Talcott Parsons

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Julian Müller / Ludwig-Maximilians-Universität / Institut für Soziologie / SS 2014
Vorlesung
Soziologische Theorien
05. Mai 2014
Talcott Parsons
[T]his volume is published as a study in theory [...], the
tracing of the development of a theoretical system through
the works of these four men was not the original intention of
the author [...]. It could not have been, for neither he nor any
other secondary writer on them was aware that there was a
single coherent theoretical system to be found there. The
basis on which the four writers were brought together for
study was rather empirical. It was the fact that all of them in
different ways were concerned with the range of empirical
problems involved in the interpretation of some of the main
features of the modern economic order [...].
(The Structure of Social Action. New York 1964: vi)
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Eine der Hauptrichtungen in der Geschichte der soziologischen Theorie war eng
verbunden mit der Geschichtsphilosophie und geht tatsächlich in diese über. Ihr
Hauptanliegen war die Herausarbeitung allgemeinster Muster für die
Veränderungsprozesse aller menschlicher Gesellschaften, sei es als lineare
Entwicklung, als zyklischer oder dialektischer Prozess, oder was immer. Das beste
Beispiel sind vielleicht die Entwicklungstheorien von Anthropologen wie Tylor und
Morgan. Doch in gewisser Hinsicht gilt dies auch für Marx und seine Nachfolger,
für Veblen und für viele andere.
Das Allgemeinheitselement in diesen Lehren, das die Bezeichnung ihrer
Begründer als Theoretiker rechtfertigt, liegt in dem umfassenden Anspruch der
empirischen Allgemeinheitsaussagen, die sie formulieren und zu beweisen
suchten. Im Gegensatz dazu enthält die Theorie der analytischen Mechanik oder
der allgemeinen Physiologie als Theorie überhaupt keine empirische
Allgemeinaussage. Sie ist lediglich ein Werkzeug, mit Hilfe dessen man bestimmte
empirische Lösungen und empirische Allgemeinaussagen gewinnen kann, wenn
man es auf entsprechende Daten anwendet. Empirische Allgemeinaussagen zum
eigentlichen Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Theorie zu machen, heißt den
Wagen vor das Pferd zu spannen.
(Beiträge zur soziologischen Theorie. Neuwied/Berlin. 1964: 40f.)
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Parsons’ action frame of reference:
1.  Der Handelnde
2.  Das Ziel des Handelns
3.  Eine Handlungssituation
4.  Normen und Werte
(vgl. The Structure of Social Action. New York 1964: 44)
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In mancher Hinsicht erscheinen wir Soziologen als die
Lumpensammler der Theorie, weil wir viele unserer Primärbegriffe
aus anderen Disziplinen geholt haben. Zum Beispiel ist in unserer
Verwendung des Systembegriffs noch viel von seinem Ursprung in
der physiologischen Theorie enthalten. [...] Ein begrifflicher
Minimalaspekt von Systemen könnte in der Tat sein, sie als Bereiche
relativer Nichtzufälligkeit aufzufassen. [...] Mit diesem Systembegriff
gelangt der Analytiker sogleich zu einigen Implikationen. Er kann
solche wichtigen Fragen stellen wie z.B.: »Wie wird ein bestimmtes
Maß an Ordnung ›gegen‹ Umweltfluktuationen aufrechterhalten?«
und »In welcher Ordnung stehen die internen Systemkomponenten
zueinander?«. Der Analytiker wird Betrachtungen über
Systemprobleme anstellen, z.B. über Probleme der Grenzerhaltung,
über Probleme der Beschaffung und Allokation von Ressourcen
sowie über Probleme der Strukturerhaltung.
(Zur Theorie sozialer Systeme. Opladen 1976: 73f.)
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In gewissem Sinn neigt ein soziales System zu einem
»stabilen Gleichgewicht«, zu einer dauerhaften Erhaltung
seiner selbst als System und zur Bewahrung eines
bestimmten entweder statischen oder dynamischen
strukturellen Musters. In diesem Sinn ist es analog (nicht
identisch) zu einem Organismus und dessen Tendenz,
kurzfristig ein physiologisches Gleichgewicht oder eine
»Homöostase« aufrechtzuerhalten und langfristig der
Kurvatur des Lebenszyklus zu folgen.
(Aktor, Situation und normative Muster. Frankfurt a.M. 1986: 160)
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Handlungssystem
Wir betrachten soziale Systeme, zusammen mit kulturellen
und Persönlichkeitssystemen sowie Verhaltensorganismen,
als primäre Bestandteile des allgemeinen Handlungssystems;
alle vier Elemente werden im Verhältnis zum konkreten
sozialen Interaktionsverhalten durch Abstraktion definiert. [...]
Die Unterschiede zwischen den vier Handlungssubsystemen
sind rein funktionaler Natur. Sie richten sich nach den vier
Hauptfunktionen, die wir allen Handlungssystemen zuweisen:
nämlich Normenerhaltung, Integration, Zielverwirklichung und
Anpassung.
(Das System moderner Gesellschaften. München 1972: 12)
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AGIL-Schema
Adaptation
Goal attainment
Integration
Latent pattern maintenance
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AGIL-Schema: Handlungssystem
Adaptation
Goal attainment
Verhaltensorganismus
Persönlichkeitssystem
Integration
Latent pattern maintenance
Soziales System
Kultur
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AGIL-Schema: Soziales System
Adaptation
Goal attainment
Wirtschaft
Politik
Integration
Gesellschaftliche
Gemeinschaft
Latent pattern maintenance
Kulturelles Treuhandsystem
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Wir definieren Gesellschaft als den Typ eines sozialen Systems,
dessen Kennzeichen ein Höchstmaß an Selbstgenügsamkeit
(self-sufficiency) im Verhältnis zu seiner Umwelt, einschließlich
anderer sozialer Systeme, ist. Vollkommene Selbstgenügsamkeit
wäre jedoch unvereinbar mit dem Status der Gesellschaft als
Handlungssubsystem. Jede Gesellschaft ist hinsichtlich ihrer
Erhaltung als System auf Eingaben (inputs) aus dem Austausch
mit Systemen ihrer Umgebung angewiesen. Selbstgenügsamkeit
im Verhältnis zur Umwelt bedeutet also Stabilität der
Austauschbeziehungen und die Fähigkeit, Austauschvorgänge
im Interesse eines guten Funktionierens der Gesellschaft zu
kontrollieren.
(Das System moderner Gesellschaften. München 1972: 16f.)
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Innerhalb dieses Bezugsrahmens ist der Kern der Gesellschaft als einem
sozialen System die vierte Komponente, ihr integratives Subsystem. Da wir
allgemein das soziale System als für Handlungssysteme integrativ
behandeln, müssen wir besonders beachten, auf welche Weise es die
verschiedenen Arten und Ebenen interner Integration zustandebringt –
oder auch nicht zustandebringt. Wir wollen das integrative Subsystem einer
Gesellschaft gesellschaftliche Gemeinschaft nennen. Die vielleicht
allgemeinste Funktion einer gesellschaftlichen Gemeinschaft besteht darin,
ein Normensystem mit einheitlicher und kohärenter kollektiver Organisation
hervorzubringen. [...] Die gesellschaftliche Ordnung erfordert klare und
deutliche Integration, womit wir einerseits normative Kohärenz und
andererseits gesellschaftliche »Harmonie« und »Koordination« meinen.
Außerdem müssen als Normen definierte Pflichten im großen und ganzen
akzeptiert werden, während umgekehrt Gesamtheiten über normative
Sanktionsmöglichkeiten zur Erfüllung ihrer Funktionen [...] verfügen
müssen.
(Das System moderner Gesellschaften. München 1972: 21f.)
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Weiterführende Literatur
•  Niklas Luhmann: Einführungen in die Systemtheorie.
Heidelberg 2004, 18-40.
•  Hans Joas/Wolfgang Knöbl: Sozialtheorie. Zwanzig
einführende Vorlesungen. Frankfurt a.M. 2004, 39-142.
•  Harald Wenzel: Die Ordnung des Handelns. Talcott Parsons’
Theorie des allgemeinen Handlungssystems. Frankfurt a.M.
1991.
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