Wirtschaftsethik 4-2002

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4-2002
Management Center Vorarlberg
Beiträge zur Führung, Beratung und Entwicklung
von Menschen, Gruppen und Organisationen
Wirtschaftsethik
Oder: Das Leben wie eine strategische Aufgabe leben
In seiner „Reise nach Ixtlan“ lässt Castaneda
den Don Juan sagen:
„Handlungen haben Kraft … besonders,
wenn derjenige, der handelt, weiß, dass
diese Handlungen seine letzte Schlacht
sind. Es ist ein eigenartig erfüllendes Glück,
wenn wir im vollen Wissen handeln, dass
alles, was wir tun, sehr wohl unsere letzte
Schlacht auf Erden sein kann. Ich rate dir,
dein Leben neu zu überdenken und deine
Handlungen in diesem Licht zu überprüfen.“ (S. 89)
Und: „Richte deine Aufmerksamkeit auf
die Tatsache, dass du keine Zeit hast, und
richte deine Handlungen darauf ein. Laß
jede deiner Handlungen deine letzte Schlacht
auf Erden sein. Nur unter diesen Bedingungen werden deine Handlungen die Kraft
haben, die ihnen zusteht. Sonst werden
sie, solange du lebst, die Handlungen
eines verzagten Menschen sein.“ (S. 90)
Soweit Castaneda. Die oft gestellte Frage: „Wie können ethische Gesichtspunkte und Prinzipien in der modernen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden?“,
scheint mir demnach nicht die entscheidende zu sein. Denn eine solche Frage hat
die Trennung von ethisch-moralischem
Handeln und gewinnorientiertem Wirtschaften grundsätzlich schon vollzogen,
und hinterher stehen wir vor einer „Reparaturproblematik“: Wie bringen wir die
beiden (unversöhnlichen) Bereiche wieder zusammen bzw. wie vollziehen wir
den „Transfer“ der Ethik in die wirtschaftliche Dimension? Ein Vorhaben, das zwangsläufig Gefahr läuft zu scheitern!
Die entscheidende Frage scheint deshalb
zu sein, ob wir wirklich Entscheidungen
fällen wollen (nicht meinen zu müssen),
und ob wir bereit sind, den Preis, den jede
Entscheidung fordert (kostet), zu zahlen!
Also: sich bewusst für die Entscheidung
zu entscheiden …
Aus diesem Wissen heraus (es ist letztlich ein nicht mehr relativierbares Wissen) bekommen unsere Entscheidungen
und Handlungen ein ganz anderes Gewicht:
Solche Entscheidungen sind die „letzte
Schlacht auf Erden“, sie sind unwiderruflich, ihnen folgen weder Reue noch Schuldgefühl.
Sie entspringen dem tiefen Wissen um
die „Geworfenheit eines jeden Entwurfs“
(Heidegger), sie stellen uns vor unsere
ureigenste Möglichkeit: das Gefühl für
die persönliche Wichtigkeit aufzugeben.
In diesem Sinne ist ethisches Handeln
wie das Sokratische „wissende Nichtwissen“, sich ständig verschließende Er- und
Ent-schlossenheit – endliche Freiheit:
Wir können jede Ent-scheidung fällen –
sind wir auch bereit, jeden Preis dafür zu
bezahlen?
Als oft zu kurz denkende und zu blind
handelnde Wesen meinen wir, beides
haben zu können:
Ein persönliches (wichtiges, bedeutsames,
unsterbliches) Ego und spirituelle, kraftvolle Weiterentwicklung – wir entscheiden
(uns) nicht eigentlich (zu uns selbst)!
Also stellt sich im Grunde nicht die Frage,
wie wir ethisch wirtschaften oder ökonomisch Ethik betreiben können, sondern:
Was wir eigentlich wollen?
Die Frage mit der und an der wir endlich
werden.
Don Juan: „Ein losgelöster Mann, der weiß,
dass es keine Möglichkeit gibt, dem Tod zu
entkommen, hat nur eines, worauf er
sich stützen kann: die Macht seiner Entscheidungen. Er muss sozusagen Herr
seiner Entscheidungen sein. Er muss ganz
begreifen, dass er für seine Entscheidungen
verantwortlich ist, und dass, wenn er sie
einmal getroffen hat, keine Zeit für Reue
oder Beschuldigungen bleibt. Seine Entscheidungen sind endgültig, einfach weil
der Tod ihm nicht die Zeit lässt, sich an
irgend etwas zu klammern. Und so, im
Bewusstsein des Todes, losgelöst und mit
der Macht seiner Entscheidungen, lebt der
Krieger sein Leben wie eine strategische
Aufgabe. Das Wissen um seinen Tod führt
ihn, hilft ihm, sich zu lösen und gibt ihm Kraft
und Gelassenheit.“ (Castaneda: Eine andere
Wirklichkeit, S 129).
„Sein Leben wie eine strategische Aufgabe
leben …“:
Ich denke, dieser Satz gibt zahlreiche und
wertvolle Impulse für die vielen Fragestellungen, die sich mit der (scheinbaren?) Paradoxie
zwischen unternehmerischem und ethischem
Handeln beschäftigen.
Kraftlos (verzagt) oder kraftvoll (unternehmerisch, ethisch) handeln hat viel damit zu tun,
wie wir zu unserer Endlichkeit (Tod), also zu
unserem Leben stehen.
PROF. DR. PETER JANCSARY
Hochschullehrer für Managemententwicklung und Ethik an der Fachhochschule Vorarlberg
Quellen:
Castaneda, Carlos: Reise nach Ixtlan. Die Lehre
des Don Juan. Frankfurt/Main 2000, 25.Auflage
Castaneda, Carlos: Eine andere Wirklichkeit.
Neue Gespräche mit Don Juan. Frankfurt/Main
1983.
Wir wünschen allen
Lesern der MC Notiz ein
frohes Weihnachtsfest!
Ihr MCV-Team
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