11.01.07 Gesellschaft mit System - staff.uni

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Wi ntersemester 2006/07
Zusammenfassung zur Vorlesung:
Vorlesung: "Soziales Handel n"
PD Dr. habi l . Udo Thiedeke
Gesel lschaft mit System
1 1 .01 .07
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Vorlesung: "Soziales Handel n"
Gesel lschaft mit System
1 1 .01 .07
Programm:
1 ) Vorbemerkung
2) Handel n mit System
3) Gesel lschaft mit System
4) Zusammenfassung
- Mit Parsons Ansatz ei nes sozialen Handel ns, das an überi ndividuel len sozialen Strukturen (Normen/Werte) orientiert ist, stel lt sich die Frage, wie sich die soziale Ordnung
als Handlungsordnung konstituiert?
- Die von Parsons i n "Structure of Social Action" skizzierte Mögl ichkeit ei ner Verbi ndung von Handlungskausal ierung (Zweck-/Mittel - und Wil lensperspektive des Ak-
teurs) und sozialem Handlungsraum (überi ndividuel le Strukturen der Normen und
Werte), durch situatives soziales Handel n (unit act), das an den Bedi ngungen und
Bedeutungen des "action frame of reference" (' afr') orientiert ist, legt das Entstehen
ei nes Handlungssystem nahe.
- Bereits i n den 1 940er Jhr. begi nnt Parsons daher die Theorie der Handlungsstrukturen zu ei ner Theorie des al lgemei nen Handlungssystems zu erweitern, aus der er
dann ei ne Theorie des sozialen Systems (z. B. der Gesel lschaft) ableitet.
- Der Ansatzpunkt für die Theorie ei nes al lgemei nen Handlungssystems fi ndet sich bereits i n "Structure". Handel nde beziehen sich demnach nicht ei nfach nur i rgendwie
situativ mit i hren Handlungszielen auf andere oder auf Normen und Werte.
- Sie beziehen sich auf den ' afr' , i ndem sie Anstrengungen (efforts) unternehmen, um
sich zu den handungsleitenden Strukturen zu positionieren.
- Die "efforts" verbi nden als situativer Dreh- und Angel punkt die Handlungskausal ität
(die Dynami k i ndividuel ler Handlungen) mit der Handlungsnormativtät (den Strukturen
i n denen Handel n sozial mögl ich ist) . Parsons schrei bt 1 937 i n "Structure":
"'Bemühung' (effort) ist der verbindende Faktor zwischen den normativen - und den
Bedingungselementen der Handlung. Bemühung wird benötigt durch die Tatsache,
dass sich Normen nicht selbständig realisieren, sondern nur durch Handlung"
(S. 71 9)
- Da es aber i mmer noch um ei ne voluntaristsche (wi l lensorientierte) Handlungstheorie
geht, muss geklärt werden, was die Akteure dazu motiviert, die ' efforts' zu entwickel n?
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- Parsons geht hier mit Sigmund Freuds Psychoanalyse davon aus, dass den ei n Lernprozess sozialer Normen zu Grunde l iegt, der i n ei ner frühki ndl ichen Phase begi nnt.
- I n dessen Verlauf lernen die I ndividuen, dass sie sich i hre Bemühungen auf zwei Arten entwickel n können: 1 ) kognitiv, d. h. , vernunftmäßig, entlang i hrer Zielvorstel lungen und der sozialen Vorgaben, 2) kathektisch (was sich mit "emotional " oder
'freudianisch' als "l i bidi nös" übersetzen lässt) entsprechend der i ndividuel len Gefühle
und Triebe.
- I n der ei nen Perspektive wägen die Akteure ab, i n der anderen versuchen sie i hren
Lust-/Unlustgefühlen zu folgen.
- Laut Parsons si nd am Aufbau ei nes al lgemei nen Handlungssystems auf der Seite der
i ndividuel len Kausal ierung damit zwei Subsysteme betei l igt:
1 ) Die (vernuftgesteuerte) Persönl ichkeit
2) Der (triebgesteuerte) Organismus (bzw. Körper) .
- Die i ndividuel le Seite der efforts (Bemühungen) sozial zu Handel n entsteht also aus
dem Widerstreit und Ausgleich von Persönl ichkeit und Organismus, wobei nach aus-
sen, i n die Sozial ität hi nei n, nur die Persönl ichkeit wi rkt.
Wi r al le kennen bspw. das Bemühen bei m Zusammensei n mit anderen, unsere Triebe zu kontrol l ieren oder i n Handlungsstrategien zu i hrer Real isierung ei nzubi nden.
- Auf der Seite der Akteure treten die sozialen Handlungsbemühungen daher als
"means" i n Erschei nung, was wi r als "Haltungen" übersetzen können.
- Wie real isieren sich die ' efforts' aber auf der strukturel len Seite der Sozial ität mit i hren Normen und Werten?
- Hier kann nicht die Persönl ichkeit das entscheidende Subsystem sei n. Trotz al ler I n-
teral isierung würde das Handlungssystem hier i n zuviele widersprüchl iche i ndividuel le
Handlungsi nteressen zerfal len. Ei n stabi les Handlungssystem mit kol lektivem Bezug
wäre kaum mögl ich.
- Auf der Seite der Normativierung kommen die ' efforts' daher als Erfül lung oder Nichterfül lung i nstitutional isierter Handlungserwartungen vor, deren Erfül lung bzw. Nichterfül lung Verändungen i m sozialen Status der Handel nden nach sich ziehen.
- Parsons bündelt diese i nstitutional isierten und bewerteten Handlungserwartungen i m
Konzept der 'status role' (Status- Rol le) .
- Wi r können uns das so vorstel len, dass wi r als Persönl ichkeit i m sozialen Rahmen i n
Rol len handel n, an die sich soziale Erwartungen knüpfen und deren Erfül lung dann
über unsere soziale Ei nschätzung entscheidet. Das schl ießt Spieräume i ndividuel ler
Rol lenerfül lung ebenso ei n, wie den Verweis auf ei ne sozial vorgegebene Bandbreite
der Handlungsmögl ichkeitern und die normative Würdigung der Rol lenerfül lung.
- Ist dieser Zusammenhang, der sozialen Bewertung der Erfül lung i nstitutional isierter
Erwartungen i nternal isiert, dann kann sich i m Rol lenhandel n ei n soziales System als
Subsystem des al lgemei nen Handlungssystems ausprägen. Parsons schrei bt dazu i n
"Toward a General Theory of Action" (1 951 mt Edward E. Shi ls verfasst):
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"Nur durch die Internalisierung institutionalisierter Werte kann eine genuin motivatio-
nale Integration des Verhaltens in die soziale Struktur erfolgen, so dass die tieferen
'Schichten' der Motivation für die Erfüllung der Rollen-Erwartungen nutzbar werden.
Erst wenn dies in einem hohen Maß geschehen ist, ist es möglich von einem hochintegrierten sozialen System zu sprechen und davon, dass die kollektiven Interessen
und die privaten Interessen seiner konstitutiven Mitglieder sich annähern. " (S. 42) .
- Da es hierbei i mmer um die I nternal isierung von i nstitutional isierten Werten geht,
wi rd deutl ich, dass es neben dem sozialen Subsystem, i n dem die ' efforts' i m Rol lenhandel n entfaltet werden auch noch ei n überi ndividuel les System geben muss,
das diese Werte zur Bewertung des sozialen Status des Rol lenhandel ns bereithält.
- Parsons nennt dieses Subsystem "cultural system" (kulturel les Subsystem) .
- Damit l iegen die vier analystischen Subsysteme vor, aus denen sich das al lgemei ne
Handlungssystem nach Parsons zusammensetzt. [vgl . Fol ie 1 ; siehe zu den Theo-
rieelementen des al lgemei nen Handl ungssystems Fol ie 2]
- Es handelt sich um:
1 ) Das Subsystem des Verhaltensorganismus (den z. B. die Biologie und die Medizi n
untersuchen) .
2) Das Subsystem der Persönl ichkeit (das der Psychologie zugängl ich ist) .
3) Das soziale Subsystem (das Forschungsgegenstand der Soziologie ist) .
4) Das kulturel le Subsystem (für das sich z. B. Phi losophie und Theologie i nteressieren) .
- Diese analytischen Subsysteme des al lgemei nen Handlungssystems korrel l ieren mit
ei ner spezifischen empi rischen Wi rkl ichkeit, si nd aber nicht diese empi rische Wi rkl ichkeit. Bspw. blei bt ei n kulturel les Subsystem ' kulturel les' Subsystem egal , ob es
empi risch auf Werten der Aufklärung oder des rel igiösen Fundamental ismus beruht.
- Handungstheoretisch ist von Bedeutung, dass ei n Subsystem i mmer besondere
strukturel le Lösungen zur Verfügung stel lt, die besondere Funktionen erfül len (struk-
turfunktional istisches Konzept) und so soziale Ordnungsprobleme beantworten.
- Die Beobachtung der empi rischen Strukturausprägung und real isierten Funktionserfül lung lassen dann vergleichende Studien (z. B. Gesel lschaftsanalysen) zu.
- Hieraus resultieren Konsequenzen für die handlungstheoretische Analyse.
- Wenn soziales Handel n sich i n der strukturel len Form ei nes sozialen Systems entfal tet, dann ist nach Parsons zu erwarten, dass es sich auch empi risch regel haft verhält, was es erlauben würde, typische Handlungsmuster vorherzusagen.
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- Parsons und Shi ls haben hierzu fünf dichotome Handlungsmuster, die sog. "Pattern
Variables" postul iert (1 951 : 77), die man als Real isierungsmuster sozialer Systembi l dung ansehen kann. [Für die "Pattern Variables siehe Fol ie 3]
- Ei n empi risches soziales Handlungssystem weist dann ei ne jewei ls spezfische Ausprägung dieser mögl ichen Handlungsmuster auf.
Z. B. zeigt das soziale Handlungssystem, das über die Status-Rol len "Student/-i n"
"Dozent/-i n" defi niert ist, bei den ' Pattern' eher affektuel le Neutral ität, Gemei nsi nn,
Universal ismus, Leistungsorientierung und Spezifi k. Daran orientieren sich dann die
' efforts' der Akteure.
- Da den Strukturen der Subsysteme, über die Funktionen, die sie erlauben, ei ne re-
gul ierende Bedeutung zukommt, schei nt das Handlungssystem i mmer ei nen Gleichgewichtszustand zwischen Konformität und Normerfül lung ei nzunehmen.
- Zudem lassen sich den typischen Systemstrukturen typische Funktionen zuordnen.
So strukturiert der Verhaltensorganismus die biologisch/physische Anpassung (An-
passungsfunktion) . Das Persönl ichkeitsubsystem strukturiert die Zielvorstel lungen der
Akteure (Zielerreichungsfunktion) . Das soziale Subsystem i ntegriert über sei ne i nstitutional isierten Handlungserwartungen das Handel n der Akteure (I ntegrationsfunktion)
und das kulturel le Subsystem erlaubt die latente Verfügbarkeit von Werten (Latenz-
funktion) . Mit den engl ischen Bezeichnungen "Adaption", "Goal -attai nment", "I ntegration", "Latency" ergi bt sich daraus das Kürzel "AGI L"
[siehe zum AGI L-Schema Fol ie 4; zur Übersicht der vier Subsysyteme mit i hren
typischen Handl ungsstrukturen und Funktionen siehe Fol ie 5]
- Diese Konstel lation widerholt sich auf jeder Ebene der Systembi ldung. Z. B. wenn ei n
soziales Handlungssystem grosser Al lgemei nheit und Sel bstgenügsamkeit, wie die
"Gesel lschaft" entsteht. Al lerdi ngs treten die vier Tei lsysteme mit i hren Strukturen
und Funktionen hier i n ei ner gesel lschaftl ich veral lgemei neten Version zu Tage.
- Die Ressourcenstruktur der Wi rtschaft erlaubt der Gesel lschaft die Funktion der Anpassung.
- Die Zielstruktur der Pol iti k, die Entscheidungen durchsetzt, erlaubt die Funktion der
Betei lung.
- Die Rol lenstruktur der gesel lschaftl ichen Gemei nschaft formiert die I ntegration.
- Die Wertstruktur der Kultur erlaubt es schl ießl ich die gesel lschaftl ich relevanten Werte
zu vermittel n. [siehe Fol ie 6]
Literatur:
Talcott Parsons, 1 937: The Structure of Social Action. A Study i n Social Theory with Speci al Reference to a Group of Recent European Writers. 2 Bd. N.Y. , London.
Talcott Parsons, 1 951 : The Social System. Gelencoe, I l l .
Talcott Parsons, Edward E. Shi ls, 1 951 : Toward a General Theory of Action. Cambridge,
Mass.
Vorlesung: "Soziales Handel n"
Gesel lschaft mit System
Die vier Handl ungssubsysteme nach Talcott Parsons
1 ) Subsystem des Verhaltensorganismus.
2) Subsystem der Persönl ichkeit.
3) Soziales Subsystem.
4) Kulturel les Subsystem
Fol ie 1
Vorlesung: "Soziales Handel n"
Gesel lschaft mit System
Fol ie 2
Vom sozialen Handel n zum sozialen Handl ungssystem:
Theorieelemente der al lgemei nen Handl ungstheorie bei Talcott Parsons
Kol lektive Normen und Werte
I ndividuel le Ziele/Mittel/Zwecke
Soziale Handl ungsmotivation
Persönl iche Handlungsmotivation
hoher/niederer sozialer Status
"status role"
soziale Form des
"action frame of reference"
positive/negative Sanktion
"efforts"
"unit act" des geordneten
sozialen Handel ns i n dem
Bestreben Werte und
"meanes"
persönl iche Form des
"action frame of reference"
Normen nicht nur zu
akzeptieren, sondern
rol lenkonform zu handel n
kulturel les Subsystem
soziales Subsystem
Subsystem der Persönl ichkeit
Subsystem des Organismus
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Fol ie 3
"Pattern variables" nach Parsons/Shi ls
("Toward a General Theory of Action", 1 951 : 77)
1 . Affectivity
Affective neutral ity
(Affektual ität - affektuel le Neutral ität)
2. Self-orientation
Col lectivity-orientation
(Sel bstorientierung - Gemei nsi nn)
3. Universal ism
Particularism
(Universal ismus - Parti kularismus)
4. Ascri ption
Achievement
(Zuschrei bung - Leistung)
5. Specifity
Diffuseness
(Spezifi k - Diffusität)
Vorlesung: "Soziales Handel n"
Gesel lschaft mit System
Fol ie 4
Das Vierfunktionen−Schema "AGI L" nach Talcott Parsons
A
=
Adaption
(Anpassung)
G
=
Goal Attai nment
(Zielerreichung)
I
=
I ntegration
(I ntegration)
L
=
Latency
(Latenz)
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Gesel lschaft mit System
Fol ie 5
Zuordnung von Handl l ungssubsystemen nach
typischen Handl ungsstrukturen und -funktionen
System
Verhaltenssystem
Struktur
Ressourcenstruktur
Funktion
Anpassung
(A)
Persönl ichkeitssystem teleologische Handl ungsstruktur Zielerreichung
(G)
Soziales System
Norm-/Rol lenstruktur
I ntegration
(I )
Kulturel les System
Wertstruktur
Erhalt latenter Werte (L)
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Fol ie 6
Übersicht über Strukturen, Funktionen und Subsysteme der Gesel lschaft
Strukturen
Funktionen
gesel l . Subsysteme
Ressourcenstruktur
Anpassung
Wi rtschaft
Zielstruktur
Betei l igung
Pol iti k
Rol lenstruktur
I ntegration
Gemei nschaft
Wertstruktur
Wertvermittlung
Kultur
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