gedankliche) Entscheidung und Begründung
® (reale) Entscheidung und Durchführung
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4. Handlungsfolgen
Eher formal betrachtet:
· Auch Handlungen durch Unterlassen haben Folgen
· intendierte und nicht intendierte Folgen (Nebenwirkungen)
· absehbare und unabsehbare Folgen (manche nicht intendierte Folgen sind
absehbar!)
· wahrscheinliche und unwahrscheinliche Folgen
· typische und atypische (es kann mehrere typische Folgen geben!)
· Völlig atypische Kausalverläufe sind rechtlich und moralisch nicht
relevant
· Problem der Zurechenbarkeit von Handlung und Folgen – wer hat
eigentlich gehandelt, insbesondere beim Dazwischentreten anderer?
Eher inhaltlich:
· Medizinische Folgen im engeren Sinne
· Soziale Folgen
· Rechtliche Folgen
· Ökonomische Folgen (für die Personen, für das Gesundheitssystem)
· Persönliche Folgen (für verschiedenste Beteiligte, auch z.B. den Arzt!)
· Moralische Folgen
Eine am umfassenden Wohlbefinden der Person ausgerichtete Medizin (und
Medizinethik) muß eine möglichst umfassende Folgenabschätzung
vornehmen.
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5. Betroffene
· Medizinethik ist nicht nur ärztliche Standesethik, sondern Ethik für
alle vom medizinischen Fall irgendwie Betroffenen, bzw. für alle in das
Gesundheitssystem irgendwie Involvierten.
· Zunächst natürlich: der Patient
· Angehörige, sonstwie Nahestehende, Versorgungsbedürftige
· Arbeitgeber, Arbeitnehmer etc. des Patienten
· ungeborene Kinder
· Kollegenschaft
· Angehörige sonstiger medizinischer Berufe
· Vorgesetzte, medizinische Einrichtungen und ihre Reputation
· Das Gesundheitssystem, dessen Finanzierbarkeit und dessen öffentliche
Wahrnehmung
· Der Arzt selber, seine Karrierechancen, sein wirtschaftliches
Fortkommen, sein Charakter und seine Gesundheit, etc.
· Angehörige des Arztes
· Die übrigen Patienten
· ...
Spezialproblem: Betroffene, die sich nicht äußern können
Größe und Kleinheit des Menschen
Krankheit als Grenzerfahrung
Hilfsmittel zur Folgenwahrnehmung und Handlungsbegründung:
probeweiser Perspektivenwechsel (Rawls: „veil of ignorance“)
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6. Interessen
Interesse: Bevorzugung eines bestimmten Weltzustandes und Wunsch nach
seiner Realisierung.
Bekundetes Interesse:
was der Patient (der Angehörige, der Chef, etc.) sagt;
muß nicht unbedingt aufrichtig sein, daher ...
„Wahres“ Interesse:
was der Patient (o.a.) wirklich will; muß nicht
unbedingt vernünftig sein, kann auf mangelnde
Information etc. zurückgehen, daher ...
„Eigentliches“ Interesse: Was aus der Sicht eines wohlwollenden, kompetenten Beobachters „das Beste für ihn“ wäre.
[Gibt es das? ® Spannung Autonomieprinzip – Fürsorgeprinzip (siehe später!)]
Interessen mit / ohne bestimmte Adressaten: Interesse, dass jemand Bestimmter etwas tut/unterlässt; allg. Interesse, ggü.jedermann
Legitimes Interesse:
ein Interesse, das (zumindest in einer prima facieBeurteilung) nicht unvernünftig und auch nicht
ethisch verwerflich oder fragwürdig erscheint
Illegitimes Interesse:
ein Interesse, das bereits in einer prima facieBeurteilung als ethisch verwerflich erscheint
Wichtig: Es kann (und wird in der Regel) so sein, dass Interessenten aufgrund
einer ethischen Gesamtbeurteilung auch von ihren legitimen Interessen
Abstriche machen müssen. Grund:
Konfligierende / kollidierende Interessen: (Auch legitime) Interessen können
so sein, dass sie nicht zugleich und vollständig verwirklichbar sind.
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7. Allgemeines über ethische Prinzipien
a) Unterscheidung nach fallender Allgemeinheit / Reichweite
– Fundamentalprinzipien:
Nutzenprinzip, Gesinnungsprinzip,
Universalisierbarkeitsprinzip, ... (s. später)
– Prinzipien mittlerer Reichweite: Fürsorge, Autonomiewahrung, ...
– Kasuistische Regeln: „je unnötiger ein Eingriff, desto genauere
ärztliche Aufklärung ist nötig“;
„geringfügige Lebensverlängerung um jeden
Preis ist nicht gefordert“;
...
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b) Prominente Vorschläge für Fundamentalprinzipien:
„Handlungen sind gut genau dann, wenn . . .
??“
„ ... wenn sie nützliche Konsequenzen haben (anzielen)“
= Nutzenprinzip
sog. „Utilitarismus“, „Konsequentialismus“,
„Verantwortungsethik“
„ ...wenn sie aus der Gesinnung heraus, ethisch richtig handeln (bestimmte
Pflichten erfüllen) zu wollen, vorgenommen werden“
= Gesinnungsprinzip
sog. „Deontologismus“, „Gesinnungsethik“, „Pflichtethik“
„ ...wenn man sie zur allgemeinen Richtschnur des Handelns machen
könnte“ (kann ich wollen, dass jeder in derselben Situation so handelt?)
= Universalisierbarkeitsprinzip, sog. „Eth. Universalismus“
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c) Probleme mit Fundamentalprinzipien (u.a.):
(1) Begründbarkeit?
(2) Inhaltsleere?
(3) Gegenbeispiele und fundamentale Einwände gegen alle drei; Beispiele:
– gegen Util.: „nützlich“ ¹ „gut“;
schlechte Handlung wird durch zufällig nützliches Resultat nicht gut
– gegen Pflichtethik: Pflichterfüllung um jeden Preis? Was tun bei Kollision?
– gegen Universalismus: es kommt nicht darauf an, ein chancengleiches Leben
zu führen, sondern ein gutes
(4) Anschein gegenseitiger Verwiesenheit / Abhängigkeit, 2 Beispiele:
Beispiel 1: Simpler Utilitarismus scheint inakzeptabel (Bsp. Enteignung).
Modifizierter, „ausgefeilter“ Utilitarismus hat etwa folgende Form:
„Eine Handlung ist gut, wenn sie den Gesamtnutzen aller Beteiligten
erhöht, ohne dabei aber irgendjemandem größere Nutzenverluste
zuzumuten.
Wieso letztere (Pareto-)Klausel? Eigentlich bereits eine Universalisierbarkeitsüberlegung, oder eine Pflichtüberlegung (Gleichbehandlung, Minimalrechte!)
Beispiel 2: Wonach entscheidet sich, ob eine Handlungsweise universalisierbar
ist oder nicht? – Wohl danach, ob sie, allgemein durchgeführt, nützlich/
schädlich ist, bzw., ob sie mit bestimmten Rechten und Pflichten vereinbar wäre
oder nicht.
Vorschlag:
– Fundamentalprinzipien sind nicht ausreichend,
– aber wichtig als relevante Gesichtspunkte
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II. Prinzipien medizinischer Ethik
Sind „Prinzipien mittlerer Reichweite“: - inhaltlich gehaltvoll,
- leichter begründbar
- stoßen weithin auf Konsens
- sind jedoch nicht so fundamental,
dass sie im Konfliktfall nicht evtl.
zurücktreten können (d.h. gewisse
Güterabwägung möglich)
Medizinethische Problemfälle sind häufig vom Spannungsverhältnis mehrerer
solcher Prinzipien gekennzeichnet. (etwa „Fürsorge gegen Autonomie“)
Eine verantwortbare medizinethische Entscheidung muss dann (u.a.) eine
begründete Abwägung zwischen diesen Prinzipien enthalten.
„Die einzig richtige“ Entscheidung wird es in vielen Fällen gar nicht geben.
Fürsorgeprinzip:
Orientierung am – umfassend verstandenen! – Wohlbefinden des Patienten (medizinisch, der Selbstwahrnehmung nach, als Person)
typ. Problemkreise:
Grenze des eigenen Einsatzes (in den nichtmedizinischen Bereich)? Gefahr der Bevormundung, besonders
bei Betroffenen, die sich nicht äußern können
Nichtschadensprinzip: Vermeidung von Schaden und Leid
typ. Problemkreise:
Versuche am Menschen, Placebogruppen, riskante
Therapien, Gentechnik, Euthanasie
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Autonomieprinzip:
Respekt vor der freien Entscheidung des Patienten
typ. Problemkreise:
Wenn keine / keine freie Entscheidung vorliegt;
Kinder, psychisch Kranke, uneinsichtige Patienten;
unsinnige Therapiewünsche; wann liegt „informed
consent“ vor?
Prinzipien der Gerechtigkeit / der sozialen Zuträglichkeit: Gleiche Fälle
gleich, ungleiche ungleich behandeln; Ausschluß
unsachlicher Gesichtspunkte; Vermeidung
unverhältnismäßigen Aufwandes;
typ. Problemkreise:
„schwierige“ Patienten, Geld und Gesundheit,
Verteilung knapper Ressourcen (auch Zeit &
Aufmerksamkeit!); Sicherung medizinischer
Grundversorgung, „Zweiklassenmedizin“
Wahrhaftigkeits-, Vertrauensschutz- und Treueprinzip: Ehrlichkeit zum
Patienten, Kontinuierlichkeit, Wahrung der
(wichtigen!) persönlichen Vertrauensstellung
typ. Problemkreise:
Wahrheit am Krankenbett; Vielzahl von
Bezugspersonen in arbeitsteiliger Medizin;
Placeboversuche
Verschwiegenheitsprinzip: Nichtweitergabe von Informationen aus dem
Arzt(Hilfspersonal)-Patient-Verhältnis
typ. Problemkreise:
Krankheitsfälle mit ausgeprägt sozialer Komponente;
Gefahren für andere; Melde- und Anzeigepflichten
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III. Arzt und Patient
1.
Modelle des Arzt-Patient-Verhältnisses:
Paternalismus – Vertragsdenken – Partnerschaft
Dahinter Hauptspannung: Fürsorgeprinzip gegen Autonomieprinzip
Paternalismus:
- Dominanz des Fürsorgegedankens
- Der Arzt (und nur er) weiß, was dem Patienten guttut
- Wissensvorsprung begründet Entscheidungsvorrecht
und „verdünnte“ Informationspflicht
- Gefahr der Tyrannei und Entmündigung;
- Gefahr der Passivität des Patienten bis hin
zum Blockadeverhalten („unfreiwillige“ Patienten)
Vertragsdenken: - Dominanz des Autonomiegedankens
- Der Patient „kauft Leistungen des Arztes zu“,
muß aber selber wissen, was er will und was ihm guttut
- Der Arzt tut (fast) alles, was der Patient will
- Tendenz: Beschränkung auf biomedizinische Aspekte und
eine „Minimalethik“ (rechtlicher Art)
- Problem: Patienten wünschen vielfach die Zuwendung
einer Person, die Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit
in sich verbindet und die einen als Person wahrnimmt
(Krankheit als Grenzerfahrung!)
Partnerschaft:
- Arzt und Patient nehmen sich gegenseitig als Person ernst
- beide haben Rechte und Pflichten
- „Selbsterkenntnis“ und Ziele gemeinsam erarbeitet
- Anwendungsfall: Die „informierte Einwilligung“ (s. später)
- idealisierendes Modell („geht“ nicht mit jedem Patienten)
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2. Veranschaulichung: Der sog. „Hippokratische Eid“
[® Text]
Nachfahre: Genfer Deklaration („Genfer Ärztegelöbnis“) 1948
Erste Beobachtungen zum Text
Tauglichkeit als Grundlage medizinischer Ethik?
- Völlig geändertes Bild des Medizinbetriebs
- Grundtendenz: Paternalismus
- Dennoch: Einige bleibend wichtige Prinzipien
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3. Der „informed consent“ / die informierte Einwilligung
Bei Behandlungsmaßnahmen und Experimenten;
Erneut das Grundproblem: Fürsorgeprinzip gegen Autonomieprinzip
Zusatzprobleme:
Beschränkte(s) Wissen und Verständnisfähigkeit des Patienten
Der „mündige Patient“ in seiner heutigen Form (Internet etc.), mitunter
Kommunikations-/Vertrauensprobleme daraus
Komponenten des „informed consent“:
1. Voraussetzungen:
(a) Verstehens-/Entscheidungsfähigkeit;
(b) Freiheit
2. Aufklärung:
(a) Erläuterung
(b) Empfehlung
(c) Verständnis von (a) und (b)
3. Einverständnis:
(a) Entscheidung
(b) Behandlungsauftrag
Problem bei 2.(a): Wieviel Erläuterung unterstützt / verwirrt / verängstigt den
medizinischen Laien? (z.B.: wieviel an möglichen Komplikationen erwähnen?)
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4. Rechtliche Gestalt des Einwilligungsgebots:
Vorbemerkung: Was ist „Strafrecht“, „Zivilrecht“, „Verwaltungsrecht“?
Strafrecht: „eigenmächtige Heilbehandlung“ (§ 110 StGB); Privatanklagedelikt
Zivilrecht: Schadenersatz für nachteilige Folgen uneingewilligter Behandlung,
auch wenn sie lege artis durchgeführt wurde!
Beweislast, daß mangelhaft aufgeklärt wurde, liegt beim Patienten
Die Beweislast, daß Patient auch eingewilligt hätte, wenn er
vollständig aufgeklärt worden wäre, trifft aber den Arzt!
Grundsätze nach der ständigen Rechtsprechung des OGH:
- Abstellen auf den konkreten Einzelfall
- je unnötiger die Behandlung, desto mehr Aufklärung nötig
- Aufklärung soll nicht zu Beunruhigung oder Unterlassung
dringender Maßnahmen führen
- nicht über alle denkbaren Folgen, aber über „typische“
(d.h. spezifisch mit dieser Maßnahme verbunden)
- „typisch“ ist nicht gleich „häufig / wahrscheinlich“
- Aufklären nur über Risiken, die Patientenverhalten
beeinflussen können
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IV. Pflichten- und Verantwortungskreis des Arztes
Erinnerung: „Medizinische Ethik“ betrifft nicht nur den Arzt. Auch z.B.
Patienten können Pflichten haben, bestimmte Aufgaben können nur sie lösen.
Nichtsdestotrotz: Existenz von Katalogen von Berufspflichten,
z.T. in rechtlicher Form
Drei „Schichten“:
(a) Kern: stark verrechtlichte „Minimalethik“, ziemlich direkt einklagbar:
- Gewissenhafte Behandlung nach dem Stand der ärztlichen Kunst
- (Minimale) Fürsorgepflicht
- Schädigungsverbot
- Minimale Aufklärungspflicht / Verbot (gänzlich) eigenmächtiger
Heilbehandlung
- Auskunftspflicht
(b) Ärztliche Berufspflichten im engeren Sinne: primär moralische
Verpflichtungen, z.T. aber auch rechtlich fassbar und einklagbar (mitunter indirekt, wenn über eine andere rechtliche Frage entschieden wird):
- (umfassender gedachte) Fürsorgepflicht
- Aufklärungspflicht / „informed consent“
- (minimale) Gerechtigkeit
- Wahrhaftigkeit
- Verschwiegenheit
- Unbestechlichkeit, Ausschluß unsachlicher Gesichtspunkte
- Wahrung der Ehre des Berufsstandes
- Werbeverbot
etc.
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(c) Ärztliche „Berufstugenden“: nicht einklagbar, teilweise
supererogatorischer Natur, aber wichtig für Patienten, KollegInnenschaft,
sonstiges Personal, ..., und die eigene Persönlichkeit
- Einfühlung, (kontrollierbares) Mitleid
- umfassende Fürsorge
- Freundlichkeit
- Erreichbarkeit für den Patienten
- Unterlassung von Kopplungsgeschäften, Profitgier etc.
- Wahrnehmung und Wertschätzung fremder Leistungen
- Solidarität mit KollegInnen in legitimen Anliegen
- Vermeidung von Angeberei und Wissensvorenthaltung
- Neugier, Weiterbildungsbereitschaft, auch jenseits der Medizin
- Ehrlichkeit, Treue gegenüber Versprechungen
- Tapferkeit
- Bereitschaft zum Fehlereingeständnis
- möglichst umfassende Gerechtigkeit
- Freigiebigkeit
- Abgrenzungsfähigkeit (zeitlich, gedanklich, emotional, ...)
- persönliche Stabilität
- Beharrlichkeit, Nachhaltigkeit des Engagements
- Konsequenz in einmal getroffenen Entscheidungen
etc.
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V. Die rechtliche Gestalt der ärztlichen Pflichten (u.a.)
Fürsorge
Erste Hilfe-Pflicht (§ 48 ÄrzteG)
Gewissenhafte Betreuung nach Maßgabe der ärztlichen
Wissenschaft (§ 49 ÄrzteG)
Dokumentationspflicht („Krankengeschichte“, § 51 ÄrzteG)
Nichtschaden
Gewissenhafte Betreuung nach Maßgabe der ärztlichen
Wissenschaft, Dokumentationspflicht
Delikte der fahrlässigen Körperverletzung, der fahrlässigen
Tötung, des Mordes, der Beihilfe zum Selbstmord (StGB)
Autonomie
eigenmächtige Heilbehandlung (§ 110 StGB)
Aufklärungspflicht, Schadenersatzhaftung
für uneingewilligte Behandlung (ABGB)
Gerechtigkeit
Wahrhaftigkeit /
Vertrauensschutz
„gewissenhaft ohne Unterschied der Person“ (§ 49 ÄrzteG)
Aufklärungspflicht, Schadenersatzhaftung (ABGB)
Verschwiegenheitspflicht (§ 54 ÄrzteG)
Verschwiegenheit Verschwiegenheitspflicht und Ausnahmen (§ 54 ÄrzteG)
Datenschutzvorschriften (DatenschutzG etc.)
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VI. Menschenbild und ethische Urteilsbildung
Ethik („was soll ich tun?“) und Fragen des Menschenbildes („was ist der
Mensch?“) sind nicht völlig trennbar.
Bestimmte Menschenbilder sind mit bestimmten ethischen Positionen
verbunden. (tendenziell, nicht zwangsläufig!)
Menschenbilder:
„Was ist der Mensch?“ Was kennzeichnet ihn?
D.h., welche Zugänge sagen uns am ehesten, was wir „wirklich“ sind? Worauf
kommt es im Leben „letztlich“ an?
(Was prägt meine Auffassung vom Menschen?)
Naturalistischbiologistische
Menschenbilder:
Der Mensch als Teil der Natur, im Vordergrund
sein biologisch-medizinisches Funktionieren.
Individualistischpersonalistische
Menschenbilder:
Der Mensch als „Person“, „Individuum“, „Subjekt“ ® nicht mehr rein biologisch beschreibbar.
Im Vordergrund seine Freiheit, sein persönlicher
„Lebensplan“, sein individuelles Wohl
Medizinethisch: evolutionäre Ethik,
Beschränkung auf medizin. Aspekte
Medizinethisch: Primat der Autonomie
Kollektivistische
Menschenbilder:
Der Mensch als Teil eines größeren Ganzen (Gesellschaft, Klasse, Menschheit, ...). Im Vordergrund seine Funktion für das Weiterbestehen des
Ganzen
Medizinethisch: Ökonomismus, NS-Medizin
Religiöse“ Menschenbilder
(im weiteren Sinne,
umfasst „Hochreligionen“
bis hin zu Formen der
Esoterik):
Der Mensch in seiner Abhängigkeit von „transzendenten“ Personen, Kräften, etc. Im
Vordergrund das Leben in Harmonie mit diesen
Kräften, die Erfüllung göttlicher Gebote.
Medizinethisch: manche Argumente zu Fragen
am Anfang und Ende des Lebens; Paramedizin
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Anhang: Sogenannter „Hippokratischer Eid“ (Übers. Weber 1993)
Ich schwöre bei Apollon, dem Arzt, und Asklepios und Hygieia und Panakeia
und allen Göttern und Göttinnen und rufe sie zu Zeugen an, daß ich diesen Eid
und diese Vereinbarung nach meinem besten Vermögen und Urteil erfüllen werde.
Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen eigenen Eltern
achten, ihm Anteil geben an meinem Hab und Gut und in der Not ihm geben,
was er braucht. Seine Söhne werde ich als meine Brüder betrachten
und sie in dieser Kunst unterweisen, wenn sie sie erlernen wollen,
ohne Entgelt und ohne vertragliche Verpflichtung.
An der Unterweisung, am Vortrag und jeder sonstigen Belehrung werde ich mei-ne
Söhne und die Söhne meines Lehrers teilnehmen lassen, auch die Schüler,
die den Vertrag und den Eid geleistet haben nach ärztlichem Brauch,
sonst aber werde ich das ärztliche Wissen an niemanden weitergeben.
Meine Verordnungen werde ich zum Nutzen der Kranken treffen nach meinem besten
Vermögen und Urteil, vor Schädigung und Unrecht aber werde ich sie bewahren.
Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift verabreichen, auch nicht,
wenn man mich darum bittet, auch werde ich keinen Rat dazu erteilen.
Ebenso werde ich keiner Frau ein abtreibendes Mittel geben.
Rein und heilig werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.
Auch werde ich Steinleidende nicht operieren,
sondern dies den Männern überlassen, die solches als Gewerbe betreiben.
In welche Häuser ich auch immer eintrete, ich werde sie nur zum
Nutzen der Kranken betreten und mich dabei jeden vorsätzlichen Unrechts
und jeder schädigenden Handlung enthalten, insbesondere jeder geschlechtlichen
Handlung an Frauen und Männern, an Freien und Sklaven.
Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb der Behandlung vom Leben der
Menschen sehe oder höre, worüber draußen niemals gesprochen werden darf,
darüber werde ich schweigen, da ich dergleichen als Geheimnis erachte.
Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht breche, dann möge ich von meinem
Leben und meiner Kunst Segen haben und bei allen Menschen geachtet sein für
alle Zeiten; wenn ich ihn aber übertrete und eidbrüchig werde, dann soll mich das
Gegenteil davon treffen.
Genfer Deklaration („Genfer Ärztegelöbnis“) 1948
"Ich verpflichte mich feierlich,
mein Leben dem Dienste der Menschlichkeit zu weihen.
Ich will meinen Lehrern die Achtung und die Dankbarkeit erweisen,
auf die sie Anspruch haben.
Ich will meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben.
Die Gesundheit meines Kranken soll meine oberste Erwägung sein.
Ich will die mir anvertrauten Geheimnisse respektieren,
sogar noch nach seinem Tode.
Ich will mit allen in meiner Macht stehenden Mitteln
die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes hochhalten.
Meine Kollegen sollen meine Brüder sein.
Ich will nicht zulassen, daß Erwägungen über
Religion, Nationalität, Rasse, Parteipolitik oder sozialen Stand
zwischen meine Pflichten und meine Kranken treten.
Ich will mit höchster Ehrfurcht das menschliche Leben erhalten
von der Zeit der Empfängnis an.
Ich will selbst unter Drohung mein medizinisches Können nicht
benutzen gegen die Gesetze der Menschlichkeit.
Ich gebe diese Versprechungen feierlich, aus freiem Willen und auf meine Ehre."
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