„Einführung in die Geschichte der Neuzeit“ Grundkurs BA Sitzung 5 1789-1815 I. Die französische Revolution 1.) Ursachen Folgen der entschiedenen Umsetzung des Konzepts eines monarchischen Absolutismus in Frankreich: • • • Schaffung einer hocheffizienten zentralisierten Staatsverwaltung, organisiert von einer neuen Leistungselite. Jedoch keine klare Abkehr von der Privilegierung nach Geburt und Herkunft, dadurch Konflikte zwischen alten und neuen Eliten. Zunehmende Marktorientierung der Landwirtschaft, aber Behinderung durch bleibende feudale Rechtsstrukturen und hohe Steuern (infolge der Staatsverschuldung durch zahlreiche Kriege). Anwachsen der für Armee und Hof produzierenden Stadtbevölkerung, deren große Mehrheit jedoch politisch rechtlos bleibt und neben den Steuern auch unter hohen Lebensmittelpreisen leidet. Æ Die Revolution ist weniger eine plötzliche radikale Transformation als ein Dammbruch bereits eingeleiteter Veränderungen und angestauter Probleme. 2.) Auslöser • • • Französische Unterstützung für den ebenfalls von der Aufklärung inspirierten Freiheitskampf der USA gegen Großbritannien befruchtet einerseits die Reformbewegungen im eigenen Land, verschärft andererseits aber auch die Staatsverschuldung und damit den Steuerdruck. Kurzfristige Wirtschaftskrise in den 1780er Jahren. Unentschlossenes Schwanken des Königs Louis XVI. zwischen Reformpolitik und Festhalten am "ancien régime". 3.) "Révolution de la liberté" 1789-1792 • 1789 Eröffnung der seit 1614 nicht mehr einberufenen, vorabsolutistischen Repräsentativversammlung der Generalstände (Adel, Klerus, Bürgertum). Anstatt, wie vom König gewünscht, eine Steuerreform zu beschließen, erklärt sie sich zur Nationalversammlung: Abschaffung der Feudalordnung, Erklärung der Menschen- und 2 • • Bürgerrechte (nach amerikanischem Vorbild), Säkularisation (Verstaatlichung der Kirchengüter). Neue Verfassung 1791: Konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung, indirektes Zensuswahlrecht zur Nationalversammlung, Direktwahl aller Richter und Beamten. Scheitern an äußerer Bedrohung (Royalisten und sie unterstützende europäische Monarchien) und inneren Gegensätzen zwischen den verschiedenen revolutionären Kräften (Religion: besonders auf dem Land Opposition gegen Säkularisation; Wirtschaft: städtische Handwerkerzünfte lehnen die von den neuen bürgerlichen Eliten propagierte Einführung der Gewerbefreiheit, die Eliten eine von Bauern gewollte Landreform ab). 4.) "Révolution de l’égalité" 1792-1794 • • • 1792 wird Frankreich Republik; Hinrichtung des Königs. Theoretisch plebiszitäre Demokratie, de facto Diktatur der sich auf städtische Unterschichten stützenden Jakobiner unter Maximilien de Robespierre. Zentralisierung von politischer Macht und Wirtschaft, um die Revolution gegen äußere und innere Gegner zu retten. Betonung sozialer Gleichheit (staatliche Verfügung über Privateigentum), Abschaffung des Christentums. Brutaler Terror gegen Andersdenkende in Paris und den Provinzen (35.000-40.000 Hinrichtungen durch die Guillotine), dessen zunehmende Radikalisierung schließlich zum Zusammenschluss aller Gegner der Jakobiner und deren Hinrichtung führt. 5.) Das Direktorium 1795-1799 • • Neue Verfassung mit Schwächung basisdemokratischer Elemente und schwacher Exekutive der fünf Direktoren; Dominanz der neuen bürgerlichen Eliten. Weiter Bedrohung durch Unruhen und Aufstände der Royalisten und Jakobiner; die Armee wird zum Garanten des Systems. 6.) Konsulat und Empire 1799-1814/15 Plebiszitäre Militärdiktatur Napoleons als Erster Konsul bzw. Kaiser (seit 1804). Napoleon versteht sich gleichermaßen als Beender und Vollender der Revolution: Sicherung der Säkularisation durch Konkordat mit dem Papst, der bürgerlichen Rechte und der auf Privateigentum beruhenden Wirtschaftsordnung durch den Code Civil/Code Napoleon, Verschmelzung neuer und alter Eliten, Zentralisierung der Verwaltung. 3 II. Internationale Beziehungen 1.) Grundzüge • • In mehrfacher Hinsicht setzen die internationalen Beziehungen zwischen 1789 und 1815 zentrale Muster der Zeit davor fort: Kampf zwischen den Großmächten um die Vormachtstellung auf dem Kontinent; globaler Gegensatz zwischen Großbritannien und Frankreich; Heiratsbeziehungen als Mittel der Politik (Napoleon versucht dadurch, seine Familie als neue Dynastie zu etablieren und im Kreis der alten europäischen Fürstenhäuser zu legitimieren). Allerdings auch Revolutionierung der Kriegführung durch die von Frankreich vorexerzierte Mobilisierung riesiger Volksarmeen ("levée en masse") Æ militärische Auseinandersetzungen beginnen sich von begrenzten "Kabinettskriegen" zwischen Dynastien zu "Volkskriegen" nationalistisch motivierter Massen zu wandeln. 2.) Frankreichs Aufstieg zur Hegemonie • • • • • • Frankreich in der Defensive 1792/93: Französische Kriegserklärung an Österreich (Motive: Ablenkung von inneren Problemen, traditionelle Expansionspolitik, halbherzige Solidaritätsbekundungen Österreichs für Louis XVI.) Æ Bildung einer antifranzösischen Koalition aus Österreich, Preußen, den Niederlanden, Großbritannien, den italienischen Staaten und Spanien. Unterstützung innerfranzösischer Aufstände durch die Gegner. Frankreich verhindert seine totale Niederlage und das Ende der Revolution durch die "levée en masse" Frankreich in der Offensive 1793-1802: Annexion Belgiens, des Rheinlands und von Teilen Oberitaliens; das restliche Ober- und Mittelitalien, die Niederlande und die Schweiz werden von Frankreich abhängig. 1805 nach kolonialer Rivalität mit Großbritannien neues antifranzösisches Bündnis: Napoleon besiegt Österreich und Russland in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz und sichert sich damit die Vorherrschaft auf dem Kontinent. Großbritannien behält jedoch durch die Vernichtung der französischen Flotte bei Trafalgar die Dominanz auf den Weltmeeren. 1806/07 Sieg über Preußen und Russland. 1807/08 Eroberung Portugals und Spaniens. 1809 Napoleon schlägt eine Erhebung Österreichs nieder. 3.) Europa unter Napoleon • • Frankreich annektiert bis 1812 noch die Niederlande, die norddeutsche Küste, Katalonien, große Teile Italiens und Illyrien. Napoleonidenstaaten: Seit 1806/08 werden der Rest Italiens, Spanien, das Königreich Westfalen und das Herzogtum Berg von Verwandten Napoleons regiert. 4 • • • • Von Frankreich abhängig sind die mitteldeutschen Rheinbundstaaten (u.a. Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen) und das Großherzogtum Warschau (=Polen). Als geschlagene Juniorpartner verbündet mit Frankreich sind Preußen (das französische Festungsbesatzungen auf seinem Gebiet ertragen muss) und Österreich. Russland ist seit 1807 Frankreichs gleichberechtigter Bündnispartner. Einziger verbliebener Gegner Frankreichs ist Großbritannien, das Napoleon seit 1806 durch einen Wirtschaftsboykott (Kontinentalsperre für den Import englischer Waren) in die Knie zu zwingen hofft. Das Ausscheren Russlands aus der Kontinentalsperre wird zum Anlass für den französischen Angriff auf dieses. 4.) Der Niedergang der französischen Hegemonie • • • • • Er beginnt bereits mit den als Guerillakrieg geführten Volksaufständen in Spanien und Tirol seit 1809: Das ursprüngliche Erfolgsrezept französischer Kriegführung, die Mobilisierung von Bevölkerungsmassen durch Nationalismus, wendet sich gegen Frankreich. 1812 Angriff der französischen "Großen Armee" auf Russland. Die Russen weichen einer Entscheidungsschlacht aus; trotz Eroberung Moskaus muss Napoleon sich zurückziehen. 1813 Anschluss Preußens und Österreichs an Russland, französische Niederlage in der "Völkerschlacht" bei Leipzig und gegen die Briten in Spanien. 1814 Eroberung von Paris, Napoleon wird von der Armee zur Abdankung als französischer Kaiser gezwungen und erhält die Insel Elba als Fürstentum. 1815 Gegensätze zwischen den Siegern provozieren Napoleon zur Landung in Frankreich und Neuerrichtung des Kaisertums. Seine "Herrschaft der hundert Tage" endet mit der Niederlage gegen britische und preußische Truppen bei Waterloo in Belgien; er wird von den Briten auf der Atlantikinsel St. Helena interniert. III. Bleibende Folgen Manche durch die französische Revolution bewirkte Neuerungen werden bereits unter Napoleon wieder eingeschränkt oder rückgängig gemacht, andere 1815 revidiert. Dennoch hat die Revolution in großen Teilen Europas bleibende, wenn auch manchmal erst langfristige Folgen. Dazu gehören: • • im sozialen Bereich: Abschaffung oder Bedeutungsverlust der feudalen Ordnung; religiös-kulturell Säkularisation (Enteignung von Kirchenbesitz) und teilweise auch Säkularisierung (Trennung von Staat und Kirche), mit Konsequenzen auch für den Bereich der Bildung; 5 • • • • wirtschaftlich Vordringen des Prinzips der Gewerbefreiheit; militärisch Nationalisierung der Kriegführung administrativ Fortsetzung des im Absolutismus begonnenen Wachstums der Staatsgewalt durch Zentralisierung von Verwaltung und Justiz, aber auch die Eröffnung von Möglichkeiten der Selbstverwaltung durch die Bürger; politisch schließlich die verstärkte Einforderung solcher Möglichkeiten sowie anderer Freiheits- und Bürgerrechte durch immer größere Gruppen der Bevölkerung. Diese sind in den verschiedenen Nationen und Regionen des Kontinents in verschiedener Intensität und Kombination spürbar – am stärksten in Frankreich selbst, am wenigsten in den von der Revolution nicht erfassten Gebieten (Russland, Balkan, Großbritannien). Dazwischen gibt es eine große Bandbreite: So wurde etwa in den von Frankreich abhängigen Rheinbundstaaten der größte Wert auf politische Innovationen gelegt; in Preußen dagegen, das vom Gegner Frankreich nur zu dessen besserer Bekämpfung lernen wollte, auf wirtschaftliche und militärische Reformen.