Universität Augsburg Lehrstuhl für Soziologie PS: Einführung in soziologische Theorien Dozent Sasa Bosancic Sommersemester 2007 24.05.07 Talcott Parsons’ Strukturfunktionalismus Zentrale Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich? 1. Handlungs- und Ordnungstheorie • Normativistische Ordnungstheorie - - • Soziale Ordnung basiert auf geteilten Normen und Werten Normen und Werte strukturieren individuelle Handlungsziele vor und gewährleisten, dass die Handlungsziele einzelner Akteure zueinander passen 1902 - 1979 Unterscheidung Faktische Ordnung: kommt unbeabsichtigt zustande (z.B. Stau) Normative Ordnung: kommt durch bewusste oder vorbewusste Orientierung des Verhaltens an Normen (z.B. Familie, Freundeskreis) Voluntaristische Handlungstheorie „action frame of reference“ (handlungstheoretischer Bezugsrahmen) Elemente des „unit act“: 1. der Akteur / die handelnde Person 2. das Ziel des Handelns („end“, „goal“, „purpose“) 3. die Handlungssituation (Rahmenbedingungen des Handelns, auf die der Akteur keinen Einfluss hat + Mitteln, die ihm zur Erreichung seines Zieles zur Verfügung stehen) 4. NEU: die Normen und Werte des Handelns Weiterführung des Utilitarismus Erst durch das Vorhandensein gemeinsamer Werte, kann man seine Ziele formulieren und Nutzenkalkulationen anstellen Actor - end/goal/purpose - conditions / situation - norms \ means - values Normen wirken selektiv auf die Handlungsmittel und bestimmen die Handlungsziele. Dadurch ist die für das Bestehen einer sozialen Ordnung notwendige Handlungskoordination gegeben. Normen und Werte charakterisieren das spezifisch menschliche am Handeln. Der freie Wille bleibt bestehen = voluntaristische Handlungstheorie 2. Funktionalismus • Grundannahmen - • Soziale Phänomene werden über die Funktionen, die sie für ein größeres Ganzes erfüllen beschrieben und erklärt (z.B. Welche Funktionen erfüllt die Familie für die Gesellschaft?) Problem: Funktionen schnell benannt, erklären jedoch nicht die Ursachen für das Vorhandensein eines sozialen Phänomens Aber: Funktionalistische Argumente können helfen die Wirklichkeit zu erschließen, indem man sie als Hypothesen betrachtet, die sich möglicherweise falsifizieren lassen Parsons’ Funktionalismus Wie funktionieren soziale Phänomene im Hinblick auf die Aufrechterhaltung von Normen und Werten? normativistischer Funktionalismus, Parsons spricht vom Strukturfunktionalismus 3. Systemtheorie • Handlungssystem: Ausbildung von Regelmäßigkeiten und Mustern bei Handlungsorientierungen - Analytische Unterscheidung des Handlungssystems in drei Teilsysteme: Persönlichkeitssystem: Sozialsystem: Kultursystem: - Handlungsorientierungen innerhalb einer Person Handlungsorientierungen und -erwartungen zwischen mehreren Individuen geordneter Zusammenhang von kulturellen Symbolisierungen, Normen und Werte Werte aus dem Kultursystem müssen im Persönlichkeitssystem durch Internalisierung und im Sozialsystem durch Institutionalisierung verankert werden. Internalisierung: Normen und Werte der Gesellschaft werden während der Sozialisation oder Erziehung eines Individuums verinnerlicht und somit zu einem Bestandteil individueller Motivation Institutionalisierung: Normen werden in Systemen als verbindliche Regeln verankert und somit eine gesellschaftliche Integration auf Strukturebenen gewährleistet - Ein Sozialsystem (z.B. Gesellschaft, Familie) funktioniert nur, wenn die einzelnen Persönlichkeitssysteme Motivation zum Mitwirken haben und das Kultursystem die dazu nötigen Werte zur Verfügung stellt enge Verflochtenheit der Systeme • Soziale Rolle: - „soziale Rolle“ als wesentliches Element des Sozialsystems - Rollen sind Verhaltensmuster, setzen Normen und Werte in der Praxis um und gewährleisten ein geordnetes Miteinander ( bei Abweichung Sanktion) - Rollenbegriff legt Aufgabe des Individuums in einem sozialen System fest (z.B. Mutterrolle in der Familie) 4. Weitere Theoriebausteine • Ausbau seiner Handlungstheorie: Mustervariablen („pattern variables“) Bei Handlungen werden Unterscheidungen zwischen folgenden Alternativen getroffen: 1. Selbstinteresse - Kollektivinteresse: Verfolge ich lediglich meine eigenen Interessen oder diejenigen der Gesellschaft? 2. Universalismus - Partikularismus: Beurteile ich Personen oder Situationen nach einem allgemeingültigen Standard oder nach besonderen Kriterien, beispielsweise Freundschaft oder Verwandtschaft? 3. affektive Neutralität - Affektivität: Schließt die Handlungsorientierung die Möglichkeit zur Äußerung von Emotionen aus oder nicht? 4. Spezifizität - Diffusität: Berücksichtige ich alle möglichen Aspekte oder handle ich spezifisch? 5. Leistungsorientierung - Zuschreibung: Beurteile ich andere aufgrund von Merkmalen, für die sie nicht verantwortlich sind (Herkunft, Geburt, Schönheit) oder aufgrund ihrer Leistung und Verdienste? - Alle fünf Dichotomien sind miteinander kombinierbar, so entstehen 32 Handlungstypen (die sich empirisch jedoch oft überschneiden) Verknüpfung zur Systemtheorie: Die Wahl erfolgt meist vorbewusst d.h. sie wird bereits auf der Ebene des Persönlichkeitssystems, des Sozialsystems oder des Kultursystems vorstrukturiert Kritik - • Menschliches Verhalten ist zu komplex, um durch eine solche Kategorisierung vollständig erfasst zu werden Oft lässt sich Verhalten auch nicht klar einem der Pole zuordnen Durch die vielen Kombinationsmöglichkeiten ist es so gut wie unmöglich, mit den Mustervariablen empirisch und vergleichend zu arbeiten Ausbau seiner funktionalistischen Ansätze Zur Systematisierung von Funktionszuschreibungen entwarf Parsons das Demnach hat jedes System 4 Funktionen zu erfüllen: AGIL-Schema. Adaption: Anpassung des Systems an seine Umwelt ( z.B. durch Beschaffung von notwendigen Ressourcen) Goal-Attainment: Zielsetzung und Zielerreichung (indem Bedingungen zu ihrer Realisierung bereitgestellt werden) Integration: Zusammenhalt der Untereinheiten des Systems Latency: Strukturerhaltung via Wertbindung Diese Zuschreibung von Funktionen lässt sich laut Parsons auf jedes System anwenden! • Gesellschaft als System A G Wirtschaft Politik Gesellschaftliche Gemeinschaft Kultur I • L Medientheorie - letzte Stufe in der Ordnungstheorie von Parsons versucht zusammen mit Neil Smelser seine Theorie zu dynamisieren (um dem Vorwurf zu entgehen, seine Theorie sei statisch) will neben den Funktionen Prozesse aufzeigen, mit denen Funktionen erfüllt werden Frage: Antwort: Wie verständigen sich Systeme? Wie sind 4 Funktionen im AGIL Schema untereinander abgestimmt und koordiniert? Es gibt in jedem Subsystem Medien, mit dessen Hilfe Subsysteme - intern kommunizieren - Verbindungen zu anderen Medien herstellen „Geld“ - Parsons verweist bei dieser Idee auf das Wirtschaftssystem - Geld als Medium des Wirtschaftssystems - nutzt die Geldanalogie, um die jeweiligen Medien der übrigen Subsystme zu bestimmen - Ergebnis in den 1960ern: Macht - Medium der Politik Einfluss - Medium der gesellschaftlichen Gemeinschaft Wertbindung - Medium der Kultur Wie kommt er auf diese Medien? versucht Phänomene (Medien) aufzuzeigen, die ähnlich abstrakte Eigenschaften aufweisen wie Geld, die also: kommunizieren / mitteilen können (Preis: Angebot-Nachfrage) gespeichert werden können (sparen, aufbewahren) entäußert werden können (ausgeben) für Parsons ist Geld eine spezialisierte Sprache, ein generalisiertes Kommunikationsmedium diese spezialisieren Sprachen als Kommunikationsmedien existieren laut Parsons auch in den andere Subsystemen „Macht“ - Geld ist in der Wirtschaft kein Produktionsfaktor (das wären Arbeit und Kapital) - sondern Medium - genauso ist Macht in der Politik ebenfalls Medium, mit dem man bspw. Steuerrecht, - Öffentlichkeit kontrollieren kann - durch Macht wird mit anderen Systemen kommuniziert (z.B. über Gesetze) - Macht nicht mit Gewalt zu verwechseln: Drohung nur im Hintergrund der Machtausübung würden beide zusammenfallen, wäre Macht kein Medium mehr, dass etwas symbolisiert, nämlich die Fähigkeit zur effektiven Durchsetzung von Zielen und zur Verpflichtung anderer zum Gehorsam durch die Androhung von Gewalt Macht kann gespeichert werden Drohung im Hintergrund muss nicht sofort umgesetzt werden „Einfluss“ und „Wertbindung“ - - • Subsysteme gesellschaftliche Gemeinschaft und Kultur nicht so klar abzugrenzen und zu definieren wie Wirtschaft und Politik stößt auf größere Schwierigkeiten Schwer zu begreifen, wie diese Medien wirken können noch schlechter zu verstehen, wie sie gemessen entäußert gespeichert werden können Verdacht, dass Parsons die Medien „Einfluss“ und „Wertbindung“ eher ableitet und nicht nachweist empirische Anwendung seiner Medientheorie äußerst schwierig, wenige Versuche unternommen mit diesem Theoriegebäude zu arbeiten Sozialer Wandel - auch sozialer Wandel ist laut Parsons durch das AGIL Schema erklärbar Anpassung (A) „adaptive upgrading“ Gesellschaften lernen zunehmend, sich an die natürliche Umwelt anzupassen Zielerreichung (G) „Differenzierung“ zunehmende interne Komplexität, z.B. Arbeitsteilung Integration (I) „Inklusion“ Prozess, bei dem Gesellschaften ihre Bürger immer mehr ins Gemeinwesen integrieren, durch Gewährung von politischen und sozialen Bürgerrechten (z. B. Wahlrecht) Latency (L) „Wertegeneralisierung“ partikularistische Wertvorstellung sind zu universalistischen gewandelt worden Quellen: - - Junge, M. (1997): Talcott Parsons. In: Brock/Junge/Krähnke (Hrsg.): Soziologische Theorien von Auguste Comte bis Talcott Parson. München, S. 191-206 Eberle/Maindok (1984): Einführung in die soziologischen Theorien. München, S. 10-46 Joas/Knöbl: Sozialtheorie, Zwanzig einführende Vorlesungen. S. 60-66, S.90-137 Richter: Soziologische Paradigmen, Eine Einführung in klassische und moderne Konzepte von Gesellschaft. S. 95-106 Katharina Gesell – Martina Dellinger – Kathrin Hövekamp – Anne Kübart