AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8 8-1 Dr. G. Gebhardt Externalitäten und öffentliche Güter 8.1 Einleitung In den vorigen Kapiteln haben wir Situationen betrachtet, in denen unvollkommener Wettbewerb auf der Angebotsseite zu ineffizienten Ergebnissen führt. Dabei war uns das Marktergebnis bei vollkommenem Wettbewerb das Ideal, an dem wir die Ergebnisse der anderen Marktstrukturen gemessen haben. In diesem Kapitel werden wir nun sehen, dass auch das Marktergebnis bei vollkommener Konkurrenz ineffizient sein kann, und zwar aus zwei Gründen: Externe Effekte: Die Konsum- oder Produktionsentscheidungen von Wirtschaftssubjekten haben eine direkte Auswirkung auf den Nutzen anderer Wirtschaftssubjekte. Öffentliche Güter: Der Konsum der Wirtschaftssubjekte ist nicht rivalisierend. Wenn externe Effekte auftreten oder öffentliche Güter betroffen sind, kommt es in der Regel zu Marktversagen, da Marktpreise die Aktionen aller Marktteilnehmer nicht mehr effizient koordinieren können. c Sven Rady und Monika Schnitzer 2008, 2009 ! AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-2 Dr. G. Gebhardt 8.2 Klassifizierung externer Effekte (1) Externe Effekte im Konsum Ein Konsument wird direkt durch die Produktion oder den Konsum eines anderen Wirtschaftssubjektes berührt. Beispiele: • Restaurant-Besucher A wird durch das Rauchen von Person B gestört (negativer externer Effekt im Konsum). • Häuslebauer A genießt den schönen Blick auf den Vorgarten seines Nachbarn B (positiver externer Effekt). (2) Externe Effekte in der Produktion Die Produktionsmöglichkeiten eines Unternehmens werden durch die Entscheidungen eines anderen Wirtschaftssubjektes beeinflusst. Beispiele: • Fischerei A leidet unter der Wasserverschmutzung, die von Stahlwerk B verursacht wird. • Obstbauer A profitiert von der Bestäubung seiner Bäume durch die Bienen des Imkers B. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-3 Dr. G. Gebhardt Externe Effekte können als “Güter” betrachtet werden, für die es keinen eigenen Markt (und daher auch keine Preise) gibt: • Die Bestäubung durch Bienen ist ein Gut, das nicht auf Märkten gehandelt wird. • Wasserverschmutzung ist ein “Schlecht”, für das es ebenfalls keinen Markt gibt. Wenn externe Effekte vorliegen, wird ein Marktgleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz nicht notwendigerweise Pareto-effizient sein: Da einige Märkte fehlen, gibt es für die zugehörigen Güter (oder “Schlechte”) keinen Preis, der dafür sorgt, dass die Menge solange ausgedehnt wird, bis soziale Grenzkosten und sozialer Grenznutzen der letzten produzierten Einheit übereinstimmen. Auf den existierenden Märkten bringt der Gleichgewichtspreis zwar private Grenzkosten und privaten Grenznutzen in Übereinstimmung, diese sind aber bei externen Effekten nicht mit den sozialen Grenzkosten bzw. dem sozialen Grenznutzen identisch. Es gibt aber möglicherweise andere Institutionen oder Mechanismen, die dafür sorgen, dass eine effiziente Allokation erreicht wird. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-4 Dr. G. Gebhardt 8.3 Externe Effekte im Konsum Betrachten wir zunächst ein einfaches Beispiel. • Zwei Zimmergenossen: A ist Raucher, B Nichtraucher. • Zwei “Güter”: Geld und Rauch (aus B’s Perspektive ist Rauch ein “Schlecht”). Wir können die möglichen Allokationen und die Präferenzen in einer modifizierten Edgeworth-Box darstellen: Rauch A !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !! !! !! !!! !! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !! !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Geld Figur 8.1: Präferenzen für Geld und Rauch B AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-5 Dr. G. Gebhardt Die Breite der Box misst, wieviel Geld beide zusammen besitzen. Die Höhe der Box misst die maximal mögliche Menge an Rauch im gemeinsamen Zimmer. • A’s Nutzen steigt, je mehr Geld er hat und je mehr Rauch im Zimmer ist. • B’s Nutzen steigt, je mehr Geld er hat und je weniger Rauch im Zimmer ist. Wenn Rauch ein normales, individuelles Gut wäre, dann könnte man A einfach allen Rauch und B keinen Rauch geben. Das Problem besteht aber darin, dass Rauch von beiden immer in der selben Höhe konsumiert werden muss. Die Anfangsausstattung mit Rauch hängt von den gesetzlichen Rechten der Raucher und Nichtraucher ab. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-6 Dr. G. Gebhardt Fall 1: A hat das Recht, soviel zu rauchen, wie er will (Erstausstattungspunkt E). • Punkt E ist nicht effizient. • B wird versuchen, A zu “bestechen”, damit A weniger raucht. • A und B sollten solange verhandeln, bis sie eine effiziente Allokation (Punkt X) erreicht haben. E Rauch A !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!" !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !! !! !! !! !!! !! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !! !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Geld Figur 8.2: Recht auf Rauchen B AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-7 Dr. G. Gebhardt Fall 2: B hat ein Recht auf saubere Luft (Erstausstattungspunkt E’). • Auch dieser Punkt ist typischerweise nicht effizient. • A wird versuchen, B zu “bestechen”, damit er mehr rauchen kann. • Wieder sollten A und B solange verhandeln, bis sie eine effiziente Allokation (Punkt X’) erreicht haben. Rauch A !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !!! !! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! !! !!! !!! !! !! !! !! !! ! ! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!" !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! E’ Figur 8.3: Recht auf saubere Luft Geld B AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-8 Dr. G. Gebhardt Beachten Sie: Die Menge an Rauch, die produziert wird, ist zwar in beiden Fällen effizient, aber unterschiedlich hoch und hängt von der Anfangsausstattung bzw. der Verteilung der Eigenstumsrechte an Geld und sauberer Luft ab. 8.4 Das Coase-Theorem Ronald Coase (1960) hat die folgende Behauptung aufgestellt. Coase-Theorem: Wenn die Eigentumsrechte klar definiert sind und es keine Transaktionskosten gibt, dann werden sich die beteiligten Parteien durch private Verhandlungen immer auf eine Pareto-effiziente Allokation einigen. Bemerkungen: 1) Dieses “Theorem” kann nicht bewiesen werden. – Als theoretische Aussage ist es trivial: Es sagt nur, dass rationale (d.h. nutzenmaximierende) Individuen keine Tauschmöglichkeiten, die zu einer Pareto-Verbesserung führen, ungenutzt lassen. – Als empirische Aussage ist es sehr unpräzise: Wenn eine Pareto-effiziente Allokation nicht erreicht wird, AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-9 Dr. G. Gebhardt dann kann sich das Coase-Theorem darauf zurückziehen, dass offensichtlich die “Transaktionskosten” zu hoch waren. Es wird aber nicht explizit gemacht, was Transaktionskosten sind und wie sie gemessen werden können. 2) Trotzdem ist das Coase-Theorem von grundlegender Bedeutung. Es zeigt, dass neben dem Marktmechanismus ein zweiter wichtiger Mechanismus existiert, der Pareto-effiziente Allokationen hervorbringen kann: private Verhandlungen. 3) Das Coase-Theorem weist auch auf die Bedeutung von klar definierten Eigentumsrechten hin: – Wenn Eigentumsrechte unklar sind, gibt es keine Hoffnung, dass Verhandlungen und Verträge zu einem effizienten Ergebnis führen. – Auf der anderen Seite legt das Coase-Theorem nahe, dass es egal ist, wie die Eigentumsrechte verteilt werden (wenn sie nur klar definiert sind), da sich in jedem Fall eine effiziente Allokation ergeben wird. 4) Welche “Transaktionskosten” können verhindern, dass private Verhandlungen zu einer effizienten Allokation führen? AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-10 Dr. G. Gebhardt Beispiele: – Je größer die Zahl der Betroffenen, um so schwieriger und kostspieliger sind private Verhandlungen. – Private Verhandlungen können unmöglich sein, weil sich die Betroffenen gar nicht kennen (z.B. bei externen Effekten durch Unfälle). – Asymmetrische Information: Wenn eine Seite mehr über Nutzen und/oder Kosten einer Aktion weiß als die andere, führt dies zu ineffizienten Verhandlungsergebnissen. – Unvollständige Verträge: Es kann prohibitiv kostspielig sein, alle möglichen externen Effekte in allen möglichen Zuständen der Welt aufzulisten und vertraglich zu regeln. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-11 Dr. G. Gebhardt 8.5 Externe Effekte in der Produktion Betrachten wir wieder ein einfaches Beispiel. Das Stahlwerk S produziert mit Kostenfunktion cS (s, x), wobei s die Menge des produzierten Stahls und x die in einen Fluss geleitete Verschmutzungsmenge ist. Dabei gilt: ∂cS > 0, ∂s ∂ 2 cS >0 ∂s2 ∂cS < [>] 0 für kleines [großes] x ∂x ∂ 2 cS >0 ∂x2 Der Fischereibetrieb F produziert flussabwärts Fisch mit der Kostenfunktion cF (f, x), wobei f die Menge an Fisch ist. Dabei gilt: ∂cF > 0, ∂f ∂ 2 cF >0 ∂f 2 ∂cF > 0, ∂x ∂ 2 cF >0 ∂x2 Sowohl S als auch F verkaufen ihre Produkte auf vollkommenen Konkurrenzmärkten. Der Marktpreis für Stahl ist ps, für Fisch pf . AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-12 Dr. G. Gebhardt (1) Separate Gewinnmaximierung Stahlwerk: BEO: max pss − cS (s, x) s,x ps − ∂cS (s∗, x∗) = 0 ∂s − ∂cS (s∗, x∗) = 0 ∂x Fischereibetrieb: max pf f − cF (f, x∗) f BEO: ∂cF (f ∗, x∗) pf − =0 ∂f Die BEO besagen, dass die Unternehmen die produzierten Mengen an Fisch, Stahl und Verschmutzung solange ausdehnen werden, bis jeweils der Preis mit den Grenzkosten übereinstimmt. Beachten Sie, dass für Verschmutzung kein Markt existiert, also der Preis gleich 0 ist. Daher wird S den Fluss soweit mit Abwässern belasten, bis zusätzliche Verschmutzung die Kosten nicht weiter verringert. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-13 Dr. G. Gebhardt Auf der anderen Seite hat Verschmutzung einen negativen externen Effekt auf F: je höher x, desto geringer der erreichbare Gewinn für F. (Der Fischereibetrieb wäre deshalb bereit, für eine geringere Verschmutzung zu bezahlen.) Dieser externe Effekt wird von S nicht “internalisiert”. (2) Gemeinsame Gewinnmaximierung Nehmen wir jetzt an, dass S und F fusionieren, d.h., ein und demselben Besitzer gehören. Dieser löst das folgende Problem: max pss − cS (s, x) + pf f − cF (f, x) s,f,x BEO: ∂cS (ŝ, x̂) = 0 ∂s ∂cF (fˆ, x̂) = 0 pf − ∂f ps − − ∂cS (ŝ, x̂) ∂cF (fˆ, x̂) − = 0 ∂x ∂x Diese Bedingungen beschreiben die effizienten Produktionsmengen. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-14 Dr. G. Gebhardt Beachten Sie, dass jetzt die Verschmutzung solange ausgedehnt wird, bis die marginale Kostenreduktion für das Stahlwerk durch die letzte Einheit Verschmutzung gerade gleich der marginalen Kostenerhöhung für den Fischereibetrieb ist. Da der Besitzer des fusionierten Unternehmens den negativen externen Effekt von S auf F bei der Gewinnmaximierung berücksichtigt (“internalisiert”), wird weniger Verschmutzung produziert: x̂ < x∗. Das Problem bei separater Gewinnmaximierung ist, dass S nur die privaten Kosten der Verschmutzung in seinem Kalkül berücksichtigt, nicht aber die sozialen Kosten, d.h. die Summe der Kosten, die allen Akteuren entstehen. Darum ist das Marktergebnis bei separater Gewinnmaximierung trotz vollkommener Konkurrenz nicht Pareto-effizient. Nur wenn es keine externen Effekte gibt, fallen private und soziale Kosten (bzw. privater und sozialer Nutzen) aus einer Handlung zusammen. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-15 Dr. G. Gebhardt 8.6 Methoden zur Internalisierung externer Effekte 8.6.1 Fusionen Diese Möglichkeit haben wir bereits kennengelernt. Wenn S einen negativen externen Effekt auf F hat, dann können die beiden Unternehmen gemeinsam einen höheren Gewinn erreichen, als wenn sie separat ihren Gewinn maximieren. Daraus folgt: • S sollte F aufkaufen, oder • F sollte S aufkaufen, oder • eine dritte Partei sollte beide Unternehmen aufkaufen. Bemerkungen: 1) Externe Effekte sind eine wesentliche Motivation für Unternehmenszusammenschlüsse. Bei positiven externen Effekten wird das auch Synergie-Effekte genannt. 2) Williamson-Puzzle: Warum schließen sich nicht alle Unternehmen zu einer großen Unternehmung zusammen, um sämtliche positiven und negativen externen Effekte zu nutzen? Was sind die Grenzen der Unternehmung? AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-16 Dr. G. Gebhardt 8.6.2 Verträge Eine Fusion ist nicht unbedingt notwendig, um den externen Effekt zu internalisieren. Die beiden Unternehmen könnten auch einfach einen Vertrag über die Verschmutzungsmenge schreiben und den daraus resultierenden zusätzlichen Gewinn untereinander aufteilen. Solange nur wenige Unternehmen von einem externen Effekt betroffen sind, sind Verträge ein einfaches und oft beobachtetes Instrument, um externe Effekte zu internalisieren. Problem: Wenn die Verschmutzungsmenge nicht beobachtbar oder nicht von Gerichten verifizierbar ist, kann ein Vertrag nicht funktionieren. Fusion ist dann die einzige Möglichkeit. 8.6.3 Pigou-Steuern Ein staatlicher Eingriff könnte die Effizienz verbessern. Angenommen, der Staat erhebt eine Steuer t pro Verschmutzungseinheit. Dann ist das Gewinnmaximierungsproblem des Stahlwerks: max pss − cS (s, x) − tx s,x AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-17 Dr. G. Gebhardt BEO: ps − ∂cS (s, x) = 0 ∂s ∂cS (s, x) −t = 0 ∂x Wenn der Staat einen Steuersatz von ∂cF (fˆ, x̂) t= ∂x wählt, wobei fˆ und x̂ die effizienten Mengen bezeichnen, dann wird S durch die Steuer den externen Effekt auf F internalisieren und somit die effiziente Verschmutzungsmenge wählen. − Bemerkungen: 1) Diese Art der Besteuerung ist nach dem englischen Ökonomen Arthur Pigou (1877-1959) benannt. 2) Eine Pigou-Steuer führt zur effizienten Verschmutzungsmenge, aber die Summe der Gewinne von F und S ist kleiner als bei einem Vertrag, weil zusätzlich die Steuer an den Staat gezahlt werden muss. 3) Eine Pigou-Steuer setzt voraus, dass der Staat die Externalität genau kennt und die optimale Steuer und die optimale Verschmutzungsmenge berechnen kann. Dann AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-18 Dr. G. Gebhardt könnte er dem Unternehmen aber auch direkt vorschreiben, wieviel es verschmutzen darf. 4) Wenn die Parteien sich auf keinen Vertrag einigen konnten, weil es asymmetrische Information über die Natur der Externalität gibt, dann wird auch der Staat das Problem nicht lösen können, weil er nicht besser informiert ist als die beteiligten Parteien. 5) Ein staatlicher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn der Staat etwas kann, was die Privaten nicht können. Beispiele: – Von einem externen Effekt sind so viele Wirtschaftssubjekte betroffen, dass ein Vertrag unmöglich oder zu teuer ist. Beispiel: Umweltverschmutzung durch Autoabgase. – Schädiger und Geschädigter kennen sich vor Eintreten des externen Effekts noch nicht. Beispiel: Haftungsregeln. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-19 Dr. G. Gebhardt 8.6.4 Schaffung eines Marktes für den externen Effekt Wir haben gesehen, dass das Problem externer Effekte als das Fehlen eines Marktes für diesen externen Effekt interpretiert werden kann. Man könnte also versuchen, den fehlenden Markt zu schaffen: • Es werden Zertifikate geschaffen, von denen jedes das Recht gibt, eine Einheit Verschmutzung in den Fluss zu lassen. • Das Fischereiunternehmen bekommt das Eigentumsrecht an sauberem Wasser, d.h., sämtliche Zertifikate werden dem Fischereiunternehmen gegeben. • Es wird eine Auktion veranstaltet. Der Auktionator ruft einen Preis px pro Zertifikat aus. S und F annoncieren gleichzeitig, wieviele Zertifikate sie bei diesem Preis kaufen bzw. verkaufen wollen. • Wenn der markträumende Preis gefunden ist, werden die Zertifikate gehandelt. Dieses Verfahren implementiert die effiziente Allokation. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-20 Dr. G. Gebhardt Gewinnmaximierungsproblem von S: max pss − pxx − cS (s, x) s,x BEO: ps − ∂cS (s, x) = 0 ∂s ∂cS (s, x) = 0 ∂x Gewinnmaximierungsproblem von F: − px − max pf f + pxx − cF (f, x) f,x BEO: pf − ∂cF (f, x) = 0 ∂f ∂cF (f, x) = 0 ∂x Beachten Sie, dass im Gleichgewicht gelten muss: px − − bzw. − ∂cF (f, x) ∂cS (s, x) = px = ∂x ∂x ∂cS (s, x) ∂cF (f, x) − = 0 ∂x ∂x Das ist genau die Bedingung für die effiziente Allokation. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-21 Dr. G. Gebhardt Bemerkungen: 1) Diese Lösung des Problems hat den entscheidenden Vorteil, dass der Staat die Kostenfunktionen der Unternehmen nicht kennen muss, um die effiziente Allokation zu implementieren. 2) Exakt dieselbe Verschmutzungsmenge würde implementiert, wenn zu Beginn das Stahlwerk einen Teil (oder alle) Zertifikate erhielte. Nur die Gewinnverteilung würde sich ändern. (Zeigen Sie das als Übungsaufgabe.) 3) Eine Variante der Zertifikat-Lösung ist, dass dem Staat die Zertifikate gehören. In diesem Fall kann nur dann die effiziente Allokation implementiert werden, wenn der Staat die sozial optimale Verschmutzungsmenge kennt. 4) Wenn es viele Unternehmen mit unterschiedlichen Kostenfunktionen gibt, hat der Handel mit Verschmutzungsrechten einen weiteren Vorteil: – Im Gleichgewicht sind die Grenzkosten der Verringerung der Verschmutzung bei allen Unternehmen gleich (und gleich dem Marktpreis für ein Zertifikat). – Diejenigen Unternehmen, für die eine Verringerung der Emissionen am billigsten ist, werden die Verschmutzung am meisten reduzieren und das Emissionsrecht an diejenigen Unternehmen verkaufen, für AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-22 Dr. G. Gebhardt die die Verringerung der Emissionen teurer ist. – Damit wird die Verringerung der Emissionen gesamtwirtschaftlich zu den geringst möglichen Kosten erreicht. 5) In den USA sind Märkte für Emissionsrechte bereits geschaffen worden (z.B. für Stickoxide). Mit Blick auf das Kyoto-Protokoll wird zur Zeit in der EU versucht, länderübergreifenden Handel mit Emissionsrechten einzuführen. 8.6.5 Staatliche Vorschriften Schließlich kann der Staat natürlich auch direkt eingreifen und den beteiligten Parteien ihre Handlungen durch Gesetze und Verordnungen vorschreiben. Diese Methode ist die am weitesten verbreitete, hat aber viele Nachteile: 1) Der Staat muss sehr genau über die Kosten- und Nutzenfunktionen der betroffenen Parteien informiert sein. 2) Staatliche Regulierung zwingt alle Beteiligten, sich gleich zu verhalten, obwohl sie ganz unterschiedliche Kostenstrukturen haben können. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-23 Dr. G. Gebhardt Beispiel: Der Staat schreibt vor, dass pro Tonne Stahl nicht mehr als x Gramm Stickoxide emittiert werden dürfen. Alle Unternehmen müssen dann dieselben Emissionen tätigen, obwohl – einige Unternehmen billiger ihre Emissionen reduzieren können als andere, – einige Unternehmen durch ihre Emissionen einen größeren Schaden anrichten (z.B. in Ballungsräumen) als andere. 3) Eine Pigou-Steuer oder ein Markt für Emissionsrechte sind oft effizienter, weil sie den Akteuren mehr Spielraum für kostenminimierendes Verhalten lassen. Diskussion: • Sehen Sie ein Problem darin, dass Stromversorger den Wert der (ihnen geschenkten) Emissionslizenzen als Kostenfaktor auf die Strompreise aufschlagen? • Ist dieses Verhalten ein Indiz für Marktmacht? AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-24 Dr. G. Gebhardt 8.7 Allmende-Ressourcen Literatur: Dutta (1998): Strategies and Games, Cambridge: MIT Press, Chapter 7 Ein spezieller Fall externer Effekte tritt auf bei sogenannten “Allmende-Ressourcen”. Allmende hieß früher die Gemeindewiese, auf der alle Bauern ihr Vieh weiden lassen konnten. Heutzutage sind z.B. internationale Gewässer AllmendeRessourcen. Ein weiteres Beispiel ist die Umwelt. Allmende-Ressourcen zeichnen sich durch zwei Eigenschaften aus: • Praktisch jeder kann Allmende-Ressourcen nutzen. • Je mehr Allmende-Ressourcen heute genutzt werden, um so weniger ist von diesen Ressourcen in Zukunft vorhanden. Damit treten zwei Arten von Externalitäten auf: • Eine Externalität auf die Konsummöglichkeiten anderer Konsumenten heute. • Eine Externalität auf die Konsummöglichkeiten anderer Konsumenten in der Zukunft. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-25 Dr. G. Gebhardt Beide Externalitäten führen dazu, dass Allmende-Ressourcen zu intensiv genutzt werden. Dieses Ergebnis bezeichnet man als die Tragödie der Allmende. Um dies zu sehen, betrachten wir ein einfaches Modell der intertemporalen Externalität (die Externalität innerhalb ein und derselben Nutzungsperiode wird in Varian, Kapitel 31.6, behandelt): • Es gibt zwei Spieler, die beide Zugang zu einer Ressource der Größe y > 0 haben. • In Periode 1 können die beiden Spieler Mengen c1 bzw. c2 der Ressource konsumieren, solange c1 + c2 ≤ y. • Falls die gewünschten Konsummengen die Ressource übersteigen, kann jeder y/2 konsumieren. • Falls die beiden Spieler zusammen weniger als y konsumieren, steht der Rest der Ressource für den Konsum in Periode 2 zur Verfügung. • In jeder Periode ist der Nutzen eines Spielers aus dem Konsum von c Einheiten der Ressource gleich ln c. Wir lösen das Spiel durch Rückwärtsinduktion. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-26 Dr. G. Gebhardt Periode 2 In der zweiten Periode steht noch eine Menge y − (c1 + c2) der Ressource zur Verfügung. Da dies die letzte Periode ist, macht es keinen Sinn, etwas von der Ressource ungenutzt zu lassen. Jeder Spieler möchte daher so viel wie möglich konsumieren. Deshalb teilen sich die Spieler die verbleibende Menge hälftig auf. Somit erhält jeder [y − (c1 + c2)]/2. Periode 1 Für die Konsumentscheidung von Spieler 1 in Periode 1 spielt die Konsumentscheidung von Spieler 2 eine wichtige Rolle, denn sie entscheidet (mit) darüber, wieviel von der Allmende-Ressource in der zweiten Periode übrig bleiben wird. Gegeben eine (erwartete) Entscheidung c2 von Spieler 2, löst Spieler 1 folgendes Maximierungsproblem: y − (c1 + c2) (8.1) ln c + ln max 1 c1 2 Die Bedingung erster Ordnung ist: 1 2 1 − = 0 + c1 y − (c1 + c2) 2 (8.2) Durch Umformung erhalten wir: 1 1 = c1 y − (c1 + c2) (8.3) AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-27 Dr. G. Gebhardt bzw. c1 = y − (c1 + c2) (8.4) Daraus können wir die “Reaktionsfunktion” von Spieler 1 ableiten: y − c2 (8.5) c1 = R1(c2) = 2 Analog können wir die Reaktionsfunktion von Spieler 2 ableiten: y − c1 c2 = R2(c1) = (8.6) 2 Durch Einsetzen der einen Reaktionsfunktion in die andere können wir das Nash-Gleichgewicht c∗1 und c∗2 ermitteln: c∗1 y y − c∗1 = − 2 4 y c∗1 = = c∗2 3 (8.7) (8.8) In der ersten Periode konsumiert jeder Spieler also y/3, sodass y/3 für die zweite Periode übrig bleibt. Davon konsumiert dann jeder Spieler jeweils y/6. Der Nutzen eines jeden Spielers aus diesem Konsumpfad ist dementsprechend ln y/3 + ln y/6. Frage: Warum ist dieses Resultat eine “Tragödie”? Es bekommt doch jeder Nutzer genau die Hälfte der Ressource! AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-28 Dr. G. Gebhardt Betrachten wir den Grenznutzen des Konsums von Spieler 1 in den einzelnen Perioden: dieser ist 3/y in Periode 1, und 6/y in Periode 2. Es würde sich also lohnen, Konsum von Periode 1 auf Periode 2 zu verlagern! Unter der Prämisse, dass beide Spieler die Ressource zu gleichen Anteilen nutzen sollen, löst der sozial optimale Konsumpfad das folgende Problem für Spieler i: y max ln ci + ln − ci (8.9) ci 2 Die Lösung ist: y (8.10) 4 Optimal wäre also, in der ersten Periode insgesamt nur die Hälfte der Allmende-Ressource zu konsumieren. Die Tragödie der Allmende ist eine Überbeanspruchung der Ressource in der ersten Periode. ĉ1 = ĉ2 = Der Grund dafür ist die oben angesprochene Externalität. Wenn einer der beiden Spieler in der ersten Periode seinen Konsum um eine Einheit reduziert, dann ermöglicht er einen Konsum in der zweiten Periode, der um eine Einheit höher ist. Von dieser einen Einheit wird er selbst aber nur die Hälfte konsumieren können. Also hat er einen zu geringen Anreiz, seinen Konsum in der ersten Periode einzuschränken. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-29 Dr. G. Gebhardt Je größer die Bevölkerung, desto größer die Tragödie der Allmende – mit zunehmender Zahl der Spieler wird die Externalität stärker. Wenn N Spieler die Ressource nutzen, löst jeder einzelne Spieler i in Periode 1 das folgende Maximierungsproblem: y − (c1 + . . . + cN ) N (8.11) BEO für Spieler i: 1 1 − =0 ci y − (c1 + . . . + cN ) (8.12) ln ci + ln max c i Im Nash-Gleichgewicht konsumiert jeder die gleiche Menge, d.h. c1 = . . . = cN = c∗. Die BEO wird deshalb zu: 1 1 − =0 (8.13) c∗ y − N c ∗ Auflösen ergibt die Gleichgewichtskonsummenge: y c∗ = (8.14) N +1 Insgesamt wird in Periode 1 also eine Menge N y/(N + 1) konsumiert. Für Periode 2 verbleibt ein Rest von y/(N + 1). Je größer N , desto kleiner ist also der für die zweite Periode verbleibende Ressourcenbestand, und desto gravierender die Tragödie der Allmende. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-30 Dr. G. Gebhardt Die soziale Wohlfahrt wäre maximiert, wenn in der ersten Periode jeder Spieler genau y ĉ = (8.15) 2N konsumierte. In diesem Fall würde die Ressource wieder gleichmäßig auf beide Perioden verteilt. Weitere Beispiele für Allmende-Ressourcen • Büffel auf den Prärien Nordamerikas im 19. Jahrhundert • Ozonschicht • Internet Lösungsmöglichkeiten • Privatisierung • Steuern • Nutzungsbeschränkung AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-31 Dr. G. Gebhardt 8.8 Öffentliche Güter Öffentliche Güter zeichnen sich durch Nicht-Rivalität im Konsum aus. Im Extremfall bedeutet das: Wenn ein Konsument aus einer Gruppe von Individuen das Gut konsumiert, dann können es auch alle übrigen Individuen konsumieren, ohne dass dem ersten Konsumenten dadurch Nutzen entgeht und ohne dass zusätzliche Kosten entstehen. Beispiele für öffentliche Güter: • Landesverteidigung • Innere Sicherheit: Funktionierendes Rechtswesen, etc. • Infrastruktur: Straßen, Brücken, Zugverbindungen, Straßenbeleuchtung • Fernseh- und Rundfunkprogramme • Wissen (technisches und organisatorisches Know-how) • Dateien im Internet AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-32 Dr. G. Gebhardt Beachten Sie: • Entscheidend für ein öffentliches Gut ist nicht, ob die anderen Konsumenten vom Konsum ausgeschlossen werden können. Das ist in vielen Fällen technisch durchaus möglich. Beispiele: Autobahngebühren, Patente, Verschlüsselung von privaten Fernsehprogrammen oder von Software. • Entscheidend ist vielmehr, dass es keine Rivalität im Konsum gibt. Alle Konsumenten sollten dann aus Effizienzgründen dieselbe Menge des Gutes konsumieren. • Man kann öffentliche Güter als einen speziellen externen Effekt im Konsum interpretieren: Wenn ein Konsument eine zusätzliche Menge des öffentlichen Gutes konsumiert, dann können auch alle anderen Konsumenten diese zusätzliche Menge konsumieren. • Umweltverschmutzung ist ein Beispiel für ein “öffentliches Schlecht”. Hier müssen alle Konsumenten dieselbe Menge konsumieren. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-33 Dr. G. Gebhardt 8.9 Effiziente Bereitstellung diskreter öffentlicher Güter Betrachten wir zunächst den Fall einer diskreten Entscheidung: Das öffentliche Gut wird entweder bereitgestellt oder nicht; die Menge des öffentlichen Gutes ist nicht variabel. Beispiel: Anschaffung eines Fernsehers durch eine Wohngemeinschaft. • WG besteht aus zwei Individuen, 1 und 2. • Anfangsvermögen: w1, w2. • Ausgaben für privaten Konsum: x1, x2. • Ausgaben für den Fernseher: g1, g2. • Kosten des Fernsehers: c. Die beiden Individuen müssen ihre Budgetbeschränkungen beachten: x1 + g1 = w1 x2 + g2 = w2 Die Entscheidung, den Fernseher zu kaufen, bezeichnen wir mit G = 1, ihn nicht zu kaufen, mit G = 0. Falls G = 1, muss gelten: g1 + g2 = c AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-34 Dr. G. Gebhardt Die Nutzenfunktionen der beiden Individuen sind gegeben durch u1(x1, G) und u2(x2, G). Was wäre Individuum i bereit, maximal für die Anschaffung des Fernsehers zu bezahlen? Der Vorbehaltspreis ri von Individuum i gegeben das Vermögen wi ist definiert durch die folgende Gleichung: ui(wi − ri, 1) = ui(wi, 0) Die Anschaffung des Fernsehers mit Kostenbeiträgen g1 und g2 ist eine Pareto-Verbesserung, wenn beide Individuen bei Anschaffung des Gerätes besser gestellt sind als ohne, d.h., wenn: u1(w1 − g1, 1) > u1(w1, 0) = u1(w1 − r1, 1) u2(w2 − g2, 1) > u2(w2, 0) = u2(w2 − r2, 1) Da die Nutzenfunktionen steigend im privaten Konsum sind, muss gelten: w1 − g1 > w1 − r1 w2 − g2 > w2 − r2 bzw. r1 > g1 r2 > g2 AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-35 Dr. G. Gebhardt Diese Bedingungen sagen einfach: Wenn die Zahlungsbereitschaft jedes Individuums für das öffentliche Gut größer ist als sein Finanzierungsbeitrag, dann führt der Kauf des Gutes zu einer Pareto-Verbesserung. Ferner sehen wir: Falls r1 + r2 > g1 + g2 = c , dann existiert eine Aufteilung der Kosten, so dass eine ParetoVerbesserung möglich ist. Fazit: Ein diskretes öffentliches Gut sollte genau dann beschafft werden, wenn die Summe der Zahlungsbereitschaften der Konsumenten die Kosten übersteigt. Bemerkungen: 1) Ob eine solche Pareto-Verbesserung möglich ist oder nicht, hängt im allgemeinen von der ursprünglichen Vermögensverteilung (w1, w2) ab. 2) Wichtiger Spezialfall: Quasilineare Präferenzen. ui(xi, G) = xi + vi(G) In diesem Fall vereinfacht sich die Definition von ri zu: wi − ri + vi(1) = wi + vi(0) AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-36 Dr. G. Gebhardt Also gilt: ri = vi(1) − vi(0) Dies ist unabhängig vom Vermögen wi. 8.10 Das Trittbrettfahrer-Problem Angenommen, die Anschaffung des Fernsehers führt zu einer Pareto-Verbesserung. Konkret: • Jeder WG-Bewohner hat ein Vermögen von 500. • Jeder WG-Bewohner hat einen Vorbehaltspreis 300. • Der Fernseher kostet 400. Ob der Fernseher beschafft wird oder nicht, hängt vom verwendeten Entscheidungsprozess ab. Betrachten wir zum Beispiel den folgenden, dezentralen Mechanismus: • Jeder WG-Bewohner wird gefragt, ob er kaufen oder nicht kaufen möchte. • Wenn beide kaufen möchten, werden die Kosten des Fernsehers geteilt. • Wenn einer kaufen und einer nicht kaufen möchte, wird gekauft, aber die ganzen Kosten werden vom “Käufer” getragen. • Wenn beide nicht kaufen möchten, wird nicht gekauft. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-37 Dr. G. Gebhardt • Die beiden WG-Bewohner müssen unabhängig voneinander und simultan entscheiden. Wir können diese Entscheidungsproblem als Spiel darstellen: Spieler 2 nicht kaufen kaufen nicht kaufen 500, 500 800, 400 Spieler 1 kaufen 400, 800 600, 600 Figur 8.3: Das “Trittbrettfahrer-Problem” Dieses Spiel hat genau dieselbe Struktur wie das Gefangenendilemma: Für beide Parteien ist es eine dominante Strategie, “nicht kaufen” zu wählen, obwohl (“kaufen”, “kaufen”) für beide besser wäre. Beide Spieler haben einen Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten und darauf zu hoffen, dass der andere das Gut bereitstellen wird. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-38 Dr. G. Gebhardt Bei zwei Personen, die in einer langfristigen Beziehung stehen und perfekt über ihre Zahlungsbereitschaften informiert sind, ist dieses Ergebnis natürlich nicht sehr wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die beiden Parteien einen anderen Entscheidungsmechanismus wählen. Sie werden zusammenkommen und einen “Vertrag” darüber abschließen, den Fernseher zu kaufen und die Kosten aufzuteilen. Auch das Coase-Theorem legt nahe, dass die beiden Parteien die Möglichkeit zu einer Pareto-Verbesserung nicht ungenutzt lassen. Jedoch wird das Trittbrettfahrer-Problem umso gravierender, • je schlechter jede Partei über die Zahlungsbereitschaften der anderen Parteien informiert ist, • je mehr Parteien involviert sind, • je seltener die Parteien interagieren. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-39 Dr. G. Gebhardt Beispiele: • Die beiden WG-Bewohner kennen ihre Zahlungsbereitschaften nicht. Individuum 1 mag glauben, dass Individuum 2 eine so hohe Zahlungsbereitschaft hat, dass er den Fernseher auch alleine kaufen würde. In diesem Fall hat er einen Anreiz, seine Zahlungsbereitschaft zu untertreiben, um seinen Anteil an den Kosten zu verringern. • Stellen Sie sich vor, die Bewohner von München sollen über den Bau einer neuen Isarbrücke entscheiden, und der Kostenanteil eines jeden Bürgers soll eine steigende Funktion seiner erklärten Zahlungsbereitschaft sein. Jeder Bürger wird sich sagen, dass seine Zahlungsbereitschaft keinen Einfluss darauf hat, ob die Brücke gebaut wird oder nicht. Also wird jeder eine Zahlungsbereitschaft von 0 angeben. Ergebnis: Die Brücke wird nicht gebaut, selbst wenn sie effizient wäre. • Fragen Sie sich selbst: Würden Sie die Rundfunk- und Fernsehgebühren bezahlen, wenn Sie sicher wären, dass Sie nicht von der GEZ erwischt und bestraft werden können? Schwarzfahren? Steuern hinterziehen? AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-40 Dr. G. Gebhardt 8.11 Effiziente Bereitstellung einer variablen Menge des öffentlichen Gutes Betrachten wir jetzt den Fall einer variablen Menge des öffentlichen Gutes: G ≥ 0. Die Kosten des öffentlichen Gutes seien c(G). Gesucht wird eine Pareto-effiziente Allokation, d.h. eine Allokation, bei der der Nutzen eines Individuums nicht weiter erhöht werden kann, ohne den Nutzen eines anderen Individuums zu verringern. Bei einer Situation mit zwei Individuen löst eine solche Allokation das folgende Maximierungsproblem: max u1(x1, G) x 1 , x2 , G unter den Nebenbedingungen u2(x2, G) ≥ u2 x1 + x2 + c(G) = w1 + w2 Lagrange-Ansatz: L = u1(x1, G) + λ [u2(x2, G) − u2] + µ [x1 + x2 + c(G) − w1 − w2] AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-41 Dr. G. Gebhardt BEO: ∂L ∂u1 ∂u1 = +µ=0 ⇒ µ=− ∂x1 ∂x1 ∂x1 ∂u2 ∂u1 ∂u2 ∂L =λ +µ=0 ⇒ λ= / ∂x2 ∂x2 ∂x1 ∂x2 ∂L ∂u1 ∂u2 dc = +λ +µ =0 ∂G ∂G ∂G dG ⇒ dc ∂u1 ∂u1 ∂u2 ∂u2 + = / / ∂G ∂x1 ∂G ∂x2 dG Fazit: Im Pareto-Optimum muss die Summe der Absolutbeträge der Grenzraten der Substitution der beiden Individuen gleich den Grenzkosten der Bereitstellung des öffentlichen Gutes sein: |M RS1| + |M RS2| = M C Diese Bedingung ist sehr intuitiv. Nehmen wir an, die Grenzkosten für eine zusätzliche Einheit des öffentlichen Gutes seien M C = 1 Euro, die Grenzraten der Substitution für beide Individuen aber |M RS| = 0,75 Euro. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-42 Dr. G. Gebhardt Wir können |M RS| als marginale Zahlungsbereitschaft für das öffentliche Gut interpretieren. Also wären beide Individuen gemeinsam bereit, 1,50 Euro für eine weitere Einheit des öffentlichen Gutes auszugeben, die aber nur 1 Euro kostet. Also sollte die Menge erhöht werden, und zwar so lange, bis die Summe der |M RS| gerade gleich den Grenzkosten ist. Bei N Individuen muss entsprechend die Summe der N Absolutbeträge der Grenzraten der Substitution gleich den Grenzkosten des öffentlichen Gutes sein. Im allgemeinen hängt |M RSi| von der konsumierten Menge xi und damit vom Einkommen wi des Individuums ab. Wenn die Individuen jedoch quasilineare Präferenzen haben, hängen die |M RSi| nur von der Menge des öffentlichen Gutes ab, nicht aber von der des privaten Gutes und damit auch nicht vom Einkommen. Fazit: Bei quasilinearen Präferenzen ist die effiziente Menge des öffentlichen Gutes unabhängig von der Einkommensverteilung. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-43 Dr. G. Gebhardt 8.12 Lösungsansätze zum TrittbrettfahrerProblem Das Trittbrettfahrer-Problem erscheint bei einer variablen Menge des öffentlichen Gutes ebenso wie bei einer diskreten. Nehmen wir z.B. an, die beiden Individuen hätten identische quasilineare Nutzenfunktionen und identische Einkommen. Nehmen wir ferner an, Individuum 1 hätte bereits so viel von dem öffentlichen Gut gekauft, wie für ihn privat optimal ist, d.h.: |M RS1| = M C Wird Individuum 2 noch eine zusätzliche Menge des öffentlichen Gutes bereitstellen? Nein. Da er die von 1 bereitgestellte Menge konsumieren kann, gilt für ihn: |M RS2| = |M RS1| = M C Also wird er die Menge nicht weiter erhöhen, obwohl dies effizient wäre. Bei privaten Gütern hatten wir gezeigt, dass eine spezifische Institution, der Konkurrenzmarkt, in der Lage ist, eine Pareto-effiziente Allokation zu erreichen. Auf einem Konkurrenzmarkt muss jedes Individuum nur seinen eigenen Nutzen maximieren. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-44 Dr. G. Gebhardt Bei öffentlichen Gütern versagt diese Institution. Wenn öffentliche Güter über Konkurrenzmärkte bereitgestellt würden, dann würde das Trittbrettfahrer-Problem zu einer hoffnungslos ineffizienten Bereitstellung des öffentlichen Gutes führen. Wie kann das Trittbrettfahrer-Problem überwunden werden? 1) Private Verhandlungen. Wenn nur wenige Individuen betroffen sind, die ihre Zahlungsbereitschaften kennen, dann können sie sich in privaten Verhandlungen auf die effiziente Bereitstellung des öffentlichen Gutes einigen. 2) Private Anbieter. Öffentliche Güter können durch einen privaten Anbieter bereitgestellt werden, wenn dieser in der Lage ist, einen Preis für die Nutzung des öffentlichen Gutes zu verlangen und Konsumenten, die diesen Preis nicht zahlen, auszuschließen. Beispiele: Private Autobahnen, verschlüsselte Fernsehprogramme. Probleme: – Bei vielen öffentlichen Gütern ist der Ausschluss von Konsumenten nicht möglich oder sehr kostspielig. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-45 Dr. G. Gebhardt – Ineffizienzen: Der Ausschluss von Konsumenten, die den Preis nicht bezahlen wollen, ist nicht effizient. Außerdem hat ein privater Anbieter keinen Anreiz, die sozial effiziente Menge des öffentlichen Gutes bereitzustellen. 3) Wohlwollender Diktator. Die klassische Finanzwissenschaft sieht eine zentrale Aufgabe des Staates in der Bereitstellung öffentlicher Güter. Dort wird davon ausgegangen, dass der Staat die Präferenzen seiner Bürger kennt, öffentliche Güter in effizienter Menge bereitstellt, und sie durch Zwangsabgaben (Steuern) finanziert. Aber: – Kennt der Staat tatsächlich die Zahlungsbereitschaften der Bürger? – Will der Staat tatsächlich die soziale Wohlfahrt maximieren oder werden seine Entscheidungen durch Interessengruppen verzerrt (Beispiele: Subventionen für Kohle, Landwirtschaft, etc.)? 4) Abstimmungen. Man könnte die beteiligten Bürger durch Abstimmung selbst über die Menge des zu beschaffenden öffentlichen Gutes entscheiden lassen. Diese Möglichkeit wird im folgenden ausführlich diskutiert. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-46 Dr. G. Gebhardt 8.13 Mehrheitsabstimmungen Man könnte die Bürger über die Menge des zu beschaffenden öffentlichen Gutes sowie einen Schlüssel für die Verteilung der Kosten abstimmen lassen. Wenn die Kostenverteilung so fixiert ist, kann niemand versuchen, seinen Anteil zu Lasten der anderen zu verringern. Bei der Untersuchung des Abstimmungsverhaltens nehmen wir an, dass die Präferenzen aller Haushalte “eingipfelig” sind: Nettonutzen !! !!!!!!!!! !! !!! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! G Figur 8.4: Eingipfelige Präferenzen AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-47 Dr. G. Gebhardt Welche Menge des öffentlichen Gutes kann in keiner Abstimmung mehr von einer anderen Menge des öffentlichen Gutes geschlagen werden? Diejenige Menge, die der Medianwähler bevorzugt. Wenn wir alle Bürger nach der von ihnen meist präferierten Menge des öffentlichen Gutes anordnen, dann ist der Medianwähler derjenige, der genau in der Mitte liegt. Warum spielt der Medianwähler eine so wichtige Rolle? Sei G∗ die bevorzugte Menge des Medianwählers. • Wenn G∗ gegen G > G∗ zur Abstimmung gestellt wird, dann werden alle Wähler links des Medianwählers plus der Medianwähler selbst für G∗ stimmen. Das ist aber schon mehr als die Hälfte. • Wenn G∗ gegen G < G∗ zur Abstimmung gestellt wird, dann werden alle Wähler rechts des Medianwählers plus der Medianwähler selbst für G∗ stimmen. Aber auch das ist mehr als die Hälfte. Fazit: Bei eingipfeligen Präferenzen führen Mehrheitsabstimmungen dazu, dass sich die Präferenzen des Medianwählers durchsetzen. AVWL I Mikro (Winter 2008/09) 8-48 Dr. G. Gebhardt Bemerkungen: 1) Dieses Ergebnis ist im allgemeinen nicht Pareto-effizient. Das Medianergebnis sagt einfach, dass die Hälfte der Bürger mehr, die andere Hälfte weniger von dem öffentlichen Gut haben möchte. Es sagt nichts darüber aus, wieviel mehr oder weniger die anderen Bürger gerne hätten. Beispiel: 60% der Bevölkerung möchten gar nichts von dem öffentlichen Gut, 40% möchten dagegen sehr viel. Mehrheitsabstimmung führt dazu, dass überhaupt nichts beschafft wird. 2) Ein wesentliches Problem, das hier nicht gelöst wird, ist, wie die Kosten für das öffentliche Gut aufgeteilt werden sollen. Sollte man jemanden zwingen, sich an den Kosten zu beteiligen, selbst wenn seine Zahlungsbereitschaft niedriger als sein Kostenanteil ist?