Bioanorganische Chemie

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Bioanorganische Chemie
(AC6)
wann und wo?
2 SWS, Do 9–10, Fr 9–10, Wieland-Hörsaal
Beginn: 22. April 2010, Ende: 23. Juli 2010;
nächster Termin: SS 2011.
Klausur
Die Klausur zum Sommersemester 2010 findet am Freitag, dem 23. Juli 2010, 9:00–10:00
Uhr, im Wieland-Hörsaal statt.
Alte Klausuren:
SS 2004:
SS 2005:
SS 2006:
SS 2007:
SS2008:
SS2009:
Klausur
Klausur
2. Klausur
Klausur
2. Klausur
Klausur
2. Klausur
3. Klausur
Klausur
2. Klausur
Klausur
2. Klausur
Lösung
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für wen?
Bachelorstudiengang Chemie und Biochemie: Studierende im 6. Semester. Die Vorlesung
ist so aufgebaut, dass komplexchemische Konzepte in ihrer Bedeutung für biochemische
Vorgänge dargestellt werden. Sie können sich hier testen, ob Sie die Grundlagen
verstanden haben.
was?
Die Vorlesung Bioanorganische Chemie fragt in knapp 20 Abschnitten danach, wie die
Natur wesentliche Prinzipien der Koordinationschemie umsetzt. Als „Aufhänger“ dient
2
jeweils das aktive Zentrum eines Enzyms. Zuerst wird der biochemische Zusammenhang
knapp dargestellt, im Mittelpunkt steht dann der koordinationschemische Sachverhalt,
dessen Diskussion oft ein Gefühl dafür vermittelt, warum die Natur im Verlauf der Evolution
das ausgewählte katalytische Problem so und nicht anders gelöst hat.
Technisches
Neben der bei jedem Thema angegebenen Literatur wurde als Quelle für die
Enzymstrukturen die PDB, die Protein Data Bank genutzt (http://www.rcsb.org/pdb/),
von der die Ergebnisse von Beugungsexperimenten und NMR-spektroskopischen
Untersuchungen heruntergeladen werden können. Unter diesem Link findet sich auch eine
Fülle frei verfügbarer Programme für die graphische Darstellung der Strukturen. Darunter
findet sich auch Pymol (http://pymol.sourceforge.net), mit dem alle Abbildungen in
diesem Skript angefertigt wurden.
In allen Abbildungen wurde der nicht zum aktiven Zentrum gehörende Teil des Enzyms in
der üblichen grob schematischen Weise dargestellt, bei der alle Aminosäureseitenketten
weggelassen sind und bei der Hauptkette lediglich α-Helices und β-Faltblattabschnitte
hervorgehoben sind. Das aktive Zentrum ist dagegen in Stab-Darstellung gezeichnet. Die
Farben der einzelnen Atome sind einheitlich gewählt: Kohlenstoff grün, Stickstoff blau,
Sauerstoff rot, Schwefel orange und das erste Metall violett. Gezeigt ist meist sowohl
das vollständige Enzym (Holoenzym) als auch das aktive Zentrum in Vergrößerung, oft in
derselben Ausrichtung. Ist das aktive Zentrum bereits in der Holoenzym-Darstellung gut
sichtbar, wurde auf die Vergrößerung verzichtet.
Man beachte bei der Betrachtung von Struktureinzelheiten die methodischen
Beschränkungen der Röntgenstrukturanalyse. Die Positionen der streuschwachen
Wasserstoffatome sind in aller Regel nicht direkt bestimmbar, damit wird auch der
Protonierungsgrad funktioneller Gruppen nicht erhalten. Ob eine einem einzelnen
Sauerstoffatom zugeordnete Elektronendichte in der Nähe eines Metallzentrums einen
Oxido-, einen Hydroxido- oder einen Aqua-Ligand darstellt, bleibt also offen. Erscheinen in
einer Abbildung Wasserstoffatome, so hat dies mehr illustrativen Charakter.
Prüfen Sie hier, ob Ihr Browser das Skript korrekt darstellt.
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3
1
Einführung: Metalle in den aktiven
Zentren von Enzymen
Derzeit (2005) sind ca. 300 Enzyme strukturell aufgeklärt. Eine Strukturanalyse in atomarer
Auflösung bietet den notwendigen Rahmen zur Analyse des Reaktionsverlaufs im aktiven
Zentrum des Enzyms. Ebenso wie in der technischen Katalyse finden sich auch in den
aktiven Zentren von Enzymen Metallzentren als Ort der katalytischen Umsetzung des
jeweiligen Substrats. Die besonders reiche Chemie von Metallen – vor allem von
Übergangsmetallen – ist die offensichtliche Ursache dafür, dass Metalle in den aktiven
Zentren von Enzymen von viel größerer Bedeutung sind als anderswo in der Biochemie:
etwa die Hälfte der strukturell aufgeklärten Enzyme sind metallhaltige Proteine! [cu2]
(Nach einer anderen Quelle sind ein Drittel aller Enzyme Metalloenzyme (A. C
Rosenzweig, D. M. Dooley, Current Opinion in Chemical Biology 2006, 10, 89–90).
Die inzwischen soliden Kenntnisse zum Ablauf einer biochemischen Katalyse sind jedoch
nicht nur der enormen Entwicklung der Strukturbiologie in den letzten beiden Jahrzehnten
zu verdanken. Das statische Bild, das eine Strukturanalyse vermittelt, enthält keine
unmittelbare Information über den Ablauf einer Reaktion. Neben weiteren experimentellen
Methoden wie der gerichteten Mutation und der spektroskopischen Untersuchung sind
es vor allem die Erfolge der Computerchemie, die viel zu einer detaillierten Analyse des
Reaktionsgeschehens beitragen.
Die Parallele hinsichtlich der Bedeutung von Übergangsmetallen sowohl bei der
technischen als auch bei der biologischen Katalyse ist unübersehbar. Gemeinsame
Grundlage beider Disziplinen sind die Regeln der Koordinationschemie, die sich in der
biochemischen Katalyse auf hohem Niveau studieren lassen, nämlich optimiert im Verlauf
einer ca. 2 Milliarden Jahre dauernden Evolution. Jeder, der katalytische Reaktionen
entwerfen oder optimieren will, findet daher beim Studium metallhaltiger Enzyme
Lehrbeispiele vor. Es ist die Aufgabe und der Reiz der Bioanorganischen Chemie, die
biochemischen Befunde in verallgemeinerbare koordinationschemische Regeln zu fassen,
die eine Übertragung des Vorbildes der Natur auf Probleme der Synthesechemie erlauben.
Zitierte Literatur
E. I. Solomon, R. K. Szilagyi, S. DeBeer George, L. Basumallick: Electronic Structures of
Metal Sites in Proteins and Models: Contributions to Function in Blue Copper Proteins.
Chem. Rev. 2004, 104, 419–458[cu2].
4
2
Säure/Base-Katalyse bei
physiologischem pH: Zink(II) in
Carboanhydrase (CA) und hydrolytischen ZinkEnzymen
Die Acidität der schwachen Brønsted-Säure Wasser wird durch Koordination an
die Lewis-Säure Zn2+ erhöht. Die konjugierte Base OH− steht im aktiven Zentrum
des Enzyms in hoher Konzentration als Nukleophil zur Verfügung. Einer denkbaren
Erniedrigung der Nukleophilie durch die Bindung an die Lewis-Säure steht eine
hohe Konzentration an Nukleophil gegenüber. Modellverbindungen zeigen, dass
die Lewis-Acidität von Zink(II) mit der Koordinationszahl feinabgestimmt werden
kann: ein erstes Beispiel für die Bedeutung der Modellierung zum Verständnis einer
katalytischen Reaktion.
2.1 Chemie und Biochemie von CA
Carboanhydrase gehört sowohl von der Verbreitung im Tier- und Pflanzenreich als auch
von der biochemischen Bedeutung her zu den wichtigsten Enzymen überhaupt. CA war
das erste von heute ca. 200 bekannten Enzymen, die als Zinkenzyme erkannt wurden.
(Der menschliche Körper enthält ca. 2 g Zink, das damit hinter Eisen das mengenmäßig
zweitwichtigste Metall ist.) Die von CA katalysierte Reaktion mutet fast primitiv an:
CO2 + 2 H2O ⇄ HCO3− + H3O+
Es handelt sich also „nur“ um die Vorbereitung einer Gleichgewichtseinstellung zwischen
Lösung und Gasraum, bei uns Menschen zwischen dem Hydrogencarbonat des
Blutplasmas und dem Kohlendioxid in den Lungenbläschen. Dass dieser einfache Vorgang
kinetisch gehemmt ist und der Katalyse bedarf, erkennt man spätestens dann, wenn man
im Biergarten vor einer frisch gezapften Mass sitzt. Auch nach längerer Zeit „bitzelt“ ein
Schluck auf der Zunge. Es wird also noch Kohlensäure freigesetzt, die (Gott sei Dank)
eben nicht in den ersten Sekunden nach dem Zapfen die wässrige Phase verlassen hat,
um so das thermodynamische Gleichgewicht einzustellen – wirksames Veratmen von
CO2 ist unkatalysiert also offensichtlich nicht möglich.
5
2.2 Molekülbau von CA
CA besteht aus einem einzelnen Proteinstrang von ca. 260 Aminosäuren. Es sind ca. 200
Strukturanalysen an CAs und CA-Hemmstoff-Komplexen in der PDB hinterlegt (abfragen
unter carbonic anhydrase). Die hier abgebildete Molekülstruktur wurde bei einer
Röntgenstrukturanalyse an Kristallen von humaner CA II in einer Auflösung von 2 Å
erhalten (PDB-Eintrag: 1CA2).
Holoenzym:
Im aktiven Zentrum binden drei Histidin-Reste ein vierfach koordiniertes Zink-Ion. Die
vierte Koordinationsstelle wird von einem Wasser/Hydroxido-Ligand belegt. Unter den
Aminosäure-Seitenketten in der näheren Umgebung des aktiven Zentrums – im Bild
6
oberhalb der Zn(His)3-Einheit – wird der Histidin-64-Rest in der Rolle eines „proton
shuttles“ gesehen:
2.3 Katalysecyclus
Die Ladung des gezeigten Ausschnitts ist am Metall lokalisiert.
7
Katalysecyclus auch als pdf.
Der Cyclus ist in der literaturüblichen Weise als Umwandlung von CO2 in
Hydrogencarbonat dargestellt, wie er bei der CO2-Aufnahme durch photosynthetisierende
grüne Pflanzen abläuft. Man beachte, dass er bei der Ausscheidung von CO2 im
Gegenuhrzeigersinn abläuft. Der Cyclus beginnt mit dem Enzym in der Ruheform, bei
der entsprechend dem pKA-Wert des Aqua-Liganden von ca. 7 dieser vor allem in der
Hydroxido-Form vorliegt (pH-Wert des Blutplasmas: 7.4). Das vom Aqua-Liganden
abgespaltene Proton wird von His64 gebunden. Da es im weiteren Verlauf der Katalyse
wieder in den Kreislauf zurückfließt, dient His64 als „proton shuttle“.
Man beachte, dass eine wichtige Einzelheit einer wirksamen Katalyse darin besteht,
dass alle während der Reaktion bewegten Fragmente einen definierten Bindungspartner
vorfinden. Es ist also keineswegs sekundär, dass das Proton nicht in die Umgebung
entlassen wird und dieser bei Bedarf wieder entzogen wird. Der Hydroxido-Ligand ist das
eigentliche Agens, das nun das Elektrophil CO2 angreift. Im nächsten Schritt entsteht
ein Hydrogencarbonato-Ligand. Die blau eingezeichneten Pfeile entsprechen den
Vorstellungen, die in der Literatur als „Lindskog-Mechanismus“ bezeichnet werden. Dieser
hat in den letzten Jahren bei computerchemischen Rechnungen gegenüber einem
konkurrierenden, hier nicht diskutierten „Lipscomb-Mechanismus“ an Wahrscheinlichkeit
gewonnen. Die Formulierung der Kohlensäure im letzten Reaktionsschritt als
Hydrogencarbonat spiegelt deren pKA-Wert von 6.5 wider.
8
2.4 Hydrolytische Zinkenzyme
Viele andere Zinkenzyme dienen der Hydrolyse polarer Bindungen. So enthalten
Proteasen und Esterasen oft Zink in ihrem aktiven Zentrum. Das Reaktionsprinzip ist das
gleiche wie bei CA. Das eigentliche Agens ist ein Hydroxido-Ligand, der als Nukleophil das
Kohlenstoffatom polarer C-N- oder C-O-Bindungen angreift.
2.5 Modellierung von CA
Die Diskussion der biochemischen Daten konzentriert sich auf die Frage: Was ist eigentlich
das Besondere an CA und hydrolytischen Zinkenzymen? Entwickelt die Natur einen
aufwendigen Liganden – nichts anderes ist das Apoenzym – für eine Reaktion, die man
im Labor mit einer Prise Zinksulfat erledigen könnte? Wir reden also über Modellierung.
Wichtige Daten hierzu sind in Fig. 1 von [zn3] zusammengestellt, nämlich pKA-Werte
synthetischer Zinkkomplexe: Aqua-{N,N- bis(2-picolyl)-N-carboxymethyl-amin}-imidazolzink (Koordinationszahl 6, pKA 9.5); Aqua-{N,N,N-tris(benzimidazolylmethyl)amin-zink
(Koordinationszahl 5, pKA 8.0); Aqua-{hydrido-tris(tert-butyl-pyrazolyl)borato}-zink
(Koordinationszahl 4, pKA 6.5). Einen Überblick über das Zusammenspiel
Modellierung–Enzymeigenschaften gibt [zn4].
Bei der Klausur sollten Sie eine Idee haben zu: Aufbau und Acidität von AquaMetall-Komplexen; Faktoren, welche die Acidität von metallgebundenen Aqua-Liganden
beeinflussen (Koordinationszahl, Ladungsdichte am Zentralmetall, Einbindung der
Protonen in Wasserstoffbrückenbindungen).
Zitierte Literatur
G. Parkin: Synthetic Analogues Relevant to the Structure and Function of Zinc Enzymes.
Chem. Rev. 2004, 104, 699–768 [zn1].
H. Vahrenkamp: Transitions, Transition States, Transition State Analogues: Zinc
Pyrazolylborate Chemistry Related to Zinc Enzymes. Acc. Chem. Res. 1999, 32, 589-596
[zn3].
H. Vahrenkamp: Why does nature use zinc – a personal view. Dalton Trans. 2007,
4751–4759 [zn4].
9
3
Funktion und Inhibition katalytischer
Zentren: Nickel in Urease, Urease-Hemmstoffe
Am Beispiel eines zweiten Säure/Base-Katalysators – Urease – wird eine wichtige
Variable vorgestellt, welche die Natur zum Aufbau eines katalytischen Zentrums
nutzt: die Nuklearität, also die Zahl der Metallatome im aktiven Zentrum. Bei der
Urease spielen bei der Fixierung des Substrats und der katalytischen
Transformation zwei Metallzentren zusammen. Die Formulierung eines zutreffenden
Katalysecyclus hat bei der Urease einen handfesten technischen Hintergrund,
nämlich die Entwicklung wirksamer Urease-Hemmstoffe. Für diese gibt es Bedarf,
da ein Großteil des wichtigsten Stickstoffdüngers Harnstoff durch Urease von
Bodenbakterien zersetzt wird. Bei Urease fragen wir auch nach der Biosynthese
von Metallzentren. Sie werden lernen, dass reaktive Metall-Ionen wie eben Nickel,
aber auch Kupfer, Eisen, etc., keineswegs als hydratisierte Ionen im Zellinneren
herumschwimmen, sondern vielmehr unter strikter Kontrolle stehen. So wird bei der
Urease-Bildung das Nickel durch ein „Metallchaperon“ herangeschafft.
3.1 Chemie und Biochemie
Harnstoff ist das Endprodukt des Stickstoff-Stoffwechsels bei Säugern (bei Vögeln:
Harnsäure, bei Fischen: Ammoniak). Harnstoff tritt jedoch nicht nur als Abfallstoff auf,
sondern er ist als weltweit wichtigster Dünger von großer volkswirtschaftlicher und
ökologischer Bedeutung. Bei der technischen Synthese wird Ammoniak und Kohlendioxid
bei erhöhter Temperatur miteinander umgesetzt. Urease katalysiert umgekehrt den Zerfall
unter Freisetzung von Ammoniak. Die katalysierte Reaktion ist die Hydrolyse einer ersten
C-N-Bindung. Das dabei entstehende Carbamat zerfällt anschließend in unkatalysierter
Reaktion weiter zu Hydrogencarbonat und Ammoniak:
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Während diese von der Urease verschiedener Bakterien katalysierte Reaktion die
Ausscheidungen der Säuger wieder in den Stickstoff-Kreislauf überführt, ist die Wirkung
auf den als Dünger hergestellten Harnstoff unerwünscht. Man schätzt, dass ca. die Hälfte
des produzierten Düngers auf diese Weise verloren geht. Der entstehende Ammoniak ist
als Stickstoffdünger nur eingeschänkt verfügbar, er schädigt vielmehr die Wurzeln von
Pflanzen – siehe hierzu auch die Wirkung des von Helicobacter-pylori-Urease erzeugten
Ammoniaks im menschlichen Magen.
3.2 Molekülbau
Urease besteht aus drei verschieden großen Untereinheiten. Bei der abgebildeten
Klebsiella-aerogenes-Urease sind die Untereinheiten 556, 101 und 100 Aminosäuren lang.
Es sind ca. 40 Strukturanalysen an Urease und Urease-Hemmstoff-Komplexen in der PDB
hinterlegt. Proteindatenbank-Eintrag: 1EJX. Die Strukturanalyse liegt in einer Auflösung
von 1.6 Å vor.
Holoenzym:
11
Bei der Betrachtung des aktiven Zentrums fällt ein carboxylierter Lysin-Rest auf, wodurch
die CO2-Abhängigkeit von Urease verständlich wird:
12
3.3 Katalysecyclus
Katalysecyclus auch als pdf.
Wie bei der Hydrolyse polarer Bindungen durch hydrolytische Zink-Enzyme geht es auch
bei der Urease darum, Hydroxid als Nukleophil zur Verfügung zu stellen – hier zum Angriff
auf das Kohlenstoffatom einer polaren C-N-Bindung. Die Natur hat bei der Verwendung
von Nickel anstelle von Zink zwei gleichsinnig wirkende Effekte auf die Lewis-Acidität
des Metallzentrums auszugleichen: Nickel(II) ist weniger sauer als Zink(II), und es neigt
aufgrund der Ligandenfeldstabilisierungsenergie (LFSE) von −12 Dq sehr viel deutlicher
als Zink zur Ausbildung einer oktaedrischen Umgebung. Beides, die geringere Acididät und
die Festlegung auf eine höhere Koordinationszahl, führt dazu, dass von einem einkernigen
Nickelzentrum nicht die Stabilisierung eines Hydroxido-Liganden erwartet werden darf.
Die Problemlösung der Natur ist einfach und wirksam: Urease enthält ein zweikerniges
Metallzentrum, bei dem die Lewis-Aciditäten zweier Nickelatome zusammenwirken. Das
für die C-N-Bindungsspaltung nötige OH−-Nukleophil liegt als Brückenligand vor, der nach
Bindung des Substrats zu einem ortho-Diamidohydrogencarbonat-Übergangszustand bzw.
einer entsprechenden Zwischenstufe führt. Deren anschließender Zerfall ergibt die
Produkte Ammoniak und Carbamat.
13
3.4 Urease-Hemmung durch Diamidophosphat
Diamidophosphat (in manchen Publikationen „Phosphoramidat“ genannt), ist ein
wirksamer Urease-Hemmstoff. Die tetraedrische Molekülstruktur entspricht weder der
Struktur von Harnstoff noch von Carbamat, so dass geläufige Hemm-Mechanismen
entfallen: so simulieren Hemmstoffe oft das Edukt oder das Produkt und weisen
gleichzeitig eine höhere Bindungsenergie an das aktive Zentrum des Katalysators auf
als diese. Es entsteht eine thermodynamische Falle, die Katalyse kommt zum Erliegen.
Diamidophosphat (rechte Formel) hat dagegen Ähnlichkeit mit orthoDiamidohydrogencarbonat (linke Formel), das als energiereiche Zwischenstufe oder als
Übergangszustand formuliert worden war: Diamidophosphat ist ein ÜbergangszustandsAnalog. Im Gegensatz zur Edukt- oder Produkt-Hemmung beruht die inhibierende
Wirkung nicht nur auf einer festen Bindung im aktiven Zentrum, sondern darin, dass der
nachfolgende Reaktionsschritt nicht zur Verfügung steht, um das aktive Zentrum wieder
zu räumen (Diamidophosphat ist ein stabiles Molekül, das im Gegensatz zum regulären,
instabilen Zwischenprodukt ortho-Diamidohydrogencarbonat nicht zerfällt).
Die Struktur eines Komplexes aus Diamidophosphat und Bacillus-Pasteurii-Urease ist im
PDB-Eintrag 3UBP niedergelegt. Die Strukturanalyse liegt in einer Auflösung von 2.0 Å
vor.
3.5 Metallchaperone
Hydratisierte Metall-Ionen sind viel zu reaktiv, als dass sie in der Zelle unkontrolliert
herumschwimmen dürften. Übergangsmetalle wie Nickel, Eisen oder Kupfer unterliegen
vielmehr strikter Kontrolle durch Transport- und Speicherproteine. Die
Stabilitätskonstanten von Apoenzym-Metall-Komplexen und von Transportprotein-MetallKomplexen sind in der Regel so groß, dass rechnerisch kein freies Metall-Ion in einer
Zelle vorhanden ist. Der Mechanismus der Metallierung eines Apoproteins durch „sein“
passendes Transportprotein mit „seinem“ Metall ist derzeit ein intensiv untersuchter
Vorgang. Die Nickelatome der Urease werden dem Apoenzym durch das nickelbindende
Protein UreE eingepflanzt. Es liegen bislang 5 Strukturanalysen von UreE vor, darunter
jedoch keine mit Nickel in der Metallbindungsstelle. Transportproteine wie UreE, die ein
Apoenzym zum funktionsfähigen Metalloenzym aufbauen, heißen „Metallchaperone“. Auf
ihre generelle Bedeutung wird hier nur verwiesen, Details werden bei besser untersuchten
14
Beispielen erläutert. Der Kenntnisstand zur Regulierung des Nickelhaushalts bei E. coli
und Helicobacter pylori wird in [chape2] beschrieben.
Anmerkung für historisch interessierte Hörer
Urease war das erste Enzym, das kristallisiert wurde (J. B. Sumner: The Isolation and
Crystallization of the Enzyme Urease. J. Biol. Chem. 1926, 69, 435–441 [ur3]). Sumner
beschreibt oktaedrische Kristalle, die er aus Enzympräparaten der Jackbohne (“jack bean”,
Canavalia ensiformis L.) gewinnt, und die im polarisierten Licht keine Doppelbrechung
zeigen. Es ist bis heute (4/2008) keine Canavalia-Urease-Struktur beschrieben, die
vorliegenden Strukturanalysen an bakteriellen Ureasen zeigen aber übereinstimmend mit
Sumners Befund tatsächlich das kubische Kristallsystem. Aus der chemischen Analyse
leitet Sumner ab, dass Enzyme als einzige Bausteine Aminosäuren enthalten, also nicht
etwa Kohlenhydrate oder eben Metalle. Dieser falsche Befund wurde erst ein halbes
Jahrhundert später korrigiert (N. E. Dixon, C. Gazzola, J. J. Watters, R. L. Blakeley,
B. Zerner: Inhibition of Jack Bean Urease (EC 3.5.1.5) by Acetohydroxamic Acid and
by Phosphoramidate. An Equivalent Weight for Urease. J. Am. Chem. Soc. 1975, 97,
4130–4131 [ur4]; N. E. Dixon, C. Gazzola, R. L. Blakeley, B. Zerner: Jack Bean Urease
(EC 3.5.1.5). A Metalloenzyme. A Simple Biological Role for Nickel? J. Am. Chem. Soc.
1975, 97, 4131–4133 [ur5]).
Bei der Klausur … : Einschränkung der Koordinationsgeometrie durch
Ligandfeldstabilisierungsenergie (LFSE); Darstellung einer Inhibitorwirkung im
Energieschema einer Reaktion; Acidität und Nukleophilie verbrückender Aqua/HydroxidoLiganden.
Spezielle Literatur
B. A. Averill: Dinuclear Hydrolases. CCC2 8, 641–676 (643–647). R. P. Hausinger, P. A.
Karplus: Urease. Handbook of Metalloproteins, Wiley, Chichester 2001, p. 867–879.
Urease-Hemmung durch Diamidophosphat: S. Benini, W. R. Rypniewski, K. S. Wilson,
S. Miletti, S. Ciurli, S. Mangani: A New Proposal for Urease Mechanism Based on the
Crystal Structure of the Native and Inhibited Enzyme from Bacillus Pasteurii: Why Urea
Hydrolysis Costs Two Nickels. Structure 1999, 7, 205–216 [ur2].
Urease-Hemmung durch Borsäure: S. Benini, W. R. Rypniewski, K. S. Wilson, S.
Mangani, S. Ciurli: Molecular Details of Urease Inhibition by Boric Acid: Insights into the
Catalytic Mechanism. J. Am. Chem. Soc. 2004, 126, 3714–3715 [ur1].
Struktur des Metallchaperons UreE: H. Kyu Song, S. B. Mulrooney, R. Huber, R.
P. Hausinger: Crystal Structure of Klebsiella aerogenes UreE, a Nickel-binding
Metallochaperone for Urease Activation. J. Biol. Chem. 2001, 276, 49359–49364
[uree1].
15
H. Remaut, N. Safarov, S. Ciurli, J. van Beeumen: Structural Basis for Ni2+ Transport and
Assembly of the Urease Active Site by the Metallochaperone UreE from Bacillus pasteurii.
J. Biol. Chem. 2001, 276, 49365–49370 [uree2].
Übersicht über die Biosynthese von Metallzentren (von den in dieser Vorlesung
besprochenen kommen vor: Urease, Cu-Zn-Superoxid-Dismutase, Eisen-SchwefelCluster, Cytochrom c, Cytochrom-Oxidase, Nickel-Eisen-Hydrogenase): J. Kuchar, R.
P. Hausinger: Biosynthesis of Metal Sites. Chem. Rev. 2004, 104, 509–525 [chape1].
Regulierung des Nickelstoffwechsels: N. S. Dosanjh, S. L. J. Michel: Microbial nickel
metalloregulation: NikRs for nickel ions. Current Opinion in Chemical Biology 2006, 10,
123–130 [chape2].
16
4
Katalyse einer Redox-Reaktion: Mangan-
und Eisen-Superoxiddismutase (MnSOD,
FeSOD)
Die für die Beseitigung von Hyperoxid-Radikalen O2• − („Superoxid“) zuständigen
Superoxid-Dismutasen MnSOD und FeSOD (es gibt außerdem die strukturell
andersartigen CuZnSOD und NiSOD) zeigen mit einem einfachen, einkernigen
Metallzentrum grundlegende Regeln der Redoxkatalyse: Am Metallzentrum müssen
die passenden Oxidationsstufen zur Verfügung stehen; passend heißt, dass sie
unter physiologischen Bedingungen die benötigten Redoxpotentiale aufweisen, und
dass die Elektronenbilanz mit dem Redoxprozess am Substrat übereinstimmt.
4.1 Chemie und Biochemie
Superoxid-Dismutasen sind wie die Katalasen Enzyme, deren Aufgabe die Beseitigung
reaktiver Spezies darstellt, die den Organismus schädigen könnten. Superoxid entsteht
beim Kontakt von Sauerstoff mit 1-Elektronen-Reduktionsmitteln wie den reduzierten
Formen von Chinonen, Flavinen, Eisen-Schwefel-Clustern und Cytochromen vor allem in
den Mitochondrien. Die gebildete Menge ist recht hoch, als typischer Wert werden 5
% der Elektronen der Atmungskette angegeben, die „fehlgeleitet“ werden. O2• − ist ein
besonders reaktives Teilchen, das in reiner Form keine wässrige Lösungschemie aufweist
– Superoxid disproportioniert sofort. So zerfällt oranges KO2 bei Wasserzugabe in
stürmischer Reaktion unter Bildung von Sauerstoff und Peroxid. Im Enzym wird diese
ohnehin rasche Reaktion um mehrere Größenordnungen beschleunigt, was die Brisanz
des Superoxids unterstreicht. Unter Berücksichtigung der Aciditäten (pKA-Werte: HO2
4.8; H2O2 12) kann die katalysierte Reaktion für den physiologischen pH-Wert formuliert
werden gemäß
2 O2•− + 2 H+ → O2 + H2O2
Mangan-Superoxid-Dismutase (MnSOD) scheint in der Evolution aus der älteren FeSOD
hervorgegangen zu sein. Beiden Enzymen gemeinsam ist deren elektrochemisches
Potential (MnSOD: 0.29 V; FeSOD: 0.22 V). Diese Gemeinsamkeit überrascht, da die
Standardpotentiale der Redoxpaare Mn2+/3+ und Fe2+/3+ recht verschieden sind und man
17
für eine derartige Anpassung eine deutlich verschiedene Ligandausstattung hätte erwarten
dürfen. Angesichts des sehr weitgehend identischen Molekülbaus (siehe unten) überrascht
eine Eigenart: Wird FeSOD von Eisen befreit und mit Mangan rekonstituiert oder wird
MnSOD von Mangan befreit und mit Eisen rekonstituiert, so werden inaktive Enzyme
erhalten.
Das Vorkommen der verschiedenen SOD-Typen ist bei CuZnSOD beschrieben.
4.2 Molekülbau
Es liegen ca. 30 Strukturanalysen an MnSODs vor. Die hier gezeigte Escherichia-ColiMnSOD ist ein Homotetramer aus vier Untereinheiten. Jeder einzelne Proteinstrang ist 205
Aminosäuren lang. Proteindatenbank-Eintrag: 1D5N. Die Auflösung beträgt 1.55 Å, es ist
eine der vier Untereinheiten gezeigt.
Holoenzym:
Im aktiven Zentrum ist ein Mangan(III)-Zentralatom von drei Histidin-, einem Aspartat- und
zwei Aqua/Hydroxido-Liganden koordiniert:
18
4.3 Katalysecyclus
Der erste Schritt des Katalysecyclus ist hinsichtlich der Koordinationszahl am
Manganzentrum und damit auch hinsichtlich des Reaktionsablaufs umstritten. Die hier
nicht abgebildete Abfolge wird wie folgt beschrieben: Ein Superoxid-Ion bindet an das
Manganzentrum und erhöht dabei dessen Koordinationszahl auf sechs. Der Hydroxido-
19
Ligand stabilisiert die dreiwertige Stufe so wirksam (setzt das Potential herab), dass die
Elektronenübertragung vom Superoxid-Ligand zum Metallzentrum in dieser Form nicht
gelingt. In einem nächsten Schritt kommt es zur Protonierung des Hydroxido-Liganden
zu einem Aqua-Ligand. Nun ist die dreiwertige Stufe etwas destabilisiert, ihr Potential
steigt entsprechend, und sie kann ein Elektron vom Superoxid aufnehmen. Es entsteht
Mangan(II) und Sauerstoff, der das Metallzentrum verlässt.
Die zweite Vorstellung, die in der Literatur diskutiert wird, ist hier dargestellt: Anlagerung
des Superoxids, Elektronenübertragung und Ligandprotonierung findet konzertiert statt.
Die Anlagerung und Umsetzung des Superoxids ist von einer Lockerung der Metall-AquaBindung begleitet, so dass eine Erhöhung der Koordinationszahl nicht erforderlich ist.
Wie bei jeder Redox-Katalyse wird natürlich auch bei den SODs die thermodynamische
Randbedingung eingehalten, dass das elektrochemische Potential des aktiven Zentrums
zwischen den Potentialen der beiden Halbreaktionen des katalysierten Prozesses liegen
muss:
Das Ergebnis, dass die Potentiale bei MnSOD und FeSOD nahezu gleich sind, ist sehr
überraschend, da (1) die Standardpotentiale weit auseinanderliegen (FeII/III 0.77, MnII/III
1.41 V bei pH=0) und (2) die Umgebung der Metallzentren in beiden Enzymen praktisch
dieselbe ist, so dass der Abstand der Potentiale von ungefähr einem halben Volt als
gewahrt zu erwarten gewesen wäre. Offensichtlich aber sind die aktiven Zentren weniger
ähnlich als die Betrachtung der Strukturanalysen erwarten lässt. Wird nämlich MnSOD
von Mangan befreit und mit Eisen rekonstituiert, so sinkt das Potential um ca. ½ Volt,
und umgekehrt wird in mangansubstituierter FeSOD ein um mehr als ½ Volt erhöhtes
Potential gemessen. Beide mit dem „falschen“ Metall rekonstituierte SODs sind aufgrund
20
dieser Potentialverschiebungen inaktiv. Die MIII-Form von Fe-substituierter MnSOD hat ein
zu kleines Potential (ist zu schwach oxidierend), um Superoxid zu Sauerstoff zu oxidieren,
während die MII-Form Mn-substituierter FeSOD ein zu hohes Potential hat (zu schwach
reduzierend wirkt), um Superoxid zu H2O2 reduzieren zu können. Die strukturelle Ursache
ist Gegenstand der aktuellen Diskussion. Es scheint wahrscheinlich, dass geringfügige
Unterschiede in der zweiten Koordinationsspäre der aktiven Zentren ursächlich sind.
[mnsod1]
Wir betrachten den Katalysecyclus und vor allem die Metall(III)-Ruheform, bei der wir
uns fragen, warum nicht die ebenfalls im Zyklus vertretene Metall(II)-Stufe als Ruheform
vorliegt – vor allem bei Mangan. Hierzu schauen wir auf die Komplexbeständigkeit und
unterscheiden metallabhängige Enzyme von Metalloenzymen.
Bei der Klausur … : Faustregeln kennen, um die Stabilität von Komplexen abzuschätzen;
LFSE-Werte ausrechnen; Jahn-Teller-Verzerrung; Umgang mit elektrochemischen
Potentialen.
Spezielle Literatur
L. Noodleman, T. Lovell, W. Han, J. Li, F. Himo: Quantum Chemical Studies of
Intermediates and Reaction Pathways in Selected Enzymes and Catalytic Synthetic
Systems. Chem. Rev. 2004, 104, 459–508 [dft1].
A.-F. Miller: Superoxide Processing. CCC 8, 479–506 (492–498).
T. A. Jackson, T. C. Brunold: Combined Spectroscopic/Computational Studies on Fe and
Mn-Dependent Superoxide Dismutases: Insights into Second-Sphere Tuning of Active Site
Properties. Acc. Chem. Res. 2004, 37, 461–470 [mnsod1].
21
5
Superoxid-Reduktion in Anaerobiern:
Rubredoxin und die Superoxid-Reduktasen
(SORs) Neelaredoxin und Desulfoferrodoxin
Viele Regeln der Redox-Katalyse lassen sich an zwei besonders einfachen aktiven
Zentren erkennen, in denen ein einzelnes Eisen-Zentralatom zwischen den
geläufigen Oxidationsstufen +II und +III wechselt: das Fe(SCys)4-Zentrum in
Rubredoxin (Rd) und das Fe(NHis)4(SCys)-Zentrum in Neelaredoxin (Nlr). Da beide
Zentren in allen Oxidationszuständen in der high-spin-Form vorliegen, lässt sich der
Einfluss der Liganden auf die elektrochemischen Potentiale allein untersuchen.
5.1 Chemie und Biochemie
Während Rubredoxin (Rd) strukturell zu den am besten untersuchten Metalloenzymen
gehört, lag seine Funktion lange im Dunklen. In den letzten Jahren verdichten sich die
Hinweise, dass Rd bei der Superoxid-Beseitigung in Anaerobiern beteiligt ist. Anaerobiern
nützt eine SOD nur bedingt, da für diese Organismen auch Sauerstoff giftig ist. An die
Stelle der SODs treten hier SORs, Superoxid-Reduktasen. Superoxid wird durch diese zu
H2O2 reduziert, als finales Reduktionsmittel dient NAD(P)H:
O2•− + 2 H+ + e− → H2O2
Für die Elektronenübertragung scheinen drei Katalysatoren verantwortlich zu sein. Die
eigentlichen SORs übertragen 1 Elektron auf Superoxid; die oxidierte Form SOR(ox) wird
anschließend durch Rd wieder reduziert, Rd(ox) wird anschließend durch die Vermittlung
einer NADPH:Rubredoxin-Oxidoreductase reduziert, diese wiederum erhält das Elektron
von NAD(P)H (Schema nach [sor1]):
22
SOR-Aktivität wird für Neelaredoxin (Nlr) beschrieben, dessen Zusammenspiel mit Rd
Gegenstand der aktuellen Forschung ist [sor1]. Nlr gehört zu den in Pyrococcus furiosus
gefundenen Enzymen. P. furiosus ist ein Archeon, das in ca. 100 °C heißer Umgebung lebt
– so wie am Entdeckungsort, der italienischen Insel Vulcano nördlich von Sicilien. Hinter
der Untersuchung von Hyperthermophilen-Enzymen steht nicht nur wissenschaftliches
Interesse, auch technisch versprechen diese extrem temperaturbeständigen Proteine ein
breites Anwendungsfeld.
Während für Nlr neben der SOR- auch SOD-Aktivität beschrieben wird, scheint ein
verwandtes Enzym, Desulfoferroredoxin (Dfx) allein SOR-aktiv zu sein.
5.2 Molekülbau von Rubredoxin
Clostridium-pasteurianum-Rubredoxin in der Eisen(III)-Form in 1.5 Å Auflösung (PDBEintrag: 1FHH, zum Vergleich die Eisen(II)-Form): 1FHM):
Rubredoxin ist ein sehr kleines Protein. Das dargestellte C.-pasteurianum-Enzym ist aus
nur 54 Aminosäuren aufgebaut. Vier deprotonierte Cystein-Reste koordinieren ein
Eisen(III)-Zentrum in einem mittleren Fe-S-Abstand von 2.27 Å. In der reduzierten Form
wird ein Mittelwert von 2.36 Å gefunden. Die Differenz von 0.09 Å ist im Vergleich mit
Modellverbindungen eher groß. Ein vergleichbares Paar von Pyrococcus-furiosusRubredoxin-Strukturen ergibt Mittelwerte von 2.27 und 2.32 Å. Die Differenz von 0.05 Å
23
entspricht hier derjenigen in niedermolekularen Thiolatoferraten; sie ist deutlich geringer
als die Differenz der Ionenradien für tetraedrisch koordiniertes Eisen(II/III) von 0.14 Å.
Die Struktur von Rd enthält ein konservatives Bauelement. Sowohl bei Rd als auch bei
vielen anderen Eisen-Schwefel-Proteinen werden die vier Cysteinat-Liganden meist von
zwei Cys-X-X-Cys-Motiven bereitgestellt. Für X können beliebige Aminosäuren auftreten,
charakteristisch ist jedoch die Zahl der verbrückenden Aminosäuren, die der
Klassifizierung von Rubredoxinen dient: Bei Typ-I-Rds liegen immer zwei Aminosäuren in
der Brücke vor, bei Typ-II-Rds gibt es neben einem Cys-X-X-Cys- auch ein Cys-X-X-X-XCys-Motiv. In C.-pasteurianum-Rd ergibt sich das folgende Bild (vom Rest des Enzyms ist
dünn nur die Proteinhauptkette dargestellt):
5.3 Rd als Elektronenüberträger
Das Potential von Rd beträgt ca. 0 V. Es entspricht damit ungefähr sowohl dem FeII/IIIPotential in wässriger Lösung als auch dem Potential vergleichbarer löslicher Komplexe
wie zum Beispiel [FeII/III(ox)3]4/3−. Alle diese Werte liegen erwartungsgemäß deutlich unter
dem Standardpotential im Sauren von +0.77 V. Die Steuerung eines Potentials durch die
24
Ladung der Liganden lässt sich bei Rd beispielhaft darstellen. [sor2] stellt in Figure 9 das
Potential von Rd-Mutanten über den möglichen pH-Bereich dar, in dem die Enzyme stabil
sind. Die einzelnen Mutanten sind Cys6Ser, Cys9Ser und Cys42Ser, es wurde also jeweils
eine eisenbindende Cystein-Position gegen Serin ausgetauscht:
Als Ergebnis wird ein pH-unabhängiges Potential für Wildtyp-Rd beobachtet, während die
Potentiale der Mutanten bei niedrigem pH-Wert mit ca. 0.06 V pro pH-Einheit abfallen,
bis sie zur Konstanz gelangen. Der Zahlenwert von 0.06 V pro pH-Einheit entspricht
gemäß der Nernstschen Gleichung einer Kopplung einer 1-Protonen-Übertragung an die
Übertragung von 1 Elektron. Dieselbe Abhängigkeit zeigt zum Beispiel das wässrige FeII/IIISystem im alkalischen Bereich. Berücksichtigt man die pKA-Werte der beteiligten Spezies,
indem man die Absenkung der pKA-Werte der freien Liganden (Cys 8.3, Ser ca. 15) bei
der Bindung an die beiden unterschiedlich Lewis-sauren Zentren Eisen(II) und Eisen(III)
berücksichtigt, so wird über weite Bereiche aus dem pH-unabhängigen Gleichgewicht
[FeII(SCys)4]2− ⇄ [FeIII(SCys)4]− + e−
das pH-abhängige Gleichgewicht
[FeII(HOSer)(SCys)3]− ⇄ [FeIII(OSer)(SCys)3]− + e− + H+
Es wird eine allgemeine Regel sichtbar, welche die Natur oft zur Abstimmung von
elektrochemischen Potentialen nutzt: anionische Liganden stabilisieren die höhere
Oxidationsstufe des Redoxpaars. Stabilisierung bedeutet Erniedrigung der Oxidationskraft
der höheren Oxidationsstufe, dies entspricht einem Absinken des elektrochemischen
Potentials.
Der Oxidationszustand von Rd lässt sich leicht durch UV/Vis-Spektroskopie verfolgen.
Rd-Spektren sind zum Beispiel in [sor1] abgebildet (Fig. 2; man beachte bei der
Abschätzung der Farbintensität die Konzentrationsangabe mM statt des üblichen M bei der
Ordinateneinteilung). Die starke Absorption der oxidierten Form im Grünen, die zur roten
Farbe des Enzyms führt (Rubredoxin von lat. rubrum, rot) ist ein LMCT-Übergang von
einem Thiolato-Ligand auf Eisen(III). Das Fehlen von Kristallfeldübergängen wird ebenso
diskutiert wie der Spinzustand der Eisenzentren.
25
5.4 Molekülbau von Neelaredoxin
Es liegen Strukturanalysen von Pyrococcus-furiosus-Neelaredoxin in der oxidierten und in
der reduzierten Form bei 2 Å Auflösung vor. Die reduzierte Form ist in 1DQK beschrieben.
Von den vier gleichartigen, je 124 Aminosäuren langen Proteinsträngen in der
asymmetrischen Einheit ist ein Strang dargestellt:
Das aktive Zentrum von Nlr in der reduzierten Form ist zusammen mit einem entfernten
Glutamat und einem Lysinrest dargestellt. Der Glutamat-Rest ist in der oxidierten Form an
Eisen gebunden, auf die mögliche Bedeutung des Lysinrestes wird beim Katalysecyclus
eingegangen:
26
Die oxidierte Form ist in 1DO6 niedergelegt. Bei zwei der vier Proteinstränge der
asymmetrischen Einheit ist das Eisen(III)-Atom im aktiven Zentrum sechsfach koordiniert:
27
5.5 Katalysecyclus
Das Fe(His)4Cys-Zentrum wird – auch in Anwesenheit von Sauerstoff – bei Nlr und Dfx
üblicherweise in der Eisen(II)-Form isoliert. Im Einklang hiermit ist das elektrochemische
Potential mit 0.2–0.3 V zu hoch, als dass Sauerstoff in einem 1-e-Schritt, also unter
Reduktion zu Superoxid, ein SOR-Zentrum in die dreiwertige Stufe oxidieren könnte. Das
SOR-Potential entspricht denjenigen von MnSOD und FeSOD. Im Einklang hiermit steht
die (allerdings umstrittene, siehe unten) SOD-Aktivität von Nlr. Nlr wird aufgrund der
Potentiallage erst durch die Anwesenheit von Rd, von dem es 1 Elektron aufnehmen kann,
zur SOR. (Im folgenden Schema bezieht sich die Nummerierung von Aminosäuren auf Nlr,
nicht Dfx.)
Bei Anwesenheit von Rd startet der Katalysecyclus mit der Eisen(II)-Form. Superoxid
bindet an die freie Koordinationsstelle des quadratisch-pyramidal koordinierten
Zentralatoms. Dieses wird zur dreiwertigen Stufe oxidiert, der Ligand ist nun eine PeroxidoGruppe. Unterstützt durch die Bindung eines entfernten Glutamats wird H2O2 abgespalten,
und das Enzymzentrum geht in die isolierbare, dreiwertige Ruheform über. Die Bindung
des entfernten Glutamats ist sehr auffällig und originell, scheint aber für die Funktion
des Enzyms keine besondere Bedeutung zu haben. Auch Mutanten ohne Glu14 haben
uneingeschränkte SOR-Aktivität [sor4]. (Im Widerspruch zu dieser Aussage ist allerdings
[sor3], wo eine Glu-Defektmutante die Untersuchung des nun längerlebigen PeroxidoKomplexes zulässt; das Ergebnis der Untersuchung ist die Formulierung als side-onPeroxido-Ligand.) Ist Rd vorhanden, findet im nächsten Schritt Reduktion in die
zweiwertige Ruheform statt. Ist der nächste Reaktand ein weiteres Superoxid-Ion, so
reduziert dieses an der Stelle von Rdred das Eisenzentrum. Anstatt Rdox verlässt bei
28
diesem SOD-Weg O2 den Cyclus. Die thermodynamisch mögliche SOD-Aktivität von
Neelaredoxin ist in der Literatur nicht unumstritten. Möglicherweise ändern weitere
Untersuchungen die Aussagen zum SOD-Zweig des Katalysecyclus.
Der Cyclus zeigt, dass für eine erfolgreiche Katalyse ein Proton-Shuttle zur Verfügung
stehen muss. Die derzeitige Vorstellung ist die, dass eines der beiden benötigten Protonen
über das nahe liegende Lys15 transportiert wird, während das zweite Proton direkt aus
der Umgebung stammt. Bei dieser Einschätzung wird die Exposition des aktiven Zentrums
berücksichtigt, das nahe an der Proteinoberfläche liegt. Ein zu Beginn protoniertes Lys15
dient als kationische Position der schnellen Weiterleitung der Superoxid-Anionen in das
aktive Zentrum.
5.6 high-spin-Eisenzentren in Rd und Nlr
Der Spinzustand der Eisenatome scheint während des gesamten Cyclus – auch in der
Peroxido-Form – high-spin zu sein. Die Aussage ist nicht völlig sicher, da Rechnungen
an einer end-on-gebundenen Hydroperoxido-Form auch den low-spin-Fall zulassen. Bis
das Gegenteil wahrscheinlicher ist, diskutieren wir die Elektrochemie des Nlr-Zentrums nur
für die high-spin-Situation. Diese ist für Rd aufgrund der tetraedrischen Koordination
des Fe(SCys)4-Zentrums und der Stellung von Thiolat in der spektrochemischen Reihe
sicher. Bei der Beurteilung des Rd-Zentrums als katalytisch aktivem Strukturelement ist die
high-spin-Situation kritisch zu sehen. Die Differenz der high-spin-Ionenradien von FeII und
FeIII ist nämlich mit 0.14 Å recht groß. Damit ist auch eine hohe Reorganisationsenergie
zu erwarten, die im Redoxprozess als Aktivierungsenergie erscheint. Eine nennenswerte
Aktivierungsschwelle widerspricht aber der Idee einer wirksamen Katalyse. Im Einklang
mit dieser Feststellung wurden bislang keine elektronenleitenden Zentren beschrieben,
die sich auf weitgehend ionische high-spin-Eisen(II/III)-Zentren stützen. Im Fall des
Rubredoxins ist die Kovalenz der Eisen-Schwefel-Bindungen zu beachten, die zu einer
hinreichend geringen Bindungslängenänderung führt.
5.7 Desulfoferrodoxin
Das ungewöhnliche quadratisch-pyramidale FeN4S-Zentrum von Nlr wurde in einem
weiteren Enzym gefunden, dem Desulfoferrodoxin (Dfx). Eine Strukturanalyse an
Desulfovibrio-desulfuricans-Dfx (1DFX) zeigt eine 125 Aminosäuren lange Proteinkette
und 2 einkernige Eisenzentren: ein Zentrum I, das einem Rubredoxin-Zentrum entspricht,
und ein Zentrum II, das dem aktiven Zentrum von Nlr gleicht. Da Unsicherheit über die
Funktion von zwei Eisenzentren herrscht, gehen wir in dieser Vorlesung vorerst nicht näher
auf Dfx ein.
29
Bei der Klausur … : Einfluss von Liganden auf elektrochemische Potentiale, Bedeutung
von Potentiallagen in Reaktionskaskaden, Reorganisationsenergie.
Spezielle Literatur
Rd trägt zur Superoxid-Reduktion bei: J. V. Rodrigues, I. A. Abreu, L. M. Saraiva, M.
Teixeira: Rubredoxin acts as an electron donor for neelaredoxin in Archaeoglobus fulgidus.
Biochem. Biophys. Res. Commun. 2005, 329 1300–1305 [sor1].
Potentiale und Spektren des Rd-Fe(SCys)4-Zentrums: Z. Xiao, M. J. Lavery, M. Ayhan,
S. D. B. Scrofani,M. C. J. Wilce, J. M. Guss, P. A. Tregloan, G. N. George, A. G. Wedd:
The Rubredoxin from Clostridium pasteurianum: Mutation of the Iron Cysteinyl Ligands to
Serine. Crystal and Molecular Structures of Oxidized and Dithionite-Treated Forms of the
Cys42Ser Mutant. J. Am. Chem. Soc. 1998, 120, 4135–4150 [sor2].
Das Fe(NHis)4(SCys)-Zentrum in Nlr und Dfx ist in beiden Oxidationsstufen highspin: O. Horner, J.-M. Mouesca, J.-L. Oddou, C. Jeandey, V. Nivière, T. A. Mattioli,
C. Mathé, M. Fontecave, P. Maldivi, P. Bonville, J. A. Halfen, J.-M. Latour: Mössbauer
Characterization of an Unusual High-Spin Side-On Peroxido-Fe3+ Species in the Active
Site of Superoxide Reductase from Desulfoarculus baarsii. Density Functional Calculations
on Related Models. Biochemistry 2004, 43, 8815–8825 [sor3].
SOR-Katalysecyclus: D. M. Kurtz, jr.: Microbial Detoxification of Superoxide: The NonHeme Iron Reductive Paradigm for Combating Oxidative Stress. Acc. Chem. Res. 2004,
37, 902–908 [sor4].
30
6
Anionische Liganden senken das
elektrochemische Potential: [2Fe-2S]Ferredoxine und Rieske-Zentren
[2Fe-2S]-Ferredoxine und Rieske-Zentren, beides verbreitete 1-ElektronenÜberträger, sind sowohl strukturell als auch hinsichtlich der Oxidationsstufen nah
verwandt – Rieske-Zentren übertragen jedoch bei deutlich höherem Potential 1
Elektron. Die Bedeutung der Ligandladung zur Steuerung des elektrochemsichen
Potentials lässt sich an diesem Enzympaar besonders deutlich herausarbeiten.
6.1 Chemie und Biochemie von [2Fe,2S]Ferredoxinen und Rieske-Zentren
[2Fe-2S]-Ferredoxine ([2Fe-2S]-Fds) sind ubiquitäre 1-Elektron-Überträger bei niedrigem
elektrochemischen Potential (ca. −0.4 bis −0.1 V). So übernehmen [2Fe-2S]-Fds in grünen
Pflanzen als lösliche Elektronenüberträger in den Chloroplasten Elektronen vom
Photosystem I. Auch Rieske-Zentren, die als Enzyme der Atmungskette und der
Photosynthese ebenfalls ubiquitär sind, geben jeweils 1 Elektron weiter, jedoch bei einem
höheren Potential von ca. +0.3 V.
6.2 Molekülbau von [2Fe-2S]-Ferredoxin
Oxidierte Form von [2Fe-2S]-Ferredoxin aus Spinacia oleracea (PDB-Eintrag: 1A70),
Auflösung: 1.7 Å:
31
Das aktive Zentrum besteht aus einer Fe2S2-Raute, deren Eisenatome durch jeweils zwei
Cysteinato-Liganden tetraedrische Koordination erreichen.
6.3 Molekülbau von Rieske-Zentren
Gezeigt ist die Struktur der löslichen Domäne des Rieske-Proteins II aus Sulfolobus
acidocaldarius in der Eisen(III)-Form (PDB-Eintrag: 1JM1), Auflösung: 1.1 Å:
32
Das aktive Zentrum moduliert das Bauprinzip der [2Fe-2S]-Fds, indem zwei CysteinatoLiganden in asymmetrischer Weise durch zwei Histidin-Liganden ersetzt sind:
Mittlere Atomabstände: im FeS4-Fragment: Fe-SCys 2.34, Fe-SSulfid 2.26; im FeS2N2Fragment: Fe-SSulfid 2.26, Fe-N 2.09 Å.
33
6.4 Oxidationsstufen
Beide Zentren reagieren auf demselben Oxidationsstufen-Niveau. [2Fe-2S]-Fds
katalysieren den Fluss eines Elektrons gemäß:
Cys2FeIIIS2FeIICys2 ⇄ Cys2FeIIIS2FeIIICys2 + e−
Rieske-Zentren verhalten sich gleich, wobei das redoxaktive Zentrum das FeN2S2Tetraeder ist:
Cys2FeIIIS2FeIIHis2 ⇄ Cys2FeIIIS2FeIIIHis2 + e−
Aus den im vorigen Kapitel abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten ergibt sich, dass sich in der
FeIIIFeII-Form das Eisen(III)-Atom im S4-Tetraeder befindet.
6.5 Synthese von Ferredoxin-Modellen [fd1]
Fe2S2-Cluster, vor allem aber Fe4S4-Cluster, lassen sich ohne sonderlichen Aufwand
synthetisieren. Neben der eigentlichen Motivation zur Synthese von Modellverbindungen
wie der genaueren Kenntnis struktureller, spektroskopischer oder magnetischer
Einzelheiten, wirft dies Licht auf Hypothesen zur Beteiligung von Eisensulfiden wie FeS
oder FeS2 bei der Entstehung des Lebens. Neben das Prinzip der genetischen Festlegung
tritt die Selbstorganisation funktionaler Baueinheiten, für die das Protein nur den äußeren
Rahmen schafft.
6.6 Biosynthese von [2Fe-2S]-Ferredoxinen [fd2]
Im Einklang mit der in-vitro-Synthese von Eisen-Schwefel-Clustern steht der Befund, dass
Apo-[2Fe-2S]-Fds durch Eisen(II) und Sulfid wieder zu Holo-[2Fe-2S]-Fds rekonstituiert
werden können. Diese Beobachtung gilt auch für die im nächsten Kapitel behandelten
häufigeren [4Fe-4S]-Fds. Vor diesem Hintergrund überrascht die komplexe Biosynthese
von Ferredoxinen. Die umfangreichste Information liegt für [2Fe-2S]-Zentren vor. Deren
Synthese scheint in Säuger-Mitochondrien mit einem Eisen(II)-transportierenden Protein
Frataxin (Ftx) zu beginnen, das Eisenatome auf einem Trägerprotein ISU (IS für Iron Sulfur,
U zur Unterscheidung von ISU von anderen Proteinen des IS-Operons) ablegt. Durch zu
Persulfiden aufgebaute Cysteine wird den Eisenatomen Sulfid zugefügt; die Ladung des
Fe2S2-Clusters wird durch ein Fd eingestellt. Schließlich wird der intakte Fe2S2-Cluster
auf Apo-Fd übertragen. Die Vorstellungen zum Holo-Fd-Aufbau sind zur Zeit nicht durch
Kristallstrukturanalysen eines IS-Proteins oder von Fe-beladenem Ftx gestützt. Die auf
den ersten Blick mit der aufwendigen Fd-Biossynthese kaum vereinbare Hypothese, dass
34
archaische Eisen-Schwefel-Cluster durch Selbstorganisation entstanden sein könnten,
gewinnt an Plausibilität, wenn Anaerobier und deren höhere Eisen(II)-Toleranz mit
aerobem Lebem verglichen werden. Erst die Anwesenheit des in der Uratmosphäre nicht
vorhandenen Sauerstoffs lässt Eisen(II) brisant werden (Superoxid-Bildung, FentonReaktionen).
Bei der Klausur … : Kristallfeldaufspaltung im Tetraederfall, Auswahlregeln in
Elektronenspektren, charge-transfer-Übergänge, pH-Abhängigkeit elektrochemischer
Potentiale, Stabilisierung hoher/niedriger Oxidationsstufen.
Verwendete Literatur: siehe Lehreinheit „[4Fe,4S]-Ferredoxine und Aconitase“.
35
7
Ein Blick in die Evolution: [4Fe-4S]-
Ferredoxine, HP-Proteine und Aconitase
Die Delokalisiation der Oxidationszustände in [4Fe-4S]-Redoxproteinen geht mit
kaum messbaren Änderungen der Struktur der Cluster im reduzierten und oxidierten
Zustand einher. Die Reorganisationsenergie ist entsprechend klein und die Katalyse
wirksam. Auch Fe4S4-Zentren werden in heutigen Organismen durch Proteine
biosynthetisiert. Zugleich fällt bei Modellierungsstudien ihre hohe Bildungstendenz
durch Selbstorganisation auf: der an vier Thiolate gebundene FeII2FeIII2S4-Kern
der oxidierten Form eines Ferredoxins entsteht bereitwillig sowohl aus den
Komponenten, aber auch bei Versuchen, den zweikernigen [(RS)2FeIIS2FeIII(SR)2]3−Cluster zu synthetisieren unter Thiolat-Freisetzung. Vor dem Hintergrund dieser
hohen Bildungstendenz wird über die Bedeutung von Eisen-Schwefel-Clustern bei
der Entstehung des Lebens in der reduzierenden Uratmosphäre spekuliert. Dazu
gehört auch die Nutzung dieses früh verfügbaren Zentrums für unterschiedliche
Aufgaben. So erledigt noch heute ein vierkerniger Eisen-Schwefel-Cluster nach
geringfügiger Anpassung des Baumotivs eine typische „Zink-Aufgabe“: Aconitase,
ein metallabhängiges Metalloenzym.
7.1 Chemie und Biochemie von [4Fe-4S]Ferredoxinen und HP-Proteinen
[4Fe-4S]-Cluster sind Ferredoxin oder HP-Protein. [4Fe-4S]-Fds sind die ubiquitären
1-Elektronen-Schaltstellen in Mitochondrien und Chloroplasten bei niedrigem
elektrochemischen Potential. Sie treten nach dem folgenden Schema entweder zwischen
den Valenzzuständen Fdred/Fdox oder HPred/HPox auf, bisher wurden jedoch noch keine
[4Fe-4S]-Cluster gefunden, die als 2-Elektronen-Überträger beide Stufen umfassen.
36
Als „Ferredoxine“ werden üblicherweise nur Proteine beschrieben, in denen das
Redoxpaar bei niedrigem Potential realisiert ist. Das Redoxpaar bei hohem Potential bildet
die Stufe der HP-Proteine, der High Potential Iron Proteins, in manchen Publikationen auch
„HiPIPs“ abgekürzt.
Im Gegensatz zu den [2Fe-2S]-Fds liegen in [4Fe-4S]-Proteinen keine lokalisierten
Valenzzustände vor. Im Einklang hiermit ist die Reorganisationsenergie von [4Fe-4S]Clustern kleiner als die der dinuklearen Zentren [fd3].
7.2 Molekülbau von [4Fe-4S]-Ferredoxinen
Dargestellt ist eine hochaufgelöste (1 Å) Strukturanalyse an der oxidierten [4Fe-4S]2+Form von Bacillus-thermoproteolyticus-Fd (PDB-Code: 1IRO; ein HP-Protein ist zum
Beispiel in 1IUA hinterlegt. Die Proteinstränge sind mit 80 (1IRO) bzw. 82 Aminosäuren
(1IUA) sehr kurz:
Das aktive Zentrum zeigt die starke Abweichung von einem idealisierten Würfel. Der
mittlere Fe-S-Abstand beträgt 2.27 Å. Wie schon Typ-I-Rubredoxine enthalten auch
[4Fe-4S]-Ferredoxine durch zwei Aminosäuren getrennte Cysteine. So enthält 1IRO ein
Cys-XX-Cys-XX-Cys-Muster:
37
7.3 Chemie und Biochemie der Aconitase
Aconitase ist ein Enzym des Citrat-Cyclus. Sie katalysiert die Isomerisierung von Citrat
zu Isocitrat durch Dehydratisierung zu cis-Aconitat und anschließender Re-Hydratisierung
(Formeln siehe bei „Katalysecyclus“).
7.4 Molekülbau von Aconitase
Bei der Aconitase ist der seltene Fall realisiert, dass fast alle Schritte des Katalysecyclus
durch Strukturanalysen gefasst sind. Das Holoenzym ist erheblich komplexer als ein
Ferredoxin. Abgebildet ist die Ser642Ala-Mutante von Rindermitochondrien-Aconitase,
deren Proteinkette 753 Aminosäuren lang ist. (1.8 Å Auflösung, PDB-Eintrag: 1C96):
38
Der Fe3S4-Cluster im unvollständigen, inaktiven Zentrum von
Schweinemitochondrien-Aconitase (2.1 Å Auflösung, PDB-Eintrag: 5ACN):
nativer
Der Eisen-Schwefel-Cluster nach der Rekonstitution mit Eisen(II); an das locker
gebundene Eisen koordiniert ein Aqua-Ligand (2.1 Å Auflösung, PDB-Eintrag: 6ACN):
39
Ein Substrat-Enzym-Komplex konnte bei der oben als Holoenzym dargestellten, funktionell
stark eingeschränkten Ser642Ala-Mutante von Rindermitochondrien-Aconitase kristallisiert
werden. Citrat bindet als Chelatligand mit einer Carboxylat- und der alkoholischen
Hydroxy-Funktion:
Dieselbe Ser642Ala-Mutante von Rindermitochondrien-Aconitase mit gebundenem
Isocitrat (2 Å Auflösung, PDB-Eintrag: 1C97):
40
7.5 Katalysecyclus
Der Katalysecyclus beginnt nach der Citrat-Anlagerung mit der Deprotonierung am
Kohlenstoffgerüst durch eine Base, die meist als Serinat-642 angesehen wird. Das
anschließend gebildete cis-Aconitat verschiebt seine Metallbindungsstelle, was ungefähr
einer 180°-Drehung des Substrats im Enzymzentrum entspricht. Die Re-Hydratisierung
führt zum Produkt Isocitrat.
41
Bei der Klausur … : Selbstorganisation, Mustererkennung, Spinkopplung in Clustern mit
Brückenliganden, Superaustausch.
Zitierte Literatur
P. Venkateswara Rao, R. H. Holm: Synthetic Analogues of the Active Sites of Iron–Sulfur
Proteins. Chem. Rev. 2004, 104, 527–559 [fd1].
J. B. Broderick: Iron-Sulfur Clusters in Enzyme Catalysis, CCC 8, 739–757 (740–747).
S. S. Mansy, J. A. Cowan: Iron-Sulfur Cluster Biosynthesis: Toward an Understanding
of Cellular Machinery and Molecular Mechanism. Acc. Chem. Res. 2004, 37, 719–725
[fd2].
M.-L. Tan, E. A. Dolan, T. Ichiye: Understanding Intramolecular Electron Transfer in
Ferredoxin: A Molecular Dynamics Study. J. Phys. Chem. B 2004, 108, 20435–20441
[fd3].
42
8
Ein Strukturelement – viele Funktionen:
Oxidodieisenzentren in löslicher MethanMonooxygenase und Hämerythrin
Das Prinzip "ein Strukturelement – viele Funktionen" ist in der Natur verbreitet. Wir
vergleichen hierzu Oxidodieisen-Zentren in löslicher Methan-Monooxygenase und
im Sauerstoff-Transporter Hämerythrin (Hr). Methanotrope Bakterien, die Methan
als einzige Kohlenstoffquelle benutzen können, verfügen mit der HydroxylaseKomponente (sMMOH) des Enzymkomplexes in der löslichen MethanMonooxygenase (sMMO) über Oxidodieisen-Zentren, an denen Methan durch
Sauerstoff zu Methanol oxygeniert wird. Es ist verblüffend, dass eine nicht-triviale
Reaktion wie die C-H-Aktivierung durch ein unspektakulär ausgestattetes
zweikerniges Eisenzentrum katalysiert wird. Spektakulär ist hingegen die
Beobachtung, dass im Katalysecyclus offensichtlich die Oxidationstufe +IV an den
beiden Eisenatomen durchlaufen wird. Trotz der strukturellen Verwandtschaft erfüllt
das sauerstoff-transportierende Oxidodieisen-Zentrum in Hr eine völlig
unterschiedliche Aufgabe. Voraussetzung für die Enzymfunktion ist, dass ein
höheres Redoxpotential realisiert ist als es dem Standardpotential des Eisen(II/III)Halbelements bei pH 7 entspricht, dass zugleich aber die vierwertige Stufe nicht
stabilisiert sein sollte.
8.1 Chemie und Biochemie von Hämerythrin
Hr ist der Sauerstofftransporter wirbelloser Meerestiere.
8.2 Molekülbau von Hämerythrin (Hr)
Hr ist sowohl im unbeladenen als auch im O2-beladenen Zustand kristallographisch
charakterisiert. Hr ist ein kleines Protein mit 113 Aminosäuren, die in charakteristischer
Weise einen Stapel aus vier α-Helices bilden. Gezeigt ist dies am Beispiel des
Hämerythrins von Themiste dyscritum, eines im Meer lebenden Wurms, das im beladenen
43
(PDB-Code 1HMO) und unbeladenen Zustand (PDB-Code 1HMD) mit einer Auflösung
von jeweils 2 Å analysiert wurde. Abgebildet sind zwei Ansichten des Säulenstapels der
unbeladenen Form:
44
Das aktive Zentrum weist eine freie Koordinationsstelle auf; die Ligandausstattung besteht
aus fünf His-Seitenketten, einem verbrückenden Hydroxido-Ligand, 1 Asp und 1 Glu:
An diese Position bindet im beladenen Zustand das O2-Molekül
8.3 Sauerstoff-Transport
Quantenchemische Rechnungen zeigen, dass die Sauerstoff-Anlagerung ein RedoxProzess ist, der durch eine Protonenverschiebung begleitet wird: Durch den Übertrag
von zwei Elektronen entstehen zwei Eisen(III)-Zentren und ein Peroxid-Ion. Das Anion
nimmt das Proton des verbrückenden Hydroxido-Liganden auf und betätigt eine
Wasserstoffbrückenbindung zum gebildeten Oxido-Ligand. Bei der Freisetzung verlaufen
die umgekehrten Vorgänge, Eisen(III) muss Peroxid zu Sauerstoff oxidieren können. Das
Standardpotential in saurer Lösung für die Peroxid-Oxidation beträgt 0.7 V, bei pH 7
ergibt sich 0.3 V. Ohne Liganden beträgt das Eisen(II,III)-Potential bei pH 7 ca. 0 V, eine
Sauerstoff-Freisetzung wäre unter diesen Bedingungen nicht möglich. Hr ist ein weiteres
45
Beispiel, wie eine größere Zahl von His-Liganden das elektrochemische Potential so weit
erhöht, dass die benötigte Oxidationskraft der oxidierten Form zur Verfügung steht.
Bei der magnetischen Untersuchung beider Hr-Formen fällt die antiferromagnetische
Kopplung der spintragenden Eisenzentren auf (J = −13 und −77 cm−1 für deoxy- und oxyHr), die aufgrund der Strukturparameter auch erwartet werden darf [hr1].
8.4 Chemie und Biochemie von
Methanmonooxygenase
Methanotrophe Bakterien leben von Methan als einziger Kohlenstoffquelle. Im ersten
Schritt der Methan-Verstoffwechselung wird dieses zu Methanol oxygeniert. Der diese
Umsetzung
ermöglichende
Enzymkomplex,
die
membrangebundene
Methanmonooxygenase (pMMO, „p“ für „particulate“), war hinsichtlich seiner
Zusammensetzung lange unbekannt. Erst kürzlich bestätigte eine erste Strukturanalyse
die Vermutung, dass im aktiven Zentrum Kupfer vorliegt [mmo4]. Bei Kupfermangel bilden
die Bakterien die erheblich besser untersuchte lösliche Methanmonooxygenase (sMMO),
deren Hydroxylasekomponente zur Klasse der Oxidodieisen-Enzyme gehört. Die
katalysierte Reaktion ist der formale Einschub eines O-Atoms eines O2-Moleküls in eine
C–H-Bindung unter Reduktion des zweiten O-Atoms:
CH4 + NADH + H+ + O2 → CH3OH + NAD+ + H2O
Das Zusammenspiel der Hydroxylasekomponente mit den übrigen Enzymen des sMMOKomplexes ist in [mmo1] dargestellt.
8.5 Molekülbau der Hydroxylase-Komponente
(sMMOH) der löslichen Methanmonooxygenase
(sMMO)
Gezeigt ist die Ruheform des Enzyms (die FeIIIFeIII-Form) sowie die reaktionsbereite
reduzierte FeIIFeII-Form von Methylococcus-capsulatus-sMMOH in einer Auflösung von
jeweils 2.1 Å (PDB-Code 1FZ1). MMOH ist mit ca. 360 Aminosäuren ein größeres Protein:
46
Das aktive Zentrum liegt ungewöhnlich tief im Inneren des durch zahlreiche α-HelixAbschnitte verdichteten, für große und polare Substrate kaum zugänglichen Proteins. Die
terminalen Liganden der FeIIIFeIII-Form sind beim linken Eisenatom 1 His, 1 Glu und ein
Wassermolekül, beim rechten Fe-Zentrum 1 His und 2 Glu. Verbrückende Liganden sind 2
OH und 1 O,O'-Glu. Damit stehen der Ladung 6+ der beiden Eisen(III)-Atome die Ladung
6− auf der Seite der Liganden gegenüber – im hydrophoben aktiven Zentrum ist damit ein
ionischer Zustand vermieden:
47
Das aktive Zentrum der reduzierten FeIIFeII-Form (PDB-Code 1FYZ) weist als terminale
Liganden beim linken Eisenatom 1 His, 1 Glu und ein Wassermolekül, beim rechten FeZentrum ebenfalls 1 His und 1 Glu auf. Verbrückende Liganden sind 1 H2O, 1 O,O'-Glu und
ein weiteres Glu in einem ungewöhnlichen Bindungsmodus, nämlich als (μ-O),O'-Ligand;
in diesem Bindungsmodus hat das verbrückende O-Atom die Rolle eines der beiden
Hydroxido-Liganden der oxidierten Form übernommen. Auch das reduzierte Zentrum ist
elektroneutral:
Die Struktur der aktiven Zentren in verschiedenen Eisen-sMMOHs ist in [mmo1]-Abb. 4
zusammengestellt (A–D: die oxidierte Ruheform, E und F die reaktionsbereite reduzierte
Form).
48
8.6 Katalyse
Die FeIIFeII-Form wird durch die Umsetzung mit einem Molekül O2 in die FeIV(μ-O)2FeIVForm überführt; vgl. [dft1]-Figure 31, [mmo2]-Figure 14 und [mmo3]-Table 5. Der
stabilste Spinzustand scheint antiferromagnetisch-high-spin zu sein. In diesem Zustand
erfolgt die Methananlagerung an einen der μ-Oxido-Liganden. Ein möglicher Weg der
Oxygenierung besteht dann in der Übertragung eines Methan-H-Atoms auf den μ-OxidoLiganden unter Bildung eines FeIII(μ-OH)(μ-O)FeIV-Zentrums und anschließender Bindung
des Methylradikals an den Oxido/Hydroxido-Liganden, wobei ein FeIII(μ-OH)(μ-OMe)FeIIIFragment entsteht [mmo3]-Figure 14.
Bei der Klausur … : Bedeutung der Elektrostatik bei der Abschätzung des
Redoxpotentials; Stabilisierung hoher Oxidationsstufen durch anionische Liganden.
Zitierte Literatur
Zur antiferromagnetischen Spinkopplung in Hr: M. Shoji, Y. Nishiyama, Y. Maruno, K.
Koizumi, Y. Kitagawa, S. Yamanaka, T. Kawakami, M. Okumura, K. Yamaguchi: Theory
of Chemical Bonds in Metalloenzymes I: Analytical and Hybrid-DFT Studies on Oxo and
Hydroxo Diiron Cores. Int. J. Quantum Chem. 2004, 100, 887–906 [hr1].
L. Noodleman, T. Lovell, W. Han, J. Li, F. Himo: Quantum Chemical Studies of
Intermediates and Reaction Pathways in Selected Enzymes and Catalytic Synthetic
Systems. Chem. Rev. 2004, 104, 459–508 [dft1].
Gute Übersicht über das sMMO-Thema (für aktuelle Vorstellungen zu elektronischen
Zuständen und Reaktionsschritten aber die neueren Arbeiten benutzen): M. Merkx, D.
A. Kopp, M. H. Sazinsky, J. L. Blazyk, J. Müller, S. J. Lippard: Aktivierung von Disauerstoff
und Hydroxylierung von Methan durch lösliche Methan-Monooxygenase: eine Geschichte
von zwei Eisenatomen und drei Proteinen. Angew. Chem. 2001, 113, 2860–2888 [mmo1].
T. Lovell, F. Himo, W.-G. Han, L. Noodleman: Density functional methods applied to
metalloenzymes. Coord. Chem. Rev. 2003, 238–239, 211–232 [mmo2].
M.-H. Baik, M. Newcomb, R. A. Friesner, S. J. Lippard: Mechanistic Studies on the
Hydroxylation of Methane by Methane Monooxygenase. Chem. Rev. 2003, 103,
2385–2419 [mmo3].
Die erste Strukturanalyse an pMMO: R. L. Lieberman, A. C. Rosenzweig: Crystal
structure of a membrane-bound metalloenzyme that catalyses the biological oxidation of
methane. Nature 2005, 434, 177–182 [mmo4].
49
9
Einschub: Bioliganden
Die bisher behandelten Enzymzentren haben eine Gemeinsamkeit: Als Liganden traten
stets die Seitenketten von proteinogenen Aminosäuren auf. Lediglich bei einem Beispiel
– der Urease – war eine solche Seitenkette geringfügig modifiziert. Da nur einige der 20
proteinogenen Aminosäuren geeignete funktionelle Gruppen tragen, ist in einem Protein
die Zahl der metallbindenden Aminosäuren sehr beschränkt. Die wichtigsten Liganden
sind:
9.1 Histidin
Histidin ist unter den häufig vorkommenden Liganden (His, Asp, Glu, Cys, Tyr) der einzige
Neutral-Ligand, alle übrigen sind Anionen. His stabilisiert daher als einziger Ligand nicht
die höherwertige Stufe eines Redoxpaares. Das Potential eines Redox-Zentrums steigt
daher mit der Zahl der His-Liganden. Der pKA-Wert des Histidins liegt bei 14.4, so dass
gegenüber stark Lewis-sauren Metallzentren seitenketten-deprotoniertes His als
zweizähniger, anionischer Ligand auftreten könnte. Dieser Bindungsmodus ist jedoch
selten, im Rahmen dieser Vorlesung kommt er nur bei CuZnSOD vor.
50
Im einzähnigen Neutral-Ligand-Modus werden beide Tautomere gefunden (δ und ε
beziehen sich auf den kürzesten Weg, auf dem man vom α-C-Atom aus das jeweilige NAtom erreichen kann).
Neben der Funktion als Ligand findet sich nicht-metallgebundenes Histidin oft in der
Rolle eines „proton shuttles“, der in einem Katalysecyclus Protonen leicht aufnehmen
und abgeben kann. Der pKA-Wert des Histidinium-Kations von 6.0 zeigt, dass Histidin
beim physiologischen pH weitgehend nicht-protoniert vorliegt, aber leicht Protonen von
stärkeren Säuren als Wasser (pKA = 15.7) aufnehmen kann. Wäre Histidin nur geringfügig
basischer, würde es im physiologischen Milieu als Kation vorliegen.
9.2 Aspartat und Glutamat
Die pKA-Werte von Asparaginsäure und Glutaminsäure betragen 3.9 und 4.1. Bei
physiologischem pH liegen also auch ohne Metallunterstützung die Anionen vor.
9.3 Cysteinat
Der pKA-Wert der Thiolfunktion des Cysteins ist mit 8.3 deutlich höher als bei den
Carboxylfunktionen von Asp und Glu. Bei physiologischem pH liegt die Seitenkette daher in
der neutralen, nicht-deprotonierten Form vor. Als Ligand tritt diese jedoch nicht auf. Durch
die Bindung an die Lewis-sauren Zink-, Nickel(II), Eisen(II)- und Eisen(III)-Zentren – die
wichtigsten Bindungspartner des Cysteins – wird das Cysteinat-Anion stabilisiert.
51
9.4 Tyrosinat
Tyrosin ist noch sauer genug, um nach Bindung an ein Lewis-acides Metallzentrum als
deprotonierter Ligand aufzutreten (pKA(TyrH) = 10.1). Unter den hier zusammengestellten
Seitenketten-Liganden erfüllt Tyrosinat am wenigsten die Forderung nach einem
„unschuldigen“ Liganden (engl. innocent ligand oder spectator ligand), der das
Zentralmetall bestenfalls durch seine Ladung beeinflusst. Tyrosin ist vielmehr leicht zum
Tyrosyl-Radikal oxidierbar, das seinerseits als Ligand wirken kann. Tyrosin-Komplexe
zählen daher potentiell zu einer Substanzklasse, die in der jüngsten Vergangenheit auch
außerhalb der Bioanorganischen Chemie immer größeres Interesse auf sich zieht, den
Komplexen mit radikalischen Liganden.
9.5 Methionin
Methionin-Liganden kommen in den Cytochromen vor, wo sie die Koordinationssphäre
von Häm-Eisen-Zentren vervollständigen sowie im Plastocyanin. Ansonsten ist dieser
52
Thioether als Ligand bei weitem nicht so verbreitet wie die vorgenannten AminosäureSeitenketten.
Die Ligandeigenschaften dieser Seitenketten entsprechen denen geläufiger Liganden wie
Pyridin oder Acetat. Die Chemie der von diesen Aminosäuren gebildeten aktiven Zentren
erinnert daher stark an die Komplexchemie einfacher Werner-Komplexe. Die Modulation
der Komplexeigenschaften erfolgt durch Variation unspektakulärer Parameter wie der
Koordinationsgeometrie, der elektrostatischen Situation des Metalls oder der Nuclearität
des Zentrums.
9.6 Porphyrin-Liganden
Eine neue Dimension wird bei den Häm-Zentren erschlossen. Porphyrine sind Liganden,
die neben den bislang untersuchten high-spin-Systemen auch low-spin-Zustände
stabilisieren können. In den zuerst behandelten Proteinen Myoglobin, Hämoglobin und
Häm-Peroxidase ist der Porphyrin-Kern durch Methyl-, Vinyl- und Carboxyethyl-Reste
substituiert. Die Formel zeigt dieses Protoporphyrin IX von der distalen Seite (in den
gezeigten Proteinstrukturen von oben).
53
54
10
High- und low-spin-Eisen: Myoglobin
und Hämoglobin
Im Hämoglobin des Blutes und im Myoglobin des Muskels nutzt die Natur einen
high-spin-Eisen(II)––low-spin-Eisen(II)-Übergang, um das Metallzentrum zu einem
Sauerstoff-Transporter zu machen. Bei einem high-spin––low-spin-Übergang geht
es nicht um kleine Effekte geht, sondern es treten strukturell und energetisch
drastische Veränderungen auf – es liegt ein molekularer Schalter vor.
Nomenklatur
In der Häm-Biochemie sind einige Abkürzungen üblich, die auch hier verwendet werden.
Ein geläufiges System bezeichnet mit Mb und Hb nur die Proteine im allgemeinen und
definiert den jeweiligen Zustand durch vorangestellte Symbole. Die nicht-oxygenierte
Eisen(II)-Form ist dann deoxyMb und deoxyHb. Durch die Anlagerung von Sauerstoff
entsteht oxyMb und oxyHb. 1-e-Oxidation führt zu den nicht-O2-bindenden Eisen(III)Formen metMb und metHb.
In diesem System lassen sich andere Addukte nicht gut darstellen. In Arbeiten, die sich mit
der Anlagerung zum Beispiel von CO oder NO befassen, wird oft wie folgt abgekürzt: Aus
deoxyMb und oxyMb wird Mb und MbO2, metMb bleibt erhalten. Die neuen Addukte heißen
dann MbNO und MbCO, der Leser muss also wissen, dass Eisen(II) gemeint ist. Werden
die Abkürzungsschemata vermischt, ist das Resultat meist selbsterklärend, lediglich bei
NO-Komplexen ist Vorsicht geboten.
10.1 Chemie und Biochemie von Hämoglobin (Hb)
und Myoglobin (Mb)
Der Weg des Sauerstoffs von der Lunge bis in die Mitochondrien beginnt mit der Bindung
an Hämoglobin. In den Muskelzellen erfolgt die Übergabe an Myoglobin, das eine größere
Bindungskonstante für O2 als Hb hat. Von diesem wird das Sauerstoffmolekül schließlich
an Cytochrom-c-Oxidase (CcO) übertragen, bei dem die Sauerstoffaffinität den größten
Wert erreicht. Im aktiven Zentrum von CcO, dem letzten Enzym der Atmungskette, wird
Sauerstoff zu Wasser reduziert. Die Sauerstofftransportenzyme Hb und Mb kommen bei
55
allen Wirbeltieren und vielen Wirbellosen vor. Das Mengenverhältnis von Mb zu Hb ist
zwischen den Organismen sehr verschieden. Besonders große Mb-Mengen werden von
im Wasser lebenden lungenatmenden Tieren genutzt, um viel Sauerstoff für lange
Tauchgänge speichern zu können. So können Wale und Robben aufgrund ihres hohen MbSpiegels ca. ½ h unter Wasser bleiben. Das in der Biochemie allgegenwärtige Pottwal-Mb
(engl. sperm whale myoglobin) erklärt sich aus der hohen Verfügbarkeit dieses Proteins.
Beide Transportenzyme sind nur dann in der Lage Sauerstoff zu binden, wenn das
Eisenzentrum in der Oxidationsstufe +II vorliegt (deoxyMb und deoxyHb). Oxidation zur
dreiwertigen Stufe unter Bildung von metMb oder metHb führt zur Desaktivierung.
Eine neu entdeckte Funktion von Enzymen der Mb- und Hb-Familie scheint die Beseitigung
von NO zu sein. Mbs and Hbs können NO zu Nitrat oxidieren. Ausgehend von oxyMb oder
oxyHb, deren FeII-O2-Fragment sich hierbei wie eine FeIII-O2•−-Funktion verhält (siehe
auch weiter unten), lässt sich die Umsetzung gemäß
NO + O2•− = NO3−
formulieren, wobei metMb oder metHb zurückbleibt und anschließend durch eine 1-eReduktion wieder in den zweiwertigen Ausgangszustand überführt werden muss [heme4].
Häm-Proteine traten in der Evolution weit vor dem Aufkommen von Sauerstoff in der
Atmosphäre auf. Die NO-bindenden Eigenschaften haben zu der Hypothese geführt, dass
das „Ur-Hämoglobin“, dessen Entstehung vor ca. 3.5 Milliarden Jahren vermutet wird, dem
NO-Stoffwechsel diente und dass der O2-Transport eine erst später evolvierte Eigenschaft
ist.
10.2 deoxyMb
Mb ist ein 153 Aminosäuren langes Protein, das durch acht α-Helices dominiert ist. Eine
hydrophobe Tasche des Apoproteins enthält einen Eisen(II)-Protoporphyrin-IX-Komplex
(Häm b) ohne kovalente Anbindung des Porphyrins nur über einen His-Fe-Kontakt (siehe
Abbildung bei oxyMb). Das unmittelbar an Eisen gebundene His ist das „proximale“ His
(His93, oft als F8 adressiert [8. Aminosäure auf α-Helix F]). Auf der anderen Häm-Seite
liegt die O2-Bindungsstelle. Hier wird in der Regel ein weiteres His gefunden, das „distale“
His (His64 oder E7), das in passender Entfernung zum Häm lokalisiert ist, um als N-HDonor eine Wasserstoffbrückenbindung zu H-Brücken-Akzeptoren aufbauen zu können.
Das Bild zeigt deoxy-Mb bei hoher Auflösung (1 Å), PDB-Code 1A6N. Das distale His
wird fehlgeordnet gefunden, das auf der distalen Seite eingezeichnete Wassermolekül ist
in unterbesetzter Lage. Aufgrund der für Wasserstoffbrückenbindungen typischen N···OAbstände zwischen der Wasserlage und dem distalen His (2.76 Å) sowie der Wasserlage
und einem der vier Porphyrin-Stickstoffatome (2.74 Å) lässt sich die Fehlordnung des
distalen His verstehen: in einem Teil der den Kristall bildenden Mb-Moleküle fehlt das
einzelne Wassermolekül auf der distalen Seite. Dies ist verständlich, da es außer den
56
beiden N···O-Kontakten keine weiteren Bindungsmöglichkeiten für den Wasser-Dipol gibt
– der distale Hohlraum ist außer von His nur von hydrophoben Seitenketten ausgekleidet
(siehe unten). Das distale His nimmt die linke Position aber nur bei Anwesenheit von
Wasser ein. Fehlt das Wassermolekül, bewegt sich das distale His nach rechts in Richtung
auf den Proteinrand, wo es einen nicht gezeigten Kontakt zu einem Wassermolekül
außerhalb der O2-Bindungstasche aufbauen kann.
Das Eisen(II)-Zentrum in deoxyMb liegt im S=2-Grundzustand vor, es ist ein high-spinZentrum.
10.3 oxyMb
Auch die Struktur von oxyMb liegt in hoher Auflösung vor (PDB-Code 1A6M). Der Blick auf
das Holoenzym zeigt die Lage des Häms in einer von α-Helices gebildeten Tasche. Die
α-Helices sind in der üblichen Weise bezeichnet:
57
Im aktiven Zentrum ist ein Sauerstoffmolekül gebunden, dessen weitere Umgebung mit
Ausnahme des distalen His nur aus hydrophoben Seitenketten besteht:
58
Die Wechselwirkung zwischen dem distalen His und O2 wird deutlicher, wenn der
Betrachter von der linken Seite in das aktive Zentrum hineinschaut:
59
Das distale His ist Donor einer Wasserstoffbrückenbindung zum terminalen O-Atom des
O2-Liganden. Die N–H···O-Bindung ist nicht die Ursache der gewinkelten Fe-O-OAnordnung, sie nutzt diese jedoch zum Aufbau der zusätzlichen Wechselwirkung und
erhöht so die Bindungskonstante für O2.
oxyMb liegt im Singulett-Grundzustand vor, was Pauling zu der Schlussfolgerung
veranlasste, oxyMn sei ein low-spin-Eisen(II)-Komplex.
10.4 MbCO
Die Stabilisierung des O2-Komplexes durch die H-Brückenbindung zum distalen His
scheint der wesentliche Grund für die relativ geringe CO-Affinität von Mb und Hb zu
sein. Während isoliertes Häm CO ca. 105 mal wirksamer bindet als O2, so ist dieses
Verhältnis bei Mb und Hb um den Faktor 1000 geringer. Eine dann 100-fache Affinität zu
CO weist Kohlenmonoxid immer noch als giftiges Gas aus, wenn es in unphysiologisch
hoher Konzentration eingeatmet wird. Die zum Beispiel beim Häm-Abbau entstehende
geringe physiologisch gebildete CO-Menge jedoch verliert bei diesem Verhältnis der
Bindungskonstanten die Fähigkeit, Mb oder Hb zu blockieren.
Es liegen zahlreiche Strukturanalysen zur Bindung von CO an Mb vor. Die Leu29TrpMutante von Pottwal-Mb, bei welcher der hydrophobe Raum auf der distalen Seite durch
die Mutation verkleinert ist, wurde detailliert untersucht. Das CO-Addukt (PDB-Code 1DO1)
zeigt ein nur geringfügig abgewinkeltes Fe-C-O-Fragment:
60
Im Vergleich mit dem oxyMb-Zentrum ist das distale His nun nach rechts gedrängt,
die Ausrichtung einer N-H-Funktion auf CO ist nicht gegeben. Lange Zeit wurden die
beiden letzten Bilder so interpretiert, dass CO das distale His unter nennenswertem
Energieaufwand zur Seite schiebt, woraus eine verminderte Bindungskonstante resultiert
hätte. Aktuelle Untersuchungen haben diese Vorstellung nicht bestätigt. Das terminale
O-Atom von O2 scheint im Vergleich mit dem O-Atom des Kohlenmonoxids vielmehr
der deutlich bessere H-Brückenbindungs-Akzeptor zu sein. Die Bindung zu CO ist also
nicht durch sterische Belastung besonders destabilisiert, die Bindung zu O2 ist vielmehr
besonders stabil. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Natur eine höhere negative
Beladung des terminalen Atoms des O2-Liganden gegenüber dem CO-Sauerstoffatom für
eine starke H-Brückenbindung nutzt. Diese Schlussfolgerung leitet zu einem Vergleich der
Bindungsverhältnisse in oxyMb und MbCO über, die eine Gemeinsamkeit verbindet: beide
Komplexe liegen im Singulett-Grundzustand vor.
10.5 FeIII–O2•− oder FeII–O2?
Die O2-Addukte oxyMb und oxyHb sind diamagnetisch. Die Formulierung eines HämO2-Komplexes mit einem S=0-Grundzustand bereitet Probleme. Der auf Pauling
zurückgehende älteste Versuch einer Deutung sieht oxyMb und oxyHb als low-spinEisen(II)-Zentren, an die ein Singulett-O2-Ligand koordiniert. Die Kontroverse um diese
Formulierung der Häm-O2-Bindung ist alt. Weiss schlug als Alternative zur Annahme
von Singulett-Sauerstoff einen Hyperoxido-low-spin-Eisen(III)-Komplex vor. Die Annahme
eines anionischen Liganden würde dabei das Verhalten als H-Brückenbindungs-Akzeptor
erklären. Zur Deutung des Singulett-Grundzustandes muss eine antiferromagnetische
Kopplung des Superoxid-Spins und des low-spin-Eisen(III)-Spins gefordert werden.
61
Aktuelle DFT-Rechnungen favorisieren ein FeIII–2O2•−. Der aktuelle Stand der
Rechnungen im Rahmen der Dichtefunktional-Theorie ist in [heme2] zusammengefasst.
Weiss' Vorstellung hat danach den größten Anteil an der realen Situation, nicht zutreffend
ist jedoch eine zu ionische Formulierung. In Populationsanalysen ergeben sich als Ladung
des O2-Liganden Werte um −0.2 e−.
Multikonfigurationsmethoden geben einem FeII–1O2ein höheres Gewicht.
Rechnungen mit ab-initio-Methoden außerhalb der Dichtefunktionaltheorie tendieren zu
einem höheren Gewicht von Paulings Formulierung. So ergibt die Anwendung von
Multikonfigurationsmethoden ungefähr gleiche Anteile von Weiss' und Paulings Formel
[heme1]. Im Orbitalbild lassen sich die Unterschiede zwischen den Betrachtungsweisen
aufzeigen. Hierbei wird das folgende Koordinatensystem benutzt, das zur üblichen
Benennung der Metall-d-Orbitale in oktaedrischem Feld führt (man beachte, dass in der
Literatur bisweilen die x- und y-Achse gegenüber der Abbildung um 45° um z gedreht sind,
so dass die Orbitalbezeichnungen andere sind; vor allem sind xy und x2−y2 vertauscht).
Die Fe-O-O-Ebene enthält in guter Näherung die z-Achse und die Winkelhalbierende
zwischen x und y:
Die O2-Koordination lässt sich in Einzelschritten betrachten:
1. Ausgangspunkt ist ein high-spin-Eisen(II)-Ion, für welches das Kristallfeldmodell die
d-Orbital-Reihenfolge (xz,yz), xy, z2, x2−y2 ergibt. Der Porphyrin-Ligand wird hier als
stärker feldaufspaltend eingestuft als der Mittelwert aus einem His-Liganden und einer
unbesetzten Koordinationsstelle. Durch Hinzufügen von π-Wechselwirkungen im Häm
ergibt sich xy, (xz,yz), z2, x2−y2.
2. Ein Triplett-Sauerstoff-Diradikal, das sich in der experimentell bestimmten
Schrägstellung entlang der z-Achse nähert, bindet mit lokaler σ-Symmetrie in das z2Orbital des Metalls. O2 benutzt hierzu eines seiner halbbesetzten antibindenden
Grenzorbitale.
3. Durch den zusätzlichen Liganden kommt es am Eisen(II)-Zentrum zur Schaltung von
high-spin zu low-spin. Zugleich verringert sich die tetragonale Verzerrung des
Ligandenfelds. Die Orbitalreihenfolge wird dabei erhalten bleiben, da ein Porphyrin-Ligand
zu einer höheren Feldaufspaltung führt als das His/O2-Paar.
62
4. Es gibt noch zwei ungepaarte Spins. Der eine in (xz,yz)3, der andere im senkrecht
zur Fe-O-O-Ebene stehenden O2-π*-Orbital. Durch Linearkombination lässt sich ein
spintragendes Orbital der (xz,yz)3-Gruppe so zum antibindenden Sauerstofforbital
anordnen, das eine Fe-O-Bindung mit lokaler π-Symmetrie entsteht.
5. Für die Orbitalanordnung mit lokaler π-Symmetrie ist antiferromagnetische Kopplung zu
erwarten. Wird an diesem Punkt das Elektronenpaar der Eisen-Sauerstoff-σ-Bindung den
Konventionen entsprechend dem elektronegativeren Sauerstoff zugerechnet, so stellt die
jetzt erhaltene Konfiguration den Weisschen FeIII–2O2•−-Zustand dar.
6. Wird stattdessen das spingekoppelte Elektronenpaar ganz dem Eisen zugeordnet, ergibt
sich Paulings Konfiguration. Aktuelle DFT-Rechnungen stützen Weiss' Formel, indem
sie überschüssige α-Spindichte entsprechend 1 Elektron in der (xz,yz)-Linearkombination
sehen. Zusätzlich liegt im passenden Sauerstoff-π*-Orbital β-Spin vor. Andere
quantenchemische Methoden finden die Spintrennung in der Eisen-Sauerstoff-π-Bindung
als weniger ausgeprägt.
Der Vorteil der FeIII–2O2•−-Formulierung wird aus dieser Betrachtung deutlich. Es ist kein
spinverbotener 3O2→1O2-Übergang enthalten. Spinpaarung beschränkt sich auf den highspin-low-spin-Schaltvorgang am Zentralmetall.
Die Formulierung von oxyMb als Komplex mit einem anionischen Liganden erleichert es,
die Stabilisierung der O2-Anbindung durch die H-Brücke vom distalen His einzuordnen.
Der H-Brücke werden zwei wesentliche Funktionen zugeschrieben: (1) sie behindert die
Autoxidation von Häm durch Sauerstoff, (2) sie ist hauptverantwortlich für die
Diskriminierung zwischen O2 und CO. Letzteres liegt als Neutralligand vor, dessen DonorAkzeptor-Verhalten zu einer geringeren Beladung und damit H-Brücken-AkzeptorFähigkeit des Sauerstoffatoms führt.
10.6 Mb- und Hb-Modelle [heme3]
Reversible O2-Bindung benötigt mehr als ein isoliertes Häm, dessen Umsetzung mit O2 zu
oxidierten Formen führt. Mechanistische Voraussetzung für eine schnelle und quantitative
Oxidation ist die Möglichkeit der Dimerenbildung. In „picket-fence-Porphyrinen“ und deren
Analogen (Figure 3 in [heme3]) ist die Dimerisierung verhindert, so dass hier die
stereoelektronischen Voraussetzung für reversible O2-Bindung vorliegt.
10.7 metMb
Mb ist nur in der Eisen(II)-Form zur O2-Bindung (und CO-Bindung) in der Lage. Die
Eisen(III)-Form, met-Myoglobin, bindet nur an polare Liganden. Kommt es ohne die
63
Anwesenheit solcher Liganden wie Cyanid oder Azid zur Oxidation, so wird ein distaler
Aqua-Ligand gefunden (PDB-Code 1BZ6):
Die Ausrichtung des distalen Histidins und ein kurzer N···O-Abstand zeigen eine
Wasserstoffbrückenbindung an, wahrscheinschlich vom Typ HO–H···N.
10.8 Dynamik der Be- und Entladung von Mb
Für den Zutritt von O2, CO oder NO zum Häm-Zentrum von Mb oder Hb ist kein
Diffusionskanal zu erkennen. Das aktive Zentrum ist vielmehr nach außen abgeschirmt.
Um die zweiatomigen Substrate in das Enzyminnere zu transportieren, sind Bewegungen
des Enzyms notwendig. Diese werden durch Hohlräume ermöglicht, die durch
Strukturanalysen nach Xenonbeladung sichtbar gemacht werden können. Die Wanderung
vor allem von CO und NO unter gleichzeitiger Bewegung des Proteins kann durch
zeitaufgelöste Laue-Kristallographie verfolgt werden. Hierzu wird die Struktur durch kurze
Röntgenpulse abgefragt, nachdem die Eisen-Ligand-Bindung photolysiert wurde
[heme4].
64
Anhang: Übersicht über Atomabstände in Mb-Strukturen (in Å)
Mb
deoxy
oxy
met
met
nitrosyl
X Fe-NporFe-Hisprox
–
2.07
2.14
O2 2.00
2.06
H2O 2.04
2.14
H2O 2.03
2.16
NO 1.97
2.31
Fe-X
carbonyl
CO
1.73
2.00
2.11
1.81
2.13
2.17
1.86
X-Hisdist
2.76
2.67 (zu Oterm)
2.67
2.69
2.98 (O)
3.23 (N)
3.21
PDB
1A6N
1A6M
1A6K
1BZ6
1JDO
1BZR
Bei der Klausur … : Voraussetzungen für den high-spin–low-spin-Übergang; Auswirkung
des Übergangs auf die Metall-Ligand-Bindungsordnung und die Kovalenz der Bindung;
Aufspaltung der d-Niveaus in Porphyrin-Komplexen, räumliche Lage der Grenzorbitale in
geläufigen zweiatomigen Liganden.
Zitierte Literatur
K. P. Jensen, B. O. Roos, U. Ryde: O2-binding to heme: electronic structure and spectrum
of oxyheme, studied by multiconfigurational methods. J. Inorg. Biochem. 2005, 99, 45–54.
Erratum: J. Inorg. Biochem. 2005, 99, 978 [heme1].
L. M. Blomberg, M. R. A. Blomberg, P. E. M. Siegbahn: A theoretical study on the binding
of O2, NO and CO to heme proteins. J. Inorg. Biochem. 2005, 99, 949–958 [heme2].
J. P. Collman, R. Boulatov, C. J. Sunderland, L. Fu: Functional Analogues of Cytochrome
c Oxidase, Myoglobin, and Hemoglobin. Chem. Rev. 2004, 104, 561–588 [heme3].
M. Brunori, D. Bourgeois, B. Vallone: The structural dynamics of myoglobin. J. Struct. Biol.
2004, 147, 223–234 [heme4].
65
11
Häm-NO-Komplexe: MbNO, lösliche
Guanylat-Cyclase (sGC), Nitrophorine
11.1 NO-beladenes Mb, ein {FeNO}7-Zentrum
Unter den 2-atomigen Liganden mit physiologischer Funktion, O2, CO und NO, nimmt
Stickstoffmonoxid eine Sonderstellung ein. NO ist der einzige Ligand, der sowohl an
deoxyMb/Hb als auch an metMb/Hb binden kann. Die Bindung zum Eisen(II)-Zentrum ist
stabiler, zugleich bindet NO deutlich stärker an dieses Zentrum als Sauerstoff und etwa
gleich stark wie CO (Bindungsdissoziationsenergien an Imidazol/Häm: O2 63, CO 146, NO
151 kJ mol−1). Die Präferenz für Eisen(II) wird beim Vergleich der freien Bindungsenergien
für NO deutlich: deoxyMb −64, metMb ca. −20 kJ mol−1).
Die Strukturanalyse am stabileren Eisen(II)-Komplex zeigt gewinkelten Aufbau (PDB-Code
1JDO). Das distale His64 bildet wie im O2-Addukt eine Wasserstoffbrückenbindung zum
terminalen Atom des zweiatomigen Liganden:
66
11.2 Die Fe-N-O-Bindung in Häm-{FeNO}7-Zentren
Die Bindungsmöglichkeiten von NO-Liganden sind ungewöhnlich vielfältig. Formale NO+Liganden sind isoster zu CO und CN−, der neutrale NO-Ligand ist ein Radikal und ein
formaler NO−-Ligand ist isoster mit O2 und kann wie dieses als Singulett- oder als TriplettSpezies an ein Metallzentrum binden.
Zur Systematisierung der jeweiligen elektronischen Situation wird die nach Enemark und
Feltham benannte Nomenklatur verwendet. Hierzu wird über die Metall-Valenzelektronen
und die antibindenden NO-Elektronen summiert. Reagiert zum Beispiel wie in MbNO
Stickstoffmonoxid (1 Elektron in π*) mit deoxyMb (FeII = d6), so ergibt sich der {FeNO}7Fall. Typisch für diese Elektronenzahl ist eine gewinkelte Fe-N-O-Gruppe, wobei der
Bindungswinkel am Stickstoffatom typischerweise ca. 140° beträgt. Zur Fe-NO-Bindung
in MbNO liegt eine neuere Arbeit vor [heme_no2], welche die ungepaarte Spindichte
des {FeNO}7 dem Eisenatom zuordnet. Von den Möglichkeiten, die zu einem S=½Grundzustand führen (low-spin-FeII + NO-Radikal oder low-spin-FeIII + Singulett-NO−
oder low-spin-FeIII + Triplett-NO− mit antiferromagnetischer Kopplung) wird die zweite
Möglichkeit gefunden, bei der ein low-spin-FeIII-Häm-Fragment einen Singulett-NO−Liganden bindet (rechte Formel):
11.3 Nitrophorine
Nitrophorine sind NO-bindende Eisen(III)-Häm-Enzyme. Die im Vergleich mit HämEisen(II)-Zentren nicht so starke NO-Anbindung dient dem Zweck der Nitrophorine:
blutsaugende Insekten injizieren diese Verbindungen mit ihrem Biss in die Blutbahn des
Opfers. Die Nitrophorine setzen NO frei; dieses dient als gefäßerweiterndes Hormon und
den Insekten steht mehr Blut zur Verfügung.
Ein ungewöhnlicher Bindungsmechanismus für zwei NO-Moleküle zeigt ein Nitrophorin aus
der Gattung Cimex (PDB-Code 1Y21):
67
Das aktive Zentrum zeigt einen nitrosylierten Cys-Ligand, der nach der Reaktion des ersten
NO-Moleküls mit dem Eisen(III)-Zentrum gebildet wird:
Man beachte die Stabilisierung der dreiwertigen Stufe durch einen Cysteinato-Ligand. Ein
erster Vorschlag für den Mechanismus der reversiblen NO-Bindung ist in [np2] gegeben.
Die bindungstheoretische Beschreibung von Häm-{FeNO}6-Zentren ist Gegenstand der
Diskussion. Die naheliegende Formulierung als low-spin-Eisen(II)-NO+-Fragment deutet
auch hier die vorliegenden spektroskopischen Daten nicht befriedigend (in der Abbildung
68
eingeklammert), so dass ein low-spin-Eisen(III)-NO-Zustand diskutiert wird (im Bild rechts)
[np1]:
11.4 Lösliche Guanylat-Cyclase (sGC)
Das endogen als Hormon gebildete oder durch Insekten eingebrachte NO führt zur
Gefäßerweiterung, indem es an ein Rezeptorenzym anbindet, der löslichen GuanylatCyclase, die Guanosintriphosphat (GTP) zu cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP)
umwandelt; cGMP trägt dann den Reiz weiter. Lösliche GC gehört zu den
Schlüsselenzymen des Herz-Kreislauf-Systems. Trotzdem liegt Strukturinformation nur für
verwandte Proteine vor, die darüberhinaus einen besonders originellen Bindungszustand
nicht zeigen: Es wird angenommen, dass in sGC ein low-spin-Eisen(II)-Häm-Zentrum mit
einem proximalen His durch die Anlagerung von NO auf der distalen Seite die Bindung
zum proximalen His aufgibt und so den Schaltreiz auslöst.
Bei der Klausur … : noch einmal: Unterschiede zwischen wichtigen zweiatomigen
Liganden mit deren Grenzorbitalen verknüpfen: CO, CN−, NO+, NO, NO−, O2, O2•−, O22−.
Zitierte Literatur
F. A. Walker: Nitric oxide interaction with insect nitrophorins and thoughts on the electron
configuration of the {FeNO}6 complex. J. Inorg. Biochem. 2005, 99, 216–236 [np1].
A. Weichsel, E. M. Maes, J. F. Andersen, J. G. Valenzuela, T. K. Shokhireva, F. A. Walker,
W. R. Montfort:Heme-assisted S-nitrosation of a proximal thiolate in a nitric oxide transport
protein. PNAS, 2005, 102, 594–599 [np2].
A. J. Gow, A. P. Payson, J. Bonaventura: Invertebrate hemoglobins and nitric oxide:
How heme pocket structure controls reactivity. J. Inorg. Biochem. 2005, 99, 903–911
[heme_no1].
Y. Zhang, W. Gossman, E. Oldfield: A Density Functional Theory Investigation of FeN-O Bonding in Heme Proteins and Model Systems. J. Am. Chem. Soc. 2003, 125,
16387–16396 [heme_no2].
69
P. Nioche, V. Berka, J. Vipond, N. Minton, A.-L. Tsai, C. S. Raman: Femtomolar Sensitivity
of a NO Sensor from Clostridium botulinum. Science 2004, 306, 1550–1553 [sgc1].
P. Pellicena, D. S. Karow, E. M. Boon, M. A. Marletta, J. Kuriyan: Crystal structure of
an oxygen-binding heme domain related to soluble guanylate cyclases. PNAS 2004, 101,
12854–12859 [sgc2].
D. Koesling, M. Russwurm, E. Mergia, F. Mullershausen, A. Friebe: Nitric oxide-sensitive
guanylyl cyclase: structure and regulation. Neurochemistry International 2004, 45,
813–819 [sgce3].
70
12
Redox-Katalyse mit Häm-Zentren:
Cytochrom c, Katalase, Cytochrom P450
Die Reaktivität eines Häm-Zentrums lässt sich durch die Wahl der zusätzlichen
Liganden steuern. In Cytochrom c blockieren zwei weitere Liganden das Eisenatom
für eine Substratbindung, so dass nur der Elektronenausstausch möglich wird.
Bei der Häm-Katalase und beim Cytochrom P450 führt ein anionischer Ligand zur
Stabilisierung höherer Oxidationsstufen als bei Mb und Hb möglich. Besonders
lehrreich ist die Reaktionssteuerung bei der C-H-Aktivierung durch Cytochrom P450.
Die Annäherung eines hydrophoben Substrats, das selbst nicht zum Ligand wird,
lässt eine Reaktionskaskade ablaufen, an deren Ende wie bei MMO eine C–HBindung oxygeniert worden ist. Die Natur zeigt hier beim Start der Kaskade, wie
raffiniert ein molekularer Schalter konstruiert sein kann.
12.1 Cytochrom c
Cytochrome, denen aufgrund der Sechsfachkoordination ihrer Häm-Eisen-Zentren durch
zwei His- und/oder Met-Liganden jede Gelegenheit genommen ist, einen Prozess zu
katalysieren, bei dem sich zuerst ein Substrat anlagern muss, dienen wie die Ferredoxine
dem 1-e-Transfer, jedoch bei mittleren Potentialwerten. Cytochrom c ist ein ubiquitäter
1-Elektron-Überträger, dessen elektrochemisches Potential ca. ½ V höher ist als das der
Ferredoxine.
Es liegen Kristallstrukturanalysen an reduziertem (PDB-Code 1YCC, Auflösung 1.2 Å) und
oxidiertem (PDB-Code 2YCC, Auflösung 1.9 Å) Hefe-Cytochrom c vor.
71
Das Häm-Molekül ist nicht wie bei den bisher behandelten Enzymen nicht-kovalent mit
dem Apoprotein verbunden, vielmehr sind zwei Cys-Reste an die beiden
Vinylsubstituenten des Protopophyrin IX addiert. Im Komplex mit Eisen heißt die
prosthetische Gruppe nun „Häm c“:
Cytochrome teilen mit Ferredoxinen die Eigenschaft, in ihrem charakteristischen
Potentialbereich die Weitergabe eines Elektrons mit niedriger Reorganisationsenergie zu
leisten. Die folgende Übersicht über die Abstände in den beiden Oxidationszuständen zeigt
eine mittlere Änderung von nur ca. 0.03 Å:
Übersicht über Fe-Ligand-Abstände in Å:
72
ls-FeII
Fe-Por 2.01
Fe-NHis 2.01
Fe-SMet 2.43
ls-FeIII
1.99
1.99
2.35
Man vergleiche hiermit die Radiendifferenz für oktaedrisch koordiniertes Eisen(II) und
Eisen(III): high-spin 0.14, low-spin 0.06 Å. Es wird deutlich, dass ein elektronenleitendes
Hämenzym nur in den Kombinationen ls-FeII/ls-FeIII oder ls-FeII/hs-FeIII die notwendige
kleine Reorganisationsenergie möglich macht.
12.2 Häm-Katalase
Häm-Katalase dient der Disproportionierung von H2O2, das zum Beispiel von SODs
produziert wird:
H 2O 2 = H 2O + ½ O 2
Bei der Häm-Katalase ist die biologische Funktionseinheit wahrscheinlich das Tetramer der
abgebildeten asymmetrischen Einheit (PDB-Code 1QWL, 1.6 Å Auflösung):
73
Die Proteinstruktur hat wenig Ähnlichkeit mit Myoglobin und doch ist das aktive Zentrum
eine verblüffend konservative Variation des Mb-Zentrums. Der Cofaktor des Apoproteins
ist ein Häm b. Oberhalb des Häms befindet sich wie in Mb und Hb ein vor allem durch
Phenylalanin-Seitenketten hydrophob ausgekleideter Raum, der auch ein „distales“ His
enthält. In dessen Umgebung findet sich ein Wassermolekül in einem N···O-Abstand
von 2.65 Å. 2.42 Å vom Wassermolekül entfernt ist ein O-Atom eines an Eisen(III)(?)
gebundenen HO2−-Liganden. Der auffälligste Unterschied zu metMb ist der Ersatz des
proximalen His durch einen Tyrosinato-Ligand, der die dreiwertige Stufe des Eisens als
reduzierte Form des Redoxpaares FeIII/FeIVPor•+ stabilisiert.
Die H2O2-Disproportionierung erfordert einen 2-Elektronen-Redoxprozess. Im ersten
Schritt wird die FeIII-Ruheform des Enzyms um zwei Elektronen oxidert, es entsteht eine
Oxidoeisen(IV)-Porphyrinradikalkation-Spezies, die anschließend wieder in die Ruheform
zurückkehrt:
Por-FeIII + H2O2 → Por•+-FeIV=O + H2O
Por•+-FeIV=O + H2O2 → Por-FeIII + H2O + O2
12.3 Cytochrom P450
Die Monooxygenasen der Cytochrom-P450-Familie (benannt nach λmax des CO-Addukts)
sind ubiquitär und gehören zu den wichtigsten Enzymen des Metabolismus hydrophober
körperfremder Stoffe und der Modifikation hydrophober Hormone, der Steroide. In
[p450a] wird geschätzt, dass ca. die Hälfte aller derzeitiger Arzneistoffe durch ein
einziges Cytochrom-P450-Enzym der Leber hydroxyliert wird. Cytochrom-P450-Enzyme
vermitteln Insekten Resistenz gegen Insektizide und Pflanzen Resistenz gegen Herbizide.
74
Die katalysierte Reaktion ist
RH + O2 + 2 H+ + 2 e− = ROH + H2O
Die beiden Elektronen werden von Ferredoxinen bereitgestellt; im unten gezeigten Fall von
P450cam aus Pseudomonas putida von Putidaredoxin.
Die Abbildung zeigt die Campher-5-monooxygenase P450cam aus Pseudomonas putida
bei 1.9 Å Auflösung in der Campher-beladenen Form (PDB-Code 1T86, im Bild des
Holoenzyms ist Campher rot dargestellt):
Im aktiven Zentrum ist auf der proximalen Seite ein Cysteinato-Ligand zu erkennen.
Wie schon bei der Häm-Katalase liegt also ein anionischer Ligand vor, der höhere
Oxidationsstufen des Eisenzentrums stabilisiert. Der Substrat-Bindungsbereich auf der
distalen Seite ist hydrophob ausgekleidet und entsprechend der voluminösen Substrate
recht groß.
75
Die leichte Zugänglichkeit des ausgedehnten Substratbindungsbereichs und die hohe
Reaktivität des zur C-H-Aktivierung fähigen aktiven Zentrums verlangen nach einem
Schaltmechanismus, der die Kontrolle der Reaktivität sicherstellt. Der aus [p450a]
entnommenene Katalysecyclus zeigt die wesentlichen Elemente dieses kontrollierten
Umgangs mit einem aggressiv reaktiven Zentrum. Zugleich zeigt er beispielhaft, wie die
Natur eine typisch „technische“ Aufgabe löst. Es geht um die grundlegende Frage des
Sensorbaus, wie die An- oder Abwesenheit eines unreaktiven Moleküls in einen
elektrischen Impuls umgesetzt werden kann:
76
Der Katalysecyclus startet bei der Ruheform des Enzyms, in der die Koordinationszahl
eines Eisen(III)-Zentrums durch einen Aqua-Liganden zu sechs ergänzt ist. Im Einklang
mit dieser Ligandausstattung ist der Spinzustand des Zentrums low-spin. Das
elektrochemische Potential liegt typischerweise unter −0.3 V und damit unter dem Potential
des als Reduktionsmittels bereitstehenden Putidaredoxins (E0' ca. −0.2 V), so dass keine
Reaktion eintritt, die Eisen(II) erzeugen würde und damit den Angriff von O2 einleiten
würde.
Schritt a: ein hydrophobes Substrat, das aufgrund des hydrophoben Effekts in der
Enzymtasche bindet, verdrängt den Aqua-Ligand vom Eisenzentrum. Als Folge der
Erniedrigung der Koordinationszahl kommt es zum low-spin→high-spin-Übergang – dem
erwarteten Schaltprozess. Als Folge der Änderung von Spinzustand und Koordinationszahl
steigt das elektrochemische Potential auf ca. −0.17 V und damit über den Wert des
Ferredoxins.
Schritt b: Aufgrund der Umkehr der Potentialabfolge kommt es nun zur Reduktion des
Hämzentrums durch das Ferredoxin. Wegen der Koordinationszahl 5 entsteht high-spinEisen(II).
77
Schritt c: high-spin-Eisen(II) ist in der Lage, O2 anzulagern. In Analogie zu Mb und Hb wird
das Addukt als Eisen(III)-Hyperoxido-Fragment formuliert – eine Formulierung, die wegen
des Eisen(III)-stabilisierenden Cysteinato-Liganden als weniger problematisch erscheint
als bei den O2-Transportenzymen.
Schritt d: Es kommt erneut zur Reduktion. Das zweite Elektron der Bruttogleichung ist
damit in den Prozess eingetreten. Das aktive Zentrum liegt nun als low-spin-Peroxidoeisen(III)-Fragment vor.
Schritt e: Es fehlen noch die beiden Protonen. Das erste bindet an die basischste Position,
das terminale O-Atom des Peroxido-Liganden, der dadurch zum Hydroperoxido-Anion
wird.
Schritt f: Durch das zweite Proton wird die gute Abgangsgruppe Wasser gebildet. Nach
dessen Abspaltung reduziert das FeIIIPor-Zentrum das 6-Elektronen-Sauerstoffatom zu
einem terminalen Oxido-Ligand. Bei diesem 2-Elektronenschritt wird es selbst zu einem
FeIVPor•+ oxidiert. (Man vergleiche mit dem analogen Vorgang bei der Häm-Katalase.)
Schritt g: Es folgt der komplexeste Einzelschritt, für den Analogie zur C-H-Aktivierung bei
der löslichen Methan-Monooxygenase angenommen werden kann: Übertragung des CHWasserstoffatoms unter Protonierung des terminalen Oxido-Liganden und 1-ElektronenReduktion des Häms. Anschließend Hydroxylierung des Alkyl-Radikals nach dem
Rebound-Mechanismus unter Übertragung eines weiteren Elektrons auf das Häm.
Schritt h: Nach der Abspaltung des monooxygenierten Substrats stellt die Anlagerung
eines Aqua-Liganden wieder die Ruheform her.
Zitierte Literatur
I. G. Denisov, T. M. Makris, S. G. Sligar, I. Schlichting: Structure and Chemistry of
Cytochrome P450. Chem. Rev. 2005, 105, 2253–2277 [p450a].
78
13
Redoxchemie bei hohem Potential:
blaue Kupfer-Proteine und CuA-Zentren
Bei Plastocyanin und den CuA-Zentren geht es erneut um die 1-e-Übertragung, nun
aber bei hohem Potential – bei viel höherem Potential, als es das Standardpotential
des Kupfer(I,II)-Redoxpaares erwarten lässt. Die unerwartete Erhöhung der
Oxidationskraft von Kupfer(II) erreicht die Natur mit Hilfe einer strukturellen
Variation der Ligandsphäre. Diese Anpassung ist so wirksam, dass die oxidierte
Form in diesen Enzymen durch anionische Liganden stabilisiert gefunden wird und
trotzdem noch ein erheblich stärkeres Oxidationsmittel ist als zum Beispiel die
Ammin-Kupfer-Komplexe.
13.1 Blaue Kupferzentren
Das in diesem Kapitel zuerst beschriebene Plastocyanin gehört zu einer Klasse von
Proteinen mit einheitlichen spektroskopischen Merkmalen. Der Name „blaue
Kupferproteine“ weist auf eine charakteristische, ungewöhnlich intensive Absorption bei ca.
16 000 cm−1 hin. Ihre Funktion als 1-Elektronen-Überträger wird durch den in Analogie
zu den Ferredoxinen geprägten Sammelnamen „Cupredoxine“ betont. Eine dritte geläufige
Bezeichnung für diese Enzymgruppe ist „Typ-I-Kupferproteine“.
13.2 Chemie und Biochemie von Plastocyanin
Plastocyanin ist ubiquitär in Blaualgen, Algen und allen grünen Pflanzen. Es dient bei
der Photosynthese als 1-Elektronentransporter bei hohem Potential. Plastocyanin gehört
mit weiteren Cupredoxinen zu einer dritten wesentlichen Klasse löslicher 1-ElektronenÜberträger, die den benötigten Potentialbereich über die Ferredoxine und die Cytochrome
hinaus zu hohem Potential hin abschließen. Die elektrochemischen Potentiale von
Cupredoxinen erstrecken sich von ca. 0.2 V (Stellacyanin) bis fast zu 0.7 V (Rusticyanin).
Für Plastocyanin ist E0' 0.37 V.
79
13.3 Molekülbau von Plastocyanin
Es liegen Strukturanalysen für reduziertes und oxidiertes Plastocyanin verschiedener
Pflanzen vor. Abgebildet ist die reduzierte Form des Plastocyanins des Farns Dryopteris
crassirhizoma, ein nur 102 Aminosäuren großes Protein (PDB-Code 1KDI, 1.8 Å
Auflösung):
Das aktive Zentrum enthält ein Kupfer(I)-Zentralatom, das von 2 His, 1 Cys und 1 Met
koordiniert ist:
80
Die Strukturanalyse der oxidierten Form zeigt ein strukturell kaum verändertes aktives
Zentrum (PDB-Code 1KDJ, 1.7 Å Auflösung). Die Abstände des Kupferatoms zu den vier
Liganden ist nur für die beiden Cu-NHis-Abstände normal; der Cu-SMet-Abstand dagegen
ist ungewöhnlich lang, der Cu-SCys-Abstand ist ungewöhnlich kurz (Werte für die oxidierte
Form: Cu-NHis 1.93 und 2.07, Cu-SMet 2.92, Cu-SCys 2.26 Å; zum Vergleich die Werte
der oxidierten Form von Synechococcus-Plastocyanin, PDB-Code 1BXU, 1.9 Å Auflösung:
Cu-NHis 1.97 und 2.01, Cu-SMet 2.94, Cu-SCys 2.14 Å). Die Werte zeigen eine starke
Verzerrung des Koordinationspolyeders an, so dass anstelle der auf den ersten Blick
vorliegenden tetraedrischen Umgebung besser von einer trigonal-pyramidalen
Koordination gesprochen wird mit einer nur geringen Auslenkung des Zentralatoms aus
der N2SCys-Ebene.
13.4 Das Modell vom entatischen Zustand
Die Reorganisationsenergie sollte für ein Kupfer(I,II)-Redoxpaar erheblich sein. Die
Vorstellung, dass das Zentralatom in einer Ligandmatrix starr eingebunden ist, löst dieses
Problem. Dies ist das Modell vom „entatischen Zustand“ (engl. „entatic state“, „rackinduced“ reactivity), dass sich lange großer Beliebtheit erfreut hat. Bei der
quantenchemischen Behandlung des Plastocyanins zeigt sich jedoch, dass bei dieser
Vorstellung erhebliche Abstriche zu machen sind (siehe unten).
13.5 Das UV/Vis-Spektrum von Plastocyanin
Der Begriff „blaue Kupferproteine“ weist auf die ungewöhnlich intensive Farbe hin, die eine
Folge der starken Absorption (εmax ca. 5000 mol L−1 cm−1) von gelbem Licht ist (Figure 16
in [cu2]). Die hohe spezifische Absorption zeigt, dass es sich um eine charge-transferBande handelt. Deren Unterscheidung von den schwächeren Kristallfeldbanden gelingt vor
allem durch den Vergleich des UV/Vis-Spektrums mit MCD-Spektren.
Charge-Transfer-Übergänge sind umso intensiver, je stärker die Überlappung von Donorund Akzeptor-Orbital ist, je höher also der kovalente Charakter der Bindung ist. Die
für die Kovalenz maßgebliche Orbital-Wechselwirkung zeigt sich bei der Analyse des
elektronischen Grundzustands.
81
13.6 Der elektronische Grundzustand des
Plastocyanin-Zentrums
Das Plastocyanin-Zentrum unterscheidet sich durch die ungewöhnlich kurze Cu-SCysBindung von normalen Kupferkomplexen. In der oxidierten Form interessiert vor allem die
räumliche Lage des spintragenden Orbitals, in das bei der Reduktion ein β-Spin-Elektron
eintritt. In den meisten Literaturstellen wird zu dessen Benennung eine Cu-NHis-Bindung,
die zweite Cu-NHis-Bindung und die Cu-SMet-Bindung möglichst weitgehend mit der x-,
y- und z-Richtung zur Deckung gebracht. In dieser Ausrichtung des Koordinatensystems
zeigen quantenchemische Rechnungen das x2−y2-Orbital als magnetisches Orbital an.
Das SCys-σ-Donororbital ist nichtbindend in Bezug auf das x2−y2-Orbital. Das senkrecht
zur Cu-SCys-Bindung und in der trigonalen Ebene liegende Schwefel-p-Orbital ist jedoch
symmetrie-passend für eine Wechselwirkung. Neben einem bindenden MO entsteht ein
einfach besetztes antibindendes MO mit lokaler π-Symmetrie, für das die Rechnung
und die spektroskopische Charakterisierung eine fast unpolare kovalente Wechselwirkung
ergibt. Figure 13 in [cu2] zeigt diese Bindungssituation in Form des β-LUMOs. Die
Schlussfogerung aus den aktuellen Rechnungen: das Modell vom entatischen Zustand
überschätzt den Proteineinfluss – im Plastocyanin-Zentrum ist in der CuN2SCys-Ebene
nichts gespannt. Lediglich der Methionin-Ligand, der zu den elektronischen
Besonderheiten des Plastocyanins wenig beiträgt, nähert sich bei der Strukturoptimierung
in Modellsystemen dem Kupferatom (Figure 5c in [cu3]).
Das β-LUMO erscheint im Plastocyanin gegenüber einer normalen Kupfer(II)-Umgebung
stabilisiert, wodurch die oxidierende Kraft entsprechend dem höheren E0' steigt. Zum
Verständnis reicht das Kristallfeldmodell. Bei einer quantitativen Behandlung zeigt sich,
dass die blosse Strukturänderung eines homoleptischen Histidin-Kupfer-Komplexes das
Potential weit über den für Plastocyanin gemessenen Wert erhöhen würde. Der Aufbau der
zusätzlichen π-Wechselwirkung mit dem anionischen Cysteinato-Liganden senkt nun das
zu hohe Potential wieder ein Stück weit – im Einklang mit den bislang abgeleiteten Regeln.
Auf die Bedeutung der Kovalenz wird weiter unten eingegangen.
13.7 CuA-Zentren
Die binuclearen CuA-Zentren sind hinsichtlich der Proteinsequenz eng mit den
Cupredoxinen verwandt. Sie kommen in der Cytochrom-c-Oxidase vor, bei Bakterien
werden sie bei der N2O-Reduktase gefunden. Wie die Cupredoxine dienen sie der
Weiterleitung eines Elektrons bei hohem Potential. Das Bild zeigt den komplexen Aufbau
der N2O-Reduktase von Paracoccus denitrificans, einem denitrifizierenden Bakterium
(PDB-Code 1FWX).
82
Im aktiven Zentrum fällt vor allem der ungewöhnlich kurze Cu-Cu-Abstand von nur 2.4
Å in der Ruheform mit ihrem mittleren Oxidationsgrad von +1.5 auf. Das Cu2-Paar ist
von zwei Cysteinato-Liganden verbrückt, ferner bindet jedes Kupferatom einen terminalen
His-Liganden. Weitere Liganden binden deutlich schwächer. Im Bild trägt das linke CuAtom in einem größeren Abstand einen Met-Liganden, das rechte Cu-Atom ist in der
ausgewählten Kristallstruktur ohne weitere Liganden; andere Strukturbestimmungen an
CuA-Zentren zeigen oft eine Koordination des rechten Cu-Atoms durch das O-Atom einer
Amidfunktion der Proteinhauptkette:
83
DFT-Rechnungen und spektroskopische Untersuchungen zeigen einen hohen Grad an
Kovalenz für die Cu-SCys-σ-Bindungen, ferner kommt eine bindende Cu-CuWechselwirkung hinzu (Figure 1c in [cu3]). Das Motiv der Cu-S-Kovalenz wiederholt sich
damit bei einem Enzym mit verwandter Funktion.
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der Plastocyanin- und der CuA-Struktur ist die
Y-förmige Koordination dreier nah bindender Liganden. Das x2−y2-Orbital ist in dieser
Anordnung deutlich stabilisiert, wodurch die oxidierende Wirkung der zweiwertigen Stufe
stark erhöht wird.
13.8 Die Bedeutung kovalenter Bindungen in
Kupferzentren
Die Elektronenübertragung über eine bestimmte Strecke wird zunehmend erleichtert in der
Reihenfolge Vakuum < nichtkovalente Wechselwirkungen (H-Brückenbindungen, ionische
Bindungen, polare koordinative Bindungen) < kovalente Bindungen < konjugierte πBindungen.
Voraussetzung für den schnellen und gerichteten Elektronentransfer zur ElektronenAuslass-Position des Plastocyanins, einem mehr als 10 Å entfernten Tyrosin-Rest, ist die
Kovalenz der Cu-SCys-Bindung am Beginn der Transportstrecke:
84
13.9 Neue Daten zum entatischen Zustand („rackinduced bonding“) in Kupferproteinen
Bei Plastocyanin zeigte sich bereits, dass die Vorstellung, die erzwungene Fixierung eines
entatischen Zustands habe eine große Bedeutung für die Funktion eines Kupferenzyms,
wohl nicht haltbar ist. Die gefundenen Strukturen stellen wohl Nebenminima in der Metall/
Ligand-Energielandschaft dar und keine Positionen besonders hoher Instabilität. Als Folge
dieser Erkenntnis ist die Bewertung, welche Koordinationsfigur um Kupfer für welche
Oxidationsstufe stabil ist, selbst Gegenstand der aktuellen Diskussion geworden. Die
Gleichsetzung Kupfer(II) = JT-gestreckte Oktaeder wie in [Cu(NH3)4(H2O)2]2+ ist derzeit
nicht mehr unumstritten. So wird für das Aqua-kupfer(II)-Ion die Zusammensetzung
[Cu(H2O)5]2+ ermittelt mit vier fest gebundenen Aqua-Liganden und einem fünften
schwach gebundenen Liganden in axialer Position zur besten Ebene durch die vier übrigen
Liganden. Die gesamte Struktur ist so irregulär, dass sie die bisherige klare Vorstellung
vom „typischen“ Kupfer(II)-Koordinationspolyeder in Frage stellt [Cu1].
Bei der Klausur … : Zusammenhang zwischen der Energie der Metall-Grenzorbitale und
der Reaktivität; Abhängigkeit der Grenzorbitalenergie von der Ligandanordnung.
Zitierte Literatur
P. Frank, M. Benfatto, R. K. Szilagyi, P. D’Angelo, S. Della Longa, K. O. Hodgson: The
Solution Structure of [Cu(aq)]2+ and Its Implications for Rack-Induced Bonding in Blue
Copper Protein Active Sites. Inorg. Chem. 2005, 44, 1922–1933 [cu1].
E. I. Solomon, R. K. Szilagyi, S. DeBeer George, L. Basumallick: Electronic Structures of
Metal Sites in Proteins and Models: Contributions to Function in Blue Copper Proteins.
Chem. Rev. 2004, 104, 419–458 [cu2].
85
R. K Szilagyi, E. I. Solomon: Electronic structure and its relation to function in copper
proteins. Curr. Opinion in Chem. Biol. 2002, 6, 250–258 [Cu3].
86
14
Aktivierung von O2-Spezies in
Kupfer(I,II)-Redox-Zentren: Hämocyanin (Hc)
und Kupfer-Zink-Superoxiddismutase
(CuZnSOD)
Teilschritte wie
2 CuII + O22− → 2 CuI + O2
oder
CuII + O2•− → CuI + O2
also die Reduktion von Kupfer(II) zur üblicherweise unbeständigen Oxidationsstufe +I
durch geläufige Oxidationsmittel sind in der „normalen“ wässrigen Chemie undenkbar. In
den Zentren von Hc und CuZnSOD finden diese Reaktionen statt. Die Voraussetzung ist
das Zusammentreffen zweier Enzymcharakteristika: (1) die im vorangegangenen Kapitel
eingeführte Reaktivitätssteuerung durch die Stabilisierung von Grenzorbitalen und (2) die
Steuerung der Elektronenbilanz.
14.1 Chemie und Biochemie von Hämocyanin
Hämocyanin ist das Sauerstofftransportmolekül von Schnecken und Tintenfischen
(„Mollusken“) sowie Krebsen, Skorpionen und Spinnen („Arthropoden“). Hc-Einzelmoleküle
bilden artspezifisch Oligomere, deren Sinn im Aufbau von Kooperativität des O2Transports zu liegen scheint (vgl. Mb und Hb). Neben Myoglobin/Hämoglobin und
Hämerythrin ist Hämocyanin der dritte O2-Transporter, der in Organismen gefunden wird.
Typ-3-Kupferproteine
Hämocyanin ist ein Typ-3-Kupferprotein. Charakteristisch für diese Enzymklasse sind
zweikernige Kupferzentren, die zur Aktivierung von O2 in der Lage sind – im Sinne von O2Transport, als Oxygenase oder als Oxidase.
87
14.2 Molekülbau von Hämocyanin
Es liegen Röntgenstrukturanalysen der oxygenierten und der deoxygenierten Form des
Hämocyanins von Limulus polyphemus, des Pfeilschwanzkrebses, vor. Der PDB-Eintrag:
1OXY zeigt die Struktur des mit 628 Aminosäuren recht großen Proteins in einer Auflösung
von 2.4 Å):
In dem mit Sauerstoff beladenenen aktiven Zentrum beträgt der Abstand der Kupferatome
in dem durch einen Peroxido-Liganden verbrückten CuII2-Paar 3.6 Å:
88
Im deoxygenierten CuI2-Zentrum von Pfeilschwanzkrebs-Hämocyanin (PDB-Eintrag:
1LLA, Auflösung 2.2 Å) ist der Cu-Cu-Abstand mit 4.6 Å deutlich größer:
14.3 2 CuII + O22− → 2 CuI + O2 – Katalyse gegen die
Thermodynamik?
Die Abgabe von Sauerstoff unter Reduktion von Kupfer(II) zu Kupfer(I) steht in krassem
Widerspruch zur Laborerfahrung und zur Lage der elektrochemischen Potentiale. Farblose
Amminkupfer(I)-Lösungen werden durch Luftsauerstoff schnell und irreversibel zu den
bekannten blauen Amminkupfer(II)-Lösungen oxidiert. Dass bei Hc Sauerstoff unter
Kupfer(I)-Bildung freigesetzt wird, liegt am Zusammentreffen zweier enzymtypischer
Faktoren.
(1) Auch in Hc fehlt eine regulär quadratische Koordination von Liganden, also die
Anordnung, die ein stark destabilisiertes x2−y2-Orbital erzeugt und als Folge ein niedriges
Potential. Beim Redoxpaar [CuI/II(NH3)4]+/2+ ist genau dies der Fall. Das Potential des
Amminkupfer-Paares ist daher mit ca. 0 V kleiner als das Hc-Potential von ca. 0.3–0.4 V.
(2) Ein isoliertes binucleares Zentrum mit den zugänglichen Oxidationszuständen MI2,
MIMII und MII2 erlaubt den Umsatz von maximal zwei Elektronen. Die mit höherer Triebkraft
verlaufende 4-Elektronen-Reduktion von O2 (E0' = 0.82 V; siehe Anhang II) kann in
89
einem solchen Zentrum nicht ablaufen. Möglich ist bestenfalls der 2-Elektronenprozess
Sauerstoff/Peroxid – dessen Potential sich perfekt mit dem Hc-Potential deckt (Anhang II).
Die verwandte und thermodynamisch ebenfalls unmögliche Reaktion
CuII + O2•− → CuI + O2
läuft unter analogen Randbedingungen in Kupfer-Zink-Superoxiddismutase (CuZnSOD)
ab:
14.4 Chemie und Biochemie von CuZnSOD
Auf die Bedeutung der Superoxid-Beseitigung wurde bereits bei der MnSOD eingegangen.
Im Vorkommen der einzelnen SODs spiegeln sich die stammesgeschichtlichen
Zusammenhänge wider. FeSOD kommt in Prokaryonten vor. MnSOD, die sich wohl aus
FeSOD entwickelt hat, kommt ebenfalls in Prokaryonten vor, aber auch in den
Mitochondrien höherer Lebewesen. CuZnSOD schließlich – als jüngstes Enzym, in dem
zwei Metalle kombiniert sind, die erst in einer schwefelfreien Sauerstoffwelt verfügbar
wurden – findet sich im Cytosol aller Eukaryonten. Die Konzentration beträgt hier ca. 10−5
mol L−1. In [cuznsod2] wird errechnet, dass aufgrund der Konzentration und der Aktivität
des Enzyms die Lebendauer von Superoxid-Radikalen um den Faktor 1010 gesenkt wird.
Nicht-blaue Kupferproteine
CuZnSOD gehört zu den Typ-2-Kupferproteinen, auch „nicht-blaue“ Kupferproteine
genannt. Die UV/Vis-Spektren entsprechen im Wesentlichen denjenigen „normal“
koordinierter Kupfer(II)-Komplexe; der starke charge-transfer-Übergang der blauen
Kupferproteine fehlt. Die weiter unten behandelte Galactose-Oxidase (GO) gehört
ebenfalls zu den Typ-2-Zentren.
14.5 Der Molekülbau von CuZnSOD
Die Struktur humaner CuZnSOD wurde mit einer Auflösung von 1.8 Å bestimmt (PDBCode 1HL5):
90
Die Besonderheit des CuZnSOD-Zentrums ist ein zwischen Zink (links) und Kupfer (rechts)
verbrückender Histidinato-Ligand. Der Abstand zwischen dem Kupfer(II)-Atom und dem
verbrückenden NHis (gestrichelte Linie) beträgt ca. 2 Å in der oxidierten Form und mehr
als 3 Å in der reduzierten. Die Strukturanalyse zeigt einen Mittelwert von ca. 2.6 Å, als
dessen Ursache die Autoren teilweise Photoreduktion der oxidierten Ruheform während
der Röntgenbestrahlung angeben:
14.6 Katalysecyclus
Nach einem aktuellen Vorschlag in [cuznsod2] wird Superoxid auf dem Weg zum aktiven
Zentrum protoniert und erreicht das Kupfer-Zentralatom als HO2 (pKA(HO2) = 4.8), wo
es an die Stelle des Aqua-Liganden tritt (von anderen Autoren wird üblicherweise mit
91
dem Superoxid-Anion formuliert und die beiden benötigten Protonen werden gesondert
zugefügt). Das an Kupfer(II) in der Strukturanalyse gefundene Wassermolekül ist im
folgenden Schema nicht berücksichtigt:
Die Nummerierung gilt für das in [cuznsod1] beschriebene humane Enzym. Oft
untersucht ist Rinder-Erythrozyten-CuZnSOD, in der Kupfer von den His-Resten 44, 46, 61
und 118 koordiniert ist.
Der Katalysecyclus betont die Aussage, dass die Elektronendifferenz der verfügbaren
Oxidationszustände die ablaufende Reaktion determiniert. Da Zink redox-inaktiv ist –
seine Bedeutung wird in der Erhöhung der Acidität des verbrückenden His gesehen
– sind ausschließlich 1-Elektronenschritte möglich. Genau dies verlangt die SuperoxidDisproportionierung.
Auch das elektrochemische Potential liegt im notwendigen
während das Potential eines Sauerstoff-Transporters dem
Redoxprozesses
entsprechen
muss,
so
muss
Disproportionierungskatalysators zwischen den Potentialen
Einzelschritte liegen.
Bereich. Zur Erinnerung:
Potential des genutzten
das
Potential
eines
der beiden katalysierten
92
Zitierte Literatur
R. W. Strange, S. Antonyuk, M. A. Hough, P. A. Doucette, J. A. Rodriguez, P. J. Hart,
L. J. Hayward, J. S. Valentine, S. S. Hasnain: The Structure of Holo and Metal-deficient
Wild-type Human Cu, Zn Superoxide Dismutase and its Relevance to Familial Amyotrophic
Lateral Sclerosis. J. Mol. Biol. 2003, 328, 877–891 [cuznsod1].
V. Pelmenschikov, P. E. M. Siegbahn: Copper-Zinc Superoxide Dismutase: Theoretical
Insights into the Catalytic Mechanism. Inorg. Chem. 2005, in press [cuznsod2].
93
15
Radikale als Liganden: Galactose-
Oxidase (GO) und Cytochrom-c-Oxidase (CcO)
Die Chemie von Hämocyanin und CuZnSOD ist durch die Festlegung der
Elektronenbilanz aufgrund der Zahl der Redoxzentren und deren verfügbarer
Oxidationsstufen festgelegt. Die Katalyse einer 2-Elektronen-Oxidation durch ein
einkerniges Kupferprotein muss daher irritieren. Ist in Galactose-Oxidase Kupfer(III)
in Betracht zu ziehen?
15.1 Chemie und Biochemie von Galactose-Oxidase
Die von Pilzen ausgeschiedene Galactose-Oxidase (GO) oxidiert in einem
2-Elektronenschritt primäre Alkohole zu Aldehyden:
RCH2OH + O2 = RCHO + H2O2
Andere oxidierbare funktionelle Gruppen werden nicht angegriffen. So wird im natürlichen
Substrat D-Galactose die Hydroxylfunktion an C6 oxidiert, ohne dass die Aldehydfunktion
an C1 oder die sekundären Hydroxylgruppen angegriffen würden:
D-Galactose
wird selektiv zu Galacto-1,6-dialdose oxidiert. Der Sinn der Reaktion ist
unklar, da keine weitere Verwendung von Galactodialdose bekannt ist. Eine Vermutung ist
die, dass GO-ausscheidende Pilze das in die Umgebung entlassene H2O2 zu ihrem Schutz
freisetzen.
94
15.2 Molekülbau
Für GO liegt eine Kristallstrukturbestimmung in einer Auflösung von 2.3 Å vor (PDB-Code
1T2X). Das Apoprotein ist auffallend reich an β-Faltblattabschnitten:
Das aktive Zentrum enthält ein Kupfer-Zentralatom, das im üblichen Abstand von ca. 2 Å
für die erste Koordinationssphäre nur drei Ligandatome bindet. Zwei His-Liganden werden
dabei durch ein in ungewöhnlicher Weise modifiziertes Tyr ergänzt: durch Substitution
eines ortho-Wasserstoffatoms durch das Schwefelatom eines benachbarten Cys-Restes
wird der Tyr-Ligand in einer Konformation fixiert, bei welcher der aromatische Ring
senkrecht zur CuN2O-Ebene steht:
95
Die im Bild von links oben hereinragende zweite Tyr-Seitenkette befindet sich in einem
Abstand von 2.73 Å vom Kupferatom. Die Wechselwirkung ist schwächer als beim fester
gebundenen Tyr. Die naheliegende Frage, ob der Cu-Tyr-Abstand noch ausreicht, die
Deprotonierung der phenolische Hydroxylgruppe zu unterstützen, wird durch neuere
Untersuchungen gegenstandslos: das entferntere Tyr trägt an O kein H-Atom, es liegt in
der oxidierten Enzymform vielmehr als Tyr•-Radikal-Ligand vor.
15.3 Katalyse
Scheme 1 in [dft2] (Cyclus) ind Fig. 4 in [dft2] (Struktur des Übergangszustands
der H-Übertragung und Struktur des Ketylradikalkomplexes). Die H-Atom-Übertragung
verlangt die Vertikalstellung von Tyr272. Dies trifft auch in der abweichenden Formulierung
des Katalysecyclus in Fig. 4 in [go2] zu.
15.4 Chemie und Biochemie der Cytochrom-cOxidase (CcO)
CcO ist das letzte Enzym der Atmungskette. CcO wird durch vier Äquivalente Cytochrom
c reduziert, um anschließend ein Sauerstoffmolekül in einem Schritt zu Wasser zu
reduzieren. Die gewonnene Energie wird als Protonengradient gespeichert. Die große Zahl
von vier Elektronen für die Reaktion
O 2 + 4 e − + 4 H + = 2 H 2O
stellt besondere Anforderungen an den Aufbau des aktiven Zentrums.
15.5 Struktur des Häm-a3-CuB-Zentrums in
Cytochrom-c-Oxidase (CcO)
CcO besteht aus 26 Proteinketten mit insgesamt 3614 Aminosäuren. Es liegt eine
Strukturanalyse von Rinderherz-CcO im oxidierten Zustand mit 1.8 Å Auflösung vor (PDBCode 1V54). Das O2-reduzierende Häm-a3-CuB-Zentrum kommt zusammen mit einem
weiteren Häm-a in zwei Proteinketten vor. Abgebildet ist eine dieser beiden fast
ausschließlich aus α-Helices bestehenden Ketten (A), zusätzlich ist im oberen Teil der
Abbildung die an Faltblattabschnitten reichere Kette B. Zwischen A und B findet sich ein
elektronenleitendes CuA-Zentrum:
96
Das abgebildete Protein reicht durch die innere Mitochondrienmembran. Der untere Teil
ragt in das Innere der Organelle, der obere Teil ragt in den Transmembranraum zwischen
innerer und äußerer Mitochondrienmembran. Die durch Cyt c herantransportierten
Elektronen werden vom CuA-Zentrum angenommen und an das Häm-a-Zentrum
weitergegeben. Der Elektronenfluss endet beim sauerstoffreduzierenden Häm-a3-CuBZentrum. Die vier Protonen der Bruttogleichung stammen aus dem Inneren des
Mitochondriums (im Bild unten).
Beim Häm-a3-CuB-Zentrum fällt vor allem die Umgebung des Kupferatoms auf. Diese
besteht aus drei His-Liganden, deren einer eine direkte Bindung zu einem Tyr-Rest
aufweist:
97
15.6 Katalysecyclus
Vgl. den Ablauf in Fig. 2 in [cco3] und in Fig. 2 in [cco2].
Die Kopplung des Protonentransfers an den Redoxprozess ist Gegenstand der aktuellen
Diskussion [cco1,cco2].
Bei der Klausur … : Koordinationsgeometrie bei verschiedenen dn-Konfigurationen;
formale und physikalische (spektroskopische) Oxidationsstufe; Lage eines spintragenden
Orbitals im Kristallfeld.
Zitierte Literatur
J. W. Whittaker: The radical chemistry of galactose oxidase. Arch. Biochem. Biophys.
2005, 433, 227–239 [go1].
S. G. Minasian, M. M. Whittaker, J. W. Whittaker: Stereoselective Hydrogen Abstraction by
Galactose Oxidase. Biochemistry 2004, 43, 13683–13693 [go2].
98
T. Lovell, F. Himo, W.-G. Han, L. Noodleman: Density functional methods applied to
metalloenzymes. Coord. Chem. Rev. 2003, 238–239, 211–232 [dft2].
T. Tsukihara, K. Shimokata, Y. Katayama, H. Shimada, K. Muramoto, H. Aoyama, M.
Mochizuki, K. Shinzawa-Itoh, E. Yamashita, M. Yao, Y. Ishimura†, S. Yoshikawa: The lowspin heme of cytochrome c oxidase as the driving element of the proton-pumping process.
PNAS 2003, 100, 15304–15309 [cco1].
A. Namslauer, P. Brzezinski: Structural elements involved in electron-coupled proton
transfer in cytochrome c oxidase. FEBS Letters 2004, 567, 103–110 [cco2].
M. Brunori, A. Giuffrè, P. Sarti: Cytochrome c oxidase, ligands and electrons. J. Inorg.
Biochem. 2005, 99, 324–336 [cco3].
99
16
4-Elektronen-Katalyse, Teil 2: Der O2-
freisetzende Komplex in Photosystem II
Neben der Nitrogenase ist das Photosystem II (PSII) der Dauerbrenner
bioanorganischer Forschung. Nachdem Kok 1970 die Grundlage für ein 5-ZuständeModell gelegt hatte, blieb und bleibt die Struktur des sauerstofffreisetzenden
Komplexes („OEC“ von oxygen-evolving complex) der Schlüssel zum Verständnis
der Funktion. Obwohl die Kenntnis der Struktur in den vergangenen Jahren durch
Einkristallstrukturanalyse erheblich zugenommen hat, bleiben viele Fragen, da die
derzeit beste Auflösung lediglich 3 Å beträgt, und da es große Unsicherheiten gibt,
inwieweit Strahlenschäden beim Röntgenexperiment das Ergebnis beeinflussen.
16.1 Chemie und Biochemie
Die Wasseroxidation durch Photosynthese, bei der gemäß
2 H 2O → O 2 + 4 H + + 4 e −
Sauerstoff, Protonen und vier Reduktionsäquivalente durch eine lichtgetriebene Reaktion
entstehen, findet in der Thylakoid-Membran der Chloroplasten aller grünen Pflanzen statt.
Bereits Anfang der 1970er Jahre publizierte Kok ein Blitzlicht-Experiment, das zur
Formulierung eines Fünf-Zustandsmodells führte. Dieses zunächst ohne Kenntnis
molekularer Details aufgestellte, phänomenologische Modell unterteilte die
Wasseroxidation in Einzelschritte: ausgehend von einem maximal reduzierten Zustand
S0 führt die Absorption des ersten Lichtquants durch 1-Elektronen-Oxidation des aktiven
Zentrums zu S1. Dieser Vorgang wiederholt sich noch dreimal, wobei S2, S3 und S4
entstehen. S4 stellt den höchstoxidierten Zustand dar, der Sauerstoff freisetzt und dabei in
den um vier Elektronen reicheren S0-Zustand zurückkehrt. Die einzelnen Elektronen, die
beim Durchlaufen der S-Zustände entzogen werden, reduzieren ein räumlich benachbartes
Tyr-Radikal, das durch Reduktion des durch Photooxidation entstandenen radikalischen
P680+-Zustands entstanden war. Das nach Anregung des P680-Zentrums freigesetzte
Elektron wird durch Plastochinon auf Photosystem I übertragen, wo durch weitere
Lichtenergie die für den Calvin-Cyclus benötigten, stark reduzierenden Niedrig-PotentialElektronen in Form von NADPH erzeugt werden.
100
Das Kok-Experiment nach V. P. Shinkarev, Biophys. J. 2005, 88, 412–421. Auf der
Ordinate ist die von dunkeladaptierten Spinatchloroplasten nach einem Blitz der
angegebenen Nummer freigesetzte Sauerstoffmenge aufgetragen. Welches ist der
Ruhezustand eines Chloroplasten?
16.2 Die Struktur des Photosystems II
Die mit 3 Å bestaufgelöste Struktur ist in 2AXT hinterlegt. Die Strukturanalyse zeigt
einen großen Transmembran-Protein-Cofaktor-Komplex, der die Thylakoidmembran eines
Chloroplasten durchdringt. Der Komplex hat C2-Symmetrie und enthält in jeder
Untereinheit einen OEC (gelbe Kreise):
101
Die asymmetrische Einheit ist aus 18 Proteinketten aufgebaut, die von einer Fülle lichtund elektronenleitender Cofaktoren durchzogen ist, vor allem von Chlorophyllmolekülen.
Die hohe Elektronendichte des OEC wird als CaMn4-Kern interpretiert, der im folgenden
Bild etwas unterhalb der Mitte zu sehen ist (Mn violett, Ca grün).
Der hohe Anteil an Cofaktoren ist in den beiden folgenden Bildern hervorgehoben, die in
derselben Orientierung wie die Totalansicht zuerst nur den Proteinanteil einschließlich des
OEC zeigen …
102
… und anschließend nur die Cofaktoren, wieder einschließlich des OEC:
Die Interpretation der Elektronendichte des OEC lässt viele Fragen offen. Die Autoren von
2AXT ordnen keine nichtproteinogenen Liganden zu, so dass viele Koordinationsstellen
frei bleiben:
103
Im Einklang mit den durchweg hohen Oxidationsstufen der Manganatome wird der OEC
vor allem von anionischen Carboxylato-Liganden gehalten. Neben den üblichen Asp- und
Glu-Seitenketten ist hierunter auch die Carboxylatgruppe eines C-terminalen Alaninrestes
(im Bild oben rechts). Die Abstände der Manganatome sind dieselben, wie sie bei
Modellkomplexen und bei Manganoxiden in kantenverknüpften Mn(μ-O)2Mn-Fragmenten
gefunden werden, weshalb bei den Strukturvorschlägen der meisten Autoren dieses
Strukturfragment allgegenwärtig ist. Das folgende Schema zeigt eines der Beispiele:
16.3 Die Oxidationszustände des OEC und
Katalysecyclus
Derzeit werden als Oxidationszustände diskutiert:
S0: II,III,IV,IV oder III,III,III,IV,
S1: III,III,IV,IV,
S2: III,IV,IV,IV,
S3: IV,IV,IV,IV.
104
Eine Beschreibung für S4 ist unklar. Autoren, die eine O-O-Bindung erst im Schritt S4→S0
formulieren, sehen S4 als MnIV4(O•−). Alternativ wird die Bildung einer ersten O-O-Bindung
nach Erreichen von S3 diskutiert, wobei dem Mangancluster vorzeitig zwei
Oxidationsäquivalente entzogen werden.
Einigkeit herrscht über die Kopplung des Elektronenentzugs mit Deprotonierungsschritten
bei jeder Photonenaufnahme. Schematisch:
Die Elektron-Proton-Kopplung erklärt den nur allmählichen Potentialanstieg des OEC
durch die zunehmende Stabilisierung der ansteigenden Oxidationsstufen durch immer
mehr anionische Liganden. Zugleich schafft diese Kopplung mehrere Brønsted-basische
Zentren, die beim S4→S0-Schritt Protonen der zu oxidierenden Wassermoleküle
aufnehmen können.
Wir könnten mit Kenntnis der Cytochrom-c-Oxidase fordern, dass die Natur es vielleicht
eher vermeiden wird, Peroxid zu binden während auf das nächste Photon gewartet wird.
Damit würden dann Vorstellungen übrig bleiben, nach denen zuerst vier
Oxidationsäquivalente akkumuliert werden und erst anschließend, im S4→S0-Schritt, die
O-O-Verknüpfung stattfindet. Schematisch:
Der Aqua-Ligand ist im Schema bewusst unklar koordiniert, da umstritten ist, ob er ein
Ligand an Calcium oder an einem der Manganatome ist. Die beiden Protonen werden von
Oxido-Liganden gebunden, die durch die Reduktion der Metallzentren basischer werden.
105
16.4 Redox-Katalyse mit Manganoxiden
Das aktive Zentrum im OEC weist Strukturmerkmale einfacher Mangan-(hydr)oxide auf.
Das gleichzeitige Auftreten von Kanten- und Eckenverknüpfung von MnO6-Oktaedern
tritt zum Beispiel bei Pyrolusit auf, einer kristallinen MnO2-Modifikation mit Rutil-Struktur;
Abbildungen hierzu sind im Abschnitt „Eisen(III)-(hydr(oxide)“ der Vorlesung
„Biomineralisation“ zusammengestellt.
Aktuelle Literatur
Eine umfassende Übersicht über den Photosyntheseapparat: N. Nelson, A. BenShem: The complex architecture of oxygenic photosynthesis. Nature Rev. Mol. Cell Biol.
2004, 5, 1–12 [oec1].
Beschreibung der Strukturanalyse mit der bislang besten Auflösung von 3 Å (2AXT):
J. Kern, J. Biesiadka, B. Loll, W. Saenger, A. Zouni: Structure of the Mn4–Ca cluster as
derived from X-ray diffraction. Photosynth. Res. 2007, 92, 389–405 [oec2].
Vergleichende Übersicht über die Röntgenstrukturanalysen: J. Barber: Crystal
Structure of the Oxygen-Evolving Complex of Photosystem II. Inorg. Chem. 2008, 47,
1700–1710 [oec3].
Ergänzung der Röntgenbeugungsdaten durch Röntgenspektroskopie: J. Yano, V. K.
Yachandra: Where Water Is Oxidized to Dioxygen: Structure of the Photosynthetic Mn4Ca
Cluster from X-ray Spectroscopy. Inorg. Chem. 2008, 47, 1711–1726 [oec4].
Zur Bedeutung des protonengekoppelten Elektronentransfers: T. J. Meyer, M. H. V.
Huynh, H. H. Thorp: Zur möglichen Rolle des protonengekoppelten Elektronentransfers
(PCET) bei der Oxidation von Wasser durch das Photosystem II. Angew. Chem. 2007, 119,
5378–5399 [oec5].
Aktuelle computerchemische Modellierung: E. M. Sproviero, J. A. Gascon, J. P.
McEvoy, G. W. Brudvig, V. S. Batista: Computational studies of the O2-evolving complex of
photosystem II and biomimetic oxomanganese complexes. Coord. Chem. Rev. 2008, 252,
395–415 [oec6].
Details zum letzten Stand der Diskussion erfahren Sie zum Beispiel in Vol. 1767, Heft 7,
von Biochimica et Biophysica Acta – Bioenergetics („BBA“) 2007, oder in Vol. 252, Heft
3–4, von Coord. Chem. Rev. 2008.
106
17
Hydrogenasen und Nitrogenase
Bei den Hydrogenasen – wasserstoffspaltenden und -bildenden Enzymen – werden
NiFe- und Fe-Hydrogenasen von metallfreien Hydrogenasen unterschieden. Die
Metalloenzyme nehmen aufgrund von Carbonyl- und Cyanido-Liganden an Eisen
eine Sonderstellung ein. Es stellt sich die Frage nach dem Nutzen dieser scheinbar
„unbiologischen“ Liganden und ihrer Biosynthese. Die Aktivität von Hydrogenasen
ist hoch: eine mit NiFe-Hydrogenase belegte Elektrode setzt so schnell Wasserstoff
um als wäre sie mit Platin belegt. Gelänge die Übertragung sauerstoffbeständiger
Hydrogenasen in die Technik, könnten Brennstoffzellen gebaut werden, in denen die
Elektrodenräume nicht mehr durch Membranen getrennt werden müssten.
17.1 Chemie und Biochemie der Hydrogenasen
Hydrogenasen erlauben es Anaerobiern zum einen, Protonen als terminale
Elektronenacceptoren zu nutzen, zum anderen können H2-verbrauchende Organismen
Wasserstoff als Reduktionsäquivalent einsetzen. In beiden Fällen katalysieren
Hydrogenasen die Reaktion:
H 2 ⇌ 2 H + + 2 e−
NiFe-Hydrogenasen, die bestuntersuchten Hydrogenasen, katalysieren die heterolytische
Spaltung von H2 und die anschließende Oxidation des Hydrids und fördern so die
Hinreaktion [nife1].
17.2 Molekülbau von NiFe-Hydrogenase
Es liegt eine Serie hochaufgelöster Strukturbestimmungen von Nickel-Eisen-Hydrogenase
von Desulfovibrio vulgaris vor, bei welchen sich die Vorbehandlung der Kristalle
unterscheiden. Dargestellt ist die mit einer Auflösung von 1.35 Å gelöste Struktur, die
wahrscheinlich das reaktionsbereite reduzierte Enzym zeigt: der Kristall wurde zuerst mit
H2, dann mit CO behandelt, anschließend unter Bedingungen photolysiert, welche die
107
Abspaltung des vorher zugefügten CO sicherstellen sollten, und anschließend wieder
mit H2 behandelt (PDB-Code 1UBU). Das Holoenzym besteht aus zwei Proteinketten
(transparent hellgrau und dunkler grau dargestellt), die insgesamt vier eisenhaltigen
Reaktionszentren einschließen: ein tief im Inneren lokalisiertes Nickel-Eisen-Zentrum
sowie drei Eisen-Schwefel-Cluster, die das verborgene aktive Zentrum mit der
Enzymoberfläche „verdrahten“:
Im folgenden Ausschnitt liegt das aktive Zentrum oben, darunter stellen drei Ferredoxine
den Elektronenfluss von und zum aktiven Zentrum sicher. Nur eines der Ferredoxine – das
obere – hat die geläufige [4Fe-4S]-Struktur, dem darunter liegenden fehlt ein Eisenatom.
Solche [3Fe-4S]-Zentren dienen demselben Zweck wie die übrigen Fds. Unten schließlich
ein vierkerniges Fd, das eine ungewöhnliche Umgebung aufweist, indem einer der üblichen
Cys-Liganden durch His ersetzt ist:
108
Das aktive Zentrum hat eine völlig unerwartete Struktur: ein biologisch aktiver
Zweikernkomplex, der kaum den Erwartungen an ein Biomolekül entspricht:
109
Das Eisenatom (links) ist von Cyanido- und Carbonylliganden koordiniert. Der Ni-FeAbstand beträgt 2.61 Å. Die Koordinationslücke im aktiven Zentrum lässt sich leicht
sichtbar machen: Behandlung von NiFe-Hydrogenase mit CO führt zur reversiblen
Blockierung des Enzyms. Die Strukturanalyse (PDB-Code 1UBO) zeigt die Bindung eines
schwach gewinkelten Carbonyl-Liganden am Nickelatom:
17.3 Katalysecyclus
In der Literatur herrscht Einigkeit über die heterolytische Spaltung von H2 (Übersicht:
[nife2]). Das dabei gebildete Hydrid tritt wohl als Hydrido-Brücke zwischen die beiden
Metall-Atome, während ein Proton von Cys546 übertragen und von diesem weitergegeben
wird. Man beachte, dass bei der derzeitigen Auflösung der Strukturanalysen keine
Wasserstofflagen experimentell bestimmt werden können. Es konnte jedoch durch
spezielle NMR-Techniken abgesichert werden, dass ein Hydrido-Ligand vorliegt [nife7].
Der dritte relativ einheitlich formulierte Punkt betrifft die Oxidationsstufen des Nickelatoms,
das im Verlauf des Cyclus zwischen den Stufen +II und +III wechselt. Diese Einzelheiten
sind in dem abgebildeten Minimalcyclus berücksichtigt.
110
17.4 Der μ-Hydrido-Zustand
Hydrido-Liganden sind – auch in einer wässrigen Umgebung – ausreichend stabilisiert,
wenn die Metall-H-Bindung hinreichend kovalent ist. Ein high-spin-Eisen(II)-Zentrum würde
diese Forderung sicher nicht erfüllen. Das Eisen(II)-Atom liegt jedoch – wie auch das
Nickel-Atom – im low-spin-Zustand vor. Dies bedingt ein auf den μ-H-Donorliganden
gerichtetes leeres Akzeptororbital (das im high-spin-Fall halbbesetzt wäre). Cyanido- und
Carbonyl-Liganden sind unumgänglich, da es der wirksamsten Starkfeld-Liganden bedarf,
um trotz der Anwesenheit der nur schwach aufspaltenden, π-basischen CysteinatoLiganden in der Summe zu einer low-spin-stabilisierenden Kristallfeldaufspaltung zu
gelangen.
17.5 Die Biosynthese von Cyanido-Liganden
Zur Frage der Biosynthese von Cyanido-Liganden liegt eine Publikation vor [nife4].
Danach stammt der Cyanido-Ligand aus der C-N-Funktion von Carbamoylphosphat.
111
Nach schrittweisem Aufbau der C-N-Dreifachfachbindung (Fig. 3 in [nife4]) erfolgt die
Übertragung des CN-Fragments durch einen reduktiven Reaktionsschritt von einer CysS-CN-Vorstufe auf Eisen. Die Bildung von freiem CN− wird auf diese kontrollierte Weise
umgangen.
17.6 Molekülbau von Eisen-Hydrogenase
Eisenhydrogenase ist bei weitem nicht so gut untersucht wie Nickel-Eisen-Hydrogenase.
Derzeit liegen zwei Strukturanalysen vor, die eine am Desulfovibrio-desulfuricans-Enzym
in einer Auflösung von 1.6 Å (PDB-Code: 1HFE), eine weitere an Clostridiumpasteurianum-Hydrogenase in 1.8 Å Auflösung (PDB-Code 1FEH). Die Abbildungen
beziehen sich auf das D.-desulfuricans-Enzym. Das Holoenzym enthält zwei [4Fe-4S]Cluster, die den Weg der ausgetauschten Elektronen von der Proteinperipherie in das
aktive Zentrum nachzeichnen, und einen achtkernigen Eisencluster. Das dargestellte
Protein ist in ungewöhnlicher Weise von einer zweiten ringförmigen Proteinkette wie
mit einem Gürtel umgeben. Da dieses Gürtelprotein keine unmittelbaren Kontakte zum
anorganischen Teil hat, ist es der Übersichtlichkeit halber weggelassen:
112
Das aktive Zentrum, der sechskernige Eisencluster, hat einen ebenso „unbiologisch“
anmutenden Aufbau wie das aktive Zentrum der NiFe-Hydrogenase:
An einen [4Fe-4S]-Cluster angeknüpft, fällt vor allem eine binucleare Einheit auf, in der
zwei Eisenatome in eigenartiger Weise koordiniert sind: neben je einem Carbonyl- und
einem Cyanido-Liganden werden die beiden Metallatome durch einen bifunktionellen
Liganden verbrückt, der in der Strukturanalyse als 1,3-Propandithiolat verfeinert wurde.
Ob hier die Elektronendichte richtig interpretiert wurde, bedarf weiterer Untersuchungen,
wobei die beiden Schwefelatome als weniger zweifelhalft erscheinen als die Propylen-
113
Brücke. In der aktuellen Übersicht [fehydr1] wird die mittlere Methylengruppe eher als
Imino- oder als Etherfunktion gesehen.
Eine Elektronendichte oberhalb der Dieisen-Einheit wurde als Sauerstoffatom verfeinert,
bei der C-pasteurianum-Struktur als μ2-CO-Ligand. Der Abstand zu den Metallatomen ist
für ein O-Atom recht gross (ca. 2.4 und 2.8 Å), als Mittelpunkt eines CO-Liganden ist der
Abstand eher akzeptabel. Auffallend ist der kurze Eisen-Eisen-Abstand von 2.57 Å (2.62
bei der C.-pasteurianum-Struktur) – eine Metall-Metall-Bindung in der Biochemie?
Um dies zu entscheiden, müssten die Oxidationsstufen der Eisenatome bekannt sein.
Der derzeitige Kenntnisstand zu dieser Frage ist in [fehydr1] und [nife2]
zusammengefasst. Es ist möglich, dass Fe-Hydrogenase die bislang in der Biologie nicht
gefundene Oxidationsstufe +I an Eisen aufweist, die in synthetischen Modellverbindungen
seit langem etabliert ist (Fig. 2 in [fehydr1], beachte: die Abbildung zeigt Dianionen). Bei
Fe-Hydrogenase werden im oxidierten, paramagnetischen Zustand die Oxidationsstufen
+II und +I für das proximale und das distale Fe-Atom gesehen (proximal und distal relativ
zum Eisen-Schwefel-Cluster). Eines der Argumente für die Oxidationsstufe +I am distalen
Fe-Atom ist die Schwingungsfrequenz der CO-Liganden: das an Fedistal gebundene CO
weist eine niedrigere Frequenz auf als an Feproximal gebundene.
Die aktuellen Vorstellungen zum Katalysecyclus zeigen Ähnlichkeit mit dem Ablauf beim
Nickel-Eisen-Enzym. Sicher scheint auch hier die Heterolyse der H-H-Bindung [nife2].
17.7 Chemie und Biochemie von Nitrogenase
Mikroorganismen sind in der Lage, Stickstoff aus der Luft zur Stufe des Ammoniaks zu
reduzieren und so in die Biosphäre einzuschleusen. Bakterien der Gattung Rhizobium
leben mit Pflanzen aus der Familie der Fabaceae in Symbiose, woraus sich die seit langem
genutzte Fähigkeit von Schmetterlingsblütlern wie Erbsen oder Lupinen ergibt, den Boden
mit Stickstoff anzureichern.
Das stickstoffreduzierende bakterielle Enzym ist die Nitrogenase. In Abwesenheit von
Stickstoff wirkt Nitrogenase als Hydrogenase, in Anwesenheit von Stickstoff wird die
folgende Reaktion katalysiert:
N2 + 8 H+ + 8 e− = 2 NH3 + H2
Die Energie für diese endotherme Reaktion wird durch die Hydrolyse von 16 MgATP
aufgebracht.
114
17.8 Molekülbau von Nitrogenase
Nitrogenase besteht aus zwei verschiedenen Proteinen, dem Eisenprotein, das einen
[4Fe-4S]-Cluster enthält, und dem MoFe-Protein. Das Fe-Protein koppelt nur zur
Übertragung eines Elektrons an das MoFe-Protein. Dieses kumuliert die angelieferten
Elektronen bis zu einem gewissen Reduktionsgrad. Steht beim Erreichen dieser Stufe N2
zur Verfügung, so beginnt die wahrscheinlich schrittweise Reduktion. Ist kein Stickstoff
vorhanden, werden die angesammelten Elektronen auf H+ übertragen und es entsteht
Wasserstoff.
Es liegt eine hochaufgelöste Strukturanalyse des MoFe-Proteins vor (1.16 Å Auflösung,
PDB-Code: 1M1N):
In dem aus zwei Proteinketten aufgebauten Enzym sind zwei metallhaltige Cofaktoren mit
einzigartiger Struktur enthalten. Der „P-Cluster“ ist ein [8Fe-7S]-Eisenschwefelcluster, der
von 4 Cys-Liganden in das Protein eingebunden ist. Ungewöhnlich ist der zentrale, an
sechs Eisenatome bindende μ6-Sulfido-Ligand:
115
Als Funktion des P-Clusters wird die Akkumulation von Reduktionsäquivalenten gesehen.
Der Ort der Stickstoffreduktion scheint ein zweiter ungewöhnlicher Eisen-Schwefel-Cluster
zu sein, der MoFe-Cluster (im Bild des Holoenzyms das Metallzentrum links oben):
Der MoFe-Cofaktor ist ein ebenfalls ungewöhnlicher und in keinem anderen Enzym
vorkommender [7Fe-9S]-X-Mo-Homocitrat-Cluster. „X“ wird in allen aktuellen Arbeiten als
μ6-Nitrido-Ligand interpretiert. Der Cluster wird (im Bild rechts) von einem Molybdänatom
komplettiert, das in oktaedrischer Koordination von 3 Sulfido-Liganden, einem
zweizähnigen Homocitrato- und einem His-Ligand umgeben ist. Der gesamte Cofaktor,
der zum Beispiel in N,N-Dimethylformamid löslich ist, wird von nur zwei Aminosäuren im
Protein verankert, einem Fe-gebundenen Cys und einem Mo-bindenden His.
Die Kristallisation von N2-bindendem Protein ist bislang nicht gelungen, so dass die
Formulierung eines Katalysecyclus spekulativ ist. Eine erste Schwierigkeit ist das Fehlen
einer offensichtlichen Koordinationslücke. Aktuelle Arbeiten, von welchen aus der Stand
der Diskussion erschlossen werden kann, sind in [n2ase1]–[n2ase7]
zusammengestellt.
116
Bei der Klausur … : Stellung von π-Säuren in der spektrochemischen Reihe; Darstellung
der π-Säure–Zentralmetall-Wechselwirkung im Orbitalbild.
Zitierte Literatur zu NiFe-Hydrogenase
D. J. Evans, C. J. Pickett: Chemistry and the hydrogenases. Chem. Soc. Rev. 2003, 32,
268–275 [nife1].
P. E. M. Siegbahn, J. W. Tye, M. B. Hall: Computational Studies of [NiFe] and [FeFe]
Hydrogenases. Chem. Rev. 2007, 107, 4414–4435 [nife2].
S. Reissmann, E. Hochleitner, H. Wang, A. Paschos, F. Lottspeich, R. S. Glass, A. Böck:
Taming of a Poison: Biosynthesis of the NiFe-Hydrogenase Cyanide Ligands. Science
2003, 1067–1070 [nife4].
M. Brecht, M. van Gastel, T. Buhrke, B. Friedrich, W. Lubitz: Direct Detection of a Hydrogen
Ligand in the [NiFe] Center of the Regulatory H2-Sensing Hydrogenase from Ralstonia
eutropha in Its Reduced State by HYSCORE and ENDOR Spectroscopy. J. Am. Chem.
Soc. 2003, 125, 13075–13083 [nife7].
… zu Fe-Hydrogenase
X. Liu, S. K. Ibrahim, C. Tard, C. J. Pickett: Iron-only hydrogenase: Synthetic, structural and
reactivity studies of model compounds. Coord. Chem. Rev. 2005, in press [fehydr1].
… zu Nitrogenase
P. C. Dos Santos, R. Y. Igarashi, H.-I. Lee, B. M. Hoffman, L. C. Seefeldt, D. R. Dean:
Substrate Interactions with the Nitrogenase Active Site. Acc. Chem. Res. 2005, 38,
208–214 [n2ase1].
L. C. Seefeldt, I. G. Dance, D. R. Dean: Substrate Interactions with Nitrogenase: Fe versus
Mo. Biochemistry 2004, 43, 1402–1409 [n2ase2].
C. M. Kozak, P. Mountford: Distickstoffaktivierung und -funktionalisierung durch
Metallkomplexe: ein Durchbruch. Angew. Chem. 2004, 116, 1206–1209 [n2ase3].
R. Y. Igarashi, L. C. Seefeldt: Nitrogen Fixation: The Mechanism of the Mo-Dependent
Nitrogenase. Crit. Rev. Biochem. Mol. Biol. 2003, 38, 351–384 [n2ase4].
O. Einsle, F. A. Tezcan, S. L. A. Andrade, B. Schmid, M. Yoshida, J. B. Howard, D. C.
Rees: Nitrogenase MoFe-Protein at 1.16 Å Resolution: A Central Ligand in the FeMoCofactor. Science 2002, 297, 1696–1700 [n2ase5].
B. A. MacKay, M. D. Fryzuk: Dinitrogen Coordination Chemistry: On the Biomimetic
Borderlands. Chem. Rev. 2004, 104, 385–401 [n2ase6].
117
P. C. Dos Santos, D. R. Dean, Y. Hu, M. W. Ribbe: Formation and Insertion of the
Nitrogenase Iron-Molybdenum Cofactor. Chem. Rev. 2004, 104, 1159–1173 [n2ase7].
118
18
Organometallchemie in Organismen:
Metall-Methyl-Bindungen in Cobalaminabhängiger Methionin-Synthase und in CODehydrogenase/Acetyl-CoA-Synthase
18.1 Chemie und Biochemie von Cobalaminabhängiger Methionin-Synthase
Cobalamin-abhängige Methionin-Synthase methyliert in Bakterien und Säugern
Homocystein zu Met. Das Enzym überträgt dabei eine Methylgruppe von Methyltetrahydrofolat auf einen Cobalamin-Cofaktor, dieser S-methyliert anschließend das Thiol
Homocystein. Eine eventuelle Nebenreaktion unter Bildung des inaktiven Cobalt(II)Cofaktors kann in einem Nebenweg durch Reduktion und Reaktion mit Adenosylmethionin
(AdoMet) repariert werden. Diese Chemie mit vier sterisch aufwändigen Substraten
verlangt eine ungewöhnliche Beweglichkeit des Proteins, die Gegenstand aktueller
Forschung ist.
18.2 Molekülbau von Methionin-Synthase
PDB-Code 1K7Y bezieht sich auf die reduzierte Form des E.-coli-Enzyms (Auflösung:
3 Å). Der Cobalamin-Cofaktor ist nicht-kovalent und nicht-koordinativ in das Apoprotein
eingelagert:
119
Der Cofaktor enthält Cobalt in der Oxidationsstufe +I. Das Zentralmetall ist als quadratischplanar koordiniertes d8-Zentrum koordinativ gesättigt:
120
PDB-Code 1BMT zeigt mit 3 Å Auflösung das Enzym mit der methylierten Form des
Cofaktors:
121
Die Oxidationsstufe des Zentralmetalls ist hier +III mit der Koordinationszahl 6, die jedoch
auch hier nicht unter Beteiligung der Benzimidazol-Seitenkette zustande kommt, sondern
durch die koordinative Bindung an eine His-Seitenkette des Proteins (vgl. die Formel in Fig.
1 von [cbl2]):
122
18.3 Katalysecyclus
Ein Katalysecyclus ist in Scheme 21 (p. 2136) von [cbl1] formuliert, der AdoMetSeitenweg ist in Fig. 1 von [cbl3] mit aufgenommen. Die transferierten Methylgruppen
werden jeweils als formale CH3+-Fragmente übertragen. Dies wird möglich, da das
quadratisch-planare low-spin d8-Cobalt(I)-Zentrum als Metallbase wirkt und über ein
Elektronenpaar im d(z2)-Orbital als Nucleophil an Methyl-tetrahydrofolat angreifen kann,
um anschließend als Abgangsgruppe das Carbenium-Fragment einem Thiolat zu
überlassen. Durch die Einstufung einer metallgebundenen Methylgruppe als CH3−-Ligand
wird diese Reaktionsfolge zu einem 2-e-Redoxprozess am Zentralmetall:
123
18.4 Chemie und Biochemie von CODH/ACS
Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/Acetylcoenzym-A-Synthase (CODH/ACS) ist ein
bifunktionelles Enzym, dass in acetogenen, methanogenen oder sulfatreduzierenden
Anaerobiern, die unter CO2 als einziger Kohlenstoffquelle wachsen können, CO2 zu CO
reduziert und dieses anschließend zusammen mit einer Methylgruppe unter Bildung von
Acetyl-CoA an Coenzym A bindet. Die CO-Dehydrogenase-Funktion ist im sogenannten
C-Cluster des Enzyms lokalisiert, die ACS-Aktivität im A-Cluster. Die am C-Cluster
katalysierte Reaktion ist:
CO2 + 2 H+ + 2 e− = CO + H2O
Das gebildete CO gelangt – ohne das Enzym zu verlassen – durch einen Kanal zum
A-Cluster, wo es mit zwei Reaktionspartnern gekoppelt wird: mit einer Methylgruppe
aus einem Methylcobalamin-Eisen-Schwefel-Protein (engl. corrinoid iron sulfur protein,
CFeSP) und mit Coenzym A:
CH3-CoIII-CFeSP + CO + CoA-SH = CoI-CFeSP + CoA-S-C(O)CH3 + H+
(Man beachte die hier unglücklich zusammentreffenden üblichen Kürzel: Co bedeutet zum
einen Cobalt, zum anderen Coenzym.)
124
18.5 Molekülbau von CODH/ACS
Es liegt eine Strukturanalyse an Moorella-thermoacetica-CODH/ACS vor (2.2 Å Auflösung,
PDB-Code 1MJG [codh_acs1]). Dargestellt ist eine α- und eine β-Kette des α2β2Heterotetramers. Die beiden Reaktionszentren, der A-Cluster (oben) und der C-Cluster
(unten) sind durch einen hydrophoben Kanal verbunden, durch den CO diffundieren kann.
125
Das aktive Zentrum der β-Kette ist der C-Cluster, ein [4Fe-Ni-3S]-Fragment, das von
drei Fe-Cys-Kontakten sowie einer Ni-Cys und einer Ni-His-Bindung in das Protein
eingebunden ist. Der kürzeste Fe-Ni-Abstand beträgt 2.67 Å:
Eine Metall-Kohlenstoff-Bindung wird im Katalysecyclus am aktiven Zentrum der α-Kette
formuliert. In diesem A-Cluster ist ein [4Fe-4S]-Baustein über einen verbrückenden CysLigand mit einer binuklearen Einheit verbunden. Deren Aufbau ist ebenso ungewöhnlich
wie umstritten. Das linke, hell-türkisblau gezeichnete Metallatom bindet einen AcetylLigand, dessen Identität bei einer Auflösung von 2.2 Å als unsicher betrachtet werden darf.
Auch die Identität des Metallions ist nicht völlig klar. Bei Beugungsversuchen mit hoher
anomaler Dispersion der einzelnen vermuteten Metallatome ergibt sich die bevorzugte
Besetzung mit Kupfer. Eine zweite Strukturanalyse kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass
zumindest in der katalytisch aktiven Form ein zweites Nickelatom diese Position besetzt.
Das rechte Metallatom wird übereinstimmend als Nickel identifiziert. Die quadratischplanare Umgebung ist für Nickel(II) nicht ungewöhnlich, die Ligandausstattung schon.
Neben zwei verbrückenden Cys-Liganden ist der seltene Fall realisiert, dass die
Proteinhauptkette Ligandatome zur Verfügung stellt, und zwar die wohl deprotonierten
Amid-N-Atome der Cys-Gly-Cys-Einheit, die auch die beiden μ-SCys-Liganden zur
Verfügung stellt.
126
So ungewöhnlich der Aufbau des A-Clusters ist, so umstritten ist er derzeit auch. Es
liegt eine zweite Strukturanalyse an CODH/ACS desselben Organismus vor, die zu einem
anderen Schluss kommt (1.9 Å Auflösung, PDB-Code 1OAO). Neben einem A-Cluster in
einer „geschlossenen“ Konformation – diese Form wird in 1MJG ausschließlich gefunden
–, der anstelle des Kupferatoms ein Zinkatom aufweist, wird ein zweiter A-Cluster in
einer reaktionsbereiten „offenen“ Konformation gefunden. Die Kupfer/Zink-Lage ist hier von
Nickel belegt:
Zugleich werden Ergebnisse vorgelegt, die das Vorhandensein dieser Ni2-Form als
notwendige Voraussetzung für die Aktivität des Enzyms aufzeigen.
18.6 Katalyse
Der Ablauf der Katalyse ist weitgehend spekulativ. Fig. 3 in [codh_acs1] zeigt einen
Vorschlag, bei dem das durch vier anionische Liganden elektronenreiche Nickel(II)Zentrum ein CH3+-Fragment von Methylcobalamin übernimmt – es bildet sich eine MetallMethyl-Bindung. Bei der anschließenden Kopplung des an Kupfer(I) vermuteten CarbonylLiganden mit der Methylgruppe sind die durchlaufenen elektronischen Zustände völlig
unklar.
Alternativ wird von Nickel(0) als das dem Eisen-Schwefel-Cluster benachbarte Metall
ausgegangen. An dieses wird CO koordiniert, CH3+ oxidativ addiert und anschließend der
Acetyl-Ligand durch CO-Insertion in die Metall-Methyl-Bindung gebildet. Diese Sichtweise
entspricht völlig dem Ablauf des Monsanto-Essigsäure-Prozesses (Fig. 5 in
[codh_acs3]).
Bei der Klausur … : Alkyl-Metall-Komplexe als Alkylierungsmittel; Stellung kovalent
bindender Liganden in der spektrochemischen Reihe; Alkylübertragung als oxidative
Addition/reduktive Eliminierung.
127
Zitierte Literatur
K. L. Brown: Chemistry and Enzymology of Vitamin B12. Chem. Rev. 2005, 105,
2075–2149 [cbl1].
K. P. Jensen: Electronic Structure of Cob(I)alamin: The Story of an Unusual Nucleophile.
J. Phys. Chem. B 2005, 109, 10505–10512 [cbl2].
J. C. Evans, D. P. Huddler, M. T. Hilgers, G. Romanchuk, R. G. Matthews, M. L. Ludwig:
Structures of the N-terminal modules imply large domain motions during catalysis by
methionine synthase. PNAS 2004, 101, 3729–3736 [cbl3].
Strukturanalyse an CODH/ACS: T. I. Doukov, T. M. Iverson, J. Seravalli, S. W. Ragsdale,
C. L. Drennan: A Ni-Fe-Cu Center in a Bifunctional Carbon Monoxide Dehydrogenase/
Acetyl-CoA Synthase. Science 2002, 298, 567–572 [codh_acs1].
Eine aktuelle Übersicht mit viel Modellchemie: T. C. Harrop, P. K. Mascharak:
Structural and spectroscopic models of the A-cluster of acetyl coenzyme a synthase/
carbon monoxide dehydrogenase: Nature’s Monsanto acetic acid catalyst. Coord. Chem.
Rev. 2005, in press [codh_acs2].
C. Damault, A. Volbeda, E. J. Kim, P. Legrand, X. Vernède, P. A. Lindahl, J. C. FonticellaCamps: Ni-Zn-Fe4-S4] and Ni-Ni-Fe4-S4] clusters in closed and open α subunits of acetylCoA synthase/carbon monoxide dehydrogenase. Nat. Struct. Biol. 2003, 10, 271–279
[codh_acs3].
J. Seravalli, Y. Xiao, W. Gu, S. P. Cramer, W. E. Antholine, V. Krymov, G. J. Gerfen, S. W.
Ragsdale: Evidence That NiNi Acetyl-CoA Synthase Is Active and That the CuNi Enzyme
Is Not. Biochemistry 2004, 43, 3944–3955 [codh_acs4].
S. W. Ragsdale: Life with Carbon Monoxide. Critical Reviews in Biochemistry and
Molecular Biology 2004, 39, 165–195 [codh_acs5].
Die neueste Arbeit, die im Augenblick in diesem Skript noch nicht berücksichtigt
wird: W. Gong, B. Hao, Z. Wei, D. J. Ferguson, Jr., T. Tallant, J. A. Krzycki, M. K. Chan:
Structure of the α2ε2 Ni-dependent CO dehydrogenase component of the Methanosarcina
barkeri acetyl-CoA decarbonylase/synthase complex. PNAS 2008, 105, 9558–9563.
128
19
Ein großtechnisch genutztes
Metallenzym: Xylose-Isomerase („GlucoseIsomerase“)
Angesichts der Fülle von Enzymen ist es erstaunlich, dass nur eine Handvoll davon
in isolierter Form großtechnische Verwendung finden. Unter den Enzymen mit
Metall-Zentrum ist dies die Xylose-Isomerase, die im Tonnen-Maßstab hergestellt
und für die Isomerisierung von Glucose zur Glucose/FructoseGleichgewichtsmischung (“high fructose syrup”) eingesetzt wird – in Nordamerika
das wichtigste Süßungsmittel weit vor der bei uns bedeutenderen Saccharose
(Rohrzucker, Rübenzucker). Xylose-Isomerase ist ein metallabhängiges Enzym mit
zweikernigem aktivem Zentrum, in dem eine Hydridverschiebung an der zur
offenkettigen Form aufgefalteten Glucose die isomere Ketose erzeugt. XyloseIsomerase ist wohl das schönste Beispiel für ein Enzym, das trotz enormer
wirtschaftlicher Bedeutung auch nicht ansatzweise modelliert worden ist – eine
lohnende Aufgabe schon wegen der Möglichkeit, das Enzym durch einen
kostengünstigeren synthetischen, „biomimetischen“, Katalysator zu ersetzen. Die
katalytisch aktiven Metalle im Enzym sind übrigens austauschbar: Mangan(II) in der
Natur, in der Technik auch Magnesium und Cobalt(II).
19.1 Molekülbau
Es liegen hochaufgelöste Strukturanalysen für Xylit- und Glucose-beladene XyloseIsomerase vor (Auflösung < 1 Å) [xyl1]. Das Holoenzym ist in der mit Xylit beladenen
Form gezeigt (PDB-Code 1S5N):
129
Das aktive Zentrum ist ungewöhnlich hoch hydratisiert (gepunktete Kugeln). Ein XylitMolekül bindet mit O2 und O4 unter Ausbildung eines Chelat-Sechsrings an die
vollbesetzte rechte Manganposition. Die weiteren Liganden des rechten Manganatoms
sind vier Carboxylate von Asp- und Glu-Seitenketten. Das zweite Manganatom ist über
drei Lagen fehlgeordnet. Dessen weitere Liganden sind drei Asp/Glu-Reste, ein His,
sowie Wassermoleküle. Xylit hat bindende Kontakte außer zu den Metallatomen und
Wassermolekülen auch zu einem Lys-Rest im linken Bildteil.
130
Beim Eintauchen der Kristalle in Glucoselösungen wird ein α-Glucose-Addukt erhalten, in
dem das linke Manganatom die äußerst linke Lage der vorigen Abbildung einnimmt und in
dem die Aldose mit O3 und O4 einen Chelatfünfring mit dem rechten Manganatom aufbaut
(PDB-Code 1S5M):
Es ist überraschend, den α-Glucopyranose-Ligand vorzufinden, der im wässrigen
Lösungsgleichgewicht nur zu einem Drittel vorliegt; die Hauptspezies ist vielmehr das βAnomer. Im folgenden Bild sind Wechselwirkungen dargestellt, die wohl zur Verschiebung
des Anomerengleichgewichts beitragen: (1) zwei Wassermoleküle bilden
Wasserstoffbrückenbindungen zum α-O1; (2) die hydrophobe Seitenkette eines
Phenylalanins die Annäherung von Wassermolekülen an ein β-O1 verhindern, vielleicht
sogar die Positionierung der β-Hydroxylgruppe selbst. Die Spezifität für Xylose und
Glucose scheint durch die weitere Auskleidung des aktiven Zentrums gesichert zu werden:
zwei Tryptophan-Seitenketten bilden ein hydrophobes Dach und einen Boden, der
131
Äquatorbereich des Pyranoserings ist jedoch hydrophil. Zucker mit axialen
Hydroxylgruppen sollten durch diese Gestaltung des Raums benachteiligt sein.
19.2 Katalyse
Für die Aldose/Ketose-Epimerisierung ist Säure/Base-Katalyse zu erwarten. Vor diesem
Hintergrund überrascht die Auskleidung des aktiven Zentrums. Mangan(II) ist ebenso
wie das als Ersatz geeignete Magnesium ohnehin eine sehr schwache Lewis-Säure.
Insgesamt sechs Carboxylat-Funktionen und nur ein His-Ligand sollte keine für die
Katalyse verfügbare Acidität mehr übrig lassen. Es fällt auf, dass bei der Bindung von
α-Glucose die reagierenden Funktionen an C1 und C2 sich nicht unmittelbar am Metall
befinden. Es sollte vielleicht in Betracht gezogen werden, dass in diesem Beispiel die
Metallatome nur der Positionierung des Substrats dienen könnten ohne in die Reaktion
selbst einzugreifen.
Eine minimale Version der benötigten Reaktion ist für α-Xylose als Substrat im folgenden
Schema dargestellt; in ähnlicher Weise wird auch für metallfreie Epimerasen formuliert:
132
Schritt a ist die säurekatalysierte Ringöffnung. Das Carbenium-Ion stabilisiert sich in
Schritt b entweder durch Hydridverschiebung oder durch Deprotonierung/Endiol-Bildung/
Reprotonierung. In Schritt c kommt es zum Ringschluss durch O5, wobei das zur Katalyse
benötigte H+ wieder abgespalten wird. Das oben gezeigte Bild vom aktiven Zentrum des
Enzyms zeigt eine strukturelle Voraussetzung für diesen Ablauf, nämlich ein His in HBrückenentfernung zum Ring-O-Atom.
Zitierte Literatur
T. D. Fenn, D. Ringe, G. A. Petsko: Xylose Isomerase in Substrate and Inhibitor Michaelis
States: Atomic Resolution Studies of a Metal-Mediated Hydride Shift. Biochemistry 2004,
43, 6464–6474 [xyl1].
133
20
Allgemeine Literatur >
In den letzten Jahren hat sich die Kenntnis über Aufbau und Funktion von Enzymzentren
lawinenartig vermehrt – vor allem durch die sich rasch vermehrende Datenflut auf dem
Gebiet der Einkristallstrukturanalysen von Enzymen sowie durch die immer erfolgreichere
Behandlung von Katalysezyklen durch computerchemische Methoden. Es gelingt daher
nicht, Lehrbücher anzugeben, die den aktuellen Stand angemessen wiedergeben (für
2003 ist der Stand der Forschung übersichtlich beschrieben in: H. B. Gray: Biological
inorganic chemistry at the beginning of the 21st century. PNAS 2003, 100, 3563–3568
[status_2003]) Man beachte dies bei der Lektüre der angegebenen Lehrbücher.
20.1 Übersichten über den aktuellen Stand
bioanorganischer Forschung:
Modellierung von Metallzentren in Enzymen mit kurzen Übersichten zum Stand der
biochemischen Aspekte: Chem. Rev. 2004, 104, 347–1200, und Chem. Rev. 2005, 105,
1917–2722.
Einzelne Metalloenzyme werden vorgestellt in: Handbook of Metalloproteins, Wiley,
Chichester 2001.
J. A. McCleverty, T. A. Meyer, Comprehensive Coordination Chemistry II, Elsevier, 2004.
Im Text abgekürzt im Stil: A.-F. Miller: Superoxide Processing. CCC 8, 479–506 (492–498);
lies: Band 8, Aufsatz “Superoxide Processing” auf S. 479–506, davon die Abschnitte auf S.
492–498.
20.2 Lehrbücher:
J. A. Cowan: Inorganic Biochemistry. An Introduction. 2nd ed. Wiley-VCH, 1997, ISBN
0-471-18895-6. — Besprechung der 1. Auflage von 1993: Angew. Chem. 1994, 106, 1592.
134
S. J. Lippard, J. M. Berg: Bioanorganische Chemie. Spektrum, 1994, ISBN 3-86025-139-2
(Hardcover); ISBN 3-86025-242-9 (Paperback). — Buchbesprechung: Angew. Chem. 1996,
108, 116–117.
I. Bertini, H. B. Gray, S. J. Lippard, J. S. Valentine: Bioinorganic Chemistry. University
Science Books, 1994, ISBN 0-935702-57-1. — Buchbesprechung: Angew. Chem. 1995,
107, 1019.
W. Kaim, B. Schwederski: Bioanorganische Chemie. Teubner, 2004, ISBN 3-519-23505-6.
— Buchbesprechung der ersten Auflage: Angew. Chem. 1993, 105, 314–315.
20.3 Lehrbücher, in denen die Grundlagen der
Koordinationschemie ansprechend dargestellt sind:
D. F. Shriver, P. W. Atkins: Inorganic Chemistry, 3rd ed., Oxford University Press, 1999,
ISBN 0-19-850331-8.
D. F. Shriver, P. W. Atkins, C. H. Langford: Anorganische Chemie (Hrsg.: J. Heck, W. Kaim,
M. Weidenbruch), Wiley-VCH, 1997, ISBN 3-527-29250-0. — Deutsche Übersetzung der 2.
englischsprachigen Auflage. Buchbesprechung: Angew. Chem. 1998, 110, 1210.
S. F. A. Kettle: Physical Inorganic Chemistry - A Coordination Chemistry Approach,
Spektrum Academic Publishers, 1996, ISBN 0-19-850405-5. — Buchbesprechung: Angew.
Chem. 1997, 109, 1415.
Übersicht über die Klausurstichwörter:
Allgemeine Koordinationschemie und Säure-Base-Chemie:
Faustregeln kennen, um die Stabilität von Komplexen abzuschätzen; LFSE-Werte
ausrechnen; Jahn-Teller-Verzerrung.
Kristallfeldaufspaltung beim Oktaeder und Tetraeder und bei verzerrten Formen,
Auswahlregeln in Elektronenspektren, charge-transfer-Übergänge.
Selbstorganisation, Mustererkennung, Spinkopplung in Clustern mit Brückenliganden,
Superaustausch.
Koordinationsgeometrie bei verschiedenen dn-Konfigurationen; formale und physikalische
(spektroskopische) Oxidationsstufe; Lage eines spintragenden Orbitals im Kristallfeld.
Aufbau und Acidität von Aqua-Metall-Komplexen; Faktoren, welche die Acidität von
metallgebundenen Aqua-Liganden beeinflussen (Koordinationszahl, Ladungsdichte am
Zentralmetall, Einbindung der Protonen in Wasserstoffbrückenbindungen).
135
Einschränkung der Koordinationsgeometrie durch Ligandfeldstabilisierungsenergie
(LFSE); Darstellung einer Inhibitorwirkung im Energieschema einer Reaktion; Acidität und
Nukleophilie verbrückender Aqua/Hydroxido-Liganden.
Redox-Chemie:
Umgang mit Potentialdiagrammen, Erkennen der freiwillig ablaufenden Redoxreaktion.
Einfluss von Liganden auf elektrochemische Potentiale, Bedeutung von Potentiallagen in
Reaktionskaskaden, Reorganisationsenergie.
pH-Abhängigkeit
Oxidationsstufen.
elektrochemischer
Potentiale,
Stabilisierung
hoher/niedriger
Bedeutung der Elektrostatik bei der Abschätzung des Redoxpotentials; Stabilisierung
hoher Oxidationsstufen durch anionische Liganden.
Zusammenhang zwischen der Energie der Metall-Grenzorbitale und der RedoxReaktivität; Abhängigkeit der Grenzorbitalenergie von der Ligandanordnung.
Spinzustände, Starkfeldliganden:
Voraussetzungen für den high-spin–low-spin-Übergang; Auswirkung des Übergangs auf
die Metall-Ligand-Bindungsordnung und die Kovalenz der Bindung; Aufspaltung der dNiveaus in Porphyrin-Komplexen, räumliche Lage der Grenzorbitale in geläufigen
zweiatomigen Liganden.
Unterschiede zwischen wichtigen zweiatomigen Liganden mit deren Grenzorbitalen
verknüpfen: CO, CN−, NO+, NO, NO−, O2, O2•−, O22−.
Stellung von π-Säuren in der spektrochemischen Reihe; Darstellung der πSäure–Zentralmetall-Wechselwirkung im Orbitalbild.
Alkyl-Metall-Komplexe als Alkylierungsmittel; Stellung kovalent bindender Liganden in der
spektrochemischen Reihe; Alkylübertragung als oxidative Addition/reduktive Eliminierung.
136
21
Anhang I: Koordinationschemische
„Steckbriefe“ der behandelten Metallzentren
Die angegebenen Ionenradien sind unkorrigierte Shannon-Prewitt-Radien nach R. D.
Shannon: Crystal Radii in Oxides and Fluorides, in: Encyclopedia of Inorganic Chemistry,
Vol. 2 (Ed. R. B. King), p. 929–942, Wiley 1994.
Die pKA-Werte der hydratisierten Metall-Kationen sind entnommen aus: D. T. Richens: The
Chemistry of Aqua Ions, Wiley 1997.
Eisen(II): wenig stabile Komplexe in der high-spin-Form
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE[6o]/Dq
bevorzugte Koordination
Lösungsspezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.77[hs-4t], 0.78[hs-4sp], 0.92[hs-6o], 0.75[ls-6o]
d6
hs: −4, ls: −24
hs: (N,O)5–6, S4, ls: N6, N5(O,S)
[Fe(H2O)5–6]2+
9.5
kaum [Fe(NH3)4–6]2+, Fe(OH)2
FeS
[Fe(CN)6]4−
Eisen(III): schwerlösliches Fe(OH)3 lässt nur sehr stabile Komplexe
zu
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Spezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.63[hs-4t], 0.785[hs-6o], 0.69[ls-6o]
d5
hs: 0, [ls-6o]: −20
hs: O6, ls: (N,O)6
Fe(OH)3
2.2
Fe(OH)3
Fe(OH)3
[Fe(CN)6]3−
137
Kupfer(I): eine weiche Lewis-Säure in tetraedrischer Ligandsphäre
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Lösung bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
E 0'
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.74[4t], 0.91[6o]
d10
0
N 4, S 4
Disproportionierung
–
0.1 V
[Cu(NH3)4]+
Cu2S
[Cu(CN)4]3−
Kupfer(II): das Jahn-Teller-Ion
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Lösung bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
E 0'
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3Lösung
+ CN−
0.71[4], 0.79[5], 0.87[6o]
d9
>0
N/O4–6, JT-verzerrt
[Cu(H2O)5]2+ vgl. [Cu1]
8.0
0.1 V
[Cu(NH3)4(H2O)2]2+
„CuS“, enthält neben CuII und S2− auch CuI und
S22−
Reduktion zu [Cu(CN)4]3−
Mangan(II): wenig stabile Komplexe, variable Umgebung
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Spezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.97[hs-6o]
d5
0
(N,O)6
[Mn(H2O)6]2+
10.6
Mn(OH)2
MnS
ls-[Mn(CN)6]4−
138
Mangan(III): ein weiteres oxiderendes Jahn-Teller-Ion
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Spezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.785[hs-6]
d4
>0
O4–6, JT-verzerrt
Mn(OH)3; MnOOH
0.7
Mn(OH)3, MnOOH??
?
ls-[Mn(CN)6]3−??
Mangan(IV): ein stark oxiderendes Zentrum im O6-Oktaeder
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Spezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.67[6o]
d3
−12
O6
MnO2
–
–??
?
–??
Nickel(II): kristallfeld-stabilisierte Oktaeder
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE[6o]/Dq
bevorzugte Koordination
Lösung bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.69[4], 0.83[6o]
d8
−12
(N,O)6
[Ni(H2O)6]2+
9.9
[Ni(NH3)6]2+
NiS
[Ni(CN)4]2−, [Ni(CN)5]3−
139
Zink(II): eine Lewis-Säure auf der hart/weich-Grenze mit variabler
Koordinationsgeometrie
Ionenradius/Å[Koord.]
Konfiguration
LFSE/Dq
bevorzugte Koordination
Lösungsspezies bei pH 7
pKA des Aqua-Ions
+ NH3
+ H2S zur Metallsalz/NH3-Lösung
+ CN−
0.74[4t], 0.82[5], 0.88[6o]
d10
0
(N,O)5–6, S4
[Zn(H2O)5–6]2+
9.0
[Zn(NH3)4–5]2+
ZnS
[Zn(CN)4]2−
140
22
Anhang II: Elektrochemische
Potentiale von Sauerstoff-Spezies bei pH 7
Die folgende Graphik zeigt elektrochemische Potentiale bei pH 7 und Aktivität 1. Die
Zahlenwerte sind entnommen: D. M. Kurtz jr.: Dioxygen-binding Proteins. CCC 8, 229–260
(230).
Die Zahl der übertragenen Elektronen ist farblich codiert:
schwarz: 1 Elektron,
blau: 2 Elektronen,
grün: 3 Elektronen,
rot: 4 Elektronen.
141
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