Leseprobe - C.H. Beck

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Unverkäufliche Leseprobe
Bruno Bleckmann
Die Germanen
Von Ariovist bis zu den Wikingern
359 Seiten, Gebunden
ISBN: 978-3-406-58476-3
© Verlag C.H.Beck oHG, München
2. Politik Konstantins des Großen
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60 000 in das Römische Reich eingefallen waren, die er aber bei
Langres besiegen konnte. Galerius, der Caesar für die Osthälfte,
­engagierte sich an der mittleren Donau gegen die Goten und vor allem gegen die (nichtgermanischen) Carpen. Wichtiger aber als die
spektakulären und in der Propaganda reichsweit hervorgehobenen
Siege der kaiserlichen Armeen – der Alamannensieg des Constantius
ist etwa auf einem Relief im fernen kleinasiatischen Nikaia gefeiert
worden – waren die konkreten Maßnahmen der Grenzsicherung, die
durch die kontinuierliche und dezentralisierte Regierungspraxis
­möglich geworden waren. An der obergermanisch-rätischen Grenze
wurde in der Tetrarchie anstatt des alten Limes eine neue befestigte
Linie, der so genannte Rhein-Iller-Donau-Limes, errichtet und auf
diese Weise de facto das zwischenzeitlich erfolgte Einsickern der
­Alamannen in das alte Dekumatgebiet als vollendete Tatsache anerkannt.
2. Franken, Alamannen und Goten in der Politik
Konstantins des Großen
Bewegter als unter den Tetrarchen war das germanisch-römische Verhältnis unter Kaiser Konstantin (306–337). Die von ihm gesetzten
wichtigen Akzente sollten sich für die Rolle der Germanen im spätrömischen Reich als prägend erweisen. Konstantin hatte 306 die Nachfolge seines 305 zum Oberkaiser (Augustus) des Westens avancierten,
dann aber bald verstorbenen Vaters Constantius übernommen. Da er
für diesen Schritt die Genehmigung des verbliebenen Oberkaisers Galerius nicht eingeholt hatte, war sein Machtantritt eigentlich ein Militärputsch, und es bestand ein erheblicher Bedarf an nachträglicher
­Legitimierung. So kam es Konstantin sehr gelegen, dass fränkische
Gruppen während der Phase innenpolitischer Ungewissheit nach dem
Tode des Constantius über den Rhein eingefallen waren. Die Kampa­
gnen, die er in den Jahren nach seinem Regierungsantritt gegen die
Franken führte, dienten der Demonstration seines militärischen Könnens und wiesen ihn als geeigneten Inhaber der Kaiserwürde aus. Die
Siege vergrößerten bei der Provinzialbevölkerung seinen Rückhalt.
Besonders hervorgehoben wurde der Erfolg gegen die fränkischen Kö-
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Grenzkämpfe und Barbarisierung des römischen Heers
40 Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana, einer spätantiken Straßenkarte. Sie
zeigt die gegenüber von Xanten liegende rechtsrheinische Landschaft Francia.
nige Ascaric und Merogais, die besiegt und in grausamen Zirkus­
spielen zur Ergötzung des Trierer Publikums wilden Tieren vorge­
worfen wurden. Das gleiche Los traf nach der flächendeckenden
Verwüstung rechtsrheinischer Gebiete bei Köln auch die erwachsenen
gefangen genommenen Krieger, «deren Treulosigkeit sie für den Militärdienst, deren wilder Trotz sie für die Skaverei ungeeignet machte»
(Panegyrici Latini 6,12,3). Um dem Erfolg der Kampagne gegen die
Franken eine gewisse abschreckende Dauer zu verleihen, ließ Konstantin auf dem rechtsrheinischen Ufer im Gebiet der Franken selbst
das Kastell Deutz errichten und durch eine Brücke mit Köln verbinden. Ebenfalls auf konstantinische Zeit geht der Ausbau der Festung
Gelduba (Krefeld-Gellep) am Niederrhein oder des Kleinkastells Haus
Bürgel (zwischen Monheim und Düsseldorf) zurück. Als Konstantin
312 nach Italien gegen seinen Rivalen Maxentius zog und einen Teil
seiner Armee abziehen musste, blieb die Rheingrenze allerdings nur
vorübergehend unbehelligt. Bald nach dem Sieg über Maxentius
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musste er daher an den Rhein zurückkehren, um seine Verteidigungsmaßnahmen fortzuführen. Bereits ab 313 ließ er in übertriebener
Form seine diesbezüglichen Erfolge auf Münzen als Unterwerfung
der rechtsrheinisch angrenzenden Landschaften Alamannia und Francia feiern. (Hier tauchen im Übrigen zum ersten Mal die später in
­völlig anderem Kontext gebrauchten Namen Allemagne und France
auf.)
Kurze Zeit später führte Konstantin Krieg gegen den östlichen
Mitkaiser Licinius (316) und nahm diesem fast alle Balkanprovinzen
ab. In diesen Provinzen sah sich Konstantin nun mit Barbarenproblemen an der Donaugrenze konfrontiert. An der mittleren Donau hatte
er es mit nichtgermanischen Sarmaten (den Jazygen) zu tun, die mit
Germanenvölkern wie Quaden und Viktofalen verbunden waren, an
der unteren Donau dagegen mit den terwingischen Goten. Konstantin
ging im Eifer des Gefechts auch gegen gotische Gruppen vor, die unter
der Führung Rausimods die Gebiete südlich der Donaumündung verwüstet hatten, also Moesien und Thrakien, die zum Territorium des
Licinius gehörten. Im Zusammenhang mit diesem Einfall, bei dem es
offenkundig wieder zur Kollaboration zwischen Barbaren und Gruppen aus der Provinzialbevölkerung kam, verfügte Konstantin 323,
dass «wer Barbaren in einer verbrecherischen Verschwörung die Gelegenheit der Plünderung von Römern gibt oder wer Beute, wenn sie
auf andere Weise gemacht worden ist, aufteilt, lebendig verbrannt»
werden sollte (Codex Theodosianus 7,1,1). Die erfolgreichen Kämpfe
Konstantins gegen die Goten und sein Engagement für das Wohl auch
der östlichen Balkanprovinzen wurden von Licinius zu Recht als Einmischung in seine Angelegenheiten empfunden und gaben ihm den
Anlass, seinem Mitkaiser 324 erneut den Krieg zu erklären. Dabei
ging es nicht nur um die Prestigefrage, wer im Kampf gegen Barbaren
Lorbeeren ernten durfte, sondern letztlich empfand Licinius die Übernahme des Gotenkriegs durch Konstantin auch aus anderen Gründen
als Bedrohung seiner Machtstellung. Licinius hatte 316 nämlich gerade
jene Gebiete auf dem Balkan verloren, die den größten Teil kampftüchtiger Rekruten lieferten. Damit seine Streitmacht auch nur annähernd die gleiche Stärke wie diejenige Konstantins hatte, war er
dringend darauf angewiesen, im großen Umfang bundesgenössische
Einheiten aus besiegten oder freiwillig gewonnenen gotischen Grup-
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Grenzkämpfe und Barbarisierung des römischen Heers
pen zu rekrutieren, und musste daher das Eingreifen Konstantins in
den Vorfeldbereich seiner Grenze (und damit in die letzten Reste seiner Einwirkungsmöglichkeiten im europäischen Barbaricum) als bedrohlich empfinden.
Einige vereinzelte Nachrichten beweisen, wie wichtig für Licinius
die barbarische Truppenunterstützung im zweiten Schlagabtausch mit
Konstantin war. Licinius ließ, wie Eusebios in seiner Vita Constantini
(2,15) schreibt, am Vorabend des Kriegs «Barbaren als Bundesgenossen zusammenrufen». In der entscheidenden Schlacht gegen Konstantin im Jahre 324, der Schlacht von Chrysopolis, spielten dann die vom
Gotenfürsten Alica herangeführten gotischen Truppen eine zentrale
Rolle. Auch nachdem Licinius nach seiner Niederlage die Kaiserwürde
abgelegt hatte, waren seine Kontakte zu den Goten noch nicht
­still­gelegt. Von seiner ihm als Privatmann zugewiesenen Residenz
­Thessalonike versuchte er, wie eine späte Tradition weiß, mit den Goten ins Geschäft zu kommen. Diese Kontakte veranlassten Konstantin
angeblich dazu, den Licinius entgegen dem zuvor abgelegten Eid umzubringen. In der Tat war nicht auszuschließen, dass Licinius durch
die Anwerbung von Barbaren erneut hätte gefährlich werden können.
Wenn es in der konstantinischen Propaganda darum ging, den
Kampf gegen Licinius zu beschreiben, waren die Begriffe Barbarensieg und Bürgerkrieg in unauflöslicher Weise miteinander verbunden. Der von Konstantin zu verantwortende Bürgerkrieg, der vielen
Römern das Leben gekostet hatte, erschien weniger anstößig, wenn
in der Öffentlichkeit betont wurde, dass der innenpolitische Rivale
­Konstantins gar keine Römer, sondern nur eine barbarische Truppe
kommandiert hatte, und wenn deshalb der Bürgerkriegssieg als Erfolg gegen die Barbaren ausgegeben werden konnte. Auch in der
Neugründung Konstantinopels, die an den Sieg gegen Licinius am
Übergang von Europa nach Asien erinnerte, spielte das Thema der
Überwindung der Barbaren für die Verherrlichung Konstantins in
seiner Hauptstadt eine herausragende Rolle. Besiegte Barbaren, offenkundig Germanen, schmückten, wie eine Zeichnung aus dem
16. Jahrhundert zeigt, die Basis der über 50 m hohen Säule, auf der
der Stadtgründer Konstantin als Kolossalstatue in göttlicher Nacktheit stand.
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Als Alleinherrscher erhob Konstantin den Anspruch, durch seine
Erfolge gegen die nördlichen Barbaren den Universalfrieden hergestellt zu haben. 328 waren Teile des unter Aurelian aufgegebenen Dakien insofern wieder unter römische Kontrolle gebracht worden, als
die Armee durch neu angelegte Brückenköpfe am nördlichen Donauufer jederzeit ins Barbaricum marschieren konnte. Die steinerne
­Brücke, die Oescus mit Sucidava verband, galt als Gegenstück zu jener Donaubrücke, mit deren Bau Traian die Eroberung Dakiens in die
Wege geleitet hatte, und sie wurde durch eine Prägung gefeiert, auf
der dargestellt war, wie der siegreiche Kaiser in Begleitung der Siegesgöttin zum jenseitigen Ufer vordringt. Die wiedererstarkte römische Interventionsfreude führte offenkundig zu größeren Bewegungen der Völker im Raum nördlich der Donau, beispielsweise zu
Kämpfen ­zwischen den Theiß-Sarmaten und den terwingischen Goten. Am Ende konnten die Militärs Konstantins unter der nominellen
Führung dessen Sohnes Constantinus II. in einer Winterkampagne
die Goten bezwingen, wobei, wie vom imperial gesonnenen Anonymus Valesianus (31) beifällig vermerkt wird, ungefähr 100 000 Goten
durch Kälte und Hunger umgekommen sein sollen. Der römische Erfolg zwang die Gotengruppe des Aorich und des Ariarich dazu, sich
der römischen Macht unterzuordnen. In einem Vertrag (foedus) verpflichteten sich die Goten 332, nicht nur die römische Souveränität
anzuerkennen, sondern auch regelmäßig Truppen zu stellen. Ob von
römischer Seite aus im Gegenzug jährliche Unterstützungszahlungen erfolgten oder nicht, wird in den Quellen verschieden dargestellt.
Um den Frieden zu garantieren, stellten die gotischen Fürsten jedenfalls Geiseln.
[…]In der Forschung wird diskutiert, ob dieser Vertrag das Verhältnis
zwischen Römern und Germanen völlig revolutionierte, indem Rom
die Ansiedlung einer gotischen Gruppe auf ehemals römischem Boden, im früheren Dakien, duldete und diese als weiterhin selbständig
und unter eigener Führung agierende Gruppe anerkannte. Einer Forschungsmeinung zufolge führe eine direkte Linie vom Goten-Foedus
von 332 zu jenem von 382 und den späteren typischen Foederatenansiedlungen, in denen sich Barbaren als geschlossene Gruppen unter
eigener Führung auf römischem Territorium niederließen. Freilich
existierten vertragliche Festlegungen, unter welchen Bedingungen
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