Theorie des kollektiven Akteurs 1 Theorie des kollektiven Akteurs* Michael Völpel** Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................. 1 1 Einleitung ................................................................................................................. 2 2 Theoretische Grundlagen.......................................................................................... 3 3 4 2.1 Problem der sozialen Ordnung ........................................................................... 3 2.2 Problem kollektiver Güter .................................................................................. 5 2.3 Merkmale von Gruppen...................................................................................... 7 Kollektivistische Lösungsansätze der Organisation gemeinsamen Handelns.......... 9 3.1 Funktionalistische Systemtheorie ....................................................................... 9 3.2 Modell der Ressourcenzusammenlegung ......................................................... 11 Schlussbetrachtung ................................................................................................. 13 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 14 * ** Seminararbeit, im Rahmen des Hauptseminars „Theorien und Methoden des Strategischen Managements“, der Professur für Unternehmungsführung und Organisation im Wintersemester 04/05. Seminarleiter: Prof. Dr. Wilfried Krüger Betreuer: Dr. Norbert Bach Der Autor ist Student an der Justus Liebig Universität in Giessen. Bei Fragen, Anregungen und Kritik erreichen Sie ihn unter: [email protected] oder Michael Völpel, Ackergarten 3, 35789 Weilmünster - Laubuseschbach Theorie des kollektiven Akteurs 1 2 Einleitung Seit jeher liegt es in der Natur des Menschen, sich in Gruppen zusammen zu schließen. Eine Gruppe bietet besseren Schutz vor Feinden und sozialen Rückhalt, der für die Psyche unerlässlich ist. Probleme, mit denen sich ein Einzelner auseinander setzen muss, sind mit der Unterstützung von anderen leichter zu bewältigen. Doch wie ist es zu erklären, dass es zu einem geregelten Zusammenleben der Individuen und zielgerichtetem, kollektivem Handeln1 kommt? Findet dieses Handeln in organisierter Form statt, so wird das daraus entstehende Gebilde umgangssprachlich sogar als eigenständige Handlungseinheit aufgefasst. Somit wird z.B. vom Eingreifen einer Gewerkschaft oder vom Versagen eines Staates gesprochen. Um dieses soziale Phänomen zu erklären, stehen sich in der wissenschaftlichen Diskussion Vertreter des methodologischen Individualismus und des methodologischen Kollektivismus gegenüber. Ziel dieser Arbeit ist es einen Überblick über die bedeutsamsten Theorien dieser beiden Soziologien zu geben und ihre Stärken und Schwächen herauszuarbeiten.2 Außerdem sollen sowohl die Voraussetzungen für kollektives Handeln als auch die Schwierigkeiten, die diesem im Wege stehen, aufgezeigt werden. Dazu werden im folgenden Kapitel ausgewählte individualistische Lösungsansätze des Problems der sozialen Ordnung vorgestellt. Zunächst wird kurz das von HOBBES erarbeitete Ergebnis behandelt, um danach die Entstehung von Normen mit Hilfe der Austauschtheorie zu erklären und kritisch zu hinterfragen. Die sich daraus ergebende Kollektivgutproblematik und die Parallelen zum Gefangenendilemma werden im Kapitel 2.2 erläutert, um danach die Fähigkeit der Bereitstellung eines Kollektivgutes an Gruppen verschiedener Größen zu untersuchen. In Kapitel 3.1 wird auf die kollektivistische Theorie der funktionalistischen Systemtheorie eingegangen. Dabei sollen ebenfalls die Schwächen dieses Ansatzes gegenüber einer individualistischen Sichtweise aufgezeigt werden. Der Abschnitt 3.2 stellt das Modell der Ressourcenzusammenlegung vor, welches als Brückenschlag zwischen den individuellen und kollektivistischen Theorien gilt, da es sowohl individuelles Handeln der Akteure wie etwa in der Austauschtheorie beinhaltet, als auch in der Lage ist die Merkmale kollektivistischen Handelns zu erfassen. Im letzten Abschnitt erfolgt eine kritische Zusammenfassung der Ergebnisse. 1 2 Zur Unterscheidung von kollektivem Verhalten vgl. Smelser N.J. (1972): S. 28-42. Im Rahmen dieser Arbeit soll auf eine rein definitorische Abgrenzung der kollektiven Akteure verzichtet werden Vgl. hierzu Scharpf, F.W. (2000): S. 101-107. Theorie des kollektiven Akteurs 3 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Problem der sozialen Ordnung Um die verschiedenen Ansätze zur Lösung des Problems der sozialen Ordnung zu beschreiben, soll zunächst von einem Zustand völliger Anarchie, ohne Regeln und Gesetze, ausgegangen werden, in dem alle Akteure eigeninteressiert handeln. Da es in dieser Situation kein von anderen respektiertes Eigentum gibt, muss der Besitz auf gewaltsame Art und Weise verteidigt werden.3 Im Folgenden gilt es zu klären, wie sich im Laufe der Zeit eine stabile Ordnung entwickeln kann, die das Zusammenleben der Individuen regelt. Wäre es möglich, dieser sich im dauerhaftem Kriegszustand befindenden Gesellschaft Gesetze und Verträge aufzuerlegen, so würde sich nach HOBBES nichts an dem Urzustand ändern, da diese Rechtsverordnungen nur aus Worten ohne Zwang bestehen. Es bedarf vielmehr einer dauerhaften Machtinstanz, die in der Lage ist, Recht und Ordnung nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen.4 Wird hingegen das Eigeninteresse der Akteure betont, so könnte mit der Annerkennung von Eigentumsrechten sehr wohl ein Weg aus der ursprünglichen Anarchie gefunden werden. Im Urzustand, in dem es keine Eigentumsrechte gibt, müssen die Akteure erhebliche Verteidigungsaufwendungen zum Schutze Ihres Besitzes aufbringen. Diese Anstrengungen entfallen durch die Einführung allgemein anerkannter Besitzrechte. Zusätzlich ist es durch die Einführung von Normen den Akteuren nun möglich das Verhalten der anderen besser vorauszusagen und somit ihr eigenes besser zu planen.5 Einen Erklärungsansatz, wie es zu einer Entstehung solcher Normen kommen kann, liefert die Austauschtheorie. Die zu Grunde liegende These dieser Theorie besagt, dass Akteure alte Beziehungen pflegen oder in Interaktion mit bisher unbekannten Personen treten, weil sie sich davon eine Belohnung erhoffen.6 Sie beschreibt Normen als ein, sich im Laufe der Zeit entwickelndes, Produkt von wiederholten, im Austausch stattfindenden, bilateralen Anpassungsvorgängen. Dieses Prinzip dient zum einen der Integration menschlichen Zusammenlebens, da durch den realisierbaren Vorteil, der bei einem Tausch möglich wird, erst eine Austauschbeziehung zustande kommt. Zum anderen dienen Normen einer Strukturierung, weil die gegenseitige Zuwendung oder Vorenthal- 3 4 5 6 Vgl. Vanberg, V. (1978): S. 655; Vgl. Hobbes, Th. (1998): S. 151. Vgl. Hobbes, Th. (1998): S. 151, 154-155; Vanberg, V. (1975): S. 6. Vgl. Buchanan, J.M. (1984): S. 13-14, 35-37, 78. Vgl. Blau, P.M. (1968): S. 452. Theorie des kollektiven Akteurs 4 tung von Leistungen einen sanktionären Charakter aufweist und sich dadurch stabile Verhaltenserwartungen durch Lerneffekte etablieren.7 Die soziologische Austauschtheorie liefert somit einen möglichen Erklärungsansatz, wie sich eine soziale Ordnung zwischen zwei Akteuren herausbilden kann, d.h. sie beschäftigt sich mit bilateralen Marktbeziehungen. Erweitert sich der Kreis der Beteiligten um eine Dritte oder mehr Personen, so werden die Schwächen der Austauschtheorie deutlich. Das Verhalten ist nicht mehr allein von der zu erwartenden Belohnung des zweiten Akteurs abhängig, sondern wird ebenfalls durch die Gratifikationen und Sanktionen Dritter beeinflusst. Die soziologische Austauschtheorie ist folglich nicht in der Lage, die komplexere soziale Ordnung einer Organisation vollständig zu erklären, da es ihr nicht möglich ist, die Akteure innerhalb dieses Beziehungsgefüges von denen außerhalb abzugrenzen. 8 Die individualistische ökonomische Theorie liefert eine Lösung dieses Problems. COASE grenzt die Individuen innerhalb der Organisation durch eine feste Bindung an eine Autorität, die in der Lage ist über deren Ressourcen zu verfügen, von den Akteuren außerhalb ab.9 Mit dieser Erklärung sind zwar die Grenzen der Organisation festgesteckt, jedoch fehlt der Brückenschlag zur Austauschtheorie, da nicht näher auf die wechselseitigen Beziehungen der Akteure eingegangen wird.10 Diesen ermöglichen ALCHIAN und DEMSETZ mit der Definition einer zentralen Vertragspartei, zu der die Individuen in einem bilateralem Austauschverhältnis stehen, das dem des Marktes gleichzusetzen ist. Sie bezeichnen eine Organisation als „Privat-Markt“. Neben der These des zentralistischen Beziehungsgefüges zwischen Autorität und Individuen wird davon ausgegangen, dass die einzelnen Akteure in Teams gegliedert werden. Diese Teams erbringen einen Gesamtoutput, der mehr wert ist als der kumulierte Input des einzelnen Akteurs. Somit ist es nicht möglich, durch Division der einzelnen Akteure mit dem Gesamtertrag den individuellen Input zu berechnen.11 Aus dieser Situation entsteht die Problematik des Kollektivgutes, welche im folgenden Abschnitt erklärt werden soll. 7 8 9 10 11 Vgl. Vanberg, V. (1978): S. 654; Vgl. Homans, G.C. (1978): S. 132-133; Vanberg, V. (1982b): S. 3-4. Vgl. Vanberg, V. (1982a): S. 280-281; Vanberg, V. (1975): S. 74-75; Vanberg, V. (1992): S. 231. Vgl. Coase, R.H. (1952): S. 338. Vgl. Vanberg, V. (1982a): S. 283-284. Vgl. Alchian, A.A./Demsetz, H. (1972): 777-785; Valcárcel, S. (2002): S. 10-13; Vanberg, V. (1982a): S. 284285. Theorie des kollektiven Akteurs 5 2.2 Problem kollektiver Güter Bevor auf das Dilemma kollektiver Güter eingegangen werden kann, soll zunächst eine Abgrenzung zu anderen Güterarten erfolgen, um damit die Eigenschaften eines Kollektivgutes zu erarbeiten. Können Güter durch den Erwerb von Eigentumsrechten den Besitz zwischen zwei Akteuren wechseln, so werden sie als Privatgüter definiert. Diese Güter sind auf dem Markt handelbar und können den einzelnen Akteuren jederzeit zugeordnet werden. Entfallen diese Eigentumsrechte jedoch, entsteht ein Kollektivgut, welches nunmehr kein Mitglied einer Gruppe durch Tausch oder Verkauf veräußern kann.12 Das somit entstandene Gut steht zur freien Verfügung aller Beteiligten, d.h. wird es durch einen Akteur der Gruppe konsumiert, so können die anderen Beteiligten praktisch nicht ausgeschlossen werden.13 Diese Nichtausschließbarkeit bezieht sich jedoch nur auf die Mitglieder der betroffenen Gruppe, es besteht folglich die Möglichkeit, dass eine andere Gruppe sehr wohl am Konsum gehindert werden kann.14 Damit wird ein Kollektivgut durch das Fehlen von Eigentumsrechten, Nichtanwendbarkeit des Ausschlussprinzips und durch Gruppenspezifität charakterisiert.15 Wird eigeninteressiertes Verhalten von Menschen unterstellt, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Akteure den erforderlichen Einsatz bringen, um ein Kollektivgut bereitzustellen. Da alle Beteiligten von dem Ergebnis profitieren und niemand in der Gruppe am Konsum gehindert werden kann, ist es für den Einzelnen vorteilhaft, keinen Aufwand für die Bereitstellung des Gutes zu betreiben und die anderen die Kosten tragen zu lassen.16 Hieraus folgt ein Zusammenhang des Problems kollektiver Güter und dem Gefangenendilemma, dieser soll anhand des nachfolgenden Beispiels verdeutlicht werden. Unterstellt wird eine Situation in der zwei Personen (A und B) durch gemeinsamen Aufwand ein Kollektivgut bereitstellen können. Beide müssen nun unabhängig voneinander entscheiden, ob sie einen Beitrag zum Kollektivgut leisten oder nicht.17 In der folgenden 12 13 14 15 16 17 Eine Teilmenge der Kollektivgüter sind die öffentlichen Güter. Bei Ihnen bezieht sich die Nichtausschließbarkeit des Konsums nicht nur auf eine bestimmte Gruppe, sondern auf alle Individuen. Außerdem haben die Beteiligten keine Möglichkeit den Konsum zu verweigern und es gibt keine gegenseitige Beeinträchtigung beim Konsum. Technisch wäre es z.B. möglich alle Fahrgäste eines Öffentlichen Verkehrsmittels auf die Gültigkeit des Fahrscheins hin zu kontrollieren, jedoch ökonomisch nicht rentabel. So ist z.B. das Konzert auf dem Marktplatz einer Stadt für die angrenzenden Anwohner ein Kollektivgut, jedoch für die anderen Besucher, die ein Ticket käuflich erwerben müssen, ein privates Gut. Für den Abschnitt und die darin enthaltenen Beispiele vgl. Nowotny, E. (1999): 34-38; Olson, M., Jr. (1968): S.13-15; Volker, A. (1992): S. 79-81; Head, G. (1962): S. 200-206; Foldvary, F. (1994): 12-16. Vgl. Coleman, J.S. (1972): S. 218 ; Olson, M., Jr. (1968): S. 2; Buchanan, J.M. (1984): S. 37-38; Axelrod, R. (1991): S. 81. Außerdem wird unterstellt, dass diese Wahlentscheidung einmalig erfolgt. Theorie des kollektiven Akteurs 6 Matrix sind die jeweiligen Nutzen18 der zwei Akteure abgebildet, die durch ihre Entscheidungen entstehen, einen Aufwand für die Bereitstellung des Kollektivgutes zu leisten oder nicht. B A kooperativ nicht kooperativ nicht kooperativ kooperativ I III 4,4 5,1 II IV 1,5 1,1 Abb. 1: Gefangenendilemma. Der linke Wert des jeweiligen Quadraten bezieht sich auf das Nutzenniveau von A, der rechte auf das von B. In einer Ausgangssituation ohne das Kollektivgut haben beide Akteure ein Nutzenniveau von 1 und befinden sich in Quadrant IV. Kooperieren die Spieler miteinander und jeder bringt Ressourcen zur Bereitstellung des Kollektivgutes ein, erhöht sich ihr Nutzen auf 4 und sie erreichen Quadrant I.19 Das Dilemma entsteht nun aus dem bereits angesprochenen Eigeninteresse der Akteure und den Eigenschaften der kollektiven Güter. Ein rational agierender Akteur wird immer die Variante des Nichtkooperierens wählen, unabhängig davon, welche Entscheidungen der andere Akteure trifft, um somit den höchst möglichen Nutzen zu erreichen. Geht z.B. A davon aus, dass sich B kooperativ verhält, so hat er die Wahl zwischen den Nutzenwerten aus den Quadranten I und III. Handelt A rational, so wählt er die Strategie des Nichtkooperierens und erreicht somit den höheren Nutzen von 5. Falls A der Meinung ist, dass sich B nicht kooperativ verhält, so wird er ebenfalls diese Strategie wählen. Die Nutzenniveaus von A in den Quadranten II und IV sind gleich groß, jedoch muss A Ressourcen aufbringen, falls er kooperiert und steht somit schlechter da, als im Falle einer Nichtkooperation.20 Die vorangegangen Ausführungen belegen, dass eigeninteressierte Akteure ein Gesamtresultat produzieren, das ungünstiger ist als die Situation, in der sich alle an der Produktion des Kollektivgutes beteiligen.21 18 19 20 21 Der Nutzen soll definiert werden als die Differenz zwischen dem Ertrag und dem Ressourcenaufwand für das Kollektivgut. Für die vorhergehenden Abschnitte sowie die Abbildung des Gefangenendilemmas -in leicht abgewandelter Form- vgl. Buchanan J.M. (1984): S. 37-40, Hardin, R. (1971): S. 472-474. Vgl. Axelrod, R. (1991): S. 7-9; Black, M. (1990): S. 117-121; Poundstone, W. (1992): S. 118-123; Vgl. Scharpf, F.W. (2000): S. 131, 134. Dies trifft nicht auf den Einzelfall zu, in dem ein einzelner Akteur glaubt, dass es unmittelbar von seinem Verhalten abhängt ob es zu der Bereitstellung des Kollektivgutes kommt. Hierzu vgl. Vanberg, V. (1978): S. 661-663. Theorie des kollektiven Akteurs 7 2.3 Merkmale von Gruppen Es stellt sich die Frage, welche Mechanismen die Akteure dazu bringen sich an der Bereitstellung eines Kollektivgutes zu beteiligen. Diese soll im Folgenden anhand von Gruppen verschiedener Größe beantwortet werden. Schließen sich Akteure freiwillig zu einer Gruppe zusammen, so liegt ein gemeinsames Interesse vor, bestimmte Ziele zu erreichen. Die Erreichung dieser Ziele stellt für die Gruppe ein Kollektivgut dar.22 Ist ein Ziel realisiert worden, so kann kein Mitglied der Organisation daran gehindert werden, seinen Nutzen daraus zu ziehen. Der Anteil des Einzelnen am Gesamtnutzen ist jedoch zum einen von der Gruppengröße abhängig und zum anderen von dem Nutzen, den er im Verhältnis zum Rest der Gruppe aus dem Kollektivgut zieht.23 In einer kleinen Gruppe mit einem ausgewogenen Verhältnis der Nutzenverteilung ist die Beteiligung am Gewinn größer als die Kosten, die aufgebracht werden müssen, um das Ziel zu erreichen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Gruppe das Kollektivgut bereitstellt. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Verhalten steigt bei einer ungleichen Verteilung des Nutzens. Gemäß des Falls, ein einzelner Akteur zieht einen überproportional großen Vorteil aus der Erreichung des Ziels, wird es für ihn vorteilhaft sein, für die Bereitstellung des Gutes zu sorgen, auch wenn er die Gesamtkosten zu tragen hat.24 Die hohe Beteiligung am Gewinn der Gruppe für den Einzelnen wird jedoch zunehmend kleiner, je mehr Akteure eintreten. Entsteht eine große Gruppe, in der das einzelne Mitglied nur einen infinitesimalen Anteil am Ganzen hat, so wird es nicht zu der Bereitstellung eines Kollektivgutes kommen. Ein rational handelnder Akteur wird keine Ressourcen aufwenden, um das Gruppenziel zu erreichen, da sein Aufwand kaum bemerkbare Auswirkungen auf das Gesamtergebnis hat.25 Die vorstehenden Überlegungen beziehen sich auf die Nutzenverteilung und auf die Beiträge, die ein einzelner Akteur für das Zustandekommen des Gruppenziels leisten kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Realisierung des Kollektivgutes kommt, steigt, je höher der Anteil dieser Beiträge am Gesamtergebnis wird, d.h. je kleiner die Gruppe ist. Der Nutzen, den ein Akteur aus dem Kollektivgut zieht, stellt einen ökono- 22 23 24 25 Vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 6-7, 14. Vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 21-22. Vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 32-33. Vgl. Hare, A.P. (1952): S. 266-267; Für diesen und weitere Gründe, wie z.B. das Ausbleiben eines oligopolistischen Wechselspiels und die steigenden Organisationskosten vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 46-47. Theorie des kollektiven Akteurs 8 mischen Anreiz dar. Für die Mitglieder in den verschiedenen Gruppen gibt es daneben jedoch auch Anreize die sozialer Natur sind.26 In einer kleinen Gruppe, in der die Mitglieder in einem engen Kontakt zueinander stehen, besteht die Möglichkeit, dass sich freundschaftsähnliche Strukturen entwickeln. Dadurch wird das Verhalten des Einzelnen von den anderen stärker beobachtet, als im Fall einer anonymen Gruppe. Würde sich nun ein Akteur nicht an der Erreichung des gemeinsamen Ziels beteiligen, um auf Kosten der anderen einen Nutzen daraus zu ziehen, so ist es der Gruppe möglich ihn durch soziale Sanktionen, wie z.B. Ausschluss, zu bestrafen. In kleinen Gruppen führen somit sowohl die ökonomischen, als auch die sozialen Anreize dazu, dass ein gruppenkonformes Handeln entsteht. Dieser soziale Druck, den die Gruppe ausüben kann, wird in großen Gruppen nicht wirksam, da die Mitglieder untereinander nicht bekannt sind. Damit entfällt die gegenseitige Beobachtung, die in kleinen Gruppen möglich ist. Ebenfalls verringert sich das Ausmaß der Betroffenheit, da der einzelne Akteur nur einen atomistisch kleinen Teil der Gruppe darstellt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die Akteure einer großen Gruppe weder einen ökonomischen noch einen sozialen Anreiz haben, für die Bereitstellung des Kollektivgutes zu sorgen.27 Um dem Fehlen dieser Anreize entgegen zuwirken und eine große Gruppe zu kollektivem Handeln zu befähigen, ist eine formale Organisation nötig. Sie ist in der Lage, selektive Anreize zu installieren, um die Akteure, die sich nicht am Gruppenziel beteiligen, zu diskriminieren und zu sanktionieren. Die Akteure, die sich gruppenkonform verhalten, können dadurch belohnt werden. Nur mit Hilfe dieser Anreize kann verhindert werden, dass aus dem eigeninteressierten Handeln der einzelnen Akteure ein Gesamtergebnis entsteht, welches im Gegensatz zu dem Gruppeninteresse steht.28 Die Ergebnisse dieses Abschnitts zeigen, dass kleine Gruppen handlungsfähiger sind als große.29 Die Mechanismen, die in der individualistischen Austauschtheorie zu einer sozialen Ordnung führen, sind bei kollektiven Gütern nicht wirksam, da bei diesen die individuellen Anreize für gruppenkonformes Verhalten fehlen. Im folgenden Kapitel soll nun auf einen Ansatz des methodologischen Kollektivismus eingegangen werden. 26 27 28 29 Vgl. Vanberg, V. (1978): S. 663. Für die Parallelen zwischen ökonomischen und sozialen Anreizen vgl. Simon, H.A. (1957): S. 115-117; Clark, P.B./Wilson, J.Q. (1961): S. 132-137. Für diesen und den vorherigen Abschnitt vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 59- 60; Vanberg, V. (1978): S. 663. Vgl. Olson, M., Jr. (1968): S. 45, 50; Vanberg, V. (1978): S. 663-664. Dies kann sogar dazu führen, dass kleine Gruppen die großen übervorteilen und ausbeuten, dazu vgl. Coleman, J.S. (1972): S. 217-218; Olson, M., Jr. (1968): S. 33-34. Theorie des kollektiven Akteurs 9 3 Kollektivistische Lösungsansätze der Organisation gemeinsamen Handelns 3.1 Funktionalistische Systemtheorie Eine der bekanntesten kollektivistisch orientierten Sozialtheorien ist die funktionalistische Systemtheorie mit ihrem Hauptvertreter PARSONS. Diese Theorie wurde entwickelt, um einen Gegenpol zu den reduktionistischen Theorien des methodologischen Individualismus zu schaffen, dem die Vertreter des Funktionalismus die Eigenschaft einer soziologischen Konzeption aberkennen. Sie soll einen holistischen Erklärungsansatz liefern und wird von ihnen als die einzig eigenständige Soziologie betrachtet.30 Die funktionalistische Systemtheorie sieht ihre Hauptaufgabe in der Erklärung des von HOBBES aufgeworfenen Problems der sozialen Ordnung. Im Unterschied zu individualistischen Ansätzen liefert sie einen von den Individuen losgelösten Erklärungsansatz. Das System als Ganzes rückt in den Vordergrund der Analyse.31 Die Entstehung einer Ordnung kann nicht aus den Handlungen einzelner Akteure erklärt werden, sondern sie bedarf einer autoritären Machtinstanz.32 Der einzelne Akteur erhält eine soziale Rolle, die mit normativen Erwartungen verknüpft ist, denen er gerecht werden muss. PARSONS Theorie entspricht einer Umkehrung des methodologischen Individualismus, da sie die Voraussetzungen, die zur Sicherung einer sozialen Ordnung nötig sind, im Vorfeld per Definition festlegt.33 Diese Sichtweise liefert einen Hauptgegenstand der Kritik, den Individualisten gegen die funktionalistische Systemtheorie hervorbringen. Die Erklärung für die Beseitigung der Diskrepanz zwischen individuellem Eigeninteresse und dem Ziel der Gruppe, welches in der Schaffung einer sozialen Ordnung liegt, wird im Funktionalismus per Definition umgangen. PARSONS bleibt die Erklärung schuldig, wie ein stabiles System aus den Anpassungsvorgängen einer Vielzahl von Handlungen entstehen kann.34 Das soziale System ist in seinem Sinne als eigenständige Entität zu verstehen, die mehr ist als eine durch die Handlungen der Individuen zusammengesetzte Größe. Schließen 30 31 32 33 34 Vgl. Davis, K. (1959): S. 760; Ryan, A. (1973): S. 234; Carlsson, G. (1976): S. 251-253; Vanberg, V. (1975): S. 179; Für eine Kritik Parsons an der individualistischen Sichtweise vgl. Parsons, T. (1965): S. 43. Das Handlungssystem besteht aus den vier Subsystemen: Sozial-, Kultur- und Persönlichkeitssystem, sowie dem Verhaltensorganismus, dazu vgl. Parsons, T. (1996): S. 12-16. Dies entspricht einem Wiederaufgriff der von Hobbes entwickelten Lösung. Vgl. Jonas, F. (1969): S. 153-154, 160-161; Parsons, T. (1964a): S. 36-37; Parsons, T. (1996): S. 21-25. Vgl. Jonas, F. (1969): S. 160; Vanberg, V. (1978): S. 665; ebenfalls Coleman in einem Zitat von Homans, G.C. (1972): S. 50. Theorie des kollektiven Akteurs 10 sich Einheiten zu Systemen zusammen, sind die Relationen, die zwischen diesen Einheiten entstehen, ebenfalls als Eigenschaft des Ganzen zu werten. Dieses Phänomen, welches PARSONS als Emergenz bezeichnet, soll beweisen, dass sich ein System nicht mit einer individualistischen Theorie erklären lässt.35 Diese strikt antireduktionistische Haltung PARSONS steht jedoch in völligem Gegensatz zu seinem Interaktionsparadigma, welches die Bildung von Normen und festen Strukturen aus interindividuellen Handlungen erklären soll.36 Die Interaktionsbeziehung der beiden darin enthaltenen Akteure (Ego und Alter)37 wird als Elementarform eines sozialen Systems angesehen, welches als Gesamtheit mehr darstellt, als die kumulierten Persönlichkeiten der beiden Mitglieder. Dabei sind die Handlungen von Ego und Alter voneinander abhängig, d.h. eine Aktion von Alter wird durch die vorherigen Handlungen Egos und dessen mögliche Reaktionen auf diese bestimmt. Dies bezeichnet PARSONS als Komplementarität der Erwartungen. Handlungen des jeweiligen Akteurs besitzen einen Gratifikations- und Deprivationswert für den anderen. Der daraus entstehende Druck wird die Akteure dazu veranlassen, sich mit den Erwartungen des anderen konform zu verhalten, um dessen positive Reaktionen hervorzurufen. Im Laufe der Zeit entsteht durch diesen Mechanismus ein Lernprozess, aus dem sich Normen entwickeln.38 Die vorangegangenen Ausführungen sollen die Parallelen zu einem individualistischen Ansatz deutlich machen und den Widerspruch zu PARSONS antireduktionistischen Denken aufzeigen. Das Interaktionsparadigma baut eindeutig auf dem Austauschgedanken auf und verliert somit seinen Anspruch zur Theorie des methodologischen Kollektivismus gezählt zu werden. Damit wurde die These der Eigenständigkeit des Funktionalismus falsifiziert.39 Damit wird in der bisherigen Diskussion festgestellt, dass sowohl der methodologische Individualismus, als auch der methodologische Kollektivismus einige Schwächen in den, von ihren Vertretern entwickelten, Theorien aufweisen. Im nächsten Kapitel soll das Modell der Ressourcenzusammenlegung erläutert werden. Es stellt einen Versuch dar, die Schwächen der bilateralen Beziehungen in der Austauschtheorie und die antireduktionistische Sichtweise des Funktionalismus zu beheben.40 35 36 37 38 39 40 Vgl. Parsons, T. (1964b): S. 337; Parsons, T. (1968): S. 734; Parsons, T. (1996): S. 15. Vgl. Vanberg, V. (1975): S. 184. Ego wird als interagierendes und Alter als soziales Objekt definiert. Vgl. Parsons, T. et al. (1962): S. 15, 23. Parsons, T./Shils, E.A. (1962): S. 105, 235; Parsons, T. et al. (1962): S. 15, 23; Parsons, T. (1964c): S. 38. Vgl. Vanberg, V. (1975): S. 185, 187-189; Schwanenberg, E. (1970): S. 98; Gouldner, A.W. (1960): S. 168; Vgl. Schütte, H.G. (1971): S. 36. Vgl. Vanberg, V. (1978): S. 670-672. Theorie des kollektiven Akteurs 11 3.2 Modell der Ressourcenzusammenlegung Ein Akteur hat die Möglichkeit seine Ressourcen41 in zweierlei Weise einzusetzen. Zum einen kann er sie individuell nutzen, was ihn in die Lage versetzt, selbstständig über ihren Einsatz zu verfügen. Zum anderen kann er sich mit weiteren Akteuren verbünden und seine Ressourcen mit denen der anderen zusammenlegen, um einen höheren Ertrag durch die kollektive Verwendung zu erzielen. In diesem Fall verliert er seine alleinige Entscheidungsmacht, da die Ressourcen von einer zentralen Stelle disponiert werden. Dadurch entsteht ein korporativer Akteur oder ein bereits bestehender wird durch weitere Ressourcen ergänzt.42 Investiert ein Individuum seine Ressourcen in einen Pool, so erhält es dadurch die Einflussmöglichkeit auf die Handlungen des korporativen Akteurs einwirken zu können. Es hat ebenfalls das Recht auf eine Beteiligung am Korporationsertrag. Akteure sind nicht auf die Mitgliedschaft an einem korporativen Akteur beschränkt, sondern haben die Möglichkeit ihre Ressourcen auf mehrere zu verteilen. Dabei können korporative Akteure Größen völlig unterschiedlichen Ausmaßes annehmen, die von zwei Beteiligten bis hin zu einem Staat reichen. Sie unterscheiden sich dabei lediglich in der Zahl der Mitglieder, in dem Bindungsgrad der Ressourcen der Mitglieder und aus den Gegebenheiten des Mitgliedschaftserwerbs.43 Aus der Gründung eines korporativen Akteurs und dem damit verbundenen kollektiven Handeln ergeben sich folgende Probleme. Werden die Ressourcen in einem Pool zusammengefasst, verlieren die einzelnen Akteure Dispositionsrechte. Damit ergibt sich die Frage, mit welchen Mechanismen über die Verwendung der Ressourcen entschieden wird. Es entsteht ein Herrschaftsproblem. Ein weiteres Problem entsteht, wenn durch das kollektive Handeln ein Korporationsertrag erzielt wird. Da dieser als Gesamtertrag der Organisation anfällt, muss er in individuelle Erträge der einzelnen Organisationsmitglieder aufgespaltet werden. Es entsteht ein Verteilungsproblem.44 Um diese Probleme zu beseitigen gibt es ein Kontinuum an Regelungsmustern, von denen die beiden Extremfälle im Folgenden behandelt werden sollen. Wird ein Akteur der Organisation als zentraler Koordinator bestimmt, so entscheidet er allein über die Verwendung der von den übrigen Mitgliedern eingebrachten Ressourcen. Um das Vertei- 41 42 43 44 Als Ressourcen wird im folgenden alles verstanden womit ein Akteur Einfluss auf seine Umwelt nehmen kann. Für Bespiele verschiedener Arten von Ressourcen vgl. Coleman, J.S. (1973): S. 2. Einen Überblick über verschiedene Definitionen des Korporativen Akteurs liefert Flam, H. (1990): S. 7-11. Für den gesamten Abschnitt vgl. Vanberg, V. (1982b): S. 10-12, Valcárcel, S. (2002): S. 189; Haase, M. (2004): S. 3. Vgl. Coleman, J.S. (1973): S. 3; Coleman, J.S. (1974/75): S. 758-760; Vanberg, V. (1982b): S. 14-15. Vanberg, V. (1982a): S. 287; Vanberg, V. (1982b): S. 16-17; Valcárcel, S. (2002): S. 190-191. Theorie des kollektiven Akteurs 12 lungsproblem zu lösen, erhalten die Beteiligten ein, im vornherein festgelegtes, Kontrakteinkommen, das unabhängig vom Korporationsertrag ist. Der Koordinator bekommt das Residualeinkommen, welches sich aus der Differenz des Gesamtertrages und den Auszahlungen an die Beteiligten zusammensetzt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Regelungsmuster monokratisch-hierarchischer Art. Den Gegenpol zu dieser Lösung der beiden Probleme korporativer Akteure bildet die genossenschaftlich-demokratische Variante. Dabei entscheiden alle Akteure gemeinsam über die Verwendung der eingebrachten Ressourcen und der Korporationsertrag wird unter allen Mitgliedern aufgeteilt.45 Im zuletzt genannten Regelungsmuster bedarf es eines Mechanismus, mit dem die Mitglieder zu einem Ergebnis gelangen können, einer sogenannten Entscheidungsregel. Einigen sich die Mitglieder auf die Einstimmigkeitsregel, so hat jedes Mitglied die volle Kontrolle über die Entscheidung wie die Ressourcen verwendet werden sollen. Sollen die Ressourcen des korporativen Akteurs in einer Weise eingesetzt werden, die mit dem Interesse eines Einzelnen im Konflikt steht, so kann dieser den Prozess der Mittelverwendung durch ein einziges Veto aufhalten. Es liegt auf der Hand, dass dadurch das kollektive Handeln gelähmt wird, da in den seltensten Fällen eine Entscheidung durch Einstimmigkeit beschlossen wird. Im Gegensatz dazu ermöglicht es die JedermannRegel allen Akteuren nach ihren eigenen Vorstellungen über die Ressourcen des korporativen Akteurs zu verfügen. Es ist den Akteuren jedoch nicht möglich, die Ressourcenverwendung der anderen zu verhindern.46 Damit ergibt sich das von COLEMAN entwickelte Dilemma der Organisation. Falls sich ein Akteur entschließt, seine Ressourcen in einen korporativen Akteur zu investieren, so verliert der Akteur die Verfügungsmacht über sie. Er wird diese Möglichkeit der Mittelverwendung nur wählen, wenn er davon ausgeht, dass die dadurch entstehende Macht der gebündelten Ressourcen ihm einen größeren Vorteil als ohne das kollektive Handeln einbringt. Setzt der Akteur eine restriktive Entscheidungsregel, wie die der Einstimmigkeit durch, um sich die Verfügungsmacht über seine Ressourcen zu erhalten, so verliert er die Vorteile, die ein korporativer Akteur erbringen kann. 47 45 46 47 Die Ausführungen über die Regelungsmuster beziehen sich auf Vanberg, V. (1982a): S. 287-288; Vanberg, V. (1982b): S. 18-22. Für diesen Einblick in die Entscheidungsregeln vgl. Coleman, J.S. (1972): S. 209-211; Valcárcel, S. (2002): S. 203-205; Coleman, J.S. (1979): S. 25-26. Vgl. Coleman, J.S. (1979): S. 25-27; Valcárcel, S. (2002): S. 204. Theorie des kollektiven Akteurs 13 4 Schlussbetrachtung Die vorangegangen Ausführungen zeigen, dass weder die Theorien des methodologischen Individualismus, noch die des methodologischen Kollektivismus in der Lage sind, einen ausreichenden Erklärungsansatz für gleichgerichtetes kollektives Handeln von Individuen zu geben. Dies liegt an der einseitigen Sichtweise der beiden Auffassungen, die ein komplexes Problem, wie das der sozialen Ordnung, nicht ausreichend erklären kann, da es zum einen von den Individuen abhängt und zum anderen von dem Beziehungsgefüge als Ganzes. Das Modell der Ressourcenzusammenlegung von COLEMAN liefert eine gute Alternative zu diesen beiden Extremen. Es basiert auf einer individuellen Sichtweise, indem es die Entscheidungen der einzelnen Akteure im Hinblick auf ihre Ressourcendisposition berücksichtigt. In dem Konstrukt des korporativen Akteurs, welcher aus der Ressourcenpoolung entsteht, wird ebenfalls der Systemgedanke des Kollektivismus berücksichtigt. Durch sein Kontinuum an Regelungsmustern und Entscheidungsregeln ist das Modell der Ressourcenzusammenlegung in der Lage, eine flexible Erklärung für Organisationsformen völlig verschiedener Art zu geben. Den Praktiker soll diese Arbeit an die Komplexität menschlicher Organisationsformen und der dualen Stellung von Individuen in ihnen erinnern. Entscheidet sich ein Individuum Ressourcen in eine Organisation einzubringen, versucht es dadurch Vorteile gegenüber der alleinigen Nutzung zu erzielen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass damit auch immer Konflikte, die durch die Wahrung individueller Interessen entstehen, verbunden sind. Auch der Interessenkonflikt des gleichzeitigen Ressourceneinsatzes in mehreren korporativen Akteuren, wie z.B. Arbeitsplatz, Familie und Vereinen, sollte bedacht werden. Das verstärkt in Mode kommende Coaching ist ein Indiz dafür, dass die Work-Life-Balance des Mitarbeiters immer mehr zum Thema wird. Probleme und Konflikte entstehen nicht nur im Berufsleben, sondern auch privat. Trotzdem haben auch private Unstimmigkeiten Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im Job. Die wichtigste Ressource „Mensch“ sollte somit ganzheitlich betrachtet werden und nicht nur auf den Arbeitsplatz reduziert werden. Theorie des kollektiven Akteurs 14 Literaturverzeichnis Alchian, A.A./Demsetz, H. (1972): Production, Information Costs, and Economic Organization, in: American Economic Review, 62. Jg., S. 777-795. Axelrod, R. (1991): Die Evolution der Kooperation, München 1991. Black, M. (1990): Perplexities - Rational Choice, the Prisoner´s Dilemma, Metaphor, Poetic Ambiguity, and Other Puzzles, London/Ithaca 1990. Blau, P.M. (1968): Interaction: social exchange, in: International encyclopedia of the social science, Band 7, New York 1968, S. 452-458. Bohnen, A. 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