IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 Univ.-Prof. Dr. Christof EBNER Allergie-Ambulatorium am Reumannplatz, Wien 22. Februar 2006 In aller Munde: Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten Unterscheidung Allergien und Intoleranzen wichtig für Behandlungserfolg Immer mehr Menschen achten sehr auf ihre Ernährung und beobachten Zusammenhänge zwischen ihrem Befinden und den konsumierten Lebensmitteln. Fast jedes medizinische Symptom wurde bereits mit Nahrungsmittel-Allergien in Verbindung gebracht. Tatsache ist, Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten sind häufig. Etwa 20% der erwachsenen Bevölkerung leiden inzwischen daran. Es muss allerdings zwischen („echten“ bzw. durch Kreuzreaktionen ausgelösten) Nahrungsmittel-Allergien und der Nahrungsmittel-Intoleranz („Pseudoallergie“) unterschieden werden: Bei einer Nahrungsmittel-Allergie wird das Immunsystem aktiv und bekämpft fälschlicherweise harmlose Eiweißstoffe aus Lebensmitteln. Die Intoleranz hingegen ist eine nicht durch das Immunsystem gesteuerte Reaktion. Die klinischen Symptome sind denen einer allergischen Erkrankung ähnlich und können somit leicht verwechselt werden. Immer mehr Nahrungsmittel-Allergiker Echte Nahrungsmittel-Allergien sind – überraschenderweise – zwar die seltenste Form von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, haben aber parallel zu den Atemwegsallergien in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Etwa 1-2% der Erwachsenen und rund 5% der Kinder sind betroffen. Insbesondere die heute übliche vielfältige Ernährung führt zu vermehrtem Kontakt mit möglichen Allergieauslösern. Klassische Beispiele sind Allergien gegen Fisch, Sellerie, Gewürze, Kuhmilch, Hühnerei, Muscheln, Krebse, Tintenfisch sowie Kiwi oder andere exotische Früchte und Nüsse, die es früher in der westlichen Welt nicht gab. Der vermehrte Konsum von Erdnüssen etwa hat diese gefährliche Allergie zu einem Problem gemacht. Entsprechend dem heutigen Trend mehr Sojaprodukte (Tofu, Sojadrinks, Frühlingsrollen) zu konsumieren, hat auch die Häufigkeit der Soja-Allergien zugenommen. Kinder reagieren anders Nahrungsmittel-Allergien des Kleinkindes- und Kindesalters unterscheiden sich prinzipiell von jenen des Erwachsenenalters. Man beobachtet andere Erscheinungsbilder und die Reaktionen bei Kindern werden durch andere Allergene ausgelöst. Die ersten Allergieauslöser, mit denen ein Kind konfrontiert ist, sind normalerweise Eiweißkörper der Kuhmilch. Entsprechend ist die Milchallergie die erste und häufigste Lebensmittelallergie im Kindesalter. Andere häufige Nahrungsmittel-Allergien sind die Allergie gegen Hühnerei, Weizen, Soja, Fisch oder Erdnuss. Die Kinder leiden unter Erbrechen und Durchfällen, was Wachstumsstörungen zur Folge haben kann. Oft zeigt sich die Allergie auch in Form einer Neurodermitis oder beeinflusst den Verlauf eines bereits bestehenden atopischen Ekzems (stark juckende Hauterkrankung). Normalerweise verschwinden die Nahrungsmittel-Allergien (mit Ausnahme von Fisch und Erdnuss) spätestens im Vorschulalter auf Grund der Reifung des Immunsystems spontan. Entsprechend dem natürlichen Verlauf von Allergien beginnen diese Kinder jedoch ab diesem Zeitpunkt mit einer allergischen Erkrankung der Atemwege. Als vorbeugende Maßnahmen können eigentlich nur eine lange Stillzeit und später Kontakt mit potenziellen Allergieauslösern empfohlen werden. Über die Sinnhaftigkeit einer Diät der Mutter während des Stillens herrscht unter den Experten Uneinigkeit. Bei erhöhtem Allergierisiko ist das Meiden von großen Mengen roher Kuhmilch und rohem Ei (weiches Ei, Eierspeis) sowie von Erdnüssen und Fisch in der Stillphase aber zu empfehlen. Die Verwendung von hypoallergenen (Kuhmilch)Ersatznahrungen als therapeutische Maßnahme bei milchallergischen Kindern ist sinnvoll, wobei aber darauf hingewiesen werden muss, dass diese zwar hypoallergen aber keineswegs "allergenfrei" sind. Böse Überraschung Kreuzallergie Nahrungsmittel-Allergien des Jugendlichen und Erwachsenen beruhen meistens auf einer sog. Kreuzreaktion mit inhalativen Allergenen (v.a. Pollen). Vor 15-20 Jahren litten rund 17% der Heuschnupfen-Patienten auch an Nahrungsmittelallergien. Heute sind es knapp 60%. Die Ursache für diese Kreuzreaktivitäten sind identische Eiweißbausteine, die in den entsprechenden Pflanzenarten vorkommen. Baumpollenallergiker (Birke, Erle, Hasel, etc.) leiden oft zusätzlich zu ihrem Heuschnupfen nach dem Genuss von frischem, ungekochtem Obst (besonders Äpfel, Pfirsiche, Nektarinen) und/oder Gemüse und Nüssen (besonders Haselnüsse) an allergischen Beschwerden. Ebenso entsteht bei Patienten die auf Kräuterpollen allergisch reagieren, manchmal eine Allergie gegen Karotten, Sellerie und Gewürzkräuter (Anis, Fenchel, Kümmel, Koriander usw.). Tierische Produkte die Allergien auslösen können, befinden sich in Fell/Federkleid, Epithel, Sekreten und Geweben. Sie fließen in den Hausstaub ein und führen so zu Atemwegsallergien (Beispiel: Vogelbesitzer entwickeln eine Allergie gegen Eier, sog. “VogelEi-Syndrom”). Hausstaubmilben sind verwandt mit Weich- und Krustentieren und die Latexallergie führt manchmal zu einer Allergie gegen Banane, Avocado, Edelkastanie und anderen Früchten. 2 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 Symptome erkennen und schnell reagieren Kreuzallergien können gefährlich werden, weil man diese Verwandtschaft der Allergene meist nicht ahnt und sie deshalb auch nicht meiden kann. Wer also bereits an einer Inhalationsallergie (z.B. gegen Pollen) leidet, sollte deren „Familienverhältnisse“ kennen, um sich vor Kreuzreaktionen in Acht nehmen und mögliche Anzeichen richtig deuten zu können. Obwohl Kreuzallergien meistens eher milde Symptome auslösen, werden auch immer wieder Reaktionen beobachtet, die sich auf den ganzen Körper auswirken. Die Beschwerden beginnen typischerweise unmittelbar nach dem Essen. Meist jucken der Mund, der Rachen und die Lippen. Schwellungen im Mundbereich, Heiserkeit und Schwindel sind ebenfalls Anzeichen einer allergischen Reaktion. Manchmal sind Atmung, Haut und das Verdauungssystem betroffen. Am gefährlichsten sind akute Atemnot bzw. ein Asthmaanfall sowie der anaphylaktische Schock (Kreislaufversagen). Treten Symptome auf, sollte in jedem Fall rasch ein spezialisiertes Allergie-Ambulatorium oder ein allergologisch versierter Facharzt (Hautfacharzt, HNO-Arzt, Lungen- bzw. Kinderfacharzt) konsultiert werden. Diagnose ist oft Detektivarbeit Zunächst muss herausgefunden werden, ob die Beschwerden allergisch bedingt sind oder auf Grund einer Nahrungsmittel-Intoleranz hervorgerufen werden. Handelt es sich um eine Allergie, wird mittels spezieller Tests der Übeltäter ausfindig gemacht – was sich nicht selten als detektivische Kleinarbeit herausstellt, denn Betroffene wissen meist nicht so genau, worauf sie reagieren. Oft sind es nicht bestimmte Nahrungsmittel, die die Beschwerden verursachen, sondern unvermutete Inhaltsstoffe in Gewürzmischungen (Sellerie, Gewürze), Fertiggerichten/Fitnesspulver (Soja), Süßigkeiten/Backwaren (Erdnuss) bzw. weitgehend unbekannte Allergene wie Lupine (Hülsenfrucht, die häufig Weizenmehl beigemengt wird), die zum Beispiel in Pizza- oder Pastagerichten enthalten sein können. Die Grundlage der Allergiediagnostik ist die Krankengeschichte. Die Befragung zielt darauf ab, die Symptome des Patienten und die Umstände des Auftretens genau zu erfassen. Sehr hilfreich ist das Führen eines Tagebuches, in dem eingetragen wird, was im Lauf des Tages verzehrt wird und wann Symptome auftreten. Anschließend werden in der Regel Hauttestungen und eine Blutanalyse (IgE-Bestimmungen) durchgeführt. Manchmal sind auch Provokationstests nötig. Dabei bekommt der Patient unter kontrollierten Bedingungen das Lebensmittel zu essen, auf das er allergisch sein könnte. Oberstes Prinzip der Therapie ist Allergenvermeidung Die beste Therapie, oder eigentlich Prophylaxe, ist die Allergenvermeidung (Allergenkarenz). Das heißt, Betroffene sollen so weit es geht den Kontakt mit Allergie-Auslösern meiden oder reduzieren – was bei versteckten Nahrungsmittel-Allergenen natürlich schwierig ist, aber dank der EU-weiten Deklarationspflicht aller Inhaltsstoffe von Lebensmitteln erleichtert wurde. Anaphylaxie (Kreislaufversagen) gefährdete Patienten, z.B. jene mit einer 3 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 Erdnussallergie, sollten immer ein Notfall-Set mit Medikamenten (Antihistaminika, Kortison, Adrenalin) bei sich haben. Therapie von inhalativen Allergien Da die häufigsten Kreuzreaktion pollenassoziiert sind, sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Therapie von Inhalationsallergien* eingegangen werden. Auch hier ist die erste und wichtigste Maßnahme die Allergenvermeidung. Die weitere Therapie richtet sich nach Art, Ausprägung und Schweregrad der Erkrankung. Gemäß den Empfehlungen der WHO gelten nicht müde machende Antihistaminika als Präparate der ersten Wahl zur Basistherapie. Je nach Stärke der Symptome werden zusätzlich lokale Medikamente eingesetzt, wie z.B. intranasales Kortison (Nasenspray). Mit der spezifischen Immuntherapie (SIT) in Spritzen- und Tropfenform kann eine Pollenallergie langfristig gebessert bzw. sogar ganz ausgeheilt werden. Sie kommt auch bei Milben-, Tierhaar-, Insektengift- und Schimmelpilzallergien zum Einsatz. Die WHO empfiehlt die SIT als einzige Behandlungsform, die sich nicht allein auf die Linderung der Symptome beschränkt, sondern auch deren Ursache bekämpft. Ende dieses Jahres wird die SIT für Graspollenallergiker auch in Tablettenform zur Verfügung stehen. Kontakt für Patienten, Informationsmaterial: Ratgeber „Kreuzallergie“, Liste der österreichischen Allergie-Ambulatorien und -Ambulanzen u.v.m. IGAV (Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung) Tel: 01/212 60 60 www.allergenvermeidung.org Kontakt für Journalisten-Rückfragen: Univ.-Prof. Dr. Christof EBNER Allergie-Ambulatorium am Reumannplatz, Wien T: 01/604 24 70 E: [email protected] © Ebner, Abdruck honorarfrei Text und Foto von Prof. Ebner in Printqualität gibt’s bei Elisabeth Leeb, ikp, T: 01/524 77 90, 4 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60 E: [email protected] und auf www.allergenvermeidung.org (Presse-Ecke, aktuelle Downloads). __________________________________________ * Laut ARIA (Allergic Rhinitis & its Impact on Asthma)-Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO 5 IGAV – Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung www.allergenvermeidung.org Telefon-Hotline: 01/212 60 60