11 Gleichrichter am realen Netz Übungsziele: • Gleichrichter am nicht starren Netz • Kommutierung und ihre Einflüsse auf den Stromrichterbetrieb • Spannungsschwankungen • Netzrückwirkung mit Fourier-Analyse Übungsdateien: MATHCAD: SIMPLORER: 11.1 mprlk.mcd; b6rlk.mcd m3rl.ssh; m3rl_m.ssh; m3rlg.ssh; m3rlg_m.ssh; b2rl.ssh; b2rl_m.ssh; b6rl.ssh; b6rl_m.ssh Allgemeines Bisher wurde der Gleichrichter an einem starren idealen Netz angeschlossen. Er konnte deswegen nicht auf das Netz zurückwirken, da er vom Netz entkoppelt war. Reale Netze sind nicht unendlich starr. Abhängig von der Größe der Widerstände zwischen Generatoren und dem Anschlusspunkt der Stromrichter wird das Netz „weicher“ (Bild 11.1). Je „weicher“ es ist, desto stärker wird die Netzspannung durch den nicht mehr sinusförmigen Leiterstrom verzerrt. Er fließt nur zwischen dem Verbraucher und dem Generator. Erst über die verzerrte Spannung werden auch andere Verbraucher durch diese Rückwirkungen beeinflusst. Der Netzwiderstand setzt sich im Wesentlichen aus induktiven und ohmschen Komponenten zusammen. Der ohmsche Anteil wird meist vernachlässigt, da er sehr klein ist. Die Übernahme des Ventilstroms iv von einem Ventil auf das folgende, die Kommutierung, läuft nicht, wie bisher angenommen, in unendlich kurzer Zeit ab, sondern mit endlicher Anstiegsgeschwindigkeit div /dt. Nach dem Induktionsgesetz kann das Ventil bei schnellem Stromanstieg durch Induktionsspannungen zerstört werden. Deshalb wird vom Ventilhersteller eine obere zulässige Grenze mit der Anstiegsflanke durch div /dtzul festgelegt. Alle Induktivitäten, die zwischen Spannungserzeuger und Anschlusspunkt des Gleichrichters liegen, tragen zu einer Verkleine rung des Stromanstiegs bei. Sie setzen sich aus den Leitungsinduktivitäten und den Streuinduktivitäten der Generatoren und Verteilungstransformatoren zusammen. Die gesamte Impedanz am Anschlusspunkt des Gleichrichters besteht aus den Leitungsinduktivitäten LLeit und den Streuinduktivitäten Lσ eines eventuell 154 11 Gleichrichter am realen Netz vorgeschalteten Transformators. Sie bilden gemeinsam die Kommutierungsinduktivität Lk . Falls sie so gering ist, dass der Grenzwert div /dtzul unterschritten wird, müssen im Gleichrichter zusätzlich Induktivitäten Lk Zusatz vor die Ventile gesetzt werden. Die Kommutierungsinduktivität verzögert nicht nur den Anstieg des Ventilstroms, sondern verkleinert auch die Gleichspannung an der Last. Gegenüber der ideellen Gleichspannung Udiα verringert sich der Mittelwert auf die reale Gleichspannung Udα um eine Spannungsdifferenz, den induktiven Gleichspannungsabfall Dx = Udiα − Udα. Durch den relativ geringen Spannungsabfall an den ohmschen Leistungswiderständen wird die Ausgangsspannung zusätzlich verkleinert. Der Einfluss der Kommutierungs induktivität vergrößert außerdem die Gefahr eines Wechselrichterkippens. Deswegen müssen bei der Berechnung des maximalen Steuerwinkels α max im Wechselrichterbetrieb die Kommutierungsvorgänge be achtet werden. Bild 11.1: Ersatzschaltungen für das Netz 11.2 Kommutierungsintervall 11.2 155 Kommutierungsintervall In Bild 11.2 ist der Stromübergang vom Ventil V1 auf das Ventil V2 in einer M3Schaltung gezeigt. Transformatorstreuinduktivitäten und Netzinduktivitäten sind in Lk zusammengefasst. Die netzseitigen ohmschen Widerstände werden vernachlässigt. Der Gleichstrom id entspricht wegen der ideal angenommenen Glä ttung (Ld → ∞) seinem Mittelwert Id . Während des Überlappungs- oder Kommutierungsintervalls ü sind beide Ventile gleichzeitig leitend. Während der Strom im Ventil 1 noch nicht auf Null abgeklungen ist, übernimmt das Ventil 2 bereits den Strom. Dadurch schließen die Ventile die Leiterspannung u k = u L für die Dauer des Überla ppungsintervalls kurz. Die Kurzschlussspannung ist u k. Der Anstieg des Kurzschlussstroms ik wird allein durch die doppelte Kommutierungsinduktivität 2 Lk begrenzt. Sein Maximalwert entspricht dem Gleic hstrom Id (Bild 11.2). Bild 11.2: Kommutierungsinduktivitäten Der Scheitelwert Îk wird nicht erreicht. Der Kurzschlussstrom kann das Ventil nicht zerstören, da er kleiner oder gleich dem Laststrom bleibt. Um die Zeitfunktion des Kurzschlussstroms mathematisch zu formulieren, gelten folgende Voraussetzungen: Bild 11.3: Kommutierender Gleichstrom 11 Gleichrichter am realen Netz 156 Erstens wird ein ideal geglätteter Gleic hstrom id = Id mit der Glättungs induktivität Ld → ∞ vorausgesetzt und zweitens wird der ohmsche Netzwiderstand vernachlässigt. x α = 142,5° γ β α = 90° α = 60° α = 0° α 0 Bild 11.4: Spannungen und Ströme während der Kommutierung Während der Kommutierungsdauer ü gilt unter den obigen Voraussetzungen an einer beliebigen Stelle x = ω t, dass die Stromsumme zu jeder Zeit x in Bild 11.3 iV1 + iv2 = Id ist. Erreicht der kommutierende Strom den Wert Id , wird der Kommu- 11.2 Kommutierungsintervall 157 tie rungsvorgang automatisch beendet. Die Gleichung (11.1) gibt den Kurzschlussstrom im Bereich α < x < α + ü an. Der Effektivwert des Kurzschlussstromes ist von der Pulszahl p und von der Kommutierungsinduktivität Lk abhängig. Je größer sie ist, desto kleiner wird der Stromanstieg div /dt. ik = 2 I k [cos(α) − cos(x )] mit α = 0 folgt ik = 2 I k [1 − cos(x) ] Ik = ð sin ω Lk p (11.1) US Bei der Berechnung des Effektivwertes IK ist in den Gleichungen (11.2) zu be achten, dass bei der B2-Brücke die Leiterspannung UL = 2 US = 230 V eingesetzt wird. Mittelpunktschaltungen: für M 2 gilt Ik = US ω Lk für M 3 gilt Ik = US 3 ω Lk 2 für M 6 gilt Ik = US 1 ω Lk 2 für B 2 gilt Ik = US für B6 gilt Ik = (11.2) Brückenschaltungen: ω Lk = UL 1 ω Lk 2 3 US 1 UL 1 = ω Lk 2 ω Lk 2 Die Spannungs- und Stromfunktionen nach Bild 11.4 zeigen die an der Kommutierung beteiligten Phasenspannungen u S1 und u S2 und die Leiterspannung u L = uk = u S1 – u S2 , die als Kurzschlussspannung wirkt. Aus dem Mittelwert der Phasenspannungen nach Gle ichung (11.3), der in Bild 11.4 gepunktet einge zeichnet ist, ergibt sich die Lastspannung u d während der Überlappungszeit: ud = u S1 + u S2 2 (11.3) Der Kurzschlussstrom eilt wegen der rein induktiven Belastung des Kurzschlusskreises der Leiterspannung u L um 90° nach. Die cos-Funktion des Stromes ist nach Gleichung (11.1) um seine Amplitude in positiver Richtung angehoben. Bei konstantem Laststrom Id hängt das Überlappungsintervall ü nur vom Steuerwinkel ab. Der auf- und abkommutierende Strom wird aus Abschnitten dieser cos-Funktion [s. Gleichung (11.1)] gebildet. Ein konstanter Laststrom kann bei steigender Aus- 11 Gleichrichter am realen Netz 158 steuerung nur durch Verkleinerung des Lastwiderstandes Rd erreicht werden. Der Überlappungswinkel bei Vollsteuerung ü 0 ist am größten. Aus Gleichung (11.1) folgt die Gleichung (11.4), wenn für das Ende des Überlappungsintervalls an der Stelle x = α + ü. eingesetzt wird. I d = 2 I k [cos(α) − cos(α + ü ) ] (11.4) Der Überlappungsbereich für α = 0 heißt ü0 . Es folgt aus Gleichung (11.4) I d = 2 I k [1 − cos(ü 0 )] I ü 0 = arccos1 − d 2 I k (11.5) Durch Gleichsetzen von Gleichung (11.4) mit Gleichung (11.5) folgt mit Gleichung (11.6) der Zusammenhang zw ischen dem Überlappungsintervall ü und dem Steuerwinkel α. Der Überlappungswinkel bei Vollsteuerung ü 0 lässt sich direkt aus den Kommutierungsinduktivitäten herle iten. 1 − cos(ü 0 ) = cos(α) − cos(α + ü ) 11.3 (11.6) Die Gleichspannungsänderung Während des Kurzschlusses treten an der Kommutierungsinduktivität Lk Spannungsabfälle auf, die sich in der Ausgangsgleichspannung Ud als Spannungs absenkung ∆U bemerkbar machen. Diese Spannungsdifferenz setzt sich allgemein aus einem ohmschen Teil DR und einem induktiven Teil DX zu ∆U = DR + DX zusammen. Da der ohmsche Anteil vernachlässigt wurde, ist nur die induktive Komponente DX wirksam. Sie folgt aus dem Spannungsabfall an der Netzzuleitungsinduktivität DL und einer eventuell vorhandenen Transformatorstreuinduktivität DT entsprechend DX = DL + DT. 11.3.1 Die induktive Gleichspannungsänderung Alle ohmschen Anteile vor dem Anschlusspunkt des Gleichrichters am Netz werden vernachlässigt. Die Kommutierungs induktivität vermindert nicht nur die Anstiegssteilheit des Ventilstroms, sondern verkleinert auch den Mittelwert der Gleichspannung. Sie wird gegenüber dem ideellen Mittelwert Udiα mehr oder weniger stark auf den realen Mittelwert Udα abgesenkt. Die Spannungsdifferenz heißt induktive Gleichspannungsänderung Dx = Udiα − Udα. Bezieht man die Dif ferenz auf den Spannungs mittelwert bei Vollsteuerung Udi , erhält man die relative induk tive Gleichspannungsänderung d x = Dx/Udi , die in Prozent angegeben wird. Bild 11.5 zeigt den Kommutierungsvorgang. 11.3 Die Gleichspannungsänderung 159 x x x α x Bild 11.5: Kommutierungsvorgang Die Spannungsänderungen lassen sich mit den obigen Voraussetzungen aus der Gleichgewichtsbedingung der Spannungen während der Kommutierungszeit ü auf der Grundlage von Bild 11.2 berechnen. Die gesteuerte Spannung u d ergibt sich nach Gleichung (11.7). Durch Integration folgt der arithmetische Mittelwert der gesteuerten Gleichspannung Udα nach Gleichung (11.8). u d á = uS1 − ω Lk d iS1 dx (11.7) Im Intervall α ≤ x ≤ α + 2π/p wird der arithmetische Mittelwert für die M3-Schaltung durch Integration von Gleichung (11.8) bestimmt. α+ U dá = p 2ð 2ð p ∫u S1 dx α U d á = U diá − Dx = α+ − p ωL k 2ð p ωLk I d 2ð p ωLk I d 2ð 2ð p ∫ di S1 d x α (11.8) 11 Gleichrichter am realen Netz 160 Zur Berechnung von Brücken wird die Pulszahl p durch folgende Größen ersetzt: p= qsd ; damit wird g Dx = qsd ω g 2ð (11.9) Lk I d Die Formelzeichen in Gleichung (11.9) bedeuten: q Zahl der je Periode innerhalb einer Kommutierungsgruppe ablaufenden Kommutierungen (Kommutierungszahl) s Zahl der in Reihe geschalteten Kommutierungsgruppen d Zahl der gleichzeitig kommutierenden Kommutierungsgruppen g Zahl der gleichstromseitig parallel geschalteten Kommutierungsgruppen Die Mittelpunktschaltungen enthalten nur eine Kommutierungsgruppe. Es ist q = p und s = d = g = 1. Brückenschaltungen enthalten zwei Kommutierungsgruppen. Es ist q = p und s = 2 und d = g = 1. Die relative induktive Gleichspannungsänderung wird in Prozent der Gleichspannung bei Vollsteuerung angegeben. d x= Dx 100 % U di (11.10) Der Zusammenhang zwischen der relativen induktiven Gleichspannungsänderung mit dem Steuerwinkel α und der Überlappung ü errechnet sich aus Gleichung (11.11). dx = 11.3.2 cos(α) − cos(α + ü ) 1 = 2 2 Id 2I k (11.11) Die ohmsche Gleichspannungsänderung Gleichung (11.12) gilt allgemein mit s in Reihe geschalteten Kommutierungs kreisen. Für die Mittelpunktschaltungen sowie die B2- und B6-Brücken ist s = 1. Der ohmsche Spannungsabfall lässt sich aus den Widerständen Rk des Kommutierungskreises berechnen. Er wirkt über das gesamte Periodizitätsintervall als ohmscher Spannungsabfall Rk iL , während der induktive Spannungsabfall nur durch die Stromänderung Lk diL /dt im Überlappungsintervall auftritt. Dr = sRk I d dr = sR k I d U di (11.12) 11.4 Der Löschwinkel 11.4 161 Der Löschwinkel Der Löschwinkel γ gibt im Wechselrichterbetrieb den min imalen Winkel an, bei dem negative Sperrspannung am Ventil liegen muss, damit kein Wechselrichterkippen eintritt. Er wird durch die Freiwerdezeit tq und die Schonzeit tc des Ventils in Gleichung (11.13) bestimmt. γ = ω tc > ω tq (11.13) An der Wechselrichtertrittgrenze soll das Kippen des Wechselrichters mit der Begrenzung des Steuerwinkels auf αmax = 150° verhindert werden. Bei diesem Steuerwinkel α würde bei einem Überlappungswinkel von ü 0 = 30° der Löschwinkel γ verschwinden. Die Schonzeit tc, die größer als die Freiwerdezeit tq sein muss, wäre auch Null und die Ventile könnte nicht mehr sperren. Im Halbleiterkristall blieben Ladungsträger zurück, so dass positive Spannungen am Ventil nicht mehr gesperrt würden. α= 150° γ Bild 11.6: Strom und Spannung bei α = 150° und p = 3 Das Bild 11.6 gibt einen qualitativen Eindruck über die Verhältnisse an der Wechselrichtertrittgrenze. Zum Löschwinkel muss noch der Überlappungswinkel addiert werden, damit die Wechselrichtertrittgrenze nicht überschritten wird. Die maximal mögliche Aussteuerung verringert sich. Mit der Bedingung α + γ + ü = π wird durch Berücksic htigung der Kommutierung: αmax = arccoscos(ð − γ ) + Id 2 I k (11.14) Wird Gleichung (11.6) nach ü aufgelöst, folgt Gleichung (11.15). Mit ü 0 als Parameter lässt sich die Kurvenschar ü = f(α) in Bild 11.7 zeichnen. Die Minima der Funktionen liegen auf der Geraden ü min = –2α + π. Die Wechselrichtertrittgrenze 11 Gleichrichter am realen Netz 162 α max muss bei Überlappungswinkeln ü > 30° deutlich kleiner als 150° werden. Allerdings treten so große Überlappungswinkel praktisch nie auf, es sei denn, dass besonders hohe Spannungseinbrüche beim Einspeisen über Stromrichtertransformatoren zu erwarten sind. Sie treten z.B. beim direkten Einschalten elektrischer Maschinen auf, da ihr Anfahren einer Kurzschlussbeanspruchung entspricht. ü = arccos(cos(α) + cos(ü 0 ) − 1 ) − α (11.15) ü α Bild 11.7: Überlappungswinkel ü = f(α) 11.5 Beispiele für die Theorie der idealen Kommutierung Beispiel 1 (MATHCAD) Mit der MATHCAD-Datei mprlk.mcd im Eingabebereich (Bild 11.8) und im Ausgabebereich (Bild 11.9) werden die Berechnungen der Kommutierungs einflüsse bei idealer Glättung (Ld → ∞) für die dreipulsige Mittelpunktschaltungen (M3) mit einem ohmschen Verbraucher durchgeführt. Es wird der Vorgang bei einer halben Wechselspannungsperiode aufgezeichnet, um das Überlappungsintervall ü gut sichtbar zu machen. Bild 11.8: Eingabeteil für das MATHCAD-Beispiel 1 11.5 Beispiele für die Theorie der idealen Kommutierung 163 Bild 11.9: Gleichspannung ud mit ihren Mittelwerten Udi α und Udα; M3 In Bild 11.9 sind alle Mittelwerte ausgerechnet. Deutlich ist der Einbruch in der Gleichspannung u d auf den Mittelwert der Phasenspannungen von u S1 und u S2 zu sehen. Durch die fehlende Spannungs-Zeit-Fläche ist der Mittelwert Udα um 19 V gegenüber seinem ideellen Wert Udiα abgesunken. Bild 11.10: Überlappungsintervall des Ventilstroms; M3 Die auf- und abkommutierenden Flanken des Ventilstroms zeigt Bild 11.10. Der ideal geglättete, blockförmige Strom wird jetzt näherungsweise trapezförmig. Seine Amplitude bleibt konstant auf dem Wert Id . 11 Gleichrichter am realen Netz 164 Bild 11.11: Überlappungsintervall als Funktion des Steuerwinkels; M3 Die Lage des Überlappungsintervalls wird in Bild 11.11 durch ein Kreuz auf einem Abschnitt der Kurvenschar nach Bild 11.7 angezeigt. Der Betriebspunkt liegt bei dem gewählten Steuerwinkel α = 15°. Die Funktion schneidet die Ordinate beim Überlappungsintervall ü 0 = 32°. Die Berechnung der Kommutierung in MATHCAD gilt nur für ideale Glättung. Beispiel 2 (SIMPLORER) Weitere Untersuchungen bei realer Glättung sind mit Hilfe der SIMPLORER-Dateien möglich. Diese Simulationen sind nicht auf ideale Glättung beschränkt. Zum Vergleich mit dem MATHCAD-Beispiel werden trotzdem gleiche Eingaben vorgesehen. Es wird das vorherige Beispiel 1 mit der Datei m3rlk.ssh durchgerechnet. In der Ausgabe (Bild 11.12) ist ein Zeitfenster von 100 ms bis 110 ms gewählt worden, um die lange anhaltenden Einschwingvorgänge wegen der großen Glättungsinduktivität auszublenden. Beim Einschalten eines realen Stromrichters beginnt der Strom bei Null und steigt auf den eingeschwungenen Zustand in einem Zeitintervall an, der durch die Zeitkonstanten des Stromkreises vorgegeben wird. Die Ereignisse nach Bild 11.12 entsprechen denen, die durch die Berechnung mit MATHCAD gewonnen wurden. . 11.5 Beispiele für die Theorie der idealen Kommutierung 165 Bild 11.12: Strom und Spannung mit Kommutierung; M3 Es wird eine Gleichstrommaschine durch eine einphasige Ersatzlast simuliert, um die Wechselrichtertrittgrenze zu untersuchen. Der Wechselrichterbetrieb erfordert eine Gegenspannung, da sonst keine Leistung ins Netz abgegeben werden kann. Für einen vorgegebenen Laststrom Id und Steuerwinkel α berechnet sich die erforderliche Gegenspannung mit Gleichung (11.16). 1 E1 = −U q = U d αá 1 + Id (11.16) In der Datei m3rlg.ssh wird der Generatorbetrieb durch eine einstellbare Quelle nspannung nachgebildet, so dass dort alle Betriebs zustände eingestellt werden können. Die Schaltung zeigt Bild 11.13. Ähnliche Untersuchungen können mit den Dateien für die B2- und die B6-Brücke durchgeführt werden. Bild 11.13: Ersatzlast mit Gegenspannung Der Läuferwiderstand ist so klein, dass er vernachlässigt werden kann. Wir setzen in das Lastmodell einen geringen ohmschen Läuferwiderstand von 1 µΩ ein und geben eine Läuferinduktivität von 100 mH vor. Um bei einem Steuerwinkel α = 150° die Vorgänge an der Wechselrichtertrittgrenze im Zusammenhang mit den Kommutierungsvorgängen zu untersuchen, muss die Quellenspannung als Ge- 11 Gleichrichter am realen Netz 166 genspannung größer als Udα = 2,38 US cos(α) = 474 V sein. Für einen konstanten Laststrom von Id = 30 A folgt nach Gleichung (11.16) eine Gegenspannung von 489,8 V. Das Lastmodell simuliert einen Generator, der seine Energie über die M3-Schaltung ins Netz zurückspeist. Dazu müsste die elektrische Maschine ihre Drehrichtung oder das Feld ändern, weil sich die Klemmenspannung umkehrt. In Bild 11.14 sind die Verhältnisse an der Wechselrichtertrittgrenze bei α = 150° ausgegeben. Zur Bestimmung der Überlappungszeit ü wurde die Option ExternView von QuickView verwendet, die es gestattet mit der rechten und linken Maustaste Cursoren zu setzen, um zwei Koordinatenpunkte miteinander zu vergleichen. In der Grafik sind eine Sperrspannung uv , ein Ventilstrom iv im Maßstab 1:10 und die Lastspannung u d gezeigt. Der Anteil der negativen Sperrspannung müsste ohne den Kommutierungseinfluss noch 30° sein. In der Grafik wurde durch die gestrichelten Cursormarken das Überlappungsintervall ü mit 0,926 ms ausgemessen. Das entspricht einem Zeitwinkel von ü = 16,7°. Der Löschwinkel wäre in diesem Beispiel auf γ = 180° − 150° − 16,7° = 13,3° geschrumpft. Um eine ausreichende Löschung zu sichern, müsste der Voreilwinkel β = ü + γmin = 46,7° eingestellt werden, d.h., α max dürfte 133° nicht überschreiten. Bild 11.14: Aussteuerung an der Wechselrichtertrittgrenze mit QuickView/Extern 11.6 Netzrückwirkung Verbraucher mit nichtlinearen Lastkennlinien, zu denen auch Stromrichter gehören, verzerren den Netzstrom. Er weicht von seiner idealen Sinusform ab und ist oberschwingungshaltig. Diese Verbraucher wirken als Oberschwingungsgeneratoren. Der Strom fließt direkt vom Verbraucher zum Erzeuger. An den Innenwiderständen realer Netze, den Kommutierungsinduktivitäten, erzeugen die Ober- 11.6 Netzrückwirkung 167 schwin gungen entsprechende Spannungsabfälle, die sich der Netzspannung überlagern und sie ebenfalls verzerren. Durch die Stromoberschwingungen iLν wird ein Spannungsabfall u ν = iLν ν XN an der Kurzschlussreaktanz des Netzes XN hervorgerufen, der linear mit der Ordnungszahl ν der Oberschwingungen entsprechend Bild 11.15 steigt. Die Spannung u ν wird im Wesentlichen durch die Kommutierungsinduktivität Lk bestimmt. Zusätzliche Netzkapazitäten CN , wie sie z.B. durch Kompensationsanlagen gebildet werden, können die Spannungsabfälle für bestimmte Oberschwin gungen erheblich erhöhen. Das Netz kann vereinfacht als Paralle lschwingkreis aufgefasst werden. Dort wird bei der Resonanzfrequenz der Netzwiderstand stark vergrößert und folglich die entsprechende Oberschwingung in der Spannung verstärkt. Die Netzkonfiguration verändert sich ständig durch Schalthandlungen. Alle am Netz angeschlossenen Verbraucher liegen an gemeinsamer Versorgungs spannung, die jetzt etwas von der idealen Sinusform abweicht. Man spricht in diesem Falle von einer leitergebundenen Netzrückwirkung im Gegensatz zu den Rückwirkungen, die im nachrichtentechnischen Bereich auftreten. Allgemein werden diese Vorgänge nach den Regeln der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) untersucht. Zk(ν) Zk(ν) Xk(ν) νr ν Bild 11.15: Frequenzverhalten des Netzes 11 Gleichrichter am realen Netz 168 α α Bild 11.16: Entstehung der Spannungseinbrüche; B6 Mit dem Zeigerdiagramm (Bild 11.16) werden die Einbrüche in der Leiterspannung einer Drehstrombrücke bei einer Aussteuerung von 30° konstruiert. Der Zeiger der Phasenspannung ist normiert und hat den Wert „Eins“. Erfolgt der Kommutierungs kurzschluss zwischen den Phasen 1 und 2, fallen die Punkte 1 und 2 in a zusammen. Die Klemmenspannung zwischen 1 und 2 wird Null. Beim Kurzschluss zwischen Phase 2 und 3 fallen die Punkte 2 und 3 in b zusammen und im dritten Kommutierungspunkt fallen die Punkte 3 und 1 auf c. Die jeweiligen Klemmenspannungen entsprechen entweder in b, 30° voreilend oder in c, 30° nacheilend dem 1,5-fachen Wert der Phasenspannung. Die Zeitfunktionen der um 30° in der Phasenlage verschobenen Spannungen sind als Hilfslinien in Bild 11.16 gezeichnet. Sie bilden die Begrenzungen für die Spannungsabweichungen, die durch die Kommutierung in den anderen Phasen entstehen. Während der Kommutierungsintervalle wird das Netz zweiphasig kurzgeschlossen. Dadurch entstehen in gleichen zeitlichen Abständen die Spannungseinbrüche. Am Anschlusspunkt des Stromrichters sind die Spannungsverzerrungen am stärksten und werden bis hin zum Generator durch induktivenn Spannungsteilung entsprechend dem Induktionsbelag der Leitung geringer, bis die Ausgangsspannung am Generator wieder sinusförmig ist. 11.6 Netzrückwirkung 169 Bild 11.17: Simulation der B6-Schaltung ohne Gegenspannung In Bild 11.17 ist das Netz durch eine Induktivität von Lk = 0,5 mH und einen Widerstand von Rk = 0,1 µΩ nachgebildet. Bei α = 30° ergibt sich eine Leiterspannung u L12 nach Bild 11.18. Da auch der Leiterstrom iL1 eingezeichnet ist, kann man sehen, dass im Kommutierungsintervall der sinusförmigen Leiterspannung Impulse überlagert sind. Das Simulationsergebnis entspricht der obigen theoretischen Vorgabe. Wird der Steuerwinkel verändert und der Laststrom konstant gehalten, verschieben sich die Spannungseinbrüche mit dem Steuerwinkel nach Bild 11.21. Arbeiten mehrere Stromrichter gleichzeitig am Netz, kann sich die Spannungsverzerrung gegenseitig etwas ausgleichen, da sie mit unterschiedlicher Aussteuerung arbeiten. Bild 11.18: Leiterspannung und Leiterstrom mit Kommutierungseinflüssen; B6 170 11 Gleichrichter am realen Netz Für die verzerrte Leiterspannung wird mit gleichen Eingabewerten die Fourier-Analyse mit der MATHCAD-Datei b6rlk.mcd durchgeführt. Es wurden die Kurzschlüsse in der Leiterspannung bei idealer Glättung simuliert. Bild 11.19 gibt die logarit hmische Darstellung mit den Ergebnissen und den Eingabewerten wieder. Dort treten die für Drehstromsysteme typischen ungeraden, nicht durch drei teilbaren Oberschwingungen auf. Sie sind in dem Diagramm auf die Amplitude der Spannungsgrundschwingung bezogen, die mit |C1 | angegeben ist. Die Amplitude der Sinusspannung beträgt UL12 = √2 ⋅ 400 V = 566 V. Wird während der SIMPLORER-Simulation die Ausgabe der Leiterspannung UL12 in eine ASCII-Datei umgeleitet, kann mit dem Datenanalyseprogramm DAY eine FFT-Analyse erfolgen. Die Ergebnisse sind in Bild 11.20 als Amplitudenspektrum der Spannungen über der Frequenz logarithmisch aufgetragen. Die Werte decken sich mit den Ergebnissen aus MATHCAD nach Bild 11.19. Bild 11.19: Amplitudenspektrum der Leiterspannung (MATHCAD) 11.6 Netzrückwirkung 171 Bild 11.20: Amplitudenspektrum der Leiterspannung über der Frequenz (SIMPLORER) α = 0° α = 30° α = 90° Bild 11.21: Leiterspannung mit variablem Steuerwinkel