Verstärker

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Bildungspsychologie I
(Wahlfachmodul)
MMag. Margarete Halmetschlager
WS 2008/09
Vorlesung 4
Überblick
Inhalte der 4. Vorlesung
Veränderungsmöglichkeiten von Merkmalen
Reifung
Sensible Phasen
Entwicklungsaufgaben
Gesellschaftliche und institutionelle Grenzen für
Veränderungen
Einschub: Skripts
Lernen und Wissenserwerb:
Lernen als Verhaltensänderung
3
VERÄNDERUNGSMÖGLICHKEITEN
VON MERKMALEN
Veränderungsmöglichkeiten
von Merkmalen
Abhängigkeit von 2 Faktoren:
Universelle Gesetzmäßigkeiten
Individueller Entwicklungsstand
Beispiel:
Objektpermanenz
Veränderungsmöglichkeiten
von Merkmalen
Abhängigkeit von 2 Faktoren:
Universelle Gesetzmäßigkeiten
Individueller Entwicklungsstand
Beispiel:
Objektpermanenz
Zwischen 6. und 8. Monat (= sensumotorische
Stufe nach Piaget) beginnen Kinder nach einem
versteckten Gegenstand (der vorher sichtbar war)
aktiv zu suchen
Video (1 min)
Nicht mehr „aus den Augen,
aus dem Sinn“!
Veränderungsmöglichkeiten
von Merkmalen
Universelle Gesetzmäßigkeiten:
In menschlicher Entwicklung gibt es
Gesetzmäßigkeiten, die für ALLE Menschen
gelten, weil sie auf biopsychologischen
Mechanismen beruhen („Reifung“)
Annahme, dass es phasentypische Zeitfenster
gibt, in denen Bemühen um Veränderung
erfolgreicher ist als zu anderen Zeiten
(„sensible Phasen“)
Veränderungsmöglichkeiten
von Merkmalen
Individueller Entwicklungsstand:
= zu bestimmtem Zeitpunkt bereits erreichte
Entwicklungsstand
Spielraum, den man für Veränderung (z.B. in
Lernanforderung) hat, hängt davon ab, welches
kognitive Niveau die Person bereits erreicht hat
in frühen Entwicklungsphasen sind bestimmten
Veränderungen Grenzen gesetzt (vgl. Videos!)
in späteren Entwicklungsphasen wird
domänenspezifisches Vorwissen (und Interesse!) immer
bedeutender
Beispiel: Invarianzprinzip
Merkmale des prä-operativen Stadium nach Piaget
(= Stufe des anschaulichen Denkens; 4.-7/8. Lj.)
Egozentrismus:
Kind neigt dazu, Welt nur aus eigener Perspektive zu sehen
Rigidität des Denkens:
Kind richtet Aufmerksamkeit nur auf eine Dimension eines Objekts
(Zentrierung), eher auf Zustand als auf Transformation. Fehlende
Reversibilität (beobachteter Vorgang kann in Gedanken nicht
umgekehrt werden)
Prä-logisches Schlussfolgern:
Kind schließt von Besonderem auf Besonderes (z.B. Es schneit,
damit ich im Schnee spielen kann -> vgl. Egozentrismus!)
Begrenzte soziale Kognition:
bei Schuldsprüchen spielt z.B. angerichteter Schaden größere
Rolle als dahinterstehende Intention
Beispiel: Invarianzprinzip
Umschüttversuche von Piaget
(= Stufe des anschaulichen Denkens; 4.-7/8. Lj.)
Frage 1: In welchem der beiden Gläser A und B
ist mehr Flüssigkeit?
Kinder mit 5 Jahren: A = B
Kinder mit 6 Jahren: A = B
Kinder mit 7 Jahren: A = B
Beispiel: Invarianzprinzip
Umschüttversuche von Piaget
(= Stufe des anschaulichen Denkens; 4.-7/8. Lj.)
Video (3.11 min)
Frage 2: In welchem der beiden Gläser A und B‘
ist mehr Flüssigkeit?
Kinder mit 5 Jahren: B‘
Kinder mit 6 Jahren: uneinheitlich
Kinder mit 7 Jahren: A = B‘
REIFUNG
Konzeptuelle Grundlagen
von Reifung
Definition:
Reifung = allmähliches Auftreten bestimmter Verhaltensweisen während der Ontogenese [= Entwicklung
eines Individuums von Beginn bis Ende seines
Lebens], die das artspezifische Verhaltensrepertoire eines Artvertreters ausmachen
(Grossmann, 1981)
Reifung bezieht sich auf artspezifische
Veränderungen!
Kulturspezifische bzw. interindividuelle Unterschiede können NICHT mit Reifung erklärt werden!
Konzeptuelle Grundlagen
von Reifung
Reifungsprozesse:
sind artspezifisch
werden im Normalfall immer ausgebildet
oft ist das Zeitfenster für die Entwicklung eines reifungsbedingten
Merkmals festgelegt (z.B. Geschlechtsreife)
Es ist NICHT erforderlich, hier durch pädagögische
Maßnahmen Veränderungen herbeizuführen
(wäre ja auch sinnlos!), da bestimmte biologischkonstitutionelle Voraussetzungen erst gegeben sein
müssen, bevor ein solches Merkmal voll ausgeprägt ist.
Pädagogische Maßnahmen sind besonders effektiv,
wenn sie zum richtigen Zeitpunkt erfolgen (z.B. am Ende
eines Reifungsprozesses)
Reifung im Lebensverlauf
Vor allem im frühen Kindesalter laufen bedeutsame
Reifungsprozesse ab (vgl. Reifung der kindlichen Motorik)
positive Form der Entwicklung
(„positive Reifung“)
„Reifungs“prozesse (d.h. bestimmte Entwicklungsprozesse, die biologisch determiniert
sind) gibt es natürlich nicht nur in der frühen
Kindheit, sondern über die gesamte Lebensspanne
„negative Reifung“: z.B. Abbauprozesse im höheren Alter
Reifung der kindlichen Motorik
Reifungstheorie von Gesell (1940):
Entwicklung der kindlichen
Motorik läuft in beobachtbaren
Entwicklungsschritten ab, die
interkulturell universell sind
(und daher offensichtlich durch
genetische Faktoren bedingt)
(Arnold Gesell,
1880-1963)
Umwelt kann diese Entwicklung
unterstützen oder behindern,
Abfolge der Entwicklungsschritte
kann aber NICHT verändert
werden!
Meilensteine
der motorischen Entwicklung (1)
0 Monate
Fötushaltung
5 Monate
2 Monate
Oberkörper
aufrichten
auf dem Schoß sitzen,
nach Objekten greifen
7 Monate
allein sitzen
3 Monate
Greifversuche
(hingreifen & verfehlen)
Meilensteine
der motorischen Entwicklung (2)
9 Monate
stehen mit Halt
an Möbeln
10 Monate
krabbeln
Meilensteine
der motorischen Entwicklung (3)
9 Monate
stehen mit Halt
an Möbeln
10 Monate
krabbeln
14 Monate
15 Monate
allein stehen
allein gehen
13 Monate
Treppenstufen
hinaufsteigen
„Negative Reifung“ im höheren Alter
Im höheren Alter Reduzierung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und damit auch Beeinträchtigung von kognitiven
Prozessen
Zusammenhang dieser Entwicklung mit biologischen
Vorgängen weniger eindeutig als im Kindesalter
Diese Prozesse können auch zurückgeführt werden auf
altersspezifische Umweltbedingungen
eingeschränkte Erfahrungsmöglichkeiten
Daher: wesentlich mehr Spielräume für Veränderungen
als z.B. bei Entwicklung der kindlichen Motorik
Beispiel: Gezieltes Gedächtnistraining kann bei Älteren Erweiterung
der Gedächtnisspanne bewirken => erinnern sich an
längere Zahlenreihen als untrainierte Jüngere (Baltes, 1990)
„Negative Reifung“ im höheren Alter
Ab 60. Lj. (nach neuesten Studien erst ab 80. Lj.) kommt es bei vielen
Personen zum Nachlassen von kognitiven Funktionen
Gedächtnisleistung nimmt ab
Verarbeitungsgeschwindigkeit nimmt ab
In leitenden Positionen gibt es Menschen, die wesentlich
älter als 60 Jahre sind (vgl. emeritierte Uni-Profs, viele
Politiker, den Papst, etc.)
Fazit: Es gibt Kompensationsmöglichkeiten, die
dafür sorgen, dass sich „negative Reifung“ NICHT
in reduzierter Leistungsfähigkeit niederschlägt
(z.B. berufliche Erfahrung, Seniorstudium,
u.v.a.m.)
Modelle der kognitiven Entwicklung
im Alter (Gerontopsychologie)
Defizit-Modell:
Entwicklung im höheren Alter ist verbunden mit biologisch
determiniertem Nachlassen körperlicher und geistiger Funktionen
Disuse-Modell:
Nachlassen von körperlichen und geistigen Funktionen im höheren
Alter aufgrund mangelnden Gebrauchs und Training
Kompetenzmodell:
Im Vordergrund steht person- und umgebungsspezifische Anpassung
der individuellen Kompetenz an die Lebensumwelt
Bezugspunkt im höheren Alter sind NICHT jüngere
Menschen, sondern JENE Lebensanforderungen,
die an ältere Menschen gestellt werden
SENSIBLE
PHASEN
Was sind sensible Phasen?
Definition:
= zeitlich begrenzte Entwicklungsabschnitte, in denen
spezifische Umwelteinflüsse besondere Wirkung ausüben
Beispiel: Prägungsexperimente von Konrad Lorenz
Graugansküken wird in sensibler Phase nach
dem Schlüpfen auf das 1. sich bewegende
Objekt geprägt (normalerweise seine Mutter;
bei Lorenz verschiedene Objekte bzw. er selbst)
Was sind sensible Phasen?
Definition:
= zeitlich begrenzte Entwicklungsabschnitte, in denen
spezifische Umwelteinflüsse besondere Wirkung ausüben
Beispiel: Prägungsexperimente von Konrad Lorenz
Graugansküken wird in sensibler Phase nach
dem Schlüpfen auf das 1. sich bewegende
Objekt geprägt (normalerweise seine Mutter;
bei Lorenz verschiedene Objekte bzw. er selbst)
Beim Menschen ist Nachweis sensibler Phasen
jedoch nicht so einfach (wegen Variabilität und
Kompensierbarkeit von Umwelteinflüssen)
Bedeutsamkeit der frühen Kindheit
wird in Psychologie insgesamt als sensible Phase für die
Entwicklung angesehen (begründet durch Verhaltensbiologie,
Psychoanalyse, Lerntheorien)
Schlussfolgerung:
Man muss sich besonders intensiv mit Kleinkind befassen,
um Lernprozesse nicht zu versäumen, die später nicht
mehr nachgeholt werden können (vgl. „Was Hänschen nicht
lernt ...“)
„kumulatives Defizit“:
einmal aufgetretener Entwicklungsrückstand bleibt erhalten
bildet ungünstige Basis für alle nachfolgenden
Entwicklungsaufgaben
Betroffener fällt in seiner Entwicklung immer weiter zurück
@ „Kumulatives Defizit“
Hier muss unterschieden werden:
Sensitivität von Lebensphasen für äußere Einflüsse
Wichtigkeit grundlegender Lernprozesse für nachfolgendes
Lernen
ALLE früheren Lernphasen sind bedeutsam für
nachfolgendes Lernen (unabhängig vom Alter!)
Lern- und Entwicklungschancen hängen in ALLEN
Lebensphasen vom jeweils erreichten Ausgangsniveau ab
den ERSTEN Veränderungen in einer
Veränderungsgeschichte kommt prinzipiell mehr Bedeutung
zu als den späteren (weil sie ja die Basis bilden!)
Sie können nicht nur Möglichkeiten für nachfolgende
Veränderungen eröffnen, sondern auch einschränken!
Gibt es sensible Phasen für die
Intelligenzentwicklung?
These des negativ beschleunigten
Verlaufs der Intelligenzentwicklung (Bloom, 1964)
Wesentliche Prozesse der Intelligenzentwicklung in den
ersten 5-8 Lj. -> hier hohe Veränderungen möglich
später sind Veränderungen nicht mehr so einfach, daher:
hohe Bedeutung von frühzeitigen Fördermaßnahmen
(z.B. kompensatorische Vorschulerziehung)
These bildete die Grundlage für Rechtfertigung
von Selektionsentscheidungen nach der
Volksschule (Krapp & Schiefele, 1976)
Gibt es sensible Phasen für die
Intelligenzentwicklung?
Gegenposition zur These des negativ beschleunigten
Verlaufs der Intelligenzentwicklung
Untersuchungen zur Entwicklung der Intelligenz
über die Lebensspanne zeigen:
fluide Intelligenz nimmt im Alter ab (geringere
Problemlösefähigkeit, wenn neue Info oder Info mit
hoher Geschwindigkeit zu verarbeiten ist)
kristalline Intelligenz (beruht auf Wissen und
Erfahrung) nimmt im Alter zu
Gibt es sensible Phasen für die
Intelligenzentwicklung?
Gegenposition zur These des negativ beschleunigten
Verlaufs der Intelligenzentwicklung
Untersuchungen zur Entwicklung der Intelligenz
über die Lebensspanne zeigen:
Kognitive Prozesse (z.B. kurzfristiges Erinnern) können
auch im Alter trainiert und weiterentwickelt werden
Die meisten (gesunden!) älteren Erwachsenen erbringen
in Intelligenztests sehr gute Leistungen und
unterscheiden sich NICHT systematisch von jüngeren
Erwachsenen
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Mit zunehmender Kompetenz ...
(relativ) stabile Faktoren (z.B. Intelligenz) verlieren an
Bedeutung
andere (von Intelligenz unabhängige) Faktoren
gewinnen an Bedeutung, z. B.
bereichsspezifisches Wissen
Übung
praktische Erfahrung
Das bestätigt die ACT-Theorie
(= Adaptive Control of Thought; Anderson 1982)
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Adaptive-Control-of-Thought Theorie (Anderson, 1982):
Anderson unterscheidet zwischen
deklarativem Wissen (WAS)
prozeduralem Wissen (WIE)
Beim Erwerb von Fertigkeiten wird deklaratives Wissen in
prozedurales Wissen umgewandelt
Die mühselige, kapazitäts- und zeitaufwändige Bearbeitung von
Faktenwissen (Aufnahme, Speicherung, Abruf, Nutzung) wird
durch automatische Prozeduren ersetzt
Eventuell genetisch determinierte Merkmale (z.B.
Verarbeitungskapazität) verlieren mit zunehmender Erfahrung
an Bedeutung
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
„Skill Specifity“ (Ackerman, 1990):
Lernen wird durch Prinzip der „skill specifity“ bestimmt:
Je höher das Leistungsniveau in bestimmtem
Gegenstandsbereich, desto bedeutsamer
werden speziellere Komponenten der
Informationsverarbeitung
Mit zunehmender Erfahrung in
bestimmtem Gegenstandsbereich
sinkt der Zusammenhang zwischen
stärker anlagebedingten Faktoren
(z.B. Intelligenz) und Leistung
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Theorie der „Ability Determinants of Skilled Performance“
(Ackerman, 1990):
erklärt, wie sich im Verlauf der Entwicklung kognitiver
Fähigkeiten der Einfluss von anlagebedingten zu
erfahrungsbedingten Faktoren verschiebt
3 Phasen bei Lernen und Kompetenzerwerb:
kognitive Phase
assoziative Phase
autonome Phase
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Theorie der „Ability Determinants of Skilled Performance“
(Ackerman, 1990):
1. kognitive Phase:
hohe kognitive Belastung
Person muss Aufgabeninstruktion verstehen, Ziel
erkennen, Strategien zu seiner Erreichung entwickeln
-> hierzu braucht sie allgemeine, inhaltsübergreifende
Fähigkeiten
Je mehr prozedurales Wissen gebildet und angewandt
werden kann, desto geringer wird der Einfluss der
allgemeinen Fähigkeiten
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Theorie der „Ability Determinants of Skilled Performance“
(Ackerman, 1990):
2. assoziative Phase:
Entwickelte Strategien werden zu automatischen
Prozessen
-> Leistung wird schneller, Fehler werden weniger
Hier sind vor allem Fähigkeiten aus dem Bereich
Wahrnehmungsgeschwindigkeit vonnöten
-> Es geht um Prozesse, die mit der Verdichtung von
Wissen und der Schnelligkeit seiner Anwendung
zusammenhängen
Bedeutsamkeit von
Wissen und Erfahrung
Theorie der „Ability Determinants of Skilled Performance“
(Ackerman, 1990):
3. autonome Phase:
Fertigkeiten werden automatisiert
Tätigkeiten
benötigen nur mehr wenig Aufmerksamkeit,
werden schnell und präzise verrichtet
Was nützt das Konzept
sensibler Phasen?
Dass frühe Lebensphasen bedeutsam sind, ist unumstritten,
dafür braucht man keine Annahme einer biologisch
begründeten Sensibilität für Umwelteinflüsse!
Annahme von sensiblen Phasen hat fatale Konsequenz:
Sie impliziert, dass andere Phasen NICHT sensibel
wären ... (d.h. pädagogische Veränderungsmaßnahmen
bräuchten dann nur die sensiblen Phasen zu betreffen)
was am Ende einer sensiblen Phase herauskommt,
muss hingenommen werden, weil die nachfolgende
Phase ja „unsensibel“ ist ...
Was nützt das Konzept
sensibler Phasen?
In Wirklichkeit ist Veränderung auch außerhalb
sogenannter „sensibler Phasen“ möglich
Veränderung ist auch im höheren Alter noch
möglich (eventuell mit höherem Aufwand, aber
NICHT unmöglich!)
Wichtig sind vor allem die Anfangsphasen eines
Veränderungsprozesses, weil dort die Basis für
spätere Phasen dieses Prozesses gelegt wird!
ENTWICKLUNGSAUFGABEN
Konzept der Entwicklungsaufgaben
(Havighurst, 1948, 1956, 1972)
zeigt besonders deutlich, dass Entwicklung immer ein
Wechselspiel von anlagebedingten Möglichkeiten und
umweltbedingten Anforderungen ist
Ausgangspunkt:
Person muss sich im Laufe ihres Lebens mit
bestimmten Problemen und Themen gründlich
auseinandersetzen
Konflikte und krisenhafte Zustände, die bewältigt
werden müssen
Konzept der Entwicklungsaufgaben
(Havighurst, 1948, 1956, 1972)
Definition:
Entwicklungsaufgaben
= Anforderungen, die
typischerweise in
bestimmten Lebensphasen zu bewältigen
sind („Marksteine“
der Entwicklung)
Robert J. Havighurst
(1900-1991)
Konzept der Entwicklungsaufgaben
(Havighurst, 1948, 1956, 1972)
@ Entwicklungsaufgaben:
entstehen teils aufgrund biologischer
Reifungsprozesse (z.B. Gehen- und Sprechenlernen)
werden teils von der Gesellschaft oder vom
Sozialsystem definiert
Personen stellen sich aber auch selbst solche
Aufgaben (z.B. Anstreben einer beruflichen Karriere)
erfolgreiche Bewältigung bewirkt
persönliche Zufriedenheit
erfolglose Bewältigung bewirkt
Unzufriedenheit, sozialen Druck (und im Extremfall
psychische Störungen)
Konzept der Entwicklungsaufgaben
(Havighurst, 1948, 1956, 1972)
Inhalte der Entwicklungsaufgaben hängen ab
vom Lebensalter bzw. der jeweiligen Entwicklungsphase
vom kulturellen und gesellschaftlichen Kontext
Kulturabhängigkeit der Entwicklungsaufgaben (vgl.
Weinert, 1988)
Entwicklungsaufgaben als „gesellschaftliche
Eintrittskarten“ (Flammer, 1993)
Einige Entwicklungsaufgaben sind langfristig
voraussehbar und planbar, daher pädagogische
Vorbereitung darauf (z.B. Schuleintritt, Berufsbeginn,
Elternschaft, Pensionierung)
Konzept der Entwicklungsaufgaben
(Havighurst, 1948, 1956, 1972)
Taxonomie der Entwicklungsaufgaben:
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(nach Oerter & Montada, 1995, S. 124)
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(nach Oerter & Montada, 1995, S. 124)
GESELLSCHAFTLICHE
UND INSTITUTIONELLE
GRENZEN FÜR
VERÄNDERUNGEN
Gesellschaftliche und institutionelle
Grenzen für Veränderungen
Gesellschaftliche und institutionelle Bedingungen
bewirken nicht selten eine viel stärkere Einschränkung
von Veränderung als genetisch bedingte Faktoren
(Prenzel & Doll, 2000)
Begrenzte Handlungsspielräume
in Familie
in Schule
Begrenzung durch Skript-Konzepte
Ansatzpunkte für Bildungspsychologie
Begrenzte Handlungsspielräume
Familie:
Handlungsspielraum wird u.a. bestimmt durch
ökologische Faktoren (z.B. finanzielle Mittel,
Wohnverhältnisse, Zeit)
Merkmale der erziehenden Personen (z.B. Wert- und
Zielvorstellungen, Wissen über pädagogische
Handlungsmöglichkeiten und ihre Folgen)
Veränderungen in der Familienstruktur (z.B.
Scheidung)
Begrenzte Handlungsspielräume
Schule:
Handlungsspielraum wird u.a. bestimmt durch
ökologische Faktoren (d.h. Qualität der verfügbaren
Ressourcen, z.B. Ausstattung der Klassen,
Lehrmaterialien, Klassengröße)
Merkmale der Lehrpersonen (z.B. Kompetenz, Wertund Zielvorstellungen)
System Schule (z.B. Lehrplan, Schulaufsicht,
Dienstrecht)
Begrenzung durch Skriptkonzepte
Beobachtete Unterrichtsmuster (z.B. fragendentwickelnder Unterricht) folgen einer „Choreografie“
(Oser & Patry, 1996) bzw. einem Drehbuch
Dieses steuert Aktivitäten zwischen LehrerInnen
und SchülerInnen, beobachtetes
Unterrichtsverhalten und intern ablaufende
Lernprozesse
Scripts sind innerhalb einer Kultur relativ homogen
(vgl. TIMSS-Studie), schaffen Bezugsrahmen, in dem
LehrerInnen und SchülerInnen sich bewegen
Begrenzung durch Skriptkonzepte
Unterricht = eingespieltes Interaktionsmuster
kann nicht so einfach verändert werden
(Seidel & Prenzel, 2006)
Dafür müssen Skripts auf LehrerInnen- und
SchülerInnenseite, aber auch auf Elternseite
(und natürlich auch auf Ebene des
Schulsystems!) umgeschrieben werden
So etwas KANN nicht von heute auf
morgen passieren und es kann auch
nicht so einfach von oben verordnet
werden!
Einschub:
SKRIPTS
Was ist ein Skript?
Skripts sind Repräsentationen (bzw. mentale Modelle)
von Handlungsabläufen im Gedächtnis bzw. in der
Erinnerung
Skripte werden erlernt (d.h. wir müssen oft an
betreffender Situation teilnehmen)
Skripts bedeuten weniger Verarbeitungsaufwand für
bekannte Situationen
Skripte sind kulturspezifisch und kontextabhängig
Skriptarten
Situational Scripts:
beziehen sich auf eine Situation, in der verschiedene Personen
festgelegte Rollen haben
Beispiele: Restaurant, Bus
Personal Scripts:
Skript existiert meist nur im Kopf des Haupthandelnden, andere
Teilnehmer müssen sich ihrer Rolle nicht bewusst sein
Beispiele: guter Samariter, Schmeichler
Instrumental Scripts:
beschreiben eine Handlungssequenz; nur ein Teilnehmer
keine Variabilität möglich, Reihenfolge der Ereignisse ist starr
[unterscheide dazu Restaurant-Skript: zuerst Essen bestellen,
dann Getränke (oder umgekehrt)]
Beispiele: Zigarette anzünden, Auto starten
Skriptinhalte
Jedes Skript enthält Maincons (main conceptualization):
Haupthandlungen, die gebraucht werden, um Ereignisse zu
verknüpfen (z.B. im Restaurant-Skript: Bestellung des Essens)
Innerhalb von Skripten kann es verschiedene Tracks (Spuren,
Wege) geben. Die Abläufe unterscheiden sich jeweils
voneinander -> man braucht für jeden Track spezielles Wissen
(vgl. Grafik)
Beispiel: Restaurantskript
(nach Schank & Abelson, 1977)
Rollen:
Kunde, Bedienung (Koch,
Besitzer)
Ausstattung:
Tische, Karte, Essen,
Rechnung, Geld, Trinkgeld
Vorbedingung:
Kunde ist hungrig und hat Geld
Nachbedingung:
Kunde ist nicht mehr hungrig, hat weniger Geld
Beispiel: Restaurantskript
(nach Schank & Abelson, 1977)
Szene 1: Betreten
Kunde betritt Restaurant
Kunde sucht freien Tisch
Kunde entscheidet sich für
einen Platz
Kunde geht zum Tisch
Kunde setzt sich
Szene 2: Bestellen
Kunde bekommt die Karte
Kunde liest die Karte
Kunde entscheidet, was er
essen will
Kunde ruft Bedienung
Bedienung kommt zum Tisch
Kunde bestellt Essen
Szene 3: Essen
Bedienung bringt Essen
Kunde isst
Szene 4: Verlassen
Kunde ruft Bedienung
Bedienung kommt zum
Tisch
Kunde bittet um Rechnung
Kunde bekommt Rechnung
Kunde gibt Geld
Kunde geht aus dem
Restaurant
Ende Einschub
SKRIPTS
Ansatzpunkte für
Bildungspsychologie
Wissensvermittlung:
Info über Gestaltung von Veränderungen an die in pädagogischen
Settings Agierenden (z.B. im Rahmen der LehrerInnenausbildung)
Personen müssen auch Bereitschaft haben, das
Wissen anzunehmen
Diese haben sie aber nur, wenn sie
erkennen, dass sie damit effektives Mittel in
die Hand bekommen, und wenn ihnen die
angestrebte Veränderung auch subjektiv
erstrebenswert erscheint!
Außerdem muss man sich bewusst sein, dass es sehr schwer ist,
Gewohnheiten zu ändern; z.B. Lehrer, der seit vielen Jahren auf
bestimmte Art unterrichtet, wird diese sicher nicht von heute auf morgen
ablegen können (auch wenn er das vielleicht möchte)
Ansatzpunkte für
Bildungspsychologie
Einfluss auf Strukturen:
Wissen der in pädagogischen Settings Agierenden über
Möglichkeiten einer Veränderung allein reicht nicht aus!
Personen müssen einen Handlungsspielraum haben,
um dieses Wissen auch praktisch anwenden zu
können
Es ist daher die Aufgabe der Entscheidungsträger, für einen entsprechenden Handlungsspielraum zu sorgen!
LERNEN UND
WISSENSERWERB
Lernen
als Verhaltensänderung:
Viele Situationen im Alltag machen es notwendig, dass eine
Person ihr Verhalten ändert, um sich optimal oder
zumindest ausreichend an spezifische Anforderungen
von sozialen aber auch physikalischen Gegebenheiten
anzupassen.
als Wissenserwerb:
= Konstruktion von Wissensstrukturen (bzw.
Rekonstruieren und Modifizieren von bereits vorhandenen
Wissensstrukturen)
Das Wissen in diesen Strukturen kann sein:
begriffliches Wissen (Faktenwissen, Sachwissen)
prozedurales Wissen (Wissen über Prozesse/Verfahren)
metakognitives Wissen (Wissen über das eigene Wissen)
LERNEN ALS
VERHALTENSÄNDERUNG
Behavioristische Lerntheorien
behaviour / behavior = beobachtbares Verhalten
Black-Box-Modell:
Alles, was INNERHALB der sogenannten Black Box
ist, entzieht sich der Beobachtung
-> daher für Behavioristen NICHT von Interesse
Behavioristische
Lerntheorien
Lernen =
Aufbau von Reiz-Reaktions-Verbindungen
Diese bleiben unter bestimmten Bedingungen bestehen und
können unter bestimmten Bedingungen wieder gelöscht
werden
D.h. Lernen ist ein Prozess, der aufgrund eigener,
wiederholter Aktivität zu relativ überdauerndem Verhalten
(bzw. zu relativ überdauernder Verhaltensänderung) führt
Verhaltensweisen (und Gewohnheiten) können
gelernt werden
Sie können aber auch wieder VERlernt werden!
(vgl. Watson, Skinner, Thorndike, Hull, et al.)
Übersicht: Folgende Inhalte
Einfluss von Konsequenzen auf Verhalten
Operantes Konditionieren (Verstärkung/„Bestrafung“,
Kontingenz, diskriminative Reize)
Ungewollte Verstärkung von unerwünschtem Verhalten
Zeitliche Aspekte von Verstärkung (z.B. Verstärkerpläne)
Das Problem des Strafens
Gewohnheitsbildung und Aufbau komplexer
Bewegungsabläufe
Lernen am Modell
Klassisches Konditionieren (und seine kognitive
Interpretation durch Rescorla, 1988)
Beispiel
Liftszene:
Ausgangslage: Person will Lift
benutzen -> Lift kommt
Verhalten
Person betritt Lift
Person ist im Lift „gefangen“
unangenehme
Konsequenz des
Verhaltens
Person bei nächster Liftbenutzung?
Person benutzt Lift (ev. mit
mulmigem Gefühl)
Person geht zu Fuß
Verhaltensänderung
infolge der unangenehmen
Konsequenz des Verhaltens
bei vorangegangener Liftbenutzung
Reize & Konsequenzen (1)
VOR dem Verhalten -> vorausgehender Reiz = Lift
Man hat bereits früher gelernt, was man mit einem
Lift tun kann, daher beim Auftreten des Reizes
Lift: Benutzen des Lifts (= Reaktion)
REAKTION
KONSEQUENZ
REIZ
Diese Reaktion hat normalerweise angenehme Konsequenz (man
braucht nicht Stiegen zu steigen), daher Folge: Sobald der Reiz Lift
wieder auftritt, wird man ihn auch benutzen.
Reize & Konsequenzen (2)
REIZ
REAKTION
KONSEQUENZ
Lift bleibt stecken = neuer Reiz (wird erlebt als Konsequenz des
vorhergegangenen Verhaltens „Betreten des Lifts“)
= unangenehme Konsequenz des Verhaltens!
Bei Verbindung von unangenehmer Konsequenz mit Reiz wird
man in nächster Zeit eher nicht mit dem Lift fahren, sondern nach
alternativem Verhalten suchen (z.B. Treppensteigen)
Reize & Konsequenzen (3)
REIZ
REAKTION
KONSEQUENZ 1
Reize & Konsequenzen (3)
REIZ
REAKTION
KONSEQUENZ 2
Erfahrung: Treppensteigen ist gar nicht sooooo anstrengend, man
tut dem Körper etwas Gutes (= angenehme Konsequenz)
Folge: Man wird in Zukunft öfter Treppen steigen als
mit dem Lift fahren
= Verhaltensänderung, d.h. Lernen hat stattgefunden!
Reize & Konsequenzen (4)
BEIDES ist
Verstärkung!
Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens
wird erhöht
entweder durch Erhalt eines angenehmen Reizes
nach dem Verhalten (positive Verstärkung)
Stiegensteigen => körperliches Wohlbefinden (mehr
Fitness)
Reize & Konsequenzen (4)
BEIDES ist
Verstärkung!
Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens
wird erhöht
oder durch den Wegfall eines unangenehmen Reizes
nach dem Verhalten (negative Verstärkung)
Stiegensteigen => keine Gefahr mit Lift steckenzubleiben
Beispiel
„Störenfriede im Kaufhaus“:
2 Buben benutzen sämtliche Aufzüge des
Kaufhauses der Reihe nach in Rekordzeit, um die
KundInnen zu ärgern
Filialleiter schnappt sich die beiden und bringt sie in
einen düsteren Raum
Er führt dort fingiertes Telefongespräch, in dem er in
unbestimmter Weise etwas sehr Unangenehmes
(z.B. Polizei, Eltern, etc.) andeutet
Dann lässt er die Buben allein ...
Effekt dieses Verhaltens = ?
Beispiel
„Störenfriede im Kaufhaus“:
Verhalten des Filialleiters hat - lernpsychologisch
betrachtet - einen doppelten Effekt:
für Buben:
VH des Filialleiters ist für
Buben sehr unangenehm,
weil verunsichernd
(= Vorgabe eines
aversiven Reizes
= „Bestrafung“)
Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens
„Stören im Kaufhaus“ wird
gesenkt
für Filialleiter:
Bei Erfolg (d.h. Ende der
Störaktion im Kaufhaus) bei
ähnlichem Vorfall wieder
Wahl dieses VH
Auftretenswahrscheinlichkeit des Filialleiter-VH wird
erhöht (= negative
Verstärkung durch Wegfall
des unangenehmen Reizes
„Störung im Kaufhaus“)
Verstärkung
positiver Reiz
aversiver Reiz
Vorgabe
Beseitigung
Verstärkung
Vorgabe
Beseitigung
positiver Reiz
positive
Verstärkung
„Bestrafung“
aversiver Reiz
„Bestrafung“
negative
Verstärkung
positive Verstärkung:
= Gabe eines positiven Reizes nach einem bestimmten Verhalten
negative Verstärkung:
= Verstärkung durch Beseitigung eines aversiven Reizes
Die Vorgabe positiver Reize (z.B. Nahrung, Geld)
sowie die Beseitigung aversiver Reize (z.B. Schmerz, Angst)
wirken verstärkend, d.h. sie steigern die Häufigkeit
von Verhalten
Kontingenz
In den Beispielen vorgeführte Konsequenzen
(bzw. entsprechende Reize, die als Verstärker wirkten)
waren dadurch gekennzeichnet, dass sie unmittelbar
auf ein beobachtbares Verhalten folgten
= Verstärkungskontingenz
(ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für
Operantes Konditionieren)
Operantes Konditionieren
= Verknüpfen von Reaktionen mit verstärkenden Reizen
Operantes Konditionieren
(Skinner, 1969; 1974)
Ausgangspunkt:
Mensch/Tier zeigt spontan (d.h.
nicht durch sichtbaren Reiz
ausgelöst) ein bestimmtes Verhalten
(= operantes Verhalten)
@ Grafik:
Ratte spaziert in Skinner-Box
umher und tritt dabei irgendwann
auch zufällig auf den
Hebel für die Futterpille
Operantes Konditionieren
(Skinner, 1969; 1974)
jetzt Operantes Konditionieren:
Mensch/Tier wird für dieses
Verhalten verstärkt, d.h. bekommt
eine Belohnung (z.B. Futterpille,
Lob, Dank, etc.) = verstärkender
Stimulus
Operantes Konditionieren
(Skinner, 1969; 1974)
Zwischen Verhalten (= Reaktion R)
und dem verstärkenden Stimulus SR
[R = reinforcement] besteht
Verstärkungskontingenz
R
operantes
(spontanes)
Verhalten
SR
Reiz, der als
Verstärker
wirkt
Durch kontingente Verstärkung wird die
Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht
Allmähliche Veränderung eines Verhaltens auf ein
bestimmtes Ziel hin = Shaping (Ausformung des VH)
Video (3.57 min)
Operantes Konditionieren
(Skinner, 1969; 1974)
diskriminativer Reiz:
= Reiz, der einen Verstärker
ankündigt
@ Grafik:
Immer dann, wenn Ratte nach
Treten auf den Hebel mit Futterpille
verstärkt wird, leuchtet vorher rote
Lampe (wenn nicht -> blaue Lampe)
rote Lampe = diskriminativer Reiz
SD
R
SR
diskriminativer Reiz
Reaktion
Verstärkung
Ungewollte Verstärkung von
unerwünschtem Verhalten
Beispiel: „schwieriger“ Schüler stört immer wieder den
Unterricht (z.B. Tratschen, Herausschreien,
Rippenstöße für den Sitznachbarn, usw.)
Lehrer greift ein -> bittet, fordert auf, ermahnt,
schimpft, usw.
Folge: Störungen des Schülers nehmen zu
anstatt ab ...
Ungewollte Verstärkung von
unerwünschtem Verhalten
Offensichtlich ist Zuwendung des Lehrers für diesen
Schüler ein positiver Verstärker
aus Lehrersicht unerwünschtes Schüler-Verhalten nimmt
daher zu und nicht ab
Und was „lernt“ der Lehrer dabei?
Eingriff hat (wenigstens kurzfristig) Erfolg, d.h. Ende der
Störung = Wegfall eines aversiven Reizes = negative Verstärkung
Lehrer greift bei Störungen immer wieder ein (und
bewirkt damit das Gegenteil dessen, was er sich wünscht ...)
Ungewollte Verstärkung von
unerwünschtem Verhalten
Beispiel: „Trost-Zigarette“
vor unangenehmer Arbeit
Auch hier zweiseitiger Lernprozess:
Rauchen bewirkt vorerst einmal KEINE
unangenehme Arbeit (Erleichterung!)
= negative Verstärkung!
Rauchen wird [vom Raucher] als angenehm erlebt
= positive Verstärkung des unerwünschten
Verhaltens „ineffizientes Herumtrödeln“
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
Wir wissen bereits:
Verstärker muss kontingent mit dem erwünschten
Verhalten verknüpft werden (d.h. unmittelbar auf
dieses folgen)
Wie OFT aber muss ein (positiver oder
negativer) Verstärker gegeben werden, damit
in Zukunft das Verhalten (immer und im
richtigen Moment) auftritt?
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
One Trial Learning:
einmaliges Auftreten einer Verhaltenskonsequenz reicht, um bestimmtes VH aus dem VHRepertoire zu tilgen (bzw. um es darin aufzunehmen)
Beispiel: heiße Herdplatte
Wer einmal auf eine solche gegriffen hat, weiß,
dass er das besser unterlassen sollte ...
Wer sich einmal bei seinem Chef „die Finger
verbrannt“ hat, braucht vermutlich auch keinen 2.
Lerndurchgang ...
Die meisten VH-Weisen sind nicht so schnell zu lernen (z.B. Nichttrödeln
bei wichtiger Arbeit) -> brauchen mehr als 1 Lerndurchgang
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
In Anfangsphase muss jedes
Auftreten des erwünschten VH
regelmäßig und nachdrücklich
verstärkt werden
kontinuierliche
Verstärkung
Mit der Zeit kann das erwünschte
VH nur mehr ab und zu verstärkt
werden
intermittierende
Verstärkung
Ist erwünschtes VH erlernt, muss es von Zeit zu Zeit
schon noch verstärkt werden, sonst Sinken der
Auftretenswahrscheinlichkeit (bzw. letztlich Löschung)
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
Kontinuierliche Verstärkung:
Erwerb des Verhaltens erfolgt schnell
Stabilität ist aber gering (d.h. Verhalten wird schnell
verlernt, wenn es nicht mehr verstärkt wird)
Intermittierende Verstärkung:
Erwerb des Verhaltens erfolgt langsamer
Stabilität ist höher (d.h. Verhalten bleibt langfristiger
erhalten, auch wenn es nicht mehr verstärkt wird)
Extinktion:
Löschung des VH braucht länger, wenn das VH unter
wechselnder, ungleichmäßiger (d.h. intermittierender)
Verstärkung erlernt (und aufrecht erhalten) wurde
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
Beispiel:
Mutter gibt Kind jedes Mal Bonbon und
lobt es, wenn es versucht, sich allein
anzuziehen
Aufbau des VH „Selbstständiges
Anziehen“ durch kontinuierliche
Verstärkung
Je besser Kind das VH beherrscht, desto
seltener bekommt es ein Bonbon
intermittierende Verstärkung
Schließlich braucht die Mutter nur mehr
hin und wieder zu loben
VH ist selbstverständlich geworden,
Kind ist stolz auf seine Leistung
(= Selbstverstärkung)
Zeitliche Aspekte von Verstärkung
Verstärkung ist „wertvoller“, wenn man sie nicht zu oft
erhält
Verstärker, der nur noch ab und zu vergeben wird, verliert
weniger seinen Wert und es kommt nicht so leicht zu einer
Übersättigung
VH wird unabhängiger von seinen äußeren Folgen und wird
nicht so schnell aufgegeben, wenn Verstärkung hin und
wieder ausbleibt
Äußere Folgen für Verhaltensäußerung nehmen an
Bedeutung ab -> Lernender wird unabhängiger von
Verstärkung durch andere (= Fremdverstärkung)
Damit gleichzeitig Förderung des Übergangs zur
Selbstverstärkung
Selbstverstärkung
3 wesentliche Merkmale der Selbstverstärkung:
Person verabreicht sich selbst die Verstärker
Person muss frei über die Verstärker verfügen können
Person verstärkt sich nicht nach Belieben, sondern nur nach dem
Auftreten spezifischer VH-Weisen
Innere VH-Folgen (z.B. Stolz, Zufriedenheit) fördern das VH, das zu
diesen angenehmen Gefühlen geführt hat
Kontrolle des VH (und Verantwortung für das VH) liegen INNERHALB
der Person (bei Fremdverstärkung AUSSERHALB der Person)
Selbstverstärkung als Erziehungsziel -> positive Auswirkungen auf
Persönlichkeitsentwicklung: Selbstständigkeit, Unabhängigkeit
Nicht jedes VH (bzw. Einstellung) wird durch Selbstverstärkung
aufrecht erhalten, z.B.
Berufsausübung: regelmäßige materielle Belohnung
Ehrenämter:
soziale Anerkennung
Verstärkerpläne
(aus Krapp & Weidenmann, 2006, S. 147)
Literatur
Krapp, A. & Weidenmann, B. (Hrsg.) (2006). Pädagogische Psychologie,
Kapitel 4 (5. Aufl.). München: PVU.
Krapp, A. & Weidenmann, B. (Hrsg.) (2006). Pädagogische Psychologie,
Kapitel 5 (5. Aufl.). München: PVU.
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