Kapitel 4 Die elektromagnetische Theorie des Lichts Die Zielsetzung dieses ersten Kapitels ist die Herleitung der Lösungen für die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen sowohl in Vakuum als auch in homogenen, nicht magnetischen Medien. Desweiteren wird die Wellenausbreitung an Grenzflächen zwischen Medien mit verschiedenen dielektrischen Eigenschaften diskutiert. Ausgangspunkt für diese Betrachtung werden immer die bekannten Maxwell-Gleichungen sein. Insofern bietet diese Einführung auch eine Wiederholung wichtiger Resultate aus der Behandlung des Elektromagnetismus im vorherigen Semester. 4.1 Die Wellengleichungen und ihre Lösungen In fast allen Anwendungsgebieten der Optik findet die Lichtausbreitung der elektromagnetischen Wellen in nichtmagnetischen Medien statt. Insofern kann die relative Permeabilität der Medien µr = 1 gesetzt werden1 , und die magnetischen Eigenschaften spielen, wie erwartet, eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für die Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle sind die elektrische Eigenschaften, die sowohl durch die leitenden Eigenschaften als auch die Polarisierbarkeit des Mediums einen Einfluß haben können. Als Ausgangspunkt dieser Behandlung dienen die Maxwellgleichungen in ihrer allgemeinsten Form2 : ·D = ρ ∇ ·B = 0 ∇ ×E = − ∂B ∇ ∂t ∂ D ×H = ∇ + j. ∂t 1 (4.1) (4.2) (4.3) (4.4) In diesem Skript werden die Dielektrizitätskonstante sowie die Permeabilität durch ε = εr εo und µ = µr µo gegeben. 2 In diesem Skript werden wir das sogenannte rationalisierte MKSA-System (SI-Einheiten) verwenden. In der Elektrodynamik stellt die Wahl der Einheiten ein besonderes Problem dar, und es wird an dieser Stelle auf den Anhang im Buch Klassische Elektrodynamik“ von J.D. Jackson hingewiesen. ” 1 2 KAPITEL 4. DIE ELEKTROMAGNETISCHE THEORIE DES LICHTS Da die relative Permeabilität des Mediums µr = 1 angenommen wurde, ist die magnetische direkt proportional zur Feldstärke H: Feldstärke B = µr µo H = µo H. B (4.5) Für den Fall nichtleitender Medien verschwinden die freie Ladungsträgerdichte und auch die Stromdichte: ρ = 0 und j = 0. (4.6) Das Medium wird lediglich durch die relative Dielektrizitätskonstante εr berücksichtigt: = εr εo E. D (4.7) In optisch isotropen Medien (z.B. in Gasen, Flüssigkeiten und auch in kubischen Kristallen) ist die Lichtausbreitung richtungsunabhängig und die Dielektrizitätskonstante εr ist ein Skalar. (Für optisch anisotrope Medien wird der Skalar εr mit einem Tensor εjk ersetzt.) In dem hier betrachteten Fall eines optisch isotropen, isolierenden Mediums lassen sich die Maxwellgleichungen dementsprechend vereinfachen: ·D = 0 ∇ ·B = 0 ∇ (4.8) (4.9) ×E = − ∂B ∇ ∂t ×E = µo ∂ D . ∇ ∂t (4.10) (4.11) Um eine Wellengleichung aus der Maxwellgleichung abzuleiten, betrachten wir die Rotation von Gleichung (4.10): × (∇ × E) =∇ · (∇ · E) − (∇ · ∇) E. ∇ (4.12) Aufgrund der Abwesenheit freier Ladungsträger (Gleichung (4.8)) verschwindet der erste Term in der obigen Expansion. Dementsprechend kann die Gleichung vereinfacht werden und liefert folgendes Ergebnis: 2 2 2 × (∇ × E) = −∆E = − ∂ E + ∂ E + ∂ E . ∇ ∂x2 ∂y 2 ∂z 2 (4.13) Hier ist der Operator ∆ der sogenannte Laplace Operator. Die rechte Seite von Gleichung (4.10) lässt sich auch umformen und, unter Verwendung von Gleichung (4.11), mit der zeitlichen Variation des elektrischen Feldes verknüpfen: 2 × ∂B = − ∂ ∇ ×B = −µo εr εo ∂ E . −∇ ∂t ∂t ∂t2 (4.14) Somit erhalten wir aus Gleichungen (4.13) und (4.14) eine Wellengleichung für das elektrische Feld: 2 − µo εr εo ∂ E = 0. ∆E (4.15) ∂t2 4.1. DIE WELLENGLEICHUNGEN UND IHRE LÖSUNGEN 3 Durch Betrachtung der Rotation von Gleichung (4.11) kann auch eine analoge Wellengleichung für das magnetische Feld gewonnen werden. ∂2B = 0. (4.16) ∂t2 Aus unserer vorherigen Behandlung der Wellenphänomene wissen wir, dass der Proportionalitätsfaktor µo εr εo in den Gleichungen (4.15) und (4.16) mit der Phasengeschwindigkeit vph der elektromagnetischen Welle zu identifizieren ist: − µo ε r ε o ∆B 1 1 =√ c vph = √ ε r ε o µo εr (4.17) √ wobei die Konstante c = 1/ εo µo die Lichtgeschwindigkeit in Vakuum (c = 2.9979 108 ms−1 ) ist. Der empirisch bestimmte Wert dieser Konstante (aus den bekannten Werten von εo und µo ) lieferte den ursprünglichen Anstoß dafür Licht als elektromagnetische Welle zu betrachten. Im Rahmen dieser Betrachtung wird das Medium lediglich durch die relative Dielektrizitätskonstante εr berücksichtigt, und führt zu einer Verlangsamung der √ √ Phasengeschwindigkeit des Lichts um den Faktor 1/ εr = 1/n. Die Konstante n = εr wird als Brechungsindex des Mediums bezeichnet, und spielt eine entscheidende Rolle bei der Lichtausbreitung in Medien. Als einfachste Lösung der Wellengleichung erhalten wir eine ebene Welle, die sich in Richtung des Wellenvektors k ausbreitet: r, t) = E o cos (ωt − k · r + φ). E( (4.18) o der elektrischen Feldstärke angenommen. Die zeitliHier ist eine konstante Amplitude E che Abhängigkeit wird durch ω, die Kreisfrequenz der Welle berücksichtigt, und die Phase der Welle zum Zeitpunkt t = 0 und am Ort r = 0 wird durch φ ausgedrückt. Durch Einsetzen von Gleichung (4.18) in der Wellengleichung (4.15) erhalten wir in kartesischen Koordinaten mit k = (kx , ky , kz ): 2 2 2 = ∂ + ∂ + ∂ r, t) = −(kx2 + ky2 + kz2 )E( r, t) = |k|2 E( r, t) ∆E E( ∂x2 ∂y 2 ∂z 2 n2 ω 2 ∂2 E = µo εr εo 2 = − 2 E( r, t). (4.19) ∂t c Somit erhalten wir eine Verknüpfung zwischen dem Wellenvektor k und der Kreisfrequenz ω, die als Dispersionsrelation bezeichnet wird: n2 ω 2 k 2 = |k|2 = 2 . (4.20) c In den Abschnitten 4.3,4.4 werden wir feststellen, dass die Dispersionsrelation eine zentrale Rolle bei der Ausbreitung von Lichtpulsen in optischen Medien spielt. Anstelle der gerade eingeführten Schreibweise mit trigonometrischen Funktionen werden wir häufig die komplexe Schreibweise3 für die Beschreibung von Wellen verwenden: c (r, t) = E o,c exp (i(ωt − k · r + φ)). E (4.21) Die Lösungen exp (iωt − ik · r) und exp (ik · r − iωt) sind als Lösungen der Wellengleichung vollkommen equivalent. Die zweite Darstellung wäre im Hinblick auf die quantenmechanische Beschreibung von Wellenfunktionen sicherlich die Bessere, allerdings wird die erste in der Optik häufig verwendet. 3 4 KAPITEL 4. DIE ELEKTROMAGNETISCHE THEORIE DES LICHTS Hierbei ist zu beachten, dass die physikalisch messbaren Felder nur reelle Werte annehmen können, die dem Realteil der komplexen Felder entsprechen: c (r, t) + 1 E ∗ (r, t) r, t) = 1 E E( 2 2 c (4.22) c darstellt. ∗ das konjugiert Komplexe von E wobei E c Für die oben eingeführte Lösung (Gleichung (4.21)) der Wellengleichung können wir mit Hilfe der Maxwellgleichungen (4.8)-(4.11) wichtige Beziehungen zwischen den Vektoren k, D, E und B aufstellen. Für isotrope Medien ist D parallel zu E und wir erhalten mit Gleichung (4.8): ·D =∇ · (εr εo E( r, t)) = εr εo ∇ ·E = −iεr εok · E =0 ∇ (4.23) Aufgrund der geometrischen Deutung des Skalarprodukts stellen wir fest, dass sowohl das Verschiebungsfeld als auch das elektrische Feld senkrecht zu der Ausbreitungsrichtung der E ⊥ k. Aus Gleichung (4.9) sehen wir automatisch, dass das Gleiche Welle liegen, oder D, H ⊥ k. Desweiteren können wir aus den auch für die beiden magnetische Felder gilt: B, letzten beiden Maxwellgleichungen (4.10) und (4.11) feststellen, dass auch die elektrischen E ⊥ B, H). Diese und die magnetischen Felder senkrecht zueinander stehen müssen (D, Beziehungen zeigen sofort, dass elektromagnetische Wellen transversale Wellen sind, bei und B in eine Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichdenen die Auslenkungen von E B und k zueinander bildet dabei ein tung stattfinden. Die relative Orientierung von E, rechtshändiges System. Die Freiheit bei vorgegebenem Wellenvektor k die Richtung von in der Ebene senkrecht zu k zu bestimmen, führt zu zwei möglichen linearen PolarisaE tionen der oben angenommenen ebenen Welle. Diese Tatsache werden wir uns später im Rahmen unserer Diskussion zur Polarisation ausführlich widmen. Eine weitere Konsequenz dieser Analyse ist aus der Maxwellgleichung (4.10) sofort zu entnehmen: ×E = −ik × E = − ∂ B = −iω B. (4.24) ∇ ∂t In Verbindung mit unserer vorherigen Orthogonalitätsbedingung sehen wir sofort, dass B| = c/n ist. Diese Tatsache bekräftigt das Verhältnis zwischen den Feldamplituden |E|/| die vereinfachte Vorstellung, dass die Wechselwirkung zwischen einer elektromagnetischen Welle und einem Medium allein durch die elektrische Feldstärke zustande kommt. Die Wellenlänge einer ebenen Welle in Vakuum wird durch λ = 2π/k gegeben. In einem Medium erhöht sich der Wellenvektor einer Welle um den Faktor n und die Wellenlänge λm = λ/n reduziert sich dementsprechend. Die Kreisfrequenz der Welle ist mit der üblichen Frequenz f = ω/2π wie immer gegeben. Eine wichtige Eigenschaft der Wellengleichungen (4.15) und (4.16) ist das sogenannte 1 (r, t) und E 2 (r, t) Lösungen der Wellengleichungen sind, Superpositionsprinzip. Wenn E s = E 1 + E 2 auch eine Lösung der Wellengleichung.4 Dadurch ist dann ist deren Summe E es möglich, durch Kombination von ebenen Wellen geeigneter Amplitude und Frequenz Wellenpakete mit definiertem zeitlichen und räumlichen Verlauf zu konstruieren. 4 Dieses Resultat ergibt sich aus der Linearität der Gleichungen (4.8) - (4.11). Die obere Diskussion klein genug ist, damit Nichtlinearitäten vernachlässigt werden nimmt daher an, dass die Feldstärke E können. 4.1. DIE WELLENGLEICHUNGEN UND IHRE LÖSUNGEN 5 1 0.8 0.6 0.4 0.2 8·10 9 9·10 9 1·10 10 10 10 1.1·10 1.2·10 1.3·10 10 Abbildung 4.1: Darstellung des Gaußpakets von Gleichung (4.28). Es wurde eine Frequenz ωo = 1010 s−1 und eine Breite“ δω = 109 s−1 angenommen. ” Durch die Addition einer Vielzahl von ebenen Wellen mit Frequenzen ωj = jωo und oj lässt sich ein beliebiger periodischer Feldverlauf E( r, t) darstellen. Am Amplituden E Ort r = 0 erhalten wir folgenden Zeitverlauf: E(t) = ∞ oj exp (iωj t). E (4.25) j=0 Aus dieser Fourierreihe wird bei der Verwendung von kontinuierlich verteilten Frequenzkomponenten ein Fourierintegral, das die Darstellung von nicht periodischen Zeitveläufen gestattet: 1 ∞ E(t) =√ Eo (ω) exp (iωt)dω. (4.26) 2π −∞ o (−ω) = E o∗ (ω), Die Frequenzkomponenten bei negativen Frequenzen werden so definiert E dass die aus der Transformation gewonnene zeitabhängige Feldstärke E(t) eine reelle Größe ist. Durch Umkehrung der Fouriertransformation lassen sich die frequenzabhängi o (ω) berechnen: gen Feldkomponenten E ∞ o (ω) = √1 exp (−iωt)dt. E E(t) 2π −∞ (4.27) Diese beiden Darstellungen sind vollkommen äquivalent, und als Beispiel ihrer Anwendung für elektromagnetische Wellen betrachten wir nun einen gaußförmigen Frequenzverlauf mit einer Zentralfrequenz ωo und eine Breite“ δω: ” (ω − ωo )2 E(ω) = A exp − . (4.28) δω 2 Die Halbwertsbreite ∆ω dieses Gaußpakets wird durch die Beziehung exp((∆ω/2)2 /δω 2) = 2 gegeben, und hat den Wert: √ ∆ω = 2δω ln 2. (4.29) Um den zeitlichen Verlauf der Feldstärke zu berechnen, müssen wir nun folgende Fouriertransformation durchführen: 1 ∞ (ω − ωo )2 (−ω − ωo )2 E(t) = √ A exp − + A exp − exp (iωt)dt. (4.30) δω 2 δω 2 2π −∞ 6 KAPITEL 4. DIE ELEKTROMAGNETISCHE THEORIE DES LICHTS 1 0.5 -9 -6·10 -9 -4·10 -9 -9 -2·10 2·10 -9 4·10 -9 6·10 -0.5 -1 Abbildung 4.2: Darstellung der Fouriertransformation des Gaußpakets von Gleichung (4.28). Wir erkennen sowohl die schnelle Modulation mit der Frequenz ωo als auch die Gauß’sche Einhüllende. Der zweite Term wird, wie bereits angesprochen, benötigt, um eine reelle Feldstärke für E(t) zu erzielen. Somit bekommen wir für den zeitlichen Verlauf des elektrischen Feldes: ∞ A (ω − ωo )2 E(t) =√ exp (iωt) exp − dω + c.c. δω 2 2π −∞ (4.31) Die wesentliche Schritte zur Lösung dieses Integrals werden im Folgenden kurz skizziert: ∞ (ω − ωo )2 A E(t) = √ exp (iωo t) exp (it(ω − ωo )) exp − dω δω 2 −∞ 2π 2 A t2 δω 2 ∞ ((ω − ωo ) − itδω 2 /2) = √ exp (iωo t) exp − exp − dω 4 δω 2 −∞ 2π t2 δω 2 Aδω = √ exp (iωo t) exp − (4.32) 4 2 Somit erhalten wir nach quadratischer Ergänzung und Durchführung des Gaußintegrals einen zeitlichen Verlauf der elektrischen Feldstärke, die als Überlagerung einer Schwingung mit Frequenz ωo und einer gaußförmigen Modulation betrachtet werden kann. Die Halb√ wertsbreite der Modulation kann sofort bestimmt werden und hat den Wert ∆t = 2δt ln 2 mit δt = (2/δω). Das Produkt aus der Halbwertsbreite des Freuquenzverlaufs und des zeitlichen Verlaufs kann somit berechnet werden und liefert uns eine erste Unschärfere” lation“: ∆ω∆t = 8 ln 2 = 5.54 (4.33) Dieser Lichtimpuls, mit einem zeitlichen Gaußverlauf, ist zwingenderweise mit einem entsprechenden Frequenzverlauf verbunden. Die Breiten der beiden Gaußfunktionen unterliegen der obigen Unschärferelation (Gleichung (4.33)); je kürzer der Impuls desto breiter der Frequenzverlauf. In der Wellenoptik hat eine solche Unschärferelation eine sehr anschauliche Deutung. Die Bestimmung der Ankunftszeit eines Lichtpulses bedarf einer Messung der elektrischen Feldstärke als Funktion der Zeit. Eine möglichst präzise Bestimmung ist nur dann möglich wenn der Lichtpuls entsprechend kurz ist. Die simultane Bestimmung der Frequenz des Impulses bedarf einer Aufzählung möglichst vieler Schwingungen im dazugehörigen Wellenzug und unterliegt einer Unschärfe ∆f ∼ 1/∆t. In diesem Zusammenhang sehen wir sofort, dass eine perfekt monochromatische Welle mit exakt definierter Frequenz (∆ω = 0) einen in der Zeit unendlich ausgedehntem Wellenzug entspricht, das weder Anfang noch Ende hat.